Bibliotheksbauten das Entstehen eines Gebäudetyps Ein Beitrag zur Exkursion vom 12.09. bis 16.09.11 Gerhard Feuser I. Aufgabenstellung als Einführung Zu den Kulturbauten, den Stätten zur Pflege und Förderung der Geistes- und Naturwissenschaften zählen Schulen, Universitäten, Theater und so auch Bibliotheken. Für alle diese Bauten wurden im Verlauf der Baugeschichte Gebäudetypen entwickelt und fortgeschrieben. Dieser Prozess ist begründet durch die ständig veränderte Art der Nutzung und durch enorm gewachsene Dimensionen der meisten Kultureinrichtungen. Ihr häufig anzutreffendes räumliches Nebeneinander ist Zielsetzung oder Folge von Kulturpolitik. In der Mitte zwischen Staatsmacht und Kirche, Lehre und Forschung war auch die Bibliothek zu suchen. Die räumliche und politische Situation lenkt den Ablauf jeder einzelnen Bibliotheksgeschichte. Ihr angestammter, enger oder weiter Platz im Stadtgefüge behindert oder begünstigt die Entwicklung. Wandel und Gewichtung der sich verändernden Aufgabenschwerpunkte, das Buchangebot an den Leser, das Aufnehmen, das Speichern und Pflegen sind Faktoren, die die weitere Entwicklung bestimmen. Grund in die Geschichte des Bibliotheksbaus zurück zu schauen, auf die Schwerpunkte der Entwicklung. Drei Aspekte sind vorrangig zu beachten: Erstens funktionale Bedürfnisse, dann konstruktive Anforderungen und Möglichkeiten der Bautechnik, dritter Aspekt sind die formalen Anforderungen nach Präsentation. Mit den gleichen Fragen beschäftigten sich die Bauherrn, die diversen Träger, die Bibliothekare wie Architekten bis heute. In einigen von uns besuchten Bibliotheken lassen sich wichtige Merkmale, wie Typus und Bauweisen erkennen, die auch heute bei Neubauten und Adaptionen sowohl für Funktionsablauf wie Präsentation vorbildlich sind. II. Entwicklungen vom Konstruktionselement zum Bautyp Bauwerke werden bestimmt durch ihre Lage im Stadtgefüge, ihrer Größe und Selbstdarstellung nach Außen. Den Innenraum jedoch bestimmen andere, feinere Faktoren: Raumzuschnitt, Gliederung, beide abhängig von der Wahl der baulichen Mittel, der konstruktiven Elemente. Dann kommen Licht, Farbe und Dekor dazu, unsichtbar das Raumklima. Bauglieder sind konstruktive Teile, die im Zusammenwirken ein funktionsfähiges Gebäude ergeben. Dazu kommt, auch unsichtbar, die Haustechnik. Wenn eine Gebäudenutzung Erfolg zeigt, kann in ständiger Wiederholung ein Gebäudetypus generiert werden. In systematischer Bearbeitung wurde daraus eine Typologie, schon in der Antike. Zur Zeit des Hellenismus waren Typologie und Konstruktion weit fortgeschritten. Fast alle konstruktiven Mittel bis hin zur seriellen Fertigung waren bekannt, sofern sie nicht an Stahl oder Stahlbeton gebunden sind. Zum Speichern der Schriften wurden abgedunkelte Zellen mit allseitig umlaufenden, tragenden Wänden ummauert und überdeckt mit linear verlaufenden Tonnen, flächigen Kreuzgewölben oder Flachdecken mit Balkenlagen und Ziegeln. Die abgeschlossene Zelle wird mit doppelter Wand zum klimageschützten Raum, konservierenden Archiv. Aus der kleinen Zelle wird später das Armarium, aus der größeren wird der Lesesaal. Allseitig oder einseitig offene, lichtdurchflutete Säulenhallen werden Kapitelsäle, Lesesäle. Schattige Kolonnaden werden als Kreuzgänge weitere wesentliche Elemente der Bibliothek. In diesen Räumen und Gängen werden auch die konstruktiven Elemente deutlich sichtbar. Dazu kommen plastischer Dekor und Ausmalungen, Illustrationen zum Buch. Das zugehörige Element ist der Innenhof, Kernelement vieler baulicher Ensembles bis in unsere Zeit. Heute könnte man alle baulichen Elemente in moderne Baustoffe und Fertigungsmethoden übersetzen, wie die Hochschulbibliothek in Lausanne als Beispiel zeigt. III: Bibliotheksbauten der Antike In unserem abendländischen Sprachraum