Der Risikopatient – Arzneimittelinteraktionen bei multimorbiden Patienten Lerninhalte • • • • • • • Erkennen von Risiken anhand von Fallbeispielen („Risikodreieck“) Erkennen von Therapiefehlern Schmerztherapie mit Opioiden und/oder Nicht-OpioidAnalgetika bei Patienten mit Leberinsuffizienz Schmerztherapie bei Asthma bronchiale Interaktionen mit Theophyllin Nebenwirkungen von Theophyllin (geringe therapeutische Breite!) erkennen Stufenplan und Langzeittherapie des Asthma bronchiale Fall 1 Fall 2 Fall 3 Der Risikopatient – Fall 1 Zurück Risikodreieck Welche Schmerztherapie würden Sie empfehlen? • Bei H.K., einer 48-jährigen Frau, ist vor 6 Monaten ein inoperables Mundbodenkarzinom diagnostiziert worden. Es wurde eine palliative Bestrahlung durchgeführt, die zu einer vorübergehenden Besserung geführt hatte. Vor 8 Wochen musste eine Ernährungssonde gelegt werden, da eine orale Nahrungsaufnahme nur noch bedingt möglich war. • Sie hat starke Weichteil- und Schluckschmerzen (Zungengrund, Halsweichteile). • Aus der Anamnese ist ein Alkoholmissbrauch bekannt. Vor 2 Jahren wurde eine alkoholtoxische Leberzirrhose diagnostiziert. Allgemeine Anamnese H.K. hat eine Medikamentenallergie gegen Penicillin. Seit ihrer Kindheit leidet sie an Asthma bronchiale. Diesbezüglich wird sie von ihrem Hausarzt behandelt mit: Prednisolon 10 mg 1 x tgl., aufgelöst über PEG, seit einigen Tagen auch mit Theophyllin 250 mg, 1 - 0 - 1 Retardkapseln, aufgelöst über PEG und Ipratropiumbromid/Fenoterol als Dosieraerosol bei Bedarf. Ihre asthmatischen Beschwerden sind dadurch gut eingestellt. Vor 1 Tag wurde bei der Patientin ein Harnwegsinfekt diagnostiziert, der ebenfalls vom Hausarzt aktuell mit dem Gyrasehemmer Ciprofloxacin über 3 Tage therapiert wird. Schmerzanamnese und -therapie Zur Behandlung der Schmerzen hat ihr der Hausarzt Tilidin + Naloxon verordnet. Obwohl H.K. bereits deutlich mehr einnimmt (80 Tropfen alle 3 h), als der Hausarzt verschrieben hat (40 Tropfen alle 6 h), leidet sie weiterhin unter starken Schmerzen. Sie kommt jetzt akut mit starken Schmerzen, Unruhe, Übelkeit und Tachykardie in die Klinik. Welche Schmerztherapie würden Sie empfehlen? Anamnese und Diagnosen: • • • • • • • • Z. n. Mundbodenkarzinom, Bestrahlung Alkoholbedingte Leberzirrhose Asthma bronchiale Harnwegsinfekt Penicillin-Allergie Starke Schmerzen Unruhe, Übelkeit Tachykardie Arzneimittelanamnese Aktuelle Arzneimittel - Dosierungen: • Prednisolon 10 mg 1-0-0 • Theophyllin retard (250 mg) 1-0-1 • Ipratropiumbromid + Fenoterol DA bei Bedarf • Ciprofloxacin 250 mg 1-0-1 • Tilidin + Naloxon (Tropfen) 80 alle 3h (Penicillin-Allergie!) Welche Fehler wurden gemacht? Welche Therapie ist notwendig und indiziert? Symptome und ihre möglichen Ursachen Starke Schmerzen: Mundbodenkarzinom, Therapiefehler Unruhe, Übelkeit unerwünschte Arzneimittelwirkung von Theophyllin Tachykardie: unerwünschte Arzneimittelwirkung von Theophyllin Therapierisiken und -fehler • Schmerztherapie insuffizient, wegen Leberinsuffizienz und Gabe falscher Formulierung • Asthmatherapie nicht nach Leitlinie für die Langzeittherapie • Interaktion: Theophyllin mit Ciprofloxacin, Theophyllin-Spiegel erhöht (Nebenwirkungen) • Theophyllin-Spiegel-Erhöhung wegen Leberinsuffizienz • Therapie der akuten unkomplizierten Zystitis nicht nach Leitlinie Opioide bei Leberinsuffizienz Morphin Problem Empfehlung o.BV , Cl , HWZ orale Dosis vermeiden Tilidin/Naloxon L-Methadon Buprenorphin Fentanyl Oxycodon Hydromorphon HWZ , AUC ? Kinetik unverändert HWZ Cl , BV Dosis ? normale Dosis Dosisreduktion Dosisreduktion Opioide bei Niereninsuffizienz Morphin Problem Empfehlung M-6-G kumuliert vermeiden Tilidin/Naloxon L-Methadon normale Dosis Kumulation normale Dosis Buprenorphin Fentanyl Oxycodon Dosisreduktion Cl bei Urämie ↓ Cl ↓ Hydromorphon H3G kumuliert Dosisreduktion Dosisreduktion Dosisreduktion? Tilidin-Aktivierung, Naloxon-Deaktivierung Tilidin Naloxon N COOC 2H 5 Tilidin Naloxon H N Nortilidin COOC 2H 5 Nortilidin Naloxone-3-Glucuronid Naloxol Naloxol-3-Glucuronid Tilidin + Naloxon bei Leberinsuffizienz Tilidin Naloxon Keine ausreichende analgetische Wirkung? Theophyllin – Pharmakokinetik Theophyllin-Kinetik Perorale BV 95 % PEB 50 – 60 % Clearance* Erwachsene Kinder 