12 2010 ifo Schnelldienst 63. Jg., 24.–26. KW, 29. Juni 2010 ifo Jahresversammlung Q 61. Jahresversammlung des ifo Instituts Paul Kirchhof, Joachim Poß, Wolfgang Wiegard Q Haushaltskonsolidierung und Steuerpolitik Daten und Prognosen Kai Carstensen, Wolfgang Nierhaus, Klaus Abberger, Christian Breuer, Teresa Buchen, Steffen Elstner, Christian Grimme, Steffen Henzel, Nikolay Hristov, Michael Kleemann, Johannes Mayr, Wolfgang Meister, Georg Paula, Anna Stangl, Klaus Wohlrabe und Timo Wollmershäuser Q ifo Konjunkturprognose 2010/2011: Auftriebskräfte verlagern sich nach Deutschland Im Blickpunkt Luise Röpke, Max März und Jana Lippelt Q Kurz zum Klima: Ölkatastrophe: Kein Ende in Sicht Erich Gluch Q ifo Architektenumfrage: Auftragsreserven weiter erhöht Klaus Abberger Q ifo Konjunkturtest Juni 2010 Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München ifo Schnelldienst ISSN 0018-974 X Herausgeber: ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V., Poschingerstraße 5, 81679 München, Postfach 86 04 60, 81631 München, Telefon (089) 92 24-0, Telefax (089) 98 53 69, E-Mail: [email protected]. Redaktion: Dr. Marga Jennewein. Redaktionskomitee: Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Werner Sinn, Dr. Christa Hainz, Annette Marquardt, Dr. Chang Woon Nam, Dr. Gernot Nerb, Dr. Wolfgang Ochel. Vertrieb: ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V. Erscheinungsweise: zweimal monatlich. Bezugspreis jährlich: Institutionen EUR 225,– Einzelpersonen EUR 96,– Studenten EUR 48,– Preis des Einzelheftes: EUR 10,– jeweils zuzüglich Versandkosten. Layout: Pro Design. Satz: ifo Institut für Wirtschaftsforschung. Druck: Majer & Finckh, Stockdorf. Nachdruck und sonstige Verbreitung (auch auszugsweise): nur mit Quellenangabe und gegen Einsendung eines Belegexemplars. ifo Schnelldienst 12/2010 ifo Jahresversammlung 2010 61. Jahresversammlung des ifo Instituts 3 Am 23. Juni 2010 fand die 61. Jahresversammlung des ifo Instituts in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) statt. Nach den Begrüßungsworten des Präsidenten der LMU, Bernd Huber, stellte ifo-Präsident Prof. Hans-Werner Sinn die neue ifo Konjunkturprognose vor. Insbesondere ging er auf den EuroRettungsschirm und die Auswirkungen der Brüsseler Beschlüsse vom 8. und 9. Mai auf die Euroländer ein. Im Anschluss daran hielt Martin Zeil, Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie, den Festvortrag zur Haushaltskonsolidierung und Steuerpolitik. Zum Abschluss der Veranstaltung diskutierten unter der Leitung von Gaby Dietzen Prof. Paul Kirchhof, Universität Heidelberg, Joachim Poß, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, Prof. HansWerner Sinn und Prof. Wolfgang Wiegard, Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Universität Regensburg, die Notwendigkeit einer Haushaltskonsolidierung und die Möglichkeit einer Steuerreform. Die Statements von Paul Kirchhof, Joachim Poß und Wolfgang Wiegard sowie die ifo Konjunkturprognose sind hier veröffentlicht. ifo Jahresversammlung im Internet: Links zu den Vorträgen 5 Statements von Paul Kirchhof, Joachim Poß, Wolfgang Wiegard 6 Daten und Prognosen ifo Konjunkturprognose 2010/2011: 12 Auftriebskräfte verlagern sich nach Deutschland Kai Carstensen, Wolfgang Nierhaus, Klaus Abberger, Christian Breuer, Teresa Buchen, Steffen Elstner, Christian Grimme, Steffen Henzel, Nikolay Hristov, Michael Kleemann, Johannes Mayr, Wolfgang Meister, Georg Paula, Anna Stangl, Klaus Wohlrabe und Timo Wollmershäuser Die Weltkonjunktur hat im laufenden Jahr weiter Tritt gefasst, unterstützt von expansiven Impulsen der Geldpolitik und der staatlichen Konjunkturprogramme. Nach Ländern und Regionen differenziert ist die Dynamik der Erholung allerdings recht unterschiedlich. So hat sich das vom ifo Institut erhobene Wirtschaftsklima vor allem in Asien kräftig verbessert. Auch in Nordamerika stieg der Indikator und liegt nun leicht über seinem langfristigen Durchschnitt. In Westeuropa dagegen blieb er nahezu unverändert und erreichte nicht seinen langjährigen Mittelwert. Die deutsche Wirtschaft ist indessen weiter auf Erholungskurs. Zwar wurde die Produktion im Winterhalbjahr 2009/10 durch Sonderfaktoren merklich gedämpft, vorlaufende Indikatoren wie das ifo Geschäftsklima zeigen jedoch, dass die konjunkturelle Grundtendenz der deutschen Wirtschaft nach wie vor aufwärts gerichtet ist. Getrieben wird die Erholung derzeit von den Exporten, befördert durch die Nachfrage insbesondere aus Asien. Die deutsche Wirtschaft, die aufgrund ihrer spezifischen Exportorientierung in besonderem Maße von der vorangegangenen Rezession betroffen war, profitiert nunmehr auch in besonderem Maße von der weltwirtschaftlichen Erholung. Für das Jahr 2010 ist mit einer Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um 2,1% zu rechnen. Im kommenden Jahr wird zudem die Binnenkonjunktur etwas an Fahrt gewinnen. Zwar schwenkt die Bundesregierung mit den Sparbeschlüssen der Klausurtagung vom 6. und 7. Juni 2010 auf einen Konsolidierungspfad ein, und die Konjunkturprogramme laufen aus, was für sich genommen dämpfend wirkt. Dem steht jedoch das positive Signal gegenüber, dass der deutsche Staat seine Haushalte im Einklang mit der Schuldenbremse zu sanieren beginnt. In einer Zeit großen Misstrauens gegenüber öffentlichen Schuld- nern dürfte dies einen expansiven Vertrauenseffekt auf die deutschen Konsumenten und Investoren haben, die zudem auch weiterhin von extrem niedrigen Zinsen profitieren werden. Insgesamt ist für das Jahr 2011 zu erwarten, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion um 1,5% zulegt. Die konjunkturelle Erholung wird auch auf den Arbeitsmarkt ausstrahlen. Im Durchschnitt dieses Jahres dürfte die Erwerbstätigenzahl um 80 000 steigen, im nächsten Jahr um 120 000. Die Zahl der Arbeitslosen wird dagegen 2010 und 2011 jeweils um 190 000 sinken. Das staatliche Budgetdefizit in Relation zum nominalen BIP beträgt im laufenden Jahr voraussichtlich 4,2%. Im nächsten Jahr wird es aufgrund der weiteren wirtschaftlichen Erholung und damit verbundenen günstigeren Lage auf dem Arbeitsmarkt auf 3,4% des BIP sinken. Zu dieser Entwicklung trägt auch das Konsolidierungsprogramm der Bundesregierung spürbar bei. Das strukturelle Defizit dürfte im Jahr 2010 etwa 3,5% betragen und auf 2,9% im Jahr 2011 sinken. Im Blickpunkt Kurz zum Klima: Kein Ende in Sicht Luise Röpke, Max März und Jana Lippelt 64 Millionen von Litern Erdöl strömen täglich aus dem Bohrloch der verunglückten Bohrinsel Deepwater Horizon in den Golf von Mexiko – und ein Ende ist nicht in Sicht. Die aktuelle Ölkatastrophe hat eine breite Diskussion über Risiko und Nutzen von Offshore-Bohrungen zur Gewinnung von Erdöl ausgelöst. Als besonders risikoreich gelten hierbei Tiefwasser- und Tiefstwasserbohrungen. Trotz der offensichtlichen Risiken und vielfach geäußerter Bedenken planen Unternehmen in vielen Regionen vermehrt die Exploration neuer Offshore-Ölfelder. Vor dem Hintergrund dieser Diskussion bietet der Beitrag einen Überblick über aktuelle Offshore-Bohrungen in ihrem geographischen, wirtschaftlichen und politischen Kontext. ifo Architektenumfrage: Auftragsreserven weiter erhöht Erich Gluch 67 Nach den Ergebnissen der vierteljährlichen Umfrage des ifo Instituts bei den freischaffenden Architekten hielt das freundliche Geschäftsklima zu Beginn des zweiten Quartals 2010 an. Die Befragungsteilnehmer beurteilten ihre aktuelle Geschäftslage etwas besser als im Vorquartal, die Geschäftserwartungen hingegen waren nicht ganz so zuversichtlich wie vor einem Vierteljahr. Während der Anteil der eher optimistisch eingestellten Architekten leicht zunahm, vergrößerte sich gleichzeitig der Anteil der eher skeptischen Antworten. Per saldo setzten die Architekten aber immer noch ungebrochenes Vertrauen in die Geschäftsentwicklung im Verlauf der nächsten sechs Monate. ifo Konjunkturtest Juni 2010 in Kürze Klaus Abberger 69 Das ifo Geschäftsklima für die gewerbliche Wirtschaft Deutschlands hat sich im Juni geringfügig verbessert. Die Unternehmen sind mit ihrer momentanen Geschäftssituation zufriedener. Die Geschäftsentwicklung im kommenden halben Jahr schätzen sie jedoch im zweiten Monat in Folge etwas weniger optimistisch ein. Dennoch sind die Unternehmen insgesamt weiterhin zuversichtlich. Der Konjunkturaufschwung in Deutschland setzt sich fort. Das ifo Beschäftigungsbarometer ist im Juni geringfügig gesunken, nachdem es zuvor acht Monate in Folge gestiegen war. Damit stabilisiert sich der Beschäftigungsindikator im befriedigenden Bereich. ifo Jahresversammlung 2010 3 Am 23. Juni 2010 fand die 61. Jahresversammlung des ifo Instituts in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität München statt. Während der Mitgliederversammlung am Vormittag berichtete Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts, über die Aktivitäten des Instituts im Jahr 2009. Zu Beginn seiner Präsentation erinnerte Sinn an herausragende Ereignisse im Jahr 2009: die Jubiläumsfeier 60 Jahre ifo Institut und den Beschluss der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz des Bundes und der Länder zur Umwandlung des ifo Instituts in eine Forschungseinrichtung zum 1. Januar 2010. Das ifo Institut, fuhr Sinn fort, habe auch 2009 seine hohe Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Der Umfang und die Qualität des wissenschaftlichen Outputs der ifoMitarbeiter seien beachtlich: Im Jahr 2009 seien 58 Artikel von international anerkannten referierten Fachzeitschriften veröffentlicht worden. Der größte Teil dieser Aufsätze wurde von angesehenen Fachzeitschriften angenommen, die im Social Science Citation Index (SSCI) gelistet sind. Nicht nur die Zahl der Artikel sei bemerkenswert, sondern vor allem auch das wissenschaftliche Niveau der Zeitschriften, in denen sie erschienen. So sei es einem ifo-Wissenschaftler gelungen, einen Aufsatz in einer der fünf weltweit führenden Fachzeitschriften auf dem Gebiet der Volkswirtschaftslehre zu publizieren (Prof. Dr. Ludger Wößmann zusammen mit ifo-Forschungsprofessor und Ex-CES-Mitarbeiter Sascha O. Becker mit dem Aufsatz »Was Weber Wrong? A Human Capital Theory of Protestant Economic History« im Quarterly Economic Journal). Des Weiteren seien 108 Vorträge auf internationalen wissenschaftlichen Fachkonferenzen mit Auswahlverfahren zu verbuchen. Im Jahr 2009 konnte auch das Projekt »How to Construct Europe« erfolgreich abgeschlossen werden. Dies war das erste Projekt, das ifo im wettbewerblichen »SAW-Verfahren«, das Bund und Länder 2006 eingeführt hatten, eingeworben hatte. In dieses sehr umfassende Projekt waren nahezu alle Forschungsbereiche des ifo Instituts eingebunden. In fünf Arbeitsgruppen, die aus Wissenschaftlern des ifo Instituts und des CESifo-Netzwerks zusammengesetzt waren, sind über 40 Forschungsaufsätze und drei Buchveröffentlichungen realisiert worden. Die Ergebnisse werden in einem Sammelband veröffentlicht. Sinn berichtete außerdem über Fortschritte bei der Besetzung der unbesetzten oder demnächst frei werdenden Bereichsleiterpositionen. Aufgrund der ausgezeichneten Erfahrungen mit der gemeinsamen Berufung von Bereichsleitern, die parallel zur Bereichsleitung einen Lehrstuhl an der LMU haben, sollen möglichst bis Ende 2010 alle Bereichsleiterpositionen auf diesem Wege besetzt werden. Im Anschluss legte Prof. Dr. Wilhelm Simson, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der E.ON AG und Vorsitzender des Kuratoriums und des Verwaltungsrats des ifo Instituts, den Jahresabschluss vor. Dieser wurde einstimmig beschlossen und der Vorstand einstimmig entlastet. Zum Abschluss der Mitgliederversammlung – nach der Wahl der Kuratoriums- und Verwaltungsratsmitglieder – wurde der Preis der Gesellschaft zur Förderung der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung (Freunde des ifo Instituts) e.V. verliehen. Er ging an Prof. Ludger Wößmann, Leiter des Bereichs Humankapital und Innovation. Wößmann wurde für seinen zusammen mit ifo-Forschungs- 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 4 ifo Jahresversammlung professor Sascha Becker verfassten Aufsatz »Was Weber Wrong? A Human Capital Theory of Protestant Economic History«, der im Quarterly Journal of Economics, einer der fünf weltweit führenden Fachzeitschriften auf dem Gebiet der Volkswirtschaftslehre, erschienen ist, geehrt. Da sich Ludger Wößmann von Januar bis Juli 2010 im Forschungsfreisemester als National Fellow an der Hoover Institution, Stanford University, aufhält, nahm Oliver Falck den Preis stellvertretend entgegen. Die Preisverleihung wurde durch Prof. Dr. h.c. Roland Berger, Vorsitzender der Gesellschaft der Freunde, Prof. Dr. Heinrich W. Ursprung, stellvertretender Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats, und Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts, vorgenommen. Der Preis des ifo Instituts für besondere Erfolge im Management von Drittmittelprojekten ging an an zwei Projektteams: Ludger Wößmann, Oliver Falck, Nina Czernich und Anita Fichtl für die Bearbeitung des Projekts »IKT – Infrastruktur und wissensbasiertes volkswirtschaftliches Wachstum« und an HansGünther Vieweg, Herbert Hofmann und Michael Reinhard für die Bearbeitung von Studien zur Wettbewerbsfähigkeit europäischer Branchen für die Europäische Kommission, Generaldirektion Unternehmen, im Rahmen eines europäischen Konsortiums. Federführend hat das ifo Institut zwei der abgeschlossenen Studien verantwortet: eine Studie zur Wettbewerbsfähigkeit der Gasgeräteindustrie und eine Studie zur Wettbewerbsfähigkeit der Luftfahrzeugindustrie. Den Sonderpreis des ifo Instituts erhielt Erich Gluch für die Vertretung des ifo Instituts bei Euroconstruct. Zu Beginn des öffentlichen Teils der ifo Jahresversammlung begrüßte Prof. Bernd Huber, Präsident der LMU, die zahlreich erschienenen Gäste, darunter viele Vertreter von Mitgliedsfirmen des ifo Instituts und von Landes- und Bundesministerien. Am Anschluss stellte ifo-Präsident HansWerner Sinn die neue ifo Konjunkturprognose vor. Dabei ging er insbesondere auf die Krise der europäischen Staaten und die darauf folgenden strukturellen Entwicklungstendenzen ein. Der Tiefpunkt der Krise vom Februar 2009 sei überwunden, seither ziehe die Industrieproduktion wieder an. Auch eine Kreditklemme sei in Deutschland nicht wahrnehmbar, im Gegenteil. Das Kapital, das vorher nach Amerika oder Griechenland geflossen sei, »traue sich nicht mehr«, denn dort seien die Risiken zu groß geworden. Die Banken bieten dieses Kapital jetzt verstärkt im Inland an, und dieser Umlenkungseffekt sei stärker als die Kreditklemme. Mittelfristig sei in Deutschland mit einem Bauboom zu rechnen. Jetzt dürfe man diese Entwicklung nicht durch schlecht konstruierte Rettungspakete verhindern, z.B. durch ein Nachfolgeabkommen zum Gewährleistungsgesetz der Europäischen Union. Dies würde wieder zu einer Zinskonvergenz führen, und diese Prognose sei dann Makulatur. Europa brauche ein glaubhaftes Insolvenzverfahren mit einem »Haircut«und erst daran anschließend Hilfspakte. Dieses Jahr konnte Martin Zeil, Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie, als Festredner gewonnen werden. Er setzte sich mit der Haushaltskonsolidierung und der Steuerpolitik auseinander. Zu Beginn seines Vortrags betonte Zeil die Notwendigkeit, finanzpolitische Disziplin in ganz Europa durchzusetzen und das Abdriften Europas in eine Transferunion zu verhindern. Die Haushaltskonsolidierung habe höchste Priorität und sollte bei der Ausgabenseite beginnen. Die zweite Aufgabe, vor der Deutschland jetzt stehe, sei die Schaffung der Grundlagen für ein nachhalti- ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang ifo Jahresversammlung ges Wachstum. Und drittens, müsse das Steuersystem transparenter und gerechter gestaltet werden. Der Vortrag leitete zu einem weiteren Höhepunkt und zugleich dem Abschluss der Veranstaltung – zur hochrangig besetzten Podiumsdiskussion zum Thema »Haushaltskonsolidierung und Steuerpolitik«. Unter der Leitung von Gaby Dietzen diskutierten Prof. Paul Kirchhof, Universität Heidelberg, Joachim Poß, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, Prof. Hans-Werner Sinn und Prof. Wolfgang Wiegard, Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die Notwendigkeit einer Haushaltskonsolidierung und die Möglichkeit einer Steuerreform. Die Statements von Paul Kirchhof, Joachim Poß und Wolfgang Wiegard sowie die ifo Konjunkturprognose sind hier im Anschluss veröffentlicht. ifo Jahresversammlung 2010 im Internet Alle Vorträge, die bei der ifo Jahresversammlung präsentiert wurden, und auch die Beiträge der Podiumsdiskussion sind auf unserer Website als Videomitschnitte vollständig dokumentiert. Öffentlicher Teil der 61. ifo Jahresversammlung Haushaltskonsolidierung und Steuerpolitik Grußwort Prof. Dr. Bernd Huber Päsident der Ludwig-Maximilians-Universität Videomitschnitt unter: mms://video.vwl.lmu.de/video/video-JV_2010_huber.wmv Europa in der Krise Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Werner Sinn Präsident des ifo Instituts Videomitschnitt unter: mms://video.vwl.lmu.de/video/video-JV_2010_sinn.wmv Haushaltskonsolidierung und Steuerpolitik Martin Zeil Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie Videomitschnitt unter: mms://video.vwl.lmu.de/video/video-JV_2010_zeil.wmv Expertengespräch: »Haushaltskonsolidierung und Steuerpolitik« Prof. Dr. Paul Kirchhof Universität Heidelberg Joachim Poß MdB, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Werner Sinn Präsident des ifo Instituts Prof. Dr. Wolfgang Wiegard Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Universität Regensburg Moderation: Gaby Dietzen Videomitschnitt unter: mms://video.vwl.lmu.de/tv-100624pho.wmv 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 5 Haushaltskonsolidierung und Steuerpolitik Expertengespräch 6 duziert er am Bedarf der Nachfrager vorbei, trägt er den daraus erwachsenden Schaden. 4. Geld ist geprägte Freiheit, Schuld führt in Abhängigkeit. II. Das Staats- und das Völkerrecht sichern den Staaten ihren Bestand. Eine Finanzkrise des Staates führt deshalb nicht in die Insolvenz, sondern in die Resolvenz. Der wirtschaftlich gescheiterte Staat scheidet nicht nach dem Prinzip der »schöpferischen Zerstörung« aus der Staatengemeinschaft aus, sondern erneuert sich aus der Kraft seines demokratischen Volkes, seiner Wirtschaftsbeziehungen, seiner Selbstbescheidung. Die Verschiedenheit der Staaten ist Bedingung und Folge ihrer Autonomie. Paul Kirchhof* Die Bestandsgarantie für einen Staat fordert vor allem eine Krisenvorsorge, sucht ein Resolvenzverfahren mit aller Macht zu vermeiden. I. Die gegenwärtige Finanzkrise in Europa fordert ein grundsätzliches Überdenken der Staatsverschuldung und auch der Verschuldensbereitschaft privater Unternehmen. Bürger und Unternehmer erwarten vom Staat immer mehr Recht und Geld, veranlassen deren Wertminderung durch Inflation, drängen den Staat in die Verschuldung. Die bisherigen Rechtfertigungsgründe für eine Staatsverschuldung überzeugen nicht: 1. Wenn gesagt wird, Investitionen der Gegenwart begünstigten auch die nachfolgende Generation, müssten deshalb von dieser über die Staatsverschuldung mit finanziert werden, so widerspricht diese Wertung dem Grundverständnis von Erbrecht und »Generationenvertrag«. Die Elterngeneration investiert, weil es ihr richtig und nützlich erscheint. Sie vererbt das, was sie erworben hat, unentgeltlich an die nächste Generation. 2. Der Hinweis, eine Konjunkturschwäche der Gegenwart müsse durch eine schuldenfinanzierte Belebung überwunden werden, ist engräumig gedacht. Die aus der Verschuldung erwachsene Zins- und Tilgungslast beschwert mittel- und langfristig das Staatsbudget und damit die Möglichkeiten der Konjunktursteuerung. Stünden die im Bundeshaushalt veranschlagten 41 Mrd. € Zinsdienst heute für Investitions- und Infrastrukturprogramme zur Verfügung, böte sich eine glanzvolle Chance gestaltender Struktur- und Wirtschaftspolitik. Doch die in der Vergangenheit angehäufte Schuldenlast verengt die Handlungsräume des politisch gestaltenden Staates und der freiheitlich handelnden Bürger. 3. Die These, das Konsumverhalten der Menschen müsse sich den Produktionskapazitäten anpassen, verkehrt die Idee der Freiheit in ihr Gegenteil. Der Unternehmer rechtfertigt seinen Umsatz und Gewinn, weil er die Bedürfnisse der Konsumenten entdeckt und befriedigt hat. Pro- * Prof. Dr. Paul Kirchhof lehrt an der Universität Heidelberg. ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang 1. Am Entstehen einer Schuld sind der Kreditgeber und der Kreditnehmer beteiligt. Kann der Schuldner seine Schulden nicht mehr erfüllen, trägt grundsätzlich der Gläubiger die Lasten des Forderungsausfalls, wird dadurch vor einer leichtfertigen Vergabe von Krediten bewahrt. Ein Verfahren der Resolvenzvorsorge sollte diesen Tatbestand rechtlich verstärken, vielleicht auch quotenmäßig begrenzen und zeitlich dehnen, um Aufgeregtheiten des Finanzmarktes entgegenzuwirken. 2. Innerhalb eines Staates wirkt die Staatsverschuldung heute als fast unmerkliche Last, weil sie die Zins- und Rückzahlungspflichten auf die nächste Generation verlagert. Sie muss zu einer gegenwärtig spürbaren Last werden. Deswegen sollte erwogen werden, mit jeder Erhöhung der Staatsschulden um ein Prozent alle Staatsleistungen – Industriesubventionen, Beamtengehälter, Sozialhilfe – um einen Prozent zu senken. So erlebt jeder, dass die Staatsverschuldung Lasten begründet. Es entsteht eine Staatsgemeinschaft, die aus der Staatsschuld flieht. 3. Die gegenwärtigen »Rettungsschirme« begünstigen in erster Linie Kapitalgeber und private Unternehmen, fördern aber bei den mitbegünstigten Staaten auch die Vorstellung, eine überhöhte Staatsverschuldung sei risikolos und lasse sich in ihren Belastungswirkungen auf andere Staaten – die Gemeinschaft des Euro – überwälzen. Der »Rettungsschirm« stellt wenige Unternehmen ins Trockene, lässt andere Branchen und Konkurrenten im Regen stehen, bringt Steuerzahler der Gegenwart und Zukunft in die Traufe. Er gefährdet Recht und Gerechtigkeit des »Generationenvertrages«. Soweit ein solcher Schirm gegen geltendes Recht verstößt, stellt er auch den Stabilitätsfaktor des unverbrüchlichen und unausweichlichen Rechts in Frage. III. Wenn der Finanzmarkt Hilfe vom Staat erwartet, sollte diese allenfalls auf Gegenseitigkeit geleistet werden. Der ifo Jahresversammlung Staat versucht ein sanierungsfähiges Unternehmen oder einen Staat zu retten, erwartet dann aber von den begünstigten Unternehmen entsprechende Leistungen zur Sanierung seines Haushalts. Diese Leistungen können in Forderungsverzicht (Zinsen, Tilgung), beim produzierenden Unternehmen in Sachleistungen, aber auch in einer Steuer zur Krisenfinanzierung liegen. Bei einem ökonomischen Gesamtvergleich der Wirkungen der Krise für die einzelnen Staaten darf nicht nur auf Außenhandelsüberschüsse geblickt werden. Vielmehr muss auch berücksichtigt werden, inwieweit Inlandsersparnisse über die Banken exportiert worden sind, damit die Inlandsinvestition verringert, die Auslandsinvestition belebt worden ist. IV. Das Steuerrecht ist so zu reformieren, dass die Unternehmen entwöhnt werden, Risiken auf den Staatshaushalt zu übertragen und Gewinne zu Lasten des Staatshaushaltes zu machen. Das Recht der direkten Steuern sollte auf alle entlastenden Anreiz-, Privilegien- und Besitzstandstatbestände verzichten. Die staatliche Investitions- und sonstige Geldflusssteuerung durch Steuern ist systematisch fragwürdig. Ihr fehlt das Freiheitsvertrauen in Selbstbestimmungskraft und Verantwortlichkeit der Menschen. Ihre Belastungsfolgen für den Staatshaushalt sind in den jährlichen Budgetberatungen nicht erkennbar. Steuervergünstigungen im Rahmen einer progressiven Steuer gewähren wachsende Gunst mit wachsendem Einkommen. Viele Steuersubventionen des Bundesgesetzes belasten Landes- und Gemeindehaushalte, begünstigen also zu Lasten fremder Kassen. Die Frage des Steuertarifes tritt demgegenüber zurück. Das Grundgesetz beantwortet eine große Krise (1945 bis 1949) durch das Prinzip der Freiheit. Jeder Mensch wird im elementaren Wiederaufbau unter extrem ungünstigen Umständen auf die Kraft seiner Hände und seines Berufes zurückgeworfen. Das Ergebnis ist als »Wirtschaftswunder«bekannt. In der heutigen Krise hingegen richten sich alle Sanierungsfantasien auf den Griff in den Staatshaushalt. Hier ist ein elementares Umdenken geboten. V. Die Europäische Union ist ein Staatenverbund (BVerfGE 89, 155 [214f.] – Maastricht-Urteil), also eine besonders eng verbundene Gemeinschaft von Staaten, die in ihrer Stabilität auf die rechtliche und wirtschaftliche Kraft jedes Mitgliedstaates und seiner Haushaltsdisziplin setzt. Die Sanierungsansätze weisen deshalb auf den Staat. Die Europäische Union und insbesondere ihre Kommission drängen seit der Gründung 1957 auf Kompetenzzuwachs. Soweit Sanierungskonzepte eine staatenübergreifende Kompetenz fordern, müsste dieser Kompetenzzuwachs für die Union mit einer Regel verbunden werden, die ein Scheitern des Sanierungskonzeptes mit Kompetenzverlusten der Union verbindet. Joachim Poß* Wider steuerpolitische Illusionen – Wir haben jetzt andere Probleme, als massiv Steuern zu senken Es wird keine »Große Steuerreform« geben Unmittelbar nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hat die Bundeskanzlerin Angela Merkel den Steuersenkungsvorstellungen der FDP und anderer in der Regierungskoalition eine klare Absage erteilt. Auch entsprechende Umfragen in der Bevölkerung zeigen, dass weitreichende Steuersenkungen offensichtlich zumindest aus der aktuellen Zeit gefallen sind. In der laufenden Legislaturperiode wird es die im Bundestagswahlkampf und danach von CDU, CSU und FDP versprochene »Große Steuer(-entlastungs-)reform« nicht mehr geben. Daran werden auch aktuell etwas günstigere Einschätzungen der Haushaltsentwicklung nichts ändern. Meldungen aus dem Regierungslager, mit wenigen Milliarden Euro ließen sich »mittelschicht-freundlichere« Einkommensteuertarife basteln, halte ich für reine Gesichtswahrungsversuche. Womit im Bereich der Einkommensteuer noch zu rechnen sein wird, ist, dass die Bundesregierung, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, unter der Überschrift »Steuervereinfachung« initiativ werden wird. Dabei wird sich die Koalition die von Länderseite im Mai gemachten Vorschläge zum Thema in irgendeiner Weise zu Eigen machen. Interessant ist übrigens, was der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Jahresgutachten 2008/09 über Steuervereinfachung sagt: »Das deutsche Steuersystem ist immer komplizierter geworden. Zum Teil ist das unvermeidbar. In einer immer komplexer werdenden Welt wird auch die Ermittlung »richtiger« Bemessungsgrundlagen immer komplizierter. Die propagierten »Bierde- * Joachim Poß, MdB, ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 7 8 ifo Jahresversammlung ckelreformen« eignen sich für das Feuilleton, aber nicht für die steuerpolitische Praxis.« (Textzeichen 393). Aber niemand braucht sich sorgen – die Welt wird sich nicht ändern: Steuersenkungswünsche und -forderungen sind ewig und sie werden folglich auch wieder politisches Programm werden. Und auch weiterhin werden gut meinende Professoren optimale oder zumindest perfekte Steuerkonzepte basteln und sich davon Wunderdinge in punkto Gerechtigkeit und Wachstumsstärkung versprechen. Interessenvertreter werden auch in Zukunft spezielle und allgemeine Steuersenkungsbedarfe konstruieren; und Politiker werden positiv darauf eingehen. Haushaltskonsolidierung hat Priorität Verantwortliche Finanzpolitik aber hat sich vielmehr beständig zu fragen: Welche Politik, welche Maßnahmen und Reformen haben in einer bestimmten Situation Priorität – und welche Maßnahmen und Reformen sind demgegenüber eher Aufgaben für die weitere Zukunft? Von daher war Merkels Absage an die angekündigte »Große Steuerreform« in der Abwägung der verschiedenen tatsächlichen und vermeintlichen Erfordernisse völlig richtig – sie kam nur viel zu spät. Wohl niemand bestreitet, dass die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte das Gebot nicht nur der Stunde – gemeint ist z.B. die aktuell zu bewerkstelligende Aufstellung des Bundeshaushalts 2011 –, sondern das Gebot der nächsten Jahre ist. Dabei greift man zu kurz, wenn man nur auf den Bundeshaushalt mit seiner als Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise der letzten beiden Jahre auf historische Höhen angewachsenen Verschuldung blickt. Auch die meisten Länder nähern sich aufgrund ihrer fiskalischen Lage der politischen Unbeweglichkeit. Und die Städte und Gemeinden bedürfen sogar dringend eines Sofortprogramms von Bund und Ländern zur Verbesserung ihrer Finanzsituation, weil schon jetzt an vielen Orten der Republik die Erfüllung der Kommunalaufgaben spürbar zurückgeführt worden ist. Steuersenkungen sind nicht kostenlos Natürlich besteht – grundsätzlich und akademisch betrachtet – zwischen Haushaltskonsolidierung und Steuersenkung kein zwingender Widerspruch. Aber die Defizitprobleme der öffentlichen Haushalte sind auf absehbare Zeit so groß, dass die notwendige Konsolidierung jetzt schon kaum zu leisten ist. Den Konsolidierungsumfang noch weiter mit dem Ziel aufzublähen, dass auch noch Spielraum für (Netto-)Steuerentlastungen entsteht, wäre m.E. geradezu grotesk angesichts der jetzt schon bestehenden Herausforderung. ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang Die Wirtschaftsforschungsinstitute formulieren in ihrem Frühjahrsgutachten vom April 2010: »Allerdings ist das Ziel der Haushaltskonsolidierung ohnehin schon schwer zu erreichen; daher ist es unrealistisch, derzeit Steuersenkungen zu erwägen, zumal nicht auf Selbstfinanzierung gesetzt werden kann.« (S. 72) Und eine Gemeinschaftsdiagnose vorher (Herbst 2009) lehnen die Wirtschaftsforscher explizit Steuersenkungen »auf Pump« ab: »Durch Kredite finanzierte Steuersenkungen würden sich auf Dauer als sehr teuer erweisen, da aufgrund des gestiegenen Schuldenstandes die Zinszahlungen zunehmen würden und womöglich die Zinsen steigen«. (S. 73). Ein echter »Dauerbrenner« in der politischen Debatte über Steuersenkungen ist die immer wieder mit großem Nachdruck vorgetragene Behauptung eines hohen Selbstfinanzierungsgrades. Nicht nur die Wirtschaftsforschungsinstitute sind davon nicht überzeugt; auch der Sachverständigenrat ist hier sehr zurückhaltend: »Steuersenkungen finanzieren sich, vorausgesetzt sie sind richtig konzipiert, über verbesserte Leistungsanreize und ein höheres Wachstum zu einem bestimmten Teil, aber unter normalen Bedingungen niemals vollständig selbst. Eine Deckung des verbleibenden Finanzierungsbedarfs durch eine höhere Kreditaufnahme verbietet sich nicht zuletzt auf Grund der Neuregelungen zur Schuldenbremse. Daher lässt die Einhaltung der Grundrechenarten keine andere Wahl: Zur vollständigen Gegenfinanzierung einer Steuersenkung müssen entweder Ausgaben gekürzt oder an anderer Stelle Steuern oder andere Abgaben erhöht werden.« (Jahresgutachten 2009/10; Textzeichen 282). Was kann ich dem hinzufügen? Hohe Selbstfinanzierungsgrade sind bestenfalls eine Illusion oder Selbsttäuschung; ihre Behauptung ist vermutlich in der Regel aus Partikularinteressen geboren. Steuersenkungen gibt es nicht zum Nulltarif; Steuersenkungen sind immer teuer, was verantwortliche Politik dazu zwingt, deren »Preis« gegen deren tatsächlichen oder vermeintlichen ökonomischen oder gesellschaftlichen Nutzen oder Ertrag abzuwägen. Steuersenkungen: ein Schlüssel zu (viel) mehr Wirtschaftswachstum und Beschäftigung? In den langen Jahren, die ich bereits als Finanzpolitiker unterwegs bin, durfte ich alle paar Jahre Wirtschaftsstandort-Debatten erleben, in denen neben der unvermeidlichen Forderung nach immer mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt auch immer wieder das Heil der deutschen Ökonomie in weiteren Steuer- und Abgabensenkungen gesehen worden ist. Ist der Zusammenhang wirklich so einfach und bedingungslos? Muss die Politik die Einkommensteuertarife und ifo Jahresversammlung die Unternehmenssteuerlast immer nur weiter absenken, damit Investitionen, Beschäftigung und ganz allgemein das Wirtschaftswachstum in Deutschland nur so sprießen? Wer die Selbstfinanzierungseffekte für begrenzt hält, kann auch das nicht für realistisch halten. Wird die Besteuerung in ihrer Bedeutung für private Konsum- oder Investitionsentscheidungen nicht vielleicht doch überschätzt? – zumindest in einem Land wie Deutschland mit traditionell hoher Sparquote und leider auch mittlerweile schon lang andauernder relativer Investitionsschwäche. Sind mit den letzten Unternehmenssteuerreformen, die mit erheblichen Nettoentlastungen verbunden waren, nicht bereits alle Register gezogen worden? Allgemeine Steuersenkungen mit der Gießkanne haben sich als Mittel zur Wachstumsförderung nach meiner Einschätzung und Erfahrung weitgehend erschöpft. Im Zuge der großen Wirtschaftskrise 2008/2009 hat die schwarz/rote Regierungskoalition auf Bundesebene mit hochvolumigen Stabilisierungspaketen alles versucht, um auch seitens des Staates die Einbrüche in Konjunktur und Beschäftigung zu begrenzen und dann auch zu überwinden. Zu diesen Paketen haben – um auch keine Option unausgenutzt zu lassen, und teilweise durch das Bundesverfassungsgericht auch rechtlich »erzwungen« – auch Einkommensteuerentlastungen in Milliardenhöhe gehört. Welche Elemente der insgesamt erfolgreichen und auch im laufenden Jahr noch wirkenden Konjunktur- und Beschäftigungsprogramme die wirksamsten waren, wird noch im nachhinein zu evaluieren sein. Was die bisherigen Steuerentlastungen der neuen Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP angeht, so hat der Sachverständigenrat schon ex ante geurteilt: »Zu der von den Koalitionsparteien erhofften »spürbaren Steigerung des wirtschaftlichen Wachstums« dürften diese Maßnahmen so gut wie nichts beitragen. Sie treiben aber den Konsolidierungsbedarf noch weiter in die Höhe.« (Jahresgutachten 2009/10; Textzeichen 294). Dieses Urteil wird nicht nur nach meiner Meinung auch ex post Bestand haben. Aber der Einkommensteuertarif ist nicht perfekt Eine immer wieder vorgebrachte Begründung für steuersenkende Tarifreformen bei der Einkommensteuer besteht darin, dass jetzt endlich die sog. »kalte Progression« zu beseitigen sei. Auch hier räumt der Sachverständigenrat mit den illusionären Vorstellungen auf: »Die Steuerpolitik hat dieser Verschlechterung (der Steuerpflichtigen-Position durch die »kalte Progression«) in der Vergangenheit allerdings durch diskretionäre Tarifanpassungen entgegengewirkt. Allein die im Rahmen der Konjunkturpakete (der Großen Koalition) und des Bürgerentlastungsgesetzes vorgenommenen Steuerentlastungen betragen ein Mehrfaches der Entlastungswirkungen, die in den nächsten Jahren bei gemäßigten Preissteigerungsraten … mit einem »Tarif auf Rädern« zu realisieren wären. Zu bedenken ist auch, dass gegenwärtig rund die Hälfte aller Haushalte überhaupt keine Einkommensteuer zahlt und von der kalten Progression deshalb nicht betroffen ist.« (Jahresgutachten 2009/10; Textzeichen 296). Mehr als deutlich ist auch das BMF in seinem »Monatsbericht Juni 2010« in einem Artikel, der über die Ergebnisse der aktuellen Ausgabe der OECD-Studie »Taxing Wages« berichtet: »Dies zeigt, dass die dem progressiven Steuertarif innewohnende Tendenz zur überproportionalen Belastungssteigerung bei Lohnzuwächsen (»kalte Progression«) durch die seit dem Jahr 2000 beschlossenen Steuer- und Abgabensenkungen mehr als aufgewogen wurde.« Ich kann daraus nur lesen, dass die »kalte Progression« zumindest derzeit eine Chimäre ist. Also was bleibt an Begründung für die Notwendigkeit weiterer Tarifentlastungen in der Einkommensteuer? – zumal der Tarif unter SPD-Bundesfinanzministern seit 1998 (allerdings in mehreren Stufen) massiv abgesenkt worden ist, was nur zu gerne von unseren politischen Gegnern und leider auch von den sonstigen öffentlichen Meinungsführern vergessen und manchmal auch bewusst verschwiegen wird. Der Eingangssteuersatz wurde von 25,9% auf 15% und der Spitzensteuersatz von 53% auf 42% (»ReichensteuerBalkon« dann erst ab der Großen Koalition) verringert. Auch die im internationalen Vergleich nicht überdurchschnittlichen Steuer- und Abgabenquoten machen weitere Steuersenkungen in Deutschland nicht zwingend. Die OECD-Studie, über die das BMF aktuell berichtet, konstatiert, dass fast alle deutschen Arbeitnehmer heute weniger Steuern und Abgaben zahlen als noch im Referenzjahr 2000. Das heißt – auch im Verständnis sozialdemokratischer Finanzexperten – allerdings nicht, dass der geltende Einkommensteuertarif keine Defizite und Fehler aufweist: Der von Theo Waigel 1997 eingeführte sog. »Mittelstandsbauch«, der bei niedrigen Einkommen zu einer stärker ansteigenden Belastung führt als bei höheren Einkommen in der oberen Progressionszone, widerspricht auch unseren Gerechtigkeitsvorstellungen. Und das Einkommen, ab dem der Spitzensteuersatz gilt, ist in der Tat stark gesunken – zwangsläufig dank der erheblichen Tarifabsenkungen seit 1998. Ich war immer der Auffassung, dass mindestens eine Abflachung des »Mittelstandsbauches« wünschenswert wäre – sofern die Lage der öffentlichen Haushalte das zulässt und/oder vernünftige Gegenfinanzierungen durchsetzbar sind. Das aber ist derzeitig eindeutig nicht der Fall. (Auch der Sachverständigenrat sieht im Jahresgutachten 2009/10 »zwar langfristigen Handlungsbedarf, aber in den kommenden Jahren keine zwingende Notwendigkeit für tarifbedingte Einkommensteuerentlastungen« – Textzeichen 294.). Derzeit haben wir – vielleicht leider – andere Probleme, die die Finanzpolitik lösen muss. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 9 10 ifo Jahresversammlung Wolfgang Wiegard* Der Sachverständigenrat hat schon in seinem Jahresgutachten 2009/10 darauf hingewiesen, dass die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte die wichtigste Aufgabe der Finanzpolitik in dieser und auch der nächsten Legislaturperiode sein wird. Bedingt durch die wirtschaftspolitischen Eingriffe in der Wirtschaftskrise ist es zu einer erheblichen Ausweitung der staatlichen Neuverschuldung und der Schuldenstände gekommen. Die Kreditfinanzierung von in der Krise erhöhten staatlichen Ausgaben oder reduzierten Steuern war richtig und notwendig. Sie hat zur Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage beigetragen und damit Schlimmeres verhindert. Aber eine zunehmende Staatsverschuldung darf nicht zum Dauerzustand werden. Sonst geraten wir von der Finanzkrise geradewegs in eine Schuldenkrise. Weltweit auf Werte von weit über 100% ansteigende Schuldenstandsquoten würden zu einem Anstieg der langfristigen Zinsen, einem Rückgang der Investitionen und einem geringeren Potenzialwachstum führen. Steigende Zinsausgaben begrenzen die Spielräume in den öffentlichen Haushalten für Sozialleistungen oder wachstumsfördernde öffentliche Infrastrukturinvestitionen. Schließlich bewirken hohe Schuldenstandsquoten eine massive intergenerative Umverteilung zu Lasten zukünftiger Generationen. Diese ökonomischen Wirkungen sprechen schon für sich genommen dafür, die staatliche Neuverschuldung zu begrenzen. Zum Glück kommt hinzu, dass die im Jahr 2009 ins Grundgesetz aufgenommene »Schuldenbremse« zu einer Rückführung der strukturellen staatlichen Finanzierungsdefizite zwingt. Bis zum Jahr 2016 muss der Bund seine strukturelle Neuverschuldung bis auf 0,35% des Bruttoinlandsprodukts reduzieren – das dürften kaum mehr als 10 Mrd. € sein. Die Bundesländer dürfen sich ab 2020 strukturell überhaupt nicht mehr verschulden. Die Einhaltung der grundgesetzlichen Regelungen zur Schuldenbremse erzwingt enorme Konsolidierungsbemühungen in den nächsten Jahren, allein beim Bund zwischen 2011 und 2016 insgesamt über 40 Mrd. €. * Prof. Dr. Wolfgang Wiegard ist Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und lehrt an der Universität Regensburg. ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang Die Bundesregierung hat lange offen gelassen, wie sie diese gewaltige Konsolidierungsaufgabe bewältigen will. Tatsächlich hat sie im Koalitionsvertrag noch Steuersenkungen vereinbart. Haushaltskonsolidierung und Steuersenkungen schließen sich logisch nicht aus. Nur: Wenn man die Steuern senkt, wird der Konsolidierungsbedarf halt noch größer. Wer glaubt, dass sich Steuersenkungen über verbesserte Anreize und ein höheres Wachstum weit gehend oder gar vollständig selbst finanzieren, befindet sich auf dem Holzweg. Insofern ist es zu begrüßen, dass die Bundeskanzlerin die Steuersenkungsfantasien der beiden kleineren Koalitionsparteien beendet hat und die Bundesregierung Anfang Mai endlich ein Sparpaket vorgelegt hat, das Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen im Umfang von nicht ganz 27 Mrd. € zwischen 2011 und 2014 vorsieht. Mit diesem Paket ist die Haushaltskonsolidierung beim Bund keineswegs abgeschlossen. Unter Einschluss der für 2014 im Sparpaket angesetzten globalen Minderausgabe von 5,6 Mrd. € verbleibt in 2015 und 2016 ein unabweisbarer Konsolidierungsbedarf im Bundeshaushalt von über 15 Mrd. €. Aus meiner Sicht fällt die Bewertung der jetzt beschlossenen Konsolidierungsmaßnahmen insgesamt positiv aus. Zwar ist es richtig, dass die steuerlichen Mehreinnahmen aus Steuern resultieren – einer Brennelementesteuer, einer Luftverkehrsabgabe und einer Steuer auf Finanzinstitute –, die es allesamt noch gar nicht gibt und deren Einführung auch keineswegs gesichert ist. Und es trifft auch zu, dass die angesetzten Mehreinnahmen etwa aufgrund von Effizienzverbesserungen bei der Arbeitsmarktvermittlung wenig konkret sind. Gemessen allerdings an der früheren Untätigkeit der Bundesregierung und den im Koalitionsvertrag enthaltenen Steuersenkungsplänen stellt das Sparpaket doch einen erheblichen Fortschritt dar. Jedenfalls ist die Bundesregierung jetzt endlich in der Realität angekommen und stellt sich der gewaltigen Konsolidierungsaufgabe. Dass die Opposition und die von den Ausgabekürzungen Betroffenen das Paket als unsozial brandmarken, kann nicht überraschen. Sicherlich hätte man den Abbau von Steuervergünstigungen entschlossener angehen können. Nach dem Ergebnis der Landtagswahlen in NRW wäre für eine Streichung der Steuerfreiheit der Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit gemäß § 3b EStG oder vergleichbare Maßnahmen im Bundesrat aber sowieso keine Mehrheit mehr zustande gekommen. Wie geht es weiter in der Steuerpolitik? In der Tat ist das deutsche Steuersystem reformbedürftig. Es ist kompliziert, es ist nicht entscheidungsneutral, und die Steuerbelastung – etwa auf eigenfinanzierte Investitionserträge – ist nach wie vor hoch. Für mit erheblichen Steuermindereinnahmen verbundene Reformen besteht in absehbarer Zeit allerdings kein finanzieller Spielraum. Es wäre auch falsch, die sich abzeichnenden konjunkturbedingten Mehreinnahmen oder ifo Jahresversammlung Minderausgaben – und erst recht die einmaligen Mehreinnahmen aus der Versteigerung der Mobilfunklizenzen – für dauerhafte Steuersenkungen verwenden zu wollen. Bei realistischer Betrachtung wird man sich in dieser Legislaturperiode von größeren steuerpolitischen Vorhaben wohl verabschieden müssen. In Betracht kommen allenfalls aufkommensneutrale Steuerreformen und »kleinere« Korrekturen am Steuersystem. Genannt wird immer wieder eine Vereinfachung des Steuerrechts, die ja nichts »kosten« müsse. Seit mehr als 30 Jahren oder länger gehören Forderungen nach Steuervereinfachung zum festen Bestandteil jeder Steuerreformdebatte. Ganz so einfach scheint eine Vereinfachung des Steuersystems aber nicht zu sein. Eine wirkliche Vereinfachung wurde in der Vergangenheit eigentlich nur dann erreicht, wenn einzelne Steuern abgeschafft wurden (wie die Gewerbekapitalsteuer) oder ihre Erhebung ausgesetzt wurde (wie die Vermögensteuer). Ansonsten ist das deutsche Steuersystem durch die Steuerreformen der letzten Jahre immer komplizierter geworden. Man denke nur an die mit der Unternehmensteuerreform eingeführte so genannte Thesaurierungsbegünstigung des § 34a EStG oder die Vorschriften zur Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach § 1 Abs. 3 AStG. Presseberichten zufolge waren die Finanzverwaltungen einzelner Bundesländer nicht in der Lage, die Regelungen des § 34a EStG in ihrer Software umzusetzen; die betroffenen Steuerpflichtigen wurden aufgefordert, die Steuerschuld selbst auszurechnen. Auch die Erbschaftsteuerreform und das Wachstumsbeschleunigungsgesetz haben zu einer weiteren Komplizierung des Steuerrechts beigetragen. Warum eigentlich soll bei der nächsten Steuerreform eine grundlegende Vereinfachung gelingen? Die in der Politik verbreitete Ankündigung einer Vereinfachung des Steuersystems hat angesichts der durch die letzten Steuerreformen bewirkten Komplizierungsschübe für mich deshalb eher etwas Bedrohliches. genkapitalverzinsung in Höhe des Abgeltungsteuersatzes ersetzt werden. Damit käme man sehr nahe an die vom Sachverständigenrat vorgeschlagene Duale Einkommensteuer heran. Dies wäre allerdings mit Steuermindereinnahmen im unteren zweistelligen Milliardenbereich verbunden. Derartige Steuerausfälle sind angesichts der angespannten Situation der öffentlichen Haushalte auf absehbare Zeit nicht zu verkraften. Steuerpolitisch wird man in dieser Legislaturperiode also nur »kleine Brötchen backen« können. Das ist zu bedauern, aber letztlich nur der ökonomische Preis für die im Kern richtigen wirtschaftspolitischen Interventionen in der Finanz- und Wirtschaftskrise. Eine materielle Vereinfachung des Steuerrechts erfordert die Realisierung von Besteuerungsneutralität bei den Finanzierungsentscheidungen, der Rechtsformwahl und den Investitionsentscheidungen. Die Gewährleistung eines höheren Grades von Besteuerungsneutralität durch Angleichung der Steuerbelastungen von Fremdkapital und Eigenkapital ist definitiv wünschenswert und notwendig, aber für den Fiskus kostspielig. Die Abgeltungsteuer wird man weder rückgängig machen noch den Steuersatz auf die betroffenen Kapitalerträge erhöhen können. Belastungsgleichheit der Finanzierungswege lässt sich dann nur über eine Reduzierung der Steuerbelastung eigenfinanzierter Investitionserträge herstellen, indem etwa bei Kapitalgesellschaften Dividenden und Veräußerungsgewinne steuerfrei gestellt werden. Ergänzend dazu könnte die unsystematische Begünstigung nicht entnommener Gewinne von Personenunternehmen durch eine begünstigte Besteuerung der Ei63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 11 ifo Konjunkturprognose 2010/2011: Auftriebskräfte verlagern sich nach Deutschland 12 K. Carstensen, W. Nierhaus, K. Abberger, C. Breuer, T. Buchen, S. Elstner, C. Grimme, S. Henzel, N. Hristov, M. Kleemann, J. Mayr, W. Meister, G. Paula, A. Stangl, K. Wohlrabe und T. Wollmershäuser Die Weltkonjunktur hat im laufenden Jahr weiter Tritt gefasst, unterstützt von expansiven Impulsen der Geldpolitik und der staatlichen Konjunkturprogramme. Nach Ländern und Regionen differenziert ist die Dynamik der Erholung allerdings recht unterschiedlich. So hat sich das vom ifo Institut erhobene Wirtschaftsklima vor allem in Asien kräftig verbessert. Auch in Nordamerika stieg der Indikator und liegt nun leicht über seinem langfristigen Durchschnitt. In Westeuropa dagegen blieb er nahezu unverändert und erreichte nicht seinen langjährigen Mittelwert. Die deutsche Wirtschaft ist indessen weiter auf Erholungskurs. Zwar wurde die Produktion im Winterhalbjahr 2009/10 durch Sonderfaktoren merklich gedämpft. vorlaufende Indikatoren wie das ifo Geschäftsklima zeigen jedoch, dass die konjunkturelle Grundtendenz der deutschen Wirtschaft nach wie vor aufwärts gerichtet ist. Im Juni hat es im verarbeitenden Gewerbe erstmals wieder seit dem Herbst des Jahres 2008 einen Überhang der Unternehmen gegeben, die eine positive Geschäftslage meldeten, nach einer langen Periode, in der die negativen Meldungen weitaus überwogen. Getrieben wird die Erholung derzeit von den Exporten, befördert durch die Nachfrage insbesondere aus Asien. Die deutsche Wirtschaft, die aufgrund ihrer spezifischen Exportorientierung in besonderem Maße von der vorangegangenen Rezession betroffen war, profitiert nunmehr auch in besonderem Maße von der weltwirtschaftlichen Erholung. Für das Jahr 2010 ist mit einer Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um 2,1% zu rechnen. Im kommenden Jahr wird zudem die Binnenkonjunktur etwas an Fahrt gewinnen. Zwar schwenkt die Bundesregierung mit den Sparbeschlüssen der Klausurtagung vom 6. und 7. Juni 2010 auf einen Konsolidierungspfad ein, und die Konjunkturprogramme laufen aus, was für sich genommen dämpfend wirkt. Dem steht jedoch das positive Signal gegenüber, dass der deutsche Staat seine Haushalte im Einklang mit der Schuldenbremse zu sanieren beginnt. In einer Zeit großen Misstrauens gegenüber öffentlichen Schuldnern dürfte dies einen expansiven Vertrauenseffekt auf die deutschen Konsumenten und Investoren haben, die zudem auch weiterhin von extrem niedrigen Zinsen profitieren werden. Insgesamt ist für das Jahr 2011 zu erwarten, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion um 1,5% zulegt. 1. Überblick Die Weltkonjunktur hat im laufenden Jahr weiter Tritt gefasst. Nach Ländern und Regionen differenziert ist die Dynamik der Erholung allerdings recht unterschiedAbb. 1.1 Weltkonjunktur und ifo Weltwirtschaftsklima 8,0 % Veränderung gegenüber Vorjahr Index 2005 = 100 140 reales BIP (linke Skala) ifo Weltwirtschaftsklimaa) 6,0 120 (rechte Skala) 4,0 100 4,9 4,8 2,0 3,7 4,0 3,6 2,6 2,3 2,9 4,5 5,1 5,2 4,1 3,6 3,0 3,5 0,0 80 60 -0,6 -2,0 40 96 97 98 99 00 01 02 a) 03 04 05 06 07 08 09 10 11 Arithmetisches Mittel der Bewertung der gegenwärtigen Lage und der erwarteten Entwicklung. Quelle: IWF, World Economic Outlook Database April 2010; 2010 und 2011 Prognosen des ifo Instituts; Ifo World Economic Survey (WES) II/2010. ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang lich. Nach wie vor gehen expansive Impulse von der Geldpolitik der Zentralbanken aus. In vielen Ländern wirken Konjunkturprogramme. Zudem stützt der Lagerzyklus. Der Welthandel expandiert inzwischen wieder recht beachtlich. Das vom ifo Institut erhobene Weltwirtschaftsklima hat sich im zweiten Quartal 2010 weiter verbessert (vgl. Abb. 1.1). Weltweit schätzen die befragten Experten die derzeitige Wirtschaftslage weniger ungünstig ein als zu Beginn des Jahres;. für die zweite Jahreshälfte bleiben die Befragungsteilnehmer zuversichtlich (vgl. Abb. 1.2). Das Wirtschaftsklima hat sich erneut vor allem in Asien kräftig verbessert. Auch in Nordamerika stieg der Indikator und liegt nun leicht über seinem langfristigen Durchschnitt. In Westeuropa dagegen blieb er nahezu unverändert und erreich- Daten und Prognosen Abb. 1.2 ifo Weltwirtschaftsklima gut/ besser Erwartungen für die nächsten 6 Monate zufriedenstellend/ gleichbleibend Beurteilung der gegenwärtigen Lage schlecht/ schlechter 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 Quelle: Ifo World Economic Survey (WES) II/2010. te nicht seinen langjährigen Mittelwert. Die Befragungsteilnehmer stufen die aktuelle Situation der Volkswirtschaften weltweit als weniger schlecht ein als bisher. Allerdings wird außerhalb Asiens die Wirtschaftslage weiterhin als ungünstig beurteilt. Die Erwartungen für die kommenden sechs Monate sind in allen Regionen nach oben gerichtet, jedoch nicht mehr ganz so stark wie im Vorquartal. In den USA hat sich der Aufschwung, der im dritten Quartal 2009 begann, fortgesetzt. Die gesamtwirtschaftliche Produktion nahm im ersten Vierteljahr 2010 saisonbereinigt weiter zu, wenngleich mit 3,0% (laufende Jahresrate) etwas weniger kräftig als im vorausgegangenen Quartal (5,6%). Positive Wachstumsbeiträge lieferten bei reduzierter Sparquote der private Konsum, die Investitionen in Ausrüstungen und Lager sowie die Exporte. Stärker noch als die Exporte stiegen die Importe, der Wachstumsbeitrag des Außenhandels war negativ. Die Beschäftigung ist von Januar bis Mai um 970 000 Personen gestiegen. Die Arbeitslosenquote ist im Mai saisonbereinigt auf 9,7% zurückgegangen. Das Verbraucherpreisniveau hat im Gefolge rückläufiger Energiepreise saisonbereinigt zuletzt nachgegeben; der Vorjahresstand wurde dennoch um 2,0% übertroffen. Bei alledem beließ die Fed den Leitzins unverändert bei nahe 0%. Auch in Japan hat sich die Konjunktur weiter gebessert. Die gesamtwirtschaftliche Produktion nahm im ersten Vierteljahr 2010 saisonbereinigt mit einer laufenden Jahresrate von 4,9% beschleunigt zu. Der Motor der Entwicklung war die schwungvolle Auslandsnachfrage, der Außenhandel steuerte allein 3,4 Prozentpunkte (annualisiert) zum BIP-Wachstum bei. In China ist das reale Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal um 11,9% gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen. Haupttriebkraft war die Industrie, die ihre Produktion um 14,5% steigern konnte. Der Preisauftrieb auf der Verbraucherstufe hat sich aufgrund der kräftigen Teuerung bei Nahrungsmitteln deutlich beschleunigt, im Mai belief sich die Inflationsrate auf 3,1%. Im Euroraum ist die gesamtwirtschaftliche Produktion im ersten Quartal 2010 saisonbereinigt leicht gestiegen. Nach ersten Schätzungen von Eurostat belief sich die Zunahme auf 0,8% (laufende Jahresrate). Hierzu trug die Wertschöpfung in der Industrie beträchtlich bei; dagegen war die Bauproduktion von strengem Winterwetter betroffen. Die Arbeitslosenquote lag saisonbereinigt im April bei rund 10%. Die Inflationsrate, gemessen an der Veränderung des harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI), hat sich im bisherigen Jahresverlauf aufgrund der Teuerung bei Energie und Nahrungsmitteln erhöht; im Mai betrug sie 1,6%. Die Kerninflationsrate lag dagegen nur bei 0,9%. Die Europäische Zentralbank (EZB) beließ den Leitzins bei 1,0%. Darüber hinaus beschloss sie, den Spannungen an den Finanzmärkten durch gezielte Käufe öffentlicher und privater Schuldverschreibungen auf dem Sekundärmarkt zu begegnen. Die im Rahmen des Ankaufsprogramms geschaffene Liquidität soll durch gezielte Absorptionsoperationen wieder abgeschöpft werden. Zudem wurden die Mindestrating-Anforderungen für von der griechischen Regierung begebene oder garantierte Schuldtitel bis auf Weiteres ausgesetzt. In Deutschland ist die gesamtwirtschaftliche Produktion im ersten Quartal 2009 ebenfalls leicht gestiegen. Ersten Berechnungen des Statistischen Bundesamts zufolge nahm das reale Bruttoinlandsprodukt saisonbereinigt gegenüber dem Vorquartal mit einer Rate von 0,2% zu. Im Vorjahresvergleich ergab sich erstmals nach fünf Quartalen wieder eine positive Rate in Höhe von 1,7%. Gleichwohl wurde das Niveau der gesamtwirtschaftlichen Produktion vor Beginn der Rezession noch um 4,4% unterschritten. Auch die Auslastung der Produktionskapazitäten liegt – gemessen an der Kapazitätsauslastung im verarbeitenden Gewerbe – um nur noch 31/2 Prozentpunkte unter dem langjährigen Durchschnitt. Im Zuge der griechischen Schuldenkrise gerieten die internationalen Finanzmärkte wieder in schwere Turbulenzen. Die stark verschlechterte Haushalts- und Wirtschaftslage Griechenlands führte im Mai zu einem massiven Vertrauensverlust; von der Krise sind inzwischen auch andere Mitgliedsstaaten des Euroraums mit hoher Verschuldung erfasst worden. In diesen Ländern brachen die Kurse von Staatsschuldtiteln ein und auch der Außenwert des Euro sank spürbar. Mit den zwischenzeitlich von den Finanzministern beschlossenen Stützungsmaßnahmen für Griechenland und der Schaffung eines Europäischen Stabilisierungsmechanismus (beides ergänzt um strikte Auflagen zur Haushaltskonsolidierung und um Kreditlinien des Internationalen Währungsfonds) konnte zwar dem Kursverfall von südeuropäischen Staatspapieren entgegengewirkt und die Volatilität der Märkte reduziert werden; zu einer Trendwende an den internationalen Finanzmärkten ist es aber nicht gekommen. So waren die Abstände zwischen den Renditen südeuropäischer und deutscher Staatsanleihen trotz der 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 13 14 Daten und Prognosen Rettungspakete zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Zeilen größer als am Freitag, dem 7. Mai, als eben diese Zinsspreads die Vermutung einer Systemkrise des Euro begründeten. Auch der Euro hat nach der Verabschiedung der Rettungspakete am 8. und 9 Mai zunächst weiter gegenüber dem US-Dollar abgewertet. Möglicherweise hat die offizielle Begründung der europäischen Staats- und Regierungschefs für die Rettungspakete, der Euro stünde in einer Systemkrise, die Kursverluste des Euro anfangs noch beschleunigt. Die Spannungen an den Finanzmärkten haben sich bisher allerdings nicht auf die realwirtschaftlichen Indikatoren im Euroraum ausgewirkt; diese waren bis zuletzt weiter aufwärtsgerichtet. Ursächlich für die prekäre Lage der öffentlichen Haushalte in einigen Ländern der Eurozone sind neben einer mangelnden Budgetdisziplin insbesondere Prozesse, die zum Aufbau von strukturellen und konjunkturellen Ungleichgewichten geführt hatten. So sanken nach der Gründung der EZB und der Einführung des Euro als Einheitswährung die Realzinsen in den Ländern zum Teil sehr deutlich. Die verbesserten Finanzierungskonditionen führten zu einem starken Zufluss von Kapital, insbesondere aus den Überschussländern. Grundsätzlich kann diese Entwicklung als sinnvoller Konvergenzprozess innerhalb Europas angesehen werden, von dem auch die ausländischen Investoren durch eine effizientere Kapitalallokation und höhere Renditen profitieren. Allerdings war das Ausmaß der Kapitalexporte in die Defizitländer aus zwei Gründen übertrieben. Zum einen setzte die EZB mandatsgemäß ihren Zins mit Blick auf den Euroraumdurchschnitt, was für die aufholenden Defizitländer zu expansiv war und deren Konjunktur zu stark anregte. Zum anderen sanken die Risikoaufschläge für die Anleihen dieser Staaten in den Jahren vor der Finanzkrise stärker als fundamental gerechtfertigt; Verletzungen des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes blieben an den Kapitalmärkten weitgehend ungeahndet. Die resultierenden niedrigen Zinsen führten zu ausufernden Kapitalimporten und einer zunehmenden Verschuldung der öffentlichen und privaten Haushalte in einigen Defizitländern. Erst im Zuge der internationalen Finanzkrise wurden die Anlagerisiken in den betreffenden Ländern neu bewertet und die Risikoaufschläge sind teilweise stark angestiegen, wenn sie auch nicht die Niveaus erreicht haben, die vor der EuroEinführung herrschten. Auch wenn es kurzfristig zu Übersteigerungen gekommen sein mag, ist diese Korrektur grundsätzlich sinnvoll. Sie ist Ausdruck eines reduzierten Kapitalangebots, das letztlich die bislang fehlende Schuldendisziplin in den betreffenden Ländern erzwingt. Der Abbau der Ungleichgewichte dürfte durch die Zinsentwicklung unterstützt werden. Hierzu tragen zwei Mechanismen bei. Zum einen sinken bei geänderter Risikoeinschätzung die relativen Ertragsaussichten in den Defizitländern. ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang Dies hat zur Folge, dass verstärkt Kapital in den stabileren Überschussländern angeboten wird, was dort die Kreditkonditionen verbessert und die Renditen reduziert. Zum anderen dürften die Notenbankzinsen aufgrund der schwachen Wirtschaftsentwicklung im Euroraum insgesamt auf einem aus Sicht der Überschussländer niedrigen Niveau bleiben. Dann werden sie in den kommenden Jahren in den Überschussländern expansiv, in den konjunkturell gebeutelten Defizitländern dagegen kontraktiv wirken. Von alldem dürfte speziell die deutsche Binnennachfrage profitieren, die in den Jahren vor der Krise durch tendenziell zu hohe Zinsen gedämpft wurde. Insbesondere ist mit einem Anziehen der Wohnungsbauinvestitionen zu rechnen, aber auch die Unternehmensinvestitionen, der private Konsum und damit letztlich die Importnachfrage werden gestützt. Dies dürfte im Inland schneller steigende Löhne und Preise nach sich ziehen. Parallel dazu müssen sich die Defizitländer um eine sehr moderate Lohn- und Preispolitik bemühen. All dies wird ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Überschussländern verbessern und zu einem Abbau ihrer Leistungsbilanzdefizite beitragen, während in Deutschland das Gegenteil zu erwarten ist. Deutschland dürfte mittelfristig einen investitionsgetriebenen Aufschwung durchleben, weil wieder mehr Sparkapital zu Hause investiert wird. Insbesondere der Immobilienbereich dürfte davon profitieren. Dadurch wird das Wachstum gestärkt, während sich der Außenhandelsüberschuss vermindert. Die Krise hat quasi einen Kippschalter der Kapitalmärkte umgelegt, der die Wachstumskräfte, die sich unter dem Euro in die Länder der südwestlichen Peripherie Europas verlagert hatten, wieder in Deutschland erstarken lässt. Ausblick Im Prognosezeitraum wird sich die weltwirtschaftliche Erholung fortsetzen; das Bruttoinlandsprodukt der Welt dürfte 2010 um 4,1% und 2011 um 3,5% zunehmen. Die Gruppe der Schwellenländer wird mit einer Produktionsausweitung von voraussichtlich 6,8% in diesem Jahr und 6,3% im kommenden Jahr die größte Dynamik entfalten. China wird dabei durch kontraktive Maßnahmen versuchen, einer Überhitzung der Konjunktur vorzubeugen. Die Produktion in den Industrieländern wird im Mittel wohl erheblich langsamer zunehmen. In den USA wird der diesjährigen kräftigen Erholung voraussichtlich ein Jahr sehr moderaten Wachstums folgen, da die fiskalische Stimulierung ausläuft und zudem viele strukturelle Probleme wie die geringe inländische Ersparnisbildung ungelöst sind. Die Staaten der Europäischen Union (EU) können sich nur langsam aus der Krise lösen. Im Länderdurchschnitt sind Zuwachsraten von jeweils gut 1% in 2010 und 2011 zu erwarten. Allerdings wird die Entwicklung sehr heterogen sein. Die vom Misstrauen der Finanzmärkte am stärksten betroffenen Defizitländer haben einen drastischen Konsolidierungskurs eingeschlagen und Daten und Prognosen dürften in diesem Jahr in der Rezession verharren; mit dem Beginn der Erholung ist dort erst im kommenden Jahr zu rechnen. Dagegen wird die wirtschaftliche Aktivität in Deutschland schon 2010 kräftig um voraussichtlich 2,1% zulegen. Treibende Kraft dürfte dabei der Außenhandel sein, der vom Boom in den Schwellenländern profitiert. Für das kommende Jahr ist eine etwas schwächere Expansion von 1,5% zu erwarten. Dabei werden die Binnenkräfte an Bedeutung gewinnen. Hierfür dürfte das zunehmende inländische Kapitalangebot maßgeblich sein, denn die Investoren haben im Zuge der Krise die Anlagerisiken für viele andere Länder aufwärts revidiert. Da zudem die Europäische Zentralbank vorerst bei ihrer Niedrigzinspolitik bleiben dürfte, ist mit niedrigen Zinsen und sich weiter verbessernden Kreditkonditionen zu rechnen. Risiken Die hier vorgestellte Prognose geht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Erholung in den Industrieländern in diesem und im kommenden Jahr mit dem schrittweisen Ausstieg aus den fiskal- und geldpolitischen Stimuli abschwächen wird, dass es jedoch nicht zu einem erneuten Abgleiten in die Rezession kommt, weil die endogenen Auftriebskräfte allmählich zum Tragen kommen. Es besteht jedoch das Risiko, dass die aktuelle Entwicklung stärker als angenommen von staatlichen Unterstützungsmaßnahmen abhängt und dass der Ausstieg aus der expansiven Wirtschaftspolitik die Erholung der Weltwirtschaft stärker belastet als in der Prognose unterstellt. Dies gilt kurzfristig vor allem für die Fiskalpolitik, im weiteren Prognosezeitraum aber auch für die Geldpolitik. Problematisch könnte insbesondere die in fast allen Industrieländern gleichzeitig geplante Rückführung des strukturellen Defizits sein, die für sich genommen einen deutlich kontraktiven, kurzfristig wirksamen Nachfrageimpuls darstellt. Mittelfristig dagegen dürften eine dauerhafte Rückführung der – in den meisten Industrieländern recht hohen – Staatsquote und die damit verbundene Entlastung des Privatsektors zu einer Belebung der Wachstumskräfte führen. Für die vorliegende Basisprognose ist ein solcher allmählicher Effekt der Konsolidierungen unterstellt. Es ist allerdings auch möglich, dass die Rückführung der staatlichen Fehlbeträge schon kurzfristig positiv auf die gesamtwirtschaftliche Aktivität wirkt. Dieses in der Literatur als expansive fiskalische Kontraktion beschriebene Phänomen dürfte beispielsweise für die Sparanstrengungen Dänemarks Anfang der 1980er Jahre relevant gewesen sein.1 Damals folgten auf massive 1 Vgl. U.M. Bergman und M.M. Hutchinson, »Expansionary fiscal contractions: re-evaluating the Danish case«, International Economic Journal 24(1), 2010, 71–93. staatliche Einschnitte ein starker Anstieg der Konsumausgaben und ein deutlicher Rückgang der Arbeitslosigkeit. Dies lässt sich theoretisch damit begründen, dass eine glaubwürdige, deutliche und dauerhafte Entlastung der Privaten dazu führt, dass der für sich genommen kontraktive Impuls einer Rücknahme der staatlichen Nachfrage (keynesianischer Effekt) schon in der kurzen Frist durch eine Zunahme der privaten Nachfrage überkompensiert werden kann, die aus der Antizipation reduzierter Steuerbelastung resultiert (ricardianischer Effekt).2 Dieses Szenario ist für die Defizitländer nicht unplausibel, wenn die Konsolidierungsanstrengungen vom Privatsektor als glaubwürdig eingeschätzt werden. Ob dies der Fall ist, dürfte zum einen von der Entschlossenheit der EU gegenüber den betroffenen Ländern, z.B. im Hinblick auf die Weiterentwicklung des Rettungsschirmes nach 2013, aber auch von den jeweiligen innenpolitischen Verhältnissen abhängen. Ein weiteres Prognoserisiko geht von den Finanzmärkten aus. Anhaltende Zweifel über die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Ländern mit hohem kurzfristigem Refinanzierungsbedarf oder hoher Verschuldung könnten die Zinsen auf Staatsanleihen auch in Ländern mit solideren Haushalten erhöhen und so zu einer Ansteckung über die Finanzmärkte führen. Dies würde den Ausgabespielraum der betroffenen Staaten verringern und verstärkte restriktive fiskalpolitische Maßnahmen nach sich ziehen. Unklar bleibt auch die Entwicklung der Eigenkapitalsituation im Bankensektor. In der Basisprognose wird unterstellt, dass eine die wirtschaftliche Erholung massiv bedrohende Kreditklemme abgewendet wurde. Doch der Abschreibungsbedarf der Banken infolge der Finanzkrise und der jüngsten Turbulenzen auf den Anleihemärkten bleibt hoch. So veranschlagt die EZB derzeit für die Banken des Euroraums die notwendigen Wertberichtigungen im Zeitraum 2010/2011 auf knapp 200 Mrd. €.3 Dieser Betrag könnte durch die Schieflage der öffentlichen Haushalte einiger Länder sowie im Fall eines erneuten Einbruchs am US-Immobilienmarkt weiter ansteigen. Eine zusätzliche Erosion der Eigenkapitalausstattung im Bankensektor könnte eine merkliche Rationierung der Kreditvergabe nach sich ziehen, wodurch die konjunkturelle Erholung nachhaltig beeinträchtigt würde. Eine große Herausforderung für die Notenbanken besteht darin, den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg aus der außergewöhnlich expansiven Geldpolitik zu finden. Während ein zu frühes oder ausgeprägtes Anheben der Leitzinsen die konjunkturelle Erholung abbrechen könnte, besteht im Fall einer zu langen Aufrechterhaltung der Niedrigzinspolitik die Gefahr, dass die Inflationserwartungen ansteigen. 2 3 Vgl. R. Perotti, »Fiscal Policy in Good Times and Bad«, Quarterly Journal of Economics 114(4), 1999, 1399–1466. ECB, Financial Stability Report, June 2010, S: 88–89. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 15 16 Daten und Prognosen Ein Risiko für die konjunkturelle Entwicklung in den Industrieländern geht schließlich von den Energiepreisen aus. Die stark gestiegene Nachfrage insbesondere aus den Schwellenländern Asiens könnte den bisher moderaten Anstieg der Rohstoffpreise beschleunigen und so die Produktionskosten erhöhen und die Unternehmensgewinne verringern. Ein zusätzliches Risiko für die Entwicklung der Weltkonjunktur liegt in einer Überhitzung der chinesischen Wirtschaft. Die umfangreichen wirtschaftspolitischen Maßnahmen der chinesischen Regierung im letzten Jahr haben zu einem enormen Anstieg der Kreditvolumina und damit auch der Investitionstätigkeit insbesondere im Immobiliensektor geführt und die Immobilienpreise weiter in die Höhe getrieben. Da das Immobilienvermögen einen hohen Anteil in den Portfolios der chinesischen Banken und Unternehmen ausmacht, würde eine Korrektur der Immobilienpreise die Expansion der chinesischen Wirtschaft stark beeinträchtigen. Aufgrund der großen Bedeutung des chinesischen Absatzmarktes hätte dies negative Auswirkungen nicht nur auf die übrigen asiatischen Schwellenländer, sondern auf die gesamte weltwirtschaftliche Entwicklung. Abb. 2.1 Renditen für zweijährige Staatsanleihen 20 16 12 % 20 Griechenland Irland Portugal Spanien Italien Frankreich Deutschland 16 12 8 8 4 4 0 0 2009 2010 Quelle: Reuters EcoWin. führt haben. Darauf aufbauend werden Anpassungsmechanismen diskutiert, die zu einem Abbau der Ungleichgewichte beitragen können. Schließlich wird die aktuelle Frage erörtert, warum die europäischen Renditedifferenzen trotz der zwischenstaatlichen Garantien fortbestehen. Gründe für die Krise 2. Zur Verschuldungskrise im Euroraum Seit Beginn dieses Jahres leiden Italien, Spanien, Irland, Portugal und in besonderem Maße Griechenland (im Folgenden als Defizitländer bezeichnet) unter einem enormen Vertrauensverlust auf den Finanzmärkten. So mussten griechische Staatsanleihen mit zweijähriger Restlaufzeit im Februar eine mehr als dreimal so hohe Rendite wie die vergleichbaren Papiere aus Deutschland abwerfen. Etwas geringer war die Risikoprämie auf portugiesische Staatspapiere derselben Laufzeit. Nach einer kurzen Beruhigung im März gerieten Ende April die öffentlichen Anleihen dieser Länder erneut unter Druck. Während die als Benchmark geltende Bundesanleihe (ebenfalls mit zweijähriger Laufzeit) weiterhin mit etwa 0,6% verzinst wurde, erreichten die Renditen griechischer, portugiesischer und irischer Titel die historischen Höchststände von respektive 17,9%, 6,4% und 4,6%. Die Verzinsung spanischer und italienischer Staatsanleihen verzeichnete ebenfalls einen signifikanten Anstieg. Ähnliche Renditebewegungen waren auch bei den öffentlichen Schuldtiteln mit zehnjähriger Laufzeit zu beobachten. Trotz des Anfang Mai verabschiedeten europäischen Rettungsschirms bleiben die Risikoprämien gegenüber vergleichbaren Bundesanleihen seitdem hoch, mit einer Tendenz, weiter zuzunehmen. (vgl. Abb. 2.1 und Kasten »Die griechische Schuldenkrise«). Im Folgenden soll zunächst rekapituliert werden, welche strukturellen Ursachen zum Entstehen der innereuropäischen Ungleichgewichte und damit in die Verschuldungskrise geifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang Die Zweifel an der Fähigkeit der Defizitländer, ihre öffentlichen Schulden fristgerecht zu bedienen, liegen in einer Reihe von Entwicklungen begründet, die im vergangenen Jahrzehnt zum Aufbau struktureller und konjunktureller Ungleichgewichte im Euroraum geführt hatten. Letztere wiederum verstärkten die Auswirkungen der Wirtschaftskrise sowie die daraus resultierende Belastung für die öffentlichen Haushalte in den Defizitländern und machen schmerzhafte Strukturreformen zur Überwindung der Rezession und zur Sanierung der Staatsfinanzen erforderlich. Im Folgenden werden die Prozesse beschrieben, die zur Entstehung der Ungleichgewichte führten, und anschließend einige Möglichkeiten zu ihrem Abbau diskutiert. Mit Gründung der europäischen Währungsunion ersetzten die Defizitländer ihre eigenen Zentralbanken, die über eine relativ geringe Reputation verfügten, durch eine gemeinsame und unabhängige geldpolitische Institution, nämlich die EZB. Diese genoss erheblich mehr Ansehen und bewirkte innerhalb kurzer Zeit eine beträchtliche Reduktion der Inflationsraten und Nominalzinsen. Zudem fiel mit der Einführung des Euros das Wechselkursrisiko für ausländische Investoren weg. Dieser »Stabilitätsimport« erhöhte die mittelfristigen Wachstumsperspektiven der betrachteten Volkswirtschaften und machte sie nicht nur für inländische, sondern insbesondere für ausländische Investoren attraktiv. Infolge dessen verringerten sich die geforderten Risikoprämien, das Kapitalangebot erhöhte sich und die Realzinsen sanken, so dass der langfristig optimale gesamtwirtschaftliche Kapitalstock zunahm. Daten und Prognosen Kasten Die griechische Schuldenkrise Die ersten beunruhigenden Signale erhielten die Kapitalmärkte am 20. Oktober 2009, als bekannt wurde, dass das griechische Haushaltsdefizit bei rund 12,5% des Bruttoinlandsprodukt lag und damit doppelt so hoch war als erwartet. Nur zwei Tage später stufte die Ratingagentur Fitch die Kreditwürdigkeit des Landes auf A– herab. Während diese erste Neubewertung der Bonität Griechenlands die Renditen seiner Staatsanleihen nahezu unverändert ließ, führte die am 8.Dezember vorgenommene erneute Zurücksetzung des Ratings Griechenlands zu einer Verdoppelung der Renditen zweijähriger griechischer Staatsanleihen von 2% auf knapp 4%. Bis Ende des Jahres stuften auch weitere Ratingagenturen die Bonität des Landes herab, ohne dabei nennenswerte Kursbewegungen auszulösen. Mitte Januar jedoch kam es zu einem erneuten Renditeanstieg um weitere zwei Prozentpunkte auf knapp 6%. Der Grund war ein Gutachten der Europäischen Kommission, das die äußerst prekäre Lage der griechischen Staatsfinanzen offenlegte. Anfang Februar stimmte die EU-Kommission dem von der griechischen Regierung vorgelegten Sparpaket zu und stellte zudem den Haushalt des Landes unter ihre Kontrolle. Am 11. Februar 2010 sicherten die europäischen Staats- und Regierungschefs Athen erstmals ihre Hilfe im Falle von Zahlungsschwierigkeiten zu. Die Rendite zweijähriger Anleihen gab sofort nach und sank im Februar auf unter 5%. Anfang März beschloss die griechische Regierung ein Sparpaket mit einem Volumen von 4,8 Mrd. . Außerdem einigten sich die Finanzminister des Euroraums am 15. März 2010 auf einen Hilfsmechanismus für Griechenland, der Kredite einzelner Euro-Staaten und eine Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) kombinieren soll. Durch diese Maßnahmen gelang es allerdings nur vorübergehend, die Märkte zu beruhigen. Ab Mitte April wurden die Anleger zunehmend durch die andauernde Diskussion über die konkrete Ausgestaltung und den Zeitpunkt der Aktivierung des Rettungsplans für Griechenland verunsichert. Als Ergebnis stieg die Rendite zweijähriger Anleihen erneut auf knapp 7%. Am 22. April 2010 veröffentlichte die europäische Statistikbehörde Eurostat die Zahlen für den griechischen Staatshaushalt 2009. Das öffentliche Defizit war mit 13,6% erneut größer als bislang angenommen. Daraufhin wurde die Kreditwürdigkeit Griechenlands erneut herabgestuft. Nur einen Tag später, am 23. April 2010, bat der griechische Premierminister Giorgos Papandreou um die Aktivierung des Rettungsplans. Die Renditen schnellten in die Höhe und erreichten historische Höchstwerte von mehr als 16%. Starke Kursverluste erlitten auch die Staatsanleihen Portugals, Irlands, Spaniens und Italiens. Zwar ließ die schnelle positive Antwort der europäischen Regierungen auf die griechische Bitte um Milliardenhilfen die Renditen für einige Tage fallen. Doch kurz darauf kam es erneut zu einem rasanten Renditeanstieg auf knapp 18%. Auslöser hierfür war eine weitere starke Herabstufung der Kreditwürdigkeit Griechenlands durch die Ratingagentur Standard & Poor’s am 27. April 2010. Am folgenden Tag brach auf den Märkten Panik aus, als auch Spaniens Bonität zurückgestuft wurde. Außerdem wurde am 29. April 2010 bekannt, dass Griechenland bis 2012 mindestens 120 Mrd. an Hilfen benötigen wird. Erst der von den Euroländern am 10. Mai beschlossene Rettungsschirm mit einem Volumen von 750 Mrd. konnte die Märkte vorerst beruhigen. Aus den Mitteln soll die Bereitstellung von Krediten für in Zahlungsschwierigkeiten geratene Euroländer finanziert werden. Dennoch ist nicht zu erkennen, dass sich die Renditedifferenzen nachhaltig zurückbilden. Die zur Erhöhung der Kapitalausstattung notwendigen Investitionen wurden vornehmlich durch Nettokapitalimporte finanziert. Dies ist grundsätzlich keineswegs ein unerwünschtes Phänomen, da es für alle beteiligten Länder Effizienzgewinne ermöglicht. Sowohl Schuldner als auch Gläubiger können dadurch eine profitablere Kapitalallokation erzielen sowie ihre Einkommens- und Konsumströme intertemporal glätten. Es war daher angemessen, dass Kapital aus den weit entwickelten Euroraumländern mit einer bereits hohen Kapitalausstattung je Einwohner in die weniger entwickelten Defizitländer floss, in denen die Kapitalrenditen aufgrund relativ hoher Ausstattung mit dem Faktor Arbeit tendenziell höher waren. Es war ebenfalls fundamental gerechtfertigt, dass die Wirtschaftsakteure in den aufstrebenden Ländern der europäischen Peripherie angesichts erwarteter zukünftiger Einkommenssteigerungen ihre laufenden Ausgaben über ihr verfügbares Einkommen hinaus erhöhten mit dem impliziten Versprechen, die Tilgung der dadurch entstandenen Schulden aus ihrem zukünftig höheren Einkommen zu bestreiten. Mittlerweile wird von den Kapitalgebern jedoch bezweifelt, dass dieses Versprechen problemlos erfüllbar ist. Daher ist es in den vergangenen Monaten zu massiven Turbulenzen an den Finanzmärkten gekommen, insbesondere im Bereich der Staatsanleihen. Auslöser dieser Turbulenzen war die weltweite Finanzkrise, die dazu geführt hat, dass die Anla- gerisiken von den Finanzmarktteilnehmern neu bewertet wurden. Selbst wenn es dabei wohl zu spekulativen Übersteigerungen gekommen ist, so liegen die Ursachen jedoch tiefer. Denn es ist in dem realwirtschaftlichen Anpassungsprozess – je nach Land in unterschiedlichem Ausmaß – zu Übertreibungen gekommen, die zu erheblichen Ungleichgewichten und Missverhältnissen geführt haben. Eine wesentliche Ursache für die Übertreibungen dürften die für die meisten Defizitländer zu niedrigen Zinsen gewesen sein. Hierfür waren zwei Entwicklungen maßgeblich. Zum einen hat sich die EZB bei ihrer Zinssetzung mandatsgemäß am Durchschnitt der Euroländer orientiert. Aufgrund der Heterogenität des Euroraums erwies sich das resultierende allgemeine Zinsniveau für die Defizitländer jedoch als zu expansiv. In Abbildung 2.2 sind die Abweichungen des für das entsprechende Land angemessenen Zinses vom Zins der EZB abgetragen. Positive Werte signalisieren, dass ein höherer Zins insbesondere für Griechenland, Irland und Spanien fast über die gesamte Zeit vor der Wirtschaftskrise adäquat gewesen wäre (vgl. Kasten »Wie angemessen war die Zinspolitik der EZB für die einzelnen Mitgliedsländer des Euroraums?«). Zum anderen haben die internationalen Investoren über lange Zeit die Anlagerisiken der Defizitländer unterschätzt. So lagen die Zinsaufschläge für griechische oder portugiesi63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 17 Daten und Prognosen Abb. 2.2 Abweichung des konjunkturell angemessenen Zinses vom Zins der EZB Finnland Belgien Österreich 5 5 5 0 0 0 -5 -5 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 -5 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 Frankreich 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 Deutschland 5 5 0 0 -5 -5 0 -5 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 -10 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 Irland 10 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 Italien Niederlande 5 5 0 0 0 -10 -20 -5 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 -5 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 5 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 Spanien Portugal 5 0 0 -5 -5 -10 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 cherweise hatte der Beitritt zur Währungsunion die Erwartung bei den Investoren ausgelöst, dass die Europäische Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit im Zweifelsfall für die Schulden ihrer Mitglieder aufkommen würde – eine Erwartung, die sich letztlich bewahrheitet hat. Griechenland 5 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 Die zu niedrigen Zinsen haben in den Defizitländern nachfrageseitige Entwicklungen ausgelöst, die nicht nachhaltig waren. Begünstigt durch günstige Kredite wurden der private und öffentliche Konsum sowie die Investitionen in Wohnimmobilien ausgeweitet. Augenfälligstes Ergebnis war der übermäßige Anstieg der Hauspreise, der vor allem in Irland und Spanien in eine Immobilienpreisblase und eine enorme Ausweitung des Bausektors mündete. Speziell in Griechenland wurden zudem der Staatssektor sowie diverse Sozialprogramme großzügig ausgeweitet. Quelle: Berechnungen des ifo Instituts. eu Be lg ie n ts ch la nd Ita lie Fr an n kr ei Ö ch st er re N ic ie h de rla nd e Sp an ie n Irl an Po d rtu ga Fi l nn G la rie ch nd en la nd Einkommensseitig wurde die Zunahme der heimischen Nachfrage durch höhere Lohnzahlungen alimentiert, was zu schnell steische Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit zwischen 2001 genden Lohnstückkosten und einer Verlagerung von Pround 2007 höchstens 60 Basispunkte über dem deutschen duktionsfaktoren aus dem Sektor der handelbaren Güter in Benchmark, nach 560 Basispunkten im Jahr 1995. Wie den Sektor der nichthandelbaren Gütern führte. Letzterer oben dargelegt, war ein Sinken dieser Risikoprämien zwar besteht größtenteils aus Dienstleistungen. Der verantwortangemessen, aber wohl kaum in diesem Umfang. Mögliliche Mechanismus lässt sich wie folgt beschreiben. Die zunehmende Inlandsnachfrage implizierte steigende Preise für nichthanAbb. 2.3 Indikatoren für ausgewählte Länder des Euroraums im Vergleich delbare Güter relativ zu den Preisen handelbarer Güter, die weitgehend auf dem WeltSparquote der Privaten Haushalte Renditen für zehnjährige Staatsanleihen (Mittelwerte 2000–2008) markt determiniert werden. Insgesamt stieg % des verfügbaren Einkommen % 14 16 das gesamtwirtschaftlichen Preis- und Lohn12 niveau und somit auch die Lohnstückkosten. 