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Viele Parodontitispatienten sind sich ihrer z. T. weit fortgeschrittenen Krankheit jahrelang nicht
bewusst. Erst bei Schmerzen (Dolor) und akuten Entzündungssymptomen (Rubor, Calor, Ödem)
suchen sie den Zahnarzt auf.
Solche Notfälle müssen trotz evtl. Zeitnot umgehend behandelt werden. Um aber lebensbedrohende Zwischenfälle auszuschließen, ist als Erstes eine allgemeinmedizinische Kurzanamnese aufzunehmen, die insbesondere nach der Einnahme von Medikamenten (Antikoagulanzien!), der Notwendigkeit einer Infektionsprophylaxe (Endokarditis, HIV u. a.), nach Allergien sowie früheren
Zwischenfällen fragt.
Eine summarische klinische und lokale röntgenologische Befunderhebung ist als Nächstes auch
beim Notfallpatienten – trotz Schmerzen – vor jeglicher Therapie unumgänglich.
Parodontale Notfallsituationen bzw. Notfallbehandlungen sind:
• erste lokal-medikamentöse und mechanische Therapie bei akuter NUG
• Behandlung akuter, eiternder Taschen
• Eröffnung von Parodontalabszessen
• Sofortextraktion stark gelockerter, nicht erhaltungswürdiger Zähne
• akute, kombinierte endodontisch-parodontale Probleme
• parodontales Trauma nach Unfall
Die akute Gingivoparodontitis ulcerosa (akute NUG) bereitet
Schmerzen und schreitet sehr schnell fort. Eine lokal-medikamentöse Therapie und eine erste vorsichtige instrumentelle Reinigung bringen in wenigen Stunden Linderung und
eine Reduktion der akuten Situation.
Cave: Ulzerationen als Symptom (opportunistische Infektion) beim HIV-seropositiven Patienten.
Akute, eiternde Taschen bereiten in der Regel keine Schmerzen, wenn ein Abfluss nach marginal besteht (Ausnahme:
Abszess). Sie sind aber Zeichen eines exazerbierenden Prozesses, der zu schnellem Attachmentverlust führen kann.
Sie müssen daher sofort medikamentös (Spülungen, Salben,
Reinigung) gestoppt und eventuell bereits mechanisch behandelt werden.
Parodontalabszesse sind meist schmerzhaft. Sie müssen eröffnet bzw. sofort drainiert werden. Häufig ist dies von marginal her – via Taschensondierung – möglich.
An Molaren mit tiefen Taschen oder Furkationsbefall kann
sich ein Abszess – den Knochen penetrierend – auch subperiostal bilden. Er ist von marginal nicht immer erreichbar
und muss durch Inzision eröffnet werden.
Sofortextraktionen werden nur bei nicht mehr erhaltungswürdigen, stark gelockerten, den Patienten störenden Zähnen vorgenommen. Im sichtbaren Bereich muss aus ästhetischen Gründen eine Extraktion wenn möglich umgangen
werden oder ein Sofortprovisorium vorhanden sein.
Akute, endodontisch-parodontale Prozesse sind prognostisch
günstiger, wenn der Hauptgrund endodontischen Ursprungs
ist. Immer sollte der Wurzelkanal zuerst, dann die Tasche behandelt werden (S. 445–447).
Parodontales Trauma durch Unfall bedarf in der Regel einer
sofortigen Schienung (nach allenfalls notwendiger Replantation oder Reposition des Zahns).
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Notfalltherapie
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Notfalltherapie
462 Notfallbefund:
akute Gingivitis ulcerosa (NUG)
Die starken Schmerzen im akuten
Stadium erlauben höchstens eine
sehr vorsichtige periphere Zahnreinigung.
Zur Behandlung des akuten
Zustands wird daher nach Touchierung mit H2O2 (3 %) eine entzündungshemmende, schmerzlindernde und auch desinfizierende Salbe aufgetragen.
Der Patient spült zu Hause mit
Chlorhexidin (0,1–0,2 %).
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Akute „nekrotisierende ulzerative Gingivitis“ (NUG)
463 Nach Notfallbehandlung –
subakutes Stadium
Einige Tage nach der lokal-medikamentösen Notfallbehandlung
sowie der ersten vorsichtigen
mechanischen Reinigung sind die
Aktivitätssymptome – vor allem
die Schmerzen – kupiert.
Die Behandlung durch systematisches subgingivales Scaling, evtl.
später durch Gingivoplastiken,
erfolgt nun gemäß den üblichen
Therapieschritten.
464 Notfallbefund:
lokalisierte akute Tasche
Trotz des 10 mm tiefen Einbruchs
distal von Zahn 31 sollte versucht
werden, diesen vitalen Zahn zu erhalten. Eiter hat sich noch kaum
gebildet, ein Abfluss nach marginal wäre möglich. Vor der mechanischen Therapie wird der klopfempfindliche, vitale Inzisivus medikamentös „beruhigt“, die Tasche
desinfiziert (Spülungen, Salbe).
Rechts: Tiefer Einbruch distal von
Zahn 31 im Röntgenbild.
„Akute Tasche“ – akute Taschenentzündung
465 Medikamentöse Notfallbehandlung und Nachbefund
Als Soforttherapie wird die Tasche
nach CHX-Spülung hier mit
Achromycin-Salbe 3 % aufgefüllt.
Nach Abklingen der akuten
Symptome erfolgt die gründliche
subgingivale Wurzelreinigung.
Rechts: 8 Wochen nach der Taschenbehandlung ist die Gingiva
wieder straff, wenn auch leicht
geschrumpft. Die Sondierungstiefe beträgt nur noch rund 3 mm.
Notfalltherapie
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466 Notfallbefund:
Taschenabszess – Eröffnung
bei Sondierung von marginal
Ausgehend von einer tiefen Knochentasche mesial von Zahn 11
hat sich ein Parodontalabszess gebildet. Bei Sondierung der Tasche
entleert sich reichlich Pus.
Links: Das Röntgenbild zeigt die
tief – bis auf den Fundus der
Knochentasche – eindringende
parodontale Messsonde.
467 Medikamentöse Notfallbehandlung – Röntgennachbefund
Der Abszess ist nach marginal
eröffnet. Die Tasche wird gründlich gespült. Anschließend wird
sie mit einer antibiotischen Salbe
gefüllt. Nach Abklingen der
akuten Symptome erfolgt die
definitive Therapie.
Links: Röntgenbild 6 Monate nach
definitiver Behandlung: Knochenneubildung.
468 Notfallbefund:
Parodontalabszess vor
Durchbruch quer durch Gingiva
Ausgehend von einer tiefen
1-Wand-Knochentasche mesial
des gekippten, vitalen Zahns 47
hat sich ein Abszess gebildet, der
vor dem Durchbruch durch die
Gingiva steht.
Zahn 47 ist ein Klammerzahn
einer alten, schlecht sitzenden
Modellgussprothese. Diese
möchte die betagte Patientin
jedoch erhalten.
Parodontalabszess
469 Abszesseröffnung
Bei Berührung mit der Parodontalsonde hat sich der Abszess
ohne Inzision sofort geöffnet. Es
entleert sich reichlich Pus.
Links: Im Röntgenbild ist die tiefe
Tasche mit einem Haken-Scaler in
situ erkennbar. Da die Furkation
erst wenig befallen ist, wird die
Erhaltung des Zahns (Klammerzahn) versucht. Mechanische und
medikamentöse Behandlung
erfolgen hier gleichzeitig.
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Taschenabszess
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Notfalltherapie
470 Notfallbefund im Seitenzahngebiet: nicht erhaltungswürdiger Molar 37
Aus der tiefen Tasche distal und
dem bukkalen Furkationsbereich
entleert sich spontan Eiter.
Der vitale Zahn ist stark gelockert
und schmerzt auf den geringsten
Druck hin.
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Abszess – distale Tasche/Furkation
471 Röntgenbild
vor Sofortextraktion
Die ohne Druck eingeführte Sonde
erreicht in der tiefen Tasche fast
den Apex. Ohne Sonde wäre der
Defekt an dieser Stelle kaum erkennbar. Für eine Therapie sehr
ungünstige Furkationsform; sich
apikal vereinigende Wurzeln!
Rechts: Am apikalen Ende des
extrahierten Zahns bleibt eine
große Masse von hoch infiltriertem Granulationsgewebe hängen.
472 Notfallbefund im Frontzahngebiet: extraktionsreifer,
schmerzender Zahn 11 – Fistel
Über der tiefen Tasche hat sich
eine Fistel gebildet. Der devitale
Zahn ist stark gelockert und
perkussionsempfindlich. Nach
Abklärungen von Alternativen
wird dieser Zahn sofort extrahiert.
Rechts: Im Röntgenbild wird deutlich, wie die vorsichtig eingeführte
Sonde über den Apex hinausreicht
(Paro-Endo-Probleme, S. 445).
Akutes Paro-Endo-Problem – Fistel
473 Sofortextraktion –
Sofortprovisorium
Aus ästhetischen Gründen ist ein
Sofortersatz notwendig. Nach
Extraktion und Abtrennung der
Wurzel von der Krone wird diese
mit Kompositmaterial und einem
Draht provisorisch an den Nachbarzähnen befestigt. Ein solches
Provisorium kann bis zur definitiven Rekonstruktion verbleiben.
Rechts: Röntgenbild des provisorischen Ersatzes (eigene Zahnkrone).
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