Ökonomien des Krieges

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Ökonomien des Krieges
Ein lange vernachlässigtes Forschungsfeld von großer Bedeutung f ür die politische Praxis
Ökonomien gegenwärtiger bewaffneter Konflikte sind in den letzten Jahren zum
Gegenstand vertiefter Forschung geworden. Eine Auswahl wichtiger neuerer
sozialwissenschaftlicher Publikationen zum Thema, die in der Literaturliste am Ende dieses
Textes aufgeführt sind, dokumentiert diese Entwicklung. Trotz sehr unterschiedlicher
Forschungsansätze kommen diese Arbeiten durchweg zu dem Ergebnis, daß sich die
Strategien der Konfliktbearbeitung durch die unterschiedlichen Akteure der internationalen
Politik tiefgreifend verändern m üssen, wenn die Einhegung gewaltförmiger Konflikte
gelingen soll. Anders ausgedrückt, die Betrachtung bewaffneter Konflikte als ökonomische
Prozesse entwertet viele konkurrierende Erkl ärungsmuster, die bislang vor allem in der
angelsächsischen Kriegsursachenforschung und in Einzelfallstudien im Vordergrund
standen . Mit dieser Feststellung soll aber keineswegs in Abrede gestellt werden, daß es
immer ein vielfältiges Ursachenbündel gibt, das die jeweilige Ausformung des bewaffneten
Kampfes bestimmt. Jedoch sch ützt der kriegsökonomische Blickwinkel davor, allzu leicht
von politischer Inszenierung des Kampfgeschehens und der Opferrollen get äuscht zu
werden.
Ein ums andere Mal kann gezeigt werden, daß es sich bei der Radikalisierung von
ethnischen, religiösen und sozialräumlichen Gruppenidentitäten im Verlauf der
Konfliktgenese um instrumentelle Vorg änge handelt, bei denen reale oder perzipierte
Ressourcenkonkurrenz auf den unterschiedlichsten Ebenen eine zentrale Rolle spielt.
Gleichzeitig geht aus diesen Untersuchungen im Gegensatz zu allgemeiner Wahrnehmung
eindeutig hervor, daß Kriegsökonomien durchg ängig Teil der Weltwirtschaft bleiben, mehr
noch, daß eben diese h äufig vertiefte Einbindung in den Globalisierungsprozeß eine
notwendige Voraussetzung für bewaffnete Konflikte ist. Es ist wahrscheinlich der
außerordentlichen Vielfalt der Formen der jeweiligen Einbindungen in weltweite Handelsund Zahlungsströme geschuldet, daß die ökonomischen Dimensionen bewaffneter Konflikte
lange wenig beachtet wurden. Daß es sich dabei sehr häufig um illegale Sph ären des
gegenwärtigen Globalisierungsprozesses handelt, erschwert auch weiterhin den genauen
Blick auf Kriegsökonomien.
Entsprechend unzureichend blieb bislang das Verständnis der ökonomischen Dynamik in
gegenwärtigen Kriegen, so daß die ersten Versuche der internationalen Gemeinschaft mit
ökonomischen Mitteln auf das Konfliktgeschehen einzuwirken, regelhaft scheiterten. Neben
z.T. massiven Programmen im Bereich humanitärer Hilfe sind in den neunziger Jahren
Embargomaßnahmen der verschiedensten Art getroffen worden, um eine Lähmung des
Kriegsgeschehens zu erzwingen. In sehr vielen Fällen hat beides jedoch zu einer
wirtschaftlichen Konsolidierung der Kriegsparteien und damit eher zu einer Verlängerung
des bewaffneten Konfliktes gef ührt. Dieser Befund findet langsam Eingang in die politische
Debatte um die Wahl geeigneter Mittel, mit denen die internationale Gemeinschaft und
einzelne Akteure auf humanitäre Krisen und bewaffnete Konflikte reagieren k önnen. In der
politischen Praxis seit Aufl ösung der Sowjetunion haben diese
Politikfelder erheblich an Bedeutung gewonnen, weil der v ölkerrechtliche Stellenwert der
Menschenrechte eine erhebliche Aufwertung erfahren und den politischen Druck, bei
massiven Verletzungen einzugreifen, kontinuierlich erhöht hat. Die genaue ökonomische
Analyse des Konfliktgeschehens erweist sich zunehmend dabei als eine notwendige,
gleichwohl alleine nicht hinreichende Bedingung f ür leistungsf ähiges Krisenmanagement.
Der folgende Text kann das Forschungsfeld allein aus Platzgründen nicht umfassend
darstellen. Daher soll zunächst beschrieben werden, wo die Unterschiede zur traditionellen
Konfliktforschung besonders hervortreten und die Befunde, eine deutliche Veränderung der
Entwicklungspolitik gegenüber bewaffneten Konflikten unausweichlich erscheinen lassen.
Anschlie ßend werden empirisch belegte Parameter aus der neueren Forschung diskutiert,
die auf dem Weg in gewaltgesteuerte Kriegsökonomien eine bedeutende Rolle spielen
können. In einem weiteren Abschnitt soll die Vielfalt der Formen der „Kriegsfinanzierung“
sowohl auf staatlicher als auch auf nichtstaatlicher Seite anhand von Beispielen erläutert
werden. Die Beispiele verweisen auf vielschichtige, global vernetzte Strukturen sowohl
legale als auch illegale und kriminelle, die in ihrer Summe den aktuellen
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Globalisierungsproze ß ausmachen. Als heuristisches Hilfsmittel zum besseren Verständnis
wird ein Dreisektorenmodell der Weltwirtschaft skizziert, in das sich Kriegsökonomien
einordnen lassen. Abschlie ßend werden vorläufige Befunde referiert, die handlungsleitend
bei zuk ünftigen Reaktionen auf humanitäre Katastrophen und bewaffnete Gewalt hilfreich
sein können.
Von der Konflikt- und Kriegsursachenforschung zum Forschungsparadigma
„Kriegsökonomie “
Die Konfliktforschung hat bis heute an einem recht willkürlichen Kriteriumfür das Vorliegen
eines Krieges festgehalten, u.a. 1000 Tote als unmittelbare Folge von Kampfhandlungen.
Aus dieser Diskussion stammen auch Zahlen zum Verhältnis von getöteten Soldaten und
Zivilisten in bewaffneten Konflikten. Dieser Beobachtungswinkel hat die häufig sehr viel
schwerwiegenderen Folgen von Kriegsgeschehen in innergesellschaftlichen Konflikten in
den ärmsten Ländern der Welt verdeckt. Diese Länder sind seit vielen Jahren der häufigste
Ort, an dem bewaffnete Konflikte ausgetragen werden. Als Folge von Kriegsgeschehen,
häufig durch eine Kettenreaktion zusammengebrochener wirtschaftlicher Vernetzung weit
entfernt von den Kampfhandlungen, verlieren Menschen essentielle „entitlements“ (nach
Sen 1981), das heißt den Zugang zu Gütern der Grundversorgung wie Nahrung, Wasser,
Gesundheitsversorgung und Erziehung . Dies schlägt sich in einem dramatischen Anstieg
der Todesfälle, u.a. der Säuglingssterblichkeit nieder, die in der Summe die gez ählten
Kriegstoten weit übersteigen. Die in der Friedens - und Konfliktforschung lange
vorherrschende alleinige Konzentration auf Kampfhandlungen und deren rasche
Beendigung f ührt zu einer Unterschätzung der expansiven negativen Dynamik des
Kriegsgeschehens und verdeckt vielfältige Möglichkeiten, den Auswirkungen von
Kriegsgeschehen simultan zu begegnen und die konfrontative Dynamik von
Kriegsgeschehen einzuhegen (hierzu am Beispiel Bosniens Kaldor 1999).