0,7 ml/kg/min 1 – 1,5 ml/kg/min Vd 0,5 l/kg t1/2 ca. 8 h Loading Dose 5 mg/kg effektive Konz. 5-15 mg/l toxische Konz. >20 mg/l Anorexie, Übelkeit, Angst, Erbrechen, Kopfschmerzen ab 40 mg/l Krampfanfälle, Arrhythmien Theophyllin hat eine sehr geringe therapeutische Breite. Steigerung der Theophyllin-Clearance durch: • Barbiturate • Phenytoin • Rifampicin • Zigarettenrauchen Abnahme der Theophyllin-Clearance durch: • Cimetidin • orale Kontrazeptiva • Erythromycin • Ciprofloxacin u. a. Abnahme der Clearance bei: • Leberzirrhose • schwerer Herzinsuffizienz Theophyllin – Nebenwirkungen • Tachykardie, Arrhythmie, • Positive Inotropie • Diurese ↑ • Periphere Vasodilatation • Zentrale Stimulation – Schlafstörung – Krampfanfall • Zentrale Vasokonstriktion • HCl-Sekretion ↑ • Übelkeit, Erbrechen Aufgrund der Nebenwirkungen und geringen therapeutischen Breite hat Theophyllin an Bedeutung verloren. Theophyllin • Bei Dauertherapie: Spiegel von ca. 10 mg/l anstreben • Bei > 20 mg/l: hohe Rate der Nebenwirkungen • Kritischer Einsatz wegen Nebenwirkungen Antiasthmatika-Verschreibungen in den USA Stafford RS et al. J Allergy Clin Immunol 2003;11(4):729 – 35 Grade der Asthmakontrolle Mutschler E et al. Arzneimittelwirkungen. 10. Aufl., Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft , 2012 Therapiestufen und Langzeittherapie des Asthma bronchiale Mutschler E et al. Arzneimittelwirkungen. 10. Aufl., Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2012 Asthmatherapie? 1. Theophyllin absetzen, Prednisolon ausschleichen 2. Behandlung nach Leitlinie 3. Glukokortikoid per inhalationem, u. U. in Kombination mit einem inhalativen langwirksamen ß2-Mimetikum (Dauertherapie) 4. Rasch und kurz wirksames inhalatives ß2-Mimetikum als Bedarfsmedikation 5. Anticholinergika (z. B. Ipratropiumbromid) haben keinen Vorteil bei Asthma bronchiale. Welche Schmerztherapie? Opioide? Opioide bei Leberinsuffizienz, z. B.: • L-Methadon (Tropfen) oder • Fentanyl (TTS) Nicht-Opioide? Beachte: • Kein traditionelles NSAR wegen Asthma bronchiale • Kein Paracetamol wegen Leberinsuffizienz • Metamizol problematisch (u. a. Allergie) • Coxib erscheint am ehesten möglich. Arzneimittelempfehlungen Arzneimitteldosierungen: • z. B. Budesonid/Formoterol 2 x tgl. 1 – 2 Inhalationen • z. B. Salbutamol DA bei Bedarf • z. B. L-Methadon (5 mg/20 Topfen) nach Titration • z. B. Coxib Dosierung nach Fachinfo (bei Bedarf) Der Risikopatient – Fall 2 Zurück Risikodreieck Welche Schmerztherapie würden Sie empfehlen? C.F., ein sonst gesunder 52-jähriger Mann, berichtet: „Ich habe seit 5 – 6 Jahren Rückenschmerzen und immer wieder auch Probleme mit den Kniegelenken. Aber das ging immer halbwegs, bis ich vor 7.Monaten nach und nach immer antriebsloser und schwermütiger wurde.“ Er habe sogar an Selbstmord gedacht. Sein Hausarzt schickt ihn zum Psychiater, der eine Depression feststellte. „Ich glaubte es erst nicht, aber unter den Tabletten ging es mir doch besser, aber seit 3 Monaten ist alles schlimmer, ich bin müde und auch körperlich schlapp, ich glaube, ich vertrage diese Tabletten nicht mehr ...“ Schmerz- und sonstige Anamnese • Seit ca. 8 Jahren meistens lokal, selten ausstrahlende Rückenschmerzen, dann überwiegend rechts ins Bein (bisweilen in die Großzehe) • Vor 6 Jahren an einem Bandscheibenvorfall operiert, Taubheit seitdem weg, nur der Fuß hänge etwas, manchmal würde er darüber stolpern • Seit 1 Jahr wechselnd beidseitig Knieschmerzen, manchmal seien die Kniegelenke auch geschwollen, aber mit etwas Schonung, einmal auch nach Akupunktur, würde sich das immer wieder zurückbilden • Sonst sei er nie ernsthaft krank gewesen, kein Herz-, Lungen-, Leber- oder Nierenleiden. Er habe auch Medikamente gut vertragen und nie etwas mit dem Magen gehabt. Medikamentenanamnese Aktuelle Medikation: • Diclofenac (50 mg) 1-1-1 • Citalopram (60 mg) 1-0-0 • Tilidin + Naloxon (50 mg Tilidin/ 20 – 40 Tropfen bei Bedarf (2 – 3 Woche) 0,72 ml ≈ 20 Tropfen) Klinische Befunde/Laborwerte Blasser, erschöpfter Pat. in sonst altersgemäßem Zustand, bedrückt, aber affektiv schwingungsfähig, RR 120/70, HF 95 – 100, sonst keine internistischen Auffälligkeiten, WS bis auf Narbe LW4/5 und lumbale Steilstellung unauffällig, Beweglichkeit altersgemäß