Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode Drucksache 17/8492 25. 01. 2012 Antrag der Abgeordneten Ute Koczy, Dr. Frithjof Schmidt, Kerstin Müller (Köln), Tom Koenigs, Agnes Brugger, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Viola von Cramon-Taubadel, Kai Gehring, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Pakistan – Für eine aktive Einbindungsdiplomatie, Stärkung der demokratischen Kräfte und eine verlässliche Entwicklungszusammenarbeit Der Bundestag wolle beschließen: I. Der Deutsche Bundestag stellt fest: Pakistan stand viel zu lange abseits der politischen Agenda. Die regionale Bedeutung des Landes wurde unterschätzt, eine europäische Pakistanpolitik ist nicht erkennbar, die diplomatischen und entwicklungspolitischen Aktivitäten Deutschlands sind halbherzig und inkonsistent. Dabei kommt Pakistan eine entscheidende Rolle für die Entwicklung der gesamten süd- und zentralasiatischen Region zu. Während das Land nahezu ausschließlich unter Afghanistan-politischen Gesichtspunkten wahrgenommen wird, schwelen ungelöste Konflikte mit Indien weiter und die Frage des Umgangs mit dem pakistanischen Atomwaffenprogramm bleibt unbeantwortet. Gleichzeitig steht das Land innenpolitisch angesichts von unklaren Machtstrukturen, Governance-Defiziten, Terror, Unterentwicklung und Naturkatastrophen vor dramatischen Herausforderungen. Der Vorsitzende der unabhängigen pakistanischen Menschenrechtskommission bringt es mit den Worten auf den Punkt: „Name a Problem – we’ve got it“. Um seine komplexen Probleme meistern zu können, muss Pakistan international intensiver eingebunden und dabei unterstützt werden, regionale Verantwortung wahrzunehmen. Mehr als bisher müssen sich Deutschland und die EU mit diesem Land und seinen Eigenheiten politisch auseinandersetzen. Dafür gilt es vor allem, die Zivilgesellschaft und die demokratischen Kräfte in Parlament und Regierung als Gegenpol zu korrupten Eliten und einem übermächtigen Militär zu stärken. Um Pakistan in seiner regionalen Verantwortung zu unterstützen, ist ein Engagement Deutschlands und der EU vor allem in drei Bereichen zentral: 1. Für eine aktive Einbindungsdiplomatie Die Erkenntnis über Pakistans geopolitische Bedeutung und seine gleichzeitig ambivalente Rolle ist mittlerweile weit verbreitet. Außenpolitische Konsequenzen hat die Bundesregierung daraus jedoch keine gezogen. Im Gegenteil: Deutschland vernachlässigt die diplomatischen Aktivitäten gegenüber Pakistan und hat es dementsprechend nicht vermocht, die EU gegenüber Pakistan als ein- Drucksache 17/8492 –2– Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode flussreichen Akteur zu positionieren. Dabei hätte Deutschland dafür das Potenzial, weil es über große politische Glaubwürdigkeit und ein hohes Ansehen in Pakistan verfügt. Die deutsche politische Zusammenarbeit mit Pakistan konzentriert sich auf die internationale Kontaktgruppe für Afghanistan und Pakistan. Die 2008 gegründete Gruppe „Freunde eines demokratischen Pakistans“ entpuppt sich als leere Hülle. Ansätze zur multilateralen politischen und wirtschaftlichen Einbindung Pakistans in einen regionalen Mechanismus zur Friedensstabilisierung stehen noch am Anfang. Durch den „Istanbul Prozess für regionale Sicherheit und Kooperation“ wurden nun erste, wenn auch kleine, Fortschritte erzielt. Die Aussichten auf eine Entwicklung stärker institutionalisierter und nachhaltiger Kooperationsformen bleiben jedoch unkonkret und sind über das Stadium von Wunschvorstellungen noch nicht hinausgekommen. Der Prozess für eine stärkere regionale