Aus dem „kriegs ökonomischen“ Blickwinkel ist der bewaffnete Kampf, den die
Kriegsursachenforschung ab einer bestimmten Schwelle zum Krieg erkl ärt, eher ein
bestimmter Aggregatzustand krisenhafter ökonomischer Entwicklung, in der bewaffnete
Gewalt die Tauschverh ältnisse vollends dominiert, als ein absoluter Ausnahmezustand. Die
in vielen Sprachen dominante Begrifflichkeit vom Ausbruch des Krieges verschleiert die
proze ßhafte Entwicklung hin zu innerstaatlichen bewaffneten Konflikten, die irgendwann
eine definitorische Schwelle überschreiten, um dann als Krieg beschrieben zu werden,
wobei Krieg im allgemeinen Verständnis immer Ausnahmezustand bedeutet. Dieser
Vorstellung gemäß gibt es auch eine Beendigung des Ausnahmezustandes, ein Kriegsende
und eine Stunde Null. Nach bisheriger Entwicklungshilfepraxis werden alle Ma ßnahmen
außer direkter humanitärer Hilfe für die Dauer des Ausnahmezustandes Krieg ausgesetzt.
Der sogenannte Wiederaufbau in der Nachkriegsphase muß aber zwangsläufig an den
gewaltgesteuerten wirtschaftlichen Strukturen anknüpfen und mit den sie dominierenden
Akteuren kooperieren, um sie im günstigsten Falle schrittweise zu transformieren. Daher
stellt sich die Frage, ob der absolute entwicklungspolitische Rückzug nicht lange währende
Kriege verstetigt, in denen die gewaltunternehmerischen Akteure den Krieg auf beiden
Seiten zu einer in zwei Kreisläufen komplementären Produktionsweise entwickelt haben.
Dies schlägt sich darin nieder, daß die Kampfhandlungen nahezu ausschließlich auf die
Erhaltung der jeweiligen Kriegsökonomien ausgerichtet sind. Hierin liegt der Grund für den
häufig sehr begrenzten Umfang direkter Kampfhandlungen in solchen Kriegen. Extrem
verkürzt kann man sagen, daß sich die Kriegsökonomie mit der Arbeitshypothese
auseinandersetzt, daß innergesellschaftliche Kriege eine Fortsetzung der Ökonomie mit
anderen Mitteln sind.
Eine pragmatische Abgrenzung von Kriegsökonomien gegenüber anderen Formen
wirtschaftlicher Ordnung stellt Gewalt als absolut vorherrschendes Regulativ von Produktion
und Aneignung in den Vordergrund. Die hierarchische Zentralisierung der
Gewaltinstrumente und die damit verbundene territoriale Kontrolle unterscheiden
Kriegsökonomien von Anarchie. Außerdem ist die Einbindung in internationale Waren- und
Finanzströme konstitutiv für Kriegsökonomien, denn die Versorgung mit dem
„Produktionsmittel Waffe“ erfordert Devisen. Die dynamischen Sphären der
Schattenglobalisierung sind das Medium der Einbindung von Kriegs ökonomien in den
Globalisierungsproze ß. Tatsächlich hat empirisch vergleichende Kriegs ökonomie bislang
zahlreiche ökonomische Bedingungsfaktoren für zum „innergesellschaftlichen Krieg“
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führende Gewalteskalation ermittelt (Rufin 1996, Collier 2000, Stewart 2001a). Gleichwohl
können derartige Entwicklungen nicht deterministisch verengt und prognostisch gedeutet
werden. Anders ausgedr ückt, es konnten zahlreiche, z.T. notwendige Faktoren empirisch
ermittelt werden, die bewaffnete Konflikte wahrscheinlich, aber l ängst nicht unausweichlich
machen. Drei Faktoren, die sich bei den umfangreichen statistisch vergleichenden
Untersuchungen des Chefs der Entwicklungsforschung bei der Weltbank best ätigt haben
(Collier 2000), sollen hier hervorgehoben werden: Verfügbarkeit bedeutender
Exportproduktion, dem Krieg vorgelagerte substantielle Emigration und das meist
gemeinsam auftretende Merkmalb ündel allgemein niedrige Ausbildung, wirtschaftliche
Stagnation und hohes Bev ölkerungswachstum. Hingegen sind extreme
Einkommensunterschiede und kulturelle bzw. ethnische Vielfalt in einem Land für sich kein
Treibsatz für bewaffnete Konflikte.
Von zentraler Bedeutung für die weitere Forschung und die politische Praxis ist besonders
der Befund, daß die weltwirtschaftlichen Einbindungen im Verlaufe von bewaffneten
Konflikten in jedem Falle fortbestehen, wenngleich sie häufig eine strukturelle
Transformation erfahren. Hierzu trägt die internationale Reaktion auf das scheinbar diskrete
Ereignis Krieg in erheblichem Maße bei, denn vor allem die traditionelle
Entwicklungszusammenarbeit behandelt „Kriege“ als totale Abweichung. Sie zieht sich
regelmäßig aus dem Konfliktgebiet bis zu einem erklärten Ende der Kampfhandlungen
zurück. Dies beschleunigt und erweitert sozialräumlich die gewaltbedingte Destabilisierung.
Als Folge verlieren immer mehr Menschen immer schneller essentielle „entitlements“ und
sehen sich gezwungen, entweder selbst als Kriegsakteure neue Ressourcenzugänge zu
suchen oder aber durch Flucht ihr Überleben zu sichern.
In den letzten zehn Jahren sind die von Krieg betroffenen Menschen zwangsläufig immer
häufiger zu Objekten des privatwirtschaftlich organisierten Sektors der internationalen
humanitären Hilfe geworden, der u.a. meist große Flüchtlingslager unterhält. Konzepte für
eine Minderung des Zustroms in die Lager oder eine R ückführung in eigenständiges Leben
werden, zumindest solange Kampfhandlungen andauern, nicht verfolgt (Carbonnier 2000,
Stewart 2001a S.204-224), denn noch immer werden humanitäre Hilfe und
Entwicklungspolitik als zwei getrennte Abteilungen internationaler Zusammenarbeit gef ührt.
Für den Zustand Krieg ist die humanitäre Hilfe zuständig, für den Zustand Nichtkrieg, häufig
eine zum Nachkrieg erklärte Phase, die Entwicklungspolitik.
Zu den wichtigsten Instrumenten der kriegsökonomischen Analyse gehören:
-- Eine Erweiterung und Differenzierung des Sen’schen Konzeptes von
„entitlement“, um die gesellschaftliche Realität im Umfeld von bewaffneten
Konflikten genauer zu fassen (Stewart 2001a S.6-11)
– Eine vollständige Durchleuchtung der wirtschaftlichen Zirkulationssphären
(Waren- und Zahlungsverkehr; Menschen) unter besonderer Ber ücksichtigung der
informellen und kriminellen Zirkulationssphären (Lock 1999, 2001b).
– Erfassung der Veränderungen der sozialen Unterschiede durch den Verlust
oder Gewinn von „entitlements“ in ihrer Wirkung auf horizontale und
vertikale Disparitäten (Stewart 2001a S.207).
– Ermittlung des Abbaus oder der Transformation, z.B. Usurpation durch eine
Gruppe, staatlicher Tätigkeit (f ür Afrika allgemein: Clapham 1996; am
Beispiel Angolas: Cilliers, Dietrich 2000, Hodges 2001).
Für die Analyse von Kriegsökonomien verwendet Stewart (2001a S.6) fünf Formen des
„entitlement“(Zugriff auf Ressourcen). Da ist zunächst der Zugriff über den Markt. Er wird
durch Geld vermittelt und ergibt sich aus dem Verhältnis von Erträgen aus Arbeit und
Renteneinkommen zu den Preisen für Nahrung und andere Güter der Grundversorgung.
Ein zweiter Zugriff ergibt sich aus der unmittelbaren Wertschöpfung im
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Arbeitszusammenhang der erweiterten Familie ohne Tausch, hierfür wird der Begriff direkte
„entitlements“ verwendet. Weiterhin öffentliche „entitlements“, d.h. G üter und
Dienstleistungen, die durch den Staat erbracht werden. Die Aufrechterhaltung von
Gesundheitsversorgung, Erziehung, Zugang zu Wasser und Bereitstellung kostenloser oder
subventionierter Lebensmittel gelten als besonders wichtig im Kontext von
Kriegshandlungen. Als zivile „entitlements“ wird der Zugang zu Leistungen bezeichnet, die
durch kommunitäre Organisation und Nichtregierungsorganisationen erbracht werden.
