Panorama Der Landbote Freitag, 23. Juni 2017 | 11 «Ich bin überzeugt, es gibt Leben auf einem fernen Planeten» WELTALL Der Astronom Willy Benz leitet als erster Schweizer eine Weltraummission. Ende 2018 wird der Satellit Cheops in die Erdumlaufbahn geschossen. Von dort soll er ferne Planeten ausmessen – und helfen, nach Leben im All zu suchen. Herr Benz, Sie begeben sich ab nächstem Jahr auf die Suche nach erdähnlichen Planeten. Warum? Willy Benz: Weil die Frage, ob wir im Universum alleine sind, eine der wichtigsten Fragen ist, die die Menschheit sich stellen kann. Warum ist das wichtig für uns? Wissen ist wichtig. Erst die Neugier hat die Menschheit aus den Höhlen gebracht. Einer baut das erste Rad, ein anderer macht es nach. Es gibt immer jemanden, der sich fragt, wie etwas funktioniert. Irgendwann hat man verstanden, dass die Erde eine Kugel ist, die um die Sonne kreist, und dass es noch andere Planeten gibt. Da muss die Frage aufkommen, ob andere Planeten ebenfalls belebt sind. Ob wir alleine sind, ist eine fundamentale Frage. Sie glauben, dass es irgendwo noch Leben gibt? Davon bin ich überzeugt. Wie können Sie sich da so sicher sein? Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch. Ausserhalb unseres Sonnensystems sind über 4000 Planeten vermessen worden. Auf einigen davon herrschen sehr wahrscheinlich Bedingungen, die Leben, wie wir es kennen, ermöglichen. Wie viele solcher Planeten gibt es insgesamt? Wir kennen erst die allernächs- Der Planetenjäger – Willy Benz von der Universität Bern sucht nach erdähnlichen Planeten im Universum. ten. Angenommen, unsere GalaAlessandro Della Bella xie entspräche der Distanz Bern– Winterthur, dann haben wir bis- h ceo tpisSATELLIT le a slt CHEOPS her erst im Umkreis von 400 Metern um Winterthur gesucht – Wie ferne Planeten vermessen werden und schon da erdähnliche Planeten gefunden. In unserer Galaxie Kreist ein Planet um einen Stern, gibt es 100 Milliarden Sterne. verdunkelt er diesen in regelUnd um uns herum sind noch ein- mässigen Abständen. Diese Helmal 100 Milliarden andere Gala- ligkeitsschwankungen kann xien. Das sind doch unglaubliche man messen. Der Satellit Cheops Dimensionen. Warum sollte nur erkennt Unterschiede von unter auf der Erde Leben entstanden 0,01 Prozent – eine Mücke vor sein? einem Scheinwerfer wirft einen Vielleicht weil es ein aussergegrösseren Schatten. wöhnlicher Zufall war. Andere Aus den Schwankungen der sagen, weil ein göttlicher Wille Helligkeit berechnet man die dahintersteckt. Grösse des Planeten. Doch die Das ist auch eine Möglichkeit. Physiker finden noch mehr über Was ist für Sie plausibler? Zufall ihn heraus. Denn auf seiner Umoder Gott? laufbahn bringt der Planet den Ich bin Wissenschaftler. Die Fra- Stern mit seiner Anziehungskraft ge nach dem Ursprung des Le- auch leicht zum Wackeln. Daraus bens hat mit Gott nichts zu tun. errechnet man seine Masse. Aus Sie sind aber kein Atheist. Masse und Grösse wiederum Nein, ich bin katholisch erzogen. lässt sich sagen, ob der Planet Aber man muss trennen zwi- aus Gas, Eis oder Gestein ist. glo Ab 2018 in der Umlaufbahn der Erde: Der Satellit Cheops. ESA schen Wissenschaft und Reli- gion. Man kann mit Wissenschaft nicht die Existenz Gottes beweisen, und man kann mit Religion nicht den Ursprung des Lebens erklären. Wissenschaft fragt, wie die Natur funktioniert, Religion fragt, warum es sie gibt. Stellen Sie sich nie die Frage nach dem Warum? Doch, man kann die Frage nach dem Sinn nicht vermeiden. Aber ich vermische die beiden Sachen nicht. Gott ist für mich nicht eine Kraft, die das Universum und das Leben erschaffen hat. «Die Frage nach dem Ursprung des Lebens hat mit Gott nichts zu tun.» Willy Benz, Astrophysiker der Uni Bern Was sagen Sie jemandem, der glaubt, die Erde sei vor 6000 Jahren entstanden? Ich sage, dass das eben Glaube ist und nicht Wissen. Wir können beweisen, wann Dinosaurier gelebt haben, wann die Planeten und das Leben entstanden sind. Wenn die Bibel vom Anfang redet, darf man das nicht wörtlich nehmen. Die Wissenschaft kann die Zeit null berechnen, das war der Big Bang. Was war vorher? Das wissen wir nicht. Also doch Gott? Nein, irgendwann werden wir erklären können, wie es geschehen ist. Für das Warum wäre dann die Religion zuständig. Suchen wir überhaupt nach dem Richtigen? Leben könnte auch ganz anders aussehen, als wir es uns vorstellen. Das ist möglich. Aber man kann nur nach etwas suchen, von dem man eine Vorstellung hat. Wir wissen, welche Spuren Leben, wie wir es kennen, auf einem Planeten verursacht – also suchen wir danach. Wenn ich etwas suche, von dem ich nicht weiss, wie es aussieht, erkenne ich nicht, ob ich es gefunden habe. Wenn also anderes Leben nicht wie das auf der Erde auf dem Element Kohlenstoff basiert, werden wir es wahrscheinlich