12 10 Aufgrund des einheitlichen Währungsraums 8 8 konnte dies nicht durch eine nominale Ab6 wertung ausgeglichen werden. Wie Abbil4 4 dung 2.3 zeigt, verzeichneten die Defizitlän2 0 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 der einen stetigen Anstieg der LohnstückFrankreich Griechenland Irland Italien Spanien Deutschland kosten relativ zu Deutschland und dem EuPortugal roraum. Als eine weitere Konsequenz der ReLeistungsbilanzsalden Lohnstückkosten lativpreisveränderung wird die Produktion Index (2000 = 100) % des BIP 140 15 nichthandelbarer Güter verhältnismäßig 10 profitabler und beginnt mehr und mehr Pro125 5 duktionsfaktoren zu absorbieren, was wie0 derum die Leistungsbilanz zusätzlich ver-5 110 schlechtert. Entsprechend war in den Kapi-10 tal exportierenden Ländern des Euroraums -15 95 wie Deutschland die entgegengesetzte Ent99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 Griechenland Portugal Deutschland Deutschland Griechenland Irland wicklung zu beobachten mit dem Ergebnis Niederlande Finnland Italien Italien Spanien Euroraum einer verringerten Wachstumsdynamik soIrland Österreich Spanien D 18 Quelle: Reuters EcoWin; OECD Economic Outlook; Eurostat. ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang Daten und Prognosen Kasten Wie angemessen war die Zinspolitik der EZB für die einzelnen Mitgliedsländer des Euroraums? An dieser Stelle soll untersucht werden, inwieweit die gemeinsame Geldpolitik der EZB für die einzelnen Mitgliedsländer des a) Euroraums angemessen ist. Die Vorgehensweise ist dabei wie folgt. In einem ersten Schritt wird die Zinspolitik der EZB anhand einer geschätzten Reaktionsfunktion beschrieben. Mittelfristig sollte eine Notenbank eine niedrige und stabile Inflationsrate anstreben, um die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt zu maximieren. Dieses Ziel kann sie erreichen, wenn sie ihre Zinspolitik beispielsweise nach der Taylor-Regel gestaltet. Letztere wird gemeinhin als eine geeignete Strategie für die Geldpolitik angesehen. Gemäß der Taylor-Regel reagiert eine Notenbank auf Schwankungen der Inflationsrate um ihr Inflationsziel sowie auf konjunkturelle Ausschläge. Die hier verwendete Reaktionsfunktion der EZB unterstellt, dass die Notenbank vom neutralen Nominalzins abweicht, wenn die erwartete Inflationsrate in zwölf Monaten ( Et t +12 ) vom Inflationsziel ( ) und die aktuelle Wachstumserwartung für das nächste Jahr ( Et yt +12 ) vom langfristigen Durchschnitt ( y ) abweicht. Die Schätzung wurde für den Hauptrefinanzierungssatz der EZB über den Zeitraum 1999 bis 2008 durchgeführt, um die unkonventionelle Geldpolitik, die die EZB im Zuge der Finanzkrise ergriffen hat und die sich deutlich vom Reaktionsmuster der ersten zehn Jahre der gemeinsamen Geldpolitik unterscheidet, d) auszublenden. Schließlich wurde berücksichtigt, dass sich die EZB nur graduell dem konjunkturell angemessenen Zielzins annähert, um übermäßige Schwankungen der kurzfristigen Zinsen zu vermeiden. Das Ergebnis der Schätzung kann wie folgt zusammengefasst werden: b,c) Zinst = 0,88 Zinst 1 + 0,12 Zielzinst Zielzinst = 0,56 y + + 1,84 (Et t +12 ) + 2, 03 (Et yt +12 y ) 14 4244 3 neutraler Nominalzins Der Zielzins wurde dann für die Periode Januar 2009 bis Mai 2010 unter der Annahme unveränderter Reaktionskoeffizienten fortgeschrieben. Für den aktuellen Rand ergibt sich nach dieser Schätzung ein Zielzins für den Euroraum nahe 0%; damit weicht der in der gegenwärtigen Finanzkrise im Hinblick auf den geldpolitischen Kurs aussagekräftigere Tagesgeldsatz am Interbankenmarkt mit +0,3% nur noch geringfügig vom konjunkturell angemessenen Zins ab. In einem zweiten Schritt wurde für jedes einzelne Mitgliedsland des Euroraums ein kontrafaktischer Zielzins für den Zeitraum Januar 1999 bis Mai 2010 berechnet. Er gibt an, welchen Zins jedes Land setzen würde, verfügte es über eine »nationale EZB«, die ausschließlich auf die konjunkturelle Situation des jeweiligen Landes reagieren würde. Dabei wurde angenommen, dass die länderspezifischen kontrafaktischen Reaktionsfunktionen dieselben Reaktionskoeffizienten aufweisen, wie die im ersten Schritt für e) den gesamten Euroraum geschätzte Taylor-Regel. In einem letzten Schritt wird schließlich die Differenz zwischen dem länderspezifischen Zielzins und dem Zielzins der EZB berechnet. Fällt diese Differenz beispielsweise positiv aus, so würde die konjunkturelle Situation eines Landes einen höheren als den von der EZB gesetzten Zins erfordern; der Hauptrefinanzierungssatz der EZB wäre demnach nicht angemessen und zu niedrig. Abbildung 2.2 zeigt diese Differenz für die einzelnen Länder des Euroraums. Für den Zeitraum bis einschließlich 2008 können drei Gruppen identifiziert werden. In Ländern wie Österreich, Belgien, Finnland, Frankreich, Italien und den Niederlanden waren die Zinsen der EZB im Durchschnitt über diesen Zeitraum angemessen. Phasen mit zu hohen Zinsen wechselten sich mit Phasen zu niedriger Zinsen ab. In Ländern wie Griechenland, Irland, Spanien, und – zumindest bis 2005 – auch Portugal war die Zinsdifferenz durchweg positiv und der Zins der EZB somit systematisch zu niedrig. In Deutschland schließlich war die Situation umgekehrt und der Zins der EZB durchweg zu hoch; hätte eine deutsche EZB die Zinsen für Deutschland gesetzt (gemäß der Reaktionsfunktion der EZB), wäre der Hauptrefinanzierungssatz in diesem Zeitraum um 0,5 Prozentpunkte niedriger gewesen. Mit der Finanzkrise änderte sich diese Situation grundlegend. Die Länder, in denen die EZB-Zinsen ehemals zu niedrig waren (Griechenland, Irland, Spanien), würden aufgrund ihrer schwachen Konjunktur – legte eine nationale EZB die Zinsen für die jeweiligen Länder fest und gäbe es keine Nullzinsschranke – den Notenbankzins am aktuellen Rand um mehr als 5 Prozentpunkte unterhalb des EZB-Zielzinses setzen. Auf der anderen Seite zeichnet sich in Deutschland ebenfalls eine grundlegend neue Situation ab. Im Vergleich zu den übrigen Ländern des Euroraums wird mit einer deutlich schnelleren konjunkturellen Erholung gerechnet, so dass eine »deutsche EZB« die Leitzinsen am aktuellen Rand um 1,5 bis 2 Prozentpunkte über dem EZB-Zielzins setzten würde. Für den Prognosezeitraum (und möglicherweise auch darüber hinaus) kann somit davon ausgegangen werden, dass Deutschland von Seiten der Geldpolitik eher einen stimulierenden Impuls erhält, während die gemeinsame Geldpolitik für die ehemaligen Boom-Länder der Euroraumperipherie tendenziell zu restriktiv und damit bremsend wirken dürfte. a) Eine ausführliche Darstellung der Vorgehensweise findet sich in J.-E. Sturm und T. Wollmershäuser, »The Stress of Having a Single Monetary Policy in Europe«, CESifo Working Papers, Nr. 2251, 2008. b) Meistens werden in derartigen Reaktionsfunktionen Maße für die Produktionslücke eingesetzt. Hier wird aus verschiedenen Gründen hiervon abgewichen. Erstens benötigt man für die Messung einer Produktionslücke das Potentialniveau des Outputs. Die Messprobleme hierbei sind beträchtlich. Walsh (C. Walsh, »Implications of a changing economic structure for the strategy of monetary policy«, Federal Reserve Bank of Kansas City, Jackson Hole Symposium, 2003, 297–348) argumentiert inzwischen, dass Reaktionsfunktionen mit Wachstumsraten insbesondere dann gute Performance aufzeigen, wenn man in einer Situation der unvollständigen Informationen ist. Zweitens haben Wachstumsratenzyklen normalerweise einen deutlichen Vorlauf gegenüber eher klassischen Zyklen, die auf Produktionslücken basieren. Da die Geldpolitik immer mit einer gewissen Verzögerung wirkt und es Zentralbanken weltweit immer wichtiger geworden ist, Erwartungen zu beeinflussen, werden heute Reaktionsfunktionen üblicherweise vorausschauend gestaltet. Drittens wird in den meisten theoretischen Modellen vom langfristigen Wachstum abstrahiert. Modelle, die ein Trendwachstum berücksichtigen, können oft die optimale Zinsregel in Wachstumsraten abbilden. Schliesslich sind die meisten Prognosen in Wachstumsraten ausgedrückt. (Erwartete) Wachstumsraten sind daher einfacher verfügbar. c) Die ältere Literatur verwendet meistens ex-post veröffentlichte und vergangenheitsbezogene Inflations- und Wachstumsraten. Wie z.B. Sauer und Sturm (S. Sauer und J.-E. Sturm, »Using Taylor rules to understand ECB monetary policy«, German Economic Review 8(3), 2007, 375–398), argumentieren, versucht die Geldpolitik, zukünftiges Verhalten zu beeinflussen. Daher sollten Taylorregeln vorausschauend spezifiziert werden. d) Ein Fortschreiben der bis 2008 geschätzten Reaktionsfunktion bis zum aktuellen Rand würde ergeben, dass die EZB den Hauptrefinanzierungssatz aufgrund des massiven konjunkturellen Einbruchs bis Oktober 2009 auf unter – 4% hätte senken müssen. Die Nullzinsschranke ist nur einer der Gründe, warum die EZB von ihrem bisherigen Verhalten abweichen musste. e) Diese Annahme ist sicherlich nur eine Approximation der Reaktionsfunktion, die eine nationale Notenbank verfolgen würde, wenn sie über geldpolitische Autonomie verfügen würde. In der Realität würden sich vermutlich die Reaktionsfunktionen einer Deutschen Bundesbank und der hier unterstellten deutschen EZB unterscheiden, da die Reaktionskoeffizienten unter anderem von den wirtschaftlichen Strukturen des Währungsraumes abhängen. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 19 20 Daten und Prognosen wie eines langsameren Preis- und Lohnauftriebs. Letzteres verbesserte ihre relative Wettbewerbsfähigkeit und führte zu (noch) höheren Exportüberschüssen. Wären die europäischen Stabilitätsmechanismen konsequent angewendet worden, so hätte den nicht nachhaltigen Entwicklungen frühzeitig und zu weitaus geringeren Kosten entgegengewirkt werden können.4 Stattdessen kam es zu einem schockartigen Wirken der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise, die die strukturellen Probleme der Defizitländer deutlich sichtbar machte. Mit dem Wirken der automatischen Stabilisatoren und infolge der zusätzlichen Konjunkturpakete oder Bakenrettungen nahmen die öffentlichen Defizite und Schuldenstände in fast allen Mitgliedsstaaten des Euroraums drastisch zu. Dies erhöhte das Risiko eines Zahlungsausfalls der öffentlichen Anleihen insbesondere der Defizitländer. Es lassen sich sowohl länderspezifische als auch gemeinsame Gründe für die Verunsicherung der Investoren erkennen. In Griechenland waren der staatliche Fehlbetrag und die Verschuldungsquote bereits vor der Krise auf einem beunruhigenden Niveau (vgl. Tab. 3.4), was zusammen mit den trüben Wachstumsaussichten für die kommenden Jahre Zweifel an der Zahlungsfähigkeit des Landes aufkommen ließ. In Spanien und Irland brach der arbeitsintensive Bausektor zusammen, so dass sich die Arbeitslosigkeit nahezu verdoppelte und in Spanien derzeit bei rund 20% verharrt. Da diese Branche blasenbedingt übertrieben groß war, ist zu erwarten, dass ihr Volumen mittelfristig deutlich unter dem Vorkrisenniveau bleiben wird. Eine solche Strukturveränderung macht es für die aus dem Baubereich freigesetzten Arbeitskräfte besonders schwierig, denn sie müssen eine neue Beschäftigung in einem anderen Sektor finden. Mittelfristig dürfte daher eine verhältnismäßig hohe Arbeitslosigkeit die Staatsfinanzen in Irland und Spanien belasten. Darüber hinaus gibt es auch einen gemeinsamen Faktor, der den Investoren Sorgen bereitet – der oben beschriebene Verlust an relativer Wettbewerbsfähigkeit. Dieser wird die Defizitstaaten in vergleichsweise geringem Ausmaß von der Ausweitung des Welthandels in der gegenwärtigen Erholungsphase profitieren lassen. Eine zusätzliche Belastung für die betrachteten Länder ist ihre Exportstruktur. Diese weist einen hohen Euroraumanteil auf, während das Gewicht der 4 So warnte die Kommission im Rahmen der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme deutlich vor den Gefahren für die öffentlichen Finanzen in Griechenland. In der Kommissionsempfehlung für den Europäischen Rat vom 8. Januar 2003 heißt es: »…the budgetary developments … is a matter of serious concern.« (S. 7). Im darauf folgenden Jahr (28.1.2004) wurde festgestellt: »On the basis of current policies, there is a serious risk of severe budgetary imbalances emerging in Greece in the future due to an ageing population, taking also into account the high debt ratio.« (S. 7). Und die Empfehlung von 22. April 2005 enthält den Satz: »Greece appears to be at serious risk with regard to the long-term sustainability of public finances.« (S. 8). ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang boomenden ostasiatischen Schwellenländer verhältnismäßig gering ist. Schließlich sind die Finanzmärkte skeptisch, dass in den betroffenen Staaten genügend politischer Wille vorhanden ist, kurzfristig schmerzhafte Strukturreformen durchzuführen, die möglichst rasch zu einer nachhaltigen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und höherem Wachstum führen. Anpassungsmechanismen Neben der akuten Notwendigkeit, die Staatsfinanzen zu sanieren, müssen die Defizitländer also dringend ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Ein solcher Prozess wird von der gemeinsamen Geldpolitik der EZB begünstigt. Wie Abbildung 2.2 zeigt, liegen seit Mitte 2009 die für die Schuldenstaaten angemessenen Zinssätze deutlich unter jenem der EZB. Das Gegenteil ist der Fall in den Überschussländern. Daher dürfte die gemeinsame Geldpolitik in Ländern wie Deutschland die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stimulieren, was eine tendenziell höhere Preis- und Lohninflation nach sich ziehen dürfte als in den Defizitstaaten. Somit leistet der gemeinsame Zentralbankzins einen Beitrag zur Verbesserung der relativen Wettbewerbsposition der Peripherieländer sowie zum Abbau der Leistungsbilanzdefizite. Bei gegebenen Strukturen dürfte dieser Effekt aufgrund der verzögerten Wirkung der Geldpolitik erst nach und nach zum Tragen kommen. Die Defizitländer haben es allerdings in der Hand, die Geschwindigkeit und Nachhaltigkeit dieser Anpassung zu erhöhen, indem sie durchgreifende Reformen durchführen, die vor allem den Arbeitsmarkt und den Lohnsetzungsprozess flexibilisieren. Denkbar sind zum Beispiel eine Lockerung des Kündigungsschutzes in Spanien, Portugal aber auch Italien, die Beseitigung der Lohnindexierung in Spanien sowie einer Reihe weiterer Lohnrigiditäten in allen betroffenen Ländern. Über diesen eher indirekten Weg hinaus können die Regierungen von Portugal, Italien und vor allem Griechenland auch direkt und nachhaltig den Fiskus entlasten, indem sie den Staatsapparat schlanker und effizienter machen und eine Vielzahl großzügiger Sozialleistungen abbauen. Blieben solche Reformen aus, so wären die notwendigen Lohnanpassungen wohl nur über eine lang anhaltende hohe Arbeitslosigkeit herbeizuführen. Ein weiterer Anpassungsmechanismus folgt direkt aus der Beobachtung, dass die internationalen Kapitalgeber den Defizitländern gegenüber zu wenig risikobewusst agiert haben. Die nunmehr erfolgte Neueinschätzung der Risiken kann einen heilenden Effekt in Bezug auf die Ungleichgeweichte im Euroraum haben. Sie führt nämlich in der Tendenz dazu, dass die relativen Ertragsaussichten in den Peripherieländern aus Sicht der ausländischen Investoren zurückgehen. Folglich wird weniger Kapital in diese Länder fließen und mehr in den bisherigen Überschussländern bleiben. Dies erhöht in Ländern wie Deutschland das Kapitalangebot und Daten und Prognosen damit den Kapazitätsaufbau und letztlich die Wachstumsperspektiven. Nachfrageseitig sind eine kreditbedingt stärkere Inlandsnachfrage, aber auch etwas höhere Inflationsraten als in den vergangenen zehn Jahren zu erwarten. Als Ergebnis verschlechtern sich Leistungsbilanz und Wettbewerbsfähigkeit in den Überschussländern. Problematisch ist zwar, dass das im Mai 2010 beschlossene Rettungspaket diesen Wirkungskanal beschädigt hat, denn es impliziert, dass Griechenland, Spanien, Portugal und Irland weiterhin Zugang zu günstigen Krediten haben, für die im Endeffekt vor allem deutsche und französische Steuerzahler bürgen.5 Dennoch sind in Deutschland die Finanzierungsbedingungen zumindest für den Staat historisch günstig, aber auch die Kredithürde für private Unternehmen sinkt seit einigen Monaten trotz der enormen Abschreibungsverluste der Banken. Dies gibt Anlass zur Hoffnung, dass der beschriebene Anpassungsmechanismus über ein erhöhtes inländisches Kapitalangebot trotz des Rettungspakets wirken könnte. Für die zukünftige Wirksamkeit dieses Anpassungsmechanismus ist essentiell, dass die anstehende Nachfolgeregelung des bis 2013 geltenden Rettungspakets nicht die grundsätzlich aus der relativen Bonität zweier Länder resultierenden Renditedifferenzen durch staatliche Garantien einebnet. Finanzmärkte geratenen Defizitländer – Portugal, Irland, Griechenland, Spanien und eventuell auch Italien – bis 2013 zu decken. Diese Frage stellt sich insbesondere deshalb, weil die Renditen kurzlaufender Anleihen der betroffenen Länder trotz des Rettungsschirms auf hohem Niveau verharren. Dies könnte signalisieren, dass die Finanzmärkte einen Ausfall dieser Papiere trotz der europäischen Hilfszusicherungen nicht ausschließen. Zwar ist gegenwärtig nur Griechenland auf das Rettungspaket angewiesen. Aber nach wie vor besteht Unsicherheit, ob die anderen Defizitländer weiterhin am Markt Kapital aufnehmen können. Die Ergebnisse in diesem Abschnitt beziehen sich daher auf das Negativszenario, dass bald alle Defizitländer auf den Hilfsfonds zurückgreifen müssen. Zu diesem Zweck wird auf der Basis der Prognosen des ifo Instituts für das nominale Bruttoinlandsprodukt und das öffentliche Defizit eine Vorausschätzung des Liquiditätsbedarfs der betroffenen Länder durchgeführt. Der laufende Liquiditätsbedarf einer Regierung entspricht der Bruttoneuverschuldung, die sich zusammensetzt aus dem Primärdefizit, den Zinszahlungen auf die ausstehenden Schulden und dem Ersatz der auslaufenden Schulden. Die Daten für die Ende 2009 ausstehenden Schulden, aufgeschlüsselt nach Art, Verzinsung und Laufzeit, werden von den Finanzministerien der einzelnen Staaten zur Verfügung gestellt. Ist der Rettungsschirm ausreichend? Tabelle 2.1 fasst die für die kommenden Jahre prognostizierten Veränderungsraten des realen BIP sowie die Gesamtdefizite (in% des BIP) zusammen. Diese bilden auch das Basisszenario dieser Analyse. Dabei sind die Werte für 2010 und 2011 Prognosen des ifo Instituts. Für die folgenden Jahre wird ein schrittweiser Übergang zum langfristigen Wachstumspfad angenommen. Die prognostizierten Defizitquoten basieren auf den Stabilitäts- und Konvergenzprogrammen, die die Mitgliedsländer der Europäischen Kommission vorgelegt haben. Allerdings wird davon ausgegangen, dass sich die Konsolidierungspläne um ein bis zwei Jahre verzögern, da sie auf sehr optimistischen Wachstumsraten beruhen. Im weiteren Verlauf werden die Defizitquoten graduell an das vertraglich festgelegte Haushaltsdefizit von 3% des BIP angepasst. Am 9. Mai 2010 haben die EU-Länder einen finanziellen Rettungsschirm für von Zahlungsunfähigkeit bedrohte Euroraummitglieder beschlossen. Das Gesamtvolumen des Hilfspakets beläuft sich auf 750 Mrd. €. Davon werden 440 Mrd. € über eine neu gegründete Zweckgesellschaft der EU-Länder bereitgestellt. Weitere 60 Mrd. € kommen aus dem EU-Etat und die restlichen 250 Mrd. € wird der Internationale Währungsfonds (IWF) beisteuern. Die in Notfällen erforderlichen Mittel werden von der Zweckgesellschaft am Kapitalmarkt aufgenommen und anschließend an die in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Staaten zu einem Zinssatz von etwa 5% weitergereicht. Die Zweckgesellschaft dürfte sich zu Konditionen refinanzieren können, die der durchschnittlichen Bonität der beteiligten Länder entsprechen – voraussichtlich etwa 3%. Die so aufgenommenen Kredite werden von Tab. 2.1 den teilnehmenden Staaten gemeinschaftReales Bruttoinlandsprodukt und Budgetsaldo lich verbürgt. In diesem Abschnitt soll untersucht werden, inwieweit der Rettungsschirm ausreicht, um den Finanzierungsbedarf der ins Visier der 5 Vgl. H.-W. Sinn, »Die Bedeutung des Gewährleistungsgesetzes für Deutschland und Europa,« ifo Schnelldienst 63(10), 2010, Sonderausgabe. Veränderung des realen BIP in % 2010 2011 2012 2013 1,3 0,8 1,5 2,0 – 0,8 1,0 2,0 3,0 Portugal Irland Griechenland – 4,0 – 0,5 0,0 Spanien – 0,3 0,2 0,5 Italien 0,8 0,5 0,5 Quelle: Prognose des ifo Instituts. 1,0 1,0 1,0 Budgetsaldo in % des nominalen BIP 2010 2011 2012 2013 – 8,0 – 8,7 – 7,5 – 6,0 – 11,7 – 12,1 – 11,0 – 10,0 – 9,3 – 10,0 – 5,3 – 9,9 – 8,0 – 5,0 – 8,0 – 6,0 – 4,0 – 7,0 – 4,0 – 4,0 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 21 22 Daten und Prognosen Nicht berücksichtigt im Basisszenario sind die Sparpakete, die die Länder dieses Jahr angekündigt haben. Auch ist die erfolgreiche Emission von Staatsanleihen durch Irland, Spanien und Portugal Mitte Juni nicht ins Basisszenario eingerechnet.6 Beides verbessert die Haushalts- und Finanzierungslage im Vergleich zum Basisszenario und mildert die Ergebnisse der nachfolgenden Diskussion. Abb. 2.4 Liquiditätsbedarf in PIIGS-Ländern den PIIGS-Ländern Liquiditätsbedarf in den Wirtschaftswachstum und Liquiditätsbedarf 2.500 Mrd. Euro 2.000 1.500 Ausgehend vom Basisszenario werden verschiedene Positivszenarien mit höheren Wachstumsraten und umfangreicheren Konsolidierungsmaßnahmen diskutiert, die in einem geringeren Liquiditätsbedarf der Länder resultieren. Die Berechnungen beruhen auf den von der Europäischen Kommission veröffentlichten Budgetsensitivitäten (»New and Updated Budgetary Sensitivities for the EU Budgetary Surveillance«, Brüssel, 30. September 2005), die angeben, um wie viel Prozentpunkte sich das Primärdefizit als % des nominalen BIP verändert, wenn sich das reale BIP-Wachstum um einen Prozentpunkt erhöht. Für den umgekehrten Mechanismus, der Sensitivität der realen BIP-Wachstumsrate gegenüber einem zusätzlichen Konsolidierungsbetrag in % des nominalen BIP, wird ein Wert von – 1 unterstellt. Ferner wird angenommen, dass die Mittel aus dem Rettungspaket zu einem Zinssatz von 5% an die bedürftigen Länder bereitgestellt werden. 1.000 750 500 0 0,0 0,5 1,0 2,0 3,0 3,5 5,0 7,0 8,0 8,5 9,0 11,0 zusätzliches Wachstum des realen BIP in Prozentpunkten Sparanstrengungen und Liquiditätsbedarf 2500 Mrd. Euro 2000 1500 1000 750 500 0 Im Basisszenario ergibt sich, dass der Rettungsschirm bei weitem nicht ausreichte, wenn alle fünf Länder (»PIIGS«) zahlungsunfähig würden und sich nicht mehr am Markt refinanzieren könnten. Dem Hilfspaket von 750 Mrd. € stünde ein Liquiditätsbedarf aller defizitären Länder für den gesamten Zeitraum bis 2013 von über 2 Billionen € gegenüber. Geht man davon aus, dass Italien zahlungsfähig bleibt, bliebe immerhin knapp eine Billion € zu finanzieren. Die Sensitivität dieser Schlussfolgerung gegenüber alternativen Annahmen wird im folgenden diskutiert. Zum einen wird untersucht, um wie viel höher als unterstellt die nationalen Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts sein müssten, damit der Rettungsschirm ausreicht. Zum anderen wird analysiert, ob schärfere Konsolidierungsmaßnahmen den Finanzierungsbedarf unter die Grenze von 750 Mrd. € drücken könnten. Der Einfluss unterschiedlicher Wachstumsannahmen auf den gesamten Finanzierungsbedarf der betroffenen Länder bis 2013 ist in Abbildung 2.4 dargestellt. Höhere Wachstumsdynamik führt zu steigenden Steuereinnahmen und sinkenden Sozialausgaben, so dass der Haushaltsfehlbetrag und damit die Bruttoneuverschuldung sinken. Betrachtet man das erforderliche Volumen aller fünf Länder (»PIIGS«), so zeigt 6 Am 15. Juni 2010 gelang es Spanien und Irland Staatsanleihen im Umfang von 5,2 Mrd. € bzw. 1,5 Mrd. € am Kapitalmarkt zu platzieren. Portugal war am Folgetag bei der Emission öffentlicher Schuldtitel mit einem Volumen von 718 Mill. € ebenfalls erfolgreich. ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 4,0 6,0 8,0 10,0 10,5 11,0 zusätzliche Konsolidierungsmaßnahmen in % des nominalen BIP Liquiditätsbedarf PIIGS Rettungsschirm Liquiditätsbedarf PIGS Quelle: des ifo Quelle:Berechnungen Berechnungen desInstituts. ifo Instituts. sich, dass das Bruttoinlandsprodukt um über 8 Prozentpunkte pro Jahr schneller zulegen müsste als im Basisszenario angenommen, damit der Finanzierungsbedarf die Grenze von 750 Mrd. € nicht übersteigt. Selbst wenn der Kreis der bedürftigen Länder auf Portugal, Irland, Griechenland und Spanien (»PIGS«) eingeschränkt wird, ergibt sich ein notwendiges Wachstumsplus von 3,5 Prozentpunkten. Beides ist selbst für konjunkturell gute Zeiten vollkommen unrealistisch. Alternativ könnten größere Konsolidierungsanstrengungen in den betroffenen Ländern dazu führen, dass die Defizite und damit die gesamte Bruttoneuverschuldung zurückgehen. Für den Kreis aller fünf Länder wären jedes Jahr zusätzliche Einsparungen in Höhe von über 10% ihres Bruttoinlandsprodukts erforderlich, damit der Finanzierungsbedarf auf 750 Mrd. € gedrückt werden könnte (vgl. Abb. 2.4). Auch dies erscheint unerreichbar. Nimmt man Italien aus in der Annahme, dass sich dieses Land weiter am Kapitalmarkt finanzieren kann, so schrumpft das über die bereits beschlossenen Maßnahmen hinausgehende, notwendige Konsolidierungsvolumen auf jährlich knapp 2% des Bruttoinlands- Nic die erf nie rec run Erg Au tivs che ge rec mis Daten und Prognosen produkts. Dies ist eine ökonomisch machbare Größenordnung, politisch aber wohl nur sehr schwer umzusetzen, denn bereits jetzt werden in den Ländern Proteste gegen die öffentlichen Einsparungen laut. Insgesamt ist zu konstatieren, dass das Rettungspaket der EU und des IWF trotz seines gewaltigen Volumens von 750 Mrd. € nicht groß genug ist, um allen derzeit als unsicher geltenden Staaten bis 2013 eine reibungslose Finanzierung zu gewährleisten. Selbst intensivere Sparbemühungen und eine schnellere konjunkturelle Erholung als im – durchaus realistischen – Basisszenario unterstellt wären wohl kaum ausreichend, um den Bedarf unter den zur Verfügung stehenden Betrag zu reduzieren. Dies ist ein möglicher Erklärungsbeitrag dafür, dass die Investoren selbst für kurzlaufende Anleihen der betroffenen Länder, die innerhalb des Gewährleistungszeitraums fällig werden, nach wie vor hohe Renditen verlangen. Darüber hinaus ist derzeit unklar, wie sich die Finanzierungssituation in den Folgejahren ab 2014 darstellen wird. Insbesondere für einen hochverschuldeten Staat wie Griechenland sind die Perspektiven bestenfalls verhalten. Die Konsequenz dieses Ergebnisses kann jedoch nicht eine Ausweitung des Rettungsschirms hinsichtlich seines Volumens oder Garantiezeitraums sein. Dies würde die europäischen Zinsdifferenzen wieder einebnen und damit den weiter oben beschriebenen Anpassungsmechanismus torpedieren. Vielmehr sollte die in einer Marktwirtschaft eigentlich selbstverständliche Beteiligung der Investoren an möglichen Verlusten in den Mittelpunkt gerückt werden. Dies könnte über einen wohldefinierten und für Anleger kalkulierbaren Haircut geschehen. Konkrete Vorschläge, welche Punkte zu berücksichtigen sind, liegen auf dem Tisch.7 Die Politik ist nun aufgefordert, diese Vorschläge aufzunehmen und rechtzeitig in tragfähige Regeln umzusetzen, bevor das Misstrauen der Märkte wieder überhand nimmt. Abb. 3.1 Wirtschaftswachstum und ifo Wirtschaftsklima für die Industrieländer 6 % Index 2005 = 100 140 4 120 2 100 0 80 Reales BIPa) (linke Skala) ifo Wirtschaftsklimab) für die Industrieländer -2 60 (rechte Skala) -4 40 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 a) Veränderung der Ursprungswerte gegenüber dem jeweiligen Vorjahr in %. Arithmetisches Mittel der Bewertung der gegenwärtigen Lage und der erwarteten Entwicklung. Quelle: IWF, World Economic Outlook, Database April 2010; Ifo World Economic Survey (WES) II/2010; Berechnungen und Prognose des ifo Instituts. b) Wirtschaftswachstum und ifo Wirtschaftsklima für die Schwellenländer 10 % Index 2005 = 100 125 ifo Wirtschaftsklimab) für die Schwellenländer (rechte Skala) 8 110 6 95 4 80 2 65 Reales BIPa) (linke Skala) 0 50 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 a) Veränderung der Ursprungswerte gegenüber dem jeweiligen Vorjahr in %. b) Arithmetisches Mittel der Bewertung der gegenwärtigen Lage und der erwarteten Entwicklung. Quelle: IWF, World Economic Outlook, Database April 2010; Ifo World Economic Survey (WES) II/2010; Berechnungen und Prognose des ifo Instituts. Wirtschaftswachstum und ifo Wirtschaftsklima für Ostasien ohne China 12 % Index 2005 = 100 145 9 130 6 115 3 100 0 85 Reales BIPa) (linke Skala) -3 70 ifo Wirtschaftsklimab) für Ostasien ohne China -6 55 (rechte Skala) -9 40 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 a) 3. Zur Entwicklung der Wirtschaft in ausgewählten Ländern und Regionen Die Erholung der Weltwirtschaft hat sich zu Beginn des Jahres 2010 fortgesetzt. Besonders hoch ist die Dynamik in den Schwellenländern Asiens und Lateinamerikas sowie in Japan. Aber auch in den USA und im Euroraum ist die gesamtwirtschaftliche Produktion, unterstützt durch die staatlichen Konjunkturprogramme, die expansiv wirkende Geldpolitik und die Lageraufstockung, im ersten Quartal 2010 spürbar angestiegen. Für den Prognoseho- Veränderung der Ursprungswerte gegenüber dem jeweiligen Vorjahr in %. b) Arithmetisches Mittel der Bewertung der gegenwärtigen Lage und der erwarteten Entwicklung. Quelle: IWF, World Economic Outlook, Database April 2010; Ifo World Economic Survey (WES) II/2010; Berechnungen und Prognose des ifo Instituts. Wirtschaftswachstum und ifo Wirtschaftsklima für Lateinamerika 9 % Index 2005 = 100 140 ifo Wirtschaftsklimab) für Lateinamerika (rechte Skala) 6 110 3 80 0 50 Reales BIPa) (linke Skala) -3 20 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 a) 7 Vgl. C. Fuest, W. Franz, M. Hellwig und H.-W. Sinn, »Zehn Regeln zur Rettung des Euro«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. Juni 2010, S. 10. Veränderung der Ursprungswerte gegenüber dem jeweiligen Vorjahr in %. b) Arithmetisches Mittel der Bewertung der gegenwärtigen Lage und der erwarteten Entwicklung. Quelle: IWF, World Economic Outlook, Database April 2010; Ifo World Economic Survey (WES) II/2010; Berechnungen und Prognose des ifo Instituts. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 23 24 Daten und Prognosen Abb. 3.2 Realer Welthandel 15 a) Veränderung gegenüber Vorquartal in % 15 10 10 Asien (ohne Japan) 5 5 0 0 Lateinamerika -5 -5 -10 Industrieländer b) -15 -10 -15 2005 2006 2007 2008 2009 2010 a) Auf Dollarbasis; saisonbereinigter Mittelwert aus Importen und Exporten. b) OECD-Länder ohne Türkei, Mexiko, Korea und mittelosteuropäische Länder. Quelle: CPB Netherlands Bureau for Economic Policy Analysis; Berechnungen des ifo Instituts. rizont sind die konjunkturellen Aussichten jedoch sehr heterogen. So deutet das ifo Weltwirtschaftsklima für die Industrieländer, das den Absturz der gesamtwirtschaftlichen Produktion im vergangenen Jahr gut abgebildet hat, für das zweite Quartal eine insgesamt moderatere konjunkturelle Dynamik an (vgl. Abb. 3.1). Demgegenüber liegt der Indikator in den Schwellenländern bereits wieder auf dem hohen Niveau des Jahres 2007 und zeigt eine anhaltend kräftige Expansion der gesamtwirtschaftlichen Produktion an. Besonders hoch werden die Zuwächse der gesamtwirtschaftlichen Produktion weiterhin in Ostasien sowie in Lateinamerika sein. Für diese Regionen kann durchaus eine gewisse Abkoppelung von der Entwicklung der großen Industrienationen diagnostiziert werden. So expandiert der Handel nach dem Ende der globalen Rezession dort sehr rasch, während er in den Industrieländern bereits merklich an Dynamik verloren hat (vgl. Abb. 3.2). In den Industrieländern hat die gesamtwirtschaftliche Produktion aufgrund der hohen Auslandsnachfrage sowie kräftiger Wachstumsbeiträge der Lagerinvestitionen zu Beginn des Jahres erneut kräftig expandiert. Im Prognosezeitraum sind die Belastungen für die Konjunktur jedoch immens. Die dramatische Verschlechterung der öffentlichen Finanzen und die damit einhergehenden Konsolidierungszwänge, die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit sowie das allmähliche Auslaufen des Lageraufbaus werden die konjunkturelle Dynamik bremsen. Insbesondere das Auslaufen der fiskalpolitischen Unterstützungsmaßnahmen und die bereits beschlossenen Sparmaßnahmen – speziell in den Ländern der Eurozone – werden die wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigen. Zudem ist der Bankensektor in vielen Ländern infolge des hohen Bedarfs an Wertberichtigungen auf verbriefte Kredite im Zuge der Finanzkrise angeschlagen und die Herabstufung der Bonität von Staatsschuldtiteln belastet vor allem im Euroraum zusätzlich die Bilanzen. Obwohl sich die Kreditstandards weiter verbessert haben, sind die Kreditvolumina gegenüber dem Vorjahr rückläufig. Während die schwache Kreditentwicklung Tab. 3.1 Reales Bruttoinlandsprodukt und Verbraucherpreise in der Welt Gewicht a) Bruttoinlandsprodukt Verbraucherpreise Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % 2009 2010 2011 2009 2010 2011 Industrieländer EU-27 21,3 – 4,1 1,0 1,1 0,8 1,8 1,3 USA 20,5 – 2,4 3,2 1,8 – 0,3 1,6 1,2 Japan 6,0 – 5,2 2,9 1,6 – 1,4 – 0,9 – 0,4 b) Industrieländer insg. 50,4 – 3,5 2,2 1,5 0,1 1,4 1,1 Schwellenländer Russland 3,0 – 7,9 5,5 4,0 China und Hongkong 13,0 8,7 9,6 8,9 Indien 5,1 6,1 7,5 7,0 c) Ostasien ohne China 6,4 0,1 4,5 4,0 d) Lateinamerika 7,2 – 2,0 3,8 4,2 Schwellenländer insg. 34,7 3,0 6,8 6,3 Nachrichtlich: e) Weltwirtschaft – 0,6 4,1 3,5 f) ifo Exportindikator – 2,3 2,2 2,2 g) Welthandel, real – 10,9 12,0 7,5 Annahmen Ölpreis $/Barrel (Brent) 78 79 Wechselkurs $/ 1,26 1,20 a) b) Gewichtet mit Kaufkraftparitäten des Jahres 2009. – Gewichteter Durchschnitt aus den EU-27-Ländern, USA, Japan, c) Kanada, Schweiz und Norwegen. – Gewichteter Durchschnitt aus Südkorea, Indonesien, Taiwan, Thailand, Malaysia, d) Singapur und den Philippinen. – Gewichteter Durchschnitt aus Brasilien, Mexiko, Argentinien, Venezuela, Kolumbien und e) f) Chile. – Weltwirtschaft nach Abgrenzung des IWF. – Bruttoinlandsprodukte von 25 Ländern gewichtet mit Anteilen am g) deutschen Export. – Welthandel von Waren und Dienstleistungen in Abgrenzung der OECD. Quelle: OECD; IWF; Berechnungen des ifo Instituts; 2010 und 2011: Prognose des ifo Instituts. ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang Daten und Prognosen aktuell durch die stark gesunkene Nachfrage getrieben sein dürfte, könnte eine Angebotsverknappung im weiteren Prognosezeitraum die konjunkturelle Dynamik zusätzlich bremsen. Als Folge der weiterhin geringen Kapazitätsauslastung entspannt sich die Situation auf den Arbeitsmärkten, vor allem in den USA, nur allmählich. Der Preisauftrieb bleibt in den Industrieländern auch im Prognosezeitraum äußerst gering, so dass die Notenbanken ihren expansiven Kurs vorerst beibehalten werden. Die anhaltend kräftige Expansion in den Schwellenländern hat verschiedene Gründe. So war der Absturz der gesamtwirtschaftlichen Produktion im Zuge der weltweiten Finanzkrise deutlich weniger ausgeprägt als in den Industrieländern. Verantwortlich hierfür war insbesondere der bessere Zustand der Bilanzen sowohl im Bankensektor als auch auf Unternehmensebene und beim Staat. Die relativ moderaten Schuldenquoten ermöglichten es vielen Schwellenländern, umfangreiche fiskalpolitische Maßnahmen zu implementieren, die insbesondere die Binnennachfrage nach wie vor anregen. Zudem entfaltet die Geldpolitik nach dem raschen Absenken der Refinanzierungssätze – in einigen Schwellenländern wurden Leitzinsen sogar stärker gesenkt als in den Industrieländern – weiterhin ihre expansive Wirkung, auch wenn einige Notenbanken bereits erste Schritte zur Normalisierung der monetären Rahmenbedingungen eingeleitet haben. Positiv wirkt sich dabei aus, dass der Bankensektor im Großteil der Schwellenländer kaum durch Abschreibungsverluste als Folge der amerikanischen Immobilienkrise geschwächt wurde und den Impuls günstigerer Refinanzierungsmöglichkeiten besser an die private Wirtschaft weiter gegeben hat. Die Exporte aus den Schwellenländern Asiens und Lateinamerikas werden aktuell zudem durch den Umschwung im Lagerzyklus in wichtigen Absatzmärkten wie den USA und Europa gestützt. Wichtige Länder der Regionen wie Brasilien und Indonesien profitieren zusätzlich von kräftig gestiegenen Rohstoffpreisen. Die günstigen Wachstumsaussichten und eine gestiegene Risikobereitschaft der internationalen Investoren verstärken zudem den Kapitalstrom in diese Volkswirtschaften und erhöhen die Liquidität. So haben sich die Aktienkurse in den meisten Schwellenländern der Regionen in den vergangenen Monaten deutlich besser entwickelt als in den Industrienationen und die Risikoaufschläge auf Staatsanleihen sind auf ein historisch niedriges Niveau gesunken. Auch im Prognosezeitraum werden die Schwellenländer deutlich rascher expandieren als die Industrieländer. Insgesamt wird das Bruttoinlandsprodukt der Welt, nach Abgrenzung des internationalen Währungsfonds mit Kaufkraftparitäten gewichtet, 2010 um 4,1% und 2011 um 3,5% zunehmen (vgl. Tab. 3.1). In den Industrieländern wird sich der Anstieg des Preisniveaus als Folge der geringen konjunkturel- len Dynamik weiter abschwächen. In einigen Schwellenländern bleibt der Preisauftrieb jedoch angesichts der starken binnenwirtschaftlichen Entwicklung hoch. Die Arbeitslosigkeit wird weltweit zurückgehen, wenn auch in geringerem Tempo. Die Prognose stützt sich auf die technische Annahme, dass der Preis für Rohöl der Sorte Brent im Prognosezeitraum um 79 US-Dollar schwankt und dass sich der Wechselkurs des Euro bei rund 1,20 US-Dollar stabilisiert. Der Welthandel nach Abgrenzung der OECD dürfte im Jahr 2010 um 12% und 2011 um 7,5% steigen. Vereinigte Staaten In den USA setzt sich die konjunkturelle Erholung im Frühjahr 2010 fort. Getrieben von einem kräftigen Anstieg der privaten Konsumausgaben legte das reale Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal um 0,8% zu, nachdem es im vierten Quartal 2009 sogar um 1,4% gestiegen war. Positive Wachstumsbeiträge lieferten ferner die Lagerinvestitionen, die zum ersten Mal seit Ende 2008 einen Anstieg im Vergleich zum Vorquartal verzeichneten, sowie die Ausrüstungsinvestitionen, die sich in einer zyklischen Aufschwungsphase befinden und durch hohe Zuwächse im Bereich Software und Transport getrieben wurden. Die Investitionstätigkeit der Unternehmen wird dabei durch stark gestiegene Unternehmensgewinne unterstützt, die seit Frühjahr 2009 um rund 10% pro Quartal nach Steuern zugelegt haben und damit bereits wieder ihr Vorkrisenniveau erreicht haben. Im Gegensatz dazu hält die Rezession im Gewerbebau weiterhin an und auch die Investitionen im privaten Wohnungsbau waren erneut rückläufig. Beide Komponenten stehen aktuell nur noch für jeweils 1/5 der gesamten privaten Investitionen. Da die Einfuhren stärker ausgeweitet wurden als die Ausfuhren, lieferte der Außenhandel einen negativen Wachstumsbeitrag. Die Ausgaben des Staates verringerten sich überraschend deutlich um 0,5%, da insbesondere die Bundesstaaten und Kommunen zum Abbau der hohen Budgetdefizite ihre Investitionstätigkeit stark verringerten. Die Lage am Arbeitsmarkt hat sich in den vergangenen Monaten aufgehellt. Nachdem im Verlauf der Krise mehr als 8 Mill. Arbeitsplätze abgebaut wurden, ist die Beschäftigung seit Jahresbeginn um rund 1 Mill. Personen gestiegen (vgl. Abb. 3.3). Der Anstieg der Beschäftigung ist aktuell jedoch durch einen hohen temporären Stellenaufbau im Staatssektor überzeichnet. So sind allein im Mai 411 000 kurzfristige Arbeitsplätze für die im laufenden Jahr anstehende Volkszählung geschaffen worden. Im privaten Sektor hat sich der Beschäftigungsaufbau dagegen wieder spürbar verlangsamt, so dass insgesamt eine klare Trendwende am Arbeits63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 25 26 Daten und Prognosen Abb. 3.3 Konjunkturelle Entwicklung in den Vereinigten Staaten seit 2005 Private Konsumausgabena) Verfügbares Einkommenc) % Mrd. US-$ 2400 9 2300 6 16 % 12 8 (linke Skala) 16 12 Staatliche Transferzahlungen Konsum 2200 % 8 3 4 2100 4 0 0 laufende Jahresrate (rechte Skala) 2000 -3 1900 -6 2005 2006 2007 2008 Außenhandel 2009 500 -4 Arbeitnehmerentgeld -8 2010 -8 2005 2006 2007 a)b) 2008 2009 2010 Preisec) Mrd. US-$ 600 0 -4 Mrd. US-$ 6 Importe % % 6 4 (linke Skala) 4 400 Exporte (linke Skala) 300 2 200 -80 2 Kerninflationsrate 0 0 0 100 Saldo (rechte Skala) Konsumentenpreise -160 -240 -2 0 2005 2006 2007 2008 2009 2010 -2 2005 Arbeitsmarkt 2007 2008 2009 2010 Kapazitätsauslastung Mill. Personen 148 2006 % 12 85 Index, saisonbereinigt % 10 Kapazitätsauslastung (linke Skala) 146 81 5 77 0 10 144 Erwerbstätiged) (linke Skala) 142 8 -5 73 140 Arbeitslosenquote (rechte Skala) 6 138 c) Industrieproduktion 69 -10 (rechte Skala) 136 4 2005 2006 2007 2008 2009 2010 markt noch nicht erkennbar ist. Da auch die Anzahl der Erwerbspersonen kräftig gestiegen ist, liegt die Arbeitslosenquote im Mai mit 9,7% weiterhin auf einem historisch sehr hohen Niveau. Trotz des Anstiegs der Beschäftigung seit Jahresbeginn expandierten die Nominallöhne nur sehr verhalten, auch weil die Kapazitätsauslastung nach wie vor außergewöhnlich niedrig ist. Die realen Arbeitnehmerentgelte liegen deshalb weiterhin deutlich unter dem Vorjahreswert. Bedingt durch eine kräftige Erhöhung der staatlichen Transferzahlungen um 2,5% sind die real verfügbaren Einkommen insgesamt im ersten Quartal zwar um 0,5% gestiegen; ohne die staatlichen Transfers wären sie jedoch erneut rückläufig gewesen. Dies verdeutlicht die starke Abhängigkeit der Einkommensentwicklung und damit letztlich auch des privaten Konsums von staatlichen Unterstützungen. Zudem wurde die merkliche Erhöhung der Ausgaben der privaten Haushalte im ersten Quartal zu einem großen Teil durch einen deutlichen Rückgang der Sparquote finanziert, die aktuell bei 3,6% liegt nachdem sie im Mai 2009 bereits auf 6,4% angestiegen war. -15 65 2005 2006 2007 2008 2009 2010 a) Real, saisonbereinigte Werte. b) Waren und Dienstleistungen. c) Veränderung gegenüber Vorjahr in %. d) Zivile Erwerbstätige insgesamt, saisonbereinigt. Quelle: Bureau of Labor Statistics; Federal Reserve; U.S. Department of Commerce; Berechnungen des ifo Instituts. Tab. 3.2 Eckdaten zur Wirtschaftsentwicklung in den USA 2009 Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % Reales Bruttoinlandsprodukt – 2,4 Privater Konsum – 0,6 Staatskonsum und -investitionen 1,8 Private Bruttoanlageinvestitionen – 23,2 Inländische Verwendung – 3,4 Exporte – 9,6 Importe – 13,9 a) Außenbeitrag 1,0 Verbraucherpreise – 0,3 In % des nominalen Bruttoinlandsprodukts b) Budgetsaldo – 9,9 Leistungsbilanzsaldo – 2,9 In % der Erwerbspersonen Arbeitslosenquote 9,2 a) b) Wachstumsbeitrag. – Gesamtstaatlich, Fiskaljahr 2010 2011 3,2 2,2 0,6 15,0 3,4 9,9 9,2 – 0,2 1,6 1,8 1,3 0,9 6,1 1,8 4,9 4,2 0,0 1,2 – 9,8 – 2,8 – 8,6 – 2,8 9,5 9,2 Quelle: U.S. Department of Commerce, Bureau of Economic Analysis; Bureau of Labor Statistics; Berechnungen des ifo Instituts; 2010 und 2011: Prognose des ifo Instituts. ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang Sowohl die Entwicklung der verschiedenen Einkommenskomponenten als auch die stark gesunkene Sparquote deuten auf eine nachlassende Konsumdynamik im Prognosezeitraum hin. Auch werden die Finanzund Sachvermögen, deren kräftige Zunahme die amerikanischen Haushalte seit Ende der 1990er Jahre zur Finanzierung ihrer hohen Konsumausgaben genutzt haben, infolge der anhaltenden Belastungen aus der Immobilien- und Finanzkrise nur verhalten expandieren.8 So haben die Aktienmärkte nach einer kräftigen Erholung zu Beginn des Jahres seit Mai erneut rund 10% verloren. Die Hauspreise stagnieren nach einer leichten Erholung seit Jahresbeginn wieder und wichtige Frühindikatoren wie Baubeginne und Baugenehmigungen deuten auf eine weiterhin geringe Dynamik hin. Grund hierfür ist neben einer anhaltend geringen Nach- 8 Für die Bedeutung der Vermögensentwicklung für die privaten Konsumausgaben in den USA vgl. K. Carstensen et al., »ifo Konjunkturprognose 2008/2009: Aufschwung geht zu Ende«, ifo Schnelldienst 61(12), 2008, 9–54, hier: S. 17. Daten und Prognosen Abb. 3.4 Anteil der Hypothekenkredite in Zahlungsverzug oder Zwangsvollstreckung 16 % % 16 Zwangsvollstreckung > 90 Tage 12 12 60 Tage austauschvereinbarungen wurden im Mai diesen Jahres reaktiviert, um die Versorgung ausländischer Geschäftsbanken durch ihre jeweiligen Zentralbanken mit US-Dollar zu gewährleisten, deren Nachfrage im Zuge der europäischen Schuldenkrise wieder deutlich gestiegen war. 30 Tage 8 8 4 4 0 I II III IV 2005 I II III IV 2006 I II III IV 2007 I II III IV 2008 I II III IV I 2009 2010 0 Quelle: National Delinquency Survey, Mortgage Bankers Association. frage nach Immobilien das weiterhin steigende Angebot an bestehenden Häusern. So nehmen die Zahlungsausfälle bei Hypothekenkrediten immer noch zu (vgl. Abb. 3.4). Zudem birgt das Auslaufen wichtiger staatlicher Unterstützungsmaßnahmen das Risiko eines erneuten Rückgangs der Hauspreise.9 Analog zeigen die Umfragen zum Verbrauchervertrauen weiterhin eine geringe Zuversicht der amerikanischen Konsumenten an und die Dynamik der monatlichen Konsumausgaben hat sich im April bereits wieder spürbar verlangsamt. Begünstigt durch die moderate Lohnentwicklung verlangsamte sich der Preisauftrieb gemessen am Konsumentenpreisindex im Mai auf 2,0%, nachdem die Inflationsrate im vergangenen Jahr aufgrund der Erholung von Energie- und Rohstoffpreisen binnen weniger Monate von – 2,0% auf 2,8% geklettert war. Ein Auslaufen dieser Basiseffekte wird in den nächsten Monaten zu einem weiteren Absinken der Teuerungsrate führen. Auch die Kerninflation ist weiterhin rückläufig und liegt mit aktuell 1,0% auf dem niedrigsten Niveau seit den 1960er Jahren. Aufgrund der noch immer schwach ausgelasteten Kapazitäten und sinkender Lohnstückkosten vor allem im verarbeitenden Gewerbe sowie infolge eines mit dem Preisverfall am Immobilienmarkt einhergehenden Rückgangs der Mietkosten ist erst im nächsten Jahr wieder mit einem Inflationsanstieg zu rechnen. Vor dem Hintergrund des geringen Preisauftriebs und der weiterhin angespannten Lage am Arbeitsmarkt hält die amerikanische Notenbank bis auf weiteres an ihrer faktischen Nullzinspolitik fest. Mit dem offiziellen Auslaufen der Aufkaufprogramme für hypothekenbesicherte Wertpapiere zum 31. März 2010 hat sie bereits einen wesentlichen Teil ihres Maßnahmenpakets zur Stabilisierung der Finanzmärkte abgeschlossen. Eine Ausnahme hiervon stellt die jüngste Wiederbelebung so genannten Swap-Lines dar. Diese schon zu Beginn der Finanzmarktkrise abgeschlossenen Währungs9 So ist das First-Time Homebuyer Tax Credit, ein Programm für Steuergutschriften in Höhe von 8 000 US-Dollar für Erstkäufer und von 6 500 USDollar für Käufer weiterer Immobilien Ende April 2010 ausgelaufen. Von dieser Maßnahme abgesehen wirkt sich die europäische Krise bisher kaum auf das amerikanische Finanzsystem aus. So war am Interbankenmarkt lediglich ein leichter Anstieg der Risikoaufschläge zu beobachten. Aus diesem Grund hält die amerikanische Geldpolitik weiterhin an ihrer Strategie eines langsamen, aber kontinuierlichen Ausstiegs aus den Maßnahmen der quantitativen Lockerung fest. Dabei könnte die europäische Krise der Notenbank ihren Rückzug aus den Stützungsprogrammen am Hypothekenmarkt sogar erleichtern. So führte die zuletzt starke Nachfrage nach amerikanischen Anleihen zu einem Absinken des langfristigen Zinsniveaus, von dem auch der Hypothekenmarkt profitierte. Ein nach dem Auslaufen der Stützungsprogramme erwarteter Anstieg der Hypothekenzinsen blieb zunächst aus. Dämpfende Effekte auf den Konsum und den Häusermarkt wurden hierdurch verschoben. Dennoch sind nennenswerte Verkäufe hypothekenbesicherter Wertpapiere, die zurzeit etwa die Hälfte der Notenbankbilanz ausmachen, vorerst nicht geplant. Mit der Veräußerung dieser Papiere wird die Notenbank nach eigener Aussage erst nach dem Eintritt in den nächsten Zinsanhebungszyklus beginnen. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit sowie der noch geringen Inflationsgefahr ist in diesem Jahr jedoch kaum mit einem Anstieg der Leitzinsen zu rechnen, und auch im nächsten Jahr ist nur ein moderater Anstieg der Fed Funds Rate zu erwarten. Bis dahin wird die amerikanische Notenbank die aktuell nur auf Tagesbasis eingestellten Überschussreserven des Bankensektors zunehmend durch Schuldvereinbarungen mit längeren Laufzeiten, vor allem durch Term Deposits und Repo-Geschäfte, ersetzen, um auf diese Weise das inflationäre Potenzial der angewachsenen Geldmenge zu neutralisieren. Trotz der Entspannung an den Finanzmärkten liegt das Defizit der öffentlichen Haushalte im Fiskaljahr 2010 nur knapp unter dem Rekordniveau des Vorjahres. Für einen leichten Rückgang des Fehlbetrags sorgten vor allem die rückläufigen Aufwendungen für die Rekapitalisierung des Bankensektors, den Einlagensicherungsfonds und die staatsnahen Hypothekenfinanzierer. Rechnet man diese Sondereffekte heraus, lag das laufende Defizit im aktuellen Fiskaljahr bisher um 257 Mrd. US-Dollar höher als im Vorjahr. Dabei verschlechterte sich die Einnahmeseite vor allem durch einen Rückgang der Einkommenssteuern, während auf der Ausgabeseite steigende Aufwendungen für Gesundheit und Soziales, insbesondere für die Arbeitslosenunterstützung, zu Buche schlugen. Zudem wird die aktuelle Haushaltslage noch von einem Ausgabeanstieg im Zuge des Konjunkturprogramms ARRA überschattet. Während das Auslaufen der fiskalpolitischen Stimuli die konjunkturelle Dynamik im 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 27 28 Daten und Prognosen Abb. 3.5 Reales Bruttoinlandsprodukt in den USA Saisonbereinigter Verlauf Index 110 % 12 1,8% 106 2,1% 8 -2,4% 2,7% 102 3,2% 0,4% 4 0 98 Prognosezeitraum laufende Jahresrate a) Jahresdurchschnitt b) 1. Quartal 2006 = 100 94 -4 90 -8 2006 2007 2008 2009 2010 2011 a) Veränderung gegenüber dem Vorquartal in %, auf Jahresrate hochgerechnet (rechte Skala). b) Zahlenangabe: Veränderung gegenüber dem Vorjahr. Quelle: Bureau of Economic Analysis; Berechnungen und Schätzungen des ifo Instituts (Juni 2010). Prognosezeitraum wohl zunehmend bremsen wird, dürfte sich die Haushaltslage hierdurch im nächsten Jahr etwas entspannen. Auch mit einer graduellen Erholung der Einkommenssteuern und der weniger bedeutenden Körperschaftssteuern ist zu rechnen. Darüber hinaus enden zum 31. Dezember zeitlich befristete Steuererleichterungen aus der Bush-Ära, über deren Verlängerung noch diskutiert wird. Somit besteht bereits im Fiskaljahr 2011 die Möglichkeit zu einem deutlichen Rückgang des Primärdefizits. Eine Sanierung des amerikanischen Bundeshaushaltes hängt allerdings auch in nennenswertem Umfang von der Arbeitsmarktentwicklung ab. Im Prognosezeitraum stellen steigende Sozialausgaben sowie ein drohender Zinsanstieg wesentliche Belastungsfaktoren für die öffentlichen Haushalte dar. Für das Fiskaljahr 2010 wird deshalb mit einem Budgetdefizit von 9,8% des Bruttoinlandsprodukts gerechnet, für 2011 mit einer Reduktion auf 8,6% (vgl. Tab. 3.2). sich die konjunkturelle Dynamik im weiteren Prognosezeitraum jedoch spürbar verlangsamen. Insbesondere die privaten Konsumausgaben dürften mit deutlich geringeren Raten expandieren, die sich an der schwachen Entwicklung der verfügbaren Einkommen orientieren. Eine Finanzierung der Ausgaben durch fortlaufendes Entsparen ist nur noch sehr begrenzt möglich, da die Sparquote bereits wieder auf einem sehr geringen Niveau liegt. Angesichts ihres immer noch sehr hohen Schuldenstandes und der krisenbedingten Vermögensverluste werden die Haushalte vielmehr ihre Verschuldung zunehmend zurückfahren, so dass die Sparquote im Trend wieder steigen dürfte. So bleibt auch die Kreditnachfrage weiterhin schwach; auch wird der Hypothekenmarkt weiter unter dem Zusammenbruch des Verbriefungsmarktes leiden. Der Gewerbebau wird im Prognosezeitraum vorerst in der Rezession bleiben und auch der private Wohnungsbau dürfte allenfalls stagnieren. In beiden Fällen bremsen hohe Leerstände die Investitionstätigkeit. Am privaten Häusermarkt steigt zudem die Zahl der Zwangsvollstreckungen weiter an. Das Auslaufen staatlicher Unterstützungsmaßnahmen wie zinslose Darlehen und künstlich niedrig gehaltene Hypothekenzinsen dürften die Nachfrage nach Wohnimmobilien bremsen. Insgesamt wird sich der Zuwachs des realen Bruttoinlandsprodukts 2011 auf 1,8% verlangsamen. Trotz der prognostizierten Konsumschwäche wird sich das Leistungsbilanzdefizit dabei wohl nur geringfügig abbauen. Die Arbeitslosigkeit wird im Prognosezeitraum nur graduell zurückgehen und der gesamtwirtschaftliche Preisauftrieb bleibt mit 1,6% im laufenden Jahr und 1,2% in 2011 voraussichtlich sehr moderat. Trotz der mittelfristigen Belastungsfaktoren deuten wichtige Frühindikatoren eine hohe Expansionsgeschwindigkeit im Sommerhalbjahr an. So sind die Industrieproduktion und die Auftragseingänge weiterhin aufwärtsgerichtet und der Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe signalisiert eine anhaltend positive Stimmung der Unternehmen. Getrieben von einer fortgeführten Korrektur bei den Lagerinvestitionen und kräftigen Zuwächsen der Ausrüstungsinvestitionen, die durch Nachholeffekte weiter gestützt werden, sowie unterstützt durch positive Effekte der staatlichen Konjunkturprogramme, dürfte die gesamtwirtschaftliche Produktion erneut spürbar ansteigen. Als Folge der robusten Entwicklung der verfügbaren Einkommen zu Jahresbeginn und der Aufwertung des Dollars dürfte der Außenbeitrag im laufenden Jahr insgesamt leicht negativ ausfallen. Im Jahresdurchschnitt wird das reale Bruttoinlandsprodukt um 3,2% expandieren (vgl. Abb 3.5). Japan Mit dem Ende des Lageraufbaus sowie dem Auslaufen der positiven Effekte der fiskalpolitischen Maßnahmen wird Bereits veröffentlichte Zahlen vom April deuten darauf hin, dass die wirtschaftliche Aktivität in Japan im laufenden Quar- ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang Die japanische Wirtschaft setzte ihren dynamischen Aufholprozess im Winterhalbjahr 2009/2010 fort. Im vierten Quartal 2009 erhöhte sich die gesamtwirtschaftliche Produktion um 1,1% gegenüber dem Vorquartal; im ersten Quartal dieses Jahres stieg sie um 1,2%. Maßgeblich dazu trugen zum wiederholten Male der Außenbeitrag und der private Konsum bei. Der Außenbeitrag legte, getrieben durch die starke Nachfrage aus China und den anderen süd- und südostasiatischen Schwellenländern, jeweils um knapp 18% gegenüber dem Vorquartal zu. Der private Konsum erhöhte sich, gestützt durch starke fiskalpolitische Impulse, um 0,7% und 0,3%. Zudem wiesen die Investitionen zum ersten Mal seit Anfang 2008 wieder positive Zuwachsraten auf. Daten und Prognosen tal weiter zulegen wird. So nahm die Industrieproduktion nach einem Anstieg von 1,2% gegenüber dem Vormonat im März auch im April um 1,3% zu. Die Exporte erhöhten sich um 2,3%, während die Importe um 3,4% anstiegen. Positiv zu werten ist zudem die Entwicklung des vielbeachteten Tankan Index zur aktuellen Lage der japanischen Unternehmen, der seinen Aufwärtstrend im April fortsetzte. Gleiches gilt für das Verbrauchervertrauen, das im April noch einmal überraschend deutlich zulegte. Stützend dürfte sich außerdem der Beginn eines neuen Lagerzyklus auswirken, der bereits im ersten Quartal eingesetzt hat. Tab. 3.3 Eckdaten zur Wirtschaftsentwicklung in Japan 2009 2010 Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % Reales Bruttoinlandsprodukt – 5,3 2,9 Privater Konsum – 1,0 1,0 Staatskonsum und -investitionen 2,6 0,5 Private Bruttoanlageinvestitionen – 17,2 0,8 Inländische Verwendung – 3,4 0,8 Exporte – 24,1 23,1 Importe – 16,9 8,8 a) Außenbeitrag – 2,0 2,1 Verbraucherpreise – 1,4 – 0,9 In % des nominalen Bruttoinlandsprodukts b) Budgetsaldo – 7,4 – 9,0 Leistungsbilanzsaldo 2,5 3,5 In % der Erwerbspersonen Arbeitslosenquote 5,1 5,0 a) b) Wachstumsbeitrag. – Gesamtstaatlich, Fiskaljahr. 2011 1,6 0,5 – 0,5 4,5 0,9 9,0 7,0 0,7 – 0,4 – 7,0 4,0 4,8 Im weiteren Verlauf des Jahres wird sich die ausgeprägte konjunkturelle Dynamik etwas Quelle: ESRI, OECD; Berechnungen des ifo Instituts; 2010 und 2011: abschwächen. Als Grund ist hier eine KomPrognose des ifo Instituts. bination aus geringeren Impulsen aus dem Außenhandel, sinkenden Staatsausgaben re. Dies wird zusammen mit den anhaltend niedrigen Inflaund einem schwächeren privaten Konsum zu nennen. So tionserwartungen dazu führen, dass größere Anschaffungen wird das Auslaufen der fiskalpolitischen Maßnahmen in den weiter in die Zukunft verschoben werden. Die negativen Efasiatischen Nachbarländern die Nachfrage nach japanischen fekte werden auch nicht durch die zuletzt positive EntwickGütern verringern, so dass der Außenhandel nicht mehr in lung auf dem Arbeitsmarkt kompensiert werden können, auf so umfangreichem Maße wie bisher zur wirtschaftlichen Exdem die Arbeitslosenquote seit August letzten Jahres von pansion beitragen wird. Zudem hat der neue japanische 5,5% auf 5,1% im April gesunken ist. Ministerpräsident Naoto Kan angekündigt, entschiedener gegen die hohe Staatsverschuldung vorzugehen, so dass Im Jahr 2010 wird die wirtschaftliche Dynamik nach dem ein stärkeres Absinken der Staatsausgaben im laufenden außerordentlich starken ersten Quartal nachlassen (vgl. Jahr zu erwarten ist. Von den Sparmaßnahmen der RegieAbb. 3.6). Trotzdem wird die gesamtwirtschaftliche Prorung negativ betroffen dürfte auch der Konsum sein, da neduktion um 2,9% ansteigen. Im Jahr 2011 wird sich das ben Ausgabenkürzungen auch Steuererhöhungen angekünExpansionstempo wieder etwas erhöhen. Aufgrund eidigt wurden. nes wesentlich geringeren Überhangs im Vergleich zum laufenden Jahr wird die Zuwachsrate des BruttoinlandsEinen zusätzlichen belastenden Faktor stellt noch immer die produktes im Jahresdurchschnitt jedoch nur bei 1,6% Deflation dar. So lag die Kerninflation trotz anhaltender Geliegen (vgl. Tab. 3.3). genmaßnahmen der japanischen Zentralbank zuletzt mit – 1,1% weit unter dem Durchschnitt der vergangenen Jah- China Abb. 3.6 Reales Bruttoinlandsprodukt in Japan Saisonbereinigter Verlauf % Index 108 12 Prognosezeitraum 106 8 2,0% 2,3% 104 -1,2% 1,6% 102 4 0 2,9% 100 -4 -5,3% 98 -8 laufende Jahresrate a) Jahresdurchschnitt b) 1. Quartal 2006 = 100 96 -12 94 -16 2006 a) b) 2007 Die chinesische Wirtschaft expandierte im vergangenen Winterhalbjahr mit zweistelligen Zuwachsraten. Während die gesamtwirtschaftliche Produktion im vierten Quartal mit einer Rate von 10,7% gegenüber dem Vorjahresquartal zulegte, erhöhte sie sich im ersten Quartal um 11,9%. Dieser Anstieg war in etwa zu gleichen Teilen auf eine Zunahme der Investitionen und des privaten Konsums zurückzuführen, während die Nettoexporte leicht negativ zur Entwicklung beitrugen. 2008 2009 2010 Veränderung gegenüber dem Vorquartal in %, auf Jahresrate hochgerechnet (rechte Skala). Zahlenangabe: Veränderung gegenüber dem Vorjahr. Quelle: ESRI; Berechnungen und Schätzungen des ifo Instituts (Juni 2010). 2011 Die aktuellen Daten spiegeln die gute Verfassung der chinesischen Wirtschaft in fast allen Bereichen wider. So lag die Industrieproduktion in den ersten vier Monaten des Jahres im Durchschnitt um mehr als 17% über dem Niveau 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 29 30 Daten und Prognosen des vergleichbaren Vorjahreszeitraums, die Ausrüstungsinvestitionen sogar um 26%. Die Exporte lagen im Mai um 48,5% über dem Niveau des Vorjahresmonats, die Importe folgten mit Wachstumsraten in gleicher Größenordnung. Umfragen zeigen zudem, dass die Geschäftserwartungen der Unternehmen und das Konsumentenvertrauen noch immer ansteigen. Allerdings lassen sich für einige Indikatoren im April erstmals auch stagnierende Werte feststellen. Darunter fallen unter anderem Umfragen zur Lage im verarbeitenden Gewerbe und der Einkaufsmanagerindex. Dies deutet darauf hin, dass sich die wirtschaftliche Dynamik im laufenden Quartal zumindest nicht mehr verstärken wird. Einen Belastungsfaktor stellen in der zweiten Jahreshälfte die Bemühungen der Regierung dar, einer potentiellen Inflation und möglichen regionalen Immobilienblasen in einigen Teilen des Landes entgegenzuwirken. Die Regierung hat bereits erste Gegenmaßnahmen beschlossen, die sich in den kommenden Quartalen dämpfend auf die wirtschaftliche Dynamik auswirken werden. So wurde der Mindestreservesatz für chinesische Banken von 15% auf inzwischen 17% erhöht. Zusätzlich tätigte die chinesische Zentralbank Offenmarktoperationen im Umfang von 1,1 Billionen Yuan, um den Märkten Liquidität zu entziehen. Immobilienmarktbezogene Maßnahmen stellten eine Erhöhung der notwendigen Anzahlungen für den Kauf von Zweithäusern sowie ein Verbot von Krediten für den Kauf von Dritthäusern dar. Zusätzlich dämpfend wird zudem die in den kommenden drei Monaten wahrscheinliche Erhöhung des Leitzinses wirken, der momentan bei 5,3% liegt. Nach einem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes mit einer zweistelligen Zuwachsrate im zweiten Quartal wird das Expansionstempo aufgrund der restriktiveren Geld- und Kreditvergabepolitik zurückgehen. Trotzdem dürfte China auch in der zweiten Jahreshälfte hohe einstellige Wachstumsraten vorweisen. Im Durchschnitt des Jahres 2010 ist mit einem Anstieg der Wirtschaftsleistung um 9,6% zu rechnen. Im kommenden Jahr wird sich die wirtschaftliche Dynamik wohl nur geringfügig abschwächen. Die gesamtwirtschaftliche Produktion dürfte dann um 8,9% zulegen. Indien Nach einer durch Sondereffekte bedingten, niedrigen Wachstumsrate von 6,5% gegenüber dem Vorjahreszeitraum im letzten Quartal des Jahres 2009 expandierte die indische Wirtschaft im ersten Quartal dieses Jahres mit einer Rate von 8,6%. Positiv trugen hier vor allem das verarbeitende Gewerbe und der Bergbau bei. So legte die wirtschaftliche Aktivität im verarbeitenden Gewerbe im vierten Quartal 2009 um 13,8% gegenüber dem Vorjahresquartal zu und im ersten Quartal 2010 um 16%. Der Bergbau verzeichnete ähnifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang liche Anstiege des sektoralen Outputs. Demgegenüber entwickelte sich der Agrarsektor witterungsbedingt schwach. Verwendungsseitig expandierte vor allem die Investitionstätigkeit, während der Konsum nur niedrige Wachstumsraten aufwies und die Staatsausgaben aufgrund der Sparmaßnahmen der Regierung stark zurückgingen. Die Aussichten für die indische Wirtschaft haben sich zuletzt verbessert. Verschiedene Frühindikatoren zum Wirtschaftsklima in Indien weisen eine steigende Tendenz auf. So erhöhte sich der Composite Leading Indicator der OECD für Indien auch im April. Im Rahmen des World Economic Survey (WES) des ifo Instituts zur aktuellen Stimmung der Wirtschaft nimmt Indien innerhalb Asiens einen der vorderen Plätze ein. Indiens Exporte lagen zuletzt im April um 36,2% über dem Niveau des Vorjahresquartals, die Importe um 43,3%. Und auch die Kapazitätsauslastung liegt in Indien inzwischen wieder auf sehr hohem Niveau. Unterstützt werden die positiven Aussichten zusätzlich durch das anziehende Konsumentenvertrauen. Dies führte unter anderem dazu, dass sich die Autoverkäufe für Mai um 33% gegenüber dem Vorjahresmonat erhöhten und damit ein neues Allzeithoch für den Monat markierten. Ein Problem stellt weiterhin die hohe Teuerung im Land dar. So stiegen die Lebensmittelpreise seit November um 15%. Der breit gefächerte Konsumentenpreisindex erhöhte sich binnen Jahresfrist um 9,6%. Die indische Zentralbank hat bereits Gegenmaßnahmen eingeleitet. So erhöhte sie die Zinsen in diesem Jahr bereits von 4,75% auf 5,25%. Weitere Schritte werden angesichts der steigenden Preise spätestens im Juli erwartet. Dämpfend dürfte sich auch die restriktive Fiskalpolitik der Regierung auswirken, die angesichts der für ein Schwellenland sehr hohen Staatsverschuldung von 60% und eines erwarteten Haushaltsdefizits von 10% des Bruttoinlandsproduktes im Jahr 2010 einen rigiden Sparkurs eingeschlagen hat. Die indische Wirtschaft dürfte im Prognosezeitraum weiterhin hohe Zuwachsraten aufweisen. Besonders im zweiten Quartal zeichnet sich eine Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Dynamik ab. Im dritten und vierten Quartal wird sich das Expansionstempo dagegen wohl leicht vermindern. Für das Jahr 2010 ist mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 7,5% zu rechnen. In 2011 dürfte sich die Wachstumsrate nur leicht auf 7% reduzieren. Euroraum Die wirtschaftliche Erholung im Euroraum hat sich im Frühjahr 2010 fortgesetzt. Das reale Bruttoinlandsprodukt legte im ersten Quartal um knapp 0,2% zu, nachdem es in den beiden Quartalen davor um 0,1% und 0,4% zugenommen hatte. Dieser moderate Anstieg war allerdings vornehmlich Daten und Prognosen auf den steigenden Staatskonsum sowie die Aufstockung der Vorräte zurückzuführen. Negativ fiel im ersten Quartal 2010 der Wachstumsbeitrag des Außenhandels aus. Zwar legten die Exporte um 2,5% zu, die Importe stiegen dagegen noch kräftiger um 4%. Der Rückgang der Nettoexporte war auf die starke Nachfrage vor allem deutscher Unternehmen nach Rohstoffen und Vorleistungen aus dem Ausland zurückzuführen. Diese wurden hauptsächlich zur Aufstockung der Lagerbestände benutzt. Die private Investitionsnachfrage wurde durch die nach wie vor niedrige Kapazitätsauslastung, die sehr unsicheren Wachstumsaussichten sowie die weiterhin restriktive Kreditvergabe der Banken stark belastet. Letztere haben die Restrukturierung und Bereinigung ihrer Bilanzen (Deleveraging) noch immer nicht abgeschlossen. Vielmehr besteht die Gefahr eines weiteren Abschreibungsbedarfs, vor allem bei Staatsanleihen überschuldeter Euroraumländer. Der Konsum wurde durch die hohe Arbeitslosigkeit und die seit Mitte des letzen Jahres schrumpfenden verfügbaren Einkommen gedämpft. Die gesamtwirtschaftliche Produktion nahm im ersten Quartal in allen großen Volkswirtschaften des Euroraums zu. Verhältnismäßig kräftig fiel der Anstieg in Italien aus, wo der Außenhandel einen besonders hohen Wachstumsbeitrag leistete. Etwas moderater war die Entwicklung in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden. In Spanien verzeichnete die Produktion ihren ersten – wenn auch recht schwachen – Zuwachs seit dem zweiten Quartal 2008. dramatischen Anstieg der Arbeitslosenquote. Dennoch fiel – relativ zu dem enormen Rückgang der Produktion – der kumulierte Beschäftigungsabbau seit dem Herbst 2008 moderater aus als in früheren Rezessionen. Darin spiegelt sich eine, durch die Kurzarbeit unterstützte, intensivere Arbeitskräftehortung wider, die wohl letztlich auf den Versuch vieler Unternehmen zurückzuführen ist, die krisenbedingten Humankapitalverluste gering zu halten. Nach einer kurzen Phase sinkender Preise in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres nimmt der Preisauftrieb seit November 2009 wieder zu. Im Mai betrug die Inflationsrate – gemessen an der Veränderungsrate des Harmonisierten Verbraucherpreisindex – 1,6%. Für die Zunahme der Inflationsrate waren die im ersten Quartal 2010 kräftig gestiegenen Energiepreise maßgeblich. Deutlich moderater hingegen entwickelte sich aufgrund der gedämpften Inlandsnachfrage die Kerninflationsrate (Veränderung der Verbraucherpreise ohne Preise für Energie und unverarbeitete Nahrungsmittel). In den letzten Monaten setzte sie ihre seit Sep- Abb. 3.7 Konjunkturelle Entwicklung im Euroraum seit 2005 Wirtschaftswachstum und ifo Wirtschaftsklima % % 160 Reales BIP 3 % 90 15 Kapazitätsauslastung b) 130 (linke Skala) 0 85 10 5 80 0 75 -5 Investitionen -3 e) (linke Skala) 100 70 ifo Wirtschaftsklimaa) c) -10 (rechte Skala) 70 -15 (rechte Skala) 40 2005 2006 2007 2008 Außenhandel 950 2009 -20 2005 2010 Mrd. Euro 149 2008 2009 2010 % 13 Erwerbstätige (linke Skala) 146 (linke Skala) 11 800 Importe 143 (linke Skala) 750 Arbeitslosenquote 9 (rechte Skala) 700 50 Saldo (rechte Skala) 650 140 25 600 0 2005 2006 2007 2008 2009 137 7 2010 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Veränderung der Kreditbeständeg) Nominalzinsenf) % 6 2007 Mill. Personen Exporte 850 2006 Arbeitsmarkte) Mrd. Euro 900 65 c)d) % 8 Anzeichen einer Stabilisierung zeigt auch der Arbeitsmarkt. So hat sich der Beschäftigungsabbau im Euroraum seit September 2009 spürbar verlangsamt. Zuletzt stand die Arbeitslosenquote im April bei 10,1%. Allerdings gestaltete sich die Entwicklung über die Mitgliedsstaaten hinweg sehr heterogen. Speziell in den Ländern, die flexible Kurzarbeitsregelungen sowie Lohnkürzungen implementiert hatten, blieb der Abbau von Arbeitsplätzen verhältnismäßig gering. In Spanien und Irland dagegen führte der Zusammenbruch des Immobilleinsektors zu einem Private Investitionen Index 2005=100 6 -6 Die voranschreitende wirtschaftliche Erholung im Euroraum spiegelt sich auch im ifo Wirtschaftsklimaindex wider. Der Indikator legte im zweiten Quartal 2010 erneut zu, nachdem er sich bereits seit Mitte vergangenen Jahres kontinuierlich verbessert hatte (vgl. Abb. 3.7). Zahlreiche weitere Frühindikatoren sind ebenfalls seit mehreren Monaten aufwärtsgerichtet und deuten auf eine Fortsetzung der Erholung hin. 31 % 8 Unternehmensanleihen (BBB) Unternehmenskredite 6 % 16 12 Wohnungsbaukredite Unternehmenskredite 12 8 8 4 16 4 DreimonatsEURIBOR 0 2 0 2005 2006 2007 2008 2009 2010 4 Konsumentenkredite 4 Unternehmensanleihen (AAA) 2 0 0 -4 -4 2005 2006 2007 2008 2009 2010 a) Arithmetrisches Mittel der Bewertung der gegenwärtigen Lage und der erwarteten Entwicklung. Veränderung gegenüber dem jeweiligen Vorjahresquartal in %, saison- und kalenderbereinigt. Real, saisonbereinigte Werte. - d) Waren und Dienstleistungen. - e) Saisonbereinigt. f) Unternehmenskredite = Zinssatz für bestehende Kredite an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften; Unternehmensanleihen = Zinsen für Corporate Bonds höchster (AAA) und mittlerer (BBB) Güte mit einer Laufzeit von zehn Jahren. - g) Veränderung gegenüber Vorjahr; Unternehmenskredite = Kredite an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften; Wohnungsbaukredite = Wohnungsbaukredite der privaten Haushalte. b) c) Quelle: Ifo World Economic Survey (WES) II/2010; Eurostat; Europäische Zentralbank; Berechnungen des ifo Instituts. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 32 Daten und Prognosen tember 2008 zu beobachtende Abwärtstendenz fort und lag im April bei 0,8%. Mit dem Programm für Wertpapierkäufe hat die Europäische Zentralbank im Mai dieses Jahres eine weitere außergewöhnliche Maßnahme zur Reaktion auf die Finanzmarktkrise ergriffen. Bis zum 11. Juni hat die EZB (vermutlich vorwiegend Staats-)Anleihen im Umfang von 47,1 Mrd. € erworben, mit dem Ziel, die Markttiefe und -liquidität an den Anleihenmärkten sicherzustellen und somit einen reibungslosen geldpolitischen Transmissionsprozess wiederherzustellen. Die Maßnahme soll die von den EU-Ländern beschlossenen Pakete zur Wahrung der Finanzstabilität in Europa unterstützen. In Hinblick auf den geldpolitischen Kurs wurden die Wertpapierkäufe so durchgeführt, dass das Volumen des von der EZB zur Verfügung gestellten Zentralbankgeldes durch die Hereinnahme von Termineinlagen im Umfang der Wertpapierkäufe reduziert wurde. Die im Rahmen der erweiterten Maßnahmen zur Unterstützung der Kreditvergabe im Oktober 2008 beschlossene unbegrenzte Zuteilung bei den Hauptrefinanzierungsgeschäften und den längerfristigen Refinanzierungsgeschäften (mit Laufzeiten von mehr als drei Monaten) wurde in den vergangenen Monaten fortgesetzt. Die Zinsen für unbesichertes Dreimonatsgeld am Interbankenmarkt (Euribor) blieben seit Jahresbeginn nahezu unverändert bei etwas weniger als 0,7%. Die durchschnittliche Rendite 10-jähriger Staatsanleihen im Euroraum sank auf 3,7% im Mai von 4,1% im Januar; jene von Staaten höchster Bonität (AAA) sank im selben Zeitraum von durchschnittlich 3,7% sogar auf 3,0%. Auch die von Unternehmen aufzuwendenden Kosten für Fremdkapital waren zuletzt leicht rückläufig. So gingen die Zinsen für Unternehmensanleihen mit AAA-Rating seit Jahresbeginn um 0,4 Prozentpunkte auf zuletzt 3,4% zurück, während sich neu vergebene Unternehmenskredite mit einer Laufzeit von über 5 Jahren von durchschnittlich 3,8% im Januar auf 3,6% im April verbilligten. Dennoch blieb die Kreditentwicklung im privaten Sektor in den vergangenen Monaten weiter schwach. Dies betrifft in erster Linie das Kreditgeschäft mit nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften; im Vorjahresvergleich sank das entsprechende Kreditvolumen im April um 2,6%. Die Kredite an private Haushalte entwickelten sich hingegen deutlich positiver. Während die Summe der Konsumentenkredite im Vorjahresvergleich mit – 0,3% leicht rückläufig waren, stieg der Bestand an Wohnungsbaukrediten zuletzt um 2,9% gegenüber dem Vorjahr. Die Geldmengenaggregate entwickelten sich in den vergangenen Monaten weiterhin gegenläufig. Im Vorjahresvergleich entwickelten sich die Geldmengenaggregate in den vergangenen Monaten weiterhin gegenläufig. Während das Geldmengenaggregat M3 seit November 2009 leicht ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang rückläufig war, stieg das engere Aggregat M1 mit Raten über 10% stark an. Im April verzeichneten beide Geldmengenaggregate einen sprunghaften Anstieg; gegenüber dem Vormonat erhöhte sich M3 annualisiert um 8,6% und M1 um 23,0%. Deutlich verbessert haben sich die monetären Rahmenbedingungen durch die Abwertung des Euro in den vergangenen Monaten. Gegenüber dem US-Dollar verlor der Euro zwischen Januar und Mai 12% an Wert. Aber auch real effektiv wertete der Euro im selben Zeitraum um 8% ab. Im Prognosezeitraum wird die EZB den Hauptrefinanzierungssatz vorerst auf dem niedrigen Niveau belassen. Frühestens im Sommer 2011 wird sie das Zinsniveau langsam erhöhen. Die bereits für diesen Sommer angekündigte Rücknahme der erweiterten Maßnahmen zur Unterstützung der Kreditvergabe wird sie wohl bis auf weiteres verschieben und auch das neue Programm für Wertpapierkäufe solange fortsetzen, bis sich eine nachhaltige Verbesserung der Situation auf den Interbanken- und Anleihemärkten abzeichnet. Die Lage der öffentlichen Haushalte in den Mitgliedsländern des Euroraums hat sich im vergangenen Jahr erheblich verschlechtert. So stieg das zusammengefasste Budgetdefizit der Währungsunion auf 6,3% des Bruttoinlandsprodukts, nachdem es ein Jahr zuvor lediglich 2,0% betragen hatte (vgl. Tab. 3.4). Entsprechend erreichte der Bruttoschuldenstand gemessen an der gesamtwirtschaftlichen Produktion das Rekordhoch von knapp 78,7%. Maßgeblich dafür waren die zyklisch bedingten Mehrausgaben und Steuermindereinnahmen (automatische Stabilisatoren) sowie die Implementierung expansiver Konjunkturprogramme zur Krisenbewältigung. Mit Ausnahme von Finnland und Luxemburg wurde in allen Ländern der Region die Regelung des Stabilitäts- und Wachstumspakts von Maastricht verletzt, welche die Neuverschuldung auf 3% in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt begrenzt. Als Reaktion darauf leitete die Europäische Kommission im vergangenen Jahr die im Vertrag von Lissabon festgelegten Verfahren gegen die »Defizitsünder« ein. Dabei wird von fast allen Ländern gefordert, dass sie bereits in 2013 ihre Fehlbeträge in Einklang mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt bringen. Davon ausgenommen sind gegenwärtig nur Griechenland und Irland, wo dies erst 2014 der Fall sein muss. Allerdings sind die von den einzelnen Regierungen vorgelegten Konsolidierungsprogramme kritisch zu betrachten. In vielen Fällen sind die konkret zu ergreifenden Maßnahmen nur unzureichend dargelegt. Ferner erscheinen die zugrunde liegenden Wachstumsannahmen in einer Reihe von Ländern zu optimistisch. Darüber hinaus hat sich zu Beginn des Jahres die Situation der öffentlichen Haushalte in mehreren Mitgliedsländern Daten und Prognosen Tab. 3.4 Staatliche Finanzierungssalden und Verschuldung in Europa Finanzierungssaldo Land/Region 2007 a) 2008 Belgien – 0,2 – 1,2 Bulgarien 0,1 1,8 Tschechische Republik – 0,7 – 2,7 Dänemark 4,8 3,4 Deutschland 0,2 0,0 Estland 2,6 – 2,7 Irland 0,1 – 7,3 Griechenland – 5,1 – 7,7 Spanien 1,9 – 4,1 Frankreich – 2,7 – 3,3 Italien – 1,5 – 2,7 Zypern 3,4 0,9 Lettland – 0,3 – 4,1 Litauen – 1,0 – 3,3 Luxemburg 3,6 2,9 Ungarn – 5,0 – 3,8 Malta – 2,2 – 4,5 Niederlande 0,2 0,7 Österreich – 0,4 – 0,4 Polen – 1,9 – 3,7 Portugal – 2,6 – 2,8 Rumänien – 2,5 – 5,4 Slowenien 0,0 – 1,7 Slowakei – 1,9 – 2,3 Finnland 5,2 4,2 Schweden 3,8 2,5 Vereinigtes Königreich – 2,8 – 4,9 Euroraum gesamt – 0,6 – 2,0 Europäische Union – 0,8 – 2,3 Japan – 2,4 – 4,2 USA – 2,7 – 6,6 a) Staatlicher Finanzierungssaldo in Prozent des nominalen BIP. – Angaben bezogen auf Kalenderjahre. b) Schuldenstand 2009 2007 2008 2009 – 6,0 84,2 89,8 96,7 – 3,9 18,2 14,1 14,8 – 5,9 29,0 30,0 35,4 – 2,7 27,4 34,2 41,6 – 3,1 65,0 66,0 73,1 – 1,7 3,8 4,6 7,2 – 14,3 24,9 43,9 64,0 – 13,6 95,7 99,2 115,1 – 11,2 36,2 39,7 53,2 – 7,5 63,8 67,5 77,6 – 5,3 103,5 106,1 115,8 – 6,1 58,3 48,4 56,2 – 9,0 9,0 19,5 36,1 – 8,9 16,9 15,6 29,3 – 0,7 6,7 13,7 14,5 – 4,0 65,9 72,9 78,3 – 3,8 61,9 63,7 69,1 – 5,3 45,5 58,2 60,9 – 3,4 59,5 62,6 66,5 – 7,1 45,0 47,2 51,0 – 9,4 63,6 66,3 76,8 – 8,3 12,6 13,3 23,7 – 5,5 23,4 22,6 35,9 – 6,8 29,3 27,7 35,7 – 2,2 35,2 34,2 44,0 – 0,5 40,8 38,3 42,3 – 11,5 44,7 52,0 68,1 – 6,3 66,0 69,4 78,7 – 6,8 58,8 61,6 73,6 – 10,3 187,7 198,8 217,6 – 12,5 62,1 70,6 83,2 b) – Bruttoschuld des Staates in Prozent des nominalen BIP. Quelle: Statistisches Bundesamt; Eurostat, IWF; World Economic Outlook Database, April 2010. dramatisch verschärft, als die Risikoprämien ihrer Staatsanleihen auf den Kapitalmärkten sprunghaft zunahmen. Diese Reaktion brachte die wachsenden Ängste der Anleger vor der Insolvenz einzelner Staaten und den damit einhergehenden Vermögensverlusten zum Ausdruck. Besonders stark betroffen war Griechenland. Anfang Mai war das Land de facto nicht mehr in der Lage, sich auf den Finanzmärkten zu refinanzieren. Um Staatsbankrotte und daraus resultierende negative Effekte auf das Bankensystem und die gemeinsame Währung zu verhindern, beschloss die Europäische Union die Einrichtung eines 750 Mrd. € schweren »Rettungsschirms«, aus dem Kredite an von Zahlungsunfähigkeit bedrohte Mitgliedsstaaten geleistet werden sollen.10 und – bedingt durch die europäische Schuldenkrise und die Verunsicherung auf den Anleihenmärkten – mit höheren Refinanzierungskosten zu rechnen. Außerdem gehen im ersten Halbjahr 2010 in einigen Ländern noch zusätzliche Impulse von expansiven Maßnahmen aus, die entweder Bestandteil der im Vorjahr beschlossenen Konjunkturprogramme sind oder – wie in Deutschland und Frankreich – neu beschlossen wurden. In Irland, Spanien, Portugal und vor allem Griechenland dagegen sind deutlich restriktivere Maßnahmen im laufenden Jahr geplant. Für 2011 ist zu erwarten, dass alle Länder den Kurs der fiskalischen Konsolidierung einschlagen. Alles in allem wird in 2010 das öffentliche Defizit im Euroraum auf 6,6% ansteigen, ehe es im Folgejahr auf 5,9% zurückgeht (vgl. Tab. 3.5). Insgesamt dürfte sich die Situation der öffentlichen Haushalte im laufenden Jahr weiter verschlechtern. Es ist mit steigenden Ausgaben für die Finanzierung der Arbeitslosigkeit Im Prognosezeitraum dürfte sich die Expansion der Wirtschaft im Euroraum fortsetzen, dabei allerdings nur eine geringe Dynamik entfalten. Lediglich im zweiten Quartal des laufenden Jahres wird es vorübergehend eine etwas kräftigere Belebung geben, die vor allem auf im ersten Quar- 10 Vgl. dazu Abschnitt »Ungleichgewichte im Euroraum«. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 33 34 Daten und Prognosen Tab. 3.5 Eckdaten zur Wirtschaftsentwicklung im Euroraum 2009 2010 2011 Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % Reales Bruttoinlandsprodukt – 4,1 1,0 1,0 Privater Konsum – 1,2 0,1 0,4 Staatskonsum und -investitionen 2,6 0,8 0,1 Bruttoinvestitionen – 10,8 – 2,8 1,0 Inländische Verwendung – 3,3 0,1 0,4 a) Exporte – 13,3 8,8 6,2 a) Importe – 11,9 6,8 5,1 b) Außenbeitrag – 0,8 0,9 0,6 c) Verbraucherpreise 0,3 1,3 1,3 In % des nominalen Bruttoinlandsprodukts d) Budgetsaldo – 6,3 – 6,6 – 5,9 Leistungsbilanzsaldo – 0,6 – 0,5 – 0,4 In % der Erwerbspersonen e) Arbeitslosenquote 9,4 10,2 10,4 a) b) c) Einschließlich Intrahandel. – Wachstumsbeitrag. – Harmonisierd) e) ter Verbraucherpreisindex. – Gesamtstaatlich. – Standardisiert. Quelle: Eurostat; Europäische Kommission; Berechnungen des ifo Instituts; 2010 und 2011: Prognose des ifo Instituts. tal witterungsbedingt aufgeschobene Bauprojekte zurückzuführen ist. Einen erheblichen Wachstumsbeitrag werden in diesem und im nächsten Jahr die Nettoexporte leisten. So werden die sich allmählich erholende Weltkonjunktur und der schwache Euro die Exporte beflügeln, während die Importe angesichts der relativ schwachen Entwicklung der Binnennachfrage deutlich langsamer zunehmen werden. Ab Mitte des laufenden Jahres wird die Intensivierung der fiskalischen Konsolidierungsmaßnahmen zunehmend dämpfend wirken. Dieser Effekt wird besonders stark in den Defizitländern Griechenland, Portugal, Irland, Spanien und Italien ausfallen. Die nach wie vor niedrige Kapazitätsauslastung und die anhaltenden Probleme des Bankensektors dürften die Expansion der privaten Investitionen belasten. Die jüngsten Turbulenzen auf den Finanzmärkten und die damit verbundene hohe Kursunsicherheit bezüglich der öffentlichen Schuldtitel mehrerer Mitgliedsländer dürfte die LockeAbb. 