www.derobino.de Handreichungen für die betriebliche Praxis Prozessmodellierung Wer ist in meinem Unternehmen für das Einholen von Angeboten verantwortlich? Wer für das Auslösen von Bestellungen? Wie erfolgt die Wartung unserer Betriebsmittel? Was genau macht eigentlich unsere Personalabteilung? Prozesse spielen in jedem Unternehmen eine zentrale Rolle: Sie schaffen Transparenz, zeigen Verantwortlichkeiten, erleichtern das Einarbeiten von neuen Mitarbeitern, ermöglichen die Verkürzung von Auftrags- und Durchlaufzeiten u.v.m. Vor allem in kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU), in denen ein Mitarbeiter häufig mehrere Funktionen gleichzeitig besetzt, kann die Modellierung der Geschäfts- und Arbeitsprozesse erste Potenziale zur Verbesserung der Ablauforganisation aufzeigen. Mit der vorliegenden „Handreichung für die betriebliche Praxis“ werden neben begrifflichen Grundlagen die verschiedenen Methoden sowie die wesentlichen Vorteile der Prozessaufnahme und -modellierung beschrieben. Sie vermittelt das notwendige Grundwissen, wie Abläufe im Unternehmen erfasst und dargestellt werden können. Prozesse in Unternehmen – Sinn und Zweck von Prozessmodellierung In jedem Unternehmen fallen unterschiedliche Aufgaben an, von der Buchhaltung über den Einkauf, die Logistik oder Montage bis hin zur Personalabteilung und Warenwirtschaft. Die zur Erfüllung dieser Aufgabe durchzuführenden Vorgänge werden als Arbeitsprozesse bezeichnet. Ein Prozess ist eine Folge von Tätigkeiten, die einen zeitlichen Beginn und ein Ende haben. Ergebnis eines Prozesses kann sowohl ein Produkt, ein Werkstoff oder ein Dokument als auch eine Information, Dienstleistung oder Ähnliches sein. Ein (Arbeits)Prozessmodell ist eine abstrakte – und gleichzeitig formalisierte Abbildung – von Entscheidungen und Tätigkeiten innerhalb eines Arbeitssystems. Mit der Aufnahme und Darstellung von Arbeitsprozessen, d. h. mit einer Prozessmodellierung, sind viele Vorteile verbunden: • Kenntnis des aktuellen IST-Standes • Schaffen von Transparenz und einem einheit­lichen Verständnis unter den Mitarbeitern • Grundlage für die Reorganisation von Abläufen • Optimierung der Durchlaufzeiten • Aufdecken von Fehlern • Erleichterung des Wissensaustauschs • Reduzierung der Prozesskosten • Aufdecken von Schwachstellen im Prozess • einfache und schnelle Einarbeitung von neuen Mitarbeitern • Verbesserung der Prozessqualität und Prozess­sicherheit • Erstellung von präzisen Arbeitsanweisungen Nicht zuletzt sind im Qualitätsmanagement Prozessmodelle eine Voraussetzung für eine Zertifizierung z. B. nach DIN EN ISO 9001. 2 Modellierungssprachen Prozesse können mit Hilfe von Modellierungssprachen visualisiert werden. Wie in der gesprochenen Sprache, so unterliegen auch die Modellierungssprachen Regeln, welche Strukturen vorgeben und gemeinsames Verständnis ermöglichen. Aus unterschiedlichen Bereichen (z. B. dem Projektmanagement, der Softwareentwicklung oder Wirtschaftsinformatik) haben sich im Laufe der Zeit verschiedene Modellierungssprachen entwickelt und etabliert. Obwohl jede Modellierungssprache ihre eigenen Symbole verwendet und einer eigenen Grammatik, der sogenannten Syntax, folgt, bieten alle Modellierungssprachen im Kern die gleiche Funktionalität (vgl. Abbildung 1). DIN 66001 K3 Die DIN 66001 entstand als Darstellungsmethode zur Visualisierung von logischen Programmablaufplänen und wird heute zur Darstellung von Geschäfts- und