Kapitel 26 Die Anwendung des Vollbeschäftigungsmodells

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Volkswirtschaftslehre
Kapitel 26
Die Anwendung des Vollbeschäftigungsmodells
Lernziele
Ø Was sind Konsequenzen eines grossen Budgetdefizits?
Ø Was sind die Folgen von Handelsbilanzdefiziten?
Ø Warum beeinträchtigen Defizite das Wachstum?
Ø Welche Massnahmen können einen Beitrag zum Wachstum leisten?
Die staatlichen Budgetdefizite rückten in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts in den
Vordergrund des Interesses von Wirtschaftswissenschaftlern und Politikern. Das Kapitel
behandelt die Folgen eines Defizits mit Hilfe des Vollbeschäftigungsmodells. Es geht auch
auf die Handelsbilanz ein (Exporte minus Importe) und erklärt, wie wirtschaftspolitische
Massnahmen diese beeinflussen können.
26.1 Das Haushaltsdefizit
Ein Haushaltsdefizit des Staates liegt vor, wenn er mehr ausgibt als er durch Steuern und
andere Einnahmenquellen erhält. Dies führt zur Verschuldung. Unter Staatsverschuldung
versteht man die kumulierte Summe aller Staatsschulden.
Untersucht wird die Wirkung einer Staatsausgabenerhöhung, der keine höheren Steuern
gegenüberstehen. Dies wiederum in einer offenen und einer geschlossenen Wirtschaft.
Die geschlossene Volkswirtschaft
Eine Ausgabenerhöhung ohne höhere Steuern muss durch Kredite finanziert werden. Die
privaten Ersparnisse finanzieren das Haushaltsdefizit und die Investitionen.
Sp = Haushaltsdefizit D + Investitionen I
Das Haushaltsdefizit stellt die negative öffentliche Ersparnis dar:
D = - Sg (g = government)
Sp - D = I oder S = Sp - (-Sg) = Sp+ Sg = I
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Volkswirtschaftslehre
Die gesamtwirtschaftliche Ersparnis besteht aus der privaten und der staatlichen Ersparnis.
Erhöht sich das Haushaltsdefizit, reduziert sich die volkswirtschaftliche Ersparnis (Linksverschiebung von S), wodurch der Zinssatz steigt und die privaten Investitionen, die annahmegemäss nur von den Zinsen abhängen sollen, sich reduzieren.
Die kleine offene Volkswirtschaft
Bei einem Rückgang der inländischen Ersparnis kann die Investitionstätigkeit mit Hilfe
anderer Länder finanziert werden. Die Linksverschiebung der Sparfunktion hat keine
Auswirkung auf die Investitionen, falls der inländische Zinssatz nun höher wird und der
ausländische Zinssatz tiefer ist. Man refinanziert sich im Ausland zum tieferen Zinssatz,
was die Investitionen unberührt lässt. Allerdings erhöht sich dadurch die Auslandsverschuldung. In Zukunft müssen diese samt Zinsen zurückbezahlt werden, was zu einem
niedrigeren Lebensstandard in Zukunft führen könnte. Sollten die Kredite in Infrastrukturinvestitionen und Ähnliches geflossen sein, welche die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöhen, brauchen die Rückzahlungen den Lebensstandard auch künftig nicht zu
senken. Es kommt also darauf an, wofür man die Kredite verwendet.
Anmerkung
Die Schweiz stellt einen Spezialfall dar, da die inländischen Zinsen niedriger sind als die
ausländischen. Deshalb besteht die Gefahr einer Zinserhöhung mit der möglichen Verdrängung der privaten Investitionen (crowding out) bei staatlichen Budgetdefiziten.
Begriffsklärungen
Defizit
Bedeutet, dass die Ausgaben innerhalb eines bestimmten Zeitraums - meist eines Jahres
- grösser sind als die Einnahmen. In den öffentlichen Finanzen besteht ein Defizit, wenn
die Staatseinnahmen die Staatsausgaben nicht decken. Im Gegensatz zur öffentlichen
Hand, die sich zulasten kommender Generationen verschulden kann, gerät ein privater
Betrieb, der Defizite macht, früher oder später in Konkurs.
