Deutschland 2009 Im Jahr 2009 sind zahlreiche Veranstaltungen zu erwarten, an denen bedeutende Ereignisse der deutschen Nachkriegsgeschichte gewürdigt werden: die Teilung Deutschlands vor 60 Jahren und der Fall der Mauer vor 20 Jahren, der zur Wiedervereinigung der Deutschen führte. Die Kulturstiftung des Bundes wird sich mit drei großen Projekten am Gedenkjahr 2009 beteiligen, die sich von klassischen „Gedenkformaten“ wie historischen Ausstellungen und medial spektakulären Rückschauen unterscheiden sollen. Die Projekte entstanden auf der Basis umfassender Recherchen bei Kulturschaffenden und einschlägigen Kulturinstitutionen, die mit der Aufarbeitung der jüngeren deutschen Geschichte befasst sind. Bei allen Projekten der Kulturstiftung des Bundes zum Gedenkjahr 2009 geht es um den Beitrag von Künstlern und Kulturschaffenden in ihrer Rolle als Chronisten, Kommentatoren und Kritiker der deutsch-deutschen Zeitgeschichte und der gesamtdeutschen Verhältnisse. Die Projekte zeigen Verbindungen zwischen Kunst, Kultur, Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit auf und geben so neue Impulse für die Auseinandersetzung über 60 Jahre gemeinsamer und getrennter Geschichte. . • Filmretrospektive „Vorahnung der Wende?“ Filmische Zeugnisse aus Mittel- und Osteuropa und dem geteilten Deutschland zum 20. Jahrestag der friedlichen Revolution Auf Initiative der Kulturstiftung des Bundes soll gemeinsam mit der Stiftung Deutsche Kinemathek, VISION KINO und der Fédération Internationale des Archives du Film (FIAF) eine Retrospektive von insgesamt 15 abendfüllenden Filmen zum Thema „Vorahnung der Wende?“ zusammengestellt werden. Die Filmreihe soll filmische Zeugnisse versammeln, in denen sich die Ahnung artikuliert, dass es mit den alten Verhältnissen zu Ende, jedenfalls so nicht weiter gehe. Sie soll Spielfilme, dokumentarische Filme und Filme der nicht-offiziellen Szenen umfassen. Bei den Filmen wird es sich mehrheitlich um herausragende Werke der 1980er Jahre handeln, die derzeit nur als Negative vorliegen und für die Öffentlichkeit nicht nutzbar sind. Durch die Herstellung kinotauglicher Filmkopien und die Aufnahme der Filme in die Sammlung der Stiftung Deutsche Kinemathek wird dieses wichtige filmkulturelle Erbe wieder ins kulturelle Gedächtnis gerufen und der Öffentlichkeit dauerhaft zugänglich gemacht. Darüber hinaus wird die Leistung der Filmemacher hervorgehoben, die es schon vor 1989, also noch unter den Bedingungen der Diktatur, wagten, einen unabhängigen Blick auf die gesellschaftliche Realität zu werfen und den Versuch unternahmen, authentische Eindrücke vom Zustand ihrer Länder wiederzugeben. Im Jubiläumsjahr 2009 findet die Filmreihe in mehrfacher Weise Verwendung: 1. auf Filmfestivals: Als Auftakt in Deutschland werden die insgesamt 15 abendfüllenden Programme in einer Sonderreihe auf dem Internationalen Filmfestival „Go East“ in Wiesbaden gezeigt. Außerdem werden sie auf Filmfestivals in vier osteuropäischen Ländern gezeigt, die von den Ereignissen 1989 in besonderer Weise betroffen waren. 2. in kommunalen Kinos und Programmkinos: Im Wege einer Ausschreibung werden diese aufgefordert, ausgehend von dem Filmpool Filmreihen zu entwickeln, und sich damit um einen Abspielzuschuss zu bewerben. Die Filmreihen sollten aus mindestens zehn Filmen der Retrospektive bestehen und können um maximal fünf selbst gewählte Filme ergänzt werden. Aus den Einsendungen werden die 20 überzeugendsten Programme von einer Jury ausgewählt. 3. in Schulen: Im Frühjahr und Herbst 2009 wird auf insgesamt 50 Schulkinoveranstaltungen in 16 Bundesländern gemeinsam mit lokalen und regionalen Partnern eine Auswahl von vier Filmen der Retrospektive gezeigt. Das Programm wird speziell für den Einsatz im Unterricht ausgewählt und soll eine für jugendliches Publikum interessante Mischung aus Spiel-, Dokumentar- und Experimentalfilmen umfassen. • Berliner Geschichtsforum 2009 – „Aufbruch 1989 – Wege aus der deutschen und europäischen Teilung“ Internationales Forum für Wissenschaftler, Kulturschaffende, Politik, Medien und Öffentlichkeit zum 20. Jahrestag der friedlichen Revolution Gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung, der Stiftung zur Aufarbeitung der SEDDiktatur, dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und dem Institut für Zeitgeschichte München soll im Frühsommer 2009 ein dreitägiges Geschichtsforum in Berlin stattfinden, das sich mit den friedlichen Revolutionen von 1989/90 in Deutschland und Osteuropa und ihrer kulturellen Verarbeitung in Literatur, Theater, Kunst und Musik sowie in der medialen und öffentlichen Auseinandersetzung, in politischer Bildung und Wissenschaft befasst. Anknüpfend an den Erfolg und die große Resonanz des ersten Berliner Geschichtsforums im Jahr 1999 sollen aus Anlass des 20. Jahrestages der friedlichen Revolution Wissenschaftler, Zeitzeugen, Kulturschaffende, Künstler, Publizisten und Politiker nach Berlin eingeladen werden, um das Thema „Aufbruch 1989 – Wege aus der europäischen Teilung“ in den Blick zu nehmen und mit einem breiten Publikum zu diskutieren. Durch die Präsentation von künstlerischen Arbeiten und die Mitwirkung von Kulturschaffenden an dem Forum sollen weitaus stärker noch als 1999 die kulturelle Dimension sowie die künstlerische Perspektive in der Debatte Berücksichtigung finden. Das Geschichtsforum soll eine bisher einmalige Mischung aus Fachkongress und öffentlichem Geschichtsund Kulturfest zum 20jährigen Jubiläum der „Friedlichen Revolution“ sein. Die Rolle von Künstlern und Kulturschaffenden bei der friedlichen Revolution 1989 wird auf dem Geschichtsforum ein zentrales Thema sein, aber ebenso auch die Rolle der Medien. Auch wird die Frage nach der Darstellung des Kommunismus in Literatur, Wissenschaft, Medien und Kunst in europäisch vergleichender Perspektive erörtert werden. Im Lichte der Erfahrungen von 1989 soll auch ein neuer Blick auf die Geschichte der alten Bundesrepublik gerichtet werden. Das viertägige Geschichtsforum unterscheidet sich von seinem Vorgänger 1999 wesentlich durch das Veranstaltungskonzept, das keinen Fachkongress, sondern eher ein „Geschichtsfest“ mit Beiträgen aus Film, Theater und Kunst vorsieht. Es soll im Frühjahr/Sommer 2009 in Berlin stattfinden. • „Deutschland – eine Wiedererfindung“ Literarisch-künstlerische Montage zu sechs Jahrzehnten deutscher Nachkriegsgeschichte. Hörbuchedition, Sendereihe zum 60. Jahrestag der Bundesrepublik Auf Initiative der Kulturstiftung des Bundes soll gemeinsam mit dem Hörverlag, dem Bayerischen Rundfunk und dem Hessischen Rundfunk eine Hörbuchedition entstehen, die das kulturelle Erbe der Radioarchive neu erschließt und 60 Jahre deutscher Geschichte in den Stimmen von Autoren, Komponisten und weiteren Künstlern akustisch lebendig werden lässt. • Das Material Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges bis Ende der sechziger Jahre war das Radio das wichtigste Massenmedium in Deutschland. Schon früh lösten sich im Westen die Redaktionen, die häufig mit Schriftstellern und Geisteswissenschaftlern besetzt waren, aus dem politischen Korsett der so genannten Re-Education. Zumindest im westlichen Deutschland setzte das Radio Themen, beeinflusste den kulturellen Disput und hat den demokratischen Aufbau und das kulturelle Leben in der Bundesrepublik mitgeprägt. So war im Radio Literatur und Musik zu hören, die in der NS-Zeit unerwünscht oder verboten worden war. Der Jazz zum Beispiel, dessen Traditionen in Deutschland gekappt gewesen waren, erhielt neue Impulse. Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit wurde im Radio intensiver betrieben als in anderen deutschen Medien. Das Radio berichtete über jüdische Kultur und die Exilkultur. Das ausgeprägte Mäzenatentum des Rundfunks sicherte fast allen wichtigen jungen deutschen Nachkriegsautoren – von Walser über Böll bis hin zu Enzensberger, Schmidt, Koeppen und Lenz – ein halbwegs gesichertes Einkommen. Und auch die Neue Musik – Henze, Nono, Stockhausen, Zimmermann, Rihm – ist ohne das Radio und die von ihm initiierten internationalen Festivals in Darmstadt oder Donaueschingen gar nicht zu denken. Der intellektuelle Disput über die Entwicklungen des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens in Deutschland – zum Beispiel in zahlreichen Sendungen von