Referat Finanzkapitalismus

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3. September 2007
Corrado Pardini
Warum wir das entfesselte Finanzkapital zähmen
müssen
In welcher Wirtschaft arbeiten und leben wir? Vielleicht denken ein paar von Euch, das sei
eine merkwürdige Frage. Wir sind im Kapitalismus. Klar. Aber in welchem Kapitalismus?
Oder anders gefragt: Gelten die Regeln noch, die wir kennen und die unsere Grundlage der
Sozialpartnerschaft sind?
Wer, wie wir, für eine faire Gesellschaft, also für vertraglich abgesicherte soziale Beziehungen, für eine gesicherte Altersvorsorge, für gerechte Löhne, Chancengleichheit und einen
leistungsfähigen Service public einsteht, ...
wer Gemeinsinn über Raffgier stellt, ...
wer keinen sozialen Bürgerkrieg will,...
... der sollte schon genau wissen, welche Spielregeln in der Ökonomie herrschen. Sonst machen wir die falsche Politik. Dann laufen wir Gefahr, in diesem Land jene Errungenschaften
zu verlieren, welche unseren Wohlstand ausmachen.
Offensichtlich haben wir Nachholbedarf. In unserer täglichen Arbeit erleben wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, dass sich die Spielregeln geändert haben und weiter
ändern. Wir erleben, wie das Finanzkapital immer mehr das Kommando über das produktive
Kapital übernimmt. Das Finanzkapital macht die Regeln. Neue Regeln. Wir sind im Finanzkapitalismus angekommen.
Ich rede jetzt gar nicht von den entfesselten Finanzmärkten. Allein an den Devisenmärkten
werden pro Handelstag mehr als 2 Billionen Dollar umgeschlagen. Das Volumen der „Derivate“, die im Kern nur Wetten auf Börsenkurse, Fusionen, Katastrophen und ähnliches sind,
beträgt heute schon ein Mehrfaches der gesamten Weltwirtschaftsleistung. Was global an
Geld und Wert- und anderen Papieren zirkuliert, übersteigt das Welt-BIP in diesem Jahr
wahrscheinlich um mehr als das 40- oder 50fache.
Frappant. Dieser Kapitalismus ist am Rande der Nervenkrise. Vor zwei Wochen gab es einen kleinen Vorgeschmack. Auf der ganzen Welt mussten Zentralbanken viele Milliarden in
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die Märkte pumpen. Warum? Weil die Banken sich gegenseitig nicht mehr trauten und keinen Kredit mehr geben wollten – jede dachte von der anderen, sie sei am nächsten Tag vielleicht schon zahlungsunfähig.
Aus diesem irren Trieben schliessen einige, der Finanzkapitalismus sei von der realen Wirtschaft abgekoppelt. Also blenden sie diese ganze bizarre Finanzsphäre aus. Schliesslich
geht es im wirklichen Leben um bessere Arbeit und faire Löhne, um Kaufkraft und Flexibilisierung und Sicherheit. Und die Wirtschaft boomt.
Das Problem ist nur, dass das Finanzkapital jetzt auch das Gesetz in der realen Ökonomie
macht. Nehmt Nestlé: Der Nahrungsmittel-Weltkonzern kauft in der nächsten Zeit Teile seines eigenen Aktienkapitals zurück, um Hedgefonds, Private Equity Fonds und andere mögliche Angreifer abzuhalten. Nestlé gibt dafür 25 Milliarden Franken aus. 25 Milliarden aus der
Substanz des Unternehmens für die Aktionäre. 25 Milliarden die bei der langfristigen Entwicklung des Unternehmens fehlen werden.
Denn die Angriffswelle ist längst angelaufen. Swissmetal. Oerlikon. Saurer. Sulzer. Ascom.
Implenia. Und einige mehr. Und das ist erst der Anfang: Das Finanzkapital übernimmt den
Werkplatz. Tut es das, um mehr und besser zu produzieren? Nein, das Finanzkapital übernimmt das Kommando, um den Werkplatz zu plündern. Und davor ist kein Konzern sicher.
Nicht einmal ein Riese wie Nestlé.
Was geschieht da?
Bisher galt, dass aller Mehrwert des Unternehmens aus der Arbeit kommt. Es musste langfristig investiert und jeden Tag wieder Mehrwert erarbeitet werden. Nur dann gab es Gewinn
für das Kapital. Das ist die Grundlage der Sozialpartnerschaft. Wir haben über die Verteilung
des Mehrwerts gestritten. Also über Löhne, Ferien, Arbeitsbedingungen, Weiterbildung etc.
Auf diesen Mehrwert will das Finanzkapital nicht warten. Es verlangt Renditen von 20, 30
und mehr Prozent. Pro Jahr. Das ist mit normaler Produktion nicht zu bekommen. Darum hat
das Finanzkapital Instrumente erfunden wie Hegdefonds, Private Equity Fonds, Funds of
Funds. Optionen. Aktienausleihe. Übernahmen auf Pump, sogenannte Leverage Buy-outs.