Direkte Steuern
Steuern auf Einkommen und Vermögen. Sie werden in der Regel nach der Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen erhoben. Bemessungsgrundlage bei natürlichen Personen
sind Einkommen und Vermögen, bei den juristischen Personen Reinertrag und Kapital.
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Volkswirtschaftslehre
Finanzausgleich
Umverteilung der Ressourcen zwischen Bund und Kantonen (vertikaler Finanzausgleich)
und unter den Kantonen (horizontaler Finanzausgleich), um die Unterschiede in der Finanzkraft, der Steuerbelastung und der Versorgung mit staatlichen Leistungen zwischen
den drei Staatsebenen auszugleichen.
Finanzordnung
Dieses System hat vier charakteristische Merkmale: Gebietsorganisation, Steuerordnung,
Aufgabenteilung und Transfersystem. Die Gebietsorganisation teilt das Gebiet in Einheiten auf (26 Kantone, 3000 Gemeinden). Die Steuerordnung legt fest, welche Ebene welche Steuern einfordern kann und wer die Steuersätze bestimmt. Die Aufgabenteilung
weist den drei Ebenen ihre Aufgaben zu. Das Transfersystem regelt die Finanzströme
zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden.
Finanzpolitik
Regelt alle staatlichen Massnahmen, die auf die Beschaffung, Verwendung und Verwaltung der öffentlichen Mittel gerichtet sind. Hauptbereiche sind einerseits die Fiskal- oder
Steuerpolitik, anderseits die Ausgabenpolitik. Neben der Geldpolitik und den Ge- und Verboten eines der drei Instrumente der Wirtschaftspolitik.
Fiskalquote
Fiskaleinnahmen, insbesondere die Steuern in Prozenten des Bruttoinlandproduktes. Sie
ist ein Indikator für die Steuerbelastung. Der erweiterte Begriff zählt auch die Prämieneinnahmen der Sozialversicherungen hinzu.
Indirekte Steuern
Sie werden bei der Einkommensverwendung erhoben. Man spricht auch von der Belastung des Verbrauchs. Die Steuer ist im Verkaufspreis enthalten; sie wird nicht direkt an
den Staat entrichtet, sondern beim Kauf eines steuerpflichtigen Gutes - unabhängig vom
individuellen Einkommen - bezahlt und ist letztlich vom Endkonsumenten zu tragen.
Selbstfinanzierungsgrad
Anteil der Nettoinvestitionen, die ein Kanton mit eigenen Mitteln finanzieren kann. Ein
Selbstfinanzierungsgrad unter Null besagt, dass sich ein Kanton sogar zur Deckung seiner laufenden Ausgaben verschulden muss.
Staatsquote
Staatsausgaben in Prozenten des Bruttoinlandproduktes (BIP). Die zeitliche Entwicklung
ist ein Gradmesser für die Bedeutung von staatlichen Aktivitäten: Eine steigende Quote
zeigt an, dass der private Sektor gegenüber dem staatlichen an Bedeutung verliert. Dies
kann insofern problematisch sein, als ein möglichst grosser Teil der wirtschaftlichen Aktivitäten dem Wettbewerb auf den Märkten und nicht staatlichen Regeln unterliegen sollte.
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Staatsverschuldung
Übersteigen die Ausgaben eines Staates dessen Einnahmen, so ist er zur Kreditaufnahme gezwungen. Die öffentliche Hand (Bund, Kantone und Gemeinden, evtl. sogar die Sozialversicherungen) kann sich bei längerfristigem Kapitalbedarf durch Anleihen am inländischen Kapitalmarkt finanzieren. Ein kurzfristiger Kapitalbedarf wird über den Geldmarkt
gedeckt.
