2.3 Medizinprodukterecht und Arzneimittelsicherheit

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2.3
Medizinprodukterecht
und Arzneimittelsicherheit
2.3.1
Einführung
Behandlungsabläufe in der Medizin sind heutzutage wesentlich komplexer als noch vor
einigen Jahren. Der Fortschritt in der Medizin bringt eine gewisse Technisierung mit sich.
Dabei wird auch die Medizintechnik zwar immer leistungsfähiger, aber auch immer komplexer und anspruchsvoller.
Soweit mit Medizinprodukten Arzneimittel appliziert werden, ist die Trennung der Verantwortungsbereiche zunächst klar: Entwicklung, Zulassung, Herstellung, Vermarktung und
teilweise der Einsatz von Arzneimitteln unterliegen dem Arzneimittelrecht. Mit der behördlichen Arzneimittelzulassung wird seitens der Zulassungsbehörde bestätigt, dass das
entsprechende Arzneimittel wirksam, unbedenklich und von hoher Qualität ist. In diesem
Zusammenhang bedeutet Unbedenklichkeit nicht Nebenwirkungsfreiheit. Vielmehr ist
vom pharmazeutischen Unternehmer und nachfolgend auch von der Zulassungsbehörde
abzuwägen, welche Risiken für welchen Nutzen nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft vertretbar sind. Eine ähnliche Nutzen-Risiko-Abwägung muss der Arzt vor Arzneimittelanwendung ebenfalls vornehmen und dabei insbesondere Behandlungsalternativen in Betracht ziehen.
Ein Pharmakovigilanzsystem mit Pflichten für Hersteller und Behörden sorgt dafür, dass
spätere Beobachtungen hinsichtlich Wirksamkeit, Nebenwirkungen und Nutzen-RisikoAbwägung Beachtung finden und ggf. notwendige Maßnahmen wie Aufnahme von Warnhinweisen oder Kontraindikationen in die Produktinformation bis hin zum Produktrückruf
vorgenommen werden. (Pharmakovigilanz ist die Gesamtheit aller Aktivitäten zur Entdeckung, Bewertung und Verhütung von Nebenwirkungen. Die EU hat insoweit ein umfangreiches Regelwerk erlassen.) [1]
Die Medizintechnik hingegen unterliegt dem Medizinprodukterecht. In einem Konformitätsbewertungsverfahren müssen Sicherheit, Eignung und Leistung der Medizinprodukte
belegt werden. Je nach Medizinprodukteklasse wird diese Konformitätsbewertung vom
Hersteller selbst oder von einer sogenannten akkreditierten benannten Stelle vorgenom-
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C. Jäkel
2
Arzthaftung und Risikotransparenz
men. Auch im Medizinprodukterecht gibt es ein System zur Überwachung und zum Schutz
vor Risiken.
Trotz der im Regelfall klaren Abgrenzbarkeit von Arzneimitteln und Medizinprodukten gibt
es Schnittstellen und Grenzbereiche zwischen beiden Produktkategorien. Der nachfolgende
Beitrag stellt daher zunächst die Regeln zur Abgrenzung beider Kategorien dar. Danach
werden Besonderheiten von Medizinprodukten zur Arzneimittelapplikation aufgezeigt. Einen großen Raum dieses Beitrags nehmen die Meldepflichten von Anwendern und Betreibern, insbesondere Ärzten, ein. Denn nur durch die Erfüllung von Meldepflichten kann der
umfassende Schutz von Patienten vor vermeidbaren Risiken sichergestellt werden. Dabei
ist die Dunkelziffer nicht gemeldeter Vorkommnisse leider relativ hoch. Jede Vorkommnismeldung ist daher ein Beitrag zur Erhöhung der Patientensicherheit. Schließlich stellt der
nachfolgende Beitrag übersichtsartig die medizinprodukte- und haftungsrechtlichen Folgen von Verstößen gegen das Medizinprodukterecht, insbesondere gegen die Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV), dar.
2.3.2
Schnittstellen Medizinprodukterecht und Arzneimittelrecht
Im Regelfall sind die Kategorien Arzneimittel und Medizinprodukt strikt getrennt. Ein Produkt ist entweder Arzneimittel oder Medizinprodukt. Kann ein Produkt sowohl unter die
Definition des Arzneimittels als auch unter die Definition des Medizinprodukts fallen,
wird es gemäß der Zweifelsfallregelung in Art. 2 Abs. 2 Richtlinie 2001/83/EG den Arzneimitteln zugeordnet. Eine ähnliche Zweifelsfallregelung wurde mit der 15. AMG-Novelle in
das deutsche Recht übernommen, § 2 Abs. 3a AMG.
Gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG sind Medizinprodukte keine Arzneimittel, es sei denn, es handelt sich um Funktionsarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG. Daher ist bei der Einstufung zunächst zu prüfen, ob das Produkt eindeutig ein Medizinprodukt im Sinne des § 3
MPG ist (z. B. physikalische Hauptwirkung).
§ 3 MPG Begriffsbestimmungen in der Fassung des 4. MPG-ÄndG
1. Medizinprodukte sind alle einzeln oder miteinander verbunden verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Software, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder
andere Gegenstände einschließlich der vom Hersteller speziell zur Anwendung für diagnostische oder therapeutische Zwecke bestimmten und für ein einwandfreies Funktio-
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Aus dem Vorstehenden folgt, dass zunächst jede Produktkategorie nach eigenen Vorschriften zu beurteilen ist. Bei der Applikation von Arzneimitteln ist dabei zu beachten, dass in
der Regel der Hersteller des zur Applikation bestimmten Medizinprodukts für die Kompatibilität mit Arzneimitteln verantwortlich ist. Dies trifft beispielsweise auf Kanülen, Spritzen,
Infusions- oder Perfusionssysteme zu. Nur wenn ein System insgesamt als Arzneimittel zugelassen ist (z. B. vorgefüllte Spritzen), ist diese Kompatibilität im Arzneimittelzulassungsverfahren zu bewerten.
