ZUR VERSTÄNDLICHKEIT VON LEGALDEFINITIONEN Konsequenzen aus Rolle und Grundbedingungen ZUR VERSTÄNDLICHKEIT VON LEGALDEFINITIONEN Jan Engberg Professor AUFBAU › Vier Thesen › Ein Beispiel 3. November 2016 SLIDE 2 ZUR VERSTÄNDLICHKEIT VON LEGALDEFINITIONEN Jan Engberg Professor 3. November 2016 SLIDE 3 GRUNDTHESEN › Legaldefinitionen sind den Bedingungen sprachlicher Kommunikation unterworfen › Grundbedingung für das Verstehen von Gesetzestexten ist die ungleiche Verteilung von bindender Interpretationsmacht › Dadurch erhält das Wissen des Juristen eine privilegierte Stellung als Bezugspunkt für das Verstehen (Stichwort: Verstehensrelevantes Wissen) › Aufgabe von Legaldefinitionen ist die Abgrenzung des Interpretationsspielraums des Gesetzes ZUR VERSTÄNDLICHKEIT VON LEGALDEFINITIONEN Jan Engberg Professor 3. November 2016 SLIDE 4 GRUNDTHESEN › Legaldefinitionen sind den Bedingungen sprachlicher Kommunikation unterworfen › Grundbedingung für das Verstehen von Gesetzestexten ist die ungleiche Verteilung von bindender Interpretationsmacht › Dadurch erhält das Wissen des Juristen eine privilegierte Stellung als Bezugspunkt für das Verstehen (Stichwort: Verstehensrelevantes Wissen) › Aufgabe von Legaldefinitionen ist die Abgrenzung des Interpretationsspielraums des Gesetzes ZUR VERSTÄNDLICHKEIT VON LEGALDEFINITIONEN Jan Engberg Professor 3. November 2016 SPRACHLICHE BEDEUTUNG ALS SOZIALES FAKTUM ”To begin with, social facts are only possible by virtue of the existence of individual minds capable of representing such social facts to themselves. … But although mental representations in individuals are necessary, they are not sufficient: an individual’s representation of who is president is not an incontrovertible, autonomous fact for her, but depends for its status on what representations her fellow citizens have.” Harder 1999, 206 ZUR VERSTÄNDLICHKEIT VON LEGALDEFINITIONEN Jan Engberg Professor 3. November 2016 SLIDE 6 KONSEQUENZ à Bedeutung (auch im Recht) ist inhärent dynamisch und abhängig von Interaktionen zwischen sozialer und individueller Perspektive – aber nicht willkürlich veränderbar durch Individuen à Die Bedeutung kann und wird sich entwickeln, die Bedeutung eines jeglichen Wortes, Satzes oder Textes in menschlicher Kommunikation kann nicht auf der Grundlage der Formulierung festgeschrieben werden à Durch den sozialen Kontext, seine Normen und Gewohnheiten kann diese Dynamik jedoch gebremst werden (Engberg 2008; Busse 2015, 44) ZUR VERSTÄNDLICHKEIT VON LEGALDEFINITIONEN Jan Engberg Professor 3. November 2016 GRUNDTHESEN › Legaldefinitionen sind den Bedingungen sprachlicher Kommunikation unterworfen › Grundbedingung für das Verstehen von Gesetzestexten ist die ungleiche Verteilung von bindender Interpretationsmacht › Dadurch erhält das Wissen des Juristen eine privilegierte Stellung als Bezugspunkt für das Verstehen (Stichwort: Verstehensrelevantes Wissen) › Aufgabe von Legaldefinitionen ist die Abgrenzung des Interpretationsspielraums des Gesetzes SLIDE 7 ZUR VERSTÄNDLICHKEIT VON LEGALDEFINITIONEN Jan Engberg Professor 3. November 2016 SLIDE 8 › Der Bedeutungsgehalt von Gesetzestexten wird in spezieller Weise dadurch beeinflusst, dass er im Zuge seiner Anwendung mit zusätzlichen mehr oder weniger offiziell