Steuern
Geldleistungen, die der Staat (Bund, Kantone, Gemeinden) kraft seiner Gebietshoheit von
den dieser Hoheit Unterworfenen zur Deckung seines Finanzbedarfs erhebt. Im Gegensatz etwa zu Monopolgebühren oder Ersatzabgaben (Militär, Feuerwehr) entrichtet der
Pflichtige seine Steuern, ohne dass ihm im Einzelfall direkt eine staatliche Gegenleistung
zugerechnet werden könnte. Steuern bezahlt also auch, wer z.B. das staatliche Bildungswesen, die Justiz, die Verkehrsinfrastruktur usw. nicht in Anspruch nimmt. Man unterscheidet unter anderem direkte und indirekte Steuern.
Subventionen
Transferzahlungen des Staates (aus öffentlichen Mitteln) an Empfänger ausserhalb des
öffentlichen Sektors (Unternehmungen, Institutionen und private Haushalte), denen keine
wirtschaftlichen Gegenleistungen entsprechen. Auch Steuervergünstigungen sind als indirekte oder versteckte Subventionen zu betrachten. Vom Empfänger werden bestimmte
Verhaltensweisen erwartet, die dazu führen sollen, dass marktwirtschaftliche Verteilungsergebnisse im Sinne der politischen Ziele korrigiert werden. Ob das angestrebte Ziel jeweils erreicht wird, hängt entscheidend von der jeweiligen Marktsituation ab. Die Wirkung
von Subventionen kann positiv (gutes Bildungsniveau), aber auch sehr problematisch sein
(z.B. Verzögerung nötiger Strukturanpassungen, Verschärfung von Ungleichheiten durch
Subventionen, die nach dem Giesskannenprinzip verteilt werden). Angesichts der betragsmässigen Bedeutung der Subventionen sollten sie immer wieder auf ihre Notwendigkeit und Zielgerechtigkeit überprüft werden.
Transferzahlung
Dies ist eine Übertragung von Geld ohne direkte und gleichzeitige Gegenleistung. Sie erfolgt häufig vom Staat an private Haushalte (z.B. in Form von Sozialleistungen) oder an
Unternehmen, an einzelne notleidende Wirtschaftszweige in Form von Subventionen oder
vom Bund an die Kantone im Rahmen des Finanzausgleichs. Als Transferzahlungen gelten weiter auch Entwicklungshilfebeiträge an Staaten der Dritten Welt sowie Überweisungen von Gastarbeitern in ihre Heimatländer.
Verschuldungsquote
Staatsschulden in Prozenten des Bruttoinlandproduktes (BIP). Verwendet werden die
Schulden von Bund, Kantonen, Gemeinden und Sozialversicherungen zusammen oder
einzeln. Beispielsweise das Schuldenkriterium von 60% zum Eintritt in die Europäische
Währungsunion beinhaltet alle vier Bereiche.
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26.2 Das Handelsbilanzdefizit
Ergänzung Zahlungsbilanz
Die Zahlungsbilanz erfasst alle Transaktionen der Inländer mit dem Rest der Welt.
Leistungstransaktionen
- Güterhandel
- Handel mit Dienstleistungen
- Arbeitsleistungen
- Kapitaldienstleistungen
- Laufende Übertragungen
Finanztransaktionen
- Direktinvestitionen
- Portfolioinvestitionen
- Kredite
- Devisenhandel
Alle Transaktionen, welche zu Deviseneinnahmen (Zahlungseingängen) führen, werden
im Soll verbucht. Alle Transaktionen, welche zu Devisenausgaben (Zahlungsausgängen)
führen, werden im Haben verbucht.