Medizinprodukterecht und Arzneimittelsicherheit
nieren des Medizinprodukts eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung
für Menschen mittels ihrer Funktionen zum Zwecke
a) der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten,
b) der Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen,
c) der Untersuchung, der Ersetzung oder der Veränderung des anatomischen Aufbaus
oder eines physiologischen Vorgangs oder
d) der Empfängnisregelung
zu dienen bestimmt sind und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am
menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende
Mittel noch durch Metabolismus erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche
Mittel unterstützt werden kann.
2. Medizinprodukte sind auch Produkte nach Nummer 1, die einen Stoff oder eine Zubereitung aus Stoffen enthalten oder auf die solche aufgetragen sind, die bei gesonderter Verwendung als Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes angesehen
werden können und die in Ergänzung zu den Funktionen des Produkts eine Wirkung
auf den menschlichen Körper entfalten können.
3. Medizinprodukte sind auch Produkte nach Nummer 1, die als Bestandteil einen Stoff enthalten, der gesondert verwendet als Bestandteil eines Arzneimittels oder Arzneimittel
aus menschlichem Blut oder Blutplasma im Sinne des Artikels 1 der Richtlinie 2001/83/
EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung
eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L311 vom 28. 11. 2001, S. 67),
die zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 (ABl. L324 vom 10. 12. 2007, S. 121)
geändert worden ist, betrachtet werden und in Ergänzung zu dem Produkt eine Wirkung
auf den menschlichen Körper entfalten kann.
§ 2 Abs. 1 MPG
Dieses Gesetz gilt für Medizinprodukte und deren Zubehör. Zubehör wird als eigenständiges Medizinprodukt behandelt.
Medizinprodukte dienen – wie Arzneimittel – unter anderem der Erkennung, Verhütung
oder Therapie von Krankheiten. Bei der Medizinproduktedefinition kommt es aber darauf
an, dass die vom Hersteller festgelegte Hauptwirkung nicht pharmakologischer, immunologischer oder metabolischer Natur ist. Medizinprodukte wirken in der Regel physikalisch.
Wird eine solche physikalische Wirkung durch eine pharmakologische Wirkung lediglich
unterstützt, wird das Produkt ebenfalls als Medizinprodukt eingestuft. So ist ein Knochenzement mit Antibiotikazusatz Medizinprodukt. (Dieses Produkt unterfällt zugleich auch
der Begriffsbestimmung in § 3 Nr. 2 MPG.) Denn die bestimmungsgemäße Hauptwirkung
ist die feste Verbindung von Endoprothesenimplantat mit dem Knochengewebe im Körper.
Das zugesetzte Antibiotikum – das ohne Zweifel eine pharmakologische Wirkung hat – unterstützt die physikalische Hauptwirkung lediglich, indem Infektionen vorgebeugt wird.
Weitere Beispiele (s. auch [2]) für solche Produkte sind:
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2.3
2
Arzthaftung und Risikotransparenz
▬ heparinbeschichtete Stents,
▬ zahnärztliche Materialien mit Arzneimittelzusatz,
▬ Elektroden mit Steroidbeschichtung,
▬ antiseptikahaltige Pflaster oder
▬ mit gerinnungshemmenden Stoffen vorbereitete Blutbeutel.
Arzneimittel sind dagegen in § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) definiert:
„Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen,
1. die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und
als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind, oder
2. die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen
oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder
a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder
metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder
b) eine medizinische Diagnose zu erstellen.“
In der Rechtsprechung gibt es einige Beispiele zur Einstufung von Produkten mit hauptsächlich physikalischer Wirkung als Medizinprodukt.
So wurde 1999 eine Augenlösung im Ergebnis erfolglos angegriffen. Das Produkt war als
Medizinprodukt mit einem CE-Kennzeichen versehen. Als Anwendungsgebiet war angegeben: „Zur besseren Befeuchtung der Augenoberfläche bei trockenen Augen, Fremdkörpergefühl oder Brennen der Augen“. Das LG Saarbrücken hat eine einstweilige Verfügung eines
Abmahnvereins aufgehoben, die Produkteinstufung als Medizinprodukt bestätigt und die
Werbung für die Augenlösung mit einer krankheitsbezogenen Indikation zugelassen [3].
Das saarländische OLG ist davon ausgegangen, dass eine Pollenschutzcreme auf VaselineBasis, die Pollen rein mechanisch von der Nasenschleimhaut fernhält, ein Medizinprodukt
ist. Beanstandet wurde lediglich die Werbung („klinisch getestet“) [4].
Nach einer Entscheidung des OLG Frankfurt sind Hyaluronsäure-Natrium-Fertigspritzen
zur intraartikulären Anwendung bei Gelenkerkrankungen Medizinprodukte. Hyaluronsäure ist der natürliche Hauptbestandteil der im Körper vorhandenen Gelenkflüssigkeit und
verleiht dieser die zur Schonung des Gelenks erforderliche Viskosität und Elastizität. Bei
einem von Arthrose befallenen Gelenk ist die körpereigene Gelenkflüssigkeit nicht mehr
in ausreichendem Maß vorhanden. Mit dem streitgegenständlichen Erzeugnis wird dem
Gelenk fehlende Hyaluronsäure durch Injektion von außen zugeführt. Dadurch soll die Viskosität der Gelenkflüssigkeit verbessert werden. Zur Herstellung der Fertigspritzen löst der
beklagte Apotheker die von ihm als Rohsubstanz bezogene Hyaluronsäure in Kochsalzlösung, stellt die Lösung auf den physiologischen pH-Wert des Körpers ein und füllt die Lösung in Spritzen ab, die sodann steril verpackt werden. Grundsätzlich wäre das Produkt als
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§ 2 Abs. 1 in der Fassung der 15. AMG-Novelle
2.3
Medizinprodukterecht und Arzneimittelsicherheit
Das Kammergericht Berlin hat die Einstufung eines Schlankheitsmittels als Medizinprodukt
bestätigt [7]. Das Produkt wirkte physikalisch durch Quellung von Zelluloseschwämmchen
im Magen. Damit wurde physikalisch das Hungergefühl unterdrückt.
