Bündner Woche, 4.12.2013

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Mittwoch, 4. Dezember 2013
Churer Altstadt
bündner woche 31
Orte der Churer Geschichte:
Reichsgasse und Poststrasse
prächtige Räume wie etwa einen Raum im
chinesischen Stil und eine eindrucksvolle
Ausstattung mit wunderschönen Stuckaturen und Deckenbildern aus der Hand des
Veltliner Meisters Gian Pietro Ligari.
Das Alte Gebäu in der Poststrasse ist im Inneren ein wahres Schmuckstück.
n Von Christian Ruch
Dort, wo heute die Poststrasse die Fortsetzung der Bahnhofstrasse bildet, wäre man
früher nicht in die Stadt gelangt, denn das
hätten Stadtgraben und Stadtmauer verhindert. Als sie noch existierten, befand sich am
heutigen Postplatz der Schelmenturm, in
dem – nomen est omen – Halunken aller Art
eingesperrt wurden. Darunter der Räuber
Jacob Reinhardt (1742–1787), genannt
Hannikel, der vor allem in Württemberg sein
Unwesen trieb. Nach der Ermordung eines
Grenadiers wurden Hannikel und seine
Bande länderübergreifend gejagt. Nördlich
von Chur gelang es, ihn und fast dreissig seiner Spiessgesellen zu verhaften. Hannikel
kam in den Schelmenturm, konnte aber entkommen, was den Churern viel Hohn und
Spott bescherte. Doch das Glück des Ausbrechers währte nicht lange, schon bald wurde
er nämlich auf einer nahen Alp erneut
festgenommen und nach Sulz am Neckar
geschafft, wo er schliesslich am Strang endete.
Von Zeiten, die um einiges sicherer waren,
kündet am Eingang zur autofreien Poststrasse der Hauptsitz der Graubündner Kantonalbank, wie der Verwaltungssitz der RhB ein
Bau im Bündner Heimatstil. 1909–1911
schufen die beiden Architekten Otto Schäfer
und Martin Risch dieses stattliche Haus, das
dank seiner originellen Gestaltung einen
markanten Eingang zum historischen Stadtzentrum darstellt. Dazu tragen nicht zuletzt
das auffallend hohe Dach und der mit den
Wappen der Drei Bünde geschmückte Turm
Bild Liliana Portmann
auf der Seite des Postplatzes bei. Das Gebäude
besteht aus Tuffstein, die Ornamente an den
Kapitellen und Basen der Säulen stammen
von dem Zuger Bildhauer Wilhelm Schwerzmann. In einem Seitentrakt der Schalterhalle
befindet sich ein Wandgemälde des Churer
Künstlers Christian Conradin, das weibliche
Figuren als Allegorien der verschiedenen
Bündner Wirtschaftszweige zeigt.
Wo sich heute das Gebäude der Graubündner Kantonalbank befindet, war früher die
Post, mit deren Bau 1860 begonnen wurde
und die der Poststrasse ihren Namen gab. In
früheren Zeiten floss hier in offener Führung
der Mühlbach, der zu Gewerbezwecken genutzt wurde, aber auch der Unratentsorgung
diente und den Stadtgraben, wenn es notwendig wurde, mit Wasser versorgte.
Ebenfalls um Wasser, genauer gesagt um Augenwasser, geht es ein paar Schritte weiter,
nämlich beim Brunnen «Die Tränen der Lucrezia». 2005 wurde der Brunnen vom Zürcher Künstler Christoph Haerle geschaffen
und soll ein mit Tränen gefülltes Auge darstellen. Damit erinnert er an die Bluttat im
hier einst befindlichen Gasthaus «Zum Staubigen Hüetli», in dem in der Nacht vom 24.
auf den 25. Januar 1639 der Bündner Politiker Georg (Jörg) Jenatsch ermordet wurde.
Gleich neben dem Brunnen steht das zwischen 1727 und 1729 errichtete Alte Gebäu
(heute Kantonsgericht), dem das Gasthaus
«Zum Staubigen Hüetli» weichen musste.
Bauherr war der Bündner «Envoyé» (Botschafter) Peter von Salis-Soglio (1675–1749),
dessen Wappen sich über dem Eingang befindet. Das Innere des Alten Gebäus bietet
(K)eine Churer Künstlerin
Doch wechseln wir von der Poststrasse in die
Reichsgasse, die früher, wie der Name schon
sagt, Teil des Handelsweges zwischen dem
Reich (Deutschland) und Italien war. Die Rathaushalle, durch die man von der Poststrasse in die Reichsgasse gelangt, erinnert in ihrer Architektur an Bauten in der Lombardei.
Sie diente einst dem alpenquerenden Verkehr als Umschlags- und Ladeplatz sowie als
Kaufhaus. Über dem rechten Ausgang zur
Reichsgasse entdeckt man noch heute die
Namen einiger Kaufhausaufseher. Ab dem
18. Jahrhundert befand sich hier ausserdem
die Zollstation. Die Churer waren natürlich
sehr daran interessiert, dass möglichst viel
Verkehr durch ihre Gassen rollte, denn das
garantierte beträchtliche Einnahmen. Umso
mehr war der Stadt die Flösserei auf dem
Rhein ein Dorn im Auge, die so manchem
Händler nicht zuletzt dazu diente, den Churer Zoll zu umgehen. Es gab daher Gesetze,
die genau regelten, was auf dem Wasserweg
transportiert werden durfte. Wer Chur auf
dem Landweg meiden wollte, wählte den
Weg durch das Taminatal auf der Westseite
des Calanda und über den Kunkels-Pass.
In der Reichsgasse angekommen, entdeckt
man an der Rückseite des Rathauses eine Tür
mit der Jahreszahl 1525 und ein von zwei Basilisken gehaltenes Stadtwappen sowie links
davon ein unscheinbares, fast 30 Zentimeter
langes Stück Metall. Bei ihm handelt es sich
um den «Churer Schuh», das früher gebräuchliche lokale Längenmass. Wenn also
beispielsweise eine Bürgersfrau auf dem nahen Markt am St.Martinsplatz ein Stück Stoff
erworben hatte und sich nicht sicher war, ob
der Tuchhändler sie übers Ohr gehauen hatten, konnte sie hier Mass nehmen.
Nur wenige Schritte vom Rathaus entfernt
befindet sich in nördlicher Richtung das
Haus Reichsgasse 57. In ihm kam 1741 die
Malerin Angelika Kauffmann zur Welt, die es
als Frau schaffen sollte, vor allem in England
und Italien zu den gefragtesten Kunstschaffenden des 18. Jahrhunderts zu zählen – für
damalige Verhältnisse äusserst ungewöhnlich! Sie selbst hat sich wohl nie als Churerin
gefühlt – schliesslich verbrachte sie nur wenige Kindheitsjahre an der Plessur. Aber
trotzdem ist sie zweifellos eine Frau und
Künstlerin, auf die Chur mit Recht stolz sein
kann.
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