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Editorial
203
Psychogener Tremor – Psyche oder Soma?
Neurologische Psychosomatik in der Praxis
Psychogenic Tremor – Psychic or Somatic?
Somatoform Disorders in Neurological Practice
Autoren
C. Lahmann1, M. Dieterich2
Institute
1
Prof. Dr. Marianne Dieterich
Bibliografie
DOI http://dx.doi.org/10.1055/
s-0031-1273294
Fortschr Neurol Psychiat 2011;
79: 203 © Georg Thieme Verlag
KG Stuttgart ∙ New York ∙
ISSN 0720-4299
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med Marianne
Dieterich
Klinik und Poliklinik für
Neurologie der LMU,
Klinikum Großhadern
Marchioninistr. 15
81377 München
[email protected]
Bei mindestens 20% der ambulanten und 5 % der
stationären neurologischen Patienten kann auch
nach ausführlicher somatischer Diagnostik keine
ausreichende Erklärung für die geklagten Körperbeschwerden im Sinne einer kausalen Organpathologie gefunden werden [1]; es handelt sich
um medizinisch unerklärte Körperbeschwerden
respektive somatoforme Störungen. Die größte
Subgruppe stellen dabei die Bewegungsstörungen
dar [2], die in der psychosomatischen Klassifikation als dissoziative und im klinisch-neurologischen Sprachgebrauch als psychogene Bewegungsstörungen gefasst werden. Mit ungefähr
der Hälfte aller Fälle ist der psychogene Tremor
die häufigste dissoziative Bewegungsstörung [3].
Die Abgrenzung zu organisch begründeten neurologischen Störungen erfolgt dabei sowohl über
den Ausschluss eines fassbaren pathophysiologischen Korrelats als auch über die Beachtung von
Positivkriterien wie Vorhandensein psychosozialer Belastungsfaktoren, abrupte Änderungen im
zeitlichen Verlauf, ungewöhnliche Kombinationen
verschiedener Tremorformen, Sistieren bzw. Änderung der Amplitude bei Ablenkung sowie Koaktivierung agonistischer und antagonistischer
Muskelgruppen (vgl. [4, 5]).
Diagnostisch sollten im Sinne einer sog. Simultandiagnostik von Beginn an sowohl organische als
auch psychosoziale Faktoren berücksichtigt
werden. Dabei ist es wichtig, in der Anamnese aktuelle und frühere Beschwerden sowie das
Inanspruchnahmeverhalten und vorangegangene
diagnostische bzw. therapeutische Maßnahmen
möglichst vollständig zu erheben. Insbesondere
bei bereits erfolgter Primärdiagnostik ohne ausreichend erklärenden somatischen Befund sollte der
Patient vor einer geplanten weiterführenden
Diagnostik frühzeitig und ausführlich darauf hingewiesen werden, dass zwar alle notwendigen
Untersuchungen, z. B. eine noch ausstehende zerebrale Bildgebung oder elektro-physiologische
Diagnostik, durchgeführt werden, dies mit einiger
Wahrscheinlichkeit jedoch keine wegweisenden
neuen Befunde erbringen wird [6]. Dieses Vorgehen mindert das Risiko, dass sich die typischerweise von einer somatischen Ursache der Beschwerden überzeugten Patienten nach einem
längeren Prozess somatisch ausgerichteter Diagnostik bei fehlendem pathologischem Befund und
erst später ausgesprochener Empfehlung einer
psychosomatischen Diagnostik in die „PsychoEcke“ abgeschoben fühlen. In diesem Kontext
kann es sinnvoll sein, den Patienten gegenüber
eher von einer funktionellen oder somatoformen
Bewegungsstörung im Sinne eines psychosomatischen Geschehens zu sprechen, um die Ambivalenz zwischen entweder psychogen oder somatisch abzumildern. In der Praxis lässt sich auch
mit dieser Strategie jedoch leider nur ein Teil der
Patienten erreichen, da die oft rigide Überzeugung
der Patienten, an einer somatischen Ursache zu
leiden, eine probatorische psychosomatische Therapie vielfach unmöglich macht. Gerade diese
wäre jedoch nötig, um durch einen Behandlungserfolg den Patienten intrinsisch von einer psychosomatischen Ätiopathogenese zu überzeugen.
Im vorliegenden Heft stellen Dafotakis et al. (S. 222)
[7] eine Pilotstudie vor, die genau diese intrinsische Akzeptanz der Diagnose eines psychogenen
bzw. dissoziativen Tremors erleichtert, indem den
Patienten die Variabilität des Tremors durch Einsatz transkranieller Magnetstimulation erlebbar
und somit auch die Diagnose eines psychogenen
Tremors nach den Kriterien von Fahn und Williams [8] verstehbar gemacht werden konnte.
Durch die Kombination der TMS-Intervention mit
der Vermittlung eines integrativen psychosomatischen Erklärungsmodells zeigen die Autoren auch,
wie die psychosomatische Haltung des „sowohl als
auch“ anstelle eines dysfunktionalen „entweder
oder“ innovativ umgesetzt werden kann.
Die zitierte Literatur finden Sie unter:
http://dx.doi.org/10.1055/s-0031-1273294
Lahmann C, Dieterich M. Psychogener Tremor –… Fortschr Neurol Psychiat 2011; 79: 203
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Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinikum rechts der Isar,
Technische Universität München
Klinik und Poliklinik für Neurologie, Klinikum Großhadern, Ludwig-Maximilians-Universität München
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