Die Einstufung derartiger Zelluloseprodukte als Medizinprodukt teilte auch das OLG München [8]. Allerdings wurde die Werbung als „Mittel zur Gewichtsreduktion“ als irreführend
angesehen.
Ebenso wurde ein ophthalmologisches Augenspülmittel wegen seiner hauptsächlich physikalischen Wirkung als Medizinprodukt eingestuft [9}.
2.3.3
Recht der Medizinprodukte zur Arzneimittelapplikation
Zunächst gilt für Medizinprodukte zur Arzneimittelapplikation das Medizinproduktegesetz. § 2 Abs. 3 MPG bestimmt ausdrücklich, dass das MPG für Produkte gilt, die dazu bestimmt sind, Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG zu verabreichen. Beispiele hierfür
sind:
▬ Spritzen zur einmaligen Verwendung an einem Patienten zur Applikation eines Arzneimittels,
▬ Infusionspumpen zur Applikation eines Arzneimittels,
▬ Pen zum Einsatz einer Medikamentenpatrone,
▬ Blutbeutel,
▬ implantierbare Infusionspumpen,
▬ Beatmungsgeräte (Abgabe von Sauerstoff),
▬ Narkosemittelverdunster,
▬ Inhalatoren, bei denen aerosole Medikamente in die Atemwege abgegeben werden,
▬ Iontophoresegeräte zur Einbringung von Medikamenten durch die Haut oder wiederverwendbare Pens zur Dosierung und Injektion von Medikamenten [10].
Bei einem wiederverwendbaren Insulin-Pen unterliegt der Pen also dem Medizinprodukterecht, während die Insulin-Ampulle dem Arzneimittelgesetz unterliegt [11].
Kombinationsprodukte, die aus Medizinprodukt- und Arzneimittelanteil bestehen, fallen
unter das Medizinprodukterecht, wenn der Arzneimittelanteil nur eine unterstützende
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Medizinprodukt CE-kennzeichnungspflichtig. Im entschiedenen Fall war der Beklagte als
Apotheker nach Auffassung des Gerichts in beschränktem Umfang befugt, diese Spritzen
auch ohne CE-Kennzeichnung herzustellen und abzugeben. Das Gericht hat die entsprechenden Vorschriften des Arzneimittelgesetzes – im Ergebnis wenig überzeugend – analog
angewandt [5]. Inzwischen hat der Bundesgerichtshof dazu entschieden, dass Hyaluronsäure-Natrium-Fertigspritzen zur intraartikulären Anwendung bei Gelenkerkrankungen
Medizinprodukte sind. Soweit für sie eine Individualrezeptur vorliegt, brauchen sie bei
der Abgabe keine CE-Kennzeichnung zu tragen [6].
2
Arzthaftung und Risikotransparenz
Wirkung zur der physikalisch-technischen oder mechanischen Hauptwirkung des Medizinprodukts hat, die Hauptwirkung also weder pharmakologisch, immunologisch noch metabolisch ist. Beispiel hierfür ist ein heparinbeschichteter Stent oder Knochenzement mit
Antibiotika [12].
Enthält das Medizinprodukt ein Arzneimittel, das lediglich die Zweckbestimmung des Medizinprodukts unterstützt, muss die benannte Stelle im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens die zuständige Arzneimittelzulassungsbehörde konsultieren und deren
wissenschaftliches Gutachten zu Qualität und Sicherheit des Stoffes, einschließlich des klinischen Nutzen-Risiko-Profils, berücksichtigen.
Bei der Klassifizierung der Medizinprodukte ist zu berücksichtigen, dass alle Produkte, zu
deren Bestandteilen ein Arzneimittel gehört, welches ergänzend zur Wirkung der Produkte
auf den menschlichen Körper einwirken kann, der Klasse III zuzuordnen sind. Das Gleiche
gilt für Derivate aus menschlichem Blut als Bestandteil von Medizinprodukten [13].
Darüber hinaus gelten die allgemeinen Grundsätze für Medizinprodukte auch bei solchen
Medizinprodukten, die der Arzneimittelapplikation dienen. Auch diese Medizinprodukte
dürfen grundsätzlich nur mit CE-Kennzeichnung in Verkehr gebracht werden. Voraussetzungen der CE-Kennzeichnung sind die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen nach
§ 7 MPG sowie das für das jeweilige Medizinprodukt vorgeschriebene Konformitätsbewertungsverfahren, deren Einzelheiten sich nach der Medizinprodukte-Verordnung (MPV)
richten.
Trägt das Medizinprodukt eine CE-Kennzeichnung, kann sich der Anwender darauf verlassen, dass das Produkt einem Konformitätsbewertungsverfahren unterzogen wurde und die
grundlegenden Anforderungen, also im Wesentlichen die Anforderungen des Medizinprodukterechts, erfüllt sind.
