PALLIATIVPORTAL Interview PALLIATIVPORTAL „Hier müssen wir sicher einige Hürden bei den Professionellen nehmen, die meinen, dass die Ergebnisse unserer Arbeit nicht messbar seien...“ „Die Zeit der Nabelschau muss aufhören“ Interview mit Prof. Claudia Bausewein Von Lukas Wilhelmi Frau Prof. Bausewein, Sie betonen immer wieder, die Palliativmedizin Nach dem Studium an in England war und ist dort weiter als der Ludwig-Maximilians- hierzulande. Wie äußerst sich das U n i ve r s i t ä t b a u t P ro f . konkret? Claudia Bausewein, JahrProf. Bausewein: Als ich gang 1965, in MünchenPalliativmedizin gelernt habe, Harlaching eine Pallia- Anfang der 90Jahren, da hat es tivstation auf und leitet in Deutschland gerade einmal 3 diese bis 2001. Ihre Karrie- bis 4 Palliativstationen gegeben. re ist begleitet von Ausbil- Jetzt, 20 Jahre später, haben wir dungsstationen in Großbri- sehr stark aufgeholt. Der Untertannien: Sie studierte u.a. schied ist nicht mehr ganz so in Cardiff, arbeitete in Ox- groß. Aber es gibt immer noch ford und erhielt schließlich einige Bereiche, an denen man 2009 am King's College in das festmachen kann. Seit 1987 London ihren PhD. Den gibt es z.B. in England einen Facharzt für Palliativmedizin. Lehrstuhl für PalliativmeBei uns wird die Einführung dizin der LMU hat sie seit eines Facharztes zwar diskutiert, Juli 2012 inne. ist aber nicht absehbar. Wir haben die sogenannte Zusatzbe- 1 zeichnung, aber es ist natürlich ein Unterschied, ob ich vier Wochen einen Kurs belege oder vier bis fünf Jahre eine Facharztausbildung mache. Palliativmedizin ist in Deutschland also mehr ein Gebiet für medizinische Quereinsteiger? Im Prinzip ja. Mit der Zusatzbezeichnung können sie in jedem Bereich der Patientenversorgung, eine palliativmedizinische Zusatzqualifikation erwerben. Das heißt: Sie bekommen zwar ein Grundwissen in Symptomkontrolle, zu psychosozialen und spirituellen Fragen, lernen zu reflektieren, und ethische Fragen zu diskutieren. Aber das ist etwas anderes als wenn ich 4 Jahre in einer spezialisierten Ein- PALLIATIVPORTAL Interview richtung arbeite und praktische Erfahrung sammle, um da einen Facharzt zu machen. Menschen mit einem zu ausgeprägten Helfersyndrom laufen sicher schneller Gefahr, in ein Burn-Out zu kommen. Ist dieser Staus-Quo in der Ausbildung ein Ausdruck von geringerer Wertschätzung für diesen Bereich? Claudia Bausewein Ich glaube, es ist Ausdruck einer unterschiedlichen Entwicklung. Die Zusatzbezeichnung ist gut und wichtig, aber sie ersetzt nicht die spezialisierte Ausbildung. Das ist auch die Meinung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Wenn wir zwischen allgemeiner und spezialisierter Palliativversorgung unterscheiden, dann ist die Zusatzbezeichnung das optimale Mittel ist, um die allgemeine Versorgung zu verbessern und zu stärken. Aber nicht mehr. Die Einführung eines Facharztes wäre in Ergänzung zur Zusatzbezeichnung, um für die spezialisierte Versorgung auch entsprechend qualifizierte Ärzte zu haben. Inwiefern? Immer wenn von den wesentlichen Kompetenzen der Palliativmedizin die Rede ist, fällt Man muss immer wieder sein eigedie Bedeutsamkeit der praktischen Erfahrung nes Handeln, seine eigene Motivation auf. hinterfragen. Wir haben zum Beispiel manchmal junge Kollegen auf der StaViele Kollegen sagen zum Beispiel tion die kommen noch aus einer ganz zum palliativen Arbeiten, 'ja aber das anderen Dynamik: 'Ich muss das mamachen wir doch sowieso'. Stimmt in chen, ich muss den Laborwert kontrolgewisser Hinsicht, aber was ist der Un- lieren, ich muss den Ultraschall materschied, den wir Spezialisten machen? chen, ich muss sehen, wie sich der TuEs gelingt uns oft nur bedingt, diesen mor verändert.' Und dann frage ich: Unterschied zu vermitteln. Dass wir z.B. Was hat das für Konsequenzen, wenn vom Symptom und nicht von der wir das machen? Darüber muss ich reKrankheit her denken, was es wirklich flektieren. Was tue ich hier und warum? bedeutet, dass