Die schweizerische Zahlungsbilanz besteht aus vier Teilbilanzen:
- Ertragsbilanz
- Vermögensübertragungen
- Kapitalverkehrsbilanz
- Nettoauslandsstatus der Nationalbank
Aufgrund der doppelten Verbuchung der Zahlungsbilanztransaktionen, sollte die Zahlungsbilanz theoretisch rechnerisch ausgeglichen sein. In der Praxis ist dies wegen der
Vielfalt aussenwirtschaftlicher Beziehungen und statistischer Quellen nicht vollständig zu
verwirklichen. Die statistische Differenz wird im Restposten erfasst. Bei einem Überschuss
auf der Einnahmenseite weist der Restposten ein negatives, im umgekehrten Fall ein positives Vorzeichen auf.
In der Ertragsbilanz werden die Leistungstransaktionen erfasst. Der Saldo zeigt an, ob wir
im Verkehr mit dem Ausland mehr eingenommen als ausgegeben haben. Vor allem in
Deutschland und Österreich wird der Begriff Leistungsbilanz an Stelle Ertragsbilanz verwendet.
In der Kapitalverkehrsbilanz werden die Finanztransaktionen erfasst. Der Saldo zeigt an,
ob wir gegenüber dem Ausland ein Guthaben aufgebaut oder uns verschuldet haben.
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In der Vermögensübertragungsbilanz werden Vermögensübertragungen = Kapitalleistungen ohne entsprechende wirtschaftliche Gegenleistung erfasst. Dazu zählen der Erlass
von Schulden an Entwicklungsländer und Kapitalleistungen im Zusammenhang mit der
Entwicklungshilfe.
Der Nettoauslandsstatus der Nationalbank zeigt die Veränderung der Auslandsguthaben
und -verpflichtungen der Nationalbank. Dazu zählen der Goldbestand, die Devisenguthaben, die Reserveposition beim IWF und die internationalen Zahlungsmittel (SZR). Es werden die Veränderungen der Bestände verbucht. Zum Ausgleich der Veränderungen, die
nicht durch Transaktionen bedingt sind, werden in einer gesonderten Rubrik die Wertveränderungen auf den Beständen ausgewiesen.
Aus der Wirtschaftsgeschichte (zitiert nach Paul Kennedy, Aufstieg und Fall der grossen
Mächte)
Aber die Entwicklungen auf dem Finanzsektor waren in der Mitte des 19. Jahrhunderts
sowohl qualitativ als auch quantitativ beispiellos. Auf den ersten Blick springt der quantitative Unterschied ins Auge. Die lange Zeit des Friedens und der leichte Zugang zu Kapital
im Vereinigten Königreich zusammen mit den Verbesserungen der finanziellen Institutionen des Landes hatten die Briten angeregt, mehr im Ausland zu investieren als je zuvor:
Die rund sechs Millionen Pfund, die in dem Jahrzehnt nach Waterloo jährlich ins Ausland
flossen, waren bis zur Mitte des Jahrhunderts auf ungefähr dreissig Millionen Pfund und
zwischen 1870 und 1875 auf überwältigende 75 Millionen Pfund gestiegen. Das für
Grossbritannien daraus resultierende Einkommen in Zinsen und Dividenden, das in den
späten 1830ern acht Millionen Pfund jährlich betragen hatte, war bis zu den 1870ern auf
über fünfzig Millionen Pfund jährlich gestiegen. Ein grosser Teil dieser Gelder wurde sofort
wieder in Übersee investiert. Eine solch wirkungsvolle Aufwärtsspirale erhöhte nicht nur
den britischen Wohlstand, sondern war gleichzeitig eine kontinuierliche Anregung für den
Handel und das Transportwesen.