Zusammenarbeit muss intensiv und aufmerksam begleitet werden. Gerade die EU kann dabei aus der eigenen Erfahrung heraus Unterstützung anbieten. Die EU war in der Politik gegenüber Pakistan bislang jedoch nahezu bedeutungslos, obwohl die EU mit einem jährlichen Handelsvolumen von rund 7 Mrd. Euro der wichtigste Handelspartner Pakistans ist und im Jahr 2010 humanitäre Hilfe in Höhe von 150 Mio. Euro zur Linderung der Not nach der Fluthilfe bereitstellte. Auf bilateraler Ebene ist es in erster Linie Großbritannien, das aufgrund historischer Verbindungen intensive Kontakte pflegt und umfangreiche Unterstützungsprogramme unterhält. Das britische Engagement wurde vor allem im Bereich Bildung 2011 massiv ausgebaut. Pakistan ist damit zum größten Einzelempfängerland Großbritanniens geworden. Pakistans Außen- und Sicherheitspolitik ist sehr stark durch die langjährigen Konflikte mit Indien geprägt. Vertrauensbildende Maßnahmen sowie Initiativen für eine Entspannung des Verhältnisses und eine verstärkte Kooperation zwischen beiden Staaten sind von zentraler Bedeutung für die Sicherheit in der gesamten Region und müssen so umfangreich wie möglich gefördert werden. Bislang hat sich Pakistan nicht ernsthaft aktiv in die Friedensbemühungen in Afghanistan eingebracht. Ebenso wenig konnte sich die internationale Gemeinschaft dazu durchringen, Pakistan glaubhaft einzubeziehen. Zwar sind mittlerweile mit Afghanistan bilaterale und zusätzlich mit den USA trilaterale Gesprächsformate etabliert. So wurde eine gemeinsame Kommission zur Unterstützung des afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozesses eingerichtet. Die Kontakte lassen aber noch keine gegenseitige Verbindlichkeit erkennen. Auch wenn sich die Beziehungen zwischen Afghanistan und Pakistan durch die intensive Besuchsdiplomatie auf Regierungsebene und konkrete Fortschritte bei den Handelsbeziehungen (afghanisch-pakistanisches Handels- und Transitabkommen) nach beiderseitigem Bekunden verbessert haben, ist das Verhältnis nach wie vor von tiefem Misstrauen geprägt. Entscheidend für die Zukunft Afghanistans sind das Engagement der USA und deren Zusammenarbeit mit Pakistan. Nach dem Angriff auf einen pakistanischen Grenzposten mit 24 getöteten Soldaten ist das Verhältnis zwischen den USA und Pakistan auf einem Tiefpunkt angelangt. Im Zusammenhang mit den Wikileaks-Enthüllungen, der Tötung Osama bin Ladens und den andauernden Drohnenangriffen auf pakistanischem Boden auf der einen Seite und der mutmaßlichen Unterstützung von Aufständischen und Terroristen in Afghanistan durch den pakistanischen Geheimdienst auf der anderen ist das gegenseitige Vertrauen schwer erschüttert. In diesem Fall können Deutschland und die EU eine Brückenfunktion einnehmen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode –3– Eine europäische Pakistan-Politik muss insbesondere zwei Ziele haben. Zum einen muss sie ihren Beitrag leisten, Pakistan viel stärker in die internationale Gemeinschaft einzubinden, und darauf hinwirken, dass Pakistan seine internationale und regionale Verantwortung wahrnimmt. Ein erster und wichtiger Schritt wäre, darauf hinzuwirken, das Verhältnis zwischen Pakistan und den USA zu verbessern. Nur wenn sich EU und USA als verlässliche Partner präsentieren, werden sie einen gewichtigen Ausgleich zu China darstellen. Dazu gehört auch, in Pakistan auf breiter gesellschaftlicher Front für eine realistischere Wahrnehmung von äußeren Bedrohungen zu werben. Die (vermeintliche) indische Bedrohung bestimmt nicht nur die Politik des Landes, diese Sicht ist auch tief in der pakistanischen Gesellschaft verankert. Daher sind vertrauensbildende Maßnahmen mit Indien von besonderer Relevanz. Zum andern muss es darum gehen, Pakistan beim Aufbau und bei der Konsolidierung ziviler und demokratischer Strukturen zu unterstützen und damit die Verlagerung von Macht und Einfluss der Armee zu Gunsten gewählter Institutionen zu befördern. 