Schlie ßlich ungesetzliche oder kriminelle „entitlements“, die im Verlaufe von
innergesellschaftlichen bewaffneten Konflikten häufig dominant werden. G üter und
Dienstleistungen werden gewalttätig angeeignet und zwar durch Drohung mit oder
Anwendung von Gewalt. Sie werden häufig für einzelne Personen und soziale Gruppen zur
zentralen Überlebensressource. Das Spiegelbild dieses Zugriffes ist, da ß anderen häufig
zum Überleben notwendige Ressourcen entzogen werden. Es findet keine Wertschöpfung
statt, zus ätzlich vermindern erhebliche Transaktionskosten die überhaupt verf ügbare Menge
Wohlfahrt stiftender Güter.
Mit Hilfe dieser Differenzierung können die Lebensbedingungen in Konfliktgebieten so
analysiert werden, daß die Handlungslogik von Tätern und Opfern, von Kriegsunternehmern
und Zivilbevölkerung simuliert werden kann und daraus abgeleitet geeignete Eingriffe zur
Überwindung der kriegsökonomischen Dynamik erkennbar werden.
Während das traditionelle Bild einer Kriegswirtschaft mit einer intensiven Nutzung aller
Ressourcen bis hin zum Einsatz von Zwangs - oder Sklavenarbeit und häufig
außerordentlichen Produktivitätssteigerungen verbunden ist, sind die meisten
„Kriegswirtschaften“ der Gegenwart durch Zerfall der produktiven Strukturen und einem
dramatischen R ückgang des Bruttosozialproduktes gekennzeichnet. Dies schließt freilich
nicht aus, daß isolierte exportfähige Produktion ausgebaut wird und durch
schattenwirtschaftliche Kanäle abfließt, um die Kriegskassen zu füllen. Heutige Kriege
tauchen volkswirtschaftliche Vorgänge in einen Schatten der Unkontrollierbarkeit, in dem
sich neue Macht- und damit Handels- und Produktionsstrukturen außerhalb der legalen
Sphäre verst ärken bzw. bilden. Die Reproduktion des Staates verliert ihre wirtschaftliche
Basis, denn Steuererhebung wird zur Pfründe der jeweiligen sozialräumlichen
Gewaltmonopolisten vom Warlord bis zu unterbezahlten Polizisten und Militärs. Meist wird
übersehen, daß sich die verschiedensten Formen der Migration, einschließlich Flucht, in
höchst komplexen, aber für die Kriegsökonomie bedeutenden Waren- und Finanztransfers
niederschlagen (Carbonnier 2001, S. 68-71).
Schlie ßlich ist für die Analyse von Kriegsökonomien von zentraler Bedeutung, die
Dimension der Staatstätigkeit und deren Rolle in der Konfliktformation zu erfassen. Denn
einerseits haben funktionierende bzw. wieder stabilisierte
Staatsfunktionen ein großes Potential, Kampfhandlungen einzuhegen, andererseits können
staatliche Strukturen zu einer Kriegspartei mutieren, die an einer Perpetuierung des
Kriegszustandes interessiert ist, der ihre profitable Einbindung in die kriminelle Sph äre der
Weltwirtschaft, ihre Alimentierung durch humanitäre Hilfe oder alleinige Aneignung von
Exporteinkünften ermöglicht.
Durch dieses „kriegs ökonomische“ Frageraster lassen sich die am häufigsten auftretenden
Legitimationsmuster, die Kriegsparteien nach innen zur Mobilisierung und nach außen zur
Rechtfertigung von Gewalt verwenden, deutlich relativieren und ihre Instrumentalität für
partikulare Interessen denunzieren. Die „kriegs ökonomische“ Sichtweise hilft auch zu
erklären, weshalb Ideologien, deren Ziel es war, einen alternativen Gesellschaftsentwurf mit
universellem Anspruch gegen den bestehenden Staat mit Gewalt durchzusetzen, kaum
noch eine Rolle spielen, seit die Ressource systemische Konkurrenz zwischen Kapitalismus
und Sozialismus zur Finanzierung von Kriegen und ihren Akteuren weggefallen ist. Jedoch
muß an dieser Stelle auch deutlich herausgearbeitet werden, daß es keine eindeutige
ökonomische Folie gibt, die die Eskalation von sozialen zu gewaltförmigen Konflikten
anzeigt. Denn soziale Unterschiede als Treibsatzfür politische Polarisierung und
innergesellschaftliche Konflikte, die zu bewaffneten Auseinandersetzungen eskalieren
können, müssen in vertikale und horizontale, reale und perzipierte Ungleichheiten
unterschieden werden. Die
empirischen Befunde zeigen, daß horizontale reale oder perzipierte
Einkommensunterschiede sich besonders eignen, politisch instrumentiert zu werden. Mit
horizontal ist die Identifizierung von sozialen Gruppen gemeint, die z.B. als privilegiert
wahrgenommen werden, wobei deren Identität territorial, religiös, ethnisch oder durch eine
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besondere Rolle in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung definiert sein kann. Vertikale
Ungleichheit bezieht sich allein auf die Einkommensverteilung.
Von Krisen zu bewaffneten Konflikten – Nährböden der Gewalt
Gruppenidentifikationen verbunden mit einer Wahrnehmung von Benachteiligung in einem
bestehenden Staatsgebilde werden virulent, wenn der moderne Staat seine originären
Funktionen nicht oder nur unzureichend erf üllt. Dies gilt besonders dann, wenn er das
Monopol legitimer Gewalt schrittweise verliert und er auch die Übernahme hoheitlicher
Funktionen durch private Akteure nicht mehr in ausschließlich rechtsstaatlichen Bahnen
halten kann. Fakt ist, daß aus unterschiedlichen Gründen sich in vielen Ländern
Staatlichkeit auf eine weitgehend potemkinsche Fassade reduziert hat oder sich auf dem
Wege dorthin befindet. Dennoch bleibt der Staatsapparat aber gleichwohl eine
erstrebenswerte politische Beute, denn seine Kontrolle gestattet, Abschöpfung, Aneignung
und Umlenkung von Ressourcen zugunsten der jeweiligen politischen Basis. Seine
Usurpation erleichtert die Anwendung von Gewalt und erlaubt den Zugriff auf Infrastruktur
zur Durchsetzung der partikularen wirtschaftlichen Interessen. Trotz allen realen Zerfalls
von Staatlichkeit zahlt es sich in der Regel aus, ihren Besitz zu reklamieren, weil mit der
internationalen Anerkennung zahlreiche praktische Vorteile gegen über dem Warlord Status
verbunden sind. Paradigmatisch hierfür ist der Weg Taylors vom Warlord zum Präsidenten
in Liberia.
