Foto: Bernhard Noll PRIMÄRVERSORGUNG Dr.in Martina Hasenhündl Eine „eierlegende Wollmilchsau“ zur Reformierung des Gesundheitssystems? Die Auswirkungen von „Primärversorgung neu“ entsprechend der Art. 15a-Vereinbarung Die so genannte „Primärversorgung neu“ ist beschlossen, in den kommenden Jahren wird daher eine ganze Menge Geld von den Krankenkassen in diese Richtung „investiert“ werden. Oder besser gesagt, dafür ausgegeben werden. Geld, dass dann nicht mehr für Kassenleistungen zur Verfügung steht. Die „Regierungsgläubigen“ erkennen in dieser „Primärversorgung neu“ einen wesentlichen Schritt in Richtung Optimierung der Gesundheitsversorgung. Die Gegner erkennen darin einen Anschlag auf das bewährte System der Kassenverträge und sehen die Existenz der Kassenärzteschaft vernichtet. Wo liegt die Wahrheit? Irgendwo dazwischen? Betrachten wir doch einmal die Auswirkungen auf die einzelnen betroffenen „Gruppen“. Auswirkungen auf die Betreiber solcher Zentren Zunächst einmal die Auswirkung auf die Betreiber dieser Zentren. Wie bei den bisher entstandenen Projekten (Wien-Mariahilf, Enns, Mariazell) werden Primärversorgungszentren in aller Regel auf Basis bestehender Einzel- oder Gruppenpraxenkassenverträge für Allgemeinmedizin entstehen. Mehrere Ärztinnen bzw. Ärzte tun sich unter einem Dach zusammen, bilden eine Art erweiterte Gruppenpraxis mit bestimmten Regeln. Sie müssen längere Öffnungszeiten als Einzelordinationen anbieten, weil der Gesetzgeber dies für nützlich hält. Sie dürfen Leistungen anbieten, die den „normalen“ Kassenärzten möglicherweise vorenthalten bleiben, obwohl sie fachlich und in Bezug auf die Ausstattung dazu in der Lage wären. Und sie decken unter einer neuartigen Fassade im Wesentlichen trotzdem die Leistungen einer Kassenordination ab. Das alles kostet Geld: Die Kassen werden daher nicht nur die anfallenden Kassenleistungen (wie bisher) abdecken müssen. Sie werden das für diese Zentren zur Verfügung stehende Budget zusätzlich aufwenden müssen, denn der Betrieb solcher Zentren ist teuer. Die auf Ärzte spezialisierte Unternehmensberatung Steigflug hat errechnet, dass die Kosten pro Behandlung – und zwar zunächst einmal nur in Bezug auf die Behandlungen, die auch im Kassenbereich durchgeführt werden – in dieser Art Zentren um 50 Prozent höher sein werden. Das erklärt auch die Subventionen, die bereits heute für die „Pilotprojekte“ fließen müssen. Wenn dann noch (wie geplant) zusätzliche (medizinische) Leistungen angeboten werden, dann wird´s nochmal teurer. 26 CONSILIUM 01+02/17 Wie genau die Finanzierung dieser Zentren in Zukunft aussehen wird, das bleibt den Vertragspartnern in den Bundesländern überlassen. Fest steht jedoch, dass Medizin alleine durch solche Zentren nicht besser, aber sicher teurer wird. Nachdem es erklärter politischer Wille ist, das auch zu fördern, steht dem wirtschaftlichen und rentablen Betrieb solcher Zentren nichts im Wege. Und eine mögliche Ablöse bei Pensionierung ist auch sehr viel wahrscheinlicher als mit einer Einzelordination. Aus Sicht der möglichen Betreiber ist also nichts gegen diese Zentren einzuwenden. Und nachdem das Ärztinnen und Ärzte sein werden fragt man sich verwunderlich, warum die Ärztekammer so eine Stimmung dagegen macht. Die Antwort ist einfach: Es gibt ja auch andere Ärztinnen und Ärzte. Und vor allem gibt es eine Verantwortung gegenüber den Patienten und gegenüber der Gesellschaft. Doch schön der Reihe nach. Auswirkungen auf Patientinnen und Patienten, die sich im Nahebereich eines solchen Zentrums befinden Aus der Sicht dieser (privilegierten) Patientinnen und Patienten ist zunächst kein Nachteil erkennbar: Man hat eine erkennbar bessere Infrastruktur und längere Öffnungszeiten zur Verfügung. Und man bekommt sehr wahrscheinlich an einem Ort schneller bestimmte Leistungen, die andernorts überhaupt nicht bzw. erst nach dem Besuch mehrere Anlaufstellen erhältlich wären. Diese Patientinnen und Patienten bekommen ja eine zusätzliche Wahlmöglichkeit, welchen Eintritt ins System sie wählen. Kurzfristig und unmittelbar betrachtet kann das nur als Vorteil gesehen werden. Gesundheitspolitische Auswirkungen werden vom Patienten üblicherweise nicht berücksichtigt. Auswirkungen auf die niedergelassenen Kassenärzte in Einzelordinationen bzw. Gruppenpraxen Wer sich als Kassenallgemeinmediziner nun in der Nähe so eines Zentrums befindet, der sollte sich warm anziehen. Auch ohne am Vertragswerk zu rütteln ist zu erwarten, dass es wirtschaftlich enger wird. Weil sich ein Teil der Patientinnen und Patienten wegen des korrekterweise augenscheinlich „besseren“ Angebots diesen