„Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union“ Studie im Auftrag des Bundesministeriums des Innern Potsdam, Oktober 2010 Kurzbeschreibung des Instituts Das Potsdamer Institute for eGovernment (IfG.CC) arbeitet als verwaltungswissenschaftlich orientiertes „eGovernment Competence Center“ an der Schnittstelle zwischen Informationstechnik und Verwaltungsmodernisierung. Neben E-Government beschäftigt sich das IfG.CC mit weiteren „eThemen“ verschiedener Politikfelder u.a. Gesundheit, Bildung, Demografie und Sicherheit. Im Kern geht es darum, Informationstechnik Nutzen bringend einzusetzen, wozu Forschungs- und auch Entwicklungsleistungen nicht-technischer Art vom IfG.CC erbracht werden. Damit stehen neue durch IT ermöglichte Organisations- bzw. GovernanceFormen im Mittelpunkt der Institutsarbeit, einschließlich deren Anforderungen zur Umsetzung (Change Management). Basierend auf diesem Wissen werden Regierungen und öffentliche Verwaltungen bei der Nutzung von neuen E-Government- und weiteren IT-Lösungen unterstützt. Danksagung: Eine solche Studie ist nicht ohne die bereitwillige Unterstützung unterschiedlicher Akteure möglich. Die Autoren bedanken sich bei allen Interviewten, die durch ihre gute Zuarbeit wesentlich zum Gelingen der Studie beigetragen haben. Der Dank gilt insbesondere den Ansprechpartnern in den Botschaften, Landesvertretungen und bei den für die Einheitliche Behördenrufnummer zuständigen Ministerien in den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten. Vor allem die Fallstudien wurden ermöglicht durch die exzellente Unterstützung der Vertreter aus Frankreich, Italien, den Niederlanden und Spanien. Nicht zuletzt bedanken wir uns bei den Vertretern des Bundesministeriums des Inneren, die durch ihre konstruktiven Hinweise aus Praxissicht zur Schärfung der Aussagen beigetragen haben. Herausgeber IfG.CC – The Institute for eGovernment Kontakt: [email protected] Autorenteam: Schuppan, Tino; Thessel, Friederike; Walter, Katrin; Griffin, James; Drüke, Helmut IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Inhaltsverzeichnis 0. Management Summary ................................................................................................... 3 I. Projekt- und Untersuchungsrahmen ............................................................................. 6 1. Einführung ..................................................................................................................... 6 2. Vorgehensweise ............................................................................................................ 8 3. Untersuchungsrahmen ................................................................................................ 10 II. Untersuchung der EU-Mitgliedstaaten ........................................................................ 12 1. 2. 3. 4 5 III. 1. 2. Existenz, Initiierung und Ausrichtung einer EBN ......................................................... 12 1.1 Anforderungen...................................................................................................... 12 1.2 Empirische Befunde ............................................................................................. 13 1.3 Analyse................................................................................................................. 19 1.4 Bewertung ............................................................................................................ 20 Vertriebssicht ............................................................................................................... 21 2.1 Anforderungen an den Vertrieb ............................................................................ 21 2.2 Empirische Befunde ............................................................................................. 24 2.3 Analyse................................................................................................................. 32 2.4 Bewertung ............................................................................................................ 34 Produktionssicht .......................................................................................................... 36 3.1 Anforderungen aus Produktionssicht ................................................................... 36 3.2 Empirische Befunde ............................................................................................. 