Die MPBetreibV legt weitere Anforderungen fest:
So dürfen Medizinprodukte nur ihrer Zweckbestimmung entsprechend und nach den Vorschriften der MPBetreibV, den allgemein anerkannten Regeln der Technik sowie den Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften errichtet, betrieben, angewendet und in Stand gehalten werden, § 2 Abs. 1 MPBetreibV. Diese Vorschrift ist in Zusammenhang mit § 14 Abs. 2
MPG zu lesen. Danach ist es verboten, Medizinprodukte zu betreiben oder anzuwenden,
wenn diese Produkte Mängel aufweisen, durch die Patienten, Beschäftigte oder Dritte gefährdet werden können. § 4 Abs. 1 Nr. 1 MPG geht noch darüber hinaus und bestimmt u. a.
das Verbot der Anwendung und des Betreibens von Medizinprodukten, wenn der begründe-
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Produkte, deren Hauptwirkung dem Arzneimittel zuzuordnen ist, fallen unter das Arzneimittelrecht. Lediglich der technische Teil dieser Einheit muss die grundlegenden Anforderungen des Medizinprodukterechts zum Nachweis der sicherheits- und leistungsbezogenen Produktfunktionen erfüllen. Beispiel hierfür sind vorgefüllte Fertigspritzen.
2.3
Medizinprodukterecht und Arzneimittelsicherheit
Medizinprodukte dürfen nur von Personen errichtet, betrieben, angewendet und in Stand
gehalten werden, die dafür die erforderliche Ausbildung oder Kenntnis und Erfahrung besitzen, § 2 Abs. 2 MPBetreibV. Miteinander verbundene Medizinprodukte sowie mit Zubehör einschließlich Software oder mit anderen Gegenständen verbundene Medizinprodukte
dürfen nur betrieben und angewendet werden, wenn sie dazu unter Berücksichtigung der
Zweckbestimmung und der Sicherheit der Patienten, Anwender, Beschäftigten oder Dritten
geeignet sind, § 2 Abs. 3 MPBetreibV.
Liegen keine entsprechenden Kenntnisse beim Anwender vor, darf er ein Medizinprodukt
nicht anwenden. Der Anwender muss sich eigenverantwortlich um eine entsprechende
Einweisungsmaßnahme kümmern (Holpflicht). In Fällen der Beauftragung einer unqualifizierten Person mit der Anwendung eines Medizinprodukts trifft den Betreiber ein Delegationsverschulden [14].
Spezielle Einweisungsvorschriften enthält § 5 Abs. 1 MPBetreibV: Der Betreiber darf ein in
Anlage 1 der MPBetreibV aufgeführtes Medizinprodukt nur betreiben, wenn zuvor der Hersteller oder eine dazu befugte Person, die im Einvernehmen mit dem Hersteller handelt,
1. dieses Medizinprodukt am Betriebsort einer Funktionsprüfung unterzogen hat und
2. die vom Betreiber beauftragte Person anhand der Gebrauchsanweisung sowie beigefügter sicherheitsbezogener Informationen und Instandhaltungshinweise in die sachgerechte Handhabung, Anwendung und den Betrieb des Medizinprodukts sowie in die
zulässige Verbindung mit anderen Medizinprodukten, Gegenständen und Zubehör eingewiesen hat.
Eine solche Einweisung ist nicht erforderlich, wenn diese für ein baugleiches Medizinprodukt bereits erfolgt ist.
Vorstehende Verpflichtung gilt beispielsweise für:
▬ Hämodialysegeräte,
▬ Hämofiltrationsgeräte,
▬ Hämodiafiltrationsgeräte,
▬ Infusionspumpen,
▬ Infusionsspritzenpumpen,
▬ Perfusionspumpen,
▬ Blutpumpen,
▬ Herz-Lungen-Maschinen,
▬ Hochdruck-Injektionsspritzen,
▬ Geräte zur hämatogenen Oxidationstherapie,
nicht hingegen für Schwerkraftinfusionssysteme [15].
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te Verdacht besteht, dass sie die Sicherheit und die Gesundheit der Patienten, der Anwender
oder Dritter bei sachgemäßer Anwendung, Instandhaltung und ihrer Zweckbestimmung
entsprechender Verwendung über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaften vertretbares Maß hinausgehend unmittelbar oder mittelbar gefährden.
2
Arzthaftung und Risikotransparenz
Darüber hinaus hat sich der Anwender vor der Anwendung eines Medizinprodukts von der
Funktionsfähigkeit und dem ordnungsgemäßen Zustand des Medizinproduktes zu überzeugen und die Gebrauchsanweisung sowie die sonstigen beigefügten sicherheitsbezogenen Informationen und Instandhaltungshinweise zu beachten, § 2 Abs. 5 Satz 1 MPBetreibV.
Die Darstellung weiterer Betreiberpflichten, wie z. B. zur Instandhaltung, Aufbereitung oder
Dokumentation würde den Rahmen dieser Darstellung sprengen [16].
Meldepflichten von Anwendern, insbesondere Ärzten
Nach den Berufsordnungen der jeweiligen Landesärztekammern sind Ärzte verpflichtet,
unerwünschte Arzneimittelwirkungen der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft zu melden [17].
Bei Medizinprodukten gibt es hingegen gesetzliche Meldepflichten. Unerwünschte Wirkungen bei Medizinprodukten werden als Vorkommnisse bezeichnet. Die Zahl nicht gemeldeter Vorkommnisse ist immer noch zu hoch. Es liegt im Interesse aller, dass Vorkommnisse
gemeldet werden. Nur so können Hersteller und Überwachungsbehörden adäquat auf
Risiken reagieren, und die Produkte mit Blick auf ihre Leistung und Sicherheit verbessert
werden.
Im Folgenden wird dargestellt, welche gesetzlichen Meldepflichten für Ärzte sowie Anwender und Betreiber von Medizinprodukten bestehen.