2. Pakistans demokratische Kräfte und Zivilgesellschaft stärken Das Engagement für Demokratie und Menschenrechte, insbesondere die Durchsetzung von Frauenrechten, ist für die Zusammenarbeit mit Pakistan von herausragender Bedeutung. Pakistan verfügt über eine differenzierte, aktive und starke Zivilgesellschaft, die sich mit den Problemen im eigenen Land, aber auch mit Fragen der internationalen Friedenspolitik befasst. Auch das Parlament hat an Gewicht und Einfluss gewonnen, wobei sich noch zeigen muss, ob und wie sich Volksvertreter und Präsident gegenüber dem übermächtigen Militär behaupten können. Durch eine Stärkung dieser zentralen, aber auch der dezentralen demokratischen Strukturen sowie eine aktive Zivilgesellschaft kann der Einfluss des Militärs auf Politik und Gesellschaft zurückgedrängt werden. Insbesondere Frauen setzen sich verstärkt für Veränderungen ein. Die Bandbreite an gesellschaftlichen Rollen, die Frauen in Pakistan einnehmen, könnte kaum größer sein. Während in entlegenen Gebieten Frauen zum Teil schrecklichste Erniedrigungen erleiden müssen, finden sie sich in urbanen Zentren in allen gesellschaftlichen und politischen Positionen. Als besonders aktive Frauen haben sich alle weiblichen Abgeordneten im pakistanischen Parlament in einer Interessensgemeinschaft, dem Women’s Parliamentary Caucus (WPC) zusammengeschlossen und erste Kontakte zu ihren Kolleginnen in Afghanistan aufgenommen, um über die Möglichkeiten einer politischen Lösung zu sprechen. Die besondere Stärke des WPC ist seine Unabhängigkeit und so hat er bereits mehrere Geber abgewiesen. Diese Arbeit gilt es zu unterstützen, ohne die Unabhängigkeit des WPC zu gefährden. Hierzu sind vor allem die politischen Stiftungen geeignet. Darüber hinaus können Kontakte auf der parlamentarischen Ebene, auch mit deutschen und europäischen Parlamentarierinnen und Parlamentariern, zu einer Stärkung des WPC beitragen. 3. Entwicklungszusammenarbeit mit Pakistan intensivieren und verbessern Die deutsch-pakistanische Entwicklungszusammenarbeit (EZ) blickt auf eine 50-jährige Geschichte zurück. Die Aktivitäten der deutschen EZ konzentrieren sich auf die nördlichen Provinzen wie Khyber Pakhtunkhwa (KPK) und die Stammesgebiete an der Grenze zu Afghanistan (Federally Administered Tribal Areas – FATA). Schwerpunktsektoren sind Bildung, Good Governance, Energie und Gesundheit. Infolge dieser lang anhaltenden Zusammenarbeit konnten Vertrauen und Expertise aufgebaut werden. Deutschland braucht in der EZ mit Pakistan auch weiterhin strategische Geduld, um im Rahmen ihrer Qualitäten Angebote zu machen und langfristig positive Anreize zu setzen. Drucksache 17/8492 Drucksache 17/8492 –4– Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode In Anbetracht der langen und engen Partnerschaft von Pakistan und Deutschland sowie der geopolitischen Herausforderungen, die mit dem Land und der Region verbunden sind, ist die deutsche EZ mit Pakistan mit geplanten 15,7 Mio. Euro für 2012 bei Weitem nicht ausreichend. Nach der Verdreifachung der EZ-Mittel für Bildung in Pakistan seitens der britischen Regierung ist das deutsche Engagement im Bildungssektor im Sinne von Geberkoordinierung zu hinterfragen. Ausbaufähig