LEBENSTRAUM WINZER Burkhard Schuchmann verdiente als Manager im Ruhrgebiet Millionen. Mit diesem Geld erfüllte er sich dann seinen Lebenstraum: Heute erzeugt er eigenen Wein – im georgischen Kachetien, dem ältesten Anbaugebiet der Welt TEXT: JENS PRIEWE, FOTOS: GERALD HÄNEL orgens schon sitzt Burkhard Schuchmann auf der Terrasse und genießt die ersten Sonnenstrahlen. Der 70-Jährige löffelt Müsli, isst selbst gebackenes Brot, trinkt Tee. Das erste Glas Weißwein schenkt er sich mittags ein. Spätestens am Abend macht er eine Flasche roten „Vinoterra“ auf. Rentner zu sein fühlt sich gut an! Der Unterschied zu anderen im Ruhestand besteht bei Schuchmann allerdings darin, dass die Terrasse nicht in Dortmund-Kirchhörde steht, wo er herkommt, sondern im Kaukasus. Der blaue Himmel wölbt sich über Kachetien, die wichtigste Weingegend Georgiens, und georgisch sind auch die Weine, die Schuchmann im Glas hat. Der „Vinoterra“ ist aus den hiesigen Saperavi-Trauben gekeltert und auf traditionelle Weise erzeugt: in Tonamphoren vergoren und ausgebaut. Schuchmann ist stolz auf diesen Wein. Erstens, weil es sein eigener ist. Zweitens, weil der Ton der Amphoren aus Kachetien kommt. Drittens, „weil die Natur den Gärverlauf in den Amphoren gesteuert hat, nicht der Mensch“. Und viertens, weil dieser „Vinoterra“ auch geschmacklich ein besonderer Wein ist: von tief dunkler Farbe, Sauerkirsche und Minze im Bukett, dezente Fruchtsüße. Keiner jener gefälligen Weichspüler, die heute die Märkte überschwemmen. Allerdings bringt der „Vinoterra“ viel Tannin und viel Säure mit; wer ihn zu früh trinkt, wird bestraft. Erst nach fünf Jahren fängt der Spaß langsam an – „ähnlich wie bei Bordeaux-Weinen“, sagt Schuchmann. Als der heutige Winzer noch in Deutschland lebte, sah sein Tagesablauf nicht so idyllisch aus. 20 Jahre lang stand er an der Spitze des Diesellok-Herstellers Vossloh, er brachte das Unternehmen an die Börse und leitete es bis 2005 als Vorstandsvorsitzender. Sein persönlicher Traum war jedoch ein anderer: Er wollte Wein erzeugen. In Württemberg wäre er fast fündig geworden, später auch in Spanien und in Südamerika. Dass er am Ende in Georgien landete, habe, so sagt er, mit der Schönheit der Landschaft zu tun, die er dort vorfand, mit den uralten Weinbautraditionen, mit der Freundlichkeit der Menschen, ein bisschen auch mit dem Zufall. Der Zufall heißt Giorgi Dakishvili. Den kleinen, untersetzten Mann mit dem runden Gesicht und dem sanften Blick traf Schuchmann bei einer seiner Reisen durch die Kaukasusrepublik. Dakishvili war Kellermeister einer Kooperative, besaß aber privat einen Weinberg und einen Keller. Letzterer war zwar ziemlich heruntergekommen, doch befanden sich in ihm Tonamphoren, wie sie seit Jahrtausenden in Georgien benutzt werden, um Wein vergären zu lassen. Schuchmann hatte gefunden, was er suchte. Ihm schwebte ein Wein nach alter georgischer Tradition vor, und Dakishvili war der Schlüssel zu diesem Traum: „Ohne ihn hätte ich mich vermutlich nicht in Georgien niedergelassen.“ Der Kaukasus ist die Wiege des Weins. Hier wurden schon vor 8000 Jahren Reben angebaut und Weine erzeugt, früher als irgendwo sonst in Europa. In den letzten Jahrzehnten produzierten die georgischen Winzer allerdings nur noch hellroten, vorwiegend lieblichen Leichtwein für durstige Russenkehlen. Der traditionelle Rote verschwand vom Markt – und mit ihm die Kunst, ihn zu erzeugen. Als der M REBENRETTER AM KAUKASUS Als Rentner hat Burkhard Schuchmann in Georgien sein eigenes Weingut (o. r.) aufgebaut. Er setzt vor allem auf die Rebsorte Saperavi (o. l.), gekeltert wird noch mit traditionellen Werkzeugen (u. l.) russische Präsident Wladimir Putin 2006 als Strafe für den prowestlichen Kurs der neuen Regierung ein Importverbot für georgischen Wein erließ, kollabierte die Weinwirtschaft. Zwar versuchen seitdem westliche Konzerne ihr Glück in Georgien. Doch an der Belebung der alten Weinkultur haben sie kein Interesse. Das Wissen um