Bis zum Inkrafttreten der Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung (MPSV) waren die
Meldepflichten für Betreiber und Anwender in der MPBetreibV geregelt. Mit Inkrafttreten
der MPSV verweist § 3 MPBetreibV insoweit nur noch auf die Vorschriften der MPSV und
enthält keine eigenen Regelungen zu Meldepflichten mehr.
Meldepflichtige
Hersteller und ggf. Importeure (Verantwortliche nach § 5 MPG) haben eine Meldepflicht
gemäß § 3 Abs. 1 MPSV. Händler wie Apotheken oder Sanitätshäuser sind nach § 3 Abs. 3
MPSV zur Meldung von ihnen mitgeteilten Vorkommnissen verpflichtet. Bei Abgabe von
Medizinprodukten an Laien bzw. Patienten zur eigenverantwortlichen Anwendung ist die
Meldung an die zuständige Bundesoberbehörde zu richten, in der Regel ist dies das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) (Paul-Ehrlich-Institut bei bestimmten In-vitro-Diagnostika; siehe: [18]). Andernfalls muss der Hersteller (bzw. der Verantwortliche nach § 5 MPG) informiert werden.
§ 3 Abs. 2 MPSV bestimmt zu den Meldepflichten für Betreiber und Anwender [19]:
„Wer Medizinprodukte beruflich oder gewerblich betreibt oder anwendet, hat dabei aufgetretene Vorkommnisse der zuständigen Bundesoberbehörde zu melden. Satz 1 gilt entsprechend
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2.3.4
2.3
Medizinprodukterecht und Arzneimittelsicherheit
Der Begriff des „Betreibens“ ist weder im europäischen noch im deutschen Medizinprodukterecht definiert. In der Literatur werden darunter alle Vorgänge bzw. Maßnahmen zusammengefasst, die sich unmittelbar auf die Nutzung eines Medizinprodukts beziehen. Dazu
gehören beispielsweise die Inbetriebnahme, die Schaffung von Anschluss- oder anderen
räumlichen Voraussetzungen, die Schaffung der betrieblichen Voraussetzungen, die Einweisung von Anwendern, die sicherheitstechnischen Kontrollen oder die Instandhaltung
[20].
Für die Betreibereigenschaft ist nach der Rechtsprechung eine tatsächliche Sachherrschaft
über das Medizinprodukt erforderlich [21].
„Anwenden“ umfasst die Nutzung eines Medizinprodukts entsprechend der Zweckbestimmung des Herstellers am Patienten durch den Anwender (z. B. Anwendung einer Infusionspumpe zur dosierten Verabreichung einer Infusionslösung). Eine Person, die unter der Aufsicht eines Anwenders ein Medizinprodukt lediglich „bedient“ (z. B. Pflegeschüler), ist kein
Anwender in diesem Sinne, da diese Person nicht eigenverantwortlich handelt [22].
Zum Kreis der beruflich oder gewerblich tätigen Betreiber und Anwender gehören sowohl
Einrichtungen des Gesundheitswesens und der Pflege (z. B. Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen, medizinische Laboratorien, Pflegeheime) als auch freiberuflich tätige
niedergelassene Ärzte und Angehörige sonstiger Gesundheitsberufe, ambulante Pflegedienste sowie Organisationen des Rettungsdiensts, einschließlich des dort angestellten Personals. Für Privatpersonen, die Medizinprodukte im häuslichen oder privaten Umfeld anwenden (z. B. Patienten oder deren Angehörige), besteht hingegen keine Meldepflicht [23].
Sind Betreiber und Anwender nicht identisch (z. B. im Krankenhaus), sind nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 2 S. 1 MPSV sowohl der Krankenhausträger als Betreiber (z. B. eines Röntgengeräts) als auch der Anwender (z. B. der Radiologe) zur Meldung verpflichtet, wenn bei
der Anwendung und damit auch im Rahmen des Betrieb eines Medizinprodukts (z. B. des
Röntgengeräts) ein Vorkommnis auftritt. Um Doppelmeldungen zu vermeiden, ist es zulässig und sinnvoll, in der betreffenden Einrichtung konkret zu regeln, wer die Meldung vornimmt. Allerdings muss sichergestellt sein, dass die vorgeschriebenen Meldungen auch tatsächlich erfolgen. Sind keine klaren Regelungen dazu getroffen, muss der Anwender seine
gesetzliche Meldeverpflichtung erfüllen [24].
Ärzte und Zahnärzte haben – unabhängig davon, ob sie Betreiber oder Anwender sind – bei
Vorkommnissen eine eigene Meldepflicht, § 3 Abs. 2 S. 2 MPSV. Dies gilt auch, wenn sie den
Patienten nicht selbst behandelt haben, sondern das Vorkommnis z. B. im Rahmen der
Nachbehandlung bekannt wird. Zu melden ist der zuständigen Bundesoberbehörde.
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für Ärzte und Zahnärzte, denen im Rahmen der Behandlung von mit Medizinprodukten versorgten Patienten Vorkommnisse bekannt werden, soweit die Behandlung im Zusammenhang
mit dem Medizinprodukt steht.“
2
Arzthaftung und Risikotransparenz
Vorkommnisbegriff
§ 2 Nr. 1 MPSV definiert das Vorkommnis als:
Der Vorkommnisbegriff erfasst auch Fälle unklarer, aber möglicher Kausalität sowie sogenannte Beinahe-Vorkommnisse. Bei Beinahe-Vorkommnissen sind die ungünstigen gravierenden medizinischen Folgen zwar noch nicht aufgetreten, sie könnten im Wiederholungsfall unter weniger günstigen Umständen jedoch eintreten [25].
