Für die Routen der Seidenstraßen sind geografisch und klimatisch die enormen natürlichen Barrieren bedeutsam – deshalb konnte der gesamte Weg über diese Handelsroute (etwa von der Familie Polo, vgl. Seite 44f.) nur über meist zweijährige Reisen zurückgelegt werden. Es gibt als Hindernisse: • Bergketten: Tian-Shan, Kunlun-Shan, Pamir, Hindukusch, Karakorum, Zagros, Kaukasus mit Gipfeln oft über 7000 m (etwa K 2 8611 m, Nanga Parbat 8125 m, Kongur-Shan 7719 m); • Pässe: über Pamir und Hindukusch müssen höhe Pässe in menschenfeindlichem Gelände überwunden werden, der höchste Pass der Seidenstraße ist allerdings der Khunjerab-Pass (heute Grenze zwischen China und Pakistan) mit 4730 m; • Wüsten und Steppen: Gobi und Taklamakan (China), Karakum und Kyzylkum (= »schwarzer und roter Sand«, Usbekistan), das gesamte Gebiet Turkmenistans, Kavir und Lot (Iran), die Wüste im Westen des Irak und im Osten Syriens. Auf den Wegstrecken gibt es extreme Klimaschwankungen: In der Turpan-Senke wird es bis +50°, in der Kizilkum-Wüste und im Hochgebirge im Winter bis –40°. Überschwemmungen der Flüsse (im Frühjahr wegen Schmelzwassers und fehlender Brücken unpassierbar), Bergrutsche, Schneeverwehungen, Lawinen, Sandstürme und vieles mehr machten die Seidenstraßen zu gefährlichen Routen, die nur unter größten Mühen zu bewältigen waren. Geografie der Seidenstraße Gelber Fluss, Qinghai, China 21 Seeweg Schwarzes Meer Mittelmeer III Der Weg durch Zentralasien Palmyra Qazvin IV Der Weg durch Vorderasien II Der Weg nach Nord indien Wegstrecken der Seidenstraße Die Karte zeigt – vereinfacht – nur den Weg der Seidenstraße, der am häufigsten genutzt wurde; die vielen Alternativen, also Seidenstraßen, sind hier nicht dargestellt. Anfang und Ende, also je nach Sicht der Landweg innerhalb Zentralchinas und der Seeweg durch das Schwarze Meer und das Mittelmeer werden auf der folgenden Seite erläutert. Ebenfalls ist hier der Seeweg von Bandar Abbas im Iran durch den Persischen Golf und das Rote Meer nicht wiedergegeben. Der Hauptweg der Seidenstraße lässt sich in folgende Wegstücke einteilen (vgl. auch die Kapiteleinteilung dieses Buches): • Der Weg durch China führte von der Kaiserstadt Xian (oder von Luoyang bzw. in der Mongolenzeit von Beijing aus) an die westliche Grenze des chinesisches Raumes, nach Kashgar. Dabei führte der Weg zuerst durch die fruchtbaren Lössgebiete entlang des Gelben Flusses, die notwendige Überquerung des Flusses selbst war gefährlich und mühsam. Je weiter man nach Westen kam, umso unfruchtbarer wurde das Land. Zuerst gab es noch weites Gras- 22 Die Seidenstraße – eine Legende Landweg Ost- und Zentralchina Kashgar Xian I Der Weg durch China land, dann aber nur noch Steppe und ab Dunhuang die riesige und nur mit größter Mühe zu überwindende oder umrundende Taklamakan-Wüste. Kashgar war Oasen- und Handelsstadt. • Der Weg nach Nordindien führte von Kashgar aus in das »Mittlere Land«, in dem der Buddha gelebt hatte – östlich und nördlich von Varanasi. Dabei waren zuerst die Ausläufer des Pamir zu überwinden, dann der Khunjerab-Pass, der zur äußerst schwierigen Karakorum-Schlucht führte. Im Tiefland war der Weg durch den Punjab und die Yamuna- bzw. Gangesebene dagegen einfach. • Der Weg durch Zentralasien überquerte den Tian-Shan und verlief dann durch die Wüsten von Karakum und Kizilkum und durch die Steppen und Wüsten des heutigen Turkmenistans und des Irans bis in den Westiran. • Der Weg durch Vorderasien erforderte je nach politischer Lage bei der Stadt Qazvin die Entscheidung, den direkten Weg zum Mittelmeer zu gehen: durch den heutigen Irak und durch Syrien bis in den heutigen Libanon. Eine Alternative war der Weg nach Nordwesten: durch den Nordiran in das armenische Gebiet und dann durch das Gebiet des heutigen Georgien bis zum Schwarzen Meer. Wegstrecken der Seidenstraße 23 Anfang und Ende der Seidenstraße Ortaköymoschee, Istanbul, Türkei 24 Westliche Ausgangspunkte der Seidenstraße waren: • Rom: Die mittelitalienische Stadt mit heute ca. 3 Millionen Einwohnern wurde der Legende nach im Jahr 753 v. Chr. gegründet, war zuerst ein kleines Königreich, dann ab dem 5. vorchristlichen Jahrhundert eine Republik. Ab 27 v. Chr. wurde das inzwischen den gesamten Mittelmeerraum umfassende Reich unter Augustus (63 v. Chr. bis 14 n. Chr.) zum Kaiserreich. Die über die Seidenstraße transportierten Waren erreichten Rom über seinen Hafen Ostia oder auf dem Landweg von Brindisi aus. Die Römer hatten nur sehr vage Vorstellungen von einem östlichen Land Serica, in welchem die kostbare Seide auf Büschen wuchs ... • Konstantinopel: Die Stadt wurde bereits 660 v. Chr. von griechi­ schen Siedlern unter dem Namen Byzantion gegründet, 330 n. Chr. machte Kaiser Konstantin I. (270–337 n. Chr.) sie zur Residenzstadt; ab 395 n. Chr. war sie Hauptstadt des östlichen Teils des nun geteilten Römischen Reiches, bis sie 1453 an die Osmanen fiel und seitdem Istanbul heißt. • Venedig und Genua: Im Mittelalter gewannen die beiden Handelsstädte hohe Bedeutung für den gesamten Handel im Mittelmeerraum, damit auch für die Seidenstraße. In Konstantinopel gab es Die Seidenstraße – eine Legende ein eigenes venezianisches Viertel, in dem wohl auch Mitglieder der Familie Polo lebten. Östliche Ausgangspunkte der Seidenstraße waren: • Xian: Unter den ersten beiden chinesischen Kaiserdynastien der Qin und Han war Chang’an im Gebiet des heutigen Xian von 221 v. Chr. bis 18 n. Chr. Hauptstadt des Reiches. 582 n. Chr. wurde hier für die Sui-Dynastie eine neue Hauptstadt namens Daxing erbaut; auch die darauf folgenden Tang regierten von hier aus – Xian war bis 907 mit ca. eine Million Einwohner die größte Stadt der Welt. Die Ming erweiterten die Stadt im 14. Jahrhundert. • Luoyang: Die uralte Stadt (Siedlungsreste gehen bis auf das 7. vorchristliche Jahrtausend zurück) war bereits im 8. Jahrhundert v. Chr. die Hauptstadt der Zhou-Dynastie. Später folgten die östlichen Han, die Wei und die Jin und teilweise die Sui. In der Stadt befindet sich der älteste buddhistische Tempel Chinas. • Beijing (Peking): Die Geschichte der Stadt reicht bis ca. 1000 v. Chr. zurück unter den Namen Ji, Janjing, Youzhou und Zhongdu. Der Mongolenherrscher Kubilai Khan ließ im 13. Jahrhundert dort die Hauptstadt Dadu errichten, auch die Ming- und Qing-Herrscher regierten von dort, nun Beijing (nördliche Hauptstadt) genannt. • Datong: Während des 5. Jahrhunderts war die 400 km westlich von Beijing gelegene Stadt Hauptstadt des nordchinesischen Reiches der nördlichen Wei-Dynastie. Anfang und Ende der Seidenstraße Die »neue« Altstadt von der Wildganspagode aus gesehen, Xian, China, 25