Dieser gewaltige Kapitalexport hatte mehrere bedeutende Folgen. Die erste war, dass die
Gewinne auf den überseeischen Investitionen das jährliche Handelsdefizit Grossbritanniens bei den sichtbaren Gütern deutlich reduzierten. So traten die Einkünfte aus den Investitionen zu den bereits beträchtlichen unsichtbaren Gewinnen aus der Verschiffung,
den Versicherungen, Bankgebühren und so weiter. Zusammengenommen garantierten
sie, dass es nicht nur keine Krise der Handelsbilanz gab, sondern dass Grossbritannien
im In- und Ausland stetig reicher wurde. Der zweite Punkt war, dass die britische Wirtschaft wie ein enormer Blasebalg wirkte, der riesige Mengen an Rohstoffen und Nahrungsmitteln ansog und gewaltige Mengen an Textilien, Eisenwaren und anderen Industrieprodukten ausstiess. Und parallel zu dieser Struktur des sichtbaren Handels und sie
ergänzend - entstand ein Netzwerk von Schifffahrtslinien, Versicherungsgeschäften und
Bankverbindungen, das sich von London (im besonderen), Liverpool, Glasgow und den
meisten anderen Städten im Laufe des 19. Jahrhunderts über die Welt ausbreitete.
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Durch die Offenheit des britischen Binnenmarktes und die Bereitschaft Londons, das Einkommen aus Übersee wieder in neue Eisenbahnstrecken, Häfen, öffentliche Einrichtungen und landwirtschaftliche Unternehmungen von Georgia bis Queensland zu stecken,
ergänzten sich der sichtbare Handelsfluss und die Investitionsstrukturen. Wenn man nun
noch bedenkt, dass der Goldstandard immer mehr akzeptiert wurde und sich ein internationaler Tausch und Zahlungsmechanismus entwickelte, dessen Basis auf London ausgestellte Wechsel waren, ist es kaum überraschend, dass die Briten in den 1860er und
1870er Jahren davon überzeugt waren, dass sie mit der Anwendung der Prinzipien der
klassischen Nationalökonomie das Geheimnis entdeckt hatten, das sowohl zunehmende
Prosperität als auch den Frieden in der Welt garantierte. Obwohl viele Einzelpersonen Tory-Protektionisten, orientalische Despoten, neuerungssüchtige Sozialisten - immer noch
zu kurzsichtig seien, um diese Tatsache einzugestehen, müsse mit der Zeit doch jeder die
fundamentale Richtigkeit der laisser-faire Wirtschaft und der utilitaristischen Form der Regierung erkennen.
Dies alles machte die Briten zwar kurzfristig weit wohlhabender als je zuvor, aber war es
nicht langfristig strategisch gefährlich? Mit rückblickender Weisheit kann man mindestens
zwei Auswirkungen dieser strukturellen wirtschaftlichen Veränderungen erkennen, die
später Grossbritanniens relative Macht in der Welt beeinflussen sollten. Die erste war die
Art, in der das Land zur langfristigen Expansion anderer Nationen beitrug, indem es Industrie und Landwirtschaft im Ausland mit Hilfe wiederholter Finanzspritzen etablierte und
entwickelte und indem es Eisenbahnstrecken, Häfen und Dampfschiffe baute, die überseeische Produzenten später in die Lage versetzen würden, Grossbritanniens Produktion
Konkurrenz zu machen. In dieser Beziehung ist bemerkenswert, dass die Dampfkraft, das
Fabriksystem, die Eisenbahnen und später die Elektrizität es den Briten zwar ermöglichten, ihre natürlichen physischen Hindernisse für eine höhere Produktivität zu überwinden
und damit den Wohlstand und die Stärke der Nation zu erhöhen, solche Erfindungen den
Vereinigten Staaten, Russland und Zentraleuropa aber noch weit mehr halfen, weil die
natürlichen physischen Hindernisse für die Entwicklung ihres landumschlossenen Potentials viel grösser waren. Grob ausgedrückt, hat die Industrialisierung bewirkt, dass allen die
gleichen Chancen zur Ausbeutung ihrer Ressourcen gegeben und damit die Vorteile der
kleineren, am Rande liegenden See- und Handelsstaaten auf die grösseren Flächenstaaten übertragen wurden.
