Forschungsschwerpunkte – Prof. Dr. Hannah Petersen Dynamische Beschreibung von Schwerionenreaktionen Die gesamte Materie in der Welt besteht aus Atomen, die aus Atomkern und Atomhülle zusammengesetzt sind. Die Bestandteile der Atomkerne, die Protonen und Neutronen, sind ihrerseits wieder aus Quarks und Gluonen aufgebaut. Die starke Kernkaft hält die Kernbausteine zusammen und ist ebenfalls für einen großen Anteil der Masse der Protonen und Neutronen verantwortlich. Relativistische Schwerionenkollisionen bieten nun die Möglichkeit, diese stark wechselwirkende Materie unter extremen Bedingungen zu untersuchen. Durch die Beschleunigung von Blei- oder Goldkernen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit und deren Kollision, können Temperaturen und Dichten erreicht werden wie sie im frühen Universum nur Mikrosekunden nach dem Urknall existiert haben. Bei so hohen Energiedichten sagt die Quantenfeldtheorie, die die theoretische Grundlage für stark wechselwirkende Materie ist, die Quantenchromodynamik (QCD), eine neue Phase der Materie voraus. In diesem neuen Zustand liegen die Bestandteile der Protonen und Neutronen (oder allgemein der Hadronen) nicht mehr eingeschlossen vor und können sich unabhängig voneinander bewegen. Der Übergang von Hadronen zu diesem Quark-Gluon-Plasma wurde am Relativistic Heavy Ion Collider (RHIC) und dem Large Hadron Collider (LHC) beobachtet. Ähnlich wie das Kochen von Wasser, das vom flüssigen in den gasförmigen Zustand übergeht, ist es von besonderem Interesse, die Eigenschaften dieses Phasenübergangs zu bestimmen. Hierzu wird die Facility for Antiproton and Ion Research (FAIR) in neue Bereiche bei hohen Dichten vorstoßen. Bei diesen Bedingungen erwartet man einen echten Phasenübergang, bei dem die Temperatur eine Weile stagniert, anstatt eines kontinuierlichen Übergangs, wie er bei hohen Temperaturen gemessen und berechnet wurde. Der Übergang vom Quark-Gluon-Plasma zu Hadronen ist auch deshalb besonders interessant, weil hier 98 % der Masse der Teilchen erzeugt wird (zusätzlich zu den 2 % der Masse durch den Higgs-Mechanismus). Im Experiment kann man dank der schnellen Reaktionszeit in der Größenordnung von 10-22 Sekunden und den kleinen Volumen nur die Bruchstücke der Explosion, die neu entstandenen Teilchen im Detektor messen. Daher ist es notwendig, den ganzen Prozess der Schwerionenkollision möglichst realistisch theoretisch zu beschreiben, um die Eigenschaften der neu erzeugten Phase, des Quark-Gluon-Plasmas, und den Phasenübergang zu untersuchen. Das Hauptziel meiner Arbeitsgruppe ist es, einen Transport-Ansatz für die dynamische Beschreibung von Schwerionenreaktionen bei FAIR mit modernsten Rechentechniken zu Forschungsschwerpunkte – Heinz Maier-Leibnitz-Preis 2016 Prof. Dr. Hannah Petersen Stand: April 2016 DFG Seite 2 von 3 entwickeln. Es geht darum, die Boltzmann-Gleichung für über 100 verschiedene Teilchensorten numerisch zu lösen. Hierzu werden zunächst die einzelnen Protonen und Neutronen im Kern (die Nukleonen) mit Orten und Impulsen versehen und dann jede einzelne Wechselwirkung mikroskopisch berechnet. Teilchen streuen elastisch, was zu einer reinen Impulsänderung führt, und inelastisch, wobei neue Teilchen produziert werden. Im Folgenden werden einzelne Beispiele für die Erkenntnisse gegeben, die aus der detaillierten, dynamischen Beschreibung von Schwerionenreaktionen gewonnen werden. Fluktuationen im Anfangszustand Da die Kerne nicht wirklich runde Kugeln sind und vor allem bei ultra-relativistischen Energien auch Quantenfluktuationen auftreten können, müssen Fluktuationen bei der Beschreibung berücksichtigt werden. Diese haben ihren Ursprung in den fluktuierenden Positionen der Nukleonen, aber auch in wechselnden Energieüberträgen bei den Stößen. In Analogie zum kosmischen