kodifizierten Festlegungen verknüpft wird, die mit den allgemeinen Verstehensregeln nicht rekonstruierbar sind. (Lötscher 2016, 25) ZUR VERSTÄNDLICHKEIT VON LEGALDEFINITIONEN Jan Engberg Professor 3. November 2016 SLIDE 9 GRUNDTHESEN › Legaldefinitionen sind den Bedingungen sprachlicher Kommunikation unterworfen › Grundbedingung für das Verstehen von Gesetzestexten ist die ungleiche Verteilung von bindender Interpretationsmacht › Dadurch erhält das Wissen des Juristen eine privilegierte Stellung als Bezugspunkt für das Verstehen (Stichwort: Verstehensrelevantes Wissen) › Aufgabe von Legaldefinitionen ist die Abgrenzung des Interpretationsspielraums des Gesetzes ZUR VERSTÄNDLICHKEIT VON LEGALDEFINITIONEN Jan Engberg Professor 3. November 2016 SLIDE 10 Im Zuge dieser Beobachtungen und Analysen stellte sich relativ schnell … heraus, dass eine Beschreibung der „Semantik“ von Begriffen und Textbestandteilen im Recht letztendlich darauf hinausläuft, das Wissen und Wissensbestandteile zu beschreiben, das im Zuge der Interpretation bzw. Anwendung der Gesetzestexte und/oder –begriffe von den Anwendern aktiviert wird (bzw. für eine ‚zureichende‘, d.h. instanzenfeste Deutung und Anwendung aktiviert werden muss). (Busse 2015, 41) ZUR VERSTÄNDLICHKEIT VON LEGALDEFINITIONEN Jan Engberg Professor 3. November 2016 SLIDE 11 GRUNDTHESEN › Legaldefinitionen sind den Bedingungen sprachlicher Kommunikation unterworfen › Grundbedingung für das Verstehen von Gesetzestexten ist die ungleiche Verteilung von bindender Interpretationsmacht › Dadurch erhält das Wissen des Juristen eine privilegierte Stellung als Bezugspunkt für das Verstehen (Stichwort: Verstehensrelevantes Wissen) › Aufgabe von Legaldefinitionen ist die Abgrenzung des Interpretationsspielraums des Gesetzes ZUR VERSTÄNDLICHKEIT VON LEGALDEFINITIONEN Jan Engberg Professor 3. November 2016 SLIDE 12 › [Gesetzestexte] haben häufig viel eher die Funktion, semantische Interpretationsspielräume in gewissen Grenzen zu öffnen und damit die Funktionalität des Textes im Hinblick auf unterschiedliche Entscheidungssituationen und Lebenssachverhalte offenzuhalten. (Busse 2015, 43) ZUR VERSTÄNDLICHKEIT VON LEGALDEFINITIONEN Jan Engberg Professor 3. November 2016 VAGHEIT: GLOBALE PERSPEKTIVE Vagheit in diesem Sinne ist ein notwendiges Merkmal eines jeden sprachlichen und damit auch eines jeden rechtlichen Ausdrucks. Sie ist durch Formulierungen nicht überwindbar Bedeutung ist an Gruppenerfahrung gebunden Folglich: Rechtstexte sind mitnichten letzte, präzise Antworten oder Weisungen, sondern zeitbezogene Angebote an die Deutungskultur. … Rechtsnormen initiieren also einen professionellen, aber nicht von der Profession selbst gesteuerten Deutungsprozess. (Ogorek 2004, 299) ZUR VERSTÄNDLICHKEIT VON LEGALDEFINITIONEN Jan Engberg Professor 3. November 2016 SLIDE 14 › Der Wortlaut von Gesetzestexten gibt den Rahmen und die Grenzen im Hinblick auf ausgewählte relevante Sachverhaltsmerkmale für die Entscheidungen im Einzelfall vor, und dies kann auf präzise Art geschehen, auch wenn die Entscheidung im Einzelfall viele zusätzliche Beurteilungskriterien einbeziehen muss. Auch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ist in Bezug auf Absicht und Konsequenzen bestimmt und eindeutig: Sie besagt, dass in einem definierten Bereich ein Spielraum in Bezug auf die möglichen Konsequenzen besteht, der den Umständen entsprechend ausgenützt werden soll. (Lötscher 2016, 28; meine Hervorhebung) ZUR VERSTÄNDLICHKEIT VON LEGALDEFINITIONEN Jan Engberg Professor AUFBAU › Vier Thesen › Ein Beispiel 3. November 2016 SLIDE 15 ZUR VERSTÄNDLICHKEIT VON LEGALDEFINITIONEN Jan Engberg Professor 3. November 2016 SLIDE 16 BEISPIEL MISSBRAUCH INTERNEN WISSENS › § 34 I. Die Vorschriften in diesem Kapitel umfassen Mißbrauch internen Wissens und Kursmanipulation sowie Veranstaltungen zur Vermeidung von Marktmißbrauch bezüglich [Wertpapierhandel]. › § 34 II. Unter internem Wissen werden spezifische Auskünfte verstanden, die nicht veröffentlicht sind, über Aussteller von Wertpapieren, Wertpapieren oder ihren Marktumständen, von denen anzunehmen ist, dass die einen merkbaren Einfluss auf die Kursentwicklung eines oder mehrerer Wertpapiere, wenn die Auskünfte veröffentlicht werden würden. […] › § 35 I. Kauf, Verkauf und Anregung zu Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers darf nicht von jemandem vorgenommen werden, die internes Wissen besitzen, das für das Geschäft von Bedeutung sein kann. (Dänisches Gesetz über den Handel mit Wertpapieren, Bekanntmachung 2009) ZUR VERSTÄNDLICHKEIT VON LEGALDEFINITIONEN Jan Engberg Professor 3. November 2016 MIDTBANK-FALL (RECHTLICHER ABLAUF) › Maj 2003: Die Angeklagten werden in der ersten Instanz zu Freiheitsstrafen auf Bewährung verurteilt › Maj 2004: Freispruch in der zweiten Instanz › Hierdurch ist offiziell Zweifel über die Extension von ”Verbot gegen Insidergeschäfte” entstanden › December 2004: Die Angeklagten werden bei der höchsten dänischen Instanz freigesprochen. › Hierdurch ist offiziell Klarheit über die Extension geschaffen. ZUR VERSTÄNDLICHKEIT VON LEGALDEFINITIONEN Jan Engberg Professor 3. November 2016 SLIDE 18 BEISPIEL MISSBRAUC INTERNEN WISSENS ”Unter diesen Umständen erklärt sich das Gericht darin einig dass ungeachtet dem internen Wissen von T1 keine unstatthaften Umstände beim Kauf eigener Aktien durch T1 am 6. Februar 2001 vorlagen.” Urteil Højesteret U 2005.984 H à Højesteret führt ein Kriterium der notwendigen Unstatthaftigkeit ein, das auf intertextuelles Lesen und Bezug auf Vorarbeiten zum Gesetz gründet – aber nicht unmittelbar aus Gesetzesdefinition ersichtlich ist ZUR VERSTÄNDLICHKEIT VON LEGALDEFINITIONEN Jan Engberg Professor 3. November 2016 SLIDE 19 ZENTRALE SCHLUSSFOLGERUNG Die inhärente Unbestimmbarkeit (schrift-)sprachlicher Texte hat zur Konsequenz, dass die Bedeutung letztendlich immer potentiell dynamisch und das Ergebnis der Kollaboration von Menschen miteinander, mit dem Text und mit den darin enthaltenen sprachlichen Mitteln ist. à Gesetzesredaktion, auch das Formulieren von Legaldefinitionen, muss als Versuch beschrieben werden, das Ungreifbare vorzugreifen. à Jede Präzision ist vorläufig und folglich potentiell Scheinpräzision à Legaldefinitionen spielen zwar eine äußerst zentrale Rolle in der Rechtssystematik – aber im Endeffekt gibt die Definition höchstens die Richtung der Entwicklung der Elemente der Systematik wieder. AU AARHUS UNIVERSITY Fachsprache – International Journal of Specialized Communication http://fachsprache.net