Die zweite potentielle strategische Schwäche lag in der zunehmenden Abhängigkeit der
britischen Wirtschaft vom internationalen Handel und, noch wichtiger, vom internationalen
Finanzwesen. In den mittleren Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts schufen die Exporte ein
Fünftel des gesamten Nationaleinkommens - ein weit höherer Anteil als zu Walpoles oder
Pitts Zeiten. Besonders für die gewaltige Baumwoll-Textilindustrie waren die überseeischen Märkte lebenswichtig. Aber ausländische Importe von Rohstoffen und (in zunehmendem Masse) von Nahrungsmitteln wurden auch immer wichtiger, als sich Grossbritannien von einer vornehmlich landwirtschaftlichen zu einer hauptsächlich städtischindustriellen Gesellschaft entwickelte. Und in dem am schnellsten wachsenden Sektor von
allen, den unsichtbaren Dienstleistungen des Bankwesens, der Versicherungen und der
überseeischen Investitionen, war die Abhängigkeit vom Weltmarkt noch entscheidender.
Für die Perle London war die Welt eine Auster, was in Friedenszeiten schön und gut war;
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aber wie würde die Situation aussehen, wenn es je wieder zu einem Krieg der grossen
Mächte käme? Wären die britischen Exportmärkte nicht noch schlimmer betroffen als in
den Jahren 1809 und 1811 bis 1812? War nicht die gesamte Wirtschaft und die heimische
Bevölkerung zu abhängig von importierten Waren, von denen sie in Zeiten eines Konfliktes leicht abgeschnitten werden konnten? Und würde das auf London basierende weltweite Bank- und Finanzsystem beim Ausbruch eines neuen Weltkrieges nicht zusammenbrechen, wenn die Märkte geschlossen, Versicherungen ausgesetzt, internationale Kapitaltransfers verzögert und der Kredit ruiniert wurde? Unter solchen Umständen könnte die
fortschrittliche britische Wirtschaft grösseren Schaden nehmen als ein Staat, der weniger
hochentwickelt, aber auch weniger abhängig vom internationalen Handel und Finanzwesen war.
Paul Kennedy, Aufstieg und Fall der grossen Mächte, Oekonomischer Wandel und militärischer Konflikt von 1500 bis 2000, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1989
Wenn in Kapitel 26.2 von Handelsbilanzdefizit gesprochen wird, so meint man genau genommen das Ertragsbilanzdefizit. Dieses und das Haushaltsdefizit hängen eng zusammen. Die Erhöhung des Haushaltsdefizits wird durch eine Zunahme der Auslandsverschuldung finanziert.
Von Kapitalimport redet man, wenn Geld in die Schweiz fliesst. Unter Kapitalexport versteht man einen Geldabfluss. Vor allem interessiert der Nettokapitalimport, die Differenz
zwischen Kapitalimport und Kapitalexport.
Jeder CHF, den ein Schweizer für ein Importgut ausgibt, kommt wieder zurück. Entweder
werden damit schweizerische Exportgüter bezahlt oder es werden Investitionen in der
Schweiz getätigt.
Güterimport = Güterexport + Kapitalimport (Import > Export)
Güterexport = Güterimport + Kapitalexport (Import < Export)
Güterimport - Güterexport = Handelsbilanzdefizit = Kapitalimport
(Import > Export)
Güterexport - Güterimport = Handelsbilanzüberschuss = Kapitalexport
(Import < Export)
Haushalte und Unternehmen können nur dann mehr aus dem Ausland importieren als sie
ins Ausland exportieren, wenn die Ausländer bereit sind, die Differenz durch Kredite oder
Investitionen zu finanzieren.
Die Handelsbilanz der Schweiz muss gegenüber einem bestimmten Land nicht ausgeglichen sein. Hingegen ist es längerfristig von Vorteil, wenn dies insgesamt gegenüber allen
Handelspartnern zutrifft.