Mikrowellenhintergrund, bei dem eine sehr präzise Multipolentwicklung der Temperatur-Fluktuationen Rückschlüsse auf die Materie-Zusammensetzung des Universums erlaubt, wird dies bei Schwerionenreaktionen ebenfalls angewendet. Der wichtigste Unterschied ist allerdings, dass beim Big Bang genau ein Ereignis zur Verfügung steht, das sehr genau vermessen ist, während bei den Little Bangs viele Ereignisse erzeugt werden können, aber nur bis zu 6 Koeffizienten in der Entwicklung mit ausreichender Stärke gemessen werden. Dieses Phänomen einer Asymmetrie in den Impulsen der Teilchen wird kollektiver Fluss genannt. Kollektiver Fluss bedeutet, dass je nach den Druckverhältnissen während der Reaktion die Teilchen unterschiedlich schnell in verschiedene Richtungen fliegen. Durch detaillierte Messungen – insbesondere von Observablen, die mehrere Teilchen in Abhängigkeit voneinander zeigen – und den Vergleich mit unseren Rechnungen lernt man etwas über die Zustandsgleichung und damit über den Phasenübergang zum Quark-Gluon-Plasma sowie die fundamentalen Mechanismen, die für die Produktion neuer Teilchen verantwortlich sind. Erste erfolgreiche Berechnungen mit der Nichtgleichgewichts-Entwicklung der frühen Phase, gefolgt von einer (fast) ideal-hydrodynamischen Expansion und einer anschließenden allmählichen Entkopplung und hadronischer Streuung, zeigen, dass insbesondere die Strahlenergie-Abhängigkeit von kollektiven Fluss-Observablen sensitiv auf die Viskosität des Quark-Gluon-Plasmas und den Phasenübergang ist. Transportkoeffizienten von QCD-Materie Eine Möglichkeit, die Eigenschaften von heißer und dichter Kernmaterie zu bestimmen, besteht darin, die Transportkoeffizienten zu extrahieren. Je nach Stärke der Wechselwirkung zwischen den Quarks und Gluonen haben diese eine unterschiedlich große mittlere freie Weglänge, können sich also unterschiedlich weit fortbewegen, bevor sie wieder streuen. Die Forschungsschwerpunkte – Heinz Maier-Leibnitz-Preis 2016 Prof. Dr. Hannah Petersen Stand: April 2016 DFG Seite 3 von 3 Scher-Viskosität beschreibt, wie viel Impulstransfer senkrecht zur Bewegungsrichtung stattfinden kann. Dies ist praktisch der Widerstand eines Materials, wenn man zwei Platten aneinander vorbeischiebt. Erste Rechnungen haben gezeigt, dass das Quark-Gluon-Plasma sehr nah an einer „idealen Flüssigkeit“ mit verschwindender Viskosität ist. Ähnlich kleine Werte werden nur in Experimenten mit kalten Quantengasen beobachtet, eine erstaunliche Verbindung der heißesten und kältesten Materie. Da durch die explosionsartige Natur die Viskosität des Quark-Gluon-Plasmas nicht direkt bestimmt werden kann, muss auch die Temperaturund Dichteabhängigkeit der Transportkoeffizienten bekannt sein. Meine Gruppe wird hier einen Beitrag leisten, in dem die Transporteigenschaften eines Hadronen-Gases bestimmt werden. Elektromagnetische Sonden Da Quarks auch elektrisch geladen sind, produziert das Quark-Gluon-Plasma neben den stark wechselwirkenden Teilchen auch Elektron-Positron-Paare und Lichtteilchen (Photonen). Da diese nur elektromagnetisch wechselwirken und damit die Wahrscheinlichkeit viel kleiner ist, dass diese wieder vernichtet werden, werden elektromagnetische Sonden aus allen Phasen der Schwerionenreaktion ausgesendet. Durch ein theoretisches Verständnis der verschiedenen Beiträge zu den finalen Verteilungen der Elektronen und Photonen kann man den Beitrag aus dem Quark-Gluon-Plasma identifizieren. Wie bei einem Schwarzkörperstrahler ist die Aussendung von Licht mit der Temperatur des Systems verknüpft. Auch hier wird meine Gruppe insbesondere die Beiträge aus der hadronischen Phase quantifizieren und dadurch wichtige Rückschlüsse auf die Eigenschaften heißer und dichter Kernmaterie ermöglichen. 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