bis auf die endgradige Beweglichkeitseinschränkung im Kniegelenk, neurologisch unauffällig bis auf fehlenden ASR und Fußheberschwäche (KG 2 – 3) rechts Laborbefunde: Hb 9,4 g/dl, Hkt 34 %, Leukozytose, sonst unauffällige Blut-, Leber- und Nierenwerte Welche Diagnostik ist zuerst notwendig? Welche Therapie ist notwendig? Welche Fehler wurden gemacht? Diagnosen Schmerzdiagnosen: • chronischer Rückenschmerz mit radikulärer Schmerzausstrahlung im Dermatom L5 rechts bei altem Wurzelsyndrom mit Peroneusparese • mittelschwere nicht OP-würdige Gonarthrose ohne Aktivitätszeichen Aktuelle Verdachtsdiagnosen: • erneute depressive Episode bei bekannter unipolarer Depression • chronische (?) Anämie unklarer Genese Diagnosen Welche Diagnostik ist zuerst notwendig? • Gastro-Duodenoskopie Ulcus ventriculi, Helicobacter pylori negativ, zurzeit nicht blutend Symptome und ihre möglichen Ursachen Anämie, Ulcus ventriculi unerwünschte Arzneimittelwirkung (Diclofenac) und Arzneimittelinteraktion Welche Fehler wurden gemacht? Diclofenac: aber: • ist ulzerogen • bei fehlenden Risikofaktoren auch ohne PPI erlaubt Interaktion Diclofenac und Citalopram (SSRI) nicht beachtet http://leitlinien.net/ http://dgrh.de/qualitaetssicherung.html Fischbach W et al. S3-Leilinie Helicobacter pylori. Z Gastroenterol 2009;47:88 – 89; Qualitätssicherung in der Rheumatologie. 2. Aufl, 2008.; DGRh-Leitlinie, Management der frühen rheumatoiden Arthritis. 2. Aufl., 2007 SSRI und Blutungsgefahr • Serotonin wichtig für Thrombozytenfunktion, die durch hochselektive Re-Uptake-Inhibitoren irreversibel gestört wird (90 % Depletion nach 2 Wochen Behandlung) • daher erhöhte Blutungsgefahr bei vorhandenem Ulkus oder gastrointestinaler Läsion • SNRI wie Venlafaxin erhöhen dosisabhängig die GI-Blutungsrate, für Duloxetin gibt es wenig Daten • Risikoerhöhung bei gleichzeitiger Gabe von tNSAR (> 2- bis 10-fach) • Seit 2000 wurden 2964 Fallberichte über GI-Blutungen unter einer SSRI-Therapie bekannt, 135 davon schwere (WHO-Datenbank). Dalton SO et al. CNS Drugs 2006;20(2):143 – 151 Thrombozytenfunktion Blockade durch ADP Clopidogrel Adrenalin Serotonin Hemmung durch SSRI SerotoninReuptake Thromboxan A2 Thrombozyten ohne eigene SerotoninSynthese Arachidonsäure Serotonin-Speicherung in Granula Freisetzung bei Thrombozytenaktivierung Reed GL et al. Blood 2000:96(10):3334 – 3342 Frankhauser P et al. Thromb Haemost 2008;100(6):1201 – 1203 Mutschler E et al. Arzneimittelwirkungen. 10. Aufl., Stuttgart: WVG, 2012 COX-1 TxA2 Hemmung durch NSAR Aktivatoren der Thrombozytenaggregation ADP Adrenalin Thromboxan A2 Serotonin Thrombozyten ohne eigene SerotoninSynthese SerotoninAufnahme durch SerotoninTransporter SERT SerotoninSpeicherung in Granula Reed GL et al. Blood 2000:96(10):3334 – 3342 Frankhauser P et al. Thromb Haemost 2008;100(6):1201 – 1203 Mutschler E et al. Arzneimittelwirkungen. 10. Aufl., Stuttgart: WVG, 2012 Arachidonsäure Thromboxan-A2Synthese über Cyclooxygenase-1 COX-1 TxA2 Aktivatoren der Thrombozytenaggregation Thrombozytenaktivierung Serotonin-Freisetzung durch Degranulation der Serotonin-Granula Steigerung der TxA2-Synthese und -Freisetzung Thrombusbildung u.a. durch rezeptorvermittelte TxA2und Serotonin-Wirkung Serotonin Thrombozyten ohne eigene SerotoninSynthese SerotoninAufnahme durch SerotoninTransporter SERT SerotoninSpeicherung in Granula Reed GL et al. Blood 2000:96(10):3334 – 3342 Frankhauser P et al. Thromb Haemost 2008;100(6):1201 – 1203 Mutschler E et al. Arzneimittelwirkungen. 10. Aufl., Stuttgart: WVG, 2012 Arachidonsäure Thromboxan-A2Synthese über Cyclooxygenase-1 COX-1 TxA2 Beeinflussung der Thrombozytenaggregation Beeinflussung der Thrombozytenfunktion Reuptake-Inhibition durch serotonerg wirksame SSRI und SNRI Depletion der Serotonin-Granula Inhibition der Cyclooxygenase-1 durch NSAR Hemmung der TxA2-Synthese Einschränkung der Thrombusbildung Steigerung der Blutungsneigung Serotonin Hemmung durch SSRI SerotoninReuptakeInhibition Thrombozyten ohne eigene SerotoninSynthese SerotoninSpeicherung in Granula Reed GL et al. Blood 2000:96(10):3334 – 3342 Frankhauser P et al. Thromb Haemost 2008;100(6):1201 – 1203 Mutschler E et al. Arzneimittelwirkungen. 