Arbeitsprozessen genutzt. Die Modellierungssprache K3 – benannt nach den Anfangsbuchstaben der wesentlichen Bestandteile Koordination, Kooperation und Kommunikation – ist eine am Institut für Arbeitswissenschaft der RWTH Aachen (IAW) entwickelte Modellierungssprache. Der Vorteil dieser Methode gegenüber den anderen Modellierungssprachen liegt insbesondere darin, dass auch nicht ganz eindeutige Abläufe und Abfolgen von Tätigkeiten gut erfasst und dargestellt werden können. Ausführliche Informationen zur Anwendung von K3 als Modellierungsmethode finden sich in einer eigenständigen Veröffentlichung in der Reihe der „Handreichungen für die betriebliche Praxis“. BPMN (Business Process Model and Notation) Ausgehend von einer Initiative von IBM® wurde zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Entwicklung einer standardisierten Modellierungssprache zur Darstellung von Geschäftsprozessen eingeleitet. eEPK (erweiterte ereignis­gesteuerte Prozesskette) Kennzeichnend für die eEPK-Methode ist der Wechsel zwischen Ereignissen (Beschreibung eines eingetretenen Zustandes) und Funktionen (Beschreibung von Aufgaben und Aktionen). Mitarbeiter Vorarbeiter Meister Vorschlag aufschreiben Formular ausfüllen Formular ausfüllen Vorschlag diskutieren Vorschlag diskutieren Vorschlag [nein] Feedbackgespräch führen Feedbackgespräch führen umsetzbar? [ja] Vorschlag einsteuern Abbildung 1: Darstellung eines Arbeitsprozesses mit K3 (oben links), DIN 66001 (unten links) und eEPK (rechts). Prozessmodellierung 3 3 Akteure, Aktivitäten und Flussprinzipien Unabhängig vom im Einzelfall ausgewählten Prozess gibt es Elemente, die sich in vielen Prozessen wiederfinden. Zu diesen Elementen gehören Akteure, Aktivitäten, Dokumente und der Kontrollfluss, der den Prozessablauf abbildet. Akteure An Prozessen und Abläufen sind in der Regel mehr als eine Person beteiligt. Es ist daher notwendig, die involvierten Akteure zu identifizieren. Die Abbildung eines Akteurs ist in jeder Modellierungssprache unterschiedlich. In vielen Modellierungssprachen werden alle Akteure, die an einem Prozess beteiligt sind, nebeneinander aufgeführt. Sequenz von Aktivitäten Nebenläufige bzw. simultane Aktivitäten Alternative Aktivitäten 1 Hierbei wird jedem Akteur eine sog. eigene Swimlane (Deutsch: Schwimmbahn) zugewiesen. Die zu einem Akteur gehörenden Aktivitäten werden alle innerhalb dieser Bahn abgebildet. : Aktivität ... 2 : Entscheidung 1.1 ... 1.n 2.1 ... 2.m 1 : Simultanität bzw. Synchronisation : Vorgänger-Nachfolger-Beziehung n+1 Ja 1 2 ... n 2 ... m n+1 ? Nein Abbildung 2: Flussprinzipien der Prozessmodellierung Aktivitäten Kontrollfluss Unter Aktivitäten werden in der Prozessmodellierung die Tätigkeiten und Arbeitsschritte gefasst, die im Rahmen des Prozesses anfallen. Damit Aktivitäten möglichst präzise die tatsächlichen Handlungen beschreiben, ist es empfehlenswert, diese als Kombination von Nomen und Verb zu benennen, beispielsweise: „Platine stanzen“, „Spezifikation erstellen“, „Qualität prüfen“. Ausgehend vom Startpunkt des Prozesses gibt der Kontrollfluss an, in welcher Reihenfolge die Tätigkeiten auszuführen sind. Der Prozessablauf wird so durch den Kontrollfluss festgelegt. In bestimmten Fällen, z. B. im Fall von Entscheidungen oder der parallelen Ausführung von Aktivitäten, kann sich der Kontrollfluss teilen. Die wichtigsten sachlogischen Verknüpfungen zeigt Abbildung 2. Dokumente Dokumente (auch Informationsobjekte genannt) können das Ergebnis einer Aktivität sein (z. B. ein Angebot) oder den benötigten Input für eine Aktivität (z. B. eine Anfrage eines Kunden) abbilden. 