sind Bibliotheksbauten erstmals erwähnt mit ihrem Schriftbestand in der Zeit des Hellenismus. Lage und Bauwerk der Bibliothek der Ptolemäer sind unklar, die der Bibliothek der Attaliden wird nur vermutet. Einige vermuten den Standort in Pergamon auf der Akropolis, nahe dem Heiligtum der Athena, als Bibliothek des Tempels und Königshauses, andere vermuten ihn auf dem Plateau der unteren Agora, nahe dem Gymnasion wie eine Universitätsbibliothek. Die beiden Dynastien sammelten leidenschaftlich und erfolgreich alte Schriften aus Privatsammlungen von Philosophen, Literaten und Wissenschaftlern aus klassischer Zeit. In Pergamon werden 200.000 Schriftrollen vermutet. Diese Rollen aus Papyrus und Pergament wurden in Wandnischen auf Regalbrettern liegend oder in Körben stehend aufbewahrt. Die Celsus-Bibliothek in Ephesus dient als Beispiel. In der 100 qm großen Lesehalle sind zehn Wandnischen nebeneinander und auf drei Ebenen übereinander angeordnet. Das Bauwerk diente zugleich als Grabmal für den Vater des Sponsors, ein repräsentatives Merkmal im Stadtbild. Fast gleichzeitig entstand die Hadriansbibliothek, 132 in Athen. Sie ist größer und auch typischer im Konzept, denn sie diente als öffentliche, kaiserliche Bibliothek. Sie wurde betreten über einen vom Stadtleben abgeschirmten Innenhof von 70x100 m mit einer umlaufenden Säulenhalle. Großartige, kaiserliche Leseplätze. Dahinter lag ein abgeschlossener Speicherturm für 20.000 Rollen mit 66 Wandnischen auf drei Ebenen. Bei anderen Bibliotheken, wie bei der Biblioteca Ulpia auf dem Traiansforum in Rom war der helle Lesehof durch eine oben seitlich belichtete Halle ersetzt. Auffallend für die Antike ist das sehr üppige Angebot an Publikumsfläche. Hier zeigte sich ein besonderer, dem Lesen, Lehren und Lernen geschuldeter Aufwand. Sicher ein Erfolg üppig fliessender Geldmittel aber auch der Einstellung, der Kulturauffassung. IV. Bibliotheken des Mittelalters Im Frühmittelalter wurden im nahen Orient viele Bauten aus antikem Bestand übernommen, auch Bibliotheken mit Schriften. Der Schriftbestand wurde in Klöstern gepflegt und aufgerüstet mit Texten der Bibel und Exegese. Das Christentum 391 n.C. die alleinige Staatsreligion verhalf die neue Schriftform durchzusetzen, den Kodex. Im Abendland machten die Benediktiner einen Neuanfang. Benedikt gründete mehrere Klöster, darunter 529 das erfolgreiche und Beispiel gebende in Monte Cassino. Seine Gedanken zu Organisation und Form der Klöster wurden schnell weiter getragen nach Irland und England, kamen zurück nach Mitteleuropa, und fanden Niederschlag im Idealplan von Sankt Gallen 820 als Leitbild für weitere Gründungen. Im hohen Mittelalter folgten den Benediktinern die beiden Reformorden der Zisterzienser und Kartäuser, ebenfalls mit Niederlassungen auf dem Land. Zeitgeist und Formensprache im Bauen hatten sich geändert; die Romanik war der eleganteren und technisch verbesserten Gotik gewichen. Die Bibliotheksbauten der Orden waren ähnlich klein wie ihre Schriftbestände, im Mittel 300 Kodices. Das Schrifttum war zuerst auf christliches beschränkt, später kamen antike Schriften dazu. Alle dienten der eigenen Erbauung mehr als der Lehre. Die Räume für Buchaufbewahrung und Lesen waren knapp bemessen. Leseraum bot der Kreuzgang, Vortragsraum der Kapitelsaal mit der nahen Schreibstube. Ausnahmen waren karolingische Gründungen mit Staatsaufgaben und Dombibliotheken, beide besser ausgestattet, der Glaubensverbreitung wegen. Die Klosterstadt Sankt Gallen gibt dafür das beste Zeugnis. Bibliothek und Schreibstube fanden übereinander Platz im nordöstlichen Kirchturm. Im Idealplan des Zisterzienserklosters war die eigentliche Bibliothek nicht größer, der Buchbestand kaum gewachsen. Dem Leseplatz aber wurde im Kreuzgang und Kapitelsaal größere