10. Aufl., Stuttgart: WVG, 2012 Arachidonsäure Thromboxan-A2Synthese über Cyclooxygenase-1 COX-1 TxA2 Hemmung durch NSAR Gastrointestinales Blutungsrisiko 1321 Patienten mit Blutungen im oberen GI-Trakt vs. 10 000 Kontrollen Risikobeeinflussung unter Einnahme von SSRIs, SNRIs und NSARs vs. non-use Odds Ratio 5 Sertralin Fluoxetin Paroxetin Citalopram Escitalopram 4 3 2 1 Serotonin-NoradrenalinReuptake-Inhibitoren Selektive SerotoninReuptake-Inhibitoren 1 1,6 4,8 Venlafaxin Duloxetin 2,9 2,8 SNRIs NSAIDs 1,8 0 non-use SSRIs SSRIs plus SNRIs SRIs plus NSADs de Abajo FJ et al. Arch Gen Psychiatry 2008;65(7):795 – 803 – General Practice Database – Great Britain – 01.01.2000 – 31.12.2005 Gastrointestinales Blutungsrisiko (NSAR-unabhängig) Einteilung der Antidepressiva nach Affinität zum Serotonin-Transporter (Auswahl) Hazard Ratio: 1,0 niedrige Affinität u.a. Doxepin, Maprotilin, Mirtazapin (Referenz) mittlere Affinität u.a. Venlafaxin, Duloxetin, Imipramin, Amitriptylin Hazard Ratio: 1,1 (0,88 – 1,4) hohe Affinität Paroxetin, Sertralin, Fluoxetin, Escitalopram, Citalopram Hazard Ratio: 1,38 (1,11 – 1,71) p < 0,01 erhöhtes Risiko psychiatrischer Patienten bei Monotherapie mit SSRI und erhöhter Affinität Lee YC et al. J Clin Psychopharmacol 2012;32(4):518 – 524 Gastrointestinales Blutungsrisiko Metaanalyse mit 153000 Patienten zur Risikobeeinflussung für Blutungen im oberen GI-Trakt unter Einnahme von SSRIs, NSARs und der Kombination aus SSRI und NSARs 7 Odds Ratio 6,33 6 5 4 3 2,36 3,16 2 1 0 SSRIs Loke YK et al. Aliment Pharmacol Ther 2008;27(1):31 – 40 NSAIDs SRIs plus NSAIDs Einteilung der Antidepressiva Klasse Name Mechanismus Vertreter (Auswahl) Analgetische Effekte TCA trizyklische Antidepressiva nichtselektive 5-HT-/NAWiederaufnahme-Inhibition Amitriptylin, Doxepin ja SNRI Serotonin-NoradrenalinReuptake-Inhibitoren selektive 5-HT-/NAWiederaufnahme-Inhibition Venlafaxin, Duloxetin ja SSRI selektive SerotoninReuptake-Inhibitoren selektive 5-HTWiederaufnahme-Inhibition Fluoxetin, Sertralin, Citalopram, keine oder geringe tetrazyklische Antidepressiva Ähnlich wie trizyklische Antidepressiva, jedoch fehlende SerotoninReuptake-Inhibition und schwacher H1Antagonismus Mirtazapin fraglich (sicher: Kopfschmerz) Zeitweilig absetzen oder umstellen? SSRI (Citalopram) umsetzen auf trizyklisches Antidepressivum? Gegen eine weitere Gabe spricht: • erhöhtes Blutungsrisiko bei nicht abgeheiltem Ulkus Gegen eine Umstellung spricht: • keine Suizidgedanken, relativ stabile psychiatrische Situation unter Citalopram • Risiken bei Ab- und Umsetzen Für Umstellung auf trizyklisches AD spricht: • kein Effekt auf Thrombozytenfunktion • Ko-analgetische Wirkung TCA oder SNRI nutzen für den radikulären Rückenschmerz Erste Maßnahmen • Ulkus abheilen lassen • Diclofenac absetzen, PPI bis zur Abheilung (z. B. Omeprazol 20 mg/d) • Citalopram belassen oder ausschleichen, umstellen auf Duloxetin (Titration über 1 Woche bis auf 60 mg/Tag) wegen seiner analgetischen Wirksamkeit (bei neuropathischem Schmerz) • Kontrollgastroskopie in 3 – 4 Wochen http://www.leitlinien.de/leitlinienmethodik/clearingverfahren http://www.versorgungsleitlinien.de/themen/depression Welche Schmerztherapie zur Überbrückung? 1–1–1–1 • Paracetamol 500 mg oder max. 2 – 2 – 2 – 2 • Metamizol 500 mg falls nicht ausreichend • Tilidin (50 mg) u. Naloxon (4 mg) Retard-Tbl. fest: 1–1–1 Verlauf nach 3 Wochen Kontrollgastroskopie: Ulkus abgeheilt Schmerzstärke aber zu hoch (5 - 6 NRS gegenüber früher 2 -3) daher Neueinstellung: 1– 0 –1 • Diclofenac (75 mg) plus • Omeprazol (20 mg) 1–0–0 oder • Diclofenac (75 mg) und Misoprostol 1–0–1 SSRI ? • Coxib (z.B.Celecoxib 200 o. Etoricoxib 90mg?) 1 – 0 – (1) Abschluss Aktuelle Medikation: • Celecoxib (200 mg) 1 – 0 – (1) • Duloxetin (60 mg) 1–0–0 • Omeprazol (20 mg) 1–0–2 • Tilidin (50 mg) + Naloxon (4 mg) als Retard-Tbl. 1–1–1 • Etoricoxib (90 mg?) ??? Background-Folien PPI oder Misoprostol sind indiziert für eine tNSAR-Behandlung • Patienten über 60 Jahre • positive Magen-Darm-Anamnese, besonders bei positiver Ulkusanamnese • schwere Allgemeinerkrankung NSAR-Gastropathie Ereignisraten in der Übersicht alle NSAR-Patienten (100 %) ohne Beschwerden ca. 70 % Schleimhautschäden ca. 30 -50 % Magenbeschwerden mit Beschwerden ca. 12 -28% Ulzera ca. 0,4 % Magenblutung, Perforation Bolten WW. MMW Fortschr Med 2005;147(31 – 32):24 – 27 Risiko gastrointestinaler Blutungen Altersabhängige Ereignishäufigkeit Altersgruppen (Zahlenangaben in Jahren) Pérez Gutthann S et al, Epidemiology. 