ist vor allem das deutsche Engagement im Bereich Energieversorgung. Neben der dringend notwendigen Einführung eines wirksamen Abrechnungs- und Zahlungssystems für den Verbrauch von elektrischer Energie kann Deutschland im Bereich einer möglichst breiten Ausstattung von Dörfern mit dezentralen erneuerbaren Energien einen Beitrag leisten. Infolge des unter dem 18. Amendment zur Verfassung eingeleiteten Dezentralisierungsprozesses werden im Aufbau dezentraler Governancestrukturen dringend Geld und Kompetenzen benötigt. Bisher sieht es nicht so aus, als ob die pakistanische Regierung die ambitionierten Ziele auch nur annäherungsweise umsetzen könnte. Die deutsche Durchführungsorganisation Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH hat in diesem Bereich Kompetenzen. Die geplanten 5 Mio. Euro für technische Zusammenarbeit für den Schwerpunkt „Demokratie, Zivilgesellschaft und öffentliche Verwaltung“ sind deutlich ausbaufähig. Es wird Zeit, die Beziehungen zu Pakistan auf eine neue Basis zu stellen: Pakistan als bedeutsamen und eigenständigen Akteur ernst zu nehmen, die Regierung dazu aufzufordern, ihrer Verantwortung für eine stabile Region und eine politische Lösung in Afghanistan nachzukommen, die Zivilgesellschaft und die demokratischen Strukturen zu stärken und für eine nachhaltige klimaschützende und Katastrophen vorbeugende Zusammenarbeit auf Augenhöhe einzutreten. II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den EU Partnern a) im Sinne einer aktiven Einbindungs-Diplomatie 1. Pakistan auf der außenpolitischen Agenda eine höhere Priorität einzuräumen und die diplomatischen Aktivitäten gegenüber Pakistan zu intensivieren; 2. Pakistan aufzufordern und dabei zu unterstützen, dass es seiner regionalen Verantwortung gerecht wird, und klarzustellen, dass Pakistan als Partner für eine politische Lösung erwünscht ist und gebraucht wird; 3. auf Ebene der EU darauf hinzuwirken, eine Brückenfunktion in der Vertrauensbildung zwischen den USA und Pakistan einzunehmen und beide Partner zu ermahnen und dabei zu unterstützen, das gegenseitige Misstrauen durch konkrete Veränderungen im Vorgehen abzubauen; 4. Pakistan aktiv in die Suche, Ausarbeitung und Verhandlung einer politischen Lösung in Afghanistan einzubinden und dafür bei den westlichen Partnern, insbesondere bei den USA, zu werben; 5. auf dem Istanbul-Prozess aufbauend sich dafür einzusetzen, dass Pakistan zusammen mit seinen Nachbarstaaten in einen Regionalmechanismus eingebunden wird, der sowohl gegenseitiges politisches Vertrauen begünstigt als auch die wirtschaftlichen Beziehungen der Länder untereinander erleichtert und fördert; 6. die Lieferung von Kriegsgerät in die Spannungsgebiete Pakistan und Indien zu unterlassen und von Pakistan die Reduzierung des Militärhaushaltes einzufordern mit dem Ziel, insbesondere die gegen Indien gerichteten Einheiten abzubauen und dafür Anreize über das Handelspräferenzsystem der EU (GSP+) zu schaffen; Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode –5– 7. Pakistan und Indien in ihrem 2011 begonnenen Dialog zu vertrauensbildenden Maßnahmen im Nuklearbereich zu unterstützen, zu einer effektiven Abrüstung zu bewegen und dabei auch die Gelegenheit zu nutzen, dass neben Deutschland auch Pakistan und Indien im Jahr 2012 als nicht ständige Mitglieder im VN-Sicherheitsrat vertreten sind; 8. Pakistan darauf zu drängen, seine Blockade gegen Verhandlungen über einen Vertrag zum Verbot der Produktion von Spaltmaterial für Nuklearwaffen (FMCT) aufzugeben; 9. bei Pakistan und Indien mit Nachdruck für