Die Diskussionen über den Zerfall von Staatlichkeit in klientelistische oder kleptokratische
Netzwerke bzw. die nie wirklich erfolgte Auspr ägung von Staatlichkeit in versschiedenen
Regionen der Welt können hier aus Platzgründen nicht referiert werden. Nur soviel,
zwischen Staat und Bürger besteht kein Gesellschaftsvertrag, der sich in der Bereitschaft
manifestiert, Steuern zu zahlen und in der Wahrnehmung eigener Interessen, auf
Gewaltanwendung zu verzichten. Der Staat verliert seine Funktion, wirtschaftliche Vorgänge
zu regeln. Der ökonomisch meßbare Ausdruck dieser Entwicklung ist eine umfassende
Informalisierung von Produktion und Handel, einschließlich Außenhandel. Marktteilnehmer
sind dabei gezwungen, an Stelle einer allgemein g ültigen Rechtsordnung, die es ihnen
erlaubt, erworbene Rechte durchzusetzen, alternative Sicherheiten zu suchen. Dies fördert
die Bildung und Verstärkung von Gruppenidentitäten als Vertrauensbasis und erklärt die
vielerorts zu beobachtende ethnische Segmentierung von Handel, auch international, und
von verarbeitender mittelständischer Industrie. Dennoch entsteht auch hier ein erheblicher
Bedarf an privaten Sicherheitsdienstleistungen, die sich bis zu territorialen
Gewaltmonopolen entwickeln können und mafiaartig fungieren. Die dabei anfallenden
Transaktionskosten lähmen in der Regel die wirtschaftliche Entwicklung. In der zum Teil
überzogenen Diskussion über die Privatisierung der Sicherheit (Lock 1998, 1999, 2001) und
die Rolle von S öldnern in Kriegen, die sich vor allem an den Aktivitäten der
südafrikanischen S öldnerfirma Executive Outcomes festmachte, wurde übersehen, daß das
Treiben von Söldnern sich für die „Sicherheit“ nachfragenden Akteure in jedem Falle
wirtschaftlich rechnen muß. Daher dürften die wirtschaftlichen Parameter auf diesem Markt
mehr noch als die v ölkerrechtliche Ächtung dazu beigetragen haben, daß es sehr ruhig um
„teure weiße Söldner“ in Afrika geworden ist. Allgemein gilt, daß die Formen der
Privatisierung von Sicherheit „kaufkraftabh ängig“ sind. Während sich reiche Oberschichten
mit modernsten Technologien und professionellen Anbietern von
Sicherheitsdienstleistungen eine sichere Lebenssphäre schaffen können, sind ärmere
Schichten darauf verwiesen, sich entweder milizartig kommunitär zu organisieren oder aber,
was häufiger der Fall ist, sie müssen einem lokalen kriminellen Gewaltmonopolisten Tribut
zahlen.
Die verbreiteten, lange anhaltenden wirtschaftlichen Krisen verschärfen in aller Regel die
soziale Polarisierung. In schweren Krisen verdichtet sich der Zusammenhalt von sozialen
Gruppen zur unersetzbaren Überlebensressource. Konfliktverschärfend wirkt die soziale
Polarisierung insbesondere immer dann, wenn sie zus ätzlich horizontale Dimensionen
aufweist, die eine Mobilisierung auf der Grundlage von Gruppenidentitäten gegen
wahrgenommene Benachteiligungen erlauben. Von besonders destabilisierender Virulenz
ist die in weiten Teilen der Welt zu beobachtende soziale Ausschluß der Jugend oder
einprägsamer ein Zustand „intergenerationeller Apartheid“ (Lock 1999). Daß in vielen
Staaten derzeit über die Hälfte der in das Erwerbsalter hineinwachsenden Jugendlichen,
keine Perspektive haben, jemals einen Arbeitsplatz in der regulären Ökonomie zu erlangen,
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bildet sozialen Zündstoff und beschleunigt zudem die völlige Informalisierung der Wirtschaft
und offeriert kriminellen Akteuren eine kaum ersch öpfliche billige Personalreserve.
Kinder und Jugendliche, f ür die im weltweiten wirtschaftlichen Umbruch, meist wird hierf ür
die Vokabel Globalisierung verwendet, auch perspektivisch keine akzeptierte produktive
gesellschaftliche Rolle existiert, sind die Hefe aus der in bestimmten Situationen
Kindersoldaten oder instrumentierte Gewalttäter gemacht werden. Der ökonomische Blick
auf diesen Prozeß legt offen, daß vor dem Kindersoldaten immer eine Art (kriegs-)
unternehmerischer Entscheidung steht, verfügbare Ressourcen in die Ausrüstung und
militärisch -logistische Versorgung von sog. Kindersoldaten zu investieren. Bevor
automatische Gewehre und dazugehörige Munition in Kinderhände gelangen, müssen
Waren oder Dienstleistungen, zumeist illegal, exportiert und damit die zum Waffenkauf
unabdingbaren Devisen erwirtschaftet worden sein. Die Investition in Kindersoldaten erfolgt
eindeutig zuungunsten anderer Anlagemöglichkeiten des Devisenbesitzers. Erst wenn man
die dahinterstehende gewaltunternehmerische Entscheidung realitätstüchtig simulieren
kann, eröffnen sich M öglichkeiten, präventiv gegen die jeweils angestrebte Aneignung von
Ressourcen anzugehen, indem die entsprechende kriminelle Warenzirkulation unterbunden
wird und so Kinder vor Mißbrauch als willfährige „Gewaltroboter“ zu bewahren.
In ihrer Ausgeschlossenheit ist für Kinder und Jugendliche der Zugang zur Welt industriellen
Massenkonsums, der man medial auch in den entferntesten Winkeln der Erde st ändig
ausgesetzt ist, in jedem Falle attraktiv, jedoch nur vermittels krimineller Handlungen
erreichbar. Die Gewaltverherrlichung bei gleichzeitiger Geringssch ätzung des eigenen
Lebens in der Rapmusik (Ganster Rap) in den USA oder Reggae aus Jamaika drückt genau
diese Befindlichkeit der in der gesellschaftlichen Ausgeschlossenheit Lebenden aus.
Seit langem gibt es massive Hinweise darauf, daß in der Diaspora lebende Menschen eine
wichtige, nicht selten sogar aktive Rolle beim Übergang von einer Krise zu einem
bewaffneten Konflikt spielen (Rufin 1996). Dabei wurde aber in der hier konsultierten
Literatur zur Kriegs ökonomie nicht hinreichend herausgearbeitet, daß wirtschaftliche und
politische Krisen, Migration, Diaspora und schließlich bewaffneter Konflikt im Herkunftsland
sich gegenseitig verstärkende Elemente einer sich auf der Zeitachse vergrößernden Spirale
sind. Holzschnittartig mu ß man sich das so vorstellen: Vor allem lange anhaltende
wirtschaftliche und politische Krisen führen zu selektiver Emigration, die zu einer
Verschärfung der wirtschaftlichen Krise führt, weil vor allem leistungsbereite, gut
ausgebildete Menschen in Krisen das Land verlassen. Ebenso wird das gesellschaftliche
Potential in Politik und Wirtschaft zur Überwindung der Krise durch die Migrationsverluste
weiter geschw ächt. Im Familienverbund führt Migration aber immer auch zu häufig
substantiellen Rückflüssen, die das Überleben sicher und sogar die soziale Lage punktuell
verbessern. Gleichwohl leisten diese Transfers keinen wirklichen Beitrag zur Überwindung
der wirtschaftlichen und politischen Krise. Im Gegenteil, in vielen F ällen versucht der
korrupte Staat sich eines Teils der Transfers durch Zwangsumtausch und ähnliche
Maßnahmen zu bemächtigen, was aber nur die allgemeine Informalisierung der Wirtschaft
und damit die Krise vorantreibt. Denn die Diaspora entwickelt in solchen Fällen
leistungsfähige informelle Transfersysteme, die sowohl mit bildgestützten
Satellitentelefonen u.a. in Zentralamerika arbeitet als auch hochkomplexe informelle
vertrauenbasierte Transfersysteme nutzt. Unterstützungleistungen afghanischer Diaspora
für den zurückgebliebenen Teil der Familie durchlaufen eine Transformation von Geld zu
Ware und wiederum Geld, manchmal sogar wiederholt, auf dem langen Weg in ein Land
ohne Infrastruktur (Monsutti 2000). Die derzeitige au ßerordentliche Aufmerksamkeit für den
Finanzsektor und internationale Transfersysteme wird viele Informationen über die robuste
Infrastruktur in den Sphären der gemeinhin untersch ätzten Schattenglobalisierung zutage
fördern.
Die eskalierenden Mißstände in ihrer jeweiligen Heimat verärgern die Diaspora und
verleiten sie schließlich dazu, ihre wirtschaftliche Potenz auch mit dem Ziel eines politischen
Wandels im Herkunftsland einzusetzen. Da dies in der Regel nicht mit einfacher
Wahlkampffinanzierung erreicht werden kann und ohne Kenntnis der wirklichen
Problemlagen geschieht, öffnen sich Ressourcenzugänge f ür opportunistische Akteure im
Herkunftsland, die einen Wandel der Verhältnisse versprechen. Als Ursache f ür die Misere
wird regelmäßig ein Feindbild konstruiert, so daß nicht selten nur über den Umweg eines
bewaffneten Kampfes die Vision einer „heilen Heimat “ erreichbar erscheint, der seinerseits
eine Eigendynamik entwickelt und opportunistische Politiker in Kriegsunternehmer mit
Bankverbindungen zum Beispiel in der Schweiz verwandelt.