39 3.3 Analyse................................................................................................................. 45 3.4 Bewertung ............................................................................................................ 47 Organisatorische Umsetzung ...................................................................................... 49 4.1 Anforderungen an die organisatorische Ausgestaltung ........................................ 49 4.2 Empirische Befunde ............................................................................................. 50 4.3 Analyse................................................................................................................. 59 4.4 Bewertung ............................................................................................................ 60 Gesamteinschätzung mit weitergehender Analyse ..................................................... 63 Vertiefende Betrachtung ausgewählter Fälle.......................................................... 67 Frankreich – Allô Service Public 39 39 ........................................................................ 68 1.1 Ausgangslage und Rahmenbedingungen ............................................................ 68 1.2 Gestaltung ............................................................................................................ 68 1.3 Implementation und Ergebnisse ........................................................................... 71 1.4 Beurteilung ........................................................................................................... 71 Italien – Linea Amica ................................................................................................... 73 2.1 Ausgangslage und Rahmenbedingungen ............................................................ 73 2.2 Gestaltung ............................................................................................................ 74 2.3 Implementation und Ergebnisse ........................................................................... 76 1 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union 2.4 3. 4. 5. IV. 1. 2. 3. Bewertung ............................................................................................................ 76 Niederlande ................................................................................................................. 78 3.1 Ausgangslage und Rahmenbedingungen ............................................................ 78 3.2 Gestaltung ............................................................................................................ 79 3.3 Implementation und Ergebnisse ........................................................................... 81 3.4 Bewertung ............................................................................................................ 83 Spanien „060“ .............................................................................................................. 86 4.1 Ausgangslage und Rahmenbedingungen ............................................................ 86 4.2 Gestaltung ............................................................................................................ 86 4.3 Implementation und Ergebnisse ........................................................................... 88 4.4 Bewertung ............................................................................................................ 88 Fazit zu den Fallstudien............................................................................................... 89 Ableitung von Handlungsempfehlungen ................................................................ 93 Handlungsempfehlungen im Bereich Innovation ......................................................... 93 1.1 Vertriebssicht........................................................................................................ 93 1.2 Produktionssicht ................................................................................................... 96 1.3 Organisatorische Einbettung ................................................................................ 98 Handlungsempfehlungen für die Europäisierung ...................................................... 102 2.1 Option 1: Erfahrungsaustausch .......................................................................... 