4 Vorbereitung der Prozessaufnahme Bevor die Prozessaufnahme im Unternehmen beginnen kann, sind zunächst einige Vorbereitungen zu treffen, sodass die Modellierung des Prozesses schnell und korrekt abläuft. Eine Reihe von WFragen bietet dabei eine konkrete Orientierung. • Warum soll ein Prozess aufgenommen und modelliert werden? • Wer ist für den Prozess verantwortlich und wer wirkt mit? • Welcher Prozess wird modelliert? • Wen muss man über die Prozessaufnahme informieren? • Wie detailliert soll der Prozess aufgenommen werden? • Wann und wo soll die Prozessaufnahme stattfinden? Prozessaufnahme und Prozessmodellierung Nachdem die Vorbereitungen für die Prozessaufnahme abgeschlossen sind, kann die eigentliche Prozessaufnahme und Modellierung durchgeführt werden. Hierbei können unterschiedliche Vorgehen sinnvoll sein und Hilfsmittel eingesetzt werden. Prozessaufnahme und Prozessmodellierung unterscheiden sich im Wesentlichen dadurch, dass während der Aufnahme der Ablauf des Prozesses von den Akteuren erfragt wird, während die Modellierung die (visuelle) Aufbereitung des Prozesses zur Dokumentation und weiteren Verwendung beinhaltet. Abbildung 3: Abbildung einer Prozessmodellierung Für die Prozessaufnahme kann auf unterschiedliche Methoden (oder einer Kombination daraus) zurückgegriffen werden, bspw. Dokumentenanalyse, Beobachtung oder Interviews. Damit die Gesprächspartner bei der Prozessmodellierung ein einheitliches Verständnis vom Thema bzw. vom Prozess entwickeln, ist es sinnvoll, dass der Prozessverlauf gleichzeitig skizziert wird. Hierfür sind verschiedene Möglichkeiten denkbar: ob Flipchart und Post-It‘s®, Whiteboard mit entsprechenden Stiften und Magneten oder konventionell mit Papier, Bleistift und Radiergummi. Wichtig ist, dass Änderungen schnell und leicht während der Prozessaufnahme, also während des Gespräches, möglich sind. Ein entsprechendes Beispiel zeigt Abbildung 3. Prozessmodellierung 5 5 Checkliste Nachfolgende Checkliste fasst die wichtigsten Punkte der Prozessaufnahme und Prozessmodellierung, also der Visualisierung des Prozesses, chronologisch zusammen. Durch Abhaken der Checkliste kann sichergestellt werden, dass bei der Durchführung der Prozessaufnahme alle Beteiligten und Elemente berücksichtigt werden Nr. Beschreibung 1. Einstieg in die Prozessaufnahme Vorgehen •Bereitlegen von benötigten Materialien (FlipChart, Stifte, Post-Ist® etc.) •Begrüßung der Mitarbeiter •Dank für die Mitarbeit •Grund für die Prozessaufnahme nennen •Vorgehen und Ablauf beschreiben 2. Prozessabgrenzung •Ist die Prozessabgrenzung nach Meinung der Mitarbeiter richtig? hinterfragen •Abweichungen notieren 3. Prozess aufnehmen •Verantwortlichkeiten erfragen: Wer führt welche Tätigkeiten aus? •Zugehörige Organisationseinheit notieren •Akteure entsprechend der gewählten Methode visualisieren •Tätigkeiten erfragen: Welche Tätigkeiten müssen ausgeführt werden? •Jede Tätigkeit als eigenständige Aktivität dokumentieren •Aktivität im Prozessmodell platzieren und Vorgänger/Nachfolger Beziehung prüfen •Zeitlichen und logischen Ablauf erfragen: In welcher Reihenfolge werden Tätigkeiten ausgeführt? •Kontrollfluss im Prozessmodell ergänzen 4. Prozessaufnahme •Alle Aktivitäten notiert? überprüfen •Verantwortlichkeiten eindeutig zugeteilt? •Zeitlicher Ablauf korrekt? 