die historisch guten Lagen, die richtigen Rebsortenklone, die traditionelle Vinifizierung existiert nur noch in den Köpfen einiger Klosterbrüder und weniger Privatwinzer. akishvili zählt zu ihnen. Schuchmann machte ihn zum Teilhaber seines Unternehmens, kaufte Weinberge und baute am Rande der Stadt Telavi, der Weinmetropole Georgiens, ein völlig neues Gut – einerseits modern, mit Rebler, Presse, Stahltanks und Barriques, andererseits traditionell, mit Steintrögen, in denen die Trauben samt Stielen mit Füßen gestampft werden, ehe sie in fassgroßen, ins Erdreich eingelassenen Tonamphoren vergären. Qvevri (sprich: Kwewri) heißen diese Gefäße in Georgien. Da sie oben offen sind, vergärt der Wein in ihnen unter Sauerstoffkontakt. Dadurch verliert er zwar an Frische, ist aber umso besser gegen spätere Oxidation geschützt. Weil Qvevris den Wein alterungsbeständig machen, experimentieren Spitzenwinzer auch anderswo mit Amphoren (siehe Kasten auf Seite 96). Ansonsten hat die Tonhülle denselben Einfluss auf den Wein wie ein Holzfass: Sie ist feinporig, ermöglicht also auch in den unteren Teilen des Gefäßes einen Sauerstoffaustausch. Im Unterschied zum Eichenfass aber gibt Ton keinen Geschmack an den Wein ab, dessen natürliche Aromen bleiben unangetastet. Noch etwas findet man in Georgien: uralte Reben. Eine davon hat Schuchmann im Garten eines Hauses mitten in Telavi D 3/2013 D ER F EINSCHMECKER 95 Aus der Amphore ins Glas: Schuchmann (r.) probiert mit Vertriebsleiterin Angeles Tegtmeyer und dem Teilhaber Giorgi Dakishvili. Rechts der Blick aus Schuchmanns Hotel auf die Reben am Kaukasus TIEF IN DER ERDE REIFEN DIE WEINE entdeckt. Ihr Stamm ist so dick wie ein Brückenpfeiler, ihre Krone könnte einen halben Park beschatten. Aus den Aufzeichnungen des Besitzers lässt sich rekonstruieren, dass dieser „Rebenbaum“ mindestens 250 Jahre alt sein muss. „Um welche Sorte es sich handelt, wissen wir nicht genau“, sagt die Hamburgerin Angeles Tegtmeyer, die für den Vertrieb der Schuchmann-Weine verantwortlich ist. Auf alle Fälle werden aus den Trauben 650 Flaschen eines fast schwarzroten Weins gewonnen, der an Frucht- und Tanninkonzentration kaum zu übertreffen ist. „Alazani“ heißt er, schmeckt weich und mild und kommt nur in Deutschland auf den Markt – im März zum ersten Mal. Selbstverständlich ist auch er in Qvevris ausgebaut worden. und 6,5 Millionen Euro hat Schuchmann in sein Gut investiert, zu dem noch ein Restaurant und acht Hotelzimmer gehören. Er will Weintouristen aus aller Welt nach Georgien locken und ihnen zeigen, wie die hiesigen Weine schmecken, speziell die aus den Qvevris. Zugleich hofft er, die Fremden für die Schönheit des Landes zu begeistern. „Wer zum Frühstück auf die schneebedeckten Gipfel des Kaukasus blicken möchte, fühlt sich hier wohl“, sagt Schuchmann an diesem Morgen auf der Terrasse. Auch manche georgischen Gäste staunen, wie gut die Weine ihrer Heimat sein können, selbst der Präsident des Landes hat ihm auf der Terrasse schon zugeprostet. Und auch den Segen seiner Frau hat Schuchmann bei seinem Lieblingsprojekt: Sie zieht zwar den Himmel über der Ruhr dem Kachetiens vor, gewährt ihrem Mann r aber „Narrenfreiheit“. R Adressen und Bewertungen finden Sie im Info-Guide auf Seite 125 96 D ER F EINSCHMECKER 3/2013 WEINGÜTER MIT AMPHOREN-WEINEN • Peter Jakob Kühn, Oestrich-Winkel, Rheingau, www.weingutpjkuehn.de • Bernhard Ott, Feuersbrunn, Wagram, Österreich, www.ott.at • Landauer-Gisperg, Tattendorf, Thermenregion, Österreich, www.winzerhof.eu • Joško Gravner, Oslavia, Friaul, Italien, www.gravner.it • COS, Bastonaca, Sizilien, Italien, www.cosvittoria.it • Frank Cornelissen, Solecchiata, Sizilien, Italien, www.frankcornelissen.it • Elisabetta Foradori, Mezzolombardo, Trentino, Italien, www.elisabettaforadori.com • Domaine Viret, Saint-Maurice-surEygues, Côtes-du-Rhône, Frankreich, www.domaine-viret.com • Hamilton-Russell Vineyards, Hermanus, Südafrika, www.hamiltonrussellvineyards.com