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Begriffsklärungen
Aussenhandel
Ein- und Ausfuhr von Waren, Dienstleistungen und Kapital. Der Aussenhandelsverkehr
stellt einen wichtigen Pfeiler der Schweizer Wirtschaft dar. Die Schweiz importiert zu einem grossen Teil Rohstoffe, da keine Bodenschätze vorkommen. Im Gegenzug exportiert
die Schweiz hochwertige Güter wie Maschinen und Elektronik. Eine wichtige Rolle im
schweizerischen Aussenhandel spielt auch der Fremdenverkehr.
Bilanz der unentgeltlichen Übertragungen
Konto, in dem die Transfers ohne Gegenleistungen registriert werden. Enthalten sind beispielsweise die Übertragungen im Inland ansässiger ausländischer Arbeitnehmer und die
private und öffentliche Entwicklungshilfe.
Dienstleistungsbilanz
Konto, in dem der Import und Export von Dienstleistungen registriert wird. Der Saldo ist
positiv wegen des Fremdenverkehrs.
Direktinvestitionen
Als Direktinvestitionen bezeichnet man den Kapitalexport durch Schweizer Unternehmen.
Die Unternehmen investieren diese Mittel im Ausland. Zweck kann die Tochtergesellschaft, die Errichtung einer Filiale im Ausland, der Erwerb von Immobilien oder die Beteiligung am stimmberechtigten Gesellschaftskapital einer Unternehmung sein.
Ertragsbilanz
Konto, in dem die Warenhandels-, Dienstleistungs-, Kapitalertragsbilanz und die Bilanz
der unentgeltlichen Übertragungen zusammengefasst werden. Die Ertragsbilanz ist meist
positiv.
Konsumgüter, Investitionsgüter, Halbfabrikate
Konsumgüter sind Produkte und Dienstleistungen, die am Ende der Produktionskette stehen. Sie werden direkt an den Endverbraucher verkauft; beispielsweise ein Fahrrad. Investitionsgüter dienen nicht direkt dem Konsum, sondern werden in tieferliegenden Produktionsstufen verwendet; beispielsweise eine Maschine zur Herstellung von Fahrradspeichen. Halbfabrikate sind Einzelteile, die in höherliegenden Produktionsstufen eingesetzt werden, beispielsweise Speichen. Halbfabrikate bezeichnet man oft auch als Teile
oder Baugruppen.
Portfolioinvestitionen
Bilden das Gegenstück zu den Direktinvestitionen. Es handelt sich dabei um Anlagen in
festverzinsliche langfristige Wertpapiere (Obligationen, Notes) und in Dividendenpapiere
(Aktien, Anlagefonds, Partizipationsscheine).
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Warenhandelsbilanz
Konto, in dem der Import und Export von Gütern registriert wird. Üblicherweise negativ,
seit 1993 Übersteigen die Exporte die Importe.
Zahlungsbilanz
Gibt eine statistische Übersicht über die grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Beziehungen eines Landes. Sie setzt sich zusammen aus der Ertragsbilanz (Warenverkehr,
Dienstleistungen, Faktoreinkommen und unentgeltliche Übertragungen), der Kapitalverkehrsbilanz (Direktinvestitionen, Portfolioinvestitionen, Kapitalverkehr von Geschäftsbanken, von Unternehmungen, von Privaten und der öffentlichen Hand) und einigen Ausgleichsposten.
Wechselkurse
Der Wechselkurs gibt an, in welchem Verhältnis zwei Währungen gegeneinander getauscht werden. Wenn der CHF gegenüber dem Dollar an Wert verliert, spricht man von
einer Abwertung des CHF. Der Wechselkurs bildet sich aufgrund von Angebot und Nachfrage. Die Angebotskurve gibt diejenige Menge an CHF an, die Schweizer verkaufen wollen, um amerikanische Güter zu kaufen. Erhält man für einen CHF mehr Dollar, bietet man
mehr CHF an. Die Nachfragekurve ist die Menge CHF, welche Amerikaner kaufen wollen,
um schweizerische Güter zu importieren. Benötigt man mehr Dollar für einen CHF, fragt
man weniger CHF nach.