5. Prozess detaillie•Hilfsmittel erfragen: Welche Werkzeuge, Software-Programme, Informationssysteren me etc. sind für die Ausführung einer Tätigkeit notwendig? •Hilfsmittel an den vorgesehenen Aktivitäten platzieren •Informationsobjekte erfragen: Welche Informationen und Objekte sind für die Ausführung einer Tätigkeit erforderlich? Welche Informationen werden erzeugt? Welche Informationen werden übermittelt? •Informationen und Objekte notieren und visualisieren •Verzweigungen und Varianten erfragen: Welche Varianten können bei der Reihenfolge von Tätigkeiten auftreten? Welche Bedingungen oder Entscheidungen beeinflussen die Reihenfolge von Tätigkeiten? Welche Tätigkeiten werden mehrfach ausgeführt? •Entscheidungen inkl. Bedingungen im Prozessmodell notieren •Zusammenarbeit erfragen: Welche Personen sind an der gleichzeitigen Ausführung einer Tätigkeit beteiligt? Wie kommunizieren die beteiligten Personen? •Synchrone Zusammenarbeiten an der Ausführung von Tätigkeiten modellieren 6. Prozessaufnahme •Namen aller Aktivitäten korrekt? „Substantiv + Verb“ erneut überprüfen •Organisationseinheiten korrekt zugeordnet? •Alle Hilfsmittel berücksichtigt? •Alle Informationsobjekte eingeplant? •Entscheidungen sinnvoll und vollständig beschriftet? •Insgesamt vollständige und umfassende Beschriftung aller Elemente? 7. Prozessaufnahme •Bedanken für die Mitarbeit abschließen 6 Prozessanalysen Ein fertiges Prozessmodell bildet die Grundlage für weiterführende Prozessanalysen. So können anhand des Modells Schwachstellen identifiziert, Verbesserungen diskutiert und Maßnahmen abgeleitet werden. Eine weiterführende Analysemethode stellt die Prozesssimulation dar, mit deren Hilfe Prognosen bezüglich der Dauer und Kosten eines Prozesses gemacht werden können. Die Simulation ist eine hilfreiche Entscheidungsgrundlage (insbesonde- Impressum ISSN 2196-3371 Handreichungen für die betriebliche Praxis Herausgeber: Christopher M. Schlick Autoren: Philipp Przybysz, Sönke Duckwitz Ausgabe 5: „Prozessmodellierung“ Aachen 2014 Titelbild: © Shutterstock/Peshkova re bei Vorgängen mit Unsicherheit. Auf das Verfahren der Simulation und welche Möglichkeiten damit verbunden sind, wird in einer separaten Veröffentlichung innerhalb der Reihe „Handreichung für die betriebliche Praxis“ eingegangen. Weiterführende Literatur Diese Handreichung für die Betriebliche Praxis thematisiert Prozessmodellierung. Die vorangegangenen Kapitel bieten das nötige Basiswissen, um erste Schritte der Prozessmodellierung angehen zu können. Bei den Autoren kann ein kostenloser Leitfaden zur Prozessmodellierung mittels der K3 Methode angefragt werden. Für weitergehende Informationen sei beispielsweise auf folgende Werke verwiesen: • Nielen, A., Jeske, T., Arning, K., Schlick, C.M. (2010): Prozessmodellierungssprachen für kleine und mittlere Unternehmen, In: Neue Arbeits- und Lebenswelten gestalten, 56. Kongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft • Meyer, U.B., Creux, S.E., Weber Marin, A.K. (2005): Grafische Methoden der Prozessanalyse – Für Design und Optimierung von Produktionssystemen. • Best, E., Weth, M. (2005): Geschäftsprozesse optimieren – Der Praxisleitfaden für erfolgreiche Reorganisation. Wiesbaden: Gabler. Prozessmodellierung 7 7 www.derobino.de ISSN 2196-3371 Philipp Przybysz Sönke Duckwitz Lehrstuhl und Institut für Arbeitswissenschaft der RWTH Aachen Bergdriesch 27 52056 Aachen PROJEKTKONSORTIUM EUROPÄISCHE UNION DLR