Bedeutung eingeräumt. V: Bibliotheken der Renaissance Mit den neuen Orden, den Dominikanern und die Franziskanern entstanden zum Beginn des 13.Jh. neue Klöster. Sie waren kleiner und bescheidener, jedoch mit großen Kirchen in gotischem Stil, alle am Stadtrand erbaut. Die Dominikaner bestimmten auch durch ihren Umgang mit Buch und Bauen den Übergang in die Renaissance. Beide Orden erfreuten sich der Gunst von Fürsten, Stadtherren und Mäzenen. Sie wurden von ihnen neben ihren eigenen Aufgaben, mit der Pflege der Wissenschaften und des Buches beauftragt. Die Medici und die Malatesta bauten als Sponsoren ihre alten Klöster um, verbrachten ihre eigenen Bibliotheken dorthin und machten diese der Öffentlichkeit zugänglich. Im Klosterbau wurden alte Schemata beibehalten, doch die Bauformen waren neu, die Renaissance bestimmte das Erscheinungsbild. Wesentlich verbessert wurden mit der neuen Gestaltform auch die Konstruktionselemente zum Bau der Bibliothek. Mit den Erfindungen von Papier und Buchdruck zwischen 1380 und 1450 hatten sich Aufgaben und besonders der Umfang der Kloster- und Dombibliotheken schlagartig geändert. Schreibstuben entfielen, Lesesaal und Buchaufbewahrung waren im gleichen besonders reich gestalteten Raum. In der Frührenaissance für den Bibliotheksbau die dreischiffige Basilika übernommen. Mit schmalen tonnenüberwölbten Gang in der Mitte, daneben breitere Seitenschiffe zur Buchaufstellung, in quadratischen Stützfeldern unter Kreuzgewölben, wie in San Marco und der Malatestiana. In der Spätrenaissance wurde diese Form, die Basilika, aufgegeben zugunsten eines Saals ohne Stützen und mit flacher Decke, wie in der Laurenziana. Alle neuen Konstruktionselemente, Bauformen und Gebäudeformen sind sehr ähnlich denen der Antike. Der Buchaufstellung diente das Lesepult, mit manchmal angeketteten Büchern, in Reihen senkrecht zum Fenster aufgestellt wie Kirchenbänke, die ebenfalls in dieser Zeit aufkamen. VI. Entwicklung der Bibliothek bis in die Neuzeit In der Zeit der Gegenreformation, im Wiederaufbau nach den Kriegswirren, lebten auch Klosterbibliotheken fürstlich wieder auf. Viele Buchschätze waren in die Hände der aufgeklärten Herrscher gefallen, die neue Bibliotheken für ihre Schätze errichteten. Erbaut in der Zeit des 17. und 18.Jh. in der Formensprache eines klassizistischen Barocks oder elegantem Rokoko. Neben diesen Klöstern bauten die Höfe ihre Bibliotheken, in Wien und Rom. Die Klosterbibliothek in Sankt Gallen erlebte eine neue Hochblüte, in Ravenna bauten die Kamaldulenser ihr neues Kloster mit einer Saalbibliothek, 1714, im neuen Stil. Die Formensprache des Innenraums ist mit der des zeitgenössischen Sakralbaus eng verwandt. Der Saalcharakter, eine Entwicklung der Renaissance bleibt erhalten, tragende Bauteile außer den Wänden sind nicht sichtbar. Aller Kirchen- und Bibliotheksbau dieser Zeit drängt alle Stützen an die Außenwände und lenkt zudem mit illusionistisch gemalten Himmeln ab von der Konstruktion. Die Buchregale stehen umlaufend vor den Wänden, unterbrochen nur vom Eingang. Das Licht fällt seitlich über den Regalen ein. Nach der Französischen Revolution geriet der Bibliotheksbau in eine schwierige Phase. Die neuesten Entwicklungen sollten nahezu jedes Konzept möglich machen. Aber der Traum von einer Universalbibliothek blieb unerfüllt. Die im 19.Jh. angestrebte Trennung von Speichern, Lesen und Buchbearbeitung sucht noch immer zufrieden stellend miteinander verknüpfter Räume, ideale Systeme von Raumkonzepten. Das Problem des Suchens hat über OPAC eine Lösung gefunden, Transportmaschinen stehen auch zur Verfügung, um das Buch von einem entlegenen Platz zum Leser zu bringen. Die Bestandsgröße, nicht die Digitalisierung wird zum Problem für die Bibliotheken, für die Bibliothekare und die Planer.