Hinsichtlich der Definitionen von Begriffen aus der MPSV kann auf Leitlinien der Europäischen Kommission – hier Guidelines on a Medical Devices Vigilance System, MEDDEV
2.12-1 rev.5 – verwiesen werden. Diese Leitlinien sind an Hersteller, die Medizinprodukte
in Verkehr bringen, gerichtet und geben die abgestimmte Rechtsauffassung der entsprechenden nationalen Behörden der Mitgliedstaaten der EU sowie der Europäischen Kommission wieder [26].
Obwohl diese Guidelines rechtlich nicht bindend sind, orientieren sich sowohl die Verwaltungspraxis als auch die Rechtsprechung daran. Im Übrigen soll die Guideline MEDDEV
2.12-1 ausweislich der amtlichen Begründung der MPSV zur weiteren Konkretisierung der
Verordnung herangezogen werden [27, 28].
Tod oder schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands
Neben Todesfällen besteht eine Meldepflicht bereits dann, wenn die entsprechende Störung des Medizinprodukts zu einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Patienten führen könnte oder geführt hat.
Die schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands umfasst [29]:
a) eine lebensbedrohliche Erkrankung,
b) eine dauerhafte Beeinträchtigung einer Körperfunktion oder eine dauerhafte Schädigung einer Körperstruktur,
c) ein Zustand, der eine medizinische oder chirurgische Intervention erfordert, um a) oder
b) zu verhindern,
Beispiele:
– klinisch relevante Verlängerung der Dauer einer chirurgischen Behandlung,
– ein Zustand, der einen stationären Aufenthalt oder die signifikante Verlängerung
eines stationären Aufenthalts erfordert,
d) jede indirekte Schädigung als Folge einer falschen Diagnose/eines fehlerhaften IVD-Tests
trotz Beachtung der Herstelleranweisungen,
e) Gefährdung oder Tod eines Fötus sowie jede kongenitale Abnormität oder Geburtsfehler.
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„[…] eine Funktionsstörung, ein Ausfall oder eine Änderung der Merkmale oder der Leistung
oder eine Unsachgemäßheit der Kennzeichnung oder der Gebrauchsanweisung eines Medizinprodukts, die unmittelbar oder mittelbar zum Tod oder zu einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Patienten, eines Anwenders oder einer anderen Person
geführt hat, geführt haben könnte oder führen könnte.“
2.3
Medizinprodukterecht und Arzneimittelsicherheit
Abschnitt 10.1 MEDDEV 2.12-1 enthält einige Beispiele für Meldepflichten. So besteht nach
Beispiel 11 eine Meldepflicht, wenn wegen einer Lockerung eine vorzeitige Revision eines
orthopädischen Implantats (z. B. Kniegelenksendoprothese) notwendig ist. Dies gilt selbst
dann, wenn die Ursache unklar ist. Nach Beispiel 1 ist der Tod eines Patienten nach Gebrauch eines Defibrillators meldepflichtig, wenn es irgendeinen Hinweis auf ein Problem
mit diesem Defibrillator gibt.
Weitere Voraussetzung ist eine Funktionsstörung, ein Ausfall oder eine Änderung der Merkmale oder der Leistung des Medizinprodukts oder auch die unsachgemäße Kennzeichnung
oder Gebrauchsanweisung.
Eine Funktionsstörung liegt vor, wenn das gemäß der Gebrauchsanleitung eingesetzte Medizinprodukt seine Zweckbestimmung nicht erfüllt [30] oder eine unerwünschte Abweichung von der Spezifikation aufweist. Nach der Kommentarliteratur wird der Begriff des
Produktfehlers sehr weit gefasst. Darunter fallen auch Design-Fehler, z. B. wenn eine – an
sich vermeidbare – Korrosion konstruktionsbedingt nicht vermieden wird. Weitere Beispiele sind: fehlerhafte Skalierung an Spritzen, gebrochene Teile von Endoprothesen, die
übermäßige Abnutzung von Endoprothesenkomponenten oder Funktionsausfälle von Instrumenten bei minimalinvasiver Chirurgie oder bei invasiven Eingriffen in der Kardiologie
(z. B. Versagen eines Herzkatheters). Darüber hinaus sind auch nicht-produktbezogene Fehler in die Meldeverpflichtung einbezogen. Dies können beispielsweise Fehler bei Instandhaltung oder Aufbereitung (Interessant ist, dass es nach Mitteilung des BfArM keine vermehrten Vorkommnismeldungen bei aufbereiteten Einmalprodukten gibt, ein Qualitätsproblem – insbesondere im Vergleich zu Mehrfachprodukten – ist also nicht festzustellen;
siehe auch [25]), die Anwendung inkompatibler Komponenten oder Fehler bei Lagerung
und Transport sein [31].
Auch die unsachgemäße Kennzeichnung oder Gebrauchsanweisung eines Medizinprodukts
ist ein Produktfehler. Beispiel ist ein entgegen § 11 Abs. 2 MPG nicht in deutscher Sprache
gekennzeichnetes Produkt, bei dem aufgrund der fremdsprachigen Beschriftung Verwechslungen auftreten können.
Kausalität
Die Kausalität von Funktionsstörung und schwerwiegender Verschlechterung des Gesundheitszustands muss nicht nachgewiesen sein. Die Möglichkeit der Kausalität ist für die Meldepflicht ausreichend.