102 2.2 Option 2: Einführung der Rufnummer „116 115“ durch Freischaltung ............... 103 2.3 Option 3: Kopplung von EBN zwischen mehreren EU-Mitgliedstaaten .............. 105 2.4 Option 4: Kopplung zwischen nationalen EBN mit Rufnummern der EU ........... 108 Fazit ........................................................................................................................... 109 Literaturverzeichnis ........................................................................................................... 112 Anlagen ............................................................................................................................... 114 Anlage 1: Fragebögen für Länder mit EBN ....................................................................... 114 Anlage 2: Überblick über die Angebotsbreite ................................................................... 125 Glossar ............................................................................................................................. 126 2 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union 0. Management Summary Die Studie „Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union“ zeigt Rechercheund Analyseergebnisse zur Umsetzung der Einheitlichen Behördenrufnummern (EBN) in EUMitgliedstaaten auf. Die Zielsetzungen der Studie liegen in der Identifizierung von Innovationspotenzial (Good Practices) bei der Umsetzung einer Einheitlichen Behördenrufnummer (EBN) in EU-Mitgliedstaaten. (Identifizierung von „Innovationspotenzial“ von EU-Mitgliedstaaten für Deutschland und für EU-Mitgliedstaaten von Deutschland) Identifizierung und Ableitung von Europäisierungspotenzial für die EBN. Untersucht wurden die Bereiche Vertrieb, Produktion und organisatorische Einbettung. Auf dieser Basis wurden Einordnungen und Kategorisierungen der EU-Mitgliedsstaaten vorgenommen. Daneben sind nationale Implementationswege in Einzelfallstudien für Frankreich, Italien, den Niederlanden und Spanien dargestellt. Die EU-Mitgliedstaaten sind mit ihren EBN-Aktivitäten in einem Ergänzungsband zu dieser Studie als umfassende Fallsammlung dargestellt. Folgendes Ergebnis hat sich gezeigt: Von insgesamt 27 EU-Mitgliedstaaten bieten 13 EU-Mitgliedstaaten eine EBN an. Dazu gehören Belgien (mit Flandern) und Griechenland mit einem jeweils fortgeschrittenen Umsetzungsstand ihrer Servicerufnummern, wenngleich in Belgien mit Flandern und Wallonien zwei Lösungen existieren. Eine weitere Gruppe bilden Deutschland, Italien, Niederlande (zwei getrennte Lösungen), Malta, Slowenien sowie Belgien (Wallonien), Dänemark, Frankreich, Irland, Spanien und Ungarn. Daneben wickelt die Europäische Union ihren Bürgerservice über „europe direct“ ab. Hieraus lässt sich insgesamt ein Modernisierungstrend in Europa Richtung einheitlicher telefonischer Bürgerservice ableiten. Die EU-Mitgliedstaaten Finnland, Großbritannien, Schweden und Zypern bieten nationale Rufnummern an, jedoch nur fokussiert auf spezielle Dienste (z.B. Gesundheit); sie können daher nicht unter einer EBN subsumiert werden. Planungen oder Überlegungen zur Einführung einer EBN bestehen im Erhebungszeitraum in Finnland, Lettland, Portugal, Schweden, der Slowakischen Republik und Zypern. Die Detailanalyse für ausgewählte EU-Mitgliedstaaten zeigt, dass die EBN unterschiedlichen Ausprägungen und Innovationspfaden folgt: Die Niederlande setzen mit der Einführung von „Postbus 51“ auf eine innovative zentrale Lösung. Daneben wird auf kommunaler Ebene der hiervon entkoppelte Service „Antwoord“ angeboten. Italien setzt mit „Linea Amica“ auf eine pragmatisch-inkrementelle Strategie. 3 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Frankreichs Schritt zum Servicecenter-Verbund „Allo Service Public 3939“ erfolgt auf zentraler Ebene als kontinuierliche Innovation. Die Nationalregierung hat eine starke Steuerung im Verbund aus sechs Servicecentern konzentriert. Deutschland bietet mit „D115“ einen nationalen einheitlichen Bürgerservice, der sich insbesondere durch die Integration der drei föderalen Ebenen (Kommunen, Länder, Bund) sowie durch die Umsetzung und Steuerung in einem D115-Verbund auszeichnet. Spanien folgt mit „060“ ebenfalls dem Modernisierungstrend; Spaniens Herausforderung liegt in der Umsetzung der Vernetzung von Fachbehörden und Kommunen unter Berücksichtigung ihrer Governance-Strukturen. Generelle Ansätze zur