1997;8: 18-24. FDA. Available at:http//www.fda.gov/ohrms/dockets/ac/05/slides/2005-4090s1.htm. Differenzierung von Rückenschmerzen „Mechanische“ Rückenschmerzen (~ 80 %) nicht radikulär • Muskulär/ligamentär Wurzelreiz-/Kompressionssyndrome • Bandscheibenvorfall • Spinalkanalstenose • Zwischenwirbelgelenke • Spondylolisthese • Diskogen Entzündungen • Iliosakralgelenk Metabolische Knochenerkrankungen • Chronisch-rheumatische Erkrankungen Maligne Erkrankungen Viszerale Ursachen (~ 2 %) SCHMERZ Psychogene Faktoren Auslöser, Aufrechterhaltung, Chronifizierung MRT Aufnahme vor 1 Jahr Zustand nach OP LWK 4/5 Narbe L5 (+L4) re Higher rate of upper GI tract bleeding with concomitant SSRI vs either aspirin or tNSAID alone (Retrospective analysis) O/E (95% CI)* RD per 1000 patient year** SSRI 3.6 (2.7─4.7) 3.1 SSRI + tNSAID 12.2 (7.1─19.5) 16.3 SSRI + ASA*** 5.2 (3.2─8.0) 12.4 tNSAID 4.5 (3.9─5.2) not provided ASA*** 2.5 (2.2─2.9) not provided * O/E=Ratio of observed / expected ** RD=Rate difference of treatment versus no treatment group *** Low-dose ASA 1. Modifiziert nach Dalton SO et al. Arch Intern Med 2003;163(1):59 – 64 Antidepressiva Wirkmechanismus: Wiederaufnahme von NA und 5-HT wird präsynaptisch gehemmt, bei nichtTCA selektiv zentrale deszendierende Hemmung wird verstärkt zentrale Transmitterkonzentration steigt anticholinerg Venlafaxin: in niedriger Dosis nur Serotonin-Reuptake gehemmt, NA erst in höherer Dosis Antidepressiva Nebenwirkungen: Agranulozytose, Neutropenie (Mirtazapin) Schwindel, anfänglich Müdigkeit, schlafanstoßend (Mirtazapin niedrigdosiert) Übelkeit, Erbrechen, Gewichtsveränderung Mundtrockenheit, Obstipation, Miktionsstörung, sexuelle Funktionsstörungen Tremor, Hypotension, Herzrhytmusstörungen Cave: Glaukom, Pylorusstenose, Miktionsstörung, Reizleitungsstörungen, Herzinsuffizienz, Epilepsie; Therapie mit MAO-Hemmern und Triptanen; Dosisanpassung bei Leber- und Nierenfunktionsstörung Trizyklische Antidepressiva Amitriptylin Startdosis: 10 – 25 mg (altersabhängig) Dosierung: 0–0–1 Wirksame Dosis: 10 – 25 mg (50 – 75 mg?) Clomipramin Startdosis: 10 – 25 mg (altersabhängig) Dosierung: 0–0–1 Wirksame Dosis: 10 – 25 mg (50 – 75 mg?) • Zulassung: chronische Schmerzen • Evidenz: PZN , PNP , Neuralgie , Stroke • NNT (schmerzhafte PNP): 2,1 Andere Antidepressiva Wirkmechanismus: • Wiederaufnahme von NA und 5-HT wird präsynaptisch selektiv gehemmt. • Keine zusätzliche Rezeptorblockade wie TCA verträglicher • Venlafaxin: in niedriger Dosierung nur Serotonin-Reuptake gehemmt, NA erst in höherer Dosierung • Mirtazapin: prä- und postsynaptische Blockade von 2-Adrenorezeptoren Serotonin- und NA-Freisetzung steigt/selektive Blockade serotonerger Rezeptoren Nebenwirkungen¹: Schwindel, anfänglich Müdigkeit, schlafanstoßend (Mirtazapin niedrigdosiert), Übelkeit, Erbrechen, Gewichtsabnahme bzw. -zunahme (Mirtazapin), Mundtrockenheit, Obstipation, sexuelle Funktionsstörungen (Venlafaxin), Agranulozytose und Neutropenie (Mirtazapin) ¹ zu vollständigen Nebenwirkungen vgl. Fachinformation Andere Antidepressiva Venlafaxin retard Startdosis: 37,5 mg Dosierung: 1–0–0 Wirksame Dosis: 75 mg (225 mg) • • • Duloxetin Startdosis: 30 – 60 mg Dosierung: 1–0–0 Wirksame Dosis: 60 mg (60 mg) Zulassung: schmerzhafte, diabetische PNP (Duloxetin) Evidenz: PNP NNT (painful PNP): 4,1 (Duloxetin) Andere Antidepressiva Mirtazapin Startdosis: 7,5 – 15 mg Dosierung: 0–0–1 Wirksame Dosis: 15 – 30 mg (45 mg) Antidepressiva (wichtigste Regeln) • • • • • • • • • Über Schmerzindikation aufklären Analgesie: 10 – 50 % der antidepressiven Dosis, nicht „viel hilft viel“ Analgetischer Effekt erst nach Tagen bis Wochen Substanzen verwenden, deren Effekte man kennt Vorsichtig einschleichen, dann retardiert Hinweis auf anticholinerge Nebenwirkungen Individuell: sedierende Komponente nachts Aktivierende Komponente tagsüber Aufdosierung, wenn Depression WHO-Stufe Ill transdermal Wirkstoff Tagesdosis (mg) Wirkungsdauer (h) Fentanyl TTS 0,6 – 2,4 (transdermal!) 