Alternative Meldemöglichkeiten und Meldepflichten
Für Angehörige der Heilberufe, also auch für Ärzte, gelten die Meldepflichten der MPSV als
erfüllt, wenn insoweit Meldungen an Kommissionen oder andere Einrichtungen der Heilberufe, die Risiken von Medizinprodukten erfassen und an die zuständige Bundesoberbehörde weiterleiten, erfolgt sind. Soweit ersichtlich, gibt es derartige Einrichtungen zwar
für Zahnärzte und Apotheker, nicht aber für Ärzte [32]. Denn die infrage kommende Arznei-
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Funktionsstörungen und weitere Produkt- oder Instruktionsfehler
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Arzthaftung und Risikotransparenz
mittelkommission der Deutschen Ärzteschaft befasst sich ausweislich ihres Statuts (www.
akdae.de) nur mit der Bewertung von Arzneimittelrisiken.
Ein Verstoß gegen gesetzliche Meldepflichten ist zwar nicht bußgeldbewehrt, kann aber
berufs- oder haftungsrechtliche Konsequenzen haben. Unabhängig davon sollte es aber im
Interesse jedes Betreibers, Anwenders oder Arztes liegen, mit entsprechenden Meldungen
die Medizinproduktesicherheit zu erhöhen und die Dunkelziffer von Nichtmeldungen abzusenken.
Verfahren nach einer Meldung
Da es aus der Praxis Beschwerden gibt, nach Meldungen höre man nichts mehr von dem
Vorgang, sei hier kurz auf das weitere Verfahren nach einer Meldung verwiesen:
Die zuständige Bundesoberbehörde bestätigt der meldenden Person oder Stelle den Eingang der Meldung. Sie informiert außerdem unverzüglich den Hersteller (bzw. Verantwortlichen nach § 5 MPG). Die Bundesoberbehörde nimmt eine Risikobewertung vor und kann
dabei eigene Ermittlungen anstellen. Die zuständige Landesbehörde entscheidet über ggf.
erforderliche Maßnahmen. Beide Behörden stehen in engem Kontakt.
2.3.5
Haftungsfragen
Medizinprodukterechtliche Konsequenzen von Verstößen des Betreibers
gegen das Medizinprodukterecht
Bestimmte Betreiber- und Anwenderpflichten sind bußgeldbewehrt. So handelt nach § 13
Nr. 4 MPBetreibV ordnungswidrig im Sinne des § 42 Abs. 2 Nr. 16 MPG, wer vorsätzlich oder
fahrlässig entgegen § 5 Abs. 1 Satz 1 MPBetreibV ein in Anlage 1 der MPBetreibV genanntes
Medizinprodukt ohne Einweisung betreibt oder anwendet. Betreiber und Anwender können mit einer Geldbuße von bis zu 25 000,00 € zur Verantwortung gezogen werden. Dies
gilt unabhängig davon, ob durch den Verstoß eine Gefährdung oder gar ein Schaden eingetreten ist oder nicht.
Daneben steht selbstverständlich das strafbewehrte Verbot des Betreibens oder Anwendens gefährlicher Medizinprodukte nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 40 Abs. 1
Nr. 1 MPG.
Bei juristischen Personen bzw. rechtsfähigen Personengesellschaften wird gemäß § 9 Abs. 1
Nr. 1 und 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) das vertretungsberechtigte
Organ (z. B. Geschäftsführer einer GmbH) oder das Mitglied eines solchen Organs bzw. der
vertretungsberechtigte Gesellschafter bei der Ahndung der Ordnungswidrigkeit herangezogen.
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Neben den Meldepflichten nach der MPSV gibt es in einigen Ärztekammerbezirken auch berufsrechtliche Meldepflichten. Diese entbinden nicht von der Meldepflicht nach der MPSV.
2.3
Medizinprodukterecht und Arzneimittelsicherheit
Zivilrechtliche Haftung
Aus dem Behandlungsvertrag zwischen Patient und Krankenhausträger folgt die zivilrechtliche vertragliche Haftung des Krankenhausträgers gemäß § 280 BGB. Dabei sind vom Krankenhausträger zur Erfüllung von Vertragspflichten herangezogene Erfüllungsgehilfen in
diese Haftung einbezogen. Dies bedeutet, dass ein Krankenhausträger für Pflichtverletzungen von Erfüllungsgehilfen gemäß § 278 BGB selbst gegenüber dem Patienten haftet. Dies
gilt beispielsweise dann, wenn vom Krankenhausträger ein Konsiliararzt herangezogen
wird [33].
Daneben tritt die eigene Haftung des Krankenhausträgers wegen eventueller Verstöße gegen Organisationspflichten. Erleidet ein Patient einen Schaden, der aus einem organisatorisch beherrschbaren Bereich hervorgegangen sein muss, so hat der Krankenhausträger für
die Folgen einzustehen, sofern er nicht nachweisen kann, dass er alle organisatorischen und
technischen Vorkehrungen zur Vermeidung des Schadens getroffen hat [34]. Die Funktionsfähigkeit von Geräten wird diesem organisatorisch beherrschbaren Bereich zugeordnet.
Schließlich ist die MPBetreibV auch ein Schutzgesetz, also eine Vorschrift, die bezweckt, gerade den Einzelnen oder einen bestimmten Personenkreis vor Schäden zu bewahren. Nach
§ 823 Abs. 2 BGB ist auch derjenige schadensersatzpflichtig, der gegen ein Schutzgesetz verstößt [35].
Ein Verstoß gegen Anwender- und Betreiberpflichten begründet also auch Schadensersatzansprüche dadurch Geschädigter gegen Betreiber und ggf. gegen den Anwender (betreffend
die deliktische Haftung). Da die insoweit vernachlässigten Pflichten in den Organisationsbereich des Krankenhausträgers fallen, in dem die Rechtsprechung Fehlerfreiheit fordert,
gibt es dabei unter Umständen Beweiserleichterungen für den Patienten im Haftpflichtprozess.