Weiterentwicklung von „D115“ lassen sich aus dem Vergleich der EUMitgliedstaaten in den Bereichen Angebotstiefe, Servicezeiten, Mehrsprachigkeit und Multikanal-Ansatz ableiten. Die Angebotsbreite (Spektrum der angebotenen Inhalte) hingegen ist aus Vertriebssicht bei „D115“ besonders weit entwickelt. Einen Orientierungsrahmen hinsichtlich „Good Practices“ liefern die EBN in Belgien (Flandern), Griechenland, Irland, Italien und Ungarn. Beispielhaft sei hier Italien mit der Kopplung seiner EBN in Krisenfällen genannt. Auch der niederländische Service „Antwoord“ liefert Anregungen, insbesondere zur Steuerung von Call-Center-Verbünden durch einen franchiseähnlichen Steuerungsansatz. „D115“ bietet Innovationsgehalt für andere EUMitgliedstaaten mit EBN besonders bei der ebenenübergreifenden Kooperation, die trotz föderaler Strukturen gut gelungen ist. Handlungsempfehlungen für unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit zwischen den EU 27 leiten sich aus vier Szenarien ab: Erfahrungsaustausch zwischen allen EU-Mitgliedstaaten, der sich als Basis einer breiten europäischen Unterstützung einer europäischen „116“-Rufnummer für „Harmonisierte Dienste von sozialem Wert“ entwickeln könnte. Freischaltung einer mit „116“ beginnenden Rufnummer für harmonisierte Dienste von sozialem Wert für alle EU-Mitgliedstaaten, die sich unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Serviceangebote mit einer einheitlichen Begriffsdefinition für einen solchen Dienst identifizieren. So könnten unter einer freigeschalteten europäischen „116“-Rufnummer die jeweils nationalen Verwaltungsdienste erreichbar werden. Kopplung nationaler EBN der EU-Mitgliedstaaten. Beispielsweise ist eine Kopplung in Grenzregionen, z.B. Euroregionen, denkbar. Eine generelle Kopplung der EBN kommt insbesondere für EU-Mitgliedstaaten in Betracht, die einen funktionierenden Leistungsverbund innerhalb ihres Landes zwischen verschiedenen Ebenen aufgebaut haben. Das ist jedoch aufwändig umzusetzen und kommt daher eher als langfristiges Szenario in Betracht. Erfolgversprechend und wirtschaftlicher ist die Kopplung des Bürgerservices der Europäischen Kommission „europe direct“ mit einer oder mehreren nationalen EBN (EUIntegration). „Europe direct“ und nationale EBN könnten bei Bedarf Anliegen wechselsei4 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union tig weiterleiten. „Europe direct“ bietet seinen Bürgerservice in allen EU-Sprachen an, so dass eine problemlose Kooperation mit den jeweils nationalen EBN zu erwarten wäre. 5 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union I. Projekt- und Untersuchungsrahmen 1. Einführung Öffentliche Verwaltungen in Deutschland wie auch in vielen anderen EU-Mitgliedstaaten haben in den letzten Jahren enorme Anstrengungen unternommen, für ihre Bürgerinnen und Bürger besser erreichbar zu sein. Insbesondere vor dem Hintergrund von E-Government wurden via Internetseiten elektronische Bürgerdienste eingeführt. Dabei hat sich gezeigt, dass diese elektronischen Bürgerdienste nicht selten nur im begrenzten Umfang nachgefragt wurden. Andere Zugangskanäle hingegen, insbesondere der telefonische Zugang, haben weiterhin eine hohe Bedeutung und nehmen für bestimmte Zielgruppen sogar an Bedeutung zu. Denn vielfach erwarten Bürgerinnen und Bürger eine unmittelbare Antwort zu ihrem Anliegen, was sich auf telefonischem Weg einfach realisieren lässt. Über eine einheitliche, leicht merkbare Behördenrufnummer sollen Bürgeranliegen an einer Stelle einfach erledigt werden können, sodass „One-Stop-Government“ entsteht. Voraussetzung dafür ist die Etablierung eines Callbzw. Servicecenters 1 , weil nur so – wie noch zu zeigen sein wird – Anliegen umfassend und aus einer Hand geklärt werden können. Dadurch ist es aus Adressatensicht möglich, die Fülle der aus dem Zuständigkeitsprinzip resultierenden Ansprechpartner zu reduzieren. Denn die Suche nach der richtigen Information und der richtigen Leistung, einer zuständigen Stelle oder nach dem benötigten Antragsformular und den beizubringenden Unterlagen ist zeitraubend. Oft müssen Bürgerinnen und Bürger die Verwaltung aufgrund fehlender oder unzureichender Angaben und Informationen zu den benötigten Leistungen mehrmals aufsuchen, was mittels einer einheitlichen Behördenrufnummer (EBN) vermeidbar wird. Hinzu kommt, dass mit einem umfassenden telefonischen Leistungsangebot alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen von einem „One-Stop-Government“ profitieren; unabhängig davon, ob sie einen Internetzugang haben oder nicht. Nicht zu unterschätzen ist vor allem die Möglichkeit, über eine EBN ein umfassendes Leistungsangebot auch im ländlichen Raum bzw. abgelegenen Gebieten aufrechtzuerhalten. So führte beispielsweise Griechenland eine EBN mit der Zielsetzung ein, auf abgelegenen Inseln den Zugang zur Verwaltung auf telefonischem Weg sicherzustellen. Nicht zuletzt besteht bei vielen Bürgeranliegen unmittelbarer Informationsbedarf, sodass das Telefon neben dem Internet auch auf absehbare Zeit ein bedeutender Zugangskanal sein wird (Goldau/Meyer/Weber 2009, S. 92; Accenture 2005, S. 28). 1 In Deutschland wird bei D115 der Begriff Servicecenter verwendet, der in der Fachliteratur als weiterentwickeltes Call Center verstanden wird. Eine genaue Begriffsbestimmung findet sich in Kapitel I.3. 6 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union In Deutschland wurde die Idee einer einheitlichen Behördenrufnummer „115“ erstmals 2006 auf dem IT-Gipfel der Kanzlerin vorgestellt. Im März 2009 startete nach einer Testphase der auf zwei Jahre angelegte Pilotbetrieb. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit eine europäische einheitliche Behördenrufnummer im Sinne eines harmonisierten Dienstes von sozialem Wert (HDSW) 2 aufzubauen. EUMitgliedstaaten können den sechsstelligen Rufnummernbereich, der mit den Ziffern „116“ beginnt, ausschließlich für harmonisierte Dienste von sozialem Wert belegen. Danach wäre es möglich, eine europaweit geltende einheitliche Rufnummer einzurichten, unter der beispielsweise Auskünfte zu Verwaltungsdiensten in dem jeweiligen EU-Mitgliedsstaat erreichbar sind. Eine Voraussetzung ist die Unterstützung von mindestens fünf EU-Mitgliedstaaten. Ein Beispiel für eine solche bereits existierende Rufnummer ist die „116 116“, über die europaweit Kredit- oder EC-Karten gesperrt werden können. Hierin ist ein wesentlicher Beitrag zur europäischen Integration zu sehen: Unter gleichzeitiger Beibehaltung nationaler Besonderheiten könnte ein einheitlicher Verwaltungsraum geschaffen werden. Ein grundsätzlich denkbares weitergehendes Europäisierungsszenario ist die Weiterleitung von telefonischen Anliegen über europäische Ländergrenzen hinweg. Spätestens hierfür sind entsprechende nationale infrastrukturelle Anforderungen zu erfüllen, die im Rahmen der Studie erhoben werden. Zielsetzung und Fragestellungen Ziel der Studie ist es, auf der Basis der empirischen Ergebnisse Innovations- und Europäisierungspotenziale zu ermitteln: Die Identifizierung von Innovationspotenzialen (Good Practices) in Europa dient dazu, Möglichkeiten für die Weiterentwicklung von „D115“ zu ermitteln. Gleichfalls wird aus dem EU-Vergleich ermittelt, welche Innovationen „D115“ aufweist, die für andere EU-Mitgliedstaaten von Interesse sein könnten. Im Rahmen der Studie soll auch festgestellt werden, ob Europäisierungspotenzial für die EBN im Rahmen einer HDSW besteht. Hierfür kommen nicht nur EU-Mitgliedstaaten in Betracht, die bereits über eine nationale EBN verfügen, sondern auch EU-Mitgliedstaaten, in denen konkrete Pläne zur Einführung einer EBN vorliegen. Mit dieser Zielsetzung ist die Studie explorativ anzulegen, weil Zusammenhänge und Entwicklungen erst zu erkunden und entdecken sind (vgl. hierzu: Yin 2003, S. 120). Feststellbar ist, dass bisher keine systematisch ermittelten Erkenntnisse zur EBN in EU-Mitgliedstaaten vorliegen. Durch den Vergleich von EBN in EU-Mitgliedstaaten wird die Positionierung und Ausprägung von der „D115“ erst sichtbar, sodass ein vertieftes Verständnis für die eigene 2 Siehe hierzu die Entscheidung der Kommission vom 15.2.2007 über die Reservierung der mit „116“ beginnenden nationalen Nummernbereiche für einheitliche Rufnummer für harmonisierte Dienste von sozialem Wert. 7 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Lösung erreicht wird. Folgende Untersuchungsfragen lassen sich aus der Zielsetzung der Studie formulieren: Welchen Stand hat die Einführung der EBN in den 27 EU-Mitgliedstaaten erreicht? Welche Innovationen, Stärken und Schwächen weisen die jeweiligen EU-Mitgliedstaaten bei der Umsetzung einer nationalen EBN auf? Die empirische Ausrichtung der Studie ist notwendig, weil das Thema EBN/Servicecenter kaum in der Literatur behandelt ist, wenn man von beratungsorientierten Auftragsstudien bzw. so genannter „grauer Literatur“ und internen Projektberichten absieht. Dagegen gibt es umfangreiche Literatur zum Thema Einsatz von Call Centern in privaten Organisationen (z.B. Schumann/Tisson 2006; Zapf 2003; Fojut 2008; Menken/Blokdijk 2009), deren Inhalte jedoch aufgrund der unterschiedlichen Rahmen- und Zielsetzungen der privaten Organisationen nicht unmittelbar auf den öffentlichen Sektor übertragbar sind. Eine im Rahmen dieser Studie durchgeführte Auswertung internationaler einschlägiger Journale und Konferenzen der letzten fünf Jahre hat zudem ergeben, dass sich nur sehr vereinzelt Artikel mit dem Thema Call- bzw. Servicecenter in der öffentlichen Verwaltung beschäftigt haben. 3 Zwar wird das Thema im Kontext der E-Government-Diskussion verschiedentlich oder in Teilaspekten aufgegriffen (z.B. Feil 2002; Schellong 2008), jedoch meist in abstrakter und technischer Form oder nicht mit der für diese Studie erforderlichen Ausrichtung. Auch gibt es für den öffentlichen Sektor keine empirischen Untersuchungen, wenn man von allgemeinen Bürgerbefragungen absieht. Die meisten Darstellungen zur EBN sind von niedrigerem Abstraktionsgrad und überwiegend mit wenig Kontextinformationen versehene Erfolgsbeschreibungen, z.B. über das New Yorker „311-Modell“. Insofern leistet die Studie auch einen Beitrag, die aufgezeigte Forschungslücke zu schließen. 2. Vorgehensweise Die Untersuchung des Umsetzungsstandes der EBN wird in einem Gesamtansatz aller EUMitgliedstaaten (Gesamtbetrachtung) und in Einzelfallstudien vorgenommen. Fallstudien eignen sich für die Zielsetzungen dieser Studie im Besonderen, da hierdurch die Ausgestaltung und Art der Umsetzung der EBN („Wie“) und die Hintergründe für oder gegen die Einführung einer EBN („Warum“) ermittelt werden. Zudem liegt für die Einführung einer EBN eine komplexe Ausgangssituation vor – z.B. organisatorisch, kulturell, technisch – die durch Fallstudien besser in ihrem Zusammenhang erfasst werden kann. Hierdurch wird ein vertieftes Verständnis verschiedener länderspezifischer Pfade zur EBN erreicht. Die Fallanalyse macht 3 Ausgewertet wurden die Einreichungen folgender jährlicher internationaler Konferenzen: IRSPM, HICCS, MeTTeg und EGPA sowie die Zeitschriften Public Management Review, Government Information Quarterly sowie weitere über Science Direct verfügbare internationale Zeitschriften. 8 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Besonderheiten und Gemeinsamkeiten nationaler Lösungen sichtbar und erklärt diese, soweit möglich. Methode der Datenerhebung Die Datenerhebung erfolgte in drei Phasen von Januar bis Ende April 2010: Die erste Phase der Datenerhebung hatte zum Ziel, diejenigen Länder zu identifizieren, die über eine EBN verfügen oder für deren Einführung bereits konkrete Pläne vorliegen (Identifikation). Hierfür wurde zunächst eine Webrecherche durchgeführt. Für jeden EU-Mitgliedsstaat wurden Nachrichten, Konferenzpräsentationen, Evaluierungsberichte, Protokolle von Parlamentsdebatten, Government-Factsheets der Europäischen Kommission, Websites der öffentlichen Verwaltung, Projektdokumentationen, Pressemitteilungen und E-Government-Strategien auf Hinweise für die Existenz einer EBN durchsucht. Bei der Suche wurden zwei Gruppen von Begriffen in verschiedenen Sprachen verwendet. Die Suchbegriffe der ersten Gruppe (government, citizen, public, administration, national, city) wurden mit Suchbegriffen aus Gruppe 2 (Call center, contact center, service center, information line, hotline, telephone, service line, single telephone number, single service number) kombiniert. Zusätzlich wurden die Suchergebnisse verifiziert, indem die Deutschen Botschaften in allen 27 EU-Mitgliedstaaten, die diplomatischen Vertretungen der EU-Mitgliedstaaten in Deutschland, Forschungspartner des IfG.CC sowie die Ständigen Vertretungen der EUMitgliedstaaten bei der EU per E-Mail angeschrieben wurden. Insgesamt wurden 91 Anfragen vorgenommen, ob eine EBN vorliegt, wovon es 61 Rückmeldungen gab. In der zweiten Phase wurden die Länder, in denen EBN-Aktivitäten vorzufinden waren, weitergehend ausgewertet (Verifikation). Insbesondere wurden Angebotsbreite und räumliche Reichweite der Rufnummer untersucht, um herauszufinden, ob es sich tatsächlich um eine EBN handelt. Herangezogen wurden insbesondere Dokumente, auf welche die in Phase 1 kontaktierten Stellen verwiesen hatten. Eventuelle Unklarheiten, ob eine Rufnummer als EBN zu