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Diese Abfolge durchläuft viele Zwischenschritte und kann sich über Jahrzehnte hinziehen.
Krisenverschärfend wirkt dabei, daß die Diaspora die Gewalt gegen eine als gerecht
perzipierte Sache nur als Leiden der eigenen Gruppe durch die Medien erfährt, das zudem
oft gezielt medial inszeniert wird, um den Ressourcenfluß zu fördern. Auf dieser Folie
lassen sich mehr Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit abtragen, als hier referiert
werden können. Zur Illustration wäre allgemein auf die bewaffneten Konflikte in ArmenienAzerbaidjan, Nordirland, Libanon, Sudan, Sri Lanka, Israel-Palästina, Kroatien, Kosovo
u.a.m. zu verweisen, in denen die Ressourcen der Diaspora im Zusammenspiel mit lokalen
Akteuren das Konfliktgeschehen dominieren.
Ein Beispiel für eine fatale Schwächung des Krisenlösungspotentials ist die massive
Auswanderung intellektueller Schichten aus Serbien seit Ende der achtziger Jahre als
Reaktion auf das Milosevichregime. Zeitlich vorgelagert war die massive Arbeitsmigration
unter Tito, die Ausdruck der wirtschaftspolitischen Unfähigkeit der herrschenden
bürokratischen Klasse war und sie zugleich alimentierte, indem sie Devisen in die
Staatskassen spülte. Das Titoregime trieb vorrangig schlecht behandelte Volksgruppen in
Scharen außer Landes, was ihnen in der dramatischen Transformationskrise des korrupten
und abgewirtschafteten Tito-Sozialismus zum beneideten Vorteil geriet. So wurde das
virtuelle Volkseinkommen der Kosovoalbaner in den neunziger Jahren zu weit mehr als
zwei Drittel im Ausland auf legale und illegale Weise erwirtschaftet und war gegen über der
Mißwirtschaft des Milosevichregimes relativ immun (Lock 2000).
Ein weiteres wenig beachtetes Beispiel ist Armenien. Mit der überraschenden
Eigenstaatlichkeit und dem gleichzeitigen ökonomischen Zusammenbruch durch die
Auflösung der Sowjetunion fiel der zahlreichen, weltweit verstreuten, aber meist gut
situierten Diaspora sehr schnell eine zentrale Rolle bei der Sicherung des Überlebens der
Bevölkerung zu. Mangels einer realitätstüchtigen Entwicklungsstrategie reduzierte sich die
politische Kohäsion der virtuellen armenischen Gesellschaft bestehend aus der
bodenst ändigen Bevölkerung und der umfangreichen Diaspora auf den äußeren Feind.
Massive Versuche die virtuelle Gesamtheit der Armenier sogar zu Wahlbürgern zu machen,
sind nur knapp gescheitert. Staatlichkeit reduzierte sich bald auf die militärische
Absicherung des kriegerisch eroberten Besitzstandes in Bergkarabach. Ansonsten
erscheint das politische Leben als eine Fassade für die Auseinandersetzung
konkurrierender privater Gewaltmonopolisten, die ihre blutigen Gefechte auch im Parlament
ausgetragen haben. Sie sind darauf aus, alle Ressourcen, einschließlich der Zufl üsse aus
der Diaspora, zu kontrollieren. Das Steueraufkommen ist minimal, Bürokraten, Polizisten
und Soldaten reproduzieren sich zwangsl äufig als parasitäre Wegelagerer der
Zivilgesellschaft. Das Ergebnis ist eine dramatische Beschleunigung der oben
beschriebenen Spirale. Jüngsten vorsichtigen Schätzungen zufolge hat sich die armenische
Wohnbev ölkerung seit der Unabhängigkeit durch legale und illegale Migration auf nunmehr
etwa zwei Millionen halbiert (Stern 2001). Beobachter sch ätzen, daß die Verhältnisse in
Georgien sehr ähnlich sind (Christophe 2000). Alle Kenntnisse über Migrationsprozesse
sprechen dafür, daß es sich dabei jeweils um die besser qualifizierte H älfte der Bev ölkerung
handelt, die in der Diaspora ein Überleben sucht.
Versucht man diese Folie als Frühwarninstrument für die Wahrscheinlichkeit
innergesellschaftlicher bewaffneter Konflikte aktuell zu nutzen, dann m üssen die Sirenen im
Falle Zimbabwes aufheulen. Trotz gegenw ärtig dramatischer Berichterstattung über die
gewaltgestützte Enteignung vieler weißer Farmen, ist der eigentliche Krisenindikator die seit
langem andauernde massive Emigration nicht -Weißer professioneller Schichten, die für sich
im Chaos des vom Mugawe-Clan angeeigneten Staates keine Zukunft mehr sehen und in
Großbritannien und Südafrika bereits eine auff ällige Gruppe in verschiedenen Bereichen
des Dienstleistungssektors bilden. Die Entsendung von 30 000 Soldaten in den
benachbarten Kongo erweist sich bei genauerer Betrachtung als eine private
Risikoinvestition des Präsidenten in Gecamines, den heruntergewirtschafteten
kongolesischen Bergbaukonzern. Die Schlußfolgerung kann nur lauten, Zimbabwe befindet
sich auf einem steilen Wachstumspfad der beschriebenen Spirale, die mit einiger
Wahrscheinlichkeit in einen innergesellschaftlichen bewaffneten Konflikt m ünden kann.
Beobachtungen zu den vielfältigen Formen der Kriegsfinanzierung Grundlegend für ein
Verständnis der ökonomischen Parameter heutiger bewaffneter Konflikte ist die Erkenntnis,
daß die in Kriegen vernutzten Ressourcen überwiegend im Kriegsgebiet oder zumindest
von den Akteuren selbst generiert werden müssen. Dies determiniert die Kapitalintensität
des Kriegsgeschehens und begr ündet die überragende Bedeutung von Kleinwaffen in
innergesellschaftlichen Konflikten. Lediglich wenn noch Bestände aus der NATO-WP
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Konfrontation verf ügbar sind, kommt schweres Gerät zum Einsatz, so zum Beispiel in den
Kriegen im ehemaligen Jugoslawien oder in Tschetschenien, aber auch in Äthiopien.
