Hoher Wildbestand schadet Wäldern

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2 B AUERN Z EITUNG
THEMA DER WOCHE
7. FEBRUAR 2014
Hoher Wildbestand schadet Wäldern
Wildschaden / Nimmt der Wilddruck nicht ab, wird der Wald seine Schutzfunktion nicht mehr überall erfüllen können.
SIGRISWIL
n Der Schweizer
Wald muss verschiedene Funktionen erfüllen. Er ist ein Lieferant
von Holz, bietet Schutz vor Lawinen oder Murgängen, ist das Zuhause einer vielfältigen Fauna
und Flora und nicht zuletzt ist
der Wald auch Rückzugsmöglichkeit und Naherholungsraum
für den Menschen. Diesen unterschiedlichen Ansprüchen gerecht zu werden, erfordert ein
stabiles Gleichgewicht, das aber
in Gefahr ist.
Die Funktion des Schutzwaldes
wird beeinträchtigt
«Der hohe Wildbestand ist zur
Zeit eines der grössten Probleme,
das wir in der Waldwirtschaft haben.» Hans Stauffer, Betriebsleiter und Förster vom Forstbetrieb
Sigriswil BE, wählt klare Worte.
Er weiss auch warum. In seinem
Betrieb, der immerhin 4300 ha
Wald umfasst und damit zu den
grössten der Schweiz gehört, gibt
es zahlreiche Wildschäden. Rehe
gibt es im Wald rund um den
Thunersee schon lange, und
auch der Hirsch ist nicht ganz
neu. Neu aber sind die hohen
Wildbestände und die daraus resultierenden Schäden, die der
Wald alleine nicht mehr kompensieren kann. «Der Druck ist
zu gross», sagt Stauffer, und: «Die
Stabilität der Bestände ist langfristig nicht mehr gewährleistet.»
Vor allem die für die höheren
Lagen standortgerechte Weisstanne hat mit dem hohen Wilddruck zu kämpfen. «Wir verlieren
die Weisstanne», schlägt Hans
Stauffer Alarm. Problem ist der
so genannte Verbiss. Reh und
Hirsch fressen die noch junge
Tanne, so dass sie sich nicht
mehr weiterentwickeln kann
und eingeht. Gerade im Voralpen- und Alpenraum erfüllt die
Weisstanne als Baumart, die
auch in schattigen Wäldern gut
und schnell wächst, eine wichtige Funktion im Schutzwald. Der
hohe Wilddruck gefährdet diese
Funktion, da die Verjüngung des
Weisstannenbestands
nicht
mehr gewährleistet ist. Fällt die
Weisstanne grossflächig aus, ist
die Stabilität der Wälder beeinträchtigt. Der Bestand wird anfällig gegenüber Sturm.
Niedlich anzusehen ist es ja, das Rotwild. Doch werden es zu viele, können sie gravierende Schäden im Wald anrichten. «Die Erhaltung respektive Wiederherstellung von standortgerechten Wäldern wird in Zukunft
sehr hohe Kosten verursachen»,
ist sich Hans Stauffer sicher.
Auch der Mensch leistet seinen Beitrag zum Problem. Der
Wald als Erholungsgebiet hat
viele Besucher. Dauernde Störung der Wildtiere in ihrem Lebensraum führen erwiesenermassen zu mehr Wildschäden an
Waldbäumen.
Schutz der jungen Bäume
ist schwierig und aufwendig
Vor allem Weisstannen mit
kleinem Durchmesser fehlen allmählich in den Schweizer Wäldern. Schützen lassen sich die
jungen Bäume grossflächig
kaum. Eine Möglichkeit ist der
Einzelschutz. Dabei können zum
Beispiel Einzelkörbe um den
jungen Baum gelegt werden.
Auch ein chemischer Schutz, bei
dem die jungen Bäume bespritzt
werden, ist eine mögliche Lösung. Doch der Aufwand für einen einzelnen Waldbesitzer ist
riesig, da der chemische Schutz
während einigen Jahren wiederholt werden sollte. Ab ungefähr
1,5 Meter sei die Tanne zwar sicher vor Rehen, aber noch lange
nicht vor dem Hirsch.
Wirtschaftlichkeit des Waldes
nimmt stetig ab
Doch nicht nur die Funktion
des Schutzwaldes ist gefährdet,
denn auch in punkto Wirtschaftlichkeit entstehen aufgrund der
Wildschäden grosse Einbussen.