der Patient im Mittel- Ist das ein Überreagieren, weil ich die punkt steht. Das kann man oft vor Ort Situation nicht aushalten kann? Weil wir viel besser vermitteln, als in Vorträgen Mediziner ja meist lieber aktiv sind. Darüber muss ich reflektieren. Auch oder Seminaren. über Teamdynamiken, über Reaktionen Welche Voraussetzungen sollte man also von Angehörigen oder meine eigene für diese Arbeit mitbringen? Tätigkeit. Bin ich überlastet? Bin ich der richtige Ansprechpartner, was für eine Ich glaube auch, man sollte eine Work-Life-Balance habe ich? gewisse Reife an Persönlichkeit entwiWann lernt man solche Dinge, wann weiß ckelt haben. Wenn um mich herum drei Leute sterben oder eine Familie dekom- man, ob man für solche Arbeit gemacht ist? pensiert oder ein Angehöriger einen Eher in der ersten Woche oder im dritten Lehranschreit, braucht man seinen eigenen jahr? Stand. Menschen mit einem zu ausgeprägten Helfersyndrom laufen sicher Das ist schwierig zu sagen. Ich kenschneller Gefahr, in ein Burn-Out z ne Leute, die mit Vierzig sagen, ich gekommen. Ich glaube, es hilft, eine sehr he jetzt in die Palliativmedizin. Ich bin positive Lebenseinstellung zu haben und erstmals in meinem sozialen Jahr, also was es sicher braucht, ist sehr reflektiert noch vor meinem Studium, mit der Begleitung von schwerkranken und zu sein. 2 sterben Menschen in Berührung gekommen. Ich bin also sehr jung hinein gewachsen, habe aber trotzdem erst einmal meinen Facharzt gemacht: Und ich rate auch immer wieder jungen Kollegen, die sich für diese Arbeit interessieren, dass sie erst ihren Facharzt machen sollen um Erfahrung in der Akutmedizin zu sammeln. Es gibt sicher Leute, die ein gewisses Händchen dafür haben. Aber es gibt auch Bereiche, die man schlicht erlernen kann. Fähigkeiten, aber auch Kommunikation. Was kann man konkret an Kommunikation lernen? In gewisser Hinsicht die Technik. Wie übermittle ich schlechte Nachrichten, auf was muss ich achten, welches Setting brauche ich. Wie führe ich ein Gespräch. Das kann ich lernen und trotzdem brauche ich eine gewisse Grundfähigkeit. Wir müssen bestimmte Situationen aushalten, wir können dann nicht viel machen. Und Aushalten fällt nicht jedem leicht. Oder auch wahrhaftig zu sein: Ein Patient wollte einmal wissen, wie es mit Chemotherapie aussieht. Obwohl ganz klar war, dass es keinen Sinn mehr machte in seiner Situation, sagte der behandelnde Onkologe: Wenn sie selbst zur Behandlung laufen können, machen wir Chemo. Es war aber klar, dass der Patient nicht mehr in so einen guten Allgemeinzustand kommen würde. Da wird eine Hoffnung in PALLIATIVPORTAL Interview 3 den Raum gestellt und der Patient wir da mittlerweile viel weiter sind, kommt dann und sagt, er möchte in drei glaube ich, hat uns unsere Geschichte Wochen mit der Chemo anfangen. auch gehindert. Mittlerweile weiß jeder, gute Hospizarbeit verringert die Tut man sich in England mit derlei Din- Forderung nach aktiver Sterbehilfe. gen leichter? Bestehen dort andere soziale Codes, Umgangsformen? Aber ist dass nicht ein Problem der Palliativmedizin, dass ihre Erfolge nicht wirklich Wenn man sich die Entwicklung messbar sind? Wie kann sie zeigen, dass sie der Hospiz- und Palliativbewegung an- etwas gut macht? schaut, sieht man, die Engländer haben ein anderes Verhältnis zum Ehrenamt. Das ist schwer, aber nicht unmögEin solches Engagement ist dort viel lich. Und das müssen wir als Palliativselbstverständlicher als hier, z.B. dass mediziner lernen. Wenn wir über Quadort Leute im Krankenhaus Tee vertei- lität reden, sprechen wir viel über len oder sich in einem Secondhand-La- Strukturqualität und Prozessqualität. den für eine Stiftung engagieren. Da- Das ist aber nicht ausreichend, den durch hatte die Hospizbewegung auch entscheidend ist, dass es den Patienten einen starken Benefit, weil sie sehr stark besser geht, was wir mit Ergebnisqualidurch Ehrenamtliche getragen wird. tät messen können. Gemeinden in England sehen das