einen Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag (NVV) zu werben; 10. bei Pakistan und Indien darauf zu drängen, den Umfassenden Kernwaffenteststoppvertrag (CTBT) zu unterzeichen und zu ratifizieren; Pakistan und Indien von Proliferationsaktivitäten abzuhalten und die Mitgliedschaft Deutschlands in der Nuclear Supplier Group (NSG) in diesem Sinne zu nutzen; 11. gegenüber Indien und Pakistan verstärkt diplomatisch aktiv zu werden, um den Annäherungsprozess zu befördern und dabei sowohl auf verbesserte Handelsbeziehungen untereinander hinzuwirken als auch, wie vom Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des pakistanischen Parlaments angeregt, auf Erfahrungen des deutsch-französischen Versöhnungsprozesses zurückzugreifen; 12. Indien und Pakistan aufzufordern, in einen institutionalisierten bi- bzw. trilateralen Dialog über und mit Afghanistan einzutreten, um insbesondere mit Blick auf Afghanistan Vertrauen zu schaffen, wobei die effektive Umsetzung der bestehenden und entstehenden Handelsabkommen im Vordergrund stehen sollte; 13. von den USA den Respekt der pakistanischen Souveränität, ein Ende der völkerrechtswidrigen Drohnenangriffe und nächtlichen Überfälle im Rahmen von „Capture-or-kill“-Aktionen zu fordern und militärische Drohungen gegenüber Pakistan zu kritisieren; b) im Sinne einer Stärkung der demokratischen Kräfte und der Zivilgesellschaft Pakistans 14. zur sichtbaren Unterstützung der demokratischen Transformation offizielle Besuche und hochrangige Kontakte deutscher Politikerinnen und Politiker zum pakistanischen Militär auf das im Verhältnis zu anderen Staaten Übliche zu beschränken und stattdessen die zivile Regierung stärker als Gesprächspartnerin wahrzunehmen; 15. stärker als bisher die demokratischen, zivilen und zivilgesellschaftlichen Kräfte auch dezentral zu fördern und zu unterstützen, u. a. durch den Zuspruch der politischen Legitimität; 16. Pakistan vehement aufzufordern und mit geeigneten Maßnahmen zu unterstützen, Frauenrechte effektiv umzusetzen und weitere Schritte zur Verbesserung der Geschlechtergerechtigkeit zu unternehmen; 17. den Women’s Parliamentary Caucus gezielt zu unterstützen und dabei gleichzeitig dessen Unabhängigkeit zu garantieren. Hierfür sollten vor allem die politischen Stiftungen in ihrer Arbeit gestärkt sowie der Austausch mit deutschen und europäischen Parlamentarierinnen hergestellt und intensiviert werden; Drucksache 17/8492 Drucksache 17/8492 –6– Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode 18. die im WPC organisierten Parlamentarierinnen bei ihren Bestrebungen zu unterstützen, zusammen mit Parlamentarierinnen und Vertreterinnen des Hohen Friedensrates aus Afghanistan eine politische Lösung für die grenzüberschreitenden Konflikte und Probleme zu suchen und zu erarbeiten; 19. Minderheiten und demokratische Kräfte in Pakistan insbesondere gegen Angriffe vonseiten radikalislamischer Gruppen zu unterstützen und bei den politisch Verantwortlichen auf Reformen insbesondere des Blasphemiegesetzes und ein Ende der Straflosigkeit zu drängen; 20. sich dafür einzusetzen, dass die pakistanische Regierung ihre Vorbehalte gegen Bestimmungen des internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zurückzieht, und die pakistanische Regierung bei der Umsetzung dieses Pakts zu unterstützen, 21. die pakistanische Regierung nachdrücklich zu ermutigen, Journalistinnen und Journalisten sowie Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger zu schützen; c) im Sinne einer besseren und intensiveren Entwicklungszusammenarbeit mit Pakistan 22. die deutschen Mittel für EZ mit Pakistan zu verstetigen und deutlich zu erhöhen; 23. infolge des unter dem 18. Amendment zur Verfassung eingeleiteten Dezentralisierungsprozesses den Aufbau dezentraler Governancestrukturen zu einem entwicklungspolitischen Schwerpunkt zu machen und deutlich auszubauen; 24. die Zusammenarbeit im Bereich Energie deutlich auszubauen und Pakistan bei der Einführung eines wirksamen Abrechnungs- und Zahlungssystems für den Verbrauch von elektrischer Energie zu unterstützen sowie eine möglichst breite Ausstattung von Dörfern mit dezentralen erneuerbaren Energien anzustreben; 25. die EZ im Bereich Bildung angesichts der verstärkten Anstrengungen der britischen Regierung in diesem Sektor einer Prüfung zu unterziehen und ggf. neu zu bewerten; 26. die deutsche EZ mit den europäischen Partnern konsequent abzustimmen und zu koordinieren und gegebenenfalls die Zusammenarbeit in einzelnen Sektoren zugunsten anderer zu verringern; 27. die humanitäre Hilfe, Katastrophenvorsorge und Anpassung an den Klimawandel für Pakistan angesichts der starken Betroffenheit vom Klimawandel deutlich zu erhöhen und international auf eine Einhaltung der gemachten Versprechen hinzuwirken; 28. Pakistan bei der Durchführung von Deradikalisierungsmaßnahmen ehemaliger Terroristinnen und Terroristen sowie Terrorhelferinnen und Terrorhelfern zu unterstützen und zu prüfen, inwiefern vergleichbare Maßnahmen mit deutscher Hilfe ausgebaut und gegebenenfalls auch in Afghanistan angewendet werden können. Berlin, den 24. Januar 2012 Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode –7– Begründung Für eine Beendigung des Krieges in Afghanistan und eine politische Lösung ist Pakistan ein Schlüsselland. Dabei tritt das Land als diffuser Multiplayer auf, der viel Störpotential besitzt und gleichzeitig hohes Eigeninteresse an einer stabilen Region und einem stabilen Nachbarland Afghanistan hat. Auf der einen Seite steht der Vorwurf, Pakistan ginge bei der Bekämpfung von Aufständischen im eigenen Land selektiv vor und verschone bzw. unterstütze Gruppen, die in Afghanistan operieren. Auf der anderen Seite sind die Befürchtungen in Pakistan groß, dass die internationale Gemeinschaft nach einem Abzug in 2014 analog zu 1989 einen Scherbenhaufen hinterlassen könnte. Grenzüberschreitender Terrorismus, Flüchtlingsströme, paschtunisch-separatistische Tendenzen und wirtschaftliche Einbußen werden befürchtet. Mit Sorge sieht man in Pakistan den stetigen Aufwuchs der afghanischen Armee und der Sicherheitskräfte auf geplante 350 000 Männer und Frauen. Die direkten und indirekten Verbindungen zwischen Pakistan und Afghanistan machen deutlich, dass ein politischer Prozess zur Lösung des Afghanistan-Konfliktes auch einen PakistanProzess beinhalten muss. Bei der für nachhaltige Stabilität notwendigen regionalen Einbettung einer politischen Lösung in Afghanistan kommt Pakistan die größte Bedeutung zu. Pakistans Verhältnis zu Indien ist hoch problematisch. Der Grenzkonflikt um das Kaschmirtal bleibt ein Pulverfass und der pakistanisch-indische Konflikt schwelt trotz des 2004 vereinbarten Dialogprozesses weiter. Die Terroranschläge von Mumbai 2008 haben das Verhältnis schwer belastet. Obwohl beide Seiten den Annäherungsprozess für alternativlos halten, zeigen sie sich kaum zu Zugeständnissen bereit, auch wenn die jüngsten Meldungen über bevorzugte Handelsbeziehungen wieder einen Hoffnungsschimmer bedeuten. Ob der im Zusammenhang mit den regionalen Stabilisierungsbemühungen für Afghanistan angestoßene Istanbul-Prozess eine Annäherung befördern kann, ist noch unklar. Denn Indien und Pakistan beschuldigen sich gegenseitig, in Afghanistan um die Vorherrschaft zu kämpfen. Beide Länder stehen sich zudem in einem gefährlichen nuklearen Patt gegenüber und weigern sich, internationalen Abrüstungsgremien beizutreten. Damit wird auch eine Vertrauensbildung zwischen Indien und Pakistan behindert. Pakistan fällt mit rund 180 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern größtenteils muslimischen Glaubens eine zentrale Rolle für die politische und soziale Entwicklung der islamisch geprägten Länder und Gesellschaften zu. Doch angesichts der Fragilität, schwacher nationalstaatlicher Identität und mangelnder staatlicher Kapazitäten sind die Probleme vorgezeichnet. Anlass zur Sorge bieten vor allem der dominante Militärapparat und ein Geheimdienst, dem enge Verstrickungen mit Terroranschlägen nachgesagt werden. Die staatlichen Ausgaben für den Militär- und Sicherheitsapparat belasten den Haushalt nach Angaben des Center for Security Studies mit 23 Prozent, was je nach Jahr einen Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 3 bis 5 Prozent ausmacht. Laut dem jüngsten Rüstungsexportbericht der Bundesregierung liegt Pakistan auf Platz 12 der Abnehmerländer deutscher Kriegsgüter, Indien auf Platz 11. Damit trägt Deutschland erheblich zum Rüstungswettlauf zwischen den beiden Nationen bei. Pakistanische Armeeangehörige genießen weitreichende Privilegien und sind auch in wirtschaftlichen Bereichen tief verankert. Rawalpindi, der Sitz der pakistanischen Armee, wird von den meisten Beobachtern und Akteuren als eigentliches Machtzentrum betrachtet. Entsprechend nachrangig behandelt wird die zivile Politik, wodurch ihr Legitimität entzogen wird. Auf der anderen Seite konnte sich die Demokratie seit dem Ende der Militärherrschaft von General Pervez Musharraf im Jahr 2008 in kleinen Schritten – trotz mehrfacher Regierungskrisen und Koalitionswechsel – stabilisieren. Im April 2010 wurde mit dem 18. Amendment eine umfassende Verfassungsreform ein- Drucksache 17/8492 Drucksache 17/8492 –8– Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode geleitet, die mit einer Stärkung der Provinzen und einer Schwächung der Zentralregierung, einer Rückgabe zahlreicher Exekutivvollmachten des Präsidenten einen wichtigen Schritt zur Konsolidierung der demokratischen Strukturen bedeutet. Zahlreiche Urteile des Obersten Gerichtshofes gegen die Interessen des Präsidenten (insbesondere die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des von Pervez Musharraf 2007 verhängten Ausnahmezustandes sowie die Annullierung des Amnestiegesetzes) ermöglichen die Bekämpfung von Korruption. 2010 hat Pakistan den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie die VN-Konvention gegen Folter ratifiziert. Seit 2008 gibt es ein inoffizielles Moratorium gegen die Todesstrafe. Zum Schutz und zur Gleichberechtigung von Frauen sind in den letzten Jahren wichtige Schritte unternommen worden. Der verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsatz wird – vorbehaltlich der ausstehenden Zustimmung durch den Senat – durch ein Gesetz zum Schutz von Frauen sowie durch ein Gesetz zum Schutz gegen häusliche Gewalt und zum Schutz gegen Belästigung am Arbeitsplatz ergänzt. Meinungsund Pressefreiheit sind vonseiten der Politik weitgehend gegeben. Es hat sich eine breite und vielschichtige Medienlandschaft entwickelt. Einschränkungen gehen allerdings von Extremisten und dem Militärapparat aus. Erste Reformen in den FATA haben dort Ansätze vor Rechtsstaatlichkeit geschaffen. In der Praxis bleibt die