werten ist, wurden in Telefoninterviews abschließend geklärt. In Phase 3 wurden diejenigen EU-Mitgliedstaaten mit EBN im Hinblick auf die Ausgestaltung, Ausprägungen der EBN sowie verschiedene Implementationswege genauer untersucht (Vertiefung). Hierfür wurden schriftliche Anfragen mit standardisierten Fragebögen durchgeführt, wobei es unterschiedliche Fragebögen für die Länder gab, die bereits eine EBN umgesetzt hatten (siehe in Anlage 1), und für diejenigen, die konkrete Planungsaktivitäten aufzuweisen hatten. Angeschrieben wurden Projektleiter, Abteilungsleiter zuständiger Ministerien, Regulierungsbehörden sowie Vertreter von für die EBN-Umsetzung verantwortlichen Agencies. Ergänzend zur schritlichen Umfrage per E-Mail wurden zur Konkretisierung und Klärung noch offener Fragen leitfadengestützte telefonische Interviews sowie ein Vor-Ort-Interview (Slowenien) durchgeführt. Hierdurch wurden Angaben weiter 9 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union konkretisiert und validiert. In der Stufe der vertieften Datenerhebung wurden insgesamt 65 Fragebögen versendet, von denen es 31 Rückläufe gab. Neben den EU 27 wurden auch Norwegen und die Schweiz in die Datenauswertung einbezogen. Die Ergebnisse von Phase 3 wurden in steckbriefartiger Beschreibung in einem ergänzenden Materialband zu dieser Studie zusammengefasst. Die Empirie der Studie gibt den Stand von März/April 2010 wieder; danach stattfindende Änderungen sind nicht berücksichtigt. 3. Untersuchungsrahmen Folgende Definition für die EBN wird dieser Studie zu Grunde gelegt: Eine EBN ist eine kurze bzw. gut einprägsame Telefonnummer, über die ein telefonischer Zugang zu möglichst vielen häufig nachgefragten öffentlichen Leistungen besteht. Die EBN ist von den national zuständigen (Regulierungs-)Behörden auf Antrag zugeteilt und über diese wird der Dienst angeboten. Über eine nationale EBN können Bürger und Unternehmen unabhängig von administrativen Zuständigkeiten die Verwaltung kontaktieren. Entgegengenommen werden die Anrufe von einem Call Center bzw. einem so genannten Service Contact Center, die Organisationseinheiten mit umfassender technischer wie organisatorischer Infrastruktur darstellen. Service Contact Center (kurz: Servicecenter) stellen eine Weiterentwicklung von Call Centern dar, da sie nicht nur Anrufe annehmen und beantworten, sondern umfassende Kommunikationszentren sind (vgl. z.B. Sharp 2003, S. 3; Fluss 2005, S. 198). Sie interagieren im Unterschied zum Call Center über mehrere Zugangskanäle (EMail, Post, Fax, Chat oder SMS) mit dem Bürger, was in einzelnen Staaten, wie z.B. Italien, schon partiell der Fall ist. Für diese Studie ist nicht nur entscheidend, ob in einem EU-Mitgliedstaat eine EBN vorliegt, sondern auch welche Merkmale und Ausprägungen sie aufweist. Hierfür ist ein Rahmen erforderlich, dessen Kern die in der E-Government-Literatur übliche Unterscheidung von Vertrieb und Produktion ist (Lenk/Schuppan/Schaffroth 2010, S. 30f.; Lenk 2004, S. 84.) und hier auf EBN übertragen wird. Die Distributionssicht ist mit einer Angebotssicht gleichzusetzen. Mit ihr wird ermittelt, welche Leistungen (Angebotsbreite) in welcher Tiefe (Angebotstiefe) und in welcher Form (z.B. zeitliche und sprachliche Erreichbarkeit) über die EBN angeboten werden. Die Produktionssicht ist mit der Leistungserstellung gleichzusetzen. Mit ihr wird ermittelt, wie die Leistungen aus Sicht des Servicecenters erbracht werden; z.B. im Zusammenspiel mit weiteren beteiligten, abgestuften Auskunftsebenen (Servicelevel), die auf eine zunehmende Spezialisierung verweisen. Erhoben werden Informationsmanagement, Kooperationsmuster und eingesetzte IT-Anwendungen. 10 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Darüber hinaus ist für die Funktionsweise der EBN eine entsprechende organisatorische Einbettung notwendig. Dazu zählen Aspekte wie Betreibermodell, Qualitätsmanagement, Personalmanagement etc.. Diese werden unter dem Begriff Umsetzungsorganisation zusammengefasst. Die Einordnung der drei Bereiche ist in der nachfolgenden Darstellung zusammengefasst; die jeweiligen Sichten werden im weiteren Verlauf der Studie konkretisiert. Kunde Vertrieb Anfrage Anfrage zu zu verschiedenen verschiedenen und und mehreren mehreren Leistungen Leistungen (Leistung (Leistung A, A, B, B, C, C, …) …) Multikanal Multikanal Call Call Center Center der der EBN EBN 1. 