nicht erkennen. Warum geht die Wissenschaft davon aus, dass nicht nur extraterrestrisches Leben, sondern sogar Intelligenz existiert? Weil Intelligenz eine logische Folge der Evolution ist. Irgendwann hat einer mal ein Werkzeug gebaut und sich damit einen Überlebensvorteil verschafft. Wenn also auf einem fremden Planeten Leben sehr wahrscheinlich ist, dann ist es Intelligenz wohl auch. Obwohl das logisch tönt, ist es aber wichtig, das irgendwann mit Beobachtungen oder Messungen zu bestätigen. Einige Politiker fordern, Forschung müsse einen volkswirtschaftlichen Nutzen beweisen, um gefördert zu werden. Die Suche nach intelligenten Aliens zählt aber wohl nicht dazu. Doch. Denn um zu diesem Wissen zu gelangen, bauen wir neue Instrumente und entwickeln neue Technologien. Diese haben einen Wert. Zum Beispiel wurde das Internet ursprünglich entwickelt, damit Physiker ihre Daten besser austauschen können. Heute hat es eine globale wirtschaftliche Bedeutung. Oder die Wetter-App auf dem Smartphone, das GPS, alles, was wir heute selbstverständlich nutzen, war einmal das Spielzeug von Forschern. Angenommen, es gäbe doch nur auf der Erde Leben. Wäre dieses Leben nicht noch viel wunderbarer und schützenswerter? Absolut. Aber das ist es auch, wenn anderswo noch Leben existiert. Denn dieses wird sehr weit entfernt sein. Wir werden uns kaum mit den anderen austauschen oder sogar dahin reisen können. Das Leben auf der Erde ist schützenswert, egal ob wir im Universum alleine sind oder nicht. Interview: Beat Glogger VERANSTALTUNGSREIHE Wissenschaft persönlich Dieses Interview entstand im Rahmen der Veranstaltungsrei­ he «Wissenschaft persönlich» am 20. Juni 2017 in der Stadt­ bibliothek Winterthur. In der rund einstündigen Talkshow erzählen Menschen aus der Wissenschaft von ihrer Forschung und ihrem Leben. sci Eine Videoaufzeichnung des gesamten Gesprächs finden Sie auf: www.wissenschaft­persoenlich.ch Kinder leiden nach Verbrennungen auch seelisch PSYCHOLOGIE Kinder, die schwere Verbrennungen erlitten haben, entwickeln manchmal psychische Probleme. Um ihnen besser zu helfen, müssen die Eltern mit in die Therapie. Eine umkippende heisse Tasse Tee, die Kochplatte oder der Grill – Verbrennungsunfälle sind schnell passiert. Besonders gefährdet sind kleine Kinder: Vier von fünf Kindern, die sich eine schwere Verbrennung oder Verbrühung zuziehen, sind unter fünf Jahre alt. Sie müssen sich meist einer langwierigen und schmerzhaften Behandlung unterziehen. «Viele leiden an den Folgen des Unfalls jahrelang – nicht nur körperlich, sondern auch psychisch», sagt AnnChristin Haag, Psychologin am Kinderspital Zürich. So bekommen manche Kinder Schlafstörungen, andere heftige Wutanfälle, wieder andere fürchten sich fortan davor, den Raum zu betreten, in dem der Unfall geschehen ist. Warum manche Kinder solche Stressreaktionen entwickeln, hat Haag nun in einer Studie unter- sucht. Sie analysierte rund 140 Verbrennungsunfälle von Kindern zwischen einem und vier Jahren, die am Kinderspital Zürich behandelt wurden, und befragte deren Eltern. So stellte die Psychologin fest: Wie sehr die Kinder psychisch belastet sind, hat kaum etwas mit der Schwere ihrer Verletzung zu tun. Viel entscheidender ist das Befinden der Eltern – vor allem das der Mütter. Stehen sie wegen des Vorfalls stark unter psychischem Stress, besteht die Gefahr, dass sie diesen ungewollt auf ihr Kind übertragen. Die Väter hin- gegen geben ihre Belastung offenbar viel weniger weiter. «Möglicherweise liegt das einfach daran, dass die Mütter mehr Zeit mit den Kindern verbringen», sagt Haag. Starke Schuldgefühle Für die Eltern sei es hart, die lange und schmerzvolle Behandlung ihrer Kinder mitzuerleben. Immer wieder müssen die Wundverbände gewechselt werden, und später tragen die kleinen Patienten monatelang Kompressionsanzüge, damit sich keine schlimmen Narben bilden. Viele Eltern seien zudem von starken Schuldgefühlen geplagt. Denn meist war zumindest ein Elternteil bei dem Unfall dabei und hat einfach kurz nicht aufgepasst. Daher entwickeln manche Eltern ein überbehütendes Verhalten: Sie versuchen, das Kind vor allen potenziellen Gefahren zu beschützen – und schränkenes dadurch ein. «Das Kind kann dann weniger eigene Erfahrungen machen und so weniger gut lernen, dass die Welt nichtthoden, nur ein gefährlicher Ort ist», sagt Haag. Um das zu verhindern,orscher sei es nach einem Verbrennungsunfall. mit kleinen Kindern manchmal wichtig, die ganze Familie in die psychologische Betreuung mit einzubeziehen. Erst das gebe den Eltern die Möglichkeit, den Unfall zusammen mit ihrem Kind zu verarbeiten. Santina Russo PRODUKTION Scitec-Media GmbH, Agentur für Wissenschatsjournalismus Leitung: Beat Glogger [email protected], www.scitec-media.ch Twitter: @scitec_media, Facebook: @wissen.news