3.8 Reales Bruttoinlandsprodukt im Euroraum Saison- und kalenderbereinigter Verlauf % Index 106 6 0,4% 105 Prognosezeitraum 2,7% 104 4 2 103 0 3,1% 1,0% 102 1,0% -4,1% 101 -2 100 -4 -6 laufende Jahresrate a) Jahresdurchschnitt b) 1. Quartal 2006 = 100 99 -8 98 rung der Kreditvergabekonditionen verlangsamen. Die hohe Arbeitslosigkeit, die erwartete schwache Entwicklung der verfügbaren Einkommen sowie die geplanten Steuererhöhungen in vielen Ländern werden die Entwicklung des privaten Konsums im Prognosezeitraum erheblich dämpfen. Positive Impulse werden in den Kernländern des Euroraums von der expansiven Zinspolitik der EZB ausgehen. Für die Staaten aus der europäischen Peripherie dagegen dürfte die Geldpolitik eher restriktiv wirken.11 Alles in allem wird das Bruttoinlandsprodukt in der europäischen Währungsunion in diesem und im nächsten Jahr jeweils um 1,0% zulegen (vgl. Abb. 3.8). Bedingt durch die schwache Dynamik der Binnennachfrage und das Auslaufen von Basiseffekten bei den Energiepreisen wird der Anstieg der Preise im Prognosezeitraum moderat bleiben. Die Inflationsrate dürfte sowohl 2010 als auch 2011 jeweils bei 1,3% liegen. Infolge der soliden Erholung in Deutschland dürfte sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt im Euroraum nur leicht verschlechtern. So dürfte die Arbeitslosenquote 2010 bei 10,2% und 2011 bei 10,4% liegen. Frankreich Frankreich wurde, verglichen mit beinahe allen anderen Mitgliedsländern, in verhältnismäßig geringem Maße von der Wirtschaftskrise getroffen. Dies lag zum einen an der stabilen Konsumnachfrage, die durch staatliche Konjunkturprogramme gestützt wurde, zum anderen an dem vergleichsweise geringen Offenheitsgrad des Landes. Ähnlich wie Deutschland befindet sich auch Frankreich seit mittlerweile vier Quartalen in einer Erholungsphase. Nach einem sehr starken vierten Quartal im vergangenen Jahr expandierte die französische Wirtschaft im Frühjahr 2010 mit 0,1% nur verhalten. Zwar leisteten die Nettoexporte erneut einen soliden positiven Wachstumsbeitrag, dieser wurde aber von einem starken Lagerabbau nahezu ausgeglichen. Die Zunahme der Arbeitslosigkeit hat sich seit November 2009 kontinuierlich verlangsamt. Im April lag die Arbeitslosenquote bei 10,1%. Wie in fast allen europäischen Ländern nahm auch in Frankreich das öffentliche Defizit im vergangenen Jahr stark zu. In Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt betrug es 7,5%, während sich die Bruttoverschuldung auf 77,6% der nominalen Produktion belief. -10 2006 a) b) 2007 2008 2009 2010 2011 Veränderung gegenüber dem Vorquartal in %, auf Jahresrate hochgerechnet (rechte Skala). Zahlenangabe: Veränderung gegenüber dem Vorjahr. Quelle: Eurostat; Berechnungen und Schätzungen des ifo Instituts (Juni 2010). ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang 11 Vgl. Kasten »Wie angemessen war die Zinspolitik der EZB für die einzelnen Mitgliedsländer des Euroraums?«. Daten und Prognosen Die konjunkturellen Frühindikatoren deuten auf eine Verlangsamung der Erholung in den kommenden Monaten hin. Zwar setzten die Auftragseingänge im Mai ihren Aufwärtstrend fort. Aber die Industrieproduktion ging im ersten Quartal 2010 um 3,3% zurück, nachdem sie in den drei Quartalen davor kräftig zugenommen hatte. Auch der ifo Wirtschaftsklimaindex für Frankreich hat sich in den ersten beiden Quartalen nur seitwärts bewegt. Im Unterschied zu Deutschland wird die französische Wirtschaft im Prognosezeitraum deutlich weniger stark von der dynamischen Entwicklung des Welthandels profitieren. Zum einen liegt dies an dem geringeren Offenheitsgrad und der schlechteren preislichen Wettbewerbsfähigkeit des Landes. Zum anderen weisen die französischen Exporte eine in der gegenwärtigen Situation vergleichsweise nachteilige geographische Spezialisierung auf. So beträgt der Anteil der französischen Ausfuhren, der nach Europa geht, etwa 70%, während das Gewicht der schnell wachsenden asiatischen Schwellenländer mit 10% nur halb so hoch ist wie in Deutschland. Im laufenden Jahr werden sich die von der Fiskalpolitik ausgehenden positiven und negativen Impulse weitgehend neutralisieren. Die sukzessive Rückführung der Abwrackprämie sowie das Auslaufen temporärer steuerlicher Vergünstigungen dürften sich dämpfend auswirken. Expansiv hingegen wird der Effekt der Abschaffung einiger Unternehmenssteuern wirken, die sich in der Vergangenheit vor allem auf die Investitionstätigkeit bremsend ausgewirkt haben. Positive Impulse werden auch die neu beschlossenen Zusatzausgaben zur Förderung des Beschäftigungsaufbaus sowie die Durchführung einiger im Vorjahr aufgeschobener öffentlicher Investitionsprojekte setzen. Im Jahr 2011 dürfte die Fiskalpolitik aufgrund der geplanten Konsolidierungsanstrengungen insgesamt restriktiv wirken. Tab. 3.6 Reales Bruttoinlandsprodukt, Verbraucherpreise und Arbeitslosenquote in Europaa) Bruttoinlandsprodukt Verbraucherpreiseb) Arbeitslosenquotec) in % Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % 2009 2010 2011 2009 2010 2011 2009 2010 2011 Deutschland 20,4 – 4,9 2,1 1,5 0,2 1,1 1,5 7,5 6,9 6,5 Frankreich 16,3 – 2,6 1,3 1,1 0,1 1,3 1,2 9,5 10,2 10,3 Italien 12,9 – 5,0 0,8 0,5 0,8 1,2 1,1 7,7 9,0 9,1 Spanien 8,9 – 3,6 – 0,3 0,2 – 0,2 1,3 1,3 18,0 19,9 21,4 Niederlande 4,8 – 4,0 1,3 1,4 1,0 1,2 1,2 3,4 4,6 4,1 Belgien 2,9 – 3,0 1,1 1,2 0,0 1,7 1,5 7,9 9,0 9,7 Österreich 2,3 – 3,6 1,4 1,7 0,4 1,4 1,3 4,8 5,0 4,8 Griechenland 2,0 – 2,0 – 4,0 – 0,5 1,3 4,0 1,0 9,5 12,6 13,2 Finnland 1,4 – 7,8 0,2 1,2 1,6 1,5 1,2 8,2 9,6 9,9 Irland 1,4 – 7,1 – 0,8 1,0 – 1,7 – 0,8 0,9 11,9 13,7 14,0 Portugal 1,4 – 2,7 1,3 0,8 – 0,9 0,9 0,9 9,6 10,9 11,2 Slowakei 0,5 – 4,7 3,0 3,4 0,9 1,0 2,6 12,0 14,3 13,0 Slowenien 0,3 – 7,8 0,8 1,7 0,9 2,1 2,3 5,9 6,4 6,5 Luxemburg 0,3 – 3,4 2,0 1,8 0,0 2,5 2,4 5,4 6,1 6,1 Zypern 0,1 – 1,7 – 0,6 1,0 0,2 2,1 1,8 5,3 6,8 7,2 Malta 0,0 – 1,9 1,9 1,8 1,9 2,2 2,5 6,9 7,1 6,8 Euroraumd) 76,0 – 4,1 1,0 1,0 0,3 1,3 1,3 9,4 10,2 10,4 Großbritannien 13,3 – 4,9 0,9 1,0 2,2 3,4 1,7 7,6 8,1 7,9 Polen 2,6 1,7 3,0 3,5 4,0 2,6 2,5 8,2 9,0 8,5 Schweden 2,5 – 5,1 2,2 2,4 1,9 2,0 1,8 8,3 9,3 8,9 Dänemark 1,9 – 4,9 1,5 1,9 1,1 2,1 1,6 6,0 7,1 7,1 Tschechien 1,2 – 4,2 1,7 2,7 0,6 1,0 2,0 6,7 8,5 8,0 Rumänien 1,0 – 7,1 0,5 3,5 5,6 4,0 3,0 6,9 8,0 7,5 Ungarn 0,8 – 6,3 0,0 2,7 4,0 4,5 2,5 10,0 11,0 10,0 Bulgarien 0,3 – 5,0 0,0 2,5 2,5 2,2 2,5 6,8 8,0 7,5 Litauen 0,2 – 14,8 – 1,5 3,0 4,2 – 0,5 0,0 13,7 16,0 15,5 Lettland 0,2 – 18,0 – 3,5 2,6 3,3 – 3,0 – 0,5 17,2 21,0 20,0 Estland 0,1 – 14,1 1,0 3,5 0,2 1,3 1,5 13,8 15,0 14,0 EU-27d) 100,0 – 4,2 1,1 1,2 0,8 1,7 1,4 8,9 9,8 9,7 a) Die Zuwachsraten sind untereinander nicht voll vergleichbar, da sie für einige Länder um Arbeitstageeffekte bereinigt sind, für andere – wie für Deutschland – nicht. – b) Harmonisierter Verbraucherpreisindex. – c) Standardisiert. – d) Summe der aufgeführten Länder. Bruttoinlandsprodukt und Verbraucherpreise gewichtet mit dem Bruttoinlandsprodukt von 2009 in US-Dollar, Arbeitslosenquote gewichtet mit der Zahl der Erwerbspersonen von 2009. Gewicht (BIP) in % Quelle: Eurostat; IWF; OECD; Statistisches Bundesamt; Berechnungen des ifo Instituts; 2010 und 2011: Prognose des ifo Instituts. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 35 36 Daten und Prognosen Alles in allem wird der Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion Frankreichs im Prognosezeitraum moderater ausfallen als in Deutschland. Das reale Bruttoinlandsprodukt wird 2010 um 1,3% und 2011 um 1,1% zulegen (vgl. Tab. 3.6). Aufgrund der schwach bleibenden privaten Binnennachfrage und der eher restriktiven Fiskalpolitik wird die Inflationsrate mit gut 1% in beiden Jahren relativ gering bleiben. Die Arbeitslosenquote dürfte in 2010 leicht auf 10,2% steigen und in 2011 dort verharren. Italien Die italienische Wirtschaft hat sich im Frühjahr 2010 überraschend kräftig belebt. Getrieben durch eine starke Zunahme der Nettoexporte stieg das reale Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal um 0,4%, nachdem es im vierten Quartal des vergangenen Jahres noch um knapp 0,1% geschrumpft war. Ein Anzeichen für eine Verfestigung der Erholung lieferte die Industrieproduktion, die sich im April um 1,2% gegenüber ihrem Durchschnittswert im ersten Quartal 2010 erhöhte und die Tendenz der letzten Monate fortsetzte. Zahlreiche weitere Frühindikatoren sind ebenfalls aufwärtsgerichtet. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt hat sich dagegen in den letzten Monaten – wenn auch geringfügig – weiter verschärft. Im April lag die Arbeitslosenquote bei 8,9%. Ähnlich wie Frankreich wird auch die italienische Wirtschaft im Prognosezeitraum in deutlich geringerem Maße vom Anziehen des Welthandels profitieren als Deutschland. So leidet Italien seit mehr als einem Jahrzehnt an einer chronischen Wettbewerbsschwäche, mit zunehmenden Marktanteilsverlusten als Konsequenz. Auch weist es im Vergleich zu Deutschland ein verhältnismäßig ungünstiges geographisches Exportmuster auf. So ist der Anteil der Ausfuhren in die boomenden ostasiatischen Staaten relativ gering, während der Großteil der Exporte in die deutlich langsamer wachsenden Länder der Europäischen Union fließt. Um ihrer ungünstigen preislichen und qualitätsmäßigen Wettbewerbsposition entgegen zu wirken, haben in den letzen Jahren viele Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe mit der Durchführung tiefgreifender Umstrukturierungsmaßnahmen begonnen. Im Zuge dieses Prozesses sind viele dieser Unternehmen auf die laufende Kreditversorgung durch den Bankensektor angewiesen. Zurzeit sehen sie sich daher einer doppelten Belastung gegenüber – einer restriktiven Kreditvergabe und zugleich einer schwachen Binnennachfrage.12 Aufgrund der bereits vor der Krise akkumulierten hohen Staatsverschuldung von über 100% des Bruttoinlands- 12 Zu diesem Themenkomplex vgl. European Commission, European Economic Forecast, autumn 2009. ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang produkts war der Spielraum der italienischen Regierung für expansive Maßnahmen stark eingeschränkt. Entsprechend wurde im Verlauf der Rezession auf ein umfangreiches Konjunkturprogramm verzichtet. Daher blieb auch das Budgetdefizit in 2009 auf einem im europäischen Vergleich niedrigen Niveau von 5,3% der nominalen Wirtschaftsleistung. Als Konsequenz wurde Italien – verglichen mit anderen Defizitländern – in geringem Maße von der europäischen Schuldenkrise und dem Anstieg der Risikoprämien auf Staatspapiere getroffen. Mit dem Ziel, die Defizitquote bis 2012 auf 2,7% zu senken und das Vertrauen der Märkte in den italienischen Staat zu stärken, beschloss die Regierung Ende Mai ein Zusatzpaket von Konsolidierungsmaßnahmen mit einem Volumen von 24 Mrd. €. Das Programm enthält Steuererhöhungen für Spitzenverdiener, das Einfrieren von Löhnen und Gehältern im öffentlichen Dienst, den Abbau von Transferzahlungen an lokale Regierungen sowie Kürzungen bei diversen Sozialleistungen. Allerdings sind diese Beschlüsse nur ein kleiner Schritt zur Lösung der strukturellen Probleme Italiens. Zu letzteren zählen die alternde Bevölkerung, die geringe Wettbewerbsfähigkeit, das niedriges Produktivitätswachstum sowie ein relativ rigider Arbeitsmarkt. Gerade in den letztgenannten Bereichen sind Reformen erforderlich, um das Potenzialwachstum zu erhöhen, die öffentlichen Haushalte nachhaltig zu entlasten und schließlich das Vertrauen der Märkte zurück zu gewinnen. Im laufenden Jahr dürfte das Budgetdefizit in Relation zum Bruttoinlandsprodukt unverändert bei 5,3% bleiben. In 2011 dürfte es leicht auf 5,0% sinken. Angesichts der oben genannten strukturellen Schwächen sowie der anstehenden fiskalischen Konsolidierung wird die konjunkturelle Dynamik in Italien deutlich geringer bleiben als in Deutschland. Das reale Bruttoinlandsprodukt dürfte 2010 um 0,8% und 2011 um 0,5% zunehmen. Die Inflationsrate wird in diesem und im nächsten Jahr wohl moderat bleiben. Die Arbeitslosenquote dürfte im Prognosezeitraum leicht auf rund 9,0% ansteigen. Spanien Im ersten Quartal 2010 hat die wirtschaftliche Aktivität in Spanien zum ersten Mal seit Juni 2008 zugenommen. Getrieben durch den Anstieg der Nettoexporte sowie durch Impulse aus dem Lagerzyklus und den öffentlichen Konsumausgaben legte das reale Bruttoinlandsprodukt im Frühjahr um knapp 0,1% zu. Der Vorzieheffekt der für den 1. Juli 2010 geplanten Anhebung der Mehrwertsteuer ließ die privaten Konsumausgaben im ersten Quartal um 0,5% steigen. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt bleibt angespannt. Im April kletterte die Arbeitslosenquote auf 19,7% und liegt auf dem höchsten Niveau seit Mitte der neunziger Jahre. Daten und Prognosen Die konjunkturellen Frühindikatoren deuten auf eine stark gedämpfte wirtschaftliche Entwicklung in den kommenden Monaten hin. So blieb im zweiten Quartal 2010 der ifo Wirtschaftsklimaindex für Spanien nahezu unverändert, nachdem er sich seit Juni 2009 stets verbessert hatte. Die Produzentenerwartungen fielen im Mai zum ersten Mal seit Dezember 2009 pessimistischer als im Vormonat aus. Spanien gehört zu den EU-Ländern, die die Wirtschaftskrise am schmerzhaftesten zu spüren bekamen. Dies ist vor allem auf den Zusammenbruch des Immobilienmarktes im Herbst 2008 zurückzuführen, der zu einer erheblichen Verschlechterung der Vermögensposition von Haushalten und Unternehmen sowie zu einem dramatischen Stellenabbau im Bausektor führte. So stieg die Arbeitslosenquote innerhalb eines Jahres von 12,4% im September 2008 auf 19,1% im September 2009 an. Die dadurch entstehenden öffentlichen Mehrausgaben induzierten einen rasanten Aufbau des Staatsdefizits, das im Jahr 2009 11,4% des Bruttoinlandsprodukts erreichte. Da die Baubranche aufgrund der Immobilienblase übertrieben groß war, ist damit zu rechnen, dass sie mittelfristig deutlich unter ihrem Vorkrisenniveau bleiben wird. Für die aus dem Bausektor freigesetzten Arbeitskräfte wird es daher äußerst schwierig sein, eine neue Beschäftigung zu finden. Viele von ihnen könnten in die Langzeitarbeitslosigkeit abgleiten. Entsprechend wird die strukturelle Arbeitslosenquote zunehmen und die Staatsfinanzen Spaniens langfristig belasten. Verschärft werden die Probleme Spaniens durch die beträchtlichen Verluste an preislicher Wettbewerbsfähigkeit in der Dekade seit der Einführung des Euro. Bedingt durch eine boomende Binnennachfrage sowie durch Lohnindexierungsklauseln stiegen in diesem Zeitraum die nominalen Lohnstückkosten deutlich schneller als in Deutschland. Als Ergebnis wird Spanien in den kommenden Quartalen deutlich weniger stark von dem Anziehen des Welthandels profitieren als die deutsche Wirtschaft. Der Anteil der spanischen Exporte, der in die schnell wachsenden ostasiatischen Schwellenländer fließt, ist ebenfalls relativ gering. Um die preisliche Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu verbessern, das Potentialwachstum zu erhöhen und schließlich die öffentlichen Haushalte nachhaltig zu entlasten, sind tiefgreifende Reformen erforderlich. Denkbar sind Schritte zur Lockerung des starken Kündigungsschutzes, eine Abschaffung der Lohnindexierung sowie eine Flexibilisierung des Tarifabschlussprozesses. Reformpotential ist auch im Staatssektor vorhanden, der wohl deutlich effizienter gestaltet werden könnte. Angesichts des hohen Defizits im vergangenen Jahr sowie der jüngsten Turbulenzen auf den Finanzmärkten, die auch die spanischen Staatsanleihen unter Druck setzten, wird die Regierung bereits 2010 den Kurs der fiskalischen Konsolidierung einschlagen. Zu den geplanten Maßnahmen gehören die Anhebung der Mehrwertsteuer von 16% auf 18% ab dem 1. Juli, die Abschaffung diverser Steuervergünstigungen, Kürzungen bei den öffentlichen Dienstleistungen sowie Nullrunden bei den Renten. Trotzdem dürfte die Defizitquote aufgrund der weiter steigenden Arbeitslosigkeit im Jahr 2010 auf 10% ansteigen, ehe sie im Zuge der Konsolidierung auf 8% im Jahr 2011 zurückgeht. Alles in allem wird das reale Bruttoinlandsprodukt 2010 um 0,3% schrumpfen, bevor es im Folgejahr um 0,2% zunimmt. Trotz der weiter steigenden Arbeitslosenquote dürfte die Inflationsrate aufgrund bestehender Lohnrigiditäten in den Jahren 2010 und 2011 jeweils 1,3% betragen. Großbritannien Großbritannien ist relativ moderat in das Jahr 2010 gestartet; das Bruttoinlandsprodukt legte im ersten Quartal um 0,3% zu. Dies lässt sich hauptsächlich darauf zurückführen, dass die Haushalte Käufe in das vierte Quartal 2009 vorgezogen hatten, da zum Jahresbeginn die Mehrwertsteuer von 15% auf 17,5% erhöht wurde. Dementsprechend schrumpfte der private Konsum im ersten Quartal leicht um 0,1%. Die Staatsausgaben nahmen langsamer zu und der Außenbeitrag lieferte erneut einen negativen Wachstumsbeitrag, da die Importe um 1,4% zunahmen, während die Exporte trotz des schwachen Pfundes stagnierten. Der größte Impuls kam überraschenderweise von den Investitionen, die um 1,6% zulegten, während sie im vierten Quartal 2009 noch deutlich zurückgegangen waren. Trotz der schwachen konjunkturellen Entwicklung verzeichnet Großbritannien seit Jahresbeginn eine hohe Inflationsrate, die derzeit bei 3,4% liegt. Dies liegt jedoch vor allem an dem vorübergehenden Effekt der Mehrwertsteuererhöhung, die sich im Jahresvergleich mit 1,8 Prozentpunkten niederschlägt. Auch die weiteren Ursachen für den Preisdruck, wie der niedrige Wechselkurs und der hohe Ölpreis, sind eher temporärer Natur. Folglich beließ die Zentralbank den Leitzins bei 0,5% und wird bis auf weiteres nicht von ihrem expansiven Kurs abweichen. Das Ankaufprogramm für Staatsanleihen in Höhe von 200 Mrd. Pfund (240,5 Mrd. €) wurde zwar ausgesetzt, kann jedoch bei Bedarf wieder aktiviert werden. Angesichts des tiefen Einbruchs der Wirtschaftstätigkeit im letzten Jahr ist der britische Arbeitsmarkt in erstaunlich guter Verfassung. Die harmonisierte Arbeitslosenquote hat sich seit dem Frühjahr 2009 kaum mehr verschlechtert und ist im ersten Quartal nur leicht auf 7,8% gestiegen. Da der Beschäftigungsabbau unterproportional zum Einbruch der Produktion war, ist die Arbeitsproduktivität seit 2009 deutlich 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 37 38 Daten und Prognosen gesunken. Somit kann vorerst nicht mit einem kräftigen Beschäftigungsaufbau gerechnet werden. Die Frühindikatoren geben gemischte Signale für die aktuelle und zukünftige Wirtschaftslage. Die Auftragseingänge und Produktionserwartungen sowie die Stimmung im Industriesektor sind zum zweiten Mal in Folge gestiegen. Demgegenüber ist die Dienstleistungsbranche weitaus weniger optimistisch. Dies trübt die Aussichten für die britische Wirtschaft, da der Tertiärsektor rund 70% des Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Zudem ist auch das Verbrauchervertrauen wiederholt gesunken. Belastend wird vor allem die restriktive Fiskalpolitik der neuen Regierung wirken. Diese soll der enormen Beschleunigung der Schuldenquote entgegenwirken, die von 47% im Jahr 2007 auf über 70% im Jahr 2009 gestiegen ist. Dafür muss die Defizitquote, die im letzten Jahr über 12% betrug, deutlich reduziert werden. Bisher hat die Regierung nur Sparmaßnahmen in Höhe von 6,2 Mrd. Pfund (7,5 Mrd. €) angekündigt, die vor allem den öffentlichen Sektor betreffen. Allerdings ist ein »emergency budget« in Arbeit, das weitaus größere Sparanstrengungen beinhalten wird, die voraussichtlich zum größten Teil im Jahr 2011 wirksam werden. Alles in allem sind die Aussichten für das Wirtschaftswachstum in Großbritannien verhalten. Zwar wird sich die Wirtschaft in den nächsten Quartalen leicht erholen, aber spätestens ab Anfang 2011 wird das Sparpaket der neuen Regierung seine Wirkung entfalten und die inländische Nachfrage dämpfen. Ab der zweiten Jahreshälfte 2011 wird sich die Erholung der Weltwirtschaft positiv auf die Exporte auswirken und die Konjunktur anregen. Die britische Wirtschaftsleistung dürfte im laufenden Jahr um 0,9% und im kommenden Jahr um 1,0% zunehmen. Die Arbeitslosenquote wird in beiden Jahren voraussichtlich rund 8% betragen. Die Inflationsrate dürfte im Durchschnitt des Jahres 2010 bei 3,4% liegen. Im Jahr 2011 fällt der Effekt der Mehrwertsteuererhöhung weg, so dass mit einem Rückgang auf 1,7% gerechnet wird. Osteuropäische Mitgliedsländer der EU Nach dem massiven wirtschaftlichen Einbruch befinden sich die mittel- und osteuropäischen Mitgliedsländer der EU auf dem Weg der Stabilisierung. Die Industrieproduktion hat im ersten Quartal 2010 kräftig zugelegt und die Erwartungen der Unternehmen haben sich seit Jahresanfang in nahezu allen Ländern deutlich aufgehellt. Auch das Verbrauchervertrauen hat sich trotz der stark gestiegenen Arbeitslosigkeit wieder verbessert. Nur in Rumänien war bei beiden Frühindikatoren zuletzt wieder eine Eintrübung auszumachen. Da in der gesamten Region die Importe stärker fielen als die Exporte, haben sich die Leistungsbilanzdefizite deutlich zuifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang rückgebildet. Im Baltikum wurde 2009 sogar erstmals seit Jahren ein Leistungsbilanzüberschuss verzeichnet. Die Landeswährungen haben seit Mitte vergangenen Jahres dem Abwertungsdruck standgehalten. Somit konnten auch größere Ausfälle bei Fremdwährungskrediten abgewendet werden. Auch in Rumänien machte die Landeswährung im ersten Quartal 2010 die Verluste aus dem vierten Quartal 2009 wieder wett, so dass die Zinsen seit Anfang des Jahres erheblich gesenkt wurden (von 9,9% im Monatsdurchschnitt Dezember 2009 auf 3,2% im April 2010). In den meisten anderen Ländern konnten die Leitzinsen im Verlauf des ersten Quartals ebenfalls schrittweise gesenkt werden, da sich die Inflation in fast allen Ländern stark verringert hat. Nur in Ungarn wurden sie angesichts der noch relativ hohen Inflation von über 5% wieder etwas angehoben. Bei alldem bildet Polen eine Ausnahme. Es konnte als einziges Land der EU 2009 ein positives Wirtschaftswachstum verzeichnen. Die vergleichsweise gute Konjunktur erlaubte im laufenden Jahr sogar eine schrittweise Anhebung der Tagesgeldsätze. Dieser insgesamt positiven Entwicklung stehen jedoch wachsende Arbeitslosigkeit (besonders im Baltikum), fallende Löhne und Einkommen und somit sinkende Steuereinahmen sowie sich ausweitende Haushaltsdefizite gegenüber. In allen Ländern der Region hat die Staatsverschuldung 2009 zugenommen, besonders deutlich in Litauen, Lettland und Rumänien sowie, trotz der strengen IWF-Auflagen, in Ungarn. Die Abhängigkeit von externer Kapitalzufuhr zwingt jedoch gerade diese Länder zu einer weiteren Korrektur der hohen Haushaltsdefizite und zu einer Reduktion der Staatsverschuldung auf ein nachhaltiges Niveau. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Binnennachfrage im laufenden Jahr schwach bleiben wird. Auch bei den Investitionen hat sich die konjunkturelle Abwärtsdynamik zwar verringert, eine Trendwende ist jedoch noch nicht in Sicht. Konjunkturell bleibt die Lage angespannt. Angesichts der hohen Auslandsverschuldung des Privatsektors und in einigen Ländern auch des Staates (vor allem in Ungarn, Bulgarien und Rumänien) sowie eines inzwischen limitierten Zugangs zum Anleihenmarkt ist vor allem in den baltischen Staaten und in Südosteuropa mit einer nur langsamen Erholung zu rechnen. Etwas optimistischer sind die Wachstumsperspektiven dagegen in Polen und Tschechien zu beurteilen. Getragen wird die konjunkturelle Erholung allerdings in allen Ländern fast ausschließlich durch die Belebung der Exportnachfrage. 4. Deutsche Konjunktur weiter auf Erholungskurs Seit dem Ende der schwersten Rezession seit Bestehen der Bundesrepublik im vergangenen Frühjahr ist die deutsche Daten und Prognosen Abb. 4.1 Abb. 4.3 ifo Geschäftsklima -– Gewerbliche Wirtschaft a) Auftragseingang im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland (Volumen, saisonbereinigt Census X-12-ARIMA) 2000 = 100, saisonbereinigte Werte 120 120 140 2005 = 100 140 ifo Geschäftsklima 110 110 Erwartungen für die nächsten 6 Monate 120 100 120 insgesamt 100 Inland 100 90 100 90 80 80 Beurteilung der Geschäftslage 80 80 Ausland Juni 70 70 94 a) 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 April 60 Verarbeitendes Gewerbe, Bauhauptgewerbe, Groß- und Einzelhandel. 60 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Quelle: ifo Konjunkturtest. Quelle: Statistisches Bundesamt; Deutsche Bundesbank. Wirtschaft wieder auf Erholungskurs. Zwar war die gesamtwirtschaftliche Produktion im Winterhalbjahr 2009/10 durch Sonderfaktoren merklich gedämpft worden. Den vorliegenden Ergebnissen zufolge ist die gesamtwirtschaftliche Produktion in diesem Zeitraum saison- und kalenderbereinigt lediglich mit einer laufenden Jahresrate von 0,8% gestiegen. Vorlaufende Indikatoren wie das das ifo Geschäftsklima zeigen jedoch, dass die konjunkturelle Grundtendenz der deutschen Wirtschaft intakt und weiter deutlich nach oben gerichtet ist (vgl. Abb. 4.1). Getrieben wird die Erholung derzeit von den Exporten, befördert durch die Nachfrage insbesondere aus Asien. Auch schlägt die Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar und anderen wichtigen Währungen positiv zu Buch. Die deutsche Wirtschaft, die aufgrund ihrer spezifischen Exportorientierung in besonderem Maße von der vorangegangenen Rezession betroffen war, profitiert nunmehr in besonderem Maße von der weltwirtschaftlichen Erholung. Die Binnenkonjunktur – ohne Berücksichtigung des Lageraufbaus – tendierte nach der Jahreswende zunächst eher schwach. Strenges Winterwetter hatte die Bautätigkeit regional stark behindert, Abb. 4.2 a) Nominaler und realer Rohölpreis in US-$ bzw. in Euro je Barrel was auf den Sektor Verkehr und Handel sowie tendenziell auch auf die Industrieproduktion durchgeschlagen ist. Die Ausrüstungsinvestitionen wurden dagegen verhalten ausgeweitet. Der private Konsum hat trotz einer deutlichen Senkung der Abgabenlast im ersten Quartal merklich abgenommen; hier bremsten sinkende Realeinkommen sowie – als Sondereffekt – das Auslaufen der Abwrackprämie. Zudem erhöhte sich die Sparquote. Auch sind die verfügbaren Realeinkommen – anders als im vergangenen Jahr – nicht mehr durch sinkende Rohölpreise (vgl. Abb. 4.2) gestützt worden; der gesamte Kaufkraftverlust des Inlands durch die Verschlechterung der Terms-of-Trade hat sich im ersten Vierteljahr 2010 im Vergleich zum Jahresendquartal 2009 saisonbereinigt auf 0,8% des realen Bruttoinlandsprodukts belaufen.13 Der Arbeitsmarkt ist trotz des schwachen Expansionstempos im Winterhalbjahr 2009/10 weiter recht stabil geblieben. Zwar wurden in der von der Rezession besonders betroffenen Industrie immer noch Arbeitsplätze abgebaut, dafür gab es aber neue Stellen im Dienstleistungssektor. Per saldo ist die Zahl der Arbeitnehmer im ersten Quartal saisonbereinigt in etwa konstant geblieben. Dennoch stieg das geleistete Arbeitsvolumen, weil im Zuge der konjunkturellen Besserung die geleistete Arbeitszeit je Arbeitnehmer zugenommen hat. Bei alledem hat die Produktivität kaum noch zugenommen, was die Lohnstückkosten wieder steigen ließ. 140 120 in US-$ je Barrel 100 80 Mai 10 60 Die Quantifizierung der gesamtwirtschaftlichen Produktion im laufenden und im nächsten Quartal erfolgt disaggregiert auf der Basis monatlich verfügbarer Frühindikatoren der amtlichen Statistik sowie einer breiten Palette von monatlich erhobenen Umfragedaten, wobei hier den Ergebnissen des in Euro je Barrel 40 April 10 20 Real b) 0 73 75 77 79 81 83 85 87 89 91 93 95 97 99 01 03 05 07 09 a) Durchschnitt aus Brent, Dubai und WTI.- b) Rohölpreis in Euro deflationiert mit dem Preisindex deutscher Exporte (1973 = 100); ab 1991 einschließlich neue Bundesländer und Berlin-Ost. Quelle: HWWI, Statistisches Bundesamt und Berechnungen des ifo Instituts. 13 Die Änderung des inländischen Realeinkommens aufgrund einer Änderung der Terms-of-Trade wird durch die Differenz zwischen der Veränderungsrate des realen BIP und der Veränderungsrate des Realwerts des BIP gemessen (nominales BIP deflationiert mit dem Preisindex für die inländische Verwendung). Zum Terms-of-Trade-Effekt vgl. W. Nierhaus, Realeinkommen im neuen Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen, ifo Schnelldienst 53(4), 2000, 7–13. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 39 Daten und Prognosen Abb. 4.4 Abb. 4.5 Produktion im verarbeitenden Gewerbe und Bauhauptgewerbe in Deutschland (Volumen, saisonbereinigt nach Census X-12-ARIMA) 150 ifo Konjunkturuhr Index 2005 = 100 140 140 130 120 130 Bauhauptgewerbe 120 110 110 100 100 90 90 verarbeitendes Gewerbe 80 80 April 70 a) Salden, saisonbereinigte Werte 40 150 Erwartungen für die nächsten 6 Monate 40 Aufschwungsphase 30 Boomphase Jan. 2004 20 Juni Jan. 2010 2006 Jan. 2007 Jan. 2000 Jan. 2010 10 Jan. 2005 0 Jan. 2003 -10 Jan. 2002 Jan. 2008 Jan. 2001 Jan. 1999 -20 -30 -40 Jan. 2009 -50 Rezessionsphase Abschwungsphase -60 70 -60 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Quelle: Statistisches Bundesamt; Deutsche Bundesbank. -50 -40 -30 -20 -10 0 10 20 30 40 50 Beurteilung der Geschäftslage a) Verarbeitendes Gewerbe einschließlich Ernährungsgewerbe: Zusammenhang zwischen der Geschäftslagebeurteilung und den Erwartungen zur Geschäftslage. Quelle: ifo Konjunkturtest, Deutschland. ifo Konjunkturtests eine besonders gewichtige Rolle zugemessen wird (IFOCAST-Ansatz).14 In der Industrie sind die Auftragseingänge im April saisonbereinigt merklich gestiegen (vgl. Abb. 4.3) Im konjunkturell aussagefähigeren, weil weniger volatilen Zweimonatsvergleich (März/April gegenüber Januar/Februar) ergab sich sogar ein Plus um 6,6%. Am stärksten nahmen die Bestellungen bei den Herstellern von Vorleistungsgütern (7,0%) zu, gefolgt von den Investitionsgüterproduzenten (6,8%). Auch die Nachfrage nach Konsumgütern nahm zu (2,7%). Die Aufträge aus dem Inland nahmen um 6,2% zu, die Bestellungen aus dem Ausland sogar um 7,0%. Die gegenüber dem Auftragseingang nachlaufende Industrieproduktion ist im April um 0,5% gestiegen. Im Zweimonatsvergleich (März/April gegenüber Januar/Februar) expan- 14 Vgl. K. Carstensen et al., »IFOCAST: Methoden der ifo-Kurzfristprognose«, ifo Schnelldienst 62(23), 2009, 15–28. dierte sie mit 4,2% sogar sehr kräftig (vgl. Abb. 4.4). Der Anstieg der Industrieproduktion erstreckt sich über alle industriellen Hauptgruppen. Die Vorleistungs- und Investitionsgüterhersteller erhöhten die Erzeugung um 5,2% bzw. 5,3%, die Konsumgüterhersteller um 0,2%. Alles in allem lag die Industrieproduktion im April saisonbereinigt um 3,1% über dem Durchschnittswert des ersten Quartals, was ein kraftvolles Anziehen der Industriekonjunktur im zweiten Quartal indiziert. Auf eine stark beschleunigte Produktion deuten auch die neuesten Ergebnisse des ifo Konjunkturtests hin. Die Geschäftslage der Industrieunternehmen hat sich im Juni erneut verbessert. Zum vierten Mal in Folge beurteilten die Befragungsteilnehmer ihre aktuelle Geschäftssituation günstiger. Ihr Optimismus hinsichtlich der Geschäftsentwicklung in den nächsten sechs Monaten hat sich dagegen etwas abgeschwächt. Das Exportgeschäft wird nach Ansicht der Unternehmen nicht ganz so kräftig zunehmen wie bislang. Den- Kasten Zum Zusammenhang zwischen Geschäftslage und Erwartungen a) Das ifo Geschäftsklima ist der Mittelwert aus den Komponenten »Geschäftslage« und »Geschäftserwartungen für die nächsten sechs Monate«. Der Zusammenhang zwischen den beiden Komponenten kann in einem Vier-Quadranten-Schema dargestellt werden (»ifo Konjunkturuhr«). Auf der Abszisse der Konjunkturuhr werden die Meldungen der befragten Unternehmen zur Geschäftslage (Salden aus den Meldungen » gut« bzw. »schlecht«) aufgetragen, auf der Ordinate die Geschäftserwartungen (Salden aus den Meldungen »günstiger« bzw. »ungünstiger«). Durch das Fadenkreuz der beiden Nulllinien wird das Diagramm in vier Quadranten geteilt, die die vier Phasen der Konjunktur markieren (vgl. Abb. 4.5). Sind die Urteile der im ifo Konjunkturtest befragten Unternehmen zur Geschäftslage und zu den Geschäftserwartungen per Saldo schlecht, d.h. im Minus, so befindet sich die Konjunktur in der Rezession (Quadrant links unten). Gelangen die Geschäftserwartungen ins Plus (bei noch schlechter Geschäftslage), so gerät man in die Aufschwungsphase (Quadrant links oben). Sind Geschäftslage und Geschäftserwartungen gut, d.h. im Plus, so herrscht Boom (Quadrant rechts oben). Drehen die Geschäftserwartungen ins Minus (bei noch guter Geschäftslage), so ist die Abschwungsphase erreicht (Quadrant rechts unten). Idealtypisch bewegt sich die Konjunktur in diesem Diagramm im Uhrzeigersinn im Kreis; die Erwartungen laufen dabei der Lage voraus. a) 1/2 Das ifo Geschäftsklima GK ergibt sich aus der Formel GK = [(GL + 200)(GE + 200)] - 200, wobei GL den Saldo aus den positiven und negativen Meldungen zur aktuellen Geschäftslage bezeichnet und GE den Saldo aus den positiven und negativen Meldungen zu den Geschäftsaussichten in den nächsten sechs Monaten. Zur Vermeidung von negativen Werten in der Wurzel werden die beiden Variablen GL und GE jeweils um die Konstante 200 erhöht. ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang Daten und Prognosen noch bewerteten sie ihre Perspektiven für das Auslandsgeschäft weiterhin als sehr gut. Die Beschäftigungsplanungen der Firmen deuten darauf hin, dass sie ihre Mitabeiterzahl nahezu unverändert halten wollen. Im Bauhauptgewerbe ist die Wertschöpfung, die durch kaltes Winterwetter nach der Jahreswende stark behindert war, danach enorm gestiegen. Im Vergleich der Monate März/April zu Januar/Februar nahm die Produktion saisonbereinigt um mehr als ein Viertel zu. Der Rückschlag in den ersten beiden Monaten wurde damit mehr als kompensiert (vgl. Abb. 4.4). Der Geschäftsklimaindex hält sich weiterhin auf hohem Niveau. Die befragten Bauunternehmen bewerteten im Juni ihre Geschäftssituation günstiger als Mai. Zudem äußern sie sich hinsichtlich der Geschäftsentwicklung in der nahen Zukunft zuversichtlicher als im Vormonat. Die Umsätze im Handel zeigen am aktuellen Rand eine recht uneinheitliche Entwicklung. Nach den bisher vorliegenden Ergebnissen sind die realen Umsätze im Großhandel im Zweimonatsdurchschnitt (März/April im Vergleich zu Januar/Februar) saisonbereinigt um 4,6% recht kräftig gestiegen. Nach den neuesten Ergebnissen des ifo Konjunkturtests sind befragten Großhändler sind mit ihrer momentanen Geschäftssituation weiterhin recht zufrieden. Ihre Erwartungen an den Geschäftsverlauf in den nächsten sechs Monaten sind von verhaltenem Optimismus geprägt und haben sich im Vergleich zum Mai kaum verändert. Im Einzelhandel (ohne Kfz und Tankstellen) haben die realen Umsätze im Zweimonatsdurchschnitt (März/April im Vergleich zu Januar/Februar) saisonbereinigt dagegen leicht abgenommen. Der Durchschnittswert des ersten Quartals wurde im April saisonbereinigt um 0,4% übertroffen. Der KfzHandel, der nach dem Ausschöpfen des Abwrackprämientopfes in der zweiten Jahreshälfte 2009 deutlich ins Minus gerutscht war, zeigt nunmehr erste Besserungstendenzen: Hier nahmen im Zweimonatsvergleich die nominalen Umsätze saisonbereinigt um 6,9% zu (Anstieg gegenüber dem Durchschnitt des ersten Quartals: 3,9%). Nach den Ergebnissen des ifo Konjunkturtests vom Juni waren die befragten Einzelhändler (einschließlich Kfz-Gewerbe) mit ihrer Geschäftslage weniger unzufrieden als im Monat zuvor, die Geschäftsentwicklung im kommenden halben Jahr schätzen sie aber zurückhaltender ein. Das Konsumentenvertrauen, dass seit dem Ende der Rezession deutlich zugenommen hatte, ist zuletzt allerdings wieder leicht gesunken. Auch die Bereitschaft der Verbraucher, größere Anschaffungen zu tätigen, nahm nach dem deutlichen Anstieg zur Jahreswende wieder ab (vgl. Abb. 4.6). Die Neigung, Ersparnisse zu bilden, hat sich zuletzt jedoch nicht weiter erhöht. Alles in allem dürfte das reale Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal 2010 saison- und kalenderbereinigt mit einer lau- Abb. 4.6 Indikatoren zur Konsumkonjunktur 20 10 Salden in %, saisonbereinigt 30 a) Konsumentenvertrauen 20 (linke Skala) 0 10 -10 0 -20 -10 b) Einkommensperspektiven -30 -20 (rechte Skala) -40 -30 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 40 Salden in %, saisonbereinigt 30 30 20 40 Ersparnissec) 20 10 10 0 0 -10 -10 -20 -30 Bereitschaft zu größeren Anschaffungend) -20 -30 -40 -40 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 a) Mittelwert der Salden in % der Meldungen der privaten Haushalte zu ihrer finanziellen und wirtschaftlichen Lage (in den kommenden 12 Monaten), Arbeitslosigkeitserwartungen (in den kommenden 12 Monaten) und den Ersparnissen (in den kommenden 12 Monaten).- b) Finanzielle Lage in den kommenden 12 Monaten.- c) In den kommenden 12 Monaten.- d) Gegenwärtig. Quelle: Europäische Kommission. fenden Rate von 1,1% (Jahresrate: 4,5%) stark beschleunigt gestiegen sein. Gegenüber dem vergleichbaren Vorjahresquartal beläuft sich die Zuwachsrate auf 2,6% (kalenderbereinigt: 2,2%). Zum kräftigen Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion dürften vor allem das Auf- und Nachholen im verarbeitenden Gewerbe und im Baugewerbe beigetragen haben (vgl. Tab. 4.1). Für das erste Halbjahr 2010 ergibt sich im Vergleich zum zweiten Halbjahr 2009 saisonund kalenderbereinigt eine Expansion der Wirtschaftsleistung in Höhe von 1,6% (annualisiert), im Vorjahresvergleich beläuft sich die Zunahme auf 2,1%. Im weiteren Verlauf des Jahres 2010 wird sich die konjunkturelle Belebung fortsetzen, Anregende Impulse gehen nach wie vor von der expansiven Zinspolitik der EZB aus, zudem stützt die Finanzpolitik durch Stimulierungsprogramme. Das Expansionstempo wird nach dem Abklingen der Nachholeffekte allerdings deutlich langsamer sein. Die Exporte profitieren weiter von der Expansion der Weltwirtschaft und hier insbesondere von den stark wachsenden Schwellenländern. Zudem werden zunehmend Investitionsgüter nachgefragt, die ein hohes Gewicht im deutschen Exportportfolio haben. Der private Konsum wird saisonbereinigt in der zweiten Jahreshälfte bei leicht steigenden Realeinkommen moderat zunehmen, zudem stützen 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 41 42 Daten und Prognosen Tab. 4.1 a) Bruttoinlandsprodukt und Bruttowertschöpfung nach Wirtschaftsbereichen Prognose für das 2. und 3. Quartal 2010 2009 Q4 Bruttoinlandsprodukt darunter: Bruttowertschöpfung der Wirtschaftsbereiche darunter: Verarbeitendes Gewerbe Energie- und Wasserversorgung Baugewerbe Handel, Gastgewerbe , Verkehr und Nachrichtenübermittlung Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleistungen Öffentliche und private Dienstleister Bruttoinlandsprodukt darunter: Bruttowertschöpfung der Wirtschaftsbereiche darunter: Verarbeitendes Gewerbe Energie- und Wasserversorgung Baugewerbe Handel, Gastgewerbe , Verkehr und Nachrichtenübermittlung Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleistungen Öffentliche und private Dienstleister a) – 1,5 2010 Q1 Q2 Ursprungswerte Veränderungen gegenüber dem Vorjahresquartal in % 1,7 2,6 Q3 1,9 – 2,0 2,2 3,6 3,2 – 8,2 1,0 1,7 6,9 8,8 – 3,7 12,6 9,1 2,1 9,4 4,8 4,2 – 3,3 – 0,2 1,4 1,1 – 0,9 2,2 0,9 1,3 2,2 2,3 1,6 1,1 Saison- und arbeitstäglich bereinigte Werte Veränderungen gegenüber dem Vorjahresquartal in % 0,2 0,2 1,1 0,5 0,1 1,1 1,4 0,7 0,5 0,3 – 0,7 2,7 7,7 – 3,2 4,3 – 2,8 6,0 1,8 – 0,3 3,0 – 0,7 0,7 1,1 0,0 0,2 0,5 1,2 0,3 0,3 0,2 0,5 0,1 In Preisen des Vorjahres. Quelle: Statistisches Bundesamt; 2. und 3. Quartal 2010: Prognose des ifo Instituts. die zu Jahresanfang in Kraft getretenen fiskalischen Entlastungen (Anhebung von Kindergeld und Kinderfreibetrag, erhöhte Absetzbarkeit von BeiKasten trägen zur Kranken- und Pflegeversicherung Jahresdurchschnittliches Wachstum und konjunktureller Verlauf sowie Erhöhung des Grundfreibetrags im Die Prognose der jahresdurchschnittlichen Veränderungsrate des realen ESt-Tarif). Die Ausrüstungsinvestitionen werBruttoinlandsprodukts basiert auf einer Einschätzung des unterjährigen konjunkturellen Verlaufs, d.h. auf einer Prognose der saison- und den angesichts der immer noch leicht unkalenderbereinigten Quartalsraten. Die einzelnen Quartalsraten gehen mit terdurchschnittlichen Kapazitätsauslastung a) unterschiedlichem Gewicht in die Jahresdurchschnittsrate ein. moderat steigen, gegen Ende 2010 dürfte Im Mai hat das Statistische Bundesamt für das erste Quartal 2010 eine laufende Rate von 0,2% für das reale BIP veröffentlicht. Im Gemeindas Auslaufen der degressiven Abschreibung schaftsgutachten der Institute, das von einem Gesamtwachstum in 2010 in ein Vorziehen von Investitionsprojekten ausHöhe von 1,5% ausgegangen war, ist dagegen mit einem leichten Minus lösen. Diese fehlen allerdings im Jahr 2011. gerechnet worden (– 0,1%). Zusammen mit der Aufwärtskorrektur für das vierte Quartal 2009 in Höhe von 0,1 Prozentpunkten führt dies ceteris paribus zu einer Die öffentlichen Bauinvestitionen werden im Anhebung des jahresdurchschnittlichen Prognosewerts für das reale BIP um Vergleich zur ersten Jahreshälfte verlangsamt 0,4 Prozentpunkte auf 1,9%. Für den weiteren Jahresverlauf 2010 wird in der expandieren, da die Konjunkturpakete ausvorliegenden Prognose im Vergleich zum Gemeinschaftsgutachten mit einer leicht erhöhten konjunkturellen Dynamik gerechnet, so dass sich der laufen. Der Wirtschaftsbau wird weiter jahresdurchschnittliche BIP-Zuwachs nunmehr auf 2,1% beläuft. Tabelle 4.2. schwach tendieren. Insgesamt dürfte die gefasst die wichtigsten Kenngrößen der Prognose für das reale Bruttoinlandssamtwirtschaftliche Produktion im Jahresprodukt zusammen. durchschnitt 2010 um 2,1% steigen, kalena) Vgl. W. Nierhaus, »Wirtschaftskonjunktur 2006: Prognose und Wirklichkeit«, derbereinigt aufgrund der etwas größeren ifo Schnelldienst 60(2), 2007, 23–28, hier: S. 25. ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang Daten und Prognosen Tab. 4.2 Zur Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts a) a) 2008 2009 2010 2011 b) Statistischer Überhang 0,6 – 2,1 0,6 0,7 c) Jahresverlaufsrate – 1,8 – 2,2 2,1 1,4 Jahresdurchschnittliche Veränderung, kalenderbereinigt 1,0 – 4,9 1,9 1,6 d) Kalendereffekt 0,3 – 0,0 0,2 – 0,1 Jahresdurchschnittliche Veränderung 1,3 – 4,9 2,1 1,5 a) b) Schätzungen des ifo Instituts. – Saison- und kalenderbereinigtes reales Bruttoinlandsprodukts im 4. Quartal des Vorjahres in Relation zum saison- und kalenderbereinigten Quartalsdurchschnitt des Vorjahres. – c) Jahresveränderungsrate im 4. Quartal, saison- und kalenderbereinigt. – d) In Prozent des realen Bruttoinlandsprodukts. Quelle: Statistisches Bundesamt; 2010 und 2011: Prognose des ifo Instituts. Zahl von Arbeitstagen um 1,9%. Diese Schätzung bedeutet im Vergleich zur Prognose der Gemeinschaftsdiagnose vom April eine um 0,6 Prozentpunkte höhere Wachstumsrate (vgl. Kasten: Jahresdurchschnittliches Wachstum und konjunktureller Verlauf). Im kommenden Jahr schwenkt die Bundesregierung mit den Sparbeschlüssen der Klausurtagung vom 6. und 7. Juni 2010 auf einen Konsolidierungspfad ein. Durch Subventionsabbau und Einsparungen bei Sozialleistungen soll im Bundeshaushalt 2011 ein Sparvolumen von rund 11 Mrd. € realisiert werden. Da zugleich die Anregungen aus den Konjunkturprogrammen auf den öffentlichen Bau entfallen, wirkt die Finanzpolitik im nächsten Jahr dämpfend auf die Konjunktur. Allerdings dürften die endogenen Auftriebskräfte, die von einer im Vergleich zu 2010 geringeren, aber immer noch recht kräftigen Exportdynamik begleitet werden, stark genug sein, dass sich die konjunkturelle Erholung fortsetzt. Mit einem größeren Rückschlag ist nicht zu rechnen. Zwar werden die Konsummöglichkeiten der privaten Haushalte infolge der Konsolidierungsbemühungen für sich genommen geschmälert, das Kürzungsvolumen ist aber nicht so groß, als Abb. 4.7 dass es zu einem Rückgang der realen verfügbaren Einkommen und der realen Konsumausgaben im Jahresdurchschnitt käme. Zudem schafft die Konsolidierung bei den privaten Haushalten Vertrauen, was positiv auf die Ausgabenneigung wirkt. Die Investitionen in Ausrüstungen und Wohnbauten dürften im nächsten Jahr weiter merklich steigen, nicht zuletzt befördert durch das niedrige Zinsniveau. Insgesamt wird das reale Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2011 um 1,5% expandieren (vgl. Abb. 4.7). Damit wird die Produktion in Deutschland im laufenden als auch im nächsten Jahr stärker als die Produktion im Euroraum zulegen. Die konjunkturelle Erholung wird auch auf den Arbeitsmarkt ausstrahlen. Im Durchschnitt dieses Jahres dürfte die Erwerbstätigenzahl um 80 000 steigen, im nächsten Jahr um 120 000. Die Zahl der Arbeitslosen wird dagegen 2010 und 2011 jeweils um 190 000 sinken. Bei alledem wird sich das Verbraucherpreisniveau nur wenig erhöhen. Im laufenden Jahr ist mit einer Teuerungsrate um 1,1% zu rechnen; im Jahresdurchschnitt 2011 dürfte die Rate aufgrund der konjunkturell bedingt leicht anziehenden Kerninflation etwas höher sein (1,5%). Das staatliche Budgetdefizit in Relation zum nominalen BIP beträgt im laufenden Jahr voraussichtlich 4,2%. Im nächsten Jahr wird es aufgrund der weiteren wirtschaftlichen Erholung und damit verbundenen günstigeren Lage auf dem Arbeitsmarkt auf 3,4% des BIP sinken. Zu dieser Entwicklung trägt auch das Konsolidierungsprogramm der Bundesregierung spürbar bei. Das strukturelle Defizit, das zu Jahresanfang von der Bundesregierung auf 4,5% des BIP veranschlagt wurde, dürfte sich im Jahr 2010 auf etwa 3,5% belaufen und auf 2,9% im Jahr 2011 sinken. Die Verbesserung des strukturellen BudAbb. 4.8 Prognoseintervall für die Zunahme des Bruttoinlandsprodukts 2010 3,5 Reales Bruttoinlandsprodukt in Deutschland 90% Saison- und kalenderbereinigter Verlauf 600 % Verkettete Volumenangaben in Mrd. Euro 3,0 16 68% 590 Prognosezeitraum 580 50% 2,5 1,3% 2,1% 2,5% 570 12 1,5% 8 4 560 550 2,0 0 50% 540 3,2% -4 1,5 68% -4,9% 530 520 510 laufende Jahresrate a) -8 Jahresdurchschnitt b) Mrd. Euro -12 500 1,0 90% -16 2006 a) b) 2007 2008 2009 2010 2011 0,5 Veränderung gegenüber dem Vorquartal in %, auf Jahresrate hochgerechnet (rechte Skala). Zahlenangabe: Veränderung der Ursprungswerte gegenüber dem Vorjahr. Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen und Prognose des ifo Instituts (Juni 2010). Quelle: Berechnungen des ifo Instituts. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 43 44 Daten und Prognosen Tab. 4.3 Eckdaten der Prognose für die Bundesrepublik Deutschland a) a) a) 2008 2009 2010 2011 b) Veränderung in % gegenüber dem Vorjahr Private Konsumausgaben 0,4 – 0,1 – 1,0 0,7 Konsumausgaben des Staates 2,1 3,4 1,7 0,5 Bruttoanlageinvestitionen 3,1 – 9,0 1,6 2,0 Ausrüstungen 3,3 – 20,5 2,9 3,1 Bauten 2,6 – 1,1 0,5 1,0 Sonstige Anlagen 5,3 4,9 4,7 4,5 Inländische Verwendung 1,7 – 2,1 0,9 0,7 Exporte 2,9 – 14,5 10,8 7,3 Importe 4,3 – 9,5 8,8 6,2 Bruttoinlandsprodukt 1,3 – 4,9 2,1 1,5 c) Erwerbstätige (1 000 Personen) 40 279 40 265 40 347 40 469 Arbeitslose (1 000 Personen) 3 268 3 423 3 233 3 043 d) Arbeitslosenquote (in %) 7,5 7,9 7,4 7,0 e) Verbraucherpreise (Veränderung in % gegenüber dem Vorjahr) 2,6 0,4 1,1 1,5 f) Finanzierungssaldo des Staates in Mrd. Euro 1,0 – 75,3 – 103,7 – 87,9 in % des nominalen 0,0 – 3,1 – 4,2 – 3,4 Bruttoinlandsprodukts Nachrichtlich: Reales Bruttoinlandsprodukt im Euroraum (Veränderung in % gegenüber 1,0 1,0 – 4,1 0,4 dem Vorjahr) Verbraucherpreisindex im g) Euroraum (Veränderung in % gegenüber dem Vorjahr) 3,3 0,3 1,3 1,3 a) b) c) Prognose des ifo Instituts. – Preisbereinigte Angaben. – Inlandsd) konzept. – Arbeitslose in % der inländischen Erwerbspersonen (Wohne) f) ortkonzept). – Verbraucherpreisindex (2005 = 100). – In der Abgreng) zung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (ESVG 95). – Harmonisierter Verbraucherpreisindex (2005 = 100). tuts der Jahre 1990 bis 2009 herangezogen. Gemessen an diesen Prognosefehlern beträgt die Spanne für ein Prognoseintervall, das die Veränderungsrate des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2010 mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa zwei Dritteln überdeckt, ± 0,7 Prozentpunkte. Bei der vorliegenden Punktschätzung für die Zuwachsrate des BIP von 2,1% reicht das Intervall also von 1,4% bis 2,8%. Die Punktprognose von 2,1% stellt den mittleren Wert dar, der am ehesten erwartet werden kann (vgl. Abb. 4.8). Zu den Finanzierungsbedingungen in Deutschland Die Kreditvergabe an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften in Deutschland hat sich seit Ende vergangenen Jahres stark abgeschwächt. Das Volumen neu vergebener Kredite ging so stark zurück, dass es die fällig werdenden Kredite nicht mehr ausgleichen konnte; somit war der Bestand ausstehender Kredite seit September rückläufig und sank in den ersten vier Monaten dieses Jahres im Schnitt mit 3,1% gegenüber Vorjahr (vgl. Abb. 4.9). Vor diesem Hintergrund stellt sich nach wie vor die Frage, ob dieser Rückgang durch eine schwache Kreditnachfrage oder eher durch ein restriktives Kreditangebot, also durch eine Kreditklemme, zu erQuelle: Eurostat; Statistisches Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; 2010 klären ist. Als Kreditklemme wird dabei eine und 2011: Prognose des ifo Instituts. Situation verstanden, in der die durch die Finanzkrise ausgelösten Angebotsbeschränkungen den Zugang der Unternehmen zu getsaldos um 0,6 Prozentpunkte dürfte den Kriterien der Krediten erheblich erschwert haben und die somit eine erdeutschen Schuldenbremse genügen. hebliche Gefahr für den einsetzenden Aufschwung darstellen kann. Die Prognoseunsicherheit lässt sich anhand von Intervallen angeben, die die unbekannte Veränderungsrate des BrutFür eine schwache Kreditnachfrage spricht auf den ersten toinlandsprodukts mit einer vorgegebenen WahrscheinlichBlick, dass das rückläufige Kreditvolumen mit einem deutkeit einschließen. Zur Berechnung der konkreten Intervalle lichen Rückgang der Kreditzinsen in Verlauf von 2009 einfür das Jahr 2011 wurden die Prognosefehler des ifo Instiherging. Dies legen auch der massive Konjunktureinbruch und insbesondere der AbKasten sturz der Investitionen nahe, die den KreditAnnahmen und Rahmenbedingungen der Prognose bedarf der Unternehmen erheblich reduziert • Der Welthandel nach Abgrenzung der OECD wird in diesem Jahr um 12% haben dürften. Allerdings ist seit Jahresbesteigen und im nächsten Jahr um 7,5%. ginn kein weiterer Rückgang bei den Kredit• Der Ölpreis (für die Sorte Nordsee-Brent) wird im Prognosezeitraum 79 US-Dollar pro Barrel betragen. zinsen mehr zu beobachten; zwischen Ja• Der Wechselkurs des Euro gegenüber dem US-Dollar liegt im nuar und April stagnierten die durchschnittPrognosezeitraum bei etwa 1,20. lichen Zinsen sowohl für ausstehende als • Die Europäische Zentralbank (EZB) belässt die Hauptrefinanzierungssatz bis Mitte 2011 auf dem gegenwärtigen Niveau von 1,0%. auch für neu vergebene Kredite an nichtfi• Die Finanzpolitik schwenkt ab dem Jahr 2011 auf einen Konsolidierungskurs nanzielle Kapitalgesellschaften bei etwa ein. Hier wird davon ausgegangen, dass das Konsolidierungspaket der 3,8%. Darüber hinaus ist der Aufschlag der Bundesregierung so umgesetzt wird, wie es geplant ist. Allfällige Ausgaben im Rahmen der Banken- und Euro-Rettungspakete bleiben bei dieser Zinsen für Neukredite über den sicheren NoPrognose unberücksichtigt. ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang Daten und Prognosen tenbankzins mit zuletzt 2,8 Prozentpunkten nach wie vor hoch. Die Beobachtung, dass in diesem Kreditsegment die Zinssenkungen der EZB nur teilweise von den Banken an die Kreditnehmer weitergegeben werden, spricht für einen negativen angebotsseitigen Effekt auf dem Kreditmarkt, der Folge der hohen Abschreibungen der Banken im Zuge der Finanzkrise sein dürfte und der dem aus der sinkenden Kreditnachfrage resultierenden Rückgang der Kreditzinsen entgegenwirkt. 45 Abb. 4.9 Kredite deutscher Banken an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften Kreditbestände 12 Zinsen Veränderung gegenüber Vorjahr in % in % 6,5 10 6,0 Bestände 8 6 5,5 4 5,0 2 4,5 Neugeschäfte 0 4,0 -2 -4 3,5 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Weitere Indikatoren der Kreditsituation Ob und in welchem Ausmaß die schwache Kreditentwicklung und die geringe Zinsweitergabe auf angebots- oder nachfrageseitige Faktoren zurückzuführen sind, kann allerdings allein anhand der Entwicklung des Kreditvolumens und -zinses nicht festgestellt werden. Deshalb werden häufig zusätzliche Kreditmarktindikatoren zur Analyse herangezogen. Befragungen, sowohl unter Banken als auch unter Unternehmen, deuten zwar darauf hin, dass die Kreditvergabestandards weiter restriktiv sind; gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass diese in der ersten Jahreshälfte nicht weiter gestrafft wurden, sondern sich zuletzt sogar eine gewisse Entspannung einstellte. So berichten nach Daten des von der Deutschen Bundesbank erhobenen Bank Lending Survey (BLS) seit Jahresbeginn erstmals seit Ausbruch der Finanzkrise jeweils gleich viele Banken, dass die Kreditvergabestandards in den vergangenen drei Monaten gelockert oder gestrafft wurden. Befragungen von Unternehmen zeichnen ein ähnliches Bild. Laut der jüngsten Befragung des ifo Instituts zur Kredithürde lag der Anteil der Firmen im verarbeitenden Gewerbe, die über einen restriktiven Zugang zu Krediten berichteten, im Mai zwar immer noch bei etwa 36%. Dies sind jedoch über 11 Prozentpunkte weniger als noch Mitte vergangenen Jahres. Vor allem die Situation für große Unternehmen hat sich deutlich verbessert, auch wenn sie nach wie vor überdurchschnittlich stark über Kreditrestriktionen klagen. Hohe Zinsaufschläge, eine Verschärfung der Kreditrichtlinien und ein restriktiver Zugang zu Krediten können allerdings durchaus übliche Phänomene in konjunkturellen Schwächephasen sein. Ein zyklisches Verhalten der Kreditangebotsbedingungen lässt sich beispielsweise mit der Konjunkturabhängigkeit der Bonität der Kreditnehmer (und damit der Kreditrisiken) und der Monitoringaktivität der Kreditinstitute erklären. Um die Kreditvergabebedingungen von diesen konjunkturellen Einflüssen zu bereinigen, wurde vom ifo Institut ein Kreditklemmenindikator für das verarbeitende Gewerbe entwickelt, der den Anteil an der durchschnittlichen ifo Kredithürde wie15 Eine ausführliche Darstellung der Berechnung des Kreditklemmenindikators findet sich in H. Rottmann und T. Wollmershäuser, »A Micro Data Approach to the Identification of Credit Crunches«, unveröffentlichtes Manuskript, ifo Institut für Wirtschaftsforschung, München 2010, sowie in Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, »Zögerliche Belebung – Steigende Staatsschulden«, ifo Schnelldienst 62(20), 2009, 3–64, hier: S. 44, Kasten 3.5. 4,0 Prozentpunkte 3,5 Saldo in % Zinsaufschlaga) (linke Skala) 3,0 60 60 40 50 20 in % Prozentpunkte 15 ifo Kredithürdec) 40 0 2,0 -20 Kreditrichtilinienb) 10 (linke Skala) 30 2,5 20 20 10 5 Kreditklemmenindikatord) (rechte Skala) 0 -5 (rechte Skala) 1,5 -40 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 0 -10 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 a) Der Zinsaufschlag wird als Differenz zwischen den durchschnittlichen Zinsen im Kreditneugeschäft und dem Hauptrefinanzierungssatz der EZB berechnet. - b) Die Kreditrichtlinien messen den prozentualen Saldo der Antwortkategorien "verschärft" und "gelockert" des Bank Lending Survey. Die Banken werden dabei nach der Veränderung der Richtlinien für die Gewährung von Krediten an Unternehmen in den letzten drei Monaten gefragt. - c) Die ifo Kredithürde gibt den Anteil der Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe an, der die Kreditvergabe der Banken restriktiv einschätzt. - d) Der Kreditklemmenindikator gibt den Anteil an der durchschnittlichen ifo Kredithürde für das verarbeitende Gewerbe wieder, der nicht durch die üblichen Determinanten des Kreditangebots (wie die Bonität der Unternehmen und die Refinanzierungskosten der Banken) erklärt werden kann. dergibt, der nicht durch die üblichen Determinanten des Kreditangebots (wie die Bonität der Unternehmen und die Refinanzierungskosten der Banken) erklärt werden kann.15 Seit Ausbruch der Finanzkrise hat sich der Kreditklemmenindikator entlang der Nulllinie entwickelt, was darauf hindeute, dass der von den Unternehmen berichtete restriktive Zugang zu Krediten durch die Verschlechterung der Kreditwürdigkeit der Unternehmen und den Anstieg der Risikoprämien bei der Refinanzierung der Banken erklärt werden kann. Lediglich bei den großen Unternehmen, die vorwiegend Kundenbeziehungen zu den von der Finanzkrise am stärksten betroffenen Groß- und Landesbanken pflegen, deutete der Indikator zur Jahreswende 2008/09 das Vorliegen einer Kreditklemme an. Allerdings hat sich auch hier die Situation in den letzten Monaten deutlich verbessert. Alles in allem deutet momentan wenig auf das Vorliegen einer breiten Kreditklemme in Deutschland hin. Allerdings sind sowohl die Kreditvergabestandards als auch die Zinsweitergabe derzeit noch als eher restriktiv zu beurteilen. Auch wenn dies wohl nicht in erster Linie durch angebotsseitige Faktoren erklärt werden kann, so ist dennoch mit einer Bremswirkung auf Unternehmensseite zu rechen. Eine Ursache für den Befund eines konjunkturell angemessenen Kreditangebots dürfte im Abbau der Ungleichgewichte innerhalb der Europäischen Währungsunion liegen. Durch den Rückgang der relativen Ertragsaussichten in den Defizitländern aufgrund der geänderten Risikoeinschätzung wird verstärkt Kapital in den stabileren Überschuss63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 46 Daten und Prognosen Bei Betrachtung der Exporte nach Regionen fällt auf, dass im ersten Quartal erneut ein starker Impuls aus China kam. Die dort kräftige konjunkturelle Dynamik führte zu einem Anstieg der deutschen Ausfuhren von 27%. Die Lieferungen in die USA wurden begünstigt von der Abwertung des Euro sowie von einer anziehenden Investitionsdynamik und legten mit mehr als 7% zu. Vor allem die Automobilbranche konnte davon profitieren. Nach Osteuropa wurde ebenfalls mehr exportiert, hier sind Tschechien und insbesondere Polen zu nennen. Innerhalb der Eurozone legten die Ausfuhren nach Frankreich, Italien und Spanien zu. In die EU wurden insgesamt knapp 3% mehr geliefert. Auch von wirtschaftlich dynamischen Ländern wie Brasilien, Russland und Indien wurde wieder deutlich mehr in Deutschland gekauft. Diese Länder verfügen noch über einen geringen Anteil am deutschen Export. Veränderungen in ihrer Nachfrage wirken sich deshalb wenig auf die deutsche Exportwirtschaft aus (vgl. Abb. 4.10). Abb. 4.10 Außenhandel Deutschlands nach Ländern und Regionen Spezialhandel; saisonbereinigte Quartalswerte in Mrd. Euro Ausfuhr Einfuhr Euroraum 110 Andere EU-Länder a) 56 48 95 40 80 32 65 24 50 16 35 8 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 USA China 24 18 21 15 18 12 15 9 12 6 9 3 6 0 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 Russland OPEC-Staaten 12 8 9 6 b) Im zweiten Quartal 2010 werden die Ausfuhren weiter stark zunehmen. Zum einen liegt der Wert für die nominalen Warenexporte in 3 2 Abgrenzung des Spezialhandels im April bereits 2% über dem Durchschnitt des ersten 0 0 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 Quartals. Zum anderen deuten sowohl die Polen, Ungarn, Tschechien, Lettland, Litauen, Estland, Bulgarien, Dänemark, Rumänien, Schweden, Großbritannien. ifo Exporterwartungen als auch die AuftragsAlgerien, Libyen, Nigeria, Venezuela, Irak, Iran, Saudi-Arabien, Kuwait, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, Indonesien. Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des ifo Instituts. eingänge aus dem Ausland auf eine kräftige Auslandsnachfrage nach deutschen Gütern hin. Die realen Exporte werden sich deshalb im aktuellen Quartal um 4% verbessern. Für das zweite Halbländern angeboten, was dort die Kreditkonditionen verjahr 2010 wird mit einer leichten Abschwächung der zum bessert und die Renditen senkt. Teil äußerst kräftigen konjunkturellen Dynamik in den asia6 4 a) b) Der Außenhandel führt Deutschland aus der Krise Abb. 4.11 Reale Exporte Saison- und kalenderbereinigter Verlauf 320 Im ersten Quartal 2010 konnten die realen Exporte mit 2,6% gegenüber dem Vorquartal expandieren und knüpften damit an die hohen Zuwachsraten im dritten und vierten Quartal des Vorjahres an. Dabei kam es im Januar noch zu einem unerwarteten Einbruch der Warenausfuhren um 6,5% gegenüber dem Vormonat. Dieser wurde im Februar und vor allem im März mit dem kräftigsten Anstieg seit Juli 1992 wieder wettgemacht. Betrachtet man den Spezialhandel nach Warengruppen, so spiegelt sich der Anstieg der Exporte vor allem in dem Bereich »Kraftwagen und Kraftwagenteile« mit einem Zuwachs von 7,0% und in der Chemiebranche mit einem Plus von 6,6% wider. Beide Branchen machen mehr als 30% der Warenausfuhren aus. ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang % Verkettete Volumenangaben in Mrd. Euro 40 7,3% 2,9% 300 12,9% 10,8% 7,5% 20 280 260 0 240 -14,5% -20 laufende Jahresrate a) Jahresdurchschnitt b) Mrd. Euro 220 Prognosezeitraum 200 -40 2006 2007 2008 2009 2010 a) Veränderung gegenüber dem Vorquartal in %, auf Jahresrate hochgerechnet (rechte Skala). b) Zahlenangabe: Veränderung der Ursprungswerte gegenüber dem Vorjahr. Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen und Schätzungen des ifo Instituts (Juni 2010). 2011 Daten und Prognosen tischen Ländern und den USA gerechnet, welche sich in der Entwicklung der Exporte niederschlägt. Stützend jedoch wird sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit auswirken, die sich seit Anfang des Jahres deutlich verbessern konnte. Insgesamt kommt es im Jahr 2010 zu einem Exportplus von 10,8% (vgl. Abb. 4.11). Abb. 4.12 Reale Importe Saison- und kalenderbereinigter Verlauf 280 % Verkettete Volumenangaben in Mrd. Euro laufende Jahresrate a) Jahresdurchschnitt b) Mrd. Euro 270 6,2% 4,3% 260 40 30 20 8,8% 4,8% Im weiteren Prognosezeitraum wird die Nachfrage aus der Eurozone und Großbritannien, die zusammen mehr als die Hälfte des deutschen Exportmarktes ausmachen, verhalten bleiben. Ursache hierfür sind die Probleme der südeuropäischen Länder und die Konsolidierungsbemühungen im gesamten Euroraum und in Großbritannien. Impulse für den Export werden weiter aus China und Südostasien kommen. Daneben werden Polen und Tschechien zur Expansion der Ausfuhren beitragen. Aus den USA dürften leicht positive Signale kommen. Alles in allem werden die Exporte im Jahr 2011 um 7,3% steigen. Das Niveau des Exportvolumens dürfte sich Ende 2011 wieder leicht über Vorkrisenniveau befinden. Die realen Importe nahmen im ersten Quartal 2010 kräftig um 6,1% gegenüber dem Vorquartal zu; ein noch höherer Quartalsanstieg der Importe wurde das letzte Mal vor 20 Jahren verzeichnet. Die Zunahme der Einfuhren resultierte durch Anstiege in allen Warengruppen. Dabei handelt es sich zum einen um eine Korrekturbewegung gegenüber dem vierten Quartal des Vorjahres, als geringere Konsumgüterimporte die Einfuhren reduzierten. Zum anderen wurden im ersten Quartal deutlich mehr Vorleistungsgüter importiert, die für die Produktion von Investitionsund Exportgütern verwendet werden. Aufgrund des starken ersten Quartals, der damit einhergehenden volleren Lager und einem Rückgang der nominalen Warenimporte in Abgrenzung des Spezialhandels im April gegenüber dem ersten Quartal von 0,5% wird für das aktuelle Quartal mit einem deutlich geringeren Einfuhrplus von 1,8% gerechnet. Tab. 4.4 Im weiteren Verlauf des Jahres führt die abnehmende Dynamik der Exporte zu einer geringeren Zunahme der Importe von Vorleistungsgütern. Größere Impulse dürften von der höheren Nachfrage nach Ausrüstungsinvestitionen ausgehen, diese kommen durch das Auslaufen der günstigen degressiven Abschreibungsbedingungen Ende dieses Jahres zustande. Daneben werden in diesem Jahr steigende Importpreise die Importnachfrage dämpfen. Insgesamt erhöhen sich die realen Importe im Jahr 2010 um 8,8% gegenüber dem Vorjahr. Im kommenden Jahr wird aufgrund eines moderateren Anstiegs der Exporte und einer geringeren Zunahme der Binnennachfrage eine Zunahme von 6,2% erwartet (vgl. Abb. 4.12). 10 250 240 0 11,9% Prognosezeitraum 230 220 -10 -20 -9,5% 210 -30 2006 2007 2008 2009 2010 2011 a) Veränderung gegenüber dem Vorquartal in %, auf Jahresrate hochgerechnet (rechte Skala). b) Zahlenangabe: Veränderung der Ursprungswerte gegenüber dem Vorjahr. Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen und Schätzungen des ifo Instituts (Juni 2010). Der Außenbeitrag liefert in den Jahren 2010 und 2011 jeweils einen kräftigen Wachstumsbeitrag von 1,2 bzw. 0,9 Prozentpunkten zum BIP-Zuwachs (vgl. Tab. 4.4). Mittelfristig ist damit zu rechnen, dass die deutlich positiven Wachstumsbeiträge des Außenhandels kleiner werden und sich die Leistungsbilanzüberschüsse allmählich zurückbilden. Diese Entwicklung resultiert vorwiegend aus einer dynamischeren Binnennachfrage, die sich in höheren Importen niederschlägt. Die Einfuhrpreise sind im ersten Quartal 2010 sehr stark gestiegen. Das ist im Wesentlichen auf den Anstieg der Energie- und Vorleistungsgüterpreise zurückzuführen. Für das Jahr 2010 wird eine Zunahme der Importpreise von 3,3% gegenüber dem Vorjahr erwartet. Dabei wird zwar Konstanz bei den Rohstoffpreisen und dem Euro-Wechselkurs unterstellt, die zurückliegende Verteuerung der Rohstoffe wirkt aber noch auf die Preise anderer Import- Wachstumsbeiträge zur Veränderung des Bruttoinlandsprodukts (in Prozentpunkten) a) a) 2009 2010 2011 Konsumausgaben 0,6 – 0,2 0,5 Private Konsumausgaben 0,0 – 0,6 0,4 Konsumausgaben des Staates 0,6 0,3 0,1 Bruttoanlageinvestitionen – 1,7 0,3 0,3 Ausrüstungen – 1,7 0,2 0,2 Bauten – 0,1 0,0 0,1 Sonstige Anlagen 0,1 0,1 0,0 Vorratsveränderungen – 0,8 0,8 – 0,2 Letzte inländische Verwendung – 2,0 0,8 0,6 Außenbeitrag – 2,9 1,2 0,9 Exporte – 6,8 4,4 3,3 Importe 3,9 – 3,2 – 2,4 b) Bruttoinlandsprodukt – 4,9 2,1 1,5 a) b) Schätzungen des ifo Instituts. – Veränderung in % gegenüber dem Vorjahr. Abweichungen in den Summen durch Runden der Zahlen. Quelle: Statistisches Bundesamt; 2010 und 2011: Prognose des ifo Instituts. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 47 48 Daten und Prognosen güter durch. Im kommenden Jahr dürfte kein expansiver Preisdruck aus den Defizitländern der Eurozone ausgehen, da diese ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern werden. Aufgrund dessen fällt für 2011 die Erhöhung der Einfuhrpreise mit 1,1% wohl wesentlich moderater aus. Die Ausfuhrpreise haben sich im ersten Quartal 2010 um 0,9% erhöht. Sie dürften weiter anziehen, da die Spielräume der Exporteure für Preisüberwälzungen mit der Festigung der Weltkonjunktur und der unterstellten Stabilisierung des Euro-Kurses zunehmen. Für 2010 wird mit einem Zuwachs der Exportpreise von 2,7% gerechnet. Der Welthandel wird im kommenden Jahr deutlich weniger steigen als 2010. Dies wirkt sich dämpfend auf die Preissetzung der Exporteure aus. Für die Exportpreise wird deshalb für 2011 ein Zuwachs von 1,1% prognostiziert. Die Terms of Trade verschlechtern sich 2010 und bleiben im Jahr 2011 unverändert. Investitionen in Ausrüstungen beleben sich Die Ausrüstungsinvestitionen sind im vergangenen Jahr um 20,5% gesunken. Sie sind damit nahezu auf das Niveau von 2005 zurückgegangen. Nachdem sich die inländische Nachfrage nach Ausrüstungsgütern im Sommer 2009 wieder leicht erholt hatte, kam es im Herbst zu einem erneuten Rückprall. Im ersten Vierteljahr 2010 investierten die Unternehmen wieder verstärkt in Maschinen, Geräte und Fahrzeuge. Dabei dürften nach den Ergebnissen des ifo Investitionstests vorwiegend Ersatzinvestitionen getätigt worden sein. Die Kapazitätsauslastung im verarbeitenden Gewerbe war nach den Angaben der Unternehmen im ifo Konjunkturtest im Winter 2009 stark abgesenkt worden. Seither wurde sie aber wieder schrittweise erhöht. Derzeit liegt die Kapazitätsauslastung im verarbeitenden Gewerbe leicht unter dem langjährigen Durchschnittswert. Auch bewerten die Befra- gungsteilnehmer ihre vorhandenen technischen Kapazitäten etwas weniger häufig als zu groß. Im weiteren Jahresverlauf 2010 entwickelt sich die Nachfrage nach Ausrüstungsinvestitionen positiv. Zwar wird das Expansionstempo des ersten Quartals zunächst nicht beibehalten, doch dürfte sich gegen Ende des Jahres das Tempo wieder erhöhen. Auf eine Steigerung der Investitionstätigkeit deuten aktuell die Auftragseingänge im verarbeitenden Gewerbe hin. Im ersten Quartal erhielt die Industrie insgesamt, und die darin enthaltene Hauptgruppe Investitionsgüterhersteller sowie die Maschinenbauer, die Kraftwagenhersteller und die Hersteller von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen mehr Aufträge. Nach den jüngsten vorliegenden Daten konnten diese Bereiche auch im April ein Plus bei den Auftragseingängen verbuchen. Dennoch lässt im Vergleich zum ersten Vierteljahr die Investitionsdynamik zunächst etwas nach. Insbesondere die Konjunkturtestergebnisse für die Leasingbranche, die sich als zuverlässiger Indikator für die Investitionsneigung bewährt haben, deuten eine moderate Grundentwicklung an. Gegen Ende des Jahres werden aber nochmals vermehrt Ausrüstungen nachgefragt, um in den Genuss der noch gültigen degressiven Abschreibungsregeln zu kommen. Im Jahr 2011 dehnen die Unternehmen ihre Investitionen in Maschinen, Geräte und Fahrzeuge insgesamt weiter aus. Allerdings fehlen zu Jahresbeginn zunächst Projekte, die in das Jahr 2010 vorgezogen werden. Im weiteren Verlauf wird das konjunkturelle Grundtempo wieder aufgenommen. Die Lohnstückkosten erhöhen sich nach einem Rückgang in 2010 im Folgejahr lediglich leicht. Mit weiter steigender Kapazitätsauslastung und günstigen Ertragsperspektiven weiten die Unternehmen die Investitionstätigkeit aus. Anregend wirken auch die niedrigen Zinsen. Die Ausrüstungsinvestitionen werden im Jahresdurchschnitt 2010 moderat, um rund 3%, zunehmen und im Jahr 2011 nochmals in ähnlicher Größenordnung steigen (vgl. Abb. 4.13). Baunachfrage durch Wohnungsbau geprägt Abb. 4.13 Reale Investitionen in Ausrüstungen Saison- und kalenderbereinigter Verlauf Verkettete Volumenangaben in Mrd. Euro 62 % 3,3% 11,0% 60 Prognosezeitraum 11,8% 40 54 2,9% 3,1% 20 -20,5% 46 0 -20 38 a) laufende Jahresrate Jahresdurchschnitt b) Mrd. Euro -40 30 -60 2006 2007 2008 2009 2010 a) Veränderung gegenüber dem Vorquartal in %, auf Jahresrate hochgerechnet (rechte Skala). b) Zahlenangabe: Veränderung der Ursprungswerte gegenüber dem Vorjahr. Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen und Schätzungen des ifo Instituts (Juni 2010). ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang 2011 Die Bauinvestitionen gingen im Jahresdurchschnitt 2009 um 1,1% zurück. Sowohl der Wohnungsbau als auch der Nichtwohnungsbau verzeichneten ein Minus von jeweils mehr als einem Prozent. Zwar weitete die öffentliche Hand, unterstützt durch die Konjunkturpakete, ihre Bauinvestitionen stark aus, doch konnte das den Rückgang in anderen Bereichen nicht vollständig ausgleichen. Im ersten Vierteljahr 2010 war die Bautätigkeit durch den strengen Winter geprägt. So lagen die Bauinvestitionen im ersten Quartal um 3,1% unter dem entsprechenden Vorjahreswert. Die monatlichen Daten zur Bauproduktion zeigen aber, dass die Unternehmen bereits seit März die Produktionstätigkeit wieder kräftig ausgeweitet haben. Im Prognosezeitraum wird Daten und Prognosen sich allerdings die Investitionstätigkeit in den Bausparten sehr unterschiedlich entwickeln. Über die Jahre 2010 und 2011 hinweg gehen vom Wohnungsbau positive Impulse aus. Der Auftragseingang ist seit Jahresbeginn deutlich gestiegen und die Baufirmen konnten ihre Auftragsbücher füllen. Die aufgelaufenen Auftragsbestände sind höher als im Vorjahr. Im weiteren Verlauf wird die Wohnungsbaunachfrage auf der einen Seite durch die günstige Entwicklung am Arbeitsmarkt unterstützt. Die Arbeitslosigkeit reduziert sich, und die Arbeitsplatzsicherheit sollte zunehmen. Auf der anderen Seite ist die Finanzierung von Baugeld seit Jahresbeginn noch einmal deutlich günstiger geworden. Die Hypothekenzinsen sind damit im historischen Vergleich sehr niedrig. Zudem dürfte weiterhin auch die energetische Sanierung der Nachfrage Impulse verleihen. Im Jahr 2010 nehmen die Wohnungsbauinvestitionen um etwa 1,3% und im Jahr darauf um 3,0% zu. Im gewerblichen Bau setzt sich der Rückgang der Investitionen in diesem Jahr fort. Die Auftragsbestände im gewerblichen Hochbau lagen im Jahresdurchschnitt 2009 um mehr als 20% unter dem Durchschnittswert des Jahres 2008. Dieser Nachfrageeinbruch dürfte auch im Jahr nachwirken. Es zeigen sich in den Frühindikatoren aber erste Anzeichen für eine Wende. Die durch die ifo Architektenumfrage bei den freischaffenden Architekten abgefragten Schätzungen für das Bauvolumen von gewerblichen Auftraggebern haben sich insgesamt merklich vom Tiefpunkt gelöst. Bei den Baugenehmigungen deutet sich ebenfalls eine Besserung an. So wurden im März mehr Handels- und Lagergebäude genehmigt als im vergleichbaren Vorjahresmonat. Auch die Zahl der genehmigten Hotels und Gaststätten hat zugelegt. Hier zeigt sich, dass die Rezession im Dienstleistungsbereich nicht so deutliche Spuren hinterlassen hat wie im verarbeitenden Gewerbe. Bei den Fabrik- und Werkstattgebäuden liegt die Zahl der Genehmigungen weiterhin unter dem Vorjahreswert. Das gilt ebenso für Büro- und Verwaltungsgebäude. Aber auch in diesen beiden Bereichen haben sich die Genehmigungszahlen in den vergangenen Monaten tendenziell positiv entwickelt. Mit einer steigenden gesamt- 49 wirtschaftlichen Nachfrage und einer wieder besseren Ertragssituation der Unternehmen werden sich die Wirtschaftsbauinvestitionen im Jahr 2011 leicht erhöhen. Insgesamt dürften die gewerblichen Bauinvestitionen im laufenden Jahr um 4,6% sinken und im kommenden Jahr um 0,5% zunehmen (vgl. Tab. 4.5). Die öffentlichen Bauinvestitionen expandieren im Jahr 2010 weiter kräftig. Sowohl im öffentlichen Hochbau als auch im Straßenbau sind die Auftragsbestände der ausführenden Unternehmen im ersten Vierteljahr 2010 kräftig gestiegen. Aufgrund der Mittel, die durch die Konjunkturprogramme bereitgestellten werden, legen die öffentlichen Bauinvestitionen im Verlauf dieses Jahres weiter zu. Zwar hat sich bei vielen Kommunen wegen der eingebrochenen Steuereinnahmen inzwischen eine Investitionszurückhaltung breit gemacht, die konjunkturstützenden Mittel können dies aber vorerst noch überkompensieren. Einige der 2010 angestoßenen Baumaßnahmen werden sich in das Jahr 2011 hineinziehen. Die Maßnahmen aus den Konjunkturpaketen laufen im nächsten Jahr jedoch aus. Zudem bleibt die Finanzlage vieler Kommunen angespannt, so dass die Ausgaben für öffentliche Bauinvestitionen stark eingeschränkt werden. Daher werden die Bauinvestitionen der öffentlichen Hand im Jahr 2010 um knapp 9% steigen und im Folgejahr um etwa 6% abnehmen. Die Bauinvestitionen insgesamt werden dieses Jahr durch die in den Konjunkturpaketen enthaltenen Maßnahmen deutlich gestützt. Zudem gewinnt der Wohnungsbau an Fahrt. Dies kann den Rückgang bei den Wirtschaftsbauaktivitäten mehr als ausgleichen. Die Bauinvestitionen expandieren 2010 daher um etwa 0,5%. Im kommenden Jahr wechseln die Antriebskräfte. Die öffentlichen Bauinvestitionen sinken kräftig. Dem gegenüber steht aber eine weitere Steigerung der Wohnungsbauinvestitionen. Zudem stabilisiert sich der Wirtschaftsbau und wird insgesamt leicht zunehmen. Im Jahr 2011 steigen daher die Bauinvestitionen insgesamt um etwa 1% (vgl. Abb. 4.14). Abb. 4.14 Reale Bauinvestitionen Saison- und kalenderbereinigter Verlauf Tab. 4.5 Reale Bruttoanlageinvestitionen Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % Bauten Wohnbauten Nichtwohnbauten Gewerblicher Bau Öffentlicher Bau Ausrüstungen Sonstige Anlagen Bruttoanlageinvestitionen 2009 – 1,1 – 1,1 – 1,2 – 3,8 5,4 – 20,5 4,9 –9,0 2010 0,5 1,3 – 0,6 – 4,6 8,8 2,9 4,7 1,6 65 Verkettete Volumenangaben in Mrd. Euro % laufende Jahresrate a) Jahresdurchschnitt b) Mrd. Euro 2011 1,0 3,0 – 1,7 0,5 – 6,1 3,1 4,5 2,0 Quelle: Statistisches Bundesamt; 2010 und 2011: Prognose des ifo Instituts. 60 Prognosezeitraum 40 59 4,6% 0,0% 2,6% -1,1% 0,5% 1,0% 53 20 47 0 41 -20 2006 2007 2008 2009 2010 2011 a) Veränderung gegenüber dem Vorquartal in %, auf Jahresrate hochgerechnet (rechte Skala). b) Zahlenangabe: Veränderung der Ursprungswerte gegenüber dem Vorjahr. Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen und Schätzungen des ifo Instituts (Juni 2010). 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 50 Daten und Prognosen Abb. 4.15 Reale Konsumausgaben der privaten Haushalte im Inland nach Verwendungszweck seit 2005 Nahrungsmittel Bekleidung und Schuhe Kettenindex, 2000 = 100 % 102 laufende Jahresrate Kettenindex, 2000 = 100 % 15 105 15 10 10 (rechte Skala) 99 a) 102 5 0 96 5 0 99 -5 93 -5 96 -10 -10 laufende Jahresrate (rechte Skala) 90 -15 2005 2006 2007 2008 2009 93 2010 -15 2005 Einrichtungsgegenstände b) Kettenindex, 2000 = 100 102 2006 2007 2008 2009 2010 Verkehr und Nachrichtenübermittlung % 20 118 Kettenindex, 2000 = 100 % 45 Sommer des vergangenen Jahres war es durch die befristet ausgezahlte Abwrackprämie zu einem Boom bei Pkw-Neuzulassungen gekommen; der nach dem Auslaufen der Prämie einsetzende Rückgang von Neuwagenkäufen hat auch noch im ersten Quartal 2010 angehalten. Ferner wurde an Nahrungsmitteln und an Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen gespart. Dagegen war die Nachfrage nach Einrichtungsgegenständen (einschließlich Haushaltsgeräte) aufwärtsgerichtet. Die realen Ausgaben für Bekleidung und Schuhe sowie für Freizeit, Unterhaltung und Kultur haben im ersten Quartal 2010 stagniert. laufende Jahresrate (rechte Skala) 100 15 30 Im weiteren Verlauf des Jahres dürfte sich der private Konsum stabilisieren. Bei sich nach und 0 106 nach normalisierenden Arbeitszeiten dürften die 94 0 -15 92 -5 Löhne brutto wie netto saisonbereinigt verhal100 -30 laufende Jahresrate 90 -10 ten expandieren. Die monetären Sozialleistun(rechte Skala) 88 -15 94 -45 gen werden allerdings nicht mehr nennenswert 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2005 2006 2007 2008 2009 2010 steigen. Zum einen bessert sich der ArbeitsFreizeit, Unterhaltung und Kultur Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen markt weiter. Zum andern gibt es bei den AlKettenindex, 2000 = 100 % Kettenindex, 2000 = 100 % 116 20 106 15 tersrenten, anders als in den Vorjahren, eine Null10 runde. Angesichts der rückläufigen Durch102 110 10 5 schnittslohnentwicklung wäre sogar eine Kürzung der Altersbezüge fällig gewesen.16 Die ent0 98 nommenen Gewinne und Vermögenseinkom104 0 -5 94 men dürften saisonbereinigt kaum noch sinken. laufende Jahresrate -10 laufende Jahresrate (rechte Skala) (rechte Skala) Bei im konjunkturellen Profil leicht rückläufiger 90 98 -10 -15 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Sparquote zeichnet sich für die privaten KonSaisonbereinigt nach Census X-12-ARIMA. sumausgaben saisonbereinigt ein geringfügiger Einschließlich Geräte für den Haushalt. Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des ifo Instituts. Anstieg ab. Aufgrund des Einbruchs im ersten Quartal und des aus 2009 herrührenden UnPrivater Konsum belebt sich wieder terhangs ergibt sich in der Jahresdurchschnittsbetrachtung 2010 für den privaten Konsum ein Rückgang um 1,0% (vgl. Abb. 4.16). Der private Konsum hat im ersten Quartal 2010 konjunkturell Im kommenden Jahr dürfte der private Konsum trotz der erneut enttäuscht, saisonbereinigt ist er um 0,8% gesunken. jüngsten Sparbeschlüsse zur Konsolidierung der öffentlichen Bereits im zweiten Halbjahr 2009 hatte er in ähnlicher GrößenHaushalte verhalten weiter expandieren. Die Bruttolöhne und ordnung abgenommen. Maßgeblich für die ungünstige Entwick-gehälter werden mit 2,1% in ähnlichem Tempo wie im laulung nach der Jahreswende war der spürbare Rückgang der fenden Jahr steigen; netto ergibt sich jedoch ein geringeres verfügbaren Realeinkommen. Zwar haben die MasseneinkomPlus (1,5%), weil die Progression wieder voll greift. Zudem men (Nettolöhne und monetäre Sozialleistungen) saisonberei98 10 96 5 112 15 a) b) nigt merklich zugenommen. Hier schlugen, neben der Ausweitung des Arbeitsvolumens, die zu Jahresanfang in Kraft getretene Anhebung des Kindergelds und des Kinderfreibetrags, die erhöhte Absetzbarkeit von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen sowie die Erhöhung des Grundfreibetrags im ESt-Tarif zu Buche. Dagegen waren die Selbständigen- und Vermögenseinkommen konjunkturell bedingt rückläufig. Zudem hat sich das Verbraucherpreisniveau – gemessen am Konsumdeflator – kräftig erhöht. Schließlich ist die Sparquote gestiegen. Bevorzugt haben die Verbraucher im ersten Quartal 2010 bei Pkw-Käufen den Rotstift angesetzt (vgl. Abb. 4.15). Bis zum ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang 16 Basis für die Rentenanpassung ist die durchschnittliche Bruttolohnentwicklung im Vorjahr. Aufgrund der schweren Rezession sind die Bruttolöhne und -gehälter je Beschäftigten in Deutschland im Jahr 2009 erstmals seit über 50 Jahren gesunken. In den alten Ländern hat sich dies weitaus deutlicher ausgewirkt als in den neuen Ländern. Die für die Rentenanpassung maßgebliche Lohnentwicklung beträgt für das Jahr 2009 in den alten Ländern – 0,96%. In den neuen Ländern sind die Löhne dagegen geringfügig um 0,61% gestiegen. Neben der Lohnentwicklung wirkt sich der Nachhaltigkeitsfaktor dämpfend auf die diesjährige Rentenanpassung aus (– 0,51%). Zusätzlich dämpft der Riesterfaktor (– 0,64%). Aufgrund dieser Faktoren wären die Bruttorenten in Westdeutschland um 2,10% gekürzt worden und in Ostdeutschland um 0,54%. Durch die Rentengarantie ist jedoch sichergestellt, dass die Anwendung dieser Anpassungsfaktoren nicht zu einer Minderung der Altersbezüge führt (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Pressemitteilung vom 16. März 2010). Daten und Prognosen Abb. 4.16 oder ganz gestrichen. Gegenzurechnen ist, dass im Jahr 2011 die gesetzlichen Altersrenten – wenn auch nur geringfügig – wieder steigen werden. Die entnommenen Gewinne und Vermögenseinkommen werden voraussichtlich erstmals wieder etwas zunehmen (2,8%). Insgesamt werden die verfügbaren Einkommen um 1,9% zulegen, real um 0,6%. Die Sparquote dürfte bei anhaltend niedrigem Zinsniveau leicht sinken, wozu auch Vertrauenseffekte im Gefolge der staatlichen Konsolidierungsanstrengungen beitragen. Insgesamt wird der reale private Konsum im Jahresdurchschnitt 2010 voraussichtlich um 0,7% steigen. Auch im Jahresverlauf dürfte der reale Verbrauch damit steigen (vgl. Tab. 4.6). Reale Konsumausgaben der privaten Haushaltea) Saison- und kalenderbereinigter Verlauf Verkettete Volumenangaben in Mrd. Euro 322 % laufende Jahresrate b) Jahresdurchschnitt c) Mrd. Euro 318 15 Prognosezeitraum 10 0,7% 5 -0,1% 1,3% -0,3% 314 0,4% -1,0% 310 0 306 -5 302 -10 2006 2007 2008 2009 2010 2011 a) Einschließlich privater Organisationen ohne Erwerbszweck. b) Veränderung gegenüber dem Vorquartal in %, auf Jahresrate hochgerechnet (rechte Skala). c) Zahlenangabe: Veränderung der Ursprungswerte gegenüber dem Vorjahr. Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen und Schätzungen des ifo Instituts (Juni 2010). Verbraucherpreisanstieg leicht beschleunigt wird der Beitragssatz der Arbeitslosenversicherung – wie geplant – von 2,8 auf 3,0% erhöht. Ferner dürften angesichts der schlechten Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung Zusatzbeiträge von durchschnittlich 0,5% erhoben werden.17 Das Verbraucherpreisniveau ist im Winterhalbjahr weitgehend stabil geblieben; im Februar 2010 war der Verbraucherpreisindex saisonbereinigt kaum höher als im vergangenen Oktober. Seit März haben die Preise jedoch spürbar wieder angezogen, das Vorjahresniveau wurde im Mai um 1,2% überschritten (vgl. Kasten Verbraucherpreisniveau und Inflationsrate). Maßgeblich hierfür war einmal die Entwicklung der Energiepreise. Aufgrund der anziehenden Rohölnotierungen sind die Preise von Mineralölprodukten wieder deutlich gestiegen. Zuletzt lagen die Heizöl- und Kraftstoffpreise um knapp 18% über dem vergleichbaren Vorjahresmonat. Ohne Mineralölprodukte gerechnet hätte die Teuerungsrate nur 0,5% betragen. Deutlich verteuert haben sich aber auch saisonabhängige Nahrungsmittel (+ 7,0%). Die monetären Sozialleistungen werden dagegen leicht sinken (– 0,3%). Zum einen gehen die Arbeitslosigkeit und damit die daran gekoppelten Transferleistungen deutlich zurück. Zum anderen kommt das neue Sparpaket der Bundesregierung zum Tragen: So werden bei der Arbeitslosenversicherung Pflichtleistungen durch Ermessensleistungen ersetzt sowie der befristete Zuschlag beim Arbeitslosengeld II abgeschafft. Für diesen Empfängerkreis werden außerdem die bisher vom Staat übernommenen Rentenversicherungsbeiträge gestrichen. Zudem wird das Elterngeld für bestimmte Empfängergruppen gekürzt 17 Die Kerninflationsrate, aus der in Abgrenzung des ifo Instituts der Einfluss der Preisentwicklung von Energieträgern, Gütern mit administrierten Preisen und saisonab- Die allgemeinen Beitragssätze in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung werden in dieser Prognose als unverändert angenommen. Tab. 4.6 Quartalsdaten zur wirtschaftlichen Entwicklunga) Veränderung in % gegenüber dem Vorquartal 2008 I II 2009 III IV II 0,4 0,8 – 1,3 – 0,2 – 0,8 Private Konsumausgaben – 0,4 – 0,6 Öffentlicher Konsum Ausrüstungen Bauten Sonstige Anlagen 0,8 0,7 0,0 1,0 1,5 0,7 – 0,6 – 0,8 1,5 – 3,7 – 18,4 – 0,5 5,9 – 4,3 – 0,4 – 1,0 0,2 1,3 – 0,6 2,0 1,8 1,3 – 0,4 1,7 Vorratsinvestitionenc) Inländische Verwendung Außenbeitragc) Exporte Importe Bruttoinlandsprodukt a) 0,3 – 0,4 2010 I III IV I 0,7 – 0,2 1,1 0,8 – 1,5 – 1,6 0,6 – 1,0 – 3,8 2,4 1,9 0,0 IIb) 2011 IIIb) 0,2 0,2 0,3 0,2 0,0 0,2 0,1 2,5 – 0,3 0,3 1,2 1,4 – 0,2 – 0,8 – 1,1 2,3 0,0 1,2 1,3 0,1 1,4 – 0,9 1,5 1,7 – 1,1 1,9 – 0,6 2,3 – 1,3 1,2 – 0,4 – 1,5 – 1,1 1,2 – 1,5 1,4 0,0 0,0 – 0,5 0,7 – 1,4 – 2,1 – 2,1 1,5 – 0,5 1,6 – 1,1 1,7 0,2 – 0,1 – 7,9 – 10,2 – 1,0 – 3,2 2,3 2,6 3,3 – 1,5 3,4 – 4,2 – 6,1 – 4,8 4,7 – 1,6 6,1 1,1 4,0 1,8 0,5 2,5 1,6 1,1 0,5 – 3,5 0,4 0,7 b) 0,2 0,2 IVb) 0,2 – 0,5 – 1,8 – 0,4 – 0,2 0,2 IIIb) 0,2 0,8 1,4 1,2 0,1 0,1 IIb) 0,3 0,8 1,6 – 0,6 – 0,3 – 2,4 Ib) 0,1 0,8 4,3 0,6 1,2 – 0,5 Saison- und arbeitstäglich bereinigte Werte, in Vorjahrespreisen. – Bruttoinlandsprodukts in Prozentpunkten (Lundberg-Komponenten). IVb) 0,1 0,1 0,1 0,1 0,3 0,1 0,2 0,2 0,3 0,0 1,2 1,3 0,2 1,5 1,3 0,2 1,7 1,6 0,1 1,8 1,8 0,1 1,9 1,8 0,3 0,3 0,3 0,4 0,4 Schätzungen des ifo Instituts. – c) Beitrag zur Veränderung des Quelle: Statistisches Bundesamt, ab 2. Quartal 2010: Schätzungen des ifo Instituts. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 51 52 Daten und Prognosen Kasten Verbraucherpreisniveau und Inflationsrate allmählich auf die Kernrate wirken. Hinzu kommt, dass die der Ölpreisentwicklung mit Verzögerung folgenden Gaspreise und UmlaDie Veränderung des Verbraucherpreisniveaus wird üblicherweise mit Hilfe der Inflationsrate gemessen. Hierbei wird das Preisniveau in einem Monat t gen für Fernwärme steigen werden. Auch bei zum Preisniveau des vergleichbaren Vorjahresmonats t – 12 in Beziehung Strom ist mit Tariferhöhungen zu rechnen, zugesetzt. Die Entwicklung der Inflationsrate wird deshalb nicht nur von der mal die Kernenergiewirtschaft im Rahmen des aktuellen Preisdynamik im laufenden Jahr beeinflusst, sondern immer auch von den Preisbewegungen im entsprechenden Vorjahreszeitraum. So Sparpaketes steuerlich belastet wird. Außerergeben sich z.B. zunehmende monatliche Inflationsraten immer dann, wenn dem dürfte die ökologische Luftverkehrsabdas aktuelle Verbraucherpreisniveau saisonbereinigt steigt und im vergleichgabe auf die Verbraucherpreise umgelegt werbaren Vorjahreszeitraum gesunken oder zumindest konstant geblieben ist. Die Abbildung 4.17 zeigt diesen Sachverhalt für die Entwicklung der Infladen. Die Finanznot vieler Gemeinden wird zutionsrate in Deutschland auf, wobei diese approximativ aus dem Vorjahrdem zu einer merklichen Verteuerung von esabstand der logarithmierten und saisonbereinigten Verbraucherpreiskommunalen Dienstleistungen führen. Alles in niveaus berechnet ist. allem dürfte das Verbraucherpreisniveau (gemessen am CPI bzw. HVPI) im JahresdurchAbb. 4.17 schnitt 2010 um 1,1% steigen, im Jahr 2011 um 1,5%. Entwicklung von Verbraucherpreisniveau a) und Inflationsrate In (2005 = 100) Inflationsrate ( = approximativ Vorjahresabstand der Verbraucherpreisniveaus in %), linke Skala 4,700 4,690 Staatskonsum weiter aufwärtsgerichtet Mai 2010 = 1,2 % 4,680 4,670 Mai 2009 = 1,0 % 4,660 4,650 4,640 4,630 Verbraucherpreisniveau (2005 = 100), rechte Skala Verbraucherpreisniveau (2005 = 100), um ein Jahr verzögert, rechte Skala 4,620 4,610 J F MAM J J A S ON D J F MAM J J A S ON D J F MAM J J A S ON D J F MAM J J A S ON D 2007 2008 2009 2010 a) Saisonbereinigt und logarithmiert. Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des ifo Instituts. hängigen Nahrungsmitteln ausgeschlossen ist18, betrug zuletzt 0,7% (vgl. Tab. 4.7). Hier macht sich die immer noch günstige Preisentwicklung von Nahrungsmitteln (ohne Saisonwaren) vorteilhaft bemerkbar. Ohne diese Nahrungsmittel betrug die Inflationsrate für den verbleibenden Warenkorb, auf den 64,5% aller Verbrauchsausgaben entfallen, zuletzt 0,8% (Jahresdurchschnitt 2009: 1,5%). In dieser Warengruppe waren z. B. die Preise von Gebrauchsgütern mit mittlerer Lebensdauer nur um 0,5% höher als vor Jahresfrist, die Preise von langlebigen Gebrauchsgütern sind sogar um 0,5% gesunken. Im Prognosezeitraum dürfte das Verbraucherpreisniveau leicht beschleunigt steigen. Zwar wird die Kerninflationsrate bei unterdurchschnittlicher Auslastung der Produktionskapazitäten zunächst noch etwas weiter sinken. Die sich festigende Konjunktur im Verlauf des Jahres 2011 wird dann aber 18 Die Preise von Energieträgern und von Saisonwaren (Fische, Fischwaren, Obst, Gemüse) sind überdurchschnittlich volatil und können die Ergebnisse der Preisstatistik auf kurze Sicht verzerren. Aufgrund der in Deutschland besonders großen Bedeutung von Gütern mit administrierten Preisen schließt das ifo Institut bei der Berechnung der Kerninflationsrate diese Gütergruppe zusätzlich aus. ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang In der Wirtschaftskrise 2008/2009 wirkten die staatlichen Konsumausgaben stabilisierend auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Auch im Anfangsquartal des laufenden Jahres expandierten sie kräftig, in realer Rechnung nahmen sie gegenüber dem Vorquartal um 1,1% zu. Die Ausgaben für den Individualkonsum (insbesondere Gesundheitspflege und Bildung) legten im Quartalsvergleich um 0,8% zu, die entsprechende Zunahme bei den Ausgaben für den Kollektivkonsum (wie die allgemeine öffentliche Verwaltung, Verteidigung, öffentliche Sicherheit und Ordnung etc.) betrug sogar 1,5%. Nachdem die staatlichen Konsumausgaben im Jahr 2009 um 3,4% gestiegen sind, werden sie im Prognosezeitraum nur noch moderat zunehmen. Im Jahresdurchschnitt 2010 dürfte die Zuwachsrate bei 1,7% liegen, im kommenden Jahr, wenn die kürzlich beschlossenen Sparmaßnahmen in Kraft treten, nur noch bei 0,5%. Stundenlohnanstieg vorübergehend schwach Die Stundenproduktivität ist im vergangenen Jahr mit – 2,2% deutlich gesunken. Demgegenüber haben die Tariflöhne mit 2,3% vergleichsweise kräftig zugelegt. Aber auch die Lohndrift war durch die hohe Zahl der Kurzarbeiter positiv, so dass die Lohnstückkosten auf Stundenbasis um 5,4% in die Höhe schnellten. Zu Beginn dieses Jahres war die Tarifgestaltung von Beschäftigungssicherung geprägt. So wurden sowohl in der Metallindustrie als auch in der Chemiebranche lediglich Einmalzahlungen vereinbart. Im öffentlichen Dienst erfolgte eine Stufenerhöhung um 1,2%. Insgesamt waren die Tariflöhne damit im ersten Quartal um 1,75% höher als im Vorjahresquartal. Die Effektivlöhne (Bruttoverdienste je Arbeitnehmerstunde) sind hingegen um 0,2% gesunken. Hier machte sich die stark verminderte Inanspruchnahme von Kurzarbeit bemerkbar, da nun Zuzahlungen zum Kurzarbeitergeld wegfallen. Des Weiteren fanden ein Anstieg der normalen Wochenarbeitszeit und ein Aufbau von Überstunden statt. Daten und Prognosen Tab. 4.7 a) Entwicklung des Verbraucherpreisindex 2006 Wägungsschema in Promille 2007 2008 2009 2010 Mai Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % b) Kerninflation 718,08 0,8 2,0 1,9 1,3 0,7 davon: Nahrungsmittel ohne Saisonwaren 73,08 0,8 3,5 7,3 – 0,5 0,0 darunter: Brot, Getreideerzeugnisse 16,44 0,6 3,2 7,9 0,7 – 0,6 Molkereiprodukte, Eier 14,44 0,0 5,9 14,0 – 7,3 0,1 Speisefette und -öle 2,55 0,8 10,5 7,5 – 5,0 6,4 Andere Waren und Dienste 645,00 0,8 1,8 1,3 1,5 0,8 Übrige Lebenshaltung 281,92 3,6 3,1 4,4 – 2,0 2,5 davon: Saisonabhängige Nahrungsmittel 16,91 6,8 5,8 3,1 – 4,8 7,0 Heizöl, Kraftstoffe und Gas 57,43 9,1 2,9 11,2 – 12,4 10,6 Heizöl 9,21 10,9 – 1,5 31,6 – 30,7 34,6 Kraftstoffe 35,37 5,5 4,1 6,8 – 11,0 14,0 Gas 12,85 17,6 2,7 8,9 – 1,5 – 9,3 Güter mit administrierten Preisen 207,58 1,9 3,0 2,5 1,6 – 0,1 darunter: Strom 24,61 3,9 6,9 6,9 6,2 2,9 Umlagen für Fernwärme u. Ä. 12,36 15,2 3,3 8,1 4,0 – 12,0 Telefondienstleistungen 27,12 – 3,1 – 0,3 – 3,2 – 2,4 – 1,9 Gesundheitspflege 40,27 0,5 0,8 1,7 1,0 0,2 Beiträge zur Krankenversicherung 9,39 2,2 2,1 5,2 1,6 – 0,6 Kraftfahrzeugsteuer 6,50 1,1 3,6 – 0,1 – 0,5 1,0 Lebenshaltung insgesamt 1 000,00 1,6 2,3 2,6 0,4 1,2 c) davon: Kerninflation – 0,5 1,4 1,4 0,9 0,5 Nahrungsmittel ohne Saisonwaren – 0,1 0,3 0,5 0,0 0,0 Andere Waren und Dienste – 0,5 1,2 0,8 1,0 0,5 Übrige Lebenshaltung – 1,0 0,9 1,3 – 0,6 0,7 Saisonabhängige Nahrungsmittel – 0,1 0,1 0,1 – 0,1 0,1 Heizöl, Kraftstoffe und Gas – 0,5 0,2 0,7 – 0,8 0,6 Güter mit administrierten Preisen – 0,4 0,6 0,5 0,3 0,0 a) b) c) Verbraucherpreisindex, 2005 = 100. – In der Abgrenzung des ifo Instituts. – Inflationsbeiträge der Teilindizes zur Veränderung des Verbraucherpreisindex in Prozentpunkten. Abweichungen in den Summen durch Runden der Zahlen. Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des ifo Instituts. Für den weiteren Verlauf des Jahres 2010 stehen tarifliche Lohnzahlungen bereits fest. So erfolgt im Baugewerbe eine Erhöhung der Löhne um 2,3%, im Einzelhandel steigen die Löhne im Herbst um 1,5%, und die Beschäftigten in der Metallindustrie und in der Chemiebranche erhalten Einmalzahlungen, die je nach betrieblicher Ertragslage gestaffelt werden können. Insgesamt steigen die tariflichen Stundenlöhne mit 1,7% schwächer als im Vorjahr. Die effektiven Stundenlöhne liegen dabei nur um 0,4% über dem Vorjahr, da die Lohndrift deutlich negativ ausfallen dürfte. Dies liegt zum einen daran, dass die Kurzarbeit rasch reduziert wird und somit die Zuzahlungen der Arbeitgeber zum Kurzarbeitergeld wegfallen. Zum anderen wird sich die durchschnittliche Arbeitszeit nach dem Einbruch im vergangenen Jahr nun wieder normalisieren und die Arbeitszeitkonten dürften wieder aufgefüllt werden. Des Weiteren dürften außerbetriebliche Lohnbestandteile nicht ausgebaut werden, da sich die Arbeitsmarktsituation im Verarbeitenden Gewerbe nur langsam entspannt. Insgesamt ergibt sich für die Lohnstückkosten auf Stundenbasis nach dem spürbaren Anstieg im letzten Jahr eine leichte Abnahme um 0,3%. handelnden Branchen im kommenden Jahr etwas höhere Lohnsteigerungsraten erzielt werden, um die moderaten Abschlüsse während der Krise zum Teil zu kompensieren. So steht bereits fest, dass für die Beschäftigten in der Metallindustrie eine spürbare Tarifanhebung erfolgt. Die Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst werden hingegen im kommenden Jahr etwas schwächer ausfallen als in diesem. Insgesamt ergibt sich ein Anstieg der tariflichen Stundenlöhne um 1,8%. Die Lohndrift dürfte dabei leicht positiv ausfallen, da nach und nach vermehrt Überstundenzuschläge bezahlt werden und außertarifliche Lohnbestandteile bei einem weiteren Rückgang der Arbeitslosigkeit dann wieder an Bedeutung gewinnen. Im kommenden Jahr dürften die Stundenlöhne demnach um knapp 2% zulegen. Trotz beschleunigt steigender Arbeitsproduktivität erhöhen sich die Lohnstückkosten auf Stundenbasis um 0,5%. Nach dem Abbau der Kurzarbeit und mit zunehmendem Auslastungsgrad im Verarbeitenden Gewerbe dürften in den ver- Zu Beginn des vergangenen Jahres hatte sich der Arbeitsmarkt in Anbetracht des konjunkturellen Einbruchs als über- Rückgang der Arbeitslosigkeit und Abbau von Kurzarbeit 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 53 54 Daten und Prognosen aus stabil erwiesen. Dabei wurde vor allem die durchschnittlich geleistete Arbeitszeit der Arbeitnehmer durch Kurzarbeit und Abbau von Arbeitszeitkonten reduziert. Zudem fand ein enormer Produktivitätseinbruch statt, da überdurchschnittlich viele Arbeitnehmer in meist hochproduktiven, exportabhängigen Branchen des Verarbeitenden Gewerbes entlassen wurden. Demgegenüber stieg die Zahl der Beschäftigten bei öffentlichen und privaten Dienstleistern. Dies führte zu einer zusätzlichen Reduktion der durchschnittlichen Arbeitszeit je Beschäftigten, da diese Bereiche eine überdurchschnittlich hohe Teilzeitquote aufweisen.19 Diese sektorale Verschiebung setzte sich im weiteren Jahresverlauf fort und in der Folge ging die Zahl der Erwerbstätigen im Inland insgesamt nur leicht zurück (– 0,4%), auch weil der Pendlersaldo deutlich sank. Mit fortschreitender gesamtwirtschaftlicher Erholung wurden dabei Negativsalden auf Arbeitszeitkonten wieder ausgeglichen, so dass der scharfe Rückgang der durchschnittlichen Arbeitszeit zu Jahresbeginn teilweise wettgemacht wurde. Auch die Kurzarbeit ging im weiteren Jahresverlauf etwas zurück. Insgesamt reduzierte sich die durchschnittliche Arbeitszeit 2009 noch um 2,8%. Die Zahl der Arbeitslosen stieg dabei lediglich um 186 000.20 Im ersten Quartal dieses Jahres hat sich die Industriekonjunktur weiter erholt. Dennoch war die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe weiterhin rückläufig und lag im März um 220 000 (– 3,4%) niedriger als ein Jahr zuvor. Hier wurde offenbar zunächst die Kurzarbeit reduziert und Arbeitszeitkonten wurden wieder aufgefüllt. Nachdem in der Krise viele Leiharbeiter entlassen worden waren, profitierte nun offenbar die Leiharbeitsbranche vom Aufholprozess bei der Produktion, da dort die Beschäftigung seit einigen Monaten bereits wieder ansteigt und im März um 81 000 (15,7%) über Vorjahr lag. Die Erwerbstätigkeit in den öffentlichen und privaten Dienstleistungsbereichen wurde weiter ausgebaut und die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sowohl im Bereich Erziehung und Unterricht als auch im Gesundheitswesen lag um 3,3 bzw. 3,8% über dem Vorjahreswert. Abb. 4.18 Geleistete Arbeitsstunden der Erwerbstätigen im Inland Saison- und kalenderbereinigter Verlauf Mill. Stunden 14800 % 1,3% 14400 1,8% 0,2% 1,4% 0,3% 12 Prognosezeitraum 8 -2,8% 14000 4 13600 0 laufende Jahresrate a) Jahresdurchschnitt b) Mill. Stunden 13200 -4 12800 -8 2006 a) b) 2007 2008 2009 2010 2011 Veränderung gegenüber dem Vorquartal in %, auf Jahresrate hochgerechnet (rechte Skala). Zahlenangabe: Veränderung der Ursprungswerte gegenüber dem Vorjahr in %. Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen und Schätzungen des ifo Instituts (Juni 2010). re, die ohne Aussicht auf Beschäftigung sind, erfasst werden. Zudem hat sich der Anstieg der Arbeitsuchenden, die nicht als Arbeitslose registriert sind – dies sind vor allem Personen in unsicheren Erwerbsverhältnissen – spürbar verlangsamt. Des Weiteren steigt sowohl die Zahl der offenen Stellen als auch das ifo Beschäftigungsbarometer seit etwa einem Jahr stetig an, was daraufhin deutet, dass die Beschäftigung in den kommenden Monaten weiter ausgeweitet wird. Im zweiten Quartal 2010 wird sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt in Anbetracht des Aufholprozesses der Industriekonjunktur weiter verbessern. Dabei steigt das Arbeitsvolumen deutlich an und die Erwerbstätigkeit nimmt spürbar zu, wenn auch etwas langsamer als das Arbeitsvolumen, da sich die durchschnittliche Arbeitszeit weiter normalisiert. Mit dem Abflachen der gesamtwirtschaftlichen Aufwärtsdynamik in der zweiten Jahreshälfte verlangsamt sich auch der Beschäftigungsaufbau, da die Kapazitätsauslastung in der Industrie dann zwar etwa bei ihrem langjährigen Durchschnitt liegen dürfte, aber nur langsam zunimmt. Außerdem dürften in vielen Betrieben keine Neueinstellungen anstehen, da der ver- Abb. 4.19 Erwerbstätige Der Anstieg des Arbeitsvolumens hat sich im ersten Quartal 2010 fortgesetzt (vgl. Abb. 4.18), und die Arbeitslosigkeit lag im Mai trotz des Abbaus von Kurzarbeit um 168 000 niedriger als zu Jahresbeginn. Auch die »Arbeitslosigkeit im weiteren Sinne« lag unter dem Wert des Vorjahresmonats, obwohl dort auch Teilnehmer an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und Langzeitarbeitslose über 58 Jah- Inländerkonzept, saisonbereinigter Verlauf 41,4 Mill. Personen 41,0 20 Vgl. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, »Die Spuren der Krise sind noch länger sichtbar«, IAB Kurzbericht, 3/2010. Die »Arbeitslosigkeit im weiteren Sinne«, bei der auch Teilnehmer an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen erfasst werden und die auch Langzeitarbeitslose über 58 Jahre umfasst, die ohne Aussicht auf Beschäftigung sind, lag um 415 000 Personen über dem Vorjahreswert. ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang 500 400 40,6 +564 -49 +89 +139 +660 40,2 300 200 39,8 100 39,4 0 39,0 -100 +255 38,6 19 Tsd. Personen Prognosezeitraum Veränderung gegenüber dem Vorquartal a) -200 Jahresdurchschnitt b) 38,2 -300 Mill. Personen 37,8 -400 2006 2007 2008 2009 2010 a) Veränderung gegenüber dem Vorquartal in tausend Personen (rechte Skala). b) Zahlenangabe: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in tausend Personen. Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen und Schätzungen des ifo Instituts (Juni 2010). 2011 Daten und Prognosen mehrte Einsatz von Kurzarbeit im vergangenen Jahr das Beschäftigungsniveau zunächst stabilisiert hat und so ein erheblicher Personalüberhang entstanden ist. Weite Bereiche des Verarbeitenden Gewerbes leiden zudem unter anhaltendem Kostendruck. Obwohl die Lohnstückkosten im Produzierenden Gewerbe ohne Bau zuletzt etwas gesunken sind, befinden sie sich immer noch etwa 14% über Vorkrisenniveau, was für sich genommen dafür spricht, dass der Personalanpassungsprozess in der Industrie noch nicht vollständig abgeschlossen ist und viele Betriebe zunächst mit Neueinstellungen zögern. Bei den öffentlichen und privaten Dienstleistern machen sich im weiteren Jahresverlauf mehr und mehr die Konsolidierungsanstrengungen der öffentlichen Haushalte bemerkbar, so dass der Beschäftigungsaufbau auch dort spürbar gebremst wird. Unterstützend für die Arbeitsmarktentwicklung wirken im weiteren Verlauf dieses Jahres allerdings die unter der Maßgabe der Beschäftigungssicherung abgeschlossenen Tarifverträge. Zudem dürften Leiharbeiter aufgrund der flexiblen Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse auch weiterhin eingestellt werden. Der Beschäftigungsaufbau dürfte überwiegend bei sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen stattfinden. Das Tempo des Anstiegs verlangsamt sich zwar; jedoch ergibt sich im Jahresdurchschnitt ein Anstieg um 170 000 (vgl. Tab. 4.8). Nachdem in der Krise zunächst vermehrt geringfügige Beschäftigungsverhältnisse aufgebaut wurden, dürfte der Anstieg in diesem Jahr zum Stillstand kommen. Bei den Selbständigen wird der leichte Rückgang der Zahl der ungeförderten Selbständigen etwa kompensiert durch die Ausweitung der geförderten Selbständigkeit. Insgesamt ergibt sich für 2010 eine Zunahme der Erwerbstätigkeit der Inländer um 90 000 (0,2%), was im Verlauf einer Zunahme von knapp 290 000 entspricht (vgl. Abb. 4.19). Dabei steigt die durchschnittliche Arbeitszeit – trotz einer im langjährigen Trend zunehmenden Teilzeitquote – um 1,2%. Der Anstieg begründet sich durch den Abbau von Kurzarbeit und das Auffüllen der Arbeitszeitkonten sowie der Verlängerung der regulären Wochenarbeitszeit. Das Arbeitsvolumen steigt in diesem Jahr um 1,4%. In der Folge sinkt die Zahl der registrierten Arbeitslosen um 190 000, was im Verlauf einem Rückgang um gut 280 000 entspricht. Die Arbeitslosenquote beträgt im Jahresdurchschnitt dann 7,7%. Entlastend wirkt dabei, dass ältere Langzeitarbeitslose ab 58 Jahren, die keine Beschäftigungsperspektive haben, nach einem Jahr aus der Statistik fallen. Hinzu kommt, dass das Arbeitskräftepotentials um etwa 100 000 Personen zurückgeht.21 Rechnet 21 Vgl. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, »Die Spuren der Krise sind noch länger sichtbar«, IAB Kurzbericht, 3/2010. Tab. 4.8 Arbeitsmarktbilanz Jahresdurchschnitte in 1 000 Personen Deutschland Arbeitsvolumen (Mill. Stunden) Erwerbstätige Inländer Arbeitnehmer darunter: sozialversicherungspflichtig Beschäftigte darunter a) geförderte SV-pflichtige Beschäftigung marginal Beschäftigte darunter: Minijobs b) Ein-Euro-Jobs Selbständige darunter: c) geförderte Selbständige Pendlersaldo Erwerbstätige Inland Arbeitslose Aktive Arbeitsmarktpolitik Teilnehmer § 46 SGB III Trainingsmaßnahmen d) Arbeitslosenquote BA e) Erwerbslose f) Erwerbslosenquote Kurzarbeit 2007 2008 2009 2010 2011 56 845 39 656 35 220 57 583 40 220 35 786 55 976 40 171 35 759 56 760 40 260 35 846 56 887 40 399 35 987 26 942 27 510 27 494 27 664 27 794 210 5 906 240 5 898 267 5 923 232 5 918 202 5 928 4 861 301 4 436 4 866 291 4 434 4 904 279 4 412 4 904 274 4 445 4 919 269 4 558 237 68 39 724 3 777 180 59 40 279 3 268 145 94 40 265 3 423 162 90 40 350 3 233 178 71 40 470 3 043 0 77 9,0 3 602 8,3 68 0 81 7,8 3 141 7,2 102 132 39 8,2 3 227 7,4 1 143 258 1 7,7 3 009 7,0 543 253 0 7,3 2 830 6,5 213 a) Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Strukturanpassungsmaßnahmen, Personal-Service-Agenturen, Eingliederungszuschuss, Eingliederungszuschuss bei Vertretung, Eingliederungszuschuss bei Neugründung, Arbeitsentgeltzuschuss, Einstiegsgeld bei abhängiger Beschäftigung, Arbeitsgelegenheiten der Entgeltvariante, Beschäftigungszuschuss, Qualifizierungszuschuss für b) Jüngere, Eingliederungshilfen für Jüngere, Entgeltsicherung für Ältere. – Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsc) d) entschädigung. – Gründungszuschüsse, Existenzgründungszuschüsse, Überbrückungsgeld und Einstiegsgeld. – Arbeitse) f) lose in % der zivilen Erwerbspersonen (Definition gemäß Bundesagentur für Arbeit). – Definition der ILO. Erwerbslose in % der inländischen Erwerbspersonen (erwerbstätige Inländer plus Arbeitslose). Quelle: Statistisches Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; 2010 und 2011: Prognose des ifo Instituts. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 55 56 Daten und Prognosen man Personen hinzu, die von dritten Vermittlern betreut werden und damit seit 2009 nicht mehr als arbeitslos gezählt werden, beläuft sich der Rückgang der Arbeitslosigkeit in diesem Jahr auf 105 000. Im kommenden Jahr nimmt die gesamtwirtschaftliche Expansion wieder langsam an Fahrt auf, und die Kapazitäten sind weiter leicht überdurchschnittlich ausgelastet. Zudem entfällt nach und nach der Personalanpassungsdruck für die Industrieunternehmen, da dann in den meisten Betrieben die Kurzarbeit wohl beendet wird und der Weg für Neueinstellungen frei ist. Auch dürften die Arbeitszeitkonten dann wieder gefüllt sein und durch die gestiegene Produktivität dürften sich die Lohnstückkosten wieder normalisiert haben. In der Folge steigt die Erwerbstätigkeit der Inländer im kommenden Jahr um 140 000 (0,3%) an; im Verlauf entspricht dies einer Zunahme um gut 110 000 Personen. Bei etwa stagnierender durchschnittlicher Arbeitszeit steigt das Arbeitsvolumen um 0,2%. Demgegenüber geht die Arbeitslosigkeit weiter um 190 000 zurück, so dass sich im Jahresdurchschnitt eine Arbeitslosenquote von 7,3% ergibt (vgl. Abb. 4.20). Zum Ende des Prognosezeitraums dürften dann noch etwa 3,0 Mill. Personen arbeitslos sein. Dies liegt unter anderem an der Verringerung der strukturellen Arbeitslosigkeit. In einer längerfristigen Betrachtung stieg diese beginnend in den 1970er Jahren stetig an. Seit einigen Jahren scheint dieser Anstieg allerdings gestoppt; zuletzt dürfte die strukturelle Arbeitslosigkeit sogar zurückgehen. Maßgeblich hierfür ist die Aktivierung von Arbeitslosen durch die Arbeitsmarktreform Hartz 4. Auch der Ausbau von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen und die Lockerung der Regelungen zur Leiharbeit im Jahr 2004 haben zu einer Flexibilisierung des Arbeitsmarkts und erhöhter Einstellungsbereitschaft geführt. Des Weiteren entlastet die demographische Entwicklung den Arbeitsmarkt, da langfristig weniger Arbeitskräfte nachrücken als aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Nicht zuletzt hat auch die Lohnzurückhaltung der vergangenen Jahre für sich genommen zu einem Rückgang der trendmäßigen Arbeitslosigkeit geführt. Abb. 4.20 Arbeitslose Saisonbereinigter Verlauf Mill. Personen Tsd. Personen 5,0 400 -374 Veränderung gegenüber dem Vorquartal a) Jahresdurchschnitt b) Mill. Personen 4,4 +238c) -711 Prognosezeitraum 200 -105c) 3,8 0 Bedingt durch die Wirtschaftskrise und die in diesem Zusammenhang beschlossenen staatlichen Stützungsprogramme war der Budgetsaldo des Staates 2009 mit 3,1% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt wieder knapp über den Maastricht-Grenzwert gestiegen. Im laufenden Jahr dürfte die Defizitquote mit 4,2% noch wesentlich höher ausfallen. Dafür ursächlich sind insbesondere die expansiven Maßnahmenpakete der Bundesregierung. Mögliche neue Ausgaben im Rahmen der Banken- und Euro-Rettungspakete bleiben bei dieser Prognose unberücksichtigt. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass das Konsolidierungspaket der Bundesregierung so umgesetzt wird, wie es derzeit geplant ist.22 Die Einnahmen des Staates insgesamt werden 2010 noch einmal leicht sinken (Vgl. Tab. 4.9), was insbesondere auf rückläufige Steuereinnahmen zurückzuführen ist. Der Rückgang des Steueraufkommens fällt jedoch mit 1,8% deutlich geringer aus als im Vorjahr (4,8%) und auch geringer als noch vor kurzem erwartet wurde (2,7%).23 Die merklich verbesserte konjunkturelle Lage stärkt das Steueraufkommen, das jedoch aufgrund der stark verzögerten Entwicklung der Veranlagungssteuern und der verabschiedeten Steuersenkungen insgesamt weiter sinkt. So gehen die Einkommen- und Vermögensteuern im Jahr 2010 nochmals um 5,4% zurück, während bei den Produktions- und Importabgaben bereits Zuwächse zu verzeichnen sind (1,2%). Deutliche Rückgänge ergeben sich bei der Lohnsteuer (– 3,3%) und bei den Gewinnsteuern. Die Körperschaftsteuer bleibt nach dem dramatischen Absturz im Jahr 2009 auf sehr niedrigem Niveau. Die Steuern vom Umsatz in Abgrenzung der Finanzstatistik steigen um 2,4%. Die an den Staat geleisteten Sozialbeiträge werden im Jahr 2010 um 1,0% gegenüber dem Vorjahr zunehmen. Abgesehen von der Anhebung des von den Arbeitgebern allein zu entrichtenden Beitrages für das Insolvenzgeld (die Insolvenzgeldumlage zählt zu den Einnahmen der Arbeitslosenversicherung) gab es zum Jahresbeginn keine Änderungen der allgemeinen Beitragssätze. Allerdings war im Zuge des Konjunkturpaketes II der Krankenversicherungsbeitragssatz zur Jahresmitte 2009 von 15,5% auf 14,9% abgesenkt worden, was im Jahr 2010 weiterwirkt. In den vergangenen Monaten haben aber nun nach und nach ei- -200c) -509 +155 3,2 Strukturelles Defizit sinkt deutlich -200 22 -190 -190 2,6 -400 2006 2007 2008 2009 2010 2011 a) Veränderung gegenüber dem Vorquartal in tausend Personen (rechte Skala). Zahlenangabe: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in tausend Personen. c) Inklusive neue Teilnehmer an Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung. Quelle: Bundesagentur für Arbeit; Berechnungen und Schätzungen des ifo Instituts (Juni 2010). b) ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang 23 Vgl. Bundesregierung (2010), »Eckpunkte für die weitere Aufstellung des Haushaltsentwurfs 2011 und des Finanzplans bis 2014«, http://www.bundesregierung.de/Content/DE/__Anlagen /2010/2010-0607-eckpunkte-kabinett,property=publicationFile.pdf. Vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, »Erholung setzt sich fort – Risiken bleiben groß«, ifo Schnelldienst 63(8), 2010, 3–78. Daten und Prognosen 57 Tab. 4.9 a) Ausgewählte finanzwirtschaftliche Indikatoren 1991 bis 2011 in % des nominalen Bruttoinlandsprodukts Staatseinnahmen darunter: Staatsausgaben Nachrichtlich: darunter: insinsFinanzieZins-SteuerZinsBruttob) gesamt rungssaldo Quote Steuern Sozialbeiträge gesamt ausgaben investitionen 1991 43,4 22,0 16,8 46,3 2,7 2,6 – 2,9 12,2 1992 44,8 22,4 17,2 47,2 3,1 2,8 – 2,5 14,1 1993 45,2 22,4 17,7 48,2 3,2 2,7 – 3,0 14,3 1994 45,6 22,3 18,2 47,9 3,2 2,5 – 2,3 14,2 c) 1995 44,9 21,9 18,3 48,1 3,5 2,2 – 3,2 15,9 1996 46,0 22,4 19,0 49,3 3,5 2,1 – 3,3 15,5 1997 45,7 22,2 19,2 48,4 3,4 1,8 – 2,6 15,3 1998 45,9 22,7 18,9 48,0 3,4 1,8 – 2,2 14,8 1999 46,6 23,8 18,7 48,1 3,1 1,9 – 1,5 13,2 d) 2000 46,4 24,2 18,3 47,6 3,2 1,8 – 1,2 13,0 2001 44,7 22,6 18,2 47,6 3,1 1,7 – 2,8 13,5 2002 44,4 22,3 18,2 48,1 2,9 1,7 – 3,7 13,1 2003 44,5 22,3 18,3 48,5 3,0 1,6 – 4,0 13,3 2004 43,3 21,8 17,9 47,1 2,8 1,4 – 3,8 13,0 2005 43,5 22,0 17,7 46,8 2,8 1,4 – 3,3 12,7 2006 43,7 22,8 17,2 45,4 2,8 1,4 – 1,6 12,3 2007 43,9 23,7 16,5 43,7 2,8 1,4 0,2 11,7 2008 43,7 23,7 16,4 43,7 2,7 1,5 0,0 11,3 2009 44,2 23,4 17,0 47,3 2,5 1,7 – 3,1 10,8 2010 42,5 22,2 16,7 46,7 2,5 1,8 – 4,2 11,3 2011 42,3 22,1 16,6 45,7 2,5 1,6 – 3,4 11,4 a) b) In der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen. – Zinsausgaben des Staates in Relation zum c) Steueraufkommen. – Ohne Vermögenstransfers im Zusammenhang mit der Übernahme der Schulden der Treuhandanstalt d) und der Wohnungswirtschaft der ehemaligen DDR (per saldo 119,6 Mrd. ). – Ohne Erlöse aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen (50,8 Mrd. ). Quelle: Statistisches Bundesamt; 2010 und 2011: Prognose des ifo Instituts. nige gesetzliche Krankenkassen damit begonnen, Zusatzbeiträge zu erheben. Aus den genannten Gründen ist die Finanzentwicklung bei den einzelnen Versicherungszweigen sehr unterschiedlich. So kann die Arbeitslosenversicherung um rund 10% (2,5 Mrd. €) höhere Einnahmen verbuchen, wovon der Löwenanteil (reichlich 2 Mrd. €) auf die Insolvenzgeldumlage entfällt. Auf der anderen Seite werden die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung um etwa 11⁄2% niedriger als 2009 ausfallen. Die Beiträge an die Rentenversicherung und an die Pflegeversicherung nehmen um knapp 2% zu, und damit etwa im Ausmaß der Bruttolöhne und -gehälter. Besonders dynamisch entwickeln sich mit 9% die Investitionsausgaben, weil die mit den Konjunkturprogrammen beschlossene Aufstockung der Investitionen im Jahr 2010 den Höhepunkt erreicht. Auch die sozialen Sachleistungen (das sind insbesondere die Sachaufwendungen der gesetzlichen Krankenkassen) expandieren weiter kräftig (4,2%). Deutlich gedämpft ist hingegen der Anstieg der monetären Sozialleistungen (1,9%). Hier schlägt sich nieder, dass mit der spürbaren Verbesserung am Arbeitsmarkt die Ausga- Abb. 4.21 a) Einnahmen, Ausgaben und Budgetdefizit des Staates Die Vermögenseinkommen des Staates gehen aufgrund des gesunkenen Bundesbankgewinns im Jahr 2010 deutlich zurück. in % des BIP 52 18 50 16 Ausgaben Schätzung 48 14 45,7 46 Dem Rückgang auf der Einnahmenseite steht eine verlangsamte Expansion der Staatsausgaben gegenüber. Diese nehmen zwar um 1,8% zu, allerdings weniger als halb so stark wie im Vorjahr (4,6%). Die Staatsquote (Ausgaben des Staates in Relation zum Bruttoinlandsprodukt) sinkt nach dem kräftigen Anstieg im Jahr 2009 nun wieder leicht, weil das nominale Bruttoinlandsprodukt um 3,2% – und damit rascher als die Staatsausgaben – steigt (vgl. Abb. 4.21). 12 46,7 44 42,5 Einnahmen 42 42,3 40 10 8 6 4,2 38 3,4 36 4 2 34 0 Budgetdefizit (rechte Skala) 32 -2 94 a) 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 Gebietskörperschaften und Sozialversicherung in Abgrenzung der VGR; 1995 und 2000 ohne Sondereffekte. Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 1.4; Berechnungen und Schätzungen des ifo Instituts (Juni 2010). 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 58 Daten und Prognosen ben für Arbeitslosengeld I sinken. Andererseits steigen die Rentenausgaben – trotz der Nullrunde zur Jahresmitte 2010 – noch einmal kräftig, weil die hohe Anpassung vom Juli 2009 (im Westen + 2,41%, im Osten + 3,38%) in der ersten Jahreshälfte noch expansiv wirkt. Trotz der erneuten Anhebung des Kindergelds zum Jahresbeginn 2010 steigen die Ausgaben für diese Transferleistung deutlich langsamer als 2009, weil der einmalig gezahlte Kinderbonus von 100 € entfällt. Nach dem kräftigen Anstieg im Vorjahr (3,5%) steigen die Arbeitnehmerentgelte nun wieder moderater (1,6%), weil die tariflichen Bezüge deutlich geringer angehoben wurden. Im Rückgang der Subventionen (– 5,1%) spiegelt sich u.a. wider, dass die Bundesagentur für Arbeit im laufenden Jahr deutlich weniger Sozialbeiträge für Empfänger von Kurzarbeitergeld übernehmen muss als im Vorjahr. Einen Sondereffekt gibt es bei der Position »Nettozugang an nichtproduzierten Vermögensgütern«, denn hier sind – als negative Ausgaben – die Einnahmen des Staates aus der jüngsten Versteigerung von Frequenzen für Telekommunikationsdienste in Höhe von 4,38 Mrd. € berücksichtigt. Im Jahr 2011 wird aufgrund der konjunkturellen Erholung und der Sparmaßnahmen das Finanzierungsdefizit des Staates von 4,2% auf 3,4% des Bruttoinlandsprodukts sinken. Die »tatsächliche« Verbesserung der staatlichen Finanzlage wird durch diese Verminderung der Defizitquote um 0,8 Prozentpunkte sogar noch unterzeichnet, denn es ist zu berücksichtigen, dass die Defizitquote 2010 durch die einmaligen Einnahmen aus der Versteigerung von Telekommunikationsfrequenzen um knapp 0,2 Prozentpunkte vermindert wurde. Die staatlichen Einnahmen werden im kommenden Jahr um 2,0% zunehmen, während der Zuwachs auf der Ausgabenseite nur noch 0,4% betragen wird. Die Steuereinnahmen des Staates werden im Jahr 2011 nach zwei Jahren Rückgang wieder zunehmen (1,6%). Dabei steigen die Steuern vom Einkommen und Vermögen nur moderat um 1,2%, während die Produktions- und Importabgaben um 1,9% zunehmen. Die Zunahme bei den Steuern vom Einkommen ist im Wesentlichen auf den Anstieg der aufkommensstarken Lohnsteuer (1,7%) zurückzuführen. Auch die Körperschaftsteuer steigt im Jahr 2011 voraussichtlich wieder deutlich an, während die veranlagte Einkommensteuer aufgrund von Zahlungsverzögerungen weiterhin rückläufig bleibt. Die Gewerbesteuer sowie die Mineralölsteuer dürften ebenfalls erheblich zum Aufkommensanstieg beitragen. Das Aufkommen der Sozialversicherungsbeiträge wird im Jahr 2011 deutlich (um 2,3%) zunehmen. Hier wird unterstellt, dass der Beitragssatz der Arbeitslosenversicherung ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang wie geplant von 2,8% auf 3,0% angehoben wird und die allgemeinen Beitragssätze in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung unverändert bleiben. Allerdings wird angesichts der Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherungen angenommen, dass Zusatzbeiträge von im Durchschnitt 0,5% erhoben werden. Außerdem dürfte der Satz für die Insolvenzgeldumlage wieder etwas reduziert werden. Berücksichtigt ist hier, dass der Staat – wie im Sparpaket der Bundesregierung angekündigt – für Empfänger von Arbeitslosengeld II keine Beiträge mehr an die Rentenversicherung überweist. Während die Rentenversicherung nur einen geringfügigen Zuwachs erwarten kann, steigen die Beitragseinnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung um etwa 4%. Die Vermögenseinkommen des Staates werden im Jahr 2011 voraussichtlich wieder steigen. Dabei wird unterstellt, dass der Bund – wie im Rahmen des Konsolidierungspakets festgelegt – eine jährliche Dividende in Höhe von 0,5 Mrd. € von der Deutschen Bahn erhält. Die nachlassende Ausgabendynamik ist in erster Linie auf die monetären Sozialleistungen zurückzuführen. Diese werden – erstmals seit 2007 – sinken (– 0,5%), weil die Aufwendungen für die Arbeitslosigkeit deutlich zurückgehen. Das liegt erstens an der sinkenden Arbeitslosigkeit. Zweitens wirken die Sparmaßnahmen der Bundesregierung in doppelter Hinsicht, denn zum einen werden direkte Leistungen gekürzt (durch den Ersatz von Pflichtleistungen durch Ermessensleistungen sowie die Abschaffung des befristeten Zuschlags beim Arbeitslosengeld II sollen insgesamt 1,7 Mrd. € eingespart werden), zum anderen werden innerstaatliche Transfers gestrichen (durch den bereits bei den Sozialbeiträgen als Einnahmenminderung erwähnten Wegfall der Rentenversicherungsbeiträge für die Empfänger von Arbeitslosengeld II sinken die – brutto ausgewiesenen – Sozialleistungen um 1,8 Mrd. €). Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass das Elterngeld für bestimmte Empfängergruppen gekürzt oder ganz gestrichen wird und die Rentenanpassung wohl nur sehr klein ausfallen wird (ca. 0,5%). Infolge der von der Bundesregierung angekündigten Einsparungen im Gesundheitswesen (4 Mrd. €) werden die sozialen Sachleistungen nur noch moderat zulegen (1,8%). Weitere Sparmaßnahmen machen sich auch bei den Arbeitnehmerentgelten bemerkbar (0,6%). Die Investitionen werden nach dem Auslaufen der Konjunkturprogramme wieder zurückgefahren (– 4,1%) und schließlich lässt der nahezu vollständige Abbau der Kurzarbeit bis Ende 2011 und die damit einhergehende Erstattung von Sozialbeiträgen an die Arbeitgeber durch die Bundesagentur für Arbeit die Subventionen erneut kräftig schrumpfen (– 6,9%). Die Zinsausgaben des Staates dürften jedoch auch im Jahr 2011 weiter ansteigen. Daten und Prognosen Tab. 4.10 Budgetdefizit, Konsolidierungsbedarf und Defizitabbau laut Schuldendienst 2009 2010 Konsolidierungsbedarf 2011–2016 Budgetdefizit Gesamtstaat 75 Mrd. 104 Mrd. ca. 15 Mrd. p.a. davon: Bund 39 Mrd. 64 Mrd. ca. 9 Mrd. p.a. Gesamtstaat (in % des BIP) 3,1 4,2 ca. 0,6 Prozentpunkte p.a. davon: Bund 1,7 2,6 ca. 0,4 Prozentpunkte p.a. Strukturelles Defizit Gesamtstaat 87 Mrd. ca. 12 Mrd. p.a. davon: Bund 55 Mrd. ca. 8 Mrd. p.a. Gesamtstaat (in % des BIP) 3,5 ca. 0,5 Prozentpunkte p.a. davon: Bund 2,2 ca. 0,3 Prozentpunkte p.a. Quelle: Statistisches Bundesamt, Berechnungen und Schätzungen des ifo Instituts. 2016 16 Mrd. 10 Mrd. 0,5 0,35 16 Mrd. 10 Mrd. 0,5 0,35 Insgesamt werden sich die Ausgaben des Staates auf 45,7% des Bruttoinlandsprodukts belaufen, die Einnahmen erreichen mit einem Wert von 42,3% das niedrigste Niveau seit der deutschen Vereinigung (vgl. Abb. 4.21). Das erwartete Finanzierungsdefizit der öffentlichen Haushalte für die Jahre 2010 und 2011 fällt aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs und der damit verbundenen günstigeren Lage auf dem Arbeitsmarkt deutlich geringer aus, als es bisher geschätzt wurde. Das aktuelle Konsolidierungsprogramm der Bundesregierung trägt hierzu spürbar bei. Auch das strukturelle Defizit, welches von der Bundesregierung Anfang des Jahres auf 4,5% des BIP veranschlagt wurde24, beträgt im laufenden Jahr auf Basis dieser Prognose voraussichtlich nur etwa 3,5% und 2,9% im Jahr 2011.25 Dabei ist auf die Konjunkturanfälligkeit der Schätzung des strukturellen Defizits hinzuweisen.26 Um die Maßgaben der Schuldenregel zu erfüllen, müsste das strukturelle Defizit für den Gesamtstaat im Zeitraum 2011 bis 2016 um voraussichtlich etwa 0,5 Prozentpunkte pro Jahr zurückgeführt werden.27 Zwar liegt dieses im Jahr 2010 oberhalb der Defizitgrenze des Stabilitäts- und Wachstumspaktes; die Verbesserung im Jahr 2011 um 0,6 Prozentpunkte dürfte jedoch knapp den Kriterien der deutschen Schuldenregel gerecht werden (vgl. Tab. 4.10). Um dieses Ziel zu erreichen ist es aber erforderlich, dass die von der Bundesregierung angestoßenen Konsolidierungsanstrengungen – wie in dieser Prognose unterstellt – tatsächlich umgesetzt werden. Anhang Die wichtigsten Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung Das ifo Institut veröffentlicht in diesem Tabellenanhang erstmals jährliche Sektorkonten (in jeweiligen Preisen) für die institutionellen Sektoren private Haushalte (einschließlich privater Organisationen ohne Erwerbszweck), Kapitalgesellschaften (nichtfinanzielle und finanzielle) sowie Staat im Zeitraum 2009 bis 2011. Die Konten zeigen außerdem die Transaktionen mit der übrigen Welt auf. Abgeschlossen am 22. Juni 2010 24 25 26 27 BMF, German Stability Programme, January 2010 Update. Für die Bestimmung der Konjunkturkomponente wird das Produktionspotenzial an dieser Stelle mit Hilfe des HP-Filters bestimmt. Um das Randwertproblem zu reduzieren werden mittelfristig (in den Jahren 2012–2014) Wachstumsraten von 1,6% unterstellt. Vgl. Chr. Breuer und T. Büttner, »Auf Sand gebaut: Das strukturelle Defizit im Auf und Ab der Konjunktur«, ifo Schnelldienst 63(11), 2010, 28–31. Dabei wird unterstellt, dass das Finanzierungsdefizit des Bundes im Jahr 2010 etwa 2,6% des BIP beträgt und die Länder im Jahr 2016 ein strukturelles Defizit von 0,15% des BIP aufweisen (vgl. Tab. 4.10). 