Hospiz im Ort als ihr Hospiz an und engaAber das Ergebnis ist, dass die Patienten gieren sich entsprechend. In Deutsch- trotz aller Arbeit sterben. land ist interessanterweise die Hospizbewegung auch die größte BürgerbeweAber wir können die Patienten begung geworden, aber trotzdem haben fragen, wie es ihnen geht. Einer der wir ein anderes Selbstverständnis von führenden Palliativmediziner, Prof. Daehrenamtlicher Tätigkeit. Außerdem ist vid Currow aus Adelaide, sagt immer, es die Hospizbewegung in England außer- reicht heute nicht mehr, eine Schublade halb des Gesundheitswesens entstanden. voller Dankesbriefe zu haben. Das wird Heute noch sind 70 Prozent der Hospi- in Zukunft die Kostenträger nicht beze durch Stiftungen finanziert und nur friedigen. Die Australier messen die 30% der Finanzmittel kommen aus dem Symptome und psychosozialen BelasNational Health System. Früher war das tung genauso wie die Belastung der Fanoch stärker. Das hat aber vielleicht milien durch eine standardisierte Erheauch die Möglichkeit gegeben, dass sich bung, u.a. auch indem sie ihre Patienten diese Bewegung so entwickeln konnte. fragen. Die Australier haben mittlerweile ein nationales Netzwerk von über 100 Haben die Briten einen weniger tabuisier- Einrichtungen, die nach einer standarten Zugang zum Thema Palliativmedizin? disierten Skala arbeiten. In Deutschland Und daher fällt es ihnen leichter mit diesem gibt es mit der Hospiz- und Palliativ-ErThema in die Öffentlichkeit zu gehen, Spenden fassung HOPE ein ähnliches System. In zu sammeln, Stiftungen zu gründen? Australien werden die Ergebnisse aber mit der Komplexität der Patienten verMöglich. Im Umkehrschluss kann bunden, was den besseren Vergleich man festhalten, dass in Deutschland die zwischen den Einrichtungen ermöglicht. Hospizbewegung erst 20 Jahre später als in England wirklich begonnen hat. 1978 Ist eine solche Skala übernehmbar? gab es in Deutschland eine Veröffentlichung der Deutschen BischofskonfeDie Engländer testen dies gerade. renz, die Hospize als nicht unterstütz- In einem großen Projekt, an dem ich ungswürdig betrachtete. Dies lag u.a. auch beteiligt bin, haben wir jetzt für daran, dass damals in dem Dokumen- ein 5-Jahres-Programm eine Förderung tarfilm „Noch 16 Tage“ das Wort Hos- bekommen, um genau dies zu überprüpiz mit Sterbeklinik übersetzt wurde. fen. Meine verwegene Idee ist es, ein Die Wohlfahrtsverbände, die Kirchen ähnliches Projekt auch in Deutschland und damit auch die Politik haben da- durchzuführen. Denn der Idealfall wäre raufhin mit dieser Einrichtung aktive doch, wenn wir eine Komplexitätsskala Sterbehilfe verbunden. Man dachte, in hätten, die international wirklich zuverHospizen werden Menschen euthana- lässig wäre. Es geht darum, dass wir uns siert. Das ist natürlich ein heikles The- auf wissenschaftlicher Seite zusammen ma mit unserer Geschichte. Auch wenn tun, damit nicht jeder das Rad neu er- Man dachte, in Hospizen werden Menschen euthanasiert. Das ist natürlich ein heikles Thema mit unserer Geschichte. Claudia Bausewein finden muss. Hier müssen wir sicher einige Hürden bei den Professionellen nehmen, die meinen, dass die Ergebnisse unserer Arbeit nicht messbar seien und wir doch sowieso gute Arbeit machen, diese Nabelschau muss aufhören. Das hören viele meiner Kollegen nicht gerne, auch nicht, dass sie sich vielleicht auch ökonomisch hinterfragen müssen. Da sind die Australier und Engländer deutlich weiter. Wir in Deutschland müssen da noch etwas nachholen. Das eigene Handeln reflektieren, sozusagen? Ganz genau. Impressum Herausgeber Palliativ-Portal, Im Köstlersbrunn 28, 96135 Stegaurach. Geschäftsführer: Dr. med. Jörg Cuno [email protected] Der Autor Lukas Wilhelmi kam zum Studium der Kulturkritik an die HFF in München. Dort wohnt und arbeitet er als freier Journalist und Autor. Hinweis Das Interview ist Eigentum des Palliativ-Portal. Teilweise oder komplette Auszüge dürfen nur nach Erlaubnis weiterverwendet werden.