1. Auskunftsebene Auskunftsebene des des Call Call Centers Centers Produktion Organisatorische Einbettung (Betreibermodell, Finanzierung, Personalmanagement, Qualitätsmanagement, Öffentlichkeitsarbeit) „Welche Behörde ist zuständig?“ „Welche Leistung benötige ich?“ Weitergehende fachliche Spezialisierung 2. 2. Auskunftsebene Auskunftsebene des des Call Call Centers Centers 3. 3. Auskunftsebene Auskunftsebene Behörde Behörde A A Behörde Behörde B B Behörde Behörde C C Darstellung 1: Einordnung der Bereiche Distribution, Produktion und Organisatorische Einbettung Alle drei Bereiche (Distribution, Produktion, organisatorische Einbettung) bilden die Grundlage für die weitere Untersuchung, die wie folgt aufgebaut ist: Für alle EU-Mitgliedstaaten werden im Kapitel II, das den Kern der Studie bildet, Erhebungen entlang des Analyserahmens vorgenommen. Damit wird eine Gesamteinordnung aller EU-Mitgliedstaaten möglich, sodass Aussagen zum Innovations- und Europäisierungspotenzial getroffen werden können. In Kapitel III erfolgt eine vertiefende Fallanalyse für vier Länder. Es wird gezeigt, wie es zu bestimmten EBN-Ausprägungen kam, so dass der Entwicklungspfad eines Landes sichtbar wird. Diese Betrachtung ist erforderlich, weil Good Practice nur im länderspezifischen Kontext verstanden werden kann. Erst dadurch wird reflektives und verstehendes Lernen ermöglicht, sodass eine schematische Übernahme von Good Practices vermieden wird. Abschließend werden entlang der Zielsetzung der Studie in Kapitel IV aus den Ergebnissen der Studie Handlungsempfehlungen abgeleitet und weitergehend entwickelt. 11 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union II. Untersuchung der EU-Mitgliedstaaten In diesem Teil werden die EU 27 zunächst nach der Existenz einer EBN und danach entlang der Distribution, Produktion und Umsetzungsorganisation untersucht. Zuerst werden die Anforderungen an die jeweiligen Bereiche beschrieben, danach Entwicklungsstände erhoben und analysiert, um sie dann im Hinblick auf das Innovations- und Europäisierungspotenzial zu bewerten. 1. Existenz, Initiierung und Ausrichtung einer EBN 1.1 Anforderungen Für die Feststellung, welche der 27 EU-Mitgliedstaaten überhaupt über eine EBN verfügen, ist das angebotene Leistungsspektrum und die räumliche Reichweite des Rufnummernangebots relevant (vgl. Darstellung 2): Als EBN gelten nur Rufnummern, die ein größeres Spektrum öffentlicher Leistungen bzw. Informationen zu öffentlichen Leistungen anbieten. Danach sollen Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen über nur eine Stelle mit der Verwaltung in Kontakt treten können, um viele Anliegen mit der Verwaltung zu klären. Spezialrufnummern, wie beispielsweise die Notrufnummer (112), erfüllen diese Anforderungen an eine EBN nicht. Es sind nur Behördenrufnummern zu berücksichtigen, die nicht nur über eine Stadt oder Region hinausreichen, sondern explizit als national gültige Rufnummer aufgesetzt sind. Regional gültige Behördenrufnummern gelten nicht als EBN. Darstellung 2: Anforderungen an eine EBN 12 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Wurde festgestellt, dass eine EBN in einem EU-Mitgliedstaat existiert, sind weitere Aspekte, wie Auslöser, Zeitpunkt der Einführung, verfolgte Ziele oder strategische Ausrichtung relevant. Hierdurch können die Hintergründe und die Ausrichtung bei der Einführung erhoben werden. Diese Informationen tragen wesentlich zum besseren Verständnis von Entwicklungsstand und Umsetzungsdynamik der EBN bei. 1.2 Empirische Befunde Bezüglich der Existenz einer EBN hat sich folgendes Bild ergeben: Über eine EBN verfügen 13 von 27 EU-Mitgliedstaaten. Konkrete Planungen zur Einführung liegen in sechs Ländern vor. In acht EU-Mitgliedstaaten waren im Erhebungszeitraum keine Aktivitäten zum Aufbau einer EBN feststellbar. Die Ergebnisse mit den jeweiligen Ländern und der nationalen Bezeichnungen der EBN sind in Darstellung 3 zusammengefasst. Staaten mit EBN Staaten mit Planungen zur EBN Staaten ohne EBN Belgien: Contactpunt Vlaamse Infolijn (Flandern) Le Téléphone Vert de la Région wallonne (Wallonien) Finnland Bulgarien Dänemark: Borger.dk’s Contact Centre Lettland Estland Deutschland: D115 Portugal Litauen Frankreich: Allô Service Public 39 39 Schweden Österreich Griechenland: Telefonischer Bürgerservice (1500) Slowakische Republik Polen Irland: Citizens Information Phone Service (CIPS) Zypern Rumänien Italien: Linea Amica Tschechische Republik Luxