Di., 29. 3. Forschung Spezial 11 JOURNAL FÜR TECHNOLOGIE UND ENTWICKLUNG Wir stellen vor: eine „gute“ Polle, nämlich die der Pestwurz. Sie ist krampflösend und kann zum Beispiel allergisch bedingtes Bronchialasthma lindern. Der praktisch unsichtbare Feind Allergien haben viele, meist ganz unscheinbare Verursacher. Auf molekularer Ebene aber tobt ein Kampf, in den Forscher seit einiger Zeit auch gentechnologisch eingreifen. Ihre Therapien werden gezielter und verträglicher. Allergiker müssen jedoch auch andere Faktoren berücksichtigen – von Stress und Fastfood bis zur Erderwärmung. Michael Freund „Da ich keine Lust auf Spritzen hatte, therapiert mich meine Hausärztin erfolgreich mit einer Tröpfchentherapie. Das Ganze ist homöophatisch, (nach drei Jahren) bin ich dieses Jahr fast schnupfenfrei, die Kreuzallergene sind schwächer geworden (lecker, Äpfel essen).“ Oder: „Sie empfahl mir, demnächst vor dem Saunabesuch die Nase mit Meerwasser-Nasenspray zu befeuchten. Mir erschien es sinnvoll, das Spray auch einfach mal so anzuwenden, mit erstaunlichem Ergebnis: Für einen halben Tag war das allergische Kribbeln verschwunden! Das war während der PollenNebensaison, aber auch jetzt nehme ich, bevor ich zu anderen Mitteln greife ...“ Oder: „Ich möchte vorausschicken, dass ich hier keine Überzeugungsarbeit leisten will. Ich beschloss, mit meiner lieben Freundin, welche ebenfalls dieselbe Allergie hat, eine Ernährungsumstellung, sehr ordentlich nach der Montignac-Methode, durchzuführen . . .“ Aberglaube Oder: „Dieses ,Farnkissen‘ legte ich unter sein Kopfkissen. Schon nach drei Tagen klagte er nicht mehr über verklebte Augen oder Niesen und Schnupfen. Sein Arzt sprach von psychischen Reaktionen und Aberglaube. Ich habe das nicht akzeptiert, und ermutigt durch dieses positive Ergeb- nis ...“ Kein Zweifel, die Leute treibt es um auf www.pollen allergie.de. Und sie sind nur die Speerspitze einer Bewegung, die mit medizinischen und allen anderen Mitteln versucht, ihrer Gegner Herr zu werden. Der Feind ist umso ärgerlicher, als er praktisch unsichtbar bleibt: unscheinbare Partikel, die uns unsere Grenzen zeigen, so wie den Kakerlaken und den Bakterien nachgesagt wird, dass sie und nicht der Homo sapiens die Atomkatastrophe überleben werden. Um Pollen in die Schranken zu weisen, muss man sich so klein machen wie sie: Das ist eine Einsicht der Forschung, die auf molekularer Ebene ansetzt – dort, wo auch die Allergene operieren. Am häufigsten als „Typ 1“, der sofort nach Kontakt Reaktionen auslöst, bekannt als Heuschnupfen, Asthma, Dermatitis, Nahrungsmittelallergien, die bis zum anaphylaktischen Schock führen können; Nahrungsmittel können ebenso als körperfremde Proteine wahrgenommen werden wie die in der Luft schwebenden Pollen, Mehl- und Baumwollstaub und Heu. Zu den einschlägigen Forschungszentren in Österreich zählt das Institut für Pathophysiologie in Wien unter Meinrad Peterlik (siehe Beitrag unten) und das Institut für Genetik und Allgemeine Biologie in Salzburg, Leitung Michael Breitenbach. Die dortige Forschung hat sich zu einem vom Wissenschaftsfonds (FWF) und der Firma Biomay unterstützten Schwerpunkt zusammengeschlossen. An Ursachen und Behandlungsmethoden arbeitet unter anderem die aus Brasilien gebürtige, seit Mitte der Neunziger mehrfach ausgezeichnete Biochemikerin Fátima Ferreira. Ihr Team will Bei- Obst als verwandtes Böses Wiener Pathophysiologen forschen über Pollen-assoziierte Lebensmittelallergien Barbara Bohle hat Lebensmittel und Biotechnologie an der Bodenkultur in Wien studiert und arbeitet jetzt am Institut für Pathophysiologie an der Uni Wien/AKH. Der gemeinsame Nenner dieser Stationen ist die Beschäftigung mit Lebensmittelallergien, die zusätzlich zu Heuschnupfen entstehen können. Die Lebensmittelallergien kennt man üblicherweise als eigene Gruppe, die bekanntesten Auslöser sind Milch, Hühnereier, Fisch, Krustentiere und Erdnüsse. Fünf bis acht Prozent der Bevölkerung, hauptsächlich im Kindesalter, sind von ihnen betroffen. Häufiger sind die Pollenallergien, vor allem bei Erwachsenen. Rund zwei Drittel von Baumpollenallergikern sprechen auch auf Nahrungsmittel an. Bohle, die auch mit dem im Vienna Competence Center ansässigen Allergie-Forschungsunternehmen Biomay kooperiert, erklärt, wie das kommt: „Nach einer Allergie etwa gegen Birkenpollen entwickeln die Betroffenen eine Kreuzreaktion gegen Äpfel. Ihr Immunsystem erkennt das Obst als etwas ,verwandtes‘ Böses, die Folgen sind Jucken und Schwellen im Mund.“ Verschiedene Studien Es gibt Studien, die zeigen, dass eine Behandlung gegen das ursprüngliche Allergen, zum Beispiel Birkenpollen, zu Verbesserungen führt. Andere Studien hingegen zeigen eher das Gegenteil. Das mag mit unterschiedlichen Stoffen oder anderen Variablen zu tun haben. Um diesen Sachverhalt zu klären, liegt ein Forschungsschwerpunkt am Institut für Pathophysiologie in der genauen Untersuchung der Lebensmittel- und Pollenallergene, wie ähnlich sie einander wirklich sind und ob nicht bei den widersprüchlichen Studien in dieser Beziehung etwas unberücksichtigt blieb. „Zusätzlich“, sagt Bohle, „vergleichen wir die klassische Methode der Impfung (Spritzen) mit der sublingualen (Tropfen unter die Zunge), um zu sehen, ob sich die Ver- abreichung im Mund günstig auf die Heilung auswirkt.“ Für Resultate sei es jedenfalls noch zu früh. Doch für die klassische Pollentherapie wurden in Wien kürzlich beachtliche Fortschritte erzielt. Verena Niederberger und Rudolf Valenta vom Uni-Institut für Pathophysiologie haben gemeinsam mit einem internationalen Team eine klinische Studie veröffentlicht, die die Wirksamkeit von genetisch veränderten Hypoallergenen (weniger Nebenwirkungen) auf den Krankheitsverlauf beobachtet. Die Ergebnisse sind viel versprechend: Bei Birkenpollenallergikern gab es signifikante Verbesserungen. (mf) fuß- und Ragweedpollenallergene charakterisieren und durch Anwendung der Gentechnologie neue Impfstoffe erzeugen, welche Patienten auf einem wesentlich sichereren Weg von ihrer Allergiekrankheit heilen. „Wir haben das Hauptallergen der Birke so verändert“, sagte Ferreira der Uni-Zeitschrift plus, „dass bei einer Impfung mit diesem künstlichen Protein das Immunsystem des Patienten zwar maximal stimuliert wird, gleichzeitig aber keine allergischen Reaktionen mehr auftreten können.“ Das Team von Gerhard Obermeyer und FriedrichWilhelm Bentrup hat Tabakpflanzen kultiviert, welche gentechnisch veränderte Allergene produzieren und für Diagnose und Therapie besser eingesetzt werden. Problem Lebensstil Weitere Fortschritte auf dem Gebiet der Allergieheilung sind sicher. Manche Forscher berücksichtigen zusätzliche Faktoren, die ihrer Erfahrung nach in die Ätiologie der Krankheit aufgenommen werden sollen. Zu ihnen zählt der emeritierte Allergologe Brunello Wüthrich von der Uni Zürich sozioökonomische Gegebenheiten – „In sozial gut situierten Schichten ist der Anteil von Personen, die unter Neurodermitis oder Heuschnupfen leiden, höher“ – und den westlichen Lebensstil: „Er hat offenbar einen Einfluss auf die Zunahme von Allergien. Faktoren wie Stress, Verkehr, Lärm und Fastfood hinterlassen ihre Spuren“, aber auch die rasante Zunahme von Dieselabgasen. Allergiefördernd sei auch die globale Erderwärmung als Folge des Treibhauseffekts. Allergene Pflanzen wie die Haselnuss, Erlen und Birken blühen immer früher. Die Folge: Allergien machen sich für einen immer längeren Zeitraum bemerkbar. der Standard Webtipp: www.allergietage.at www.biomay.com WISSEN Blowing in the Wind Pollen lösen die häufigsten Formen von Allergie aus, bis zu 20 Prozent der Bevölkerung leiden unter ihnen. Pollen werden von Gräsern, Getreiden und Bäumen abgegeben, die sich auf diese Weise vermehren. Die leichten und feinen Varianten, die „Windbestäuber“, können bis zu 400 km weit transportiert werden. Sie erreichen damit Allergiker in weitem Umkreis. Als körperfremde Stoffe lösen sie eine Überreaktion des Immunsystems aus, stellen damit zwar keine direkte Gefahr für den Organismus dar, führen aber zu den bekannten, teils äußerst unangenehmen Begleiterscheinungen – neben Auslösern wie vor allem Nahrungsmitteln, Insektengiften, Tierhaaren oder -schuppen, Milben, Schimmelpilzen, Metallen, chemischen Stoffen und Staub aller Art. Kombinationen – etwa Dieselruß, Staub und Pollen – belasten Allergiker in bedrohlichem Maß. Laut einer Studie von 2003 haben sie das Asthma bei Kindern bis zu Krankenhausaufenthalten verschärft. Allergologen untersuchen die Wirkungen von Heilmitteln und Impfstoffen in verschiedenen Quantitäten und Verabreichungsformen, etwa Spritzen, oral/sublingual, Sprays u.a. (mf) der Standard Webtipp: www.pollenallergie.de