Der „kriegsökonomische“ Blick mu ß sich also zuerst auf die Art und Weise richten, wie
Kriegsakteure, sowohl auf der staatlichen als auch auf der nicht -staatlichen Seite, die
ben ötigten Ressourcen generieren. Denn da die meisten gegenwärtigen Kriege in den
ärmsten Ländern stattfinden, stellt sich das Problem der Kriegsfinanzierung für beide Seiten
in gleicher Schärfe. Nur ein geringer Teil des Staatshaushaltes wird in diesen L ändern
durch Steueraufkommen erbracht. Ohne Zuflüsse aus der Entwicklungshilfe und Kredite
könnte sich die je schwache Staatlichkeit nicht reproduzieren. F ür die nicht-staatlichen
Parteien in innergesellschaftlichen bewaffneten Konflikten gibt es eine breite, durch
empirische Studien gesicherte Palette von Waren und Dienstleistungen, die illegal in die
Weltmarktzirkulation eingeschleust werden und der Kriegsfinanzierung dienen. Hinzu
kommen offener Raub, Entführungen, Erpressung (Zwangssteuer) von Angehörigen der
Diaspora und Menschenhandel in unterschiedlichen Varianten (Rufin 1996; Stewart 2001b;
Nafziger 2000b, Keen 1998). Das benötigte Kriegsgerät muß auf den internationalen
Schwarzmärkten erworben und unter schwierigen logistischen Bedingungen in das
Kriegsgebiet verbracht werden. Jeder Käufer benötigt in dieser schattenwirtschaftlichen
Sphäre Dollars als Tauschmittel. Daher müssen alle Aktivitäten zur Sicherung der
Kriegsfinanzierung harte Devisen erbringen. Dies dezimiert die Bereiche, die sich jeweils
zur Sicherung der Kriegsfinanzierung eignen. Zum Beispiel beschr änkt sich die
Entführungsindustrie vorrangig auf Länder mit konvertierbarer Währung wie Kolumbien oder
auf Angehörige von westlichen Hilfsorganisationen, f ür deren Freilassung in Devisen
gezahlt wird. Parallel dazu gibt es die unkontrollierte Selbstalimentierung durch Soldaten,
die nicht an die Erwirtschaftung von Devisen gebunden ist. Sie schlägt sich in Raub und
Erpressung nieder. Man kann letzteres als sekundäre Kriegs ökonomie klassifizieren, bei der
die unmittelbare Subsistenz im Vordergrund steht, nicht aber die systemische Einbindung in
die Schattenglobalisierung. Diamanten, Edelhölzer, Edelsteine, Drogenanbau und –handel,
Schürfrechte zu Dumpingpreisen an meist dubiose Unternehmen, z.B. der bereits erwähnte
Mugawe -Clan oder Söldnerfirmen, Menschenhandel und Sklavenarbeit,
Schutzelderpressung u.a.m. sind als Ressource der Kriegsfinanzierung in verschiedenen
Ländern belegt. Dabei ist immer ein Hehler notwendig, der die Waren oder auch
Dienstleistungen in die reguläre Wirtschaft einschleust und hierfür von saftigen
Preisabschlägen beim Einkauf profitiert. Wegen der erforderlichen Illegalität der
Transaktionen kommen nur Waren in Frage, die bei geringem Gewicht einen hohen Preis
erzielen. Hinzukommt daß die Produktionstechnologie weder kapital- noch importintensiv
sein darf, denn sonst wäre sie ein leichtes militärisches Ziel für die Gegenseite oder durch
Embargomaßnahmen unmittelbar gefährdet.
Mangels Alternativen wird humanitäre Hilfe in den verschiedensten Konstellationen als
Mittel der Kriegsfinanzierung geraubt oder erpresserisch angeeignet (Rufin 1996,
Carbonnier 2000). Sarajewo, Sudan und die Flüchtlingslager im Osten des Kongo sind die
presseöffentlich gemachten Beispiele eines inzwischen fast schon generellen Musters, das
die Organisatoren von humanitärer Hilfe immer häufiger zwingt, äußerst schwierige
Abwägungen über Fortsetzung oder Abbruch von Hilfeleistung zu treffen. Denn das
Neutralitätsgebot für humanitäre Hilfeleistungen ist faktisch nicht länger aufrechtzuerhalten.
Es sei denn man, man akzeptiert bzw. organisiert militärischen Schutz für die
Hilfsmaßnahmen. Dann aber wird die humanitäre Hilfe selbst zu einer bewaffneten
Formation in der Krisenregion.
Die Diaspora als freiwillige oder erpresste Ressource der Kriegsfinanzierung spielt eine
gro ße Rolle in vielen Konflikten. Im Falle der Tamil Tigers (Sri Lanka) wird die illegale
Immigration von Arbeitskräften in Industrieländer, u.a. Kanada, systematisch organisiert,
einschließlich Rechtsberatung bei Asylverfahren. Diese Menschen werden dann gnadenlos
abkassiert und können sich solange überhaupt nicht wehren, wie sie im Untergrund leben.
Bei Menschenhandel und internationaler Organisation von Prostitution verschwimmen
häufig die Grenzlinien zwischen zentral gesteuerter Kriegsfinanzierung und „normaler“
organisierter Kriminalit ät. Da erfolgreiche Kriegsfinanzierung der nicht -staatlichen Partei
notwendig in der Schattenwirtschaft stattfinden muß, gibt es noch sehr dringenden
Forschungsbedarf, diesen Bereich der Weltwirtschaft transparent zu machen. Unter
anderem gilt es zu prüfen, wie die Legalisierung von bestimmten Migranten die
erpresserische Finanzierung von bestimmten Kriegen unterbinden kann.
Die regierungsseitigen Kriegsparteien in den ärmsten Länder haben es mit Streitkräften und
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sonstigem Sicherheitspersonal zu tun, die sich l ängst darauf eingestellt haben, häufig lange
Zeit keine Gehälter zu erhalten und ihre Subsistenz, und häufig mehr, eigenständig auf
illegale Weise (Schutzgelder, Straßensperren, private Dienstleistungen etc.) einzutreiben.
Die militärische Ausrüstung ist entsprechend schlecht und veraltet. Es fehlt häufig
regelmäßig an den notwendigen Betriebsmitteln. Mit dem Ziel in der militärischen
Auseinandersetzung zu obsiegen, werden alle nicht-militärischen Staatsausgaben stark
gek ürzt, was die die soziale Destabilisierung, häufig eine der Konfliktursachen, weiter
versch ärft. Oft wird die Unterstützung der nicht-staatlichen Konfliktpartei seitens der
Bevölkerung befördert, dadurch daß in der konfliktbedingten wirtschaftlichen Krise
(überlebens)wichtige „entitlements“ entzogen werden. Soweit das Land noch kreditwürdig
ist, schnellt die Auslandsverschuldung in die Höhe. Alternativ und zusätzlich werden
verfügbare Rohstoffe und deren Abbaurechte zu Dumpingpreisen auf den Markt geworfen
und in zumeist „geheimen„ Verträgen vergeben. Der „nationale“ Notstand schafft
Rahmenbedingungen, in denen die letzten schwachen D ämme gegen Korruption und
vollst ändige Aneignung der Exporteinkommen durch die herrschende Clique leicht
gebrochen werden (Cilliers 2000, Hodges 2001). Auf die geldpolitischen M öglichkeiten, vor
allem der inflationären Geldemission, mit der sich korrupte Staatsklassen unter dem Siegel
des Notstandes immer größere Teile des Volkseinkommens aneignen, kann hier nur am
Beispiel Zaire unter Mobutu verwiesen werden. Unter dessen Herrschaft kam es zu
mehreren Neuemissionen der nationalen Währung, bei denen jeweils der Geldentwertung
folgend drei Stellen
gestrichen wurden.
Für den weiteren Forschungsprozeß ist an dieser Stelle festzuhalten, daß der
kriegs ökonomische Zugriff es in der weiteren Entwicklung leisten sollte, Konstellationen zu
ermitteln, in denen die M öglichkeit einer Einhegung von Kriegsgeschehen mit strikten
Kontrollen von Warenströmen und internationalen Dienstleistungen erfolgversprechend ist.
Eine notwendige Bedingung f ür Kriegsökonomien: die drei Sphären der
Globalisierungsdynamik
Würden Kriegsökonomien auf eine wasserdicht in rechtlichen Bahnen verlaufende
Weltwirtschaft stoßen, so hätten wirtschaftskriminelle Kriegsakteure wenige Chancen zu
reüssieren, Devisen zu erwirtschaften und ihrerseits als Käufer auf Schwarzmärkten für
Kriegsmaterial aufzutreten. Das Kriegsgeschehen würde alsbald implodieren. Tatsächlich
jedoch setzt sich die gegenw ärtige Globalisierung aus drei miteinander verschränkten
Sphären zusammen, auch wenn dieser Sachverhalt im vorherrschenden
Globalisierungsdiskurs ausgeblendet bleibt.
1. Sektor: Die reguläre, in rechtlichen Bahnen organisierte Ökonomie. Sie allein ist
Gegenstand volkswirtschaftlicher Lehre. Allein in der regulären Volkwirtschaft k önnen
Steuern erhoben werden, die den Staat reproduzieren und damit rechtliche Regelung des
Marktes sichern. Die weltweite Vorherrschaft neoliberaler Doktrin hat jedoch den
souveränen Staat wirtschaftlich in eine nahezu totale Abhängigkeit vom globalen
Finanzmarkt gebracht. Nationalökonomie im ursprünglichen Sinne hat keinen souverän
steuerbaren Gegenstand mehr. Wirtschaftlich sind Staaten zu erbitterten Wettbewerbern
auf den globalen Finanzmärkten geworden. Dabei ist der Verzicht auf Steuern zu einem
wichtigen Instrument des Wettbewerbs um Anlagekapital geworden. Dies erschwert
zusätzlich die Reproduktion einer bereits geschwächten Staatlichkeit in ärmeren L ändern.