Zentren zuwendet. Diese Zentren sind subventioniert, und genau das wird der wirtschaftliche Tod für viele Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner sein. Hierbei ist es sogar unerheblich, ob die Planung solcher Zentren im Rahmen des Stellenplanes erfolgt oder nicht. Manch älteres Semester wird das noch ein paar Jahre bis zur Pension durchleiden, und dann endgültig die Kassenplanstelle vor Ort zu Grabe tragen. PRIMÄRVERSORGUNG Für die eher jungen wird es eine Gradwanderung am Rand der Rentabilität. Die viele nicht überstehen werden. Aber das ist ja nicht soooo schlimm. Denn schließlich gibt es genügend berufliche Betätigungsfelder in eben diesen Zentren. Auswirkungen auf Patientinnen und Patienten, die sich NICHT im Nahbereich eines solchen Zentrums befinden schlechter werdenden Zugang zur Allgemeinmedizin wird die Bevölkerung kränker, und somit wird alles noch viel teurer. Aus Sicht eines Menschen, der sich für das Gesamtsystem verantwortlich fühlt, ist diese Art. 15a-Vereinbarung der Beginn einer fahrlässig herbeigeführten Zerstörung eines bis vor wenigen Jahren noch besten Gesundheitssysteme der Welt. Mein Resümee Auswirkungen auf die betroffenen Gemeinden OHNE Primärversorgungszentren Für diese betroffenen Gemeinden ist die Lage sehr ernst. Wenn sich Kassenstellen nicht mehr besetzen lassen, wenn Kassenstellen gestrichen werden müssen, wenn der nächste erreichbare Mediziner möglicherweise erst viele Kilometer entfernt zu finden ist. Das senkt die Lebensqualität der Bevölkerung ganz massiv und wird enorme Folgeprobleme etwa im Bereich der Pflege nach sich ziehen. Aus gesundheitsökonomischer Sicht wird mit der Art. 15a-Vereinbarung bzw. im Speziellen mit der neuen „Primärversorgung“ ein komplett falscher Weg in der Gesundheitspolitik eingeschlagen. Wir müssen die Allgemeinmedizin stärken, den Zugang zur Allgemeinmedizin fördern und den Allgemeinmedizinerinnen und -medizinern bessere Arbeitsbedingungen bieten. Und nicht die Allgemeinmedizin umbringen, in dem wir subventionierte Zentren auf den Weg bringen, die auch keine Primärversorgung neu erfinden können, sondern einfach nur besser mit finanziellen Ressourcen ausgestattet werden. Offenbar um ganz gezielt das Kassensystem zu zerstören. Was aus meiner Sicht jedoch einen unverzichtbaren Bestandteil für ein schlankes, aber effizientes Gesundheitssystem darstellt. /fotolia mmer für NÖ Foto: Ärzteka Für diese Patientengruppe sind deutliche Nachteile zu erwarten. Etwa längere Anfahrtswege und somit deutlich schlechterer Zugang. Das wird natürlich vor allem die Bevölkerung auf dem Land sowie die ältere, immobile Bevölkerung betreffen. Tragischer Weise ist das gerade die Patientengruppe, die den wohnortnahen Allgemeinmediziner am dringendsten braucht. Was ist zu tun? Schließen Sie sich unserem Volksbegehren „SOS Medizin“ an. Informieren Sie Ihre Patientinnen und Patienten. t Auswirkungen auf die Gesellschaft Machen Sie Ihren Bürgermeister persöna . edizin m s o s . lich auf die Bedrohung aufmerksam und w ww Der zu verteilende Gesamtkuchen ist defiholen Sie ihn ins gemeinsame Boot. Bitten Sie ihn, unser niert. Derzeit sind die Kassen für den niedergelassenen Bereich gemeinsames Anliegen auf den Plattformen der Gemeinde zu und die Länder sind für den Krankenhausbereich zuständig. Die bewerben. Etwa auf der Webseite oder in der Gemeindezeitung. Kassenmittel werden in den kommenden Jahren stagnieren, ein Erklären Sie ihm, dass für jedes Zentrum mindestens vier KasTeil des Geldes fließt aber in die Verwaltung der neuen Primär- senstellen mittel- bis langfristig geschlossen werden müssen. versorgungszentren. Wie bereits erwähnt jedoch ohne medizini- Vielleicht ist ja Ihre Gemeinde mit dabei? Kämpfen Sie mit uns schen Mehrwert zu erzeugen. Dies bedeutet zwangsläufig, dass für den grundsätzlichen Erhalt des Kassensystems. Jede Unterfür die Leistungen laut Kassenvertrag nicht mehr so viel Geld stützungserklärung zählt auch schon zum Volksbegehren. Haben zur Verfügung steht bzw. in Summe eine Gesamtreduktion der Sie Fragen oder brauchen Sie Unterlagen? Wenden Sie sich an ärztlichen Leistung im niedergelassenen Bereich unvermeidlich die Presseabteilung der NÖ Ärztekammer ([email protected]) ist. Nachdem der Bedarf nicht weniger, sondern aus demografi- oder besuchen Sie uns auf www.sos-medizin.at. schen Gründen mehr werden wird, ist eine weitere Verlagerung in den noch viel teureren Krankenhausbereich unvermeidbar. DR.IN MARTINA HASENHÜNDL Diese Entwicklung gleicht einer Todesspirale. Denn durch 1. Kurienobmann-Stellvertreterin niedergelassene Ärzte CONSILIUM 01+02/17 27