Höhere Zinssätze in den USA führen dazu, dass mehr CHF angeboten wird, um Dollar zu
kaufen. Dies verändert den Wechselkurs in dem Sinn, dass mehr CHF geboten werden
müssen, um einen Dollar zu erhalten. Der Dollar wertet auf, der CHF wertet ab.
Dies wiederum führt zu Preisveränderungen für Importe und Exporte. Amerikanische Produkte werden teurer und die Importe aus den USA sinken. Schweizerische Produkte werden billiger und die Exporte in die USA steigen.
Die Identität von Ersparnis und Investition
Private Ersparnis (von Haushalten und Unternehmungen) + Kapitalimporte = Investitionen
+ Haushaltsdefizit des Staates
Private Ersparnis + staatliche Ersparnis + Kapitalimport = Investition
Negative staatliche Ersparnis = Haushaltsdefizit
Volkswirtschaftliche Ersparnis = private Ersparnis + staatliche Ersparnis
Die Analyse des Handelsbilanzdefizites mit Hilfe des Vollbeschäftigungsmodells:
Eine Zunahme des Haushaltsdefizits führt zur Kreditaufnahme im Ausland, was wiederum
zur Anpassung der Wechselkurse führt und zur Erhöhung des Handelsbilanzdefizits.
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Volkswirtschaftslehre
Letzteres kann man reduzieren durch eine Verschiebung der Investitionen nach links, was
längerfristig unerwünscht ist, da die Volkswirtschaft in Zukunft weniger produktiv sein wird.
Es kann aber auch die Ersparnis erhöht werden durch Reduktion des Haushaltsdefizits
und oder Erhöhung privater Ersparnis.
26.3 Wachstum
Es gibt drei Wege, um das Wachstum zu beschleunigen:
a) Erhöhung der Arbeitsproduktivität durch Verbesserung der Ausbildung.
b) Erhöhung und Verbesserung des Kapitalstocks durch vermehrte Investitionen in
Ausrüstungen, Fabriken und Infrastruktur.
c) Beschleunigung des technischen Fortschritts durch öffentliche und private Ausgaben
für Forschung und Entwicklung.
Investitionsförderung
Eine Steuergutschrift auf Investitionen verschiebt die Investitionsfunktion nach rechts.
Dies wird auch durch beschleunigte Abschreibung erreicht.
Sparförderung
Bevorzugung der Ersparnisbildung (3. Säule) durch Steuerbefreiung ist eine Möglichkeit.
Wenn die dadurch bedingten verlorenen Steuereinnahmen höher sind als der Anstieg der
privaten Ersparnis, geht die gesamtwirtschaftliche Ersparnis allerdings zurück. Der Zinselastizität der Ersparnis kommt dabei besondere Bedeutung zu.
Haushaltskonsolidierung
Spart der Staat durch Reduktion der Ausgaben bei produktiven öffentlichen Investitionen
wie Forschung, Erziehung, Infrastruktur, dann verschiebt sich die Produktionsfunktion
nicht.
Schlüsselbegriffe
Haushaltsdefizit
Die Lücke zwischen Staatsausgaben und Steuereinnahmen, die durch Kreditaufnahme
finanziert werden muss.
Handelsbilanzdefizit
Der Überschuss der Importe über die Exporte.
Aufwertung
Eine Änderung des Wertes einer Währung, so dass mit einer Einheit der inländischen
Währung mehr ausländische Währung gekauft werden kann.
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Volkswirtschaftslehre
Abwertung
Eine Änderung des Wertes einer Währung, so dass mit einer Einheit der inländischen
Währung weniger ausländische Währung gekauft werden kann.
Kapitalimport
Der Kapitalzufluss in Form von Direktinvestitionen im Inland, Krediten, Anlagen in inländischen Obligationen etc.
Kapitalexport
Der Kapitalabfluss in Form von Direktinvestitionen im Ausland, Krediten, Anlagen in ausländischen Obligationen etc.
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