Die gleichen Grundsätze gelten sinngemäß für die Haftung niedergelassener Ärzte.
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Daneben können aber auch verantwortliche Personen im jeweiligen Krankenhaus oder in
der Arztpraxis mit einer Geldbuße belegt werden. Denn nach § 9 Abs. 2 Nr. 2 OWiG trifft
die Ahndung auch diejenigen, die vom Inhaber eines Betriebs ausdrücklich beauftragt wurden, in eigener Verantwortung Aufgaben wahrzunehmen, die dem Betriebsinhaber obliegen und aufgrund dieses Auftrags handeln. In Betracht kommen hier zunächst die Chefärzte
der jeweiligen Krankenhausabteilung. Falls im Krankenhaus ein „Zentralverantwortlicher“
für Medizinprodukte benannt wurde, könnte dieser unter Umständen auch herangezogen
werden. Allerdings schreibt das Medizinprodukterecht – im Gegensatz etwa zu anderen Beauftragten wie dem Strahlenschutzbeauftragten oder dem Transfusionsbeauftragten – keinen zentralverantwortlichen „Medizinprodukte-Beauftragten“ vor.
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Arzthaftung und Risikotransparenz
Strafrechtliche Verantwortung für Schäden bei Patienten
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health/files/eudralex/vol-9/pdf/vol9a_09-2008_en.pdf, abgerufen am: 14. 7. 2010
Böckmann/Frankenberger/Will. Durchführungshilfen zum Medizinproduktegesetz,
Kap. 3.3, S. 19
LG Saarbrücken, Urt. v. 12. 10. 1999, PharmR 2001, 265
Saarländisches OLG, Urt. v. 18. 4. 2001, Juris
OLG Frankfurt, Urt. v. 21. 9. 2006, WRP 2007, 216
BGH, Urt. v. 9. 7. 2009, PharmR 2010, 297
KG, Urt. v. 15. 6. 2000, ZLR 2000, 785
OLG München, Urt. v. 15. 3. 2001, ZLR 2001, 614
OLG Frankfurt, Urt. v. 21. 1. 1999, ZLR 1997, 174
Böckmann/Frankenberger/Will, a. a. O., Kap. 3.2, S. 27
Böckmann/Frankenberger/Will, a. a. O., Kap. 3.2, S. 27 f.
Böckmann/Frankenberger/Will, a. a. O., Kap. 3.2, S. 29
Regel 13 Anhang IX Richtlinie 93/42/EWG
Böckmann/Frankenberger/Will, a. a. O., Kap. 8.2, S. 15
Böckmann/Frankenberger/Will, a. a. O., Kap. 8.5, S. 9
MPBetreibV, vom 21. 8. 2002, BGBl. I 3396, i. d. F. vom 31. 10. 2006, BGBl. I 2407
§ 6 (Muster-) Berufsordnung Ärzte; Online-Meldung möglich unter: www.akdae.de/50/
50/UAW-Meldung-online.html
Böckmann/Frankenberger/Will, a. a. O., Kap. 9.7.2.1, S. 3
Formulare unter: www.bfarm.de/cln_012/nn_424460/DE/Medizinprodukte/form/
functions/formmp-node.html__nnn=true
Böckmann/Frankenberger/Will, a. a. O., Kap. 8.1, S. 5
BVerwG, Urt. v. 13. 12. 2003, NZS2004, 528, zum leihweisen Abgeben von Hilfsmitteln
wie Gehhilfen, Rollstühlen, Krankenbetten und Beatmungsgeräten an Patienten durch
eine Krankenkasse.
Böckmann/Frankenberger/Will, a. a. O., Kap. 8.1.2.3, S. 8
Böckmann/Frankenberger/Will, a. a. O., Kap. 9.3.3, S. 7
Böckmann/Frankenberger/Will, a. a. O., Kap. 9.3.3, S. 8
Anhalt/Dieners, Handbuch des Medizinprodukterechts § 11 Rn. 25.
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Kommt aufgrund von Fehlern bei der Anwendung von Medizinprodukten ein Patient zu
Schaden, stellt sich die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Bei Vorliegen der entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen kommt dabei im Einzelfall die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung oder fahrlässiger Körperverletzung in Betracht. Allerdings gibt es
im Strafrecht keine Beweiserleichterungen zu Lasten der Behandlungsseite. Vielmehr
muss zur Überzeugung des Strafgerichts feststehen, dass die Schädigung des Patienten auf
dem Fehler beruht.
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Medizinprodukterecht und Arzneimittelsicherheit
Anhalt/Dieners, a. a. O., § 2 Rn. 66
Anhalt/Dieners, a. a. O., § 2 Rnr. 66
Böckmann/Frankenberger/Hill, a. a. O., Kap. 9.0 S. 3; BR-Drs. 337/02, S. 16
Abschnitt 5.1.1 der MEDDEV 2.12–1
Siehe: Abschn. 5.1.1 MEDDEV 2.12–1
Ininger, Erfahrungsbericht des BfArM, Handout MedInform-Veranstaltung „Zwischen
Qualität und Wirtschaftlichkeit – Wiederverwendung von Medizinprodukten zum Einmal- und Mehrfachgebrauch“, 24. 10. 2007
Böckmann/Frankenberger/Will, a. a. O., Kap. 9.3, S. 11
Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, § 98 Rn. 15; in diesem Sinne
auch: Heil in: Anhalt/Dieners, a. a. O., § 22 Rn. 62 und 86
BGH, Urt. v. 9. 1. 1991, Vers R 1991, 467
Heil in: Anhalt/Dieners, a. a. O., § 22 Rn. 53 f.; dies trifft zumindest auf die bußgeldbewehrten Vorschriften zu.
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