Menschenrechtslage in Pakistan allerdings weiterhin problematisch. Insbesondere die Lage religiöser Minderheiten ist besorgniserregend. Schiiten, Ahmadis, Christen und andere werden quasi willkürlich unter Berufung auf das Blasphemiegesetz verfolgt. Die massive Mobilisierung religiöser Kräfte hat verhindert, dass die Regierung das Gesetz reformiert. Hochrangige Politiker, u. a. der Minister für Minderheiten, Shabaz Bhatti, wurden im Zuge der Debatte von Extremisten ermordet. Auch die Situation für Frauen bleibt äußerst schwierig und bedrohlich. Laut der pakistanischen Menschenrechtskommission wurden 2010 rund 800 Ehrenmorde an Frauen begangen. Dies alles ist Ausdruck einer besorgniserregenden schleichenden Radikalisierung weiter Teile der Gesellschaft. Gleichzeitig gibt es in Pakistan auch innovative Ansätze zur friedlichen Bewältigung der Folgen von Terrorismus und Talibanherrschaft, wie das Deradikalisierungsprogramm im Swat-Tal der Provinz Khyber Pakhtunkhwa zeigt. Verstärkt werden die beschriebenen Radikalisierungstendenzen durch die anhaltenden Entwicklungsprobleme in Pakistan. Im aktuellen Index der menschlichen Entwicklung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) für 2011 belegt Pakistan den 145. Rang von 187 erfassten Ländern und wird in die niedrigste Kategorie eingestuft. Eine bürgerliche Mittelschicht ist in der Fläche des Landes quasi nicht existent. Die Bundesregierung kritisiert die mangelende Entwicklungsorientierung des Landes, dessen Entwicklungsetat in der Vergangenheit etwa auch dazu verwendet wurde, um den Verteidigungsetat auszugleichen. Ein Grundproblem Pakistans besteht in der mangelhaften Energieversorgung. Weder Energiegewinnung noch -effizienz entsprechen den Anforderungen des Bedarfs. Eine nachhaltige und effiziente Energiegewinnung gehört zu den zentralen ökonomischen und ökologischen Herausforderungen der nahen Zukunft. In den letzten 15 Jahren ist der Verbrauch fossiler Brennstoffe um 80 Prozent gestiegen. Zwar konnte die Energieeffizienz in den vergangenen Jahren ohne nennenswerte Investitionen auch durch deutsche Unterstützung deutlich gesteigert werden, das Potential ist aber bei Weitem nicht ausgeschöpft. Ein weiteres strukturelles Problem für das pakistanische Gemeinwesen ist das Steuersystem. Das Verhältnis zwischen Bruttoinlandsprodukt und Steueraufkommen ist in kaum einem anderen Land ähnlich ungünstig. Die Steuerquote beträgt lediglich rund 9 Prozent. Vermögende bezahlen so gut wie keine Steuern. Eine 2010 auf den Weg gebrachte Steuerreform wird bisher verschleppt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode –9– Pakistan war nach dem Globalen Klima-Risiko-Index von Germanwatch e. V. das am schlimmsten vom Klimawandel betroffene Land im Jahr 2010. Die Überschwemmungen im Juli und August 2010 haben mehr als 14 Millionen Menschen betroffen; bis zu 20 Prozent der Fläche des Landes standen unter Wasser. Auch 2011 führten heftige Regenfälle wieder zu schweren Überflutungen im Südosten mit rund fünf Millionen Betroffenen. Gleichzeitig werden weite Teile des Landes von einer nie dagewesenen Dengue-Epidemie heimgesucht. Die Schäden häufen sich und weder Katastrophenmanagement noch Vorbeugungsmaßnahmen sind zufriedenstellend. Die Regierung kam durch Öffentlichkeit und Medien massiv unter Druck. Ebenso wenig zufriedenstellend wie die Reaktionen auf die Flutkatastrophe ist der Umgang mit Flüchtlingen im Land, seien es Binnenflüchtlinge oder afghanische Flüchtlinge. Drucksache 17/8492 Gesamtherstellung: H. 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