2. Sektor: Die informelle Ökonomie beschreibt jene Sphäre, in der die Mehrheit der
Menschen auf der Welt ihr Überleben organisiert. Es handelt sich um eine weitgehend
automome Sphäre, die vom Staat weitgehend abgekoppelt ist und in der keine direkten
Steuern entrichtet werden. Der informelle Sektor ist jedoch keineswegs auf
Selbstversorgung beschränkt. Vielmehr bilden die informellen Ökonomien ein dynamisches
weltweites Netzwerk. So wird zum Beispiel schätzungsweise die Hälfte allen
grenz überschreitenden Warenverkehrs in Afrika informell abgewickelt (Lock 1998). Jedoch
lebt diese große Hälfte der Menschheit in ständiger rechtlicher und physischer Unsicherheit.
Das staatliche Monopol legitimer Gewalt sch ützt sie nicht, ihre Lebenssphäre liegt
außerhalb des verläßlichen Handlungsfeldes der staatlichen Sicherheitsorgane. Sicherheit
muß privat, oft auch gegen korrupte staatliche Hoheitsträger organisiert werden. Dabei wird
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das Gewaltmonopol häufig kleinräumlich kriminell usurpiert. In der Form von Wirtschaftsund Überlebensmigration manifestiert sich die informelle Ökonomie als einer der
dynamischsten Faktoren des gegenwärtigen Globalisierungsprozesses, der im Halbdunkel
aller Gesellschaften millionenstark fungiert und sich nur zu einem geringen Teil in den
Zahlungsbilanzen in Form von familiären Unterstützungsleistungen niederschlägt.
Leistungsfähige, z.T. hochkomplexe transnationale Netzwerke organisieren den
Zahlungsverkehr, der außerhalb der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auch
Krisenregionen bedient, in denen das reguläre Bankensystem zusammengebrochen ist
(Carbonnier 2000 S.68-73). Manchmal wird die informelle Ökonomie als Erscheinung
verortet, die vor allem jene Teile der Weltökonomie prägt, die noch keine
Modernisierungsphase durchlaufen haben. Diese Wahrnehmung geht aber an der
Wirlichkeit vorbei. Auch in Deutschland gibt es dynamisch expandierende informelle
Sektoren, in denen illegale Migranten in einem organisierten System den bislang gesetzlich
verhinderten Billiglohnsektor besetzen und so die Illusion der erfolgreichen Verteidigung des
Tariflohnsystems bei den Gewerkschaften nähren. 3. Sektor: Hierbei handelt es sich um die
offen kriminelle Ökonomie. Sie ist ein gewaltreguliertes globales Netzwerk, das ständig
parasitär in die reguläre Ökonomie eindringt, In der informellen Ökonomie werden
Schutzgelder erpreßt und das für kriminelle Handlungen benötigte risikobereite Personal
rekrutiert. Das jährliche Bruttokriminalprodukt wird von Experten auf mindestens 1500 Mrd.
US Dollar weltweit geschätzt (Willman 2001). Der diffuse globale Finanzmarkt mit seinen
off-shore Standorten, von denen aus die modernen (Bank)Piraten agieren, bildet das
operative Medium der kriminellen Ökonomie. Die kriminelle Ökonomie ist ein Parasit, der
von den beiden anderen Sektoren lebt. Bei der Drogen ökonomie, deren Umsatz auf über
500 Mrd. US -$ geschätzt wird, ist die Abhängigkeit von der regulären Ökonomie vielleicht
am deutlichsten. Denn wäre der Drogenkonsum in reichen Industriestaaten nicht verboten,
so w ürde dieser Wirtschaftszweig auf eine marginal Größe schrumpfen.
Der globale Netzwerkcharakter der kriminellen Ökonomie manifestiert sich in der multiplen
Nutzung bestehender Infrastrukturen im Bereich der Schattenglobalisierung. So geht man
u.a. davon aus, daß die kriminellen Netzwerke des globalen Drogenhandels inzwischen
auch Schwarzm ärkte für Waffen, insbesondere Kleinwaffen kontrollieren. Wirtschaftliche
Verelendung und zunehmende gewaltförmige Regelung von Märkten erhöhen den
Migrationsdruck, der sich in Heerscharen illegaler Migranten in fast allen L ändern
niederschlägt. Aus ihnen geht die personelle Infrastruktur global agierender krimineller
Netzwerke hervor.
Das ständige Bestreben der kriminellen Akteure ihre Profite, in die legale Ökonomie
einzuschleusen und respektierter Besitzer eines Palais am Mittelmeer oder einer Villa in der
Schweiz zu werden, kommt einem korruptiven Dauerangriff auf die reguläre Ökonomie
gleich. Die Kontrolle eines Staatsapparates ist dabei von Vorteil. Die Namen Marcos,
Mobutu, Abacha und Suharto stehen f ür ein Heer von Plünderern von Staatskassen, für die
Krisen und Kriege die Handlungsspielräume verbessern. Sie haben bislang immer
willfährige, profitgierige Helfer bei vornehmen Bankadressen gefunden. Die drei
Zirkulationssphären sind asymmetrisch miteinander verbunden, wobei die kriminelle Sphäre
einen parasitären Status hat. Aber ein Akteur der kriminellen Sphäre kann seine Produkte
vermittels Hehler bei entsprechenden Preisabschlägen in die reguläre Warenzirkulation
einschleusen. Umgekehrt gelangen legal produzierte Kriegsgeräte und vor allem
Kleinwaffen in die kriminelle Zirkulationssphäre und landen in den Händen der
Kriegsakteure. Je gr ößer die informelle Ökonomie ist, umso besser sind die operativen
Bedingungen für kriminelle Akteure. Das generelle Tauschmedium sind Dollarnoten,
seltener ist direkter Tauschhandel. Es ist eine Illusion zu glauben, daß die informellen und
die kriminellen Ökonomien sich vorwiegend auf bestimmte Regionen beschränken.
Vielmehr breiten sie sich wie Nebel unaufhaltsam aus und dringen in scheinbar umfassend
regulierte Ökonomien ein. Reiche, scheinbar wohlgeordnete Gesellschaften sind ein
zentraler, unverzichtbarer Operationsraum für Drogenhandel, illegale Arbeitskräfte oder
Geldwäsche. Auch die OECD-Welt ist somit notwendiger Operationsraum von
Kriegsökonomien und bietet bislang ungenutzte Eingriffsm öglichkeiten zur Einhegung von
bewaffneten Konflikten.
Ansätze für vorausschauende Beobachtung (Monitoring)
Die kriegs ökonomische Betrachtungsweise setzt voraus, daß man die Realität der
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verschiedensten Formen von dynamischer „Schattenglobalisierung“ parallel zur statistisch
erfaßten regulären Ökonomie akzeptiert und alles unternimmt, Licht in diese Grauzonen der
Weltwirtschaft zu bringen. Das Potential für realitätstüchtiges Monitoring von
Krisenentwicklung und lange andauernden bewaffneten Konflikten aus diesem Blickwinkel
ist bei weitem nicht ausgeschöpft.
Statt der politischen Inszenierung von Konfliktparteien zu folgen und sich an deren
Ideologien abzuarbeiten, sollte man vordringlich die schattenwirtschaftliche Dynamik in
Krisen und Krieg aufhellen und die wirtschaftlichen Parameter simulieren, innerhalb derer
die jeweiligen Akteure agieren, um zu einem besseren Verständnis der Konfliktprozesse zu
kommen. Diese Vorgehensweise muß die staatliche Konfliktpartei unbedingt einschließen,
denn auf dem Weg von sich zuspitzenden Krisen zum innergesellschaftlichen Krieg gehen
Transparenz und demokratische Kontrolle des Staatsapparates verloren. Mit der Folge, daß
die alltägliche Korruption sich zu kriegsabhängiger Wirtschaftskriminalität verstetigt.