Und einiges mehr. Damit werden Unternehmen unter Kontrolle gebracht. Wenigstens für
kurze Zeit. Genau die Zeit, welche die Fonds brauchen, um das Unternehmen auszupumpen, etwa stille Reserven zu versilbern, das Unternehmen zu zerstückeln oder weg-zufusionieren oder es mit hohen neuen Schulden zu verlassen. Sie kassieren Milliarden dabei.
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Woraus bestehen diese Milliarden? Aus zwei Teilen. Zum einen Teil aus dem Mehrwert, der
über Generationen erarbeitet wurde und der im Unternehmen steckt. Zum anderen, und das
ist noch verheerender: Aus dem künftigen Mehrwert. Denn Hedgefonds arbeiten auf Pump.
Manchmal bewegen sie so bis 250 mal das eigene Kapital.
Damit wir hier keine Verwirrung bekommen: Nicht die Hedgefonds sind das Problem. Sie
sind nur Instrumente. Instrumente der Banken und anderer Finanzkonzerne. Denkt etwa an
die Rolle der Zürcher Kantonalbank bei der Übernahme von Sulzer, Saurer, Oerlikon durch
die Private Equity Investoren von Victory. Oder an das Desaster der UBS mit ihrem Hedgefonds Dillon Read.
Das ist eine gefährliche Situation. Wie wurde sie überhaupt möglich?
Durch Deregulierung. Hier und in anderen Ländern hat das Finanzkapital eine lange Latte
von neuen Gesetzen durchgesetzt, die ihm nun völlig freie Hand geben. Zum Beispiel das
Kollektivanlagen-Gesetz, das seit dem 1. Januar in Kraft ist. Oder ein Finmag, das eine
zahnlose Finanzmarktaufsicht schafft.
Jetzt arbeiten die Hedgefonds-Lobbyisten in Nationalbank, Bankenkomission und Parlamenten schon am nächsten Coup. Sie wollen die Schweiz zum globalen Zentrum der Fonds machen. In Pfäffikon, Schwyz, entsteht schon ein Embryo. Dafür sollen die Fonds und ihre Manager steuerbefreit werden.
Das werden wir verhindern. Fallen wir dem Finanzkapital nicht in den Arm, plündert und zerstört es den Werkplatz. Dafür brauchen wir neue Regeln, Gesetze und Verordnungen. Die
SP und die Grünen müssen eine innovative linke Finanzplatz-Politik finden. Seit der Niederlage der Bankeninitiative 1984 haben wir eine Art Burgfrieden mit dem Finanzplatz gehalten.
Der geht zu Ende. Denn dieser Finanzplatz ist nicht mehr jener von damals. Er stellt die ökonomische Basis der Schweiz in Frage.
Unser Grundsatz heisst: Wir brauchen Transparenz, Haftungsregeln, wirksame Kontrolle.
Und ein Verbot der gefährlichsten Instrumente.
In ganz Europa denken Regierungen darüber nach. Nur in der Schweiz nicht. Die neue Regulierung kann systemkonform geschehen. So könnten etwa neue Kantonalbankengesetze
die eigentliche Rolle der Kantonalbanken als regionale Wirtschaftsförderer endlich durchsetzen. Das könnte aus einem Investitionsfonds finanziert werden, der sich aus einer minimalen
Abgabe auf allen Finanzmarkttransaktionen speist.
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Oder: Eine Novelle des Aktienrechts könnte bei unfreundlichen Übernahmen das Stimmrecht
der Aktien für eine Karenzfrist aussetzen. Es sei denn, Belegschaft und Gewerkschaft setzten diese Regel mit einer Urabstimmung ausser Kraft. Ein Stück Wirtschaftsdemokratie also... Die Gewerkschaften arbeiten an einer Reihe handfester Vorschläge.
Einen starken Hebel aber hätten wir schon zur Hand, wenn wir denn nur wollten: Die Pensionskassen.
Institutionelle Anleger wie die Pensionskassen gehören zu den treibenden Kräften des Finanzkapitalismus – von hier stammt immer mehr Kapital, das in die Fonds fliesst. 650 Milliarden Franken liegen bei den Pensionskassen. Zum grössten Teil paritätisch verwaltet. Wir
können sofort und konkret handeln: Ein Investitionskodex wäre zu erarbeiten und in möglichst vielen Kassen durchzusetzen. Der Kodex könnte Dinge enthalten wie: Verbot der Aktienausleihe, der Verwendung für Optionen und andere Derivate, Rückzug aller Gelder aus
den spekulativen Fonds, Rücknahme der PK-Verwaltung von den Finanzkonzernen weg in
eigens gegründete Verwaltungen, die nach nachhaltigen Kriterien investieren: In den ökologischen Umbau, innovative Industrien, neue Dienstleistungen, etwa in die Care-Ökonomie.
Dafür liesse sich mit Teilen der Unternehmerschaft ein breites Bündnis bauen.
Wir müssen schnell lernen, gut denken und mit festem Arm handeln. Sonst ist es, im neuen
Finanz-Kapitalismus, um den sozialen Fortschritt geschehen.
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