48 – 72 Buprenorphin TTS 0,84 – 1,68 (transdermal!) 48 – 72 Diener HC et al. Das Schmerztherapie-Buch. München: Urban & Fischer, 2003 Levomethadon Vorteile: • Liegt als REINES Enantiomer vor • Evtl. NMDA-antagonistische Wirkung • Rascher Wirkeintritt bei langer Wirkdauer • Oral (Tropfen) und Ampullen verfügbar • Individuelle Feintitration möglich (Tropfen) • Weniger Histaminfreisetzung Nachteile: • Sehr variable Eliminationshalbwertzeit (bis 72 h) länger als Wirkdauer • Ebenso Wirkdauer variabel (6 – 12 Stunden) • Dosissenkung nach 7 – 14 Tagen • Verlangt viel Erfahrung Transdermale therapeutische Systeme Vorteile: • Einfache Handhabung • Gleichmäßige Zufuhr der Wirksubstanz • Compliance erleichtert • Vorteile bei Schluck- und Passagestörung • Geringere Obstipation Nachteile: • Sehr langsamer Wirkeintritt (bis zu 18 Stunden) • Ungeeignet für Akutschmerz und bei niedrigem Dosisbedarf • Resorption von der Hautdurchblutung (Temperatur) abhängig • Keine Behandlung von Schmerzspitzen möglich; daher oft Polypharmazie in der Praxis • Wegen Depotbildung in der Haut lange Abflutungsphase, besonders bei Überdosierung Transdermale therapeutische Systeme • Durch niedrige „Verordnungsschwelle“ zunehmende Hinweise auf nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch • Verschreibung bei nicht-opioid-sensitiven Schmerzen mit daraus resultierender Dosiseskalation © Maier (Bochum) Der Risikopatient – Fall 3 Zurück Risikodreieck Welche Schmerztherapie würden Sie empfehlen? • R.H., eine 42-jährige Frau, berichtet: „Mir tut seit ca. 4 Jahren alles weh, Muskeln und Gelenke, ich habe aber auch Kopfschmerzen. Diese sind seit 4 Wochen schlimmer geworden. Ich denke, ich habe eine Fibromyalgie, das habe ich im Internet gelesen.“ • Neu sei aber seit ein paar Wochen Durchfall (vorher eher Obstipation), starkes Schwitzen, aber auch seelische Probleme wie Ängstlichkeit und Antriebslosigkeit seien schlimmer geworden. Schmerztagebuch und -zeichnung Schmerzintensität 10 8 6 4 2 0 7 9 10 12 14 16 Uhrzeit Tagebuch (von gestern) 18 20 22 0 Allgemeine Anamnese • Bei Frau R.H. wurden bei mehreren psychiatrischen Aufenthalten schwere depressive Episoden diagnostiziert. Sie ist seit 4 Jahren wegen einer chronischen Depression berentet. • Opioide hätten eigentlich nie gut gegen die Schmerzen geholfen, aber ihr Hausarzt habe ihr jetzt deshalb zusätzlich Tramadol-Tropfen gegen die Schmerzspitzen verschrieben. Bisherige Schmerzmedikation R.H. nimmt täglich Citalopram (60 mg). Zudem hat sie ein Fentanyl-Pflaster (transdermal, zurzeit 125 µg/h, Wechsel alle 2 Tage), bei Schmerzspitzen auch Morphin-Tabletten (10 mg) und seit Kurzem noch Tramadol-Tropfen im Wechsel. Lithium hat Frau R.H. vor 6 Monaten abgesetzt. Fentanyl TTS X Morphin-Tabletten XXX X X XX Tagebuch (gestern) XXX X Citalopram X Tramadol-Tropfen Bisherige Schmerzmedikation Arzneimittel: • Citalopram (60 mg) 1–0–0 • Fentanyl TTS (125 μg/h) Wechsel alle 2 Tage • Morphin Tbl. (10 mg) bei Bedarf 2 – 5 Tbl. pro Tag • Tramadol Tropfen (100 mg/ml) bei Bedarf 2 – 4 x 20 – 40 Tropfen pro Tag Klinische Befunde • Befunde: erschöpfte und müde Pat., bedrückt, affektlabil, aber schwingungsfähig, keine formalen Denkstörungen • Miosis, alle Muskeleigenreflexe lebhaft bis gesteigert, keine pathologischen Reflexe, diskreter Tremor, Gelenkbeweglichkeit o.B. • Laborbefunde: γ-GT 88 U/ml, Elektrolyte: Hyponatriämie, sonst unauffällig, ebenso Leber-, Nierenwerte und Schilddrüsenwerte Welche Fehler wurden gemacht? Welche Therapie ist notwendig und indiziert? Welche akute Diagnostik ist notwendig ? Verdachtsdiagnosen • Rezidivierende Depression oder Dysthymie • Aktuell: Hyperthyreose? Serotonin-Syndrom ? • Zunehmender Kopfschmerz • Diarrhoe, Reflexsteigerung, Tremor • Opioid-resistenter Schmerz oder Opioid-Fehlgebrauch Serotonin-Syndrom Bedrohliches Syndrom, ausgelöst durch Serotonin-Anstieg im ZNS, oft durch Medikamenteninteraktion Symptome: • autonome: • Tachykardie, Schwitzen, RR-Anstieg, Diarrhoe, Mydriasis • ZNS-Erregung • Unruhe, Halluzinationen, Hypomanie, Dyskinesie, Bewegungsunruhe, Suizidalität • neuromuskuläre: • Tremor, Reflexsteigerung, Myoklonie Serotonin-Syndrom Auslösende Medikamente (v. a. durch kombinierte Einnahme): MAO-Hemmer, SSRI, Mirtazapin, Venlafaxin, Tramadol, Triptane, Anti-Parkinson-Mittel, Drogen (Kokain, Ecstasy u.a.m.) Tramadol Razemat CYP2D6 Interaktion z.B. mit Amitriptylin (+)-M1-Metabolit (+)-O-Desmethyltramadol 1 µ-OpioidRezeptorAgonist (+)-Tramadol (-)-Tramadol 2 3 Serotonin Noradrenalin Hemmung der Wiederaufnahme 5-HT-Spiegel Interaktion, z.B. SSRI NA-Spiegel Tramadol • Mittelstark wirksames Opioid (WHO-Stufe 2) • Razemat • μ- ,κ- und δ-Agonist (Morphinäquivalenz: ca. 0,08– 0,1) • dualer (Serotonin-Noradrenalin-)Reuptake-Hemmer Dosierung (oral): 200 bis max. 600 mg/Tag Dosisreduktion bei Nieren- und Leberfunktionsstörung Tramadol Wirkung: • Opioid -typische Wirkungen, in der Regel postoperativ oder bei mittelstarken chronischen Schmerzen eingesetzt • Wirkeffekt durch RCT gesichert u.a. bei Polyneuropathie und anderen neuropathischen Schmerzen Unerwünschte Wirkungen: • alle Opioid -typischen UAW, auch Abhängigkeit • vermehrt Übelkeit, Serotonin-Syndrom bei Interaktion mit SSRI und Drogen • Metabolismus evtl. beeinträchtig bei anderen CYP3A4-hemmenden Substanzen (u. a. Erythromycin) • Slow-Metabolizer: erhöhte Nebenwirkungsrate! Symptome und ihre möglichen Ursachen Kopfschmerz und ZNSÜbererregung Serotonin-Syndrom, unerwünschte Arzneimittelwirkung (Tramadol, Citalopram) Diffuse Schmerzzunahme, Erschöpfung, Depressivität Opioid-Fehlgebrauch, Suchterkrankung (Fentanyl TTS, Morphin, Tramadol) Was ist zu tun? • Tramadol absetzen Nächster Schritt ? Arzneimittel nach Umstellung: • Citalopram (60 mg) 1–0–0 • Fentanyl TTS (125 μg/h) Wechsel alle 2 Tage • Morphin Tbl. (10 mg) bei Bedarf 2 – 5 Tbl. pro Tag Opioid-Dosis erhöhen? Opioid wechseln? Opioide entziehen? Schmerztagebuch nach Absetzen von Tramadol Fentanyl TTS X X XX X XX XX XX X Schmerz- und Medikamententagebuch (nach Umstellung) Citalopram Welche Fehler wurden bei der OpioidTherapie gemacht? • Gleichzeitige Gabe von Opioiden der WHO-Stufen 2 und 3 • Verschreibung von kurz wirkenden Opioiden bei chronischen Schmerzen • Weiterverschreibung trotz fehlender Wirksamkeit • Dosiserhöhung bei primär wenig Opioid-sensitivem Schmerz, evtl. Auslösung einer Hyperalgesie • Nichtbeachtung der psychiatrischen Ko-Morbidität Entscheidung: stationärer Entzug Neurobiologische Mechanismen der OpioidHyperalgesie • Periphere Sensibilisierung • Vermehrte absteigende Faszilitierung (rostrale ventrale Medulla) • Erhöhte Wiederaufnahme von Substanz P und anderen erregenden Transmittern • Langzeitpotenzierung und Sensibilisierung anderer Neurone • Zunahme neurotoxischer Marker Angst MS et al. Anesthesiology 2006;104(3):570 – 587 Opioid-Wirkung und Psychopathologie Schmerzreduktion (TOTPAR) 70 60 50 40 Morphin Placebo 30 20 10 0 niedrig mittel hoch Psychopathologie (Gruppen) Wasan AD et al. Pain 2005;117(3):450 – 461 Ursachen von Schmerzen unter einer Opioidtherapie Opioid-induzierte Hyperalgesie(OIH) • Schmerzzunahme / Hyperalgesie • unter Opioidgabe • nach Absetzen der Opioide Gewöhnung /Tachyphylaxie • Wirkabnahme ohne Dosissteigerung Primäre Teil- oder Unwirksamkeit • opioid-insensitive Schmerzen Sucht / Abhängigkeit / schädlicher Gebrauch Schmerzen + Dosiseskalation + psychische Verschlechterung Leitsymptome einer Therapiefehlentwicklung bei Langzeittherapie mit Opioiden Hinweise für psychotrope UAW (Therapiefehler) Tages)-Müdigkeit Schlafstörung Depressiven Episoden Kognitive Einschränkung reduzierte Aktivität Sozialer Rückzug Konflikte in Ehe, Familie und bei der Arbeit / arbeitsunfähig Zunahme psychotroper UAW Hinweise für Fehlumgang mit Opioiden (ICD 11.1) Beigebrauch psychotroper Substanzen Weitereinnahme gegen ärztl. Rat Wunsch nach Therapiesteigerung Hinweise auf eine OIH Schmerzzunahme trotz steigender Dosis /Opioidrotation Neue Schmerzlokalisation Transformation zu diffusen Schmerzbildern Druckhyperalgesie Wirkungslosigkeit anderer Therapien (z.B. Physiotherapie Hinweise für eine Suchterkrankung (ICD F11.2) Unregelmäßigkeit bei Beschaffung (z.B. Zusatzrezept, Kap 23) Craving Symptome ./. Kontrollverlust, zwanghafter Gebrauch, Einnahme illegaler Drogen Injektionen oraler /transdermaler Applikationsformen, Rezeptfälschungen usw. © C. Maier /D. Kindler (Bochum) In: Maier/Bingel/Diener (Hrsg.) Lehrbuch der Schmerzmedizin (5. Auflage 2016,) Elsevier Verlag Maßnahmen vor dem stationären