Migration als krisen- und kriegsbegleitende Erscheinung muß sehr viel genauer beobachtet
werden, denn ihre Entwicklung ist ein untrügliches Krisenbarometer. Sie verändert die
Leistungsfähigkeit der betreffenden Gesellschaft und f ührt zu einer oft fatalen Verschiebung
der Machtbalance, die Korruption, Schattenwirtschaft und Gewaltkriminalität Tore weiter
öffnet. Die große Bedeutung der Migration f ür die Konfliktgenese im ehemaligen
Jugoslawien, Armenien und Georgien ist bereits erw ähnt worden. Bosnien und Kosovo,
aber auch Tschetschenien sind Beispiele daf ür, daß Kriegsgesellschaften meist auch
Migrationsgesellschaften waren, lange bevor es zum Krieg kam. Bei der Konzeption von
Hilfsmaßnahmen nach Beendigung eines Konfliktes muß man daher berücksichtigen, daß
sich der Reproduktionsraum der betreffenden Gesellschaft als Folge krisen- und
kriegsbedingter Migration internationalisiert hat und daher der Versuch der Rekonstruktion
des Status quo ante konterproduktiv wirkt.
Auch im Falle des kriminellen Sektors ist eine ausschließliche Verortung in instabilen
Regionen unangebracht. Ohne Konsum kriminell angeeigneter Waren z.B. in Deutschland
könnte der kriminelle Sektor nicht so reüssieren und immer leistungsfähigere Netzwerke
ausbilden. Erst nach dem 11. September hat die Politik ernsthaft begonnen, die Existenz
globaler krimineller Zirkulation anzuerkennen. F ür Unternehmer der regulären Ökonomie ist
die verst ärkte Kriminalität aus der Sph äre der Schattenglobalisierung heraus oft sehr
konkret. Ein fast kurioser Beleg findet sich am Eingang von Geschäften der Firma ALDI.
Dort werden Einbrecher darauf hingewiesen, daß der Geldschrank mit einem eingebauten
Sicherheitstresor versehen ist, der vom Personal nicht geöffnet werden kann. Die in
Deutschland manifeste Schattenglobalisierung reflektierend werden potentielle Einbrecher
in sechs Sprachen angesprochen: deutsch, englisch, polnisch, türkisch, rumänisch und
russisch.
Aber man muß die Reproduktionsmuster der Konfliktparteien auch dann empirisch genau
untersuchen, wenn man eine scheinbar plausible These zur Hand hat. Dies l äßt sich am
Beispiel Nordirlands zeigen. Es ist vorherrschende Meinung, daß die katholisch-irische
Diaspora in den USA Sinn Fein und die IRA moralisch, logistisch und wirtschaftlich
unterstützt und so den zähen Widerstand gegen eine scheinbar allen dienende friedliche
Lösung perpetuiert. Neuere Erkenntnisse des ökonomischen Musters des
Nordirlandkonfliktes verweisen jedoch darauf, daß der Krieg inzwischen eine solide, für die
unmittelbar Beteiligten vorteilhafte wirtschaftskriminelle Basis hervorgebracht hat.
Schmuggel unversteuerter Zigaretten in großem Maßstab ist ein bedeutender Sektor der
Schattenwirtschaft. Wirtschaftlich noch bedeutender ist, daß laut Steueraufkommen der
Kraftstoffkonsum in Nordirland bei 50 % des britischen Durchschnitts liegt, gleichzeitig gibt
es nirgends so viele freie Tankstellen wie in Nordirland. Schmuggel und der Verkauf von
unversteuertem Kraftstoff in großem Stil erkl ären diese nordirische Besonderheit. Auf zwei
bis vier Milliarden _ wird der Profit dieses Schwarzhandels geschätzt. Es kommt hinzu, daß
die poröse Grenze zwischen Nordirland und Irland den grenz überschreitenden
Viehtransport zur Verdoppelung des EU-Subventionen ein festes Muster in der
Konfliktregion war, das erst in seinem vollen Umfang sichtbar wurde, als wegen der Maulund Klauenseuche in Großbritannien Irland seine Grenzen erstmals streng kontrollierte. Als
Folge eines erfolgreichen Friedensprozesses w ürden diese Einkommensquellen vor allem
für die in der regulären Ökonomie stark benachteiligten Katholiken versiegen. Denn diese
massive Schattenwirtschaft setzt die militante Kohäsion der katholischen Konfliktpartei
voraus. Kein nordirischer Katholik würde derzeit eine Anzeige bei den britischen Behörden
wegen eines Wirtschaftsvergehens in der eigenen Gruppe erstatten. An diesem Beispiel
kann man das Potential kriegswirtschaftlicher Strukturen beobachten, sich zu
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verselbständigen und ein Hindernis auf dem Wege zur Konfliktbeendigung zu werden. Gute
Kenntnisse der jeweiligen Kriegsökonomie sind daher eine notwendige Voraussetzung
sowohl für Konflikteinhegung als auch für realitätstüchtige Entwicklungsstrategien nach der
Beendigung des bewaffneten Konfliktes, denn eine Stunde Null gibt es in der
gesellschaftlichen Reproduktion nicht. Es gilt, konkrete Alternativen zur
wirtschaftskriminellen Einbindung in die Schattenglobalisierung zu entwickeln, sonst
reproduzieren auch diese Programme die Machtposition der Kriegsakteure. Auch in
Deutschland war die Formel der Stunde Null ein die Restauration f ördernder Selbstbetrug.
Die nächsten Schritte
Die kriegs ökonomische Herangehensweise legt in aller Regel Strukturen frei, die direkt mit
unserer alltäglichen Lebenswelt auf dem Wege der Schattenglobalisierung verknüpft sind.
Unsere Einmischung mu ß daher nicht humanitäre Gesinnung bemühen, denn ökonomisch
vermittelt sind wir meist irgendwie bereits Konfliktpartei, ohne daß wir uns dessen in vielen
Fällen bewußt sind. Beim Tropenholz aus Kambodscha konnte man sich nicht wirklich mit
Unkenntnis herausreden. Im Falle zahlreicher anderer Verkn üpfungen unseres Alltages
vermittels der Warenzirkulation, die aus Kriegsökonomien stammt, gilt es die Makler
zwischen Schattenwirtschaft und regulärer Ökonomie zu identifizieren und ihnen das
Handwerk zu legen. Zugleich darf aber nicht übersehen werden, da ß Kriege für die Akteure
zu einer Art (Re)Produktionsweise geworden sind und eine erfolgreiche Einhegung zugleich
die Findung neuer Produktionsmuster erfordert.
Allgemein gilt, daß die weltwirtschaftliche Verflechtung Grundlage für das Entstehen und
den Bestand von Kriegs ökonomien ist. Erst die Anerkennung der äußerst dynamischen
Abläufe im Bereich der Schattenglobalisierung als vordringlicher Forschungsgegenstand,
wird mittelfristig Informationen generieren, die eine intelligentere Politik zur Einhegung von
bewaffneten Konflikten ermöglicht. Dem steht jedoch entgegen, daß die
Schattenglobalisierung, wie der Name sagt, nicht sonderlich transparent verläuft. Im
Gegenteil, um erfolgreich zu sein, müssen die Akteure ihre Transaktionen geheim halten.
Das bedeutet auch, daß die volkswirtschaftliche Analyse der Schattenglobaliserung keine
Daten generieren kann, die notwendig wären, um das methodische Instrumentarium der
vorherrschenden Volkswirtschaftslehre zu füllen. Das kann man, ja muß man akzeptieren,
denn die herrschende Lehre blendet alles jenseits der regulären Ökonomie mehr oder
weniger aus. Aus diesem Blickwinkel ist die Beschäftigung mit den drei Sektoren der
globalen Ökonomie und vor allem der Schattenglobalisierung, auf der Kriegsökonomien
gründen, auch eine inhaltliche Rekonstruktion der Begriffes Volkswirtschaft.
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