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 59 60 Daten und Prognosen BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND Die wichtigsten Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung Vorausschätzung für die Jahre 2010 und 2011 2009 (1) Entstehung des Inlandsprodukts Veränderung in % gegenüber Vorjahr Zahl der Erwerbstätigen Arbeitsstunden je Erwerbstätigen 3) Arbeitsvolumen Produktivität (4) Bruttoinlandsprodukt, preisbereinigt 2010 (2) 2011 (2) 2010 1.Hj (2) 2.Hj (2) 2011 (2) 1.Hj 2.Hj 0,0 0,2 0,3 -0,1 0,5 0,4 0,2 -2,8 1,2 -0,1 1,8 0,6 0,1 -0,2 -2,8 -2,2 -4,9 1,4 0,7 2,1 0,2 1,3 1,5 1,7 0,4 2,1 1,1 0,9 2,0 0,5 1,5 2,0 0,0 1,0 1,0 1884,4 1410,8 473,5 429,9 158,2 244,4 27,3 -18,2 2296,0 113,1 979,3 866,2 2409,1 1906,9 1419,9 487,0 437,0 161,5 247,9 27,7 0,3 2344,3 141,7 1114,9 973,1 2486,0 1941,6 1448,8 492,7 447,4 164,9 254,1 28,4 -5,9 2383,1 165,0 1209,6 1044,6 2548,1 928,8 692,5 236,4 203,6 75,9 114,6 13,1 11,1 1143,6 69,7 534,2 464,5 1213,3 978,1 727,4 250,7 233,4 85,5 133,3 14,6 -10,8 1200,7 72,0 580,7 508,6 1272,8 946,6 707,2 239,4 213,6 78,0 122,3 13,3 2,0 1162,2 87,8 589,1 501,3 1250,0 995,0 741,6 253,4 233,8 86,9 131,9 15,0 -7,8 1220,9 77,2 620,6 543,3 1298,2 1,2 0,1 4,8 -9,4 -21,6 -0,2 -2,2 -1,9 -17,0 -15,4 -3,5 1,2 0,6 2,8 1,7 2,1 1,5 1,3 2,1 13,8 12,3 3,2 1,8 2,0 1,2 2,4 2,2 2,5 2,5 1,7 8,5 7,3 2,5 1,0 0,2 3,4 0,1 0,6 -0,2 0,7 2,2 13,0 9,9 3,8 1,4 1,1 2,4 3,0 3,5 2,9 1,8 2,0 14,6 14,7 2,6 1,9 2,1 1,3 4,9 2,7 6,7 1,8 1,6 10,3 7,9 3,0 1,7 2,0 1,1 0,2 1,6 -1,1 3,1 1,7 6,9 6,8 2,0 3. Verwendung des Inlandsprodukts, verkettete Volumenangaben (Referenzjahr 2000) a) Mrd. EUR Konsumausgaben 1681,6 1676,4 1687,8 Private Konsumausgaben 5) 1248,8 1236,4 1245,4 Konsumausgaben des Staates 433,4 440,8 443,2 Bruttoanlageinvestitionen 426,4 433,4 442,0 Ausrüstungen 178,7 183,9 189,6 Bauten 211,4 212,4 214,5 Sonstige Anlagen 35,9 37,7 39,3 Inländische Verwendung 2069,4 2087,5 2101,3 Exporte 993,4 1101,0 1181,8 Importe 906,5 986,1 1047,0 Bruttoinlandsprodukt 2161,9 2206,8 2239,8 821,2 604,2 217,5 202,0 86,1 98,6 17,7 1024,8 531,0 473,7 1083,9 855,1 632,2 223,3 231,4 97,8 113,8 20,0 1062,7 570,0 512,4 1122,9 828,1 609,8 218,8 211,1 89,5 103,4 18,5 1031,8 576,4 503,6 1105,5 859,6 635,6 224,4 230,9 100,1 111,0 20,8 1069,5 605,3 543,4 1134,3 -0,7 -1,7 2,1 0,5 1,8 -0,9 5,5 0,8 10,4 7,9 2,1 0,1 -0,3 1,4 2,7 3,9 1,7 4,0 0,9 11,2 9,6 2,0 0,8 0,9 0,6 4,5 3,9 4,9 4,6 0,7 8,6 6,3 2,0 0,5 0,5 0,5 -0,2 2,4 -2,4 4,4 0,6 6,2 6,0 1,0 2. Verwendung des Inlandsprodukts in jeweiligen Preisen a) Mrd. EUR Konsumausgaben Private Konsumausgaben 5) Konsumausgaben des Staates Bruttoanlageinvestitionen Ausrüstungen Bauten Sonstige Anlagen Vorratsveränderungen 6) Inländische Verwendung Außenbeitrag Exporte Importe Bruttoinlandsprodukt b) Veränderung in % gegenüber Vorjahr Konsumausgaben Private Konsumausgaben 5) Konsumausgaben des Staates Bruttoanlageinvestitionen Ausrüstungen Bauten Sonstige Anlagen Inländische Verwendung Exporte Importe Bruttoinlandsprodukt b) Veränderung in % gegenüber Vorjahr Konsumausgaben Private Konsumausgaben 5) Konsumausgaben des Staates Bruttoanlageinvestitionen Ausrüstungen Bauten Sonstige Anlagen Inländische Verwendung Exporte Importe Bruttoinlandsprodukt ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang 0,8 -0,1 3,4 -9,0 -20,5 -1,1 4,9 -2,1 -14,5 -9,5 -4,9 -0,3 -1,0 1,7 1,6 2,9 0,5 4,7 0,9 10,8 8,8 2,1 0,7 0,7 0,5 2,0 3,1 1,0 4,5 0,7 7,3 6,2 1,5 Daten und Prognosen noch Bundesrepublik Deutschland: Die wichtigsten Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung 2009 (1) 2010 (2) 2011 (2) 2010 1.Hj (2) 2.Hj (2) 4. Preisniveau der Verwendungsseite des Inlandsprodukts (2000=100) Veränderung in % gegenüber Vorjahr Konsumausgaben 0,5 Private Konsumausgaben 5) 0,2 Konsumausgaben des Staates 1,4 Bruttoanlageinvestitionen -0,5 Ausrüstungen -1,4 Bauten 0,9 Sonstige Anlagen -6,8 Inländische Verwendung 0,3 Exporte -2,9 Importe -6,5 1,5 Bruttoinlandsprodukt 5. Einkommensentstehung und -verteilung a) Mrd. EUR Primäreinkommen der privaten Haushalte Sozialbeiträge der Arbeitgeber Bruttolöhne und -gehälter Übrige Primäreinkommen der privaten Haushalte Primäreinkommen der übrigen Sektoren Nettonationaleinkommen (Primäreinkommen) Abschreibungen Bruttonationaleinkommen nachrichtlich: Volkseinkommen Arbeitnehmerentgelte Unternehmens- und Vermögenseinkommen b) Veränderung in % gegenüber Vorjahr Primäreinkommen der privaten Haushalte Sozialbeiträge der Arbeitgeber Bruttolöhne und -gehälter Bruttolöhne und -gehälter je Beschäftigten Nettolöhne und -gehälter je Beschäftigten Übrige Primäreinkommen der privaten Haushalte Primäreinkommen der übrigen Sektoren Nettonationaleinkommen (Primäreinkommen) Abschreibungen Bruttonationaleinkommen nachrichtlich: Volkseinkommen Arbeitnehmerentgelte Unternehmens- und Vermögenseinkommen b) Veränderung in % gegenüber Vorjahr Masseneinkommen Nettolöhne und -gehälter Monetäre Sozialleistungen abz. Abgaben auf soziale Leistungen, verbrauchsnahe Steuern Übrige Primäreinkommen der privaten Haushalte Verfügbares Einkommen Private Konsumausgaben 5) Sparen 2.Hj 1,5 1,6 1,1 0,0 -0,8 1,0 -3,3 1,2 2,7 3,3 1,1 1,1 1,3 0,6 0,4 -0,9 1,5 -1,9 1,0 1,1 1,1 1,0 1,7 1,9 1,3 -0,4 -1,2 0,7 -4,6 1,4 2,3 1,9 1,6 1,3 1,4 1,0 0,4 -0,5 1,2 -2,2 1,1 3,1 4,6 0,6 1,1 1,2 0,7 0,4 -1,2 1,7 -2,6 0,9 1,6 1,5 1,0 1,2 1,4 0,6 0,4 -0,7 1,4 -1,2 1,0 0,6 0,7 1,0 1798,5 231,2 992,2 575,2 280,6 2079,1 364,9 2444,0 1797,9 236,1 1013,3 548,5 361,9 2159,8 362,1 2521,9 1838,8 240,2 1035,0 563,6 383,0 2221,8 363,0 2584,8 883,4 114,3 480,3 288,7 155,7 1039,1 183,3 1222,3 914,5 121,8 533,0 259,8 206,2 1120,7 178,9 1299,6 903,1 115,9 488,2 299,0 172,9 1076,0 183,3 1259,3 935,7 124,3 546,8 264,6 210,1 1145,8 179,7 1325,5 1806,6 1223,3 583,2 1882,0 1249,4 632,6 1936,2 1275,2 661,0 900,2 594,7 305,5 981,8 654,8 327,0 933,3 604,1 329,2 1002,8 671,0 331,8 -1,7 0,8 -0,4 -0,3 -0,5 -5,0 -17,2 -4,2 -0,7 -3,7 0,0 2,1 2,1 1,9 3,2 -4,6 29,0 3,9 -0,8 3,2 2,3 1,7 2,1 1,7 1,2 2,8 5,8 2,9 0,2 2,5 -1,2 1,3 1,6 1,8 3,7 -6,3 57,3 4,7 -1,0 3,8 1,1 2,9 2,6 1,9 2,8 -2,7 13,6 3,2 -0,5 2,6 2,2 1,4 1,6 1,1 0,3 3,5 11,1 3,6 0,0 3,0 2,3 2,1 2,6 2,3 1,9 1,9 1,9 2,2 0,5 2,0 -4,2 -0,1 -11,8 4,2 2,1 8,5 2,9 2,1 4,5 5,2 1,6 12,9 3,3 2,6 4,6 3,7 1,6 7,8 2,1 2,5 1,5 518,9 310,4 250,9 557,6 350,7 248,7 520,4 313,0 249,5 565,2 358,3 248,5 42,4 288,7 -26,6 781,0 15,9 692,5 104,4 41,8 259,8 -26,7 790,7 16,4 727,4 79,7 42,1 299,0 -24,0 795,3 16,7 707,2 104,7 41,6 264,6 -24,2 805,7 17,0 741,6 81,1 6. Einkommen und Einkommensverwendung der privaten Haushalte und priv. Org. o.E. a) Mrd. EUR Masseneinkommen 1042,3 1076,4 1085,6 Nettolöhne und -gehälter 638,9 661,1 671,3 Monetäre Sozialleistungen 490,4 499,6 498,0 abz. Abgaben auf soziale Leistungen, verbrauchsnahe Steuern 87,1 84,2 83,7 Übrige Primäreinkommen der privaten Haushalte 575,2 548,5 563,6 Sonstige Transfers (Saldo) -56,9 -53,2 -48,2 1560,6 1571,7 1601,0 Verfügbares Einkommen Zunahme betriebl. Versorgungsansprüche 30,6 32,2 33,7 Private Konsumausgaben 5) 1410,8 1419,9 1448,8 Sparen 180,4 184,0 185,9 Sparquote 7) 2011 (2) 1.Hj 11,3 11,5 11,4 13,1 9,9 12,9 9,9 2,5 -0,6 8,3 3,3 3,5 1,9 0,9 1,5 -0,3 3,7 3,5 2,8 2,9 3,5 1,0 0,3 0,8 -0,5 1,4 2,2 -0,1 11,2 -5,0 0,2 0,1 1,0 -3,3 -4,6 0,7 0,6 2,0 -0,7 2,8 1,9 2,0 1,0 -3,1 -6,3 0,5 0,2 3,1 -3,4 -2,7 0,9 1,1 0,7 -0,8 3,5 1,8 2,1 0,3 -0,5 1,9 1,9 2,0 1,8 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 61 62 Daten und Prognosen noch Bundesrepublik Deutschland: Die wichtigsten Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung 2009 (1) 2010 (2) 2011 (2) 2010 1.Hj (2) 2.Hj (2) 2011 (2) 1.Hj 2.Hj 7. Einnahmen und Ausgaben des Staates a) Mrd. EUR Einnahmen Steuern Sozialbeiträge Vermögenseinkünfte Sonstige Übertragungen Vermögensübertragungen Verkäufe Sonstige Subventionen Einnahmen insgesamt 564,1 410,2 19,3 13,5 8,9 48,7 0,6 1065,2 553,7 414,4 15,7 14,7 8,8 49,0 0,6 1056,9 562,4 423,8 16,9 15,2 9,3 49,5 0,6 1077,7 277,6 200,9 10,2 7,0 4,3 23,1 0,2 523,3 276,1 213,5 5,6 7,7 4,5 25,9 0,4 533,7 281,3 204,7 10,7 7,3 4,6 23,3 0,2 532,1 281,0 219,2 6,2 7,9 4,8 26,2 0,4 545,7 Ausgaben Vorleistungen Arbeitnehmerentgelte Sonstige Produktionsabgaben Vermögenseinkünfte (Zinsen) Subventionen Monetäre Sozialleistungen Soziale Sachleistungen Sonstige Transfers Vermögenstransfers Bruttoanlageinvestitionen Nettozugang an nichtprod. Vermögensgütern Ausgaben insgesamt 112,4 178,1 0,1 61,1 31,9 444,0 196,7 45,0 32,7 39,9 -1,4 1140,5 114,6 181,0 0,1 62,4 30,3 452,3 205,0 48,1 29,0 43,5 -5,5 1160,6 115,6 182,1 0,1 64,3 28,2 450,0 208,6 50,2 25,8 41,8 -1,2 1165,6 52,8 87,2 0,0 31,2 15,5 227,2 101,5 23,7 13,9 17,5 -4,9 565,6 61,8 93,8 0,0 31,1 14,7 225,1 103,5 24,4 15,1 26,1 -0,7 595,0 53,3 87,9 0,0 32,1 14,2 225,6 103,3 24,5 11,6 20,1 -0,5 572,0 62,3 94,2 0,0 32,2 14,0 224,5 105,3 25,8 14,2 21,7 -0,7 593,6 Finanzierungssaldo -75,3 -103,7 -87,9 -42,3 -61,4 -40,0 -47,9 b) Veränderung in % gegenüber Vorjahr Einnahmen Steuern Sozialbeiträge Vermögenseinkünfte Sonstige Übertragungen Vermögensübertragungen Verkäufe Sonstige Subventionen Einnahmen insgesamt -4,8 0,5 5,5 -9,0 -11,9 2,4 -2,4 -1,8 1,0 -18,4 9,0 -0,5 0,6 -0,8 1,6 2,3 7,5 3,1 5,7 1,0 2,0 -2,7 0,0 -19,0 11,1 -3,5 0,5 -1,8 -0,9 2,1 -17,2 7,3 2,5 0,7 0,3 1,3 1,9 5,2 3,6 6,2 0,9 1,7 1,8 2,6 11,7 2,6 5,2 1,1 2,2 Ausgaben Vorleistungen Arbeitnehmerentgelt Sonstige Produktionsabgaben Vermögenseinkünfte (Zinsen) Subventionen Monetäre Sozialleistungen Soziale Sachleistungen Sonstige Transfers Vermögenstransfers Bruttoanlageinvestitionen Nettozugang an nichtprod. Vermögensgütern Ausgaben insgesamt 5,4 3,5 -8,9 13,8 5,3 5,9 11,8 -1,4 6,7 4,6 2,0 1,6 2,1 -5,1 1,9 4,2 6,8 -11,3 9,0 1,8 0,9 0,6 3,2 -6,9 -0,5 1,8 4,5 -11,0 -4,1 0,4 1,9 2,0 2,0 1,1 2,9 5,1 14,3 -14,7 5,1 2,1 2,1 1,3 2,2 -10,9 0,9 3,3 0,5 -8,0 11,8 1,4 0,9 0,8 2,9 -8,7 -0,7 1,8 3,6 -16,3 14,9 1,1 0,9 0,4 3,5 -5,0 -0,3 1,7 5,5 -6,1 -16,8 -0,2 nachrichtlich: Finanzierungssaldo in % des BIP -3,1 -4,2 -3,4 -3,5 -4,8 -3,2 -3,7 ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang Daten und Prognosen noch Bundesrepublik Deutschland: Die wichtigsten Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung Gesamte Volkswirtschaft Nichtfinanzielle und finanzielle Kapitalgesellschaften Private Haushalte und private Org. o.E. Staat Übrige Welt 8. Primäreinkommen, verfügbares Einkommen und Finanzierungssalden nach Sektoren Mrd. EUR 2079,1 54,3 Nettonationaleinkommen (Primäreinkommen) Arbeitnehmerentgelte 1223,3 Unternehmens- und Vermögenseinkommen 583,2 54,3 Produktions- und Importabgaben abz. Subventionen 272,5 - 226,3 -46,3 272,5 1798,5 1223,3 575,2 - -148,0 . . . Saldo der laufenden Transfers Verfügbares Einkommen Konsum Zunahme betrieblicher Versorgungsansprüche Sparen Saldo der Vermögenstransfers 2009 (1) -32,0 11,6 194,3 -237,9 32,0 2047,1 1884,4 162,7 65,9 -30,6 35,4 420,6 473,5 -53,0 1560,6 1410,8 30,6 180,4 -116,0 -116,0 0,9 -0,9 16,5 -23,9 6,5 Bruttoinvestitionen 411,6 221,6 39,9 150,1 - Abschreibungen 364,9 210,5 40,1 114,3 - Nettozugang an nichtprod. Vermögensgütern Finanzierungssaldo - 0,5 -1,4 0,9 - 115,1 40,3 -75,3 150,1 -115,1 2010 (2) Nettonationaleinkommen (Primäreinkommen) Arbeitnehmerentgelte Unternehmens- und Vermögenseinkommen Produktions- und Importabgaben abz. Subventionen Saldo der laufenden Transfers Verfügbares Einkommen Konsum Zunahme betrieblicher Versorgungsansprüche Sparen Saldo der Vermögenstransfers 2159,8 1249,4 632,6 277,8 134,7 134,7 - 227,2 -50,6 277,8 1797,9 1249,4 548,5 - -177,6 . . . -32,7 19,7 173,8 -226,2 32,7 2127,1 154,4 401,0 1571,7 -144,9 1906,9 220,2 -32,2 122,2 487,0 -86,0 1419,9 32,2 184,0 -144,9 -0,8 12,6 -20,2 6,8 0,8 Bruttoinvestitionen 437,4 239,9 43,5 154,0 - Abschreibungen 362,1 208,0 40,5 113,6 - - 4,7 -5,5 0,8 - 144,1 98,2 -103,7 149,6 -144,1 2221,8 1275,2 661,0 285,6 148,1 148,1 - 234,9 -50,7 285,6 1838,8 1275,2 563,6 - -201,7 . . . -33,3 18,6 185,9 -237,7 33,3 2188,5 1941,6 247,0 166,7 -33,7 133,0 420,8 492,7 -71,9 1601,0 1448,8 33,7 185,9 -168,5 -168,5 -1,0 8,3 -16,5 7,3 1,0 Nettozugang an nichtprod. Vermögensgütern Finanzierungssaldo 2011 (2) Nettonationaleinkommen (Primäreinkommen) Arbeitnehmerentgelte Unternehmens- und Vermögenseinkommen Produktions- und Importabgaben abz. Subventionen Saldo der laufenden Transfers Verfügbares Einkommen Konsum Zunahme betrieblicher Versorgungsansprüche Sparen Saldo der Vermögenstransfers Bruttoinvestitionen 441,5 243,8 41,8 156,0 - Abschreibungen 363,0 208,1 41,1 113,8 - Nettozugang an nichtprod. Vermögensgütern Finanzierungssaldo 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) - 0,3 -1,2 0,9 - 167,5 105,4 -87,9 150,0 -167,5 Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes; Abweichungen in den Summen durch Runden der Zahlen. Vorausschätzung des ifo Instituts; Abweichungen in den Summen durch Runden der Zahlen. Inlandskonzept. Bruttoinlandsprodukt in Vorjahrespreisen je Erwerbstätigenstunde. Konsumausgaben der privaten Haushalte und der privaten Organisationen ohne Erwerbszweck. Einschließlich Nettozugang an Wertsachen. Ersparnis in % des verfügbaren Einkommens (einschließlich der Zunahme an betrieblichen Versorgungsansprüchen). 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 63 Kurz zum Klima: Kein Ende in Sicht 64 Luise Röpke, Max März und Jana Lippelt Millionen von Litern Erdöl strömen täglich aus dem Bohrloch der verunglückten Bohrinsel Deepwater Horizon in den Golf von Mexiko – und ein Ende ist nicht in Sicht. Die aktuelle Ölkatastrophe hat eine breite Diskussion über Risiko und Nutzen von Offshore-Bohrungen zur Gewinnung von Erdöl ausgelöst. Als besonders risikoreich gelten hierbei Tiefwasser- und Tiefstwasserbohrungen, das sind Bohrungen ab einer Wassertiefe von 300 bzw. 1 500 Meter (vgl. Kedrosky 2010). Trotz der offensichtlichen Risiken und vielfach geäußerter Bedenken planen Unternehmen in vielen Regionen vermehrt die Exploration neuer Offshore-Ölfelder. Vor dem Hintergrund dieser Diskussion bietet der vorliegende Artikel einen Überblick über aktuelle OffshoreBohrungen in ihrem geographischen, wirtschaftlichen und politischen Kontext. Besonders im Golf von Mexiko finden bereits heute zahlreiche Offshore-Bohrungen statt. Während dort bis Mitte der neunziger Jahre hauptsächlich in den Schelfgebieten Öl gefördert wurde, haben sich die Bohrungen bis dato in immer tiefere Meereszonen verlagert. Obwohl die Produktion von Erdöl aus den Schelfgebieten im gleichen Zeitraum abnahm, konnte insgesamt das Extraktionsvolumen gesteigert werden. So kamen 2009 fast die Hälfte des geförderten Erdöls aus Tiefwasser- und fast ein Drittel sogar aus Tiefstwassergebieten. Einen Eindruck über die Verteilung der On- und OffshoreReserven1 in den Förderregionen der Welt gibt die erste Karte2 (vgl. Abb. 1). Die Kreisdiagramme zeigen in sieben farblich gekennzeichneten Regionen den Anteil der onshore lagernden Reserven (grün) und den Anteil der offshore lagernden Reserven (blau). Ihre Größe gibt Auskunft über die Menge der Reserven. Grau schraffiert sind dabei diejenigen 20 Länder, die insgesamt über 93% der weltweiten Reserven an konventionellem Erdöl verfügen.3 Circa 60% der weltweiten Erdölreserven befinden sich im Nahen Osten. Nur etwa 2% liegen in Europa. Nach dem Stand der derzeitigen Explorationsarbeiten lagern weniger als ein Drittel der Reserven offshore. Nur im australisch-asiatischen und europäischen Raum ist der Anteil der Offshore-Reserven deutlich größer als der Anteil der Onshore-Reserven. Diese Regionen haben allerdings nur einen kleinen Anteil an den weltweiten Ölreserven. Wie im Falle der Onshore-Reserven, befinden sich auch die umfangreichsten Offshore-Reserven im Nahen Osten. 1 2 3 Definition von Reserven aus BGR (2009, 23): »Reserven sind die Mengen eines Energierohstoffes, die mit großer Genauigkeit erfasst wurden und mit den derzeitigen technischen Möglichkeiten wirtschaftlich gewonnen werden können.« Die Daten stammen von der BGR ((2009, 39). Unter konventionellem Öl versteht man nach der aktuellen Definition Kondensat, Leichtöl und Schweröl. Unter nicht-konventionellen Ölen versteht man Bitumen oder Rohöl aus Ölsanden, Schwerstöl und Schwelöl oder Rohöl aus Ölschiefer (vgl. BGR 2009, 19, 55). ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang Bei Betrachtung der Graphik muss allerdings beachtet werden, dass zunehmende Explorationen, vor allem im Tiefwasserbereich des Golfes von Mexiko, des Atlantiks vor Brasilien, der Westküste Afrikas, aber auch des Kaspischen Meeres oder der arktischen Regionen, voraussichtlich zu einer Erhöhung der Offshore-Reserven führen werden (vgl. BGR 2009, 37). Auch können verbesserte und neue Explorations-, Bohr- und Fördertechniken, wie beispielsweise das Richtbohren, die Reserven erhöhen (vgl. BGR 2009, 39). Diese Neuerungen bewirken – sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus technischer Sicht – die Nutzbarmachung von bisher unbrauchbaren Feldern und damit eine Erhöhung der Reserven. Die Nutzung der Offshore-Ölvorkommen ist dabei weltweit unterschiedlich stark ausgeprägt. Während Regionen wie der Nahe Osten noch hauptsächlich auf Onshore-Reserven zurückgreifen, nutzen Nord- und Mittelamerika bereits in großem Umfang die Offshore-Reserven. Die zweite Karte bietet einen Überblick über die Flotten von Bohrinseln in den verschiedenen Regionen.4 Die Kreisdiagramme geben durch ihre Größe Auskunft über die Anzahl an Bohrinseln in einer Region. Die farblichen Abstufungen der Kreisdiagramme stellen die Anteile der Bohrplattformen in den verschiedenen Wassertiefen dar. Es wird deutlich, dass die Plattformen regional sehr ungleichmäßig verteilt sind. Interessant ist hierbei insbesondere ein Vergleich beider Karten. Während im Nahen Osten relativ zu den Reserven noch recht wenige Bohrplattformen existieren, bietet sich in den meisten anderen Regionen, vor allem in Europa und Nordamerika, ein umgekehrtes Bild. Im Nahen Osten befinden sich fast ausschließlich Bohrinseln in einer Wassertiefe geringer als 300 Meter. Dagegen liegt der durchschnittliche Anteil der Bohrplattformen in den übrigen Regionen in einer Wassertiefe von mehr als 300 Metern bei über 40%. Neben wirtschaftlichen oder politischen Überlegungen spielen hierbei natürlich auch geographische Gegebenheiten eine entscheidende Rolle. Während beispielsweise der Golf von Mexiko bis zu 4 384 Meter tief ist (vgl. EPA 2010) und sich circa ein Viertel der Ölvorkommen im Tiefwasserbereich befinden (vgl. BGR 2009, 37), erreicht der Persische Golf nur eine Tiefe von bis zu 90 Meter (vgl. Britannica 2010). Entscheidende wirtschaftliche Gründe für zunehmende Offshore-Explorationen sind die steigende Nachfrage nach Öl und hinreichend hohe Rohölpreise. Erst letztere haben die 4 Die Daten stammen aus der Datenbank von Rigzone (2010). Im Blickpunkt Abb. 1 Ölvorkommen und Ölplattformen Ölvorkommen und Ölplattformen Ölreserven (2007) Onshore Offshore Größte Ölreserven Wassertiefe der Ölplattformen (m) (Juni 2010) >3.000 1.500 - 3.000 300 - 1.500 30 - 300 keine Angabe Quelle: BGR (2009); Rigzone (2010). 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 65 66 Im Blickpunkt teure Ölförderung im Offshore-Bereich rentabel gemacht. So übersteigen in den USA die Gesamtgewinnungskosten pro Barrel Rohöl im Offshore-Bereich die Kosten im Onshore-Bereich um mehr als das Doppelte (vgl. EIA 2009). Daneben spielen auch polit-strategische Überlegungen der westlichen Industriestaaten, wie am Beispiel der USA deutlich nachzuvollziehen ist, eine Rolle. Der amerikanische Präsident Barack Obama rechtfertigt in seiner Erklärung zu der Ölkatastrophe Tiefwasserbohrungen als notwendig aufgrund der geringen amerikanischen Reserven und dem gleichzeitig hohen Verbrauch: »Dies ist teilweise der Grund, dass die Ölfirmen eine Meile unter dem Meer bohren, weil uns die Plätze zum Bohren an Land und in flachen Gewässern ausgehen« (Obama 2010). Wie von Gronwald und Lippelt (2009) dargestellt, gehen die Ölreserven in den westlichen Industriestaaten in einem absehbaren Zeitraum zur Neige. Die Förderung eigener Bohrprojekte kann als Bestandteil einer Strategie zur Energieunabhängigkeit verstanden werden. Entsprechend kommen im Golf von Mexiko, wie oben beschrieben, bereits besonders viele Tiefseeplattformen vor. Nach dem Untergang der Deepwater Horizon, die in den vergangenen Jahren einige Tiefbohrrekorde aufstellte (vgl. Transocean 2009), wurden vielfach Bedenken gegenüber den Entwicklungen der Offshore-Ölproduktion geäußert. Der Vorfall am Roten Meer wirkt nun zusätzlich wie Wasser auf die Mühlen der Kritiker. Angesichts der Katastrophe, für die BP mit mindestens 20 Mrd. US-Dollar aufkommen muss, fordert Lamar McKay, BP-Chef USA: »Ich glaube, über Tiefwasserbohrungen muss nach diesem Fall neu nachgedacht werden.« (vgl. Vilsmeier 2010). Auch strebt die amerikanische Regierung ein Sechs-Monats-Moratorium für alle weiteren Tiefseebohrungen an (vgl. Obama 2010). Trotz dieser medienwirksamen Aktionen und Forderungen ist nicht damit zu rechnen, dass es in Zukunft zu einem Rückgang von Offshore-Bohrungen kommt. Dies zeigt sich auch an den Schwierigkeiten der amerikanischen Regierung, das Moratorium aufrecht zu erhalten. So prognostiziert der Executive Director der Internationalen Energieagentur, Nobuo Tanaka, angesichts der Ölkatastrophe, dass bis 2015 die Hälfte der zusätzlichen Ölproduktion aus Offshore-Quellen stammen wird. Auch hebt er die Bedeutung der OffshoreÖlproduktion für die Sicherung von Versorgung und Bereitstellung von Erdöl hervor. Für Nobuo Tanaka ergibt sich daraus, dass Investitionen weiterhin – auf sichere und nachhaltige Weise – getätigt werden sollen (vgl. Tanaka 2010). Solange der Ölverbrauch so hoch bleibt oder sogar ansteigt, ist trotz aller Risiken von einem Fortschreiten des Ausbaus der Offshore-Förderung auszugehen. Es besteht sogar die Möglichkeit, dass die Ölförderung nicht nur im Tiefwasser, sondern auch auf die nicht-konventionellen Erdölreserven ausgeweitet wird. ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang Literatur BGR, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (2009), Energierohstoffe 2009. Reserven, Ressourcen, Verfügbarkeit. Erdöl, Erdgas, Kohle, Kernbrennstoffe, Geothermische Energie, BGR, Hannover. Britannica (2010), Persian Gulf, http://www.britannica.com/EBchecked/ topic/452764/Persian-Gulf, aufgerufen am 23. Juni 2010. EIA, Energy Information Administration (2009), Performance Profiles of Major Energy Producers 2008, http://www.eia.doe.gov/emeu/perfpro/0206% 2808%29.pdf, aufgerufen am 18. Juni 2010. EPA, U.S. Environmental Protection Agency (2010), General Facts about the Gulf of Mexico, http://www.epa.gov/gmpo/about/facts.html, aufgerufen am 18. Juni 2010. Gronwald, M. und J. Lippelt (2009), »Kurz zum Klima – Wie lange werden die Ressourcen reichen?«, ifo Schnelldienst 62(21), 42–44. Handelsblatt (2010), »Kosten für BP-Ölkatastrophe steigen weiter«, http://www.handelsblatt.com/newsticker/unternehmen/kosten-fuer-bp-oelkatastrophe-steigen-weiter;2604630, aufgerufen am 21. Juni 2010. Kedrosky (2010), Gulf Oil Production by Water Depth, http://paul.kedrosky.com/ archives/2010/05/gulf_oil_produc.html, aufgerufen am 21. Juni 2010. Obama, B. (2010), Remarks by the President to the Nation on the BP Oil Spill, https://whitehouse.gov/the-press-office/remarks-president-nation-bp-oilspill, aufgerufen am 21. Juni 2010. Rigzone (2010), Rig data: worldwide offshore rig fleet information, http://www.rigzone.com/data/advanced_search.asp, aufgerufen am 15. Juni 2010. Tanaka (2010), Statement by IEA Executive Director Nobuo Tanaka, http://www.iea.org/files/apec_oil_spill.pdf, aufgerufen am 20. Juni 2010. Transocean (2009), Deepwater Horizon Drills World’s Deepest Oil & Gas Well, http://www.deepwater.com/fw/main/IDeepwater-Horizon-i-Drills-Worlds-Deepest-Oil-and-Gas-Well-419C1.html?LayoutID=6, aufgerufen am 23. Juni 2010. Vilsmeier (2010), Ölförderung unter Druck: Risiken der Tiefseebohrung, http://www.br-online.de/bayern2/iq-wissenschaft-und-forschung/iq-oelpesttiefseebohrung-ID1276503413757.xml, aufgerufen am 22. Juni 2010. ifo Architektenumfrage: Auftragsreserven weiter erhöht 67 Erich Gluch Nach den Ergebnissen der vierteljährlichen Umfrage des ifo Instituts bei den freischaffenden Architekten hielt das freundliche Geschäftsklima zu Beginn des zweiten Quartals 2010 an. Die befragten Architekten beurteilten ihre aktuelle Geschäftslage etwas besser als im Vorquartal. Die Zahl der Architekten, die ihre Lage als »gut« bezeichneten, war zum vierten Mal hintereinander größer als die der kritischen Architekten. Nur noch ein Viertel der Testteilnehmer (Vorquartal: 27%) war mit ihrer aktuellen Geschäftslage unzufrieden, knapp ein Drittel – wie bereits vor drei Monaten – zufrieden. Abb. 1 Vertragsabschlüsse der freischaffenden Architekten von 100 Architekten haben ..... neue Verträge abgeschlossen 70 Ursprungswerte geglättete Werte 65 60 55 50 45 40 35 1989 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 Quelle: ifo Architektenumfrage. Die Geschäftserwartungen der befragten Architekten waren nicht ganz so zuversichtlich wie vor einem Vierteljahr. Während der Anteil der eher optimistisch eingestellten Architekten leicht zunahm (17 nach 16%), vergrößerte sich gleichzeitig der Anteil der eher skeptischen Befragungsteilnehmer von 18 auf 20%. Per saldo setzten die Architekten aber immer noch ungebrochenes Vertrauen in die Geschäftsentwicklung im Verlauf der nächsten sechs Monate. Im ersten Quartal 2010 konnten 55% der freischaffenden Architekten neue Verträge abschließen. Dies ist zwar nur jeweils ein Prozentpunkt mehr als im Vorquartal sowie vor einem Jahr – aber dennoch der höchste Wert seit zwölf Jahren (vgl. Abb. 1). Im Berichtsquartal lag das geschätzte Bauvolumen aus den neu abgeschlossenen Verträgen (Neubauten ohne Planungsleistungen im Bestand) um nahezu ein Fünftel über dem Niveau des Vorquartals. Dabei nahmen sowohl die Volumina der Aufträge für Wohnungsbauten (+ 15%) als auch die Planungsvolumina für Nichtwohngebäude (+ 20%) zu. Abb. 2 Im Wohnungsbau erhöhte sich das Auftragsvolumen zur Planung von Ein- und Zweifamiliengebäuden im ersten Quartal 2010 zwar nur um 7%. Der Umfang der Aufträge ist damit aber mittlerweile um über 60% größer als in der Schwächephase der Jahre 2006 und 2007. Der leichte Aufwärtstrend hält somit weiter an. Im Geschosswohnungsbau konnten die Architekten deutlich mehr Aufträge hereinholen als im Vorquartal (+ 23%). Berücksichtigt man die bereits ebenfalls positive Entwicklung vom vierten Quartal 2009, so kletterte das Auftragsvolumen in diesem Teilsegment allein im letzten halben Jahr um knapp 60% (vgl. Abb. 2). Hierbei muss allerdings berücksichtigt werden, dass das Ausgangsniveau überaus niedrig war. Im Nichtwohnbau war im Berichtsquartal eine deutliche Belebung beim gewerblichen Auftragseingang zu beobachten. Das Volumen der neu akquirierten Aufträge lag um gut ein Drittel über dem Niveau des Vorquartals – in dem es bereits zu einer Steigerung um ein Sechstel gekommen war (vgl. Abb. 3). Nach dem jähen Einbruch seit dem zweiten Halbjahr 2008 um rund 66% innerhalb von nur fünf Quartalen sind die Aufträge gewerblicher Auftraggeber nunmehr wieder sichtlich angestiegen. Bei den öffentlichen Auftraggebern erfolgte dagegen eine Verringerung der Auftragsvolumina im ersten Quartal 2010 um rund ein Zehntel. Der wesentliche Grund für das stark schwankende Auftragsvolumen öffentlicher Auftraggeber ist, dass von diesen nur noch in geringem Umfang Planungs- Geschätztes Bauvolumen der freischaffenden Architekten für Mehrfamiliengebäude (EUR) Index 1990 = 100 220 Ursprungswerte geglättete Werte 200 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0 1989 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 Quelle: ifo Architektenumfrage. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 68 Im Blickpunkt Abb. 3 Geschätztes Bauvolumen der freischaffenden Architekten von gewerblichen Auftraggebern (EUR) Index 1990 = 100 140 120 100 80 60 Ursprungswerte geglättete Werte 40 20 1989 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 Quelle: ifo Architektenumfrage. aufträge für Neubauten an Architekten vergeben werden. In der ifo Architektenumfrage werden – neben Neubaumaßnahmen – auch Planungsleistungen für das Bauen im Bestand (Umbauten, Modernisierungen, Instandsetzungen) erfasst. Gerade bei öffentlichen Hochbauarbeiten spielt dieser Bereich mittlerweile eine große Rolle. Im Berichtsquartal waren beispielsweise die öffentlichen Planungsaufträge für Baumaßnahmen im Bestand, die an freischaffende Architekten vergeben wurden, um fast 50% größer als für Neubauten. Nach den eingegangenen Meldungen hat der Auftragsbestand bei den befragten Architekten deutlich zugenommen. Zum Ende des ersten Quartals 2010 betrugen ihre Auftragspolster durchschnittlich knapp sechs Monate (vgl. Abb. 4). Einen derart passablen Wert wiesen die Architekturbüros letztmals Mitte der neunziger Jahre auf. Abb. 4 Auftragsbestände der freischaffenden Architekten in Monaten 8 Ursprungswerte geglättete Werte 7 6 5 4 3 1989 1992 1995 1998 Quelle: ifo Architektenumfrage. ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang 2001 2004 2007 2010 ifo Konjunkturtest Juni 2010 in Kürze1 69 Klaus Abberger Das ifo Geschäftsklima für die gewerbliche Wirtschaft Deutschlands hat sich im Juni geringfügig verbessert. Die Unternehmen sind mit ihrer momentanen Geschäftssituation zufriedener. Die Geschäftsentwicklung im kommenden halben Jahr schätzen sie jedoch den zweiten Monat in Folge etwas weniger optimistisch ein. Dennoch sind die Unternehmen insgesamt weiterhin zuversichtlich. Der Konjunkturaufschwung in Deutschland setzt sich fort. Abb. 1 a) Gewerbliche Wirtschaft Geschäftsentwicklung Indexwerte, 2000 = 100, saisonbereinigt 120 115 Geschäftslage Geschäftsklima 110 105 100 Das Geschäftsklima hat sich einzig im Einzelhandel eingetrübt. In den übrigen betrachteten Wirtschaftsbereichen – dem verarbeitenden Gewerbe, dem Bauhauptgewerbe und dem Großhandel – ist der Geschäftsklimaindex gestiegen. Einheitlich, in allen vier Bereichen, ist der Charakter der Klimaveränderung: Die momentane Geschäftslage wird günstiger bewertet, und die Geschäftsaussichten für die nächste Zeit werden nicht mehr ganz so zuversichtlich eingeschätzt wie im vergangenen Monat. Die Besserung der Geschäftslage in allen Bereichen zeigt aber, dass die Konjunkturerholung in der Breite der Wirtschaft spürbar ist. Das ifo Beschäftigungsbarometer ist im Juni geringfügig gesunken, nachdem es zuvor acht Monate in Folge gestiegen war. Damit stabilisiert sich der Beschäftigungsindikator im befriedigenden Bereich. Der Arbeitsmarkt lässt die Wirtschaftskrise zunehmend hinter sich zurück. Die Personalplanungen der Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe sind gegenüber dem Vormonat unverändert. Somit dürfte sich die Beschäftigungssituation in der Industrie weiter entspannen. Der Personalbestand wird kaum noch als zu groß erachtet. Die Firmen geben zudem an, die Kurzarbeit im zurückliegenden Vierteljahr deutlich reduziert zu haben. Überstunden werden aber weiterhin selten über das betriebsübliche Maß hinaus getätigt. Kaum verändert haben sich auch die Beschäftigungsaussichten im Einzelhandel und im Bauhauptgewerbe. Einzig im Großhandel sind die Personalplanungen nicht mehr so günstig wie im Vormonat. Das Geschäftsklima im verarbeitenden Gewerbe hat sich erneut aufgehellt. Die Industrieunternehmen berichten von einer weiter verbesserten Geschäftslage. Damit beurteilen sie zum vierten Mal in Folge ihre aktuelle Geschäftssituation günstiger. Die Befragungsteilnehmer sind merklich seltener von den vorhandenen Auftragsreserven enttäuscht. Lagerüberhänge bei den Fertigwaren konnten sie vollständig abbauen, und die Verkaufspreise planen sie vermehrt anzuheben. Der Optimismus der Industriefirmen hinsichtlich der Geschäftsentwicklung in den nächsten sechs Monaten hat sich dagegen etwas abgeschwächt. Das Exportgeschäft 1 Die ausführlichen Ergebnisse des ifo Konjunkturtests, Ergebnisse von Unternehmensbefragungen in den anderen EU-Ländern sowie des Ifo World Economic Survey (WES) werden in den »ifo Konjunkturperspektiven« veröffentlicht. Die Zeitschrift kann zum Preis von 75,– EUR/Jahr abonniert werden. 95 90 85 Geschäftserwartungen 80 75 2005 a) 2006 2007 2008 2009 2010 Verarbeitendes Gewerbe, Bauhauptgewerbe, Groß- und Einzelhandel. Quelle: ifo Konjunkturtest. Abb. 2 Geschäftsklima nach Wirtschaftsbereichen im Juni 2010 Salden, saisonbereinigte Werte 50 Klima positiv aber verschlechtert 40 Klima positiv und verbessert 30 20 verarbeitendes Gewerbe 10 Großhandel 0 -10 Einzelhandel Bauwirtschaft -20 -30 Klima negativ aber verbessert Klima negativ und verschlechtert -40 -50 -20 -16 -12 -8 -4 0 4 8 12 16 20 Veränderung in Prozentpunkten Quelle: ifo Konjunkturtest. Abb. 3 ifo Beschäftigungsbarometer Deutschland a) Gewerbliche Wirtschaft im Juni 2010 Indexwerte, 2000 = 100, saisonbereinigt 110 105 100 95 90 2005 a) 2006 2007 2008 2009 2010 Verarbeitendes Gewerbe, Bauhauptgewerbe, Groß und Einzelhandel. Quelle: ifo Konjunkturtest. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 70 Im Blickpunkt wird nach Ansicht der Unternehmen nicht mehr ganz so kräftig zunehmen wie bislang. Dennoch bewerten sie ihre Perspektiven für das Auslandsgeschäft weiterhin als sehr gut. Das Muster aus besserer aktueller Geschäftslage und reduziertem Optimismus hinsichtlich der Entwicklung in der nahen Zukunft zeigt sich bei den Vorleistungsgüterherstellern und bei den Investitionsgüterproduzenten. Während die Firmen im Vorleistungsbereich aber vermehrt Preiserhöhungen durchsetzen wollen, sind die Investitionsgüterhersteller vorwiegend zu Preisabschlägen bereit. Die Konsumgüterproduzenten rechnen etwas vermehrt mit Preisnachlässen, obwohl sie eine leicht günstigere Geschäftslage und bessere Geschäftsperspektiven erkennen. Abb. 4 a) Verarbeitendes Gewerbe Beurteilung der Fertigwarenlager 32 Salden saisonbereinigt, geglättet saisonbereinigt 28 24 20 16 12 8 4 0 -4 2005 Im Bauhauptgewerbe ist der Geschäftsklimaindex wieder gestiegen. Die Unternehmen äußeren sich etwas zufriedener über ihre Geschäftslage und sehen auch der weiteren Entwicklung zuversichtlicher entgegen. Den vorhandenen Auftragsbestand bewerten sie weniger skeptisch als im Mai. Die Zahl der Unternehmen, die über Auftragsmangel klagen, liegt deutlich unter dem Wert des Vorjahres. Die Geräteauslastung haben die Unternehmen intensiviert. Sie liegt spürbar über der Auslastung des entsprechenden Vorjahresmonats. Das Geschäftsklima hat sich sowohl im Tiefbau als auch im Hochbau aufgehellt. In beiden Sparten lasten die Firmen ihre Geräte stärker aus als im Vormonat und auch als im Vorjahresmonat. Im Hochbau verbesserte sich das Geschäftsklima durchgängig – im Wohnungsbau, im gewerblichen Hochbau und im öffentlichen Hochbau. Am markantesten ist dabei die Klimaverbesserung im öffentlichen Hochbau. Die aktuelle Geschäftslage und die Perspektiven schätzen die in diesem Bereich tätigen Unternehmen merklich günstiger ein als bislang. a) ifo Schnelldienst 12/2010 – 63. Jahrgang 2007 2008 2009 2010 Ohne Ernährungsgewerbe und Tabakverarbeitung. Quelle: ifo Konjunkturtest. Abb. 5 Bauhauptgewerbe Grad der Kapazitätsauslastung in Prozent 70 68 66 64 62 saisonbereinigt saisonbereinigt, geglättet 60 58 2005 Die befragten Großhändler sind mit ihrer momentanen Geschäftssituation wieder zufriedener. Ihre Erwartungen an den Geschäftsverlauf in den nächsten sechs Monaten sind von verhaltenem Optimismus geprägt und haben sich im Vergleich zum Mai kaum verändert. Insgesamt hat sich das Geschäftsklima im Großhandel daher leicht verbessert. Die Lagerbestände erachten die Befragungsteilnehmer seltener als zu hoch, und sie planen erneut häufiger Preisanhebungen. Da sich bereits seit einigen Monaten die Preisplanungen der Großhändler vermehrt auf Erhöhungen ausrichten, dürfte der Auftrieb bei den Großhandelspreisen tendenziell zunehmen. Das Geschäftsklima hat sich im Konsumgüterbereich aufgehellt. Im Produktionsverbindungshandel ist es dagegen nahezu unverändert. Allerdings sehen die Händler sowohl bei den Konsumgütern als auch bei den produktionsrelevanten Gütern ihre Lagerbestände seltener als zu hoch an. Uneinheitlich präsentiert sich das Geschäftsklima in den bauaffinen Großhandelssparten. Im Großhandel mit Elektroinstallationszubehör hat sich das Geschäftsklima stark aufgehellt. Insbesondere die Geschäftslage hat sich hier erheblich verbessert. Beim Installationsbedarf für Gas, 2006 Salden aus den Prozentsätzen der Meldungen über zu große und zu kleine Lagerbestände 2006 2007 2008 2009 2010 Quelle: ifo Konjunkturtest. Abb. 6 Großhandel Preiserwartungen Salden 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 -5 -10 saisonbereinigt saisonbereinigt, geglättet -15 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Salden aus den Prozentsätzen der Meldungen über steigende und sinkende Großhandelspreise Quelle: ifo Konjunkturtest. Im Blickpunkt Wasser und Heizung sowie bei den Baustoffen ist der Geschäftsklimaindex dagegen merklich gesunken. Abb. 7 Dienstleistungen Geschäftsentwicklung Das Geschäftsklima im Einzelhandel hat sich im Gegensatz zu den anderen Wirtschaftsbereichen etwas eingetrübt. Die Befragungsteilnehmer sind zwar mit ihrer augenblicklichen Geschäftslage weniger unzufrieden als im vergangenen Monat, die Geschäftsentwicklung im kommenden halben Jahr schätzen sie aber zurückhaltender ein. Die Warenbestände erachten die Einzelhändler weniger häufig als zu groß, und die Verkaufspreise wollen sie vermehrt anheben. Das ungünstigere Geschäftsklima im Einzelhandel ist hauptsächlich dem Lebensmittelbereich geschuldet. Im Verbrauchsund im Gebrauchsgüterbereich hat sich das Geschäftsklima dagegen gebessert. In beiden Sparten reduzierten sich die Lagerüberhänge, wobei die Gebrauchsgüterhändler nun insgesamt keine überhöhten Bestände mehr erkennen. Bei den Gebrauchsgütern planen die Händler auch vermehrt Preisanhebungen, während im Verbrauchsgüterbereich kaum noch Steigerungen geplant sind. Im Kfz-Einzelhandel ist der Geschäftsklimaindex ebenfalls gestiegen. Die Befragungsteilnehmer sind zwar ähnlich unzufrieden mit ihrer derzeitigen Geschäftssituation wie im Vormonat, hinsichtlich der Entwicklung im kommenden halben Jahr hat ihre Skepsis aber etwas abgenommen. Die Lagerbestände schätzen sie nun vorwiegend als zu klein ein, und die Verkaufspreise wollen sie wieder vermehrt erhöhen. Salden, nicht saisonbereinigt 40 Geschäftslage 30 20 10 0 Geschäftsklima -10 -20 Geschäftserwartungen -30 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Quelle: ifo Konjunkturtest. Hinsichtlich des weiteren Geschäftsverlaufs sind die Befragungsteilnehmer ähnlich optimistisch wie bislang. Die Mitarbeiterzahl wollen sie kräftig erhöhen. Das ifo Geschäftsklima im Dienstleistungsgewerbe2 hat sich im Juni – wie schon im Vormonat – kaum verändert. Hinter dem stabilen Geschäftsklima verbergen sich dieses Mal jedoch zwei gegenläufige Tendenzen: Die befragten Dienstleister berichten von einer besseren Geschäftslage als im vergangenen Monat. Der Geschäftsentwicklung im kommenden halben Jahr sehen sie dagegen etwas weniger positiv entgegen als bislang. Die Personalplanungen der Dienstleistungsfirmen sind aber nahezu unverändert auf Beschäftigungsaufbau ausgerichtet. Im Bereich Transport und Logistik hat sich das Geschäftsklima etwas eingetrübt. Die Unternehmen sind zwar in einer ähnlich guten Geschäftssituation wie im Vormonat, für die Geschäfte in der nahen Zukunft sind sie aber nicht mehr ganz so optimistisch. Sie rechnen damit, nicht mehr ganz so häufig Preissteigerungen durchsetzen zu können. Ihre Auftragsreserven und die Nachfragesituation bewerten sie aber günstiger als im Mai. Die DV-Dienstleister sind mit ihrer Geschäftslage ähnlich zufrieden wie im Vormonat. Auch ihre Perspektiven schätzen sie fast genauso gut ein wie bisher. Den Personalstamm planen sie wie bereits im Vormonat auszuweiten. Weiter verbessert hat sich das Geschäftsklima im Bereich Personalund Stellenvermittlung, Überlassung von Arbeitskräften – zu dem die Zeitarbeitsfirmen gehören. Die bereits gute Geschäftslage hat sich im Juni nochmals positiver entwickelt. 2 In den Ergebnissen für die »gewerbliche Wirtschaft« nicht enthalten. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 12/2010 71 6 2010 ifo Konjunkturperspektiven 37. Jahrgang Inhalt 1 Industrie: Geschäftslage wieder im positiven Bereich 13 Bauwirtschaft: Tiefbaufirmen deutlich zuversichtlicher 19 Großhandel: Moderate Aufwärtsentwicklung erwartet 25 Einzelhandel: Abnehmender Lagerdruck 31 Dienstleistungen: Geschäftsklima stabil 34 Beschäftigungsbarometer 35 Konjunkturindikatoren EU 39 Konjunkturindikatoren Weltwirtschaft Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München ifo Institut für Wirtschaftsforschung im Internet: http://www.cesifo-group.de