Vertretern der „Frankfurter Schule“ – erzielte seine Breitenwirkung vor allem über das Radio. Einen besonderen Rang nimmt das Hörspiel ein, das lange Zeit neben der Unterhaltungsmusik die beliebteste Radioform war. In der DDR wurde schon früh die besondere Bedeutung des Radios und anderer Massenmedien „für die Entwicklung des sozialistischen Bewusstseins“ erkannt, wie es Wilhelm Pieck 1949 nach seiner Wahl zum ersten Präsidenten der DDR formulierte. Es war für ihn ein Instrument „für die ideologische und kulturelle Beeinflussung der Volksmassen“ und sollte genutzt werden „für die Orientierung und Organisierung des Handelns“ aber auch „zur Befriedigung geistig-kultureller Bedürfnisse“. Trotz Zensur gab es im Rundfunk der DDR schon bald ein kulturell vielfältiges Angebot. Für die Liebhaber ernster Musik wurden beispielsweise ab 1955/56 die „Öffentlichen Galeriekonzerte“ aus der Sempergalerie in Dresden gesendet, nach Wiedereröffnung der Staatsoper in Berlin im September 1955 gab es auch von dort Originalübertragungen. Einen großen Stellenwert nahm zudem das Bildungsprogramm ein – mit Sprachunterricht und Schulfunk, Literatursendungen, Lesungen und Hörspielen, aber auch propagandistischen Beiträgen zu aktuellen politischen und wirtschaftlichen Problemen. Die Werke wichtiger Schriftsteller der DDR wie Anna Seghers, Christa Wolf, Stefan Heym, Heiner Müller oder Christoph Hein wurden hier vorgestellt. Seit 1964 gab es ein eigenes Programm für Jugendliche. Das Besondere des Jugendradios DT 64 war, dass es durchweg live moderiert wurde und mitunter auch westliche Songs zu hören waren. Trotz der Zensur, der auch etliche kulturelle Sendungen zum Opfer fielen, bieten die Archive des DDR-Rundfunks, die heute beim Deutschen Rundfunkarchiv in Potsdam liegen, einen unschätzbaren Fundus an Autorenlesungen, Hörspielen und Konzerten, die es wieder zu entdecken gilt. • Zur Konzeption der Hörbuchedition Das außerordentlich umfängliche Material soll aus zweierlei Perspektiven gesichtet, erschlossen und komponiert werden: Zum einen aus dokumentarischer Sicht, das heißt, es sollen O-Töne, Reden, Essays, Features und Collagen versammelt werden, in denen sich die kulturellen und gesellschaftlichen Debatten ihrer Zeit abbilden. Es soll deutlich werden, was Redakteure und Autoren bewogen hat, ein bestimmtes Thema zu wählen und es in ein Radioformat umzusetzen. Es wird zu hören sein, wie sich künstlerische Innovationen in Neuer Musik, Jazz und Radiokunst herausgebildet haben. Historisch bedingt, wird diese Perspektive einen Schwerpunkt in den 1950er und 1960er Jahren setzen. Zum anderen sollen die deutschen Zeitläufe aus einer literarischen Perspektive erschlossen werden, also aus der Sicht eines Genres, das die Ereignisse und Geschehnisse künstlerisch interpretiert oder fiktionalisiert. Die 24 Stunden der Produktion setzen sich aus zwölf Stunden zeit- und kulturgeschichtlichen Dokumenten und zwölf Stunden literarischen Texten sowie literarischen Original-Tonaufnahmen zusammen. Jedes Jahrzehnt wird in insgesamt vier Stunden erzählt, davon zwei dokumentarische und zwei literarische Stunden, die im Hörfunk nacheinander ausgestrahlt werden, sich inhaltlich ergänzen und aufeinander beziehen. Es entsteht ein facettenreiches, vielstimmiges Hörkunstwerk, ein phantasievolles Gesamtbild Deutschlands und der Deutschen. Die Hörbuchedition ist auf 20 CD/mp3 mit umfangreichem Booklet angelegt. Durch die Förderung der Stiftung kann ein Verkaufspreis für eine CD-Box von unter 50 Euro realisiert werden, der es vielen Interessierten ermöglicht, die Edition zu erwerben und zu hören. Die Redaktionen der Rundfunkanstalten BR und HR beabsichtigen, der Hörfunkkommission der ARD die deutschlandweite Ausstrahlung der Sendereihe in allen Kulturwellen der ARD vorzuschlagen. Die Vorbereitungen für das Projekt beginnen im Juli 2007 mit zwei Expertenrunden und der umfassenden Archivrecherche. Die Edition und die Sendereihe sollen im Mai 2009 erscheinen bzw. ausgestrahlt werden. Die Kulturstiftung des Bundes fördert die Projekte zum Jubiläumsjahr „Deutschland 2009“ mit insgesamt bis zu 1.640.000 Euro in den Jahren 2007 bis 2009.