Insbesondere auch die Schäl­
schäden sind für Wirtschaftlichkeit Gift. Bäume, bei denen der
Hirsch die Rinde abschält, dienen nur noch für minderwertige
Produkte, wie z. B. Holzschnitzel.
«Der Stamm wird faul», erklärt
Hans Stauffer weiter.
Doch diese Argumente werden nicht gehört. «Das Problem
ist, dass die Gesellschaft den
Wald nicht als Business anerkennt», analysiert der Förster
weiter. Das Forstbetrieb Sigriswil
muss sich aus der Holzproduktion finanzieren. Ertragsausfälle
durch Wildschäden wiegen
schwer und schränken die Möglichkeiten auch privater Waldeigentümer ein. Als Betriebsleiter
ist für ihn klar: die Holzproduktion steht über der Biodiversität,
denn je weniger der Wald bewirtschaftet wird, umso tiefer ist
auch die Artenvielfalt. Die meisten Jungwaldbestände sind
wildbestimmt. D. h., Buche und
Fichte, die vom Wild weniger angegangen werden, breiten sich
zulasten der Artenvielfalt aus.
(Bild Fotalia)
Waldbesitzer sollen ihren
Schaden melden
Ein Waldstück mit massiven Schälschäden oberhalb Sigriswil BE.
Die Rinde wird so stark beschädigt, dass das Bauminnere faul ist.
Betriebsleiter und Förster Hans
Stauffer.
(Bilder Julia Schwery)
Je nach Wildbestand können
die Schäden im Waldbestand
massiv sein. Vor allem die Folgeschäden wie die Fäulnis des
Stamms. Teilweise könne man
die Schäden gar nicht richtig erfassen, z. B. wenn ein ganz junger
Baum gefressen werde, erklärt
Hans Stauffer weiter. Der Förster
appelliert deshalb an die Waldbesitzer, ihre Schäden geltend zu
machen. Im Kanton Bern müsse
ein Formular ausgefüllt werden,
danach folgt eine gemeinsame
Besichtigung des Wildhüters, des
Revierförsters und des Waldbesitzers. So sei zumindest ein Teil
des Schadens ausgeglichen.
Der Forstbetrieb Sigriswil
hat auf diesem Weg bereits einige Schäden aufgenommen
und gemeldet. Die Resultate
sind ernüchternd. Nicht einmal
die Investitionskosten, die der
Waldbesitzer bis zu diesem
Zeitpunkt mit dem betroffenen
Waldstück hatte, können abgedeckt werden. «Ganz zu schweigen vom Ertragsausfall», ergänzt
Stauffer. Er beobachtet, dass
Waldbesitzer bis jetzt sehr zurückhaltend sind, wenn es darum geht, Schäden im Wald zu
melden.
Mögliche Lösungen für den
hohen Wilddruck sieht Stauffer
nur in der Regulierung der Wildbestände. «Da der natürliche
Feind fehlt, muss die Jagd ihren
Beitrag leisten», ist er sich sicher.
Konzepte auf Papier brächten
dem Wald hingegen wenig.
Julia Schwery
Vollzugshilfe «Wild & Wald»
Der Hirschbestand (rot) steigt, der Rehbestand (grün) ist auf hohem Niveau stabil.
Sowohl das Wild wie auch der
Wald sind beim Bundesamt für
Umwelt (Bafu) angesiedelt. Im
Jahr 2010 hat das Bafu eine Vollzugshilfe «Wild & Wald» veröffentlicht. Die Vollzugshilfe definiert die Vorgehensweise bei
Wald-Wild-Problemen.
Darin definiert ist unter anderem das Ziel, dass die Erhaltung
des Waldes, insbesondere seine natürliche Verjüngung mit
standortgerechten Baumarten,
durch die Wildhuftiere nicht verhindert werden darf. Das Bafu
empfiehlt daher in der Vollzugshilfe, die notwendige Reduktion
des Verbissdrucks nicht alleine
über eine verstärkte Bejagung
(Grafik Eidg. Jagdstatistik)
und forstliche Massnahmen anzugehen, sondern weitere Akteure wie Landwirtschaft, Raumplanung und Tourismus im Sinne
eines integralen Ansatzes nicht
zu vergessen und miteinzubeziehen.
Zentrales Element der Vollzugshilfe ist die Erstellung und
Umsetzung von Wald-Wild-Konzepten. Mit diesen klaren Vorgaben sollen die teilweise intensiven Diskussionen zwischen
Jagd- und Waldbehörden in den
Kantonen auf eine sachliche Basis gestellt werden.jsc
[www] www.bafu.admin.ch/publikationen/
publikation/01542/index.html?lang=de
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