Entzug • Ärztliches und psychologisches Explorationsgespräch • Abklären der intrinsischen Motivation • Edukation wegen der Ängste des Patienten vor Schmerzverstärkung, Entzugssymptomen • Prognose • Schriftlicher Entzugsvertrag! Effekt des Opioid-Entzugs und der Psychotherapie Schmerztagebuch: Patienten mit dauerhafter Opioid-Freiheit nach Entzug haben bereits frühzeitig ausgeprägte Schmerzlinderung durch den Entzug als später Rückfällige Krumova EK et al. Clin J Pain 2013;29(9):760 – 769 Weiterbehandlung Arzneimittel bei Entlassung: • Citalopram (60 mg) 1–0–0 • Clonidin (0,075 mg) 2 – 2 – 2 (ausschleichend) Tagesstationäre Weiterbehandlung in einer psychosomatischen Klinik Background-Folien Verlauf und Differenzialdiagnose bei Depression aus : NVL Depression, entnommen: 11.7.2009, http://www.depression.versorgungsleitlinien.de F32. Depressive Episode Bei den typischen Episoden leidet der betroffene Patient unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität. Die Fähigkeit zu Freude, das Interesse und die Konzentration sind vermindert. Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten. Der Schlaf ist meist gestört, der Appetit vermindert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer beeinträchtigt. Sogar bei der leichten Form kommen Schuldgefühle oder Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor. Die gedrückte Stimmung verändert sich von Tag zu Tag wenig, reagiert nicht auf Lebensumstände und kann von sogenannten „somatischen“ Symptomen begleitet werden, wie Interessenverlust oder Verlust der Freude, Früherwachen, Morgentief, deutliche psychomotorische Hemmung, Agitiertheit, Appetitverlust, Gewichtsverlust und Libidoverlust ... ICD-10 Kapitel V (F) F32. Depressive Episode F32.0 Leichte depressive Episode F32.1 Mittelgradige depressive Episode F32.2 Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome F32.3 Schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen F32.8 Sonstige depressive Episode F32.9 Depressive Episode, nicht näher bezeichnet ICD-10 Kapitel V (F) F32. Depressive Episode Leicht: Gewöhnlich sind mindestens 2 oder 3 der angegebenen Symptome vorhanden. Der betroffene Patient ist im Allgemeinen davon beeinträchtigt, aber oft in der Lage, die meisten Aktivitäten fortzusetzen. Mittelgradig: Gewöhnlich sind 4 oder mehr der angegebenen Symptome vorhanden, und der betroffene Patient hat meist große Schwierigkeiten, alltägliche Aktivitäten fortzusetzen. Schwer: Eine depressive Episode mit mehreren angegebenen, quälenden Symptomen. Typischerweise bestehen ein Verlust des Selbstwertgefühls und Gefühle von Wertlosigkeit und Schuld. Suizidgedanken und -handlungen sind häufig, und meist liegen einige somatische Symptome vor. ICD-10 Kapitel V (F) F31. Bipolare affektive Störung Hierbei handelt es sich um eine Störung, die durch wenigstens 2 Episoden charakterisiert ist, in denen Stimmung und Aktivitätsniveau des Betroffenen deutlich gestört sind. Diese Störung besteht einmal in gehobener Stimmung, vermehrtem Antrieb und Aktivität (Hypomanie oder Manie), dann wieder in einer Stimmungssenkung und vermindertem Antrieb und Aktivität (Depression). Wiederholte hypomanische oder manische Episoden sind ebenfalls als bipolar zu klassifizieren. ICD-10 Kapitel V (F) % Non-responder Einfluss des Genotyps auf die Wirksamkeit einer postoperativen Analgesie mit Tramadol Stamer UM et al. Pain 2003;105(1 – 2):231 – 238 EM: extensive metaboliser („Normalmetabolisierer“) PM: poor metaboliser („Langsammetabolisierer“) Einfluss des Genotyps auf die Wirksamkeit einer postoperativen Analgesie mit Tramadol Kumulativer Analgetikaverbrauch PCA 12 1200 1000 10 Poor Metabolizers Extensive Metabolizers Tramadol 800 mg Metamizol 8 g 600 6 400 4 MW+/-SEM p=0,003 200 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40 44 48 Stunden Stamer UM et al. Pain 2003;105(1 – 2):231 – 238 2 Management bei Entzugsbehandlung Medikamente zur Linderung der Entzugssymptome Standard: Poststationär ausschleichen Clonidin beginnend 3 x75 µg (in Abhängigkeit von RR und HF) Bedarfsmedikation: Angst/Unruhe: Lorazepam Schlafprobleme: Zopiclon Bauchkoliken: Butylscopolamin } Diarrhoe: Loperamid bei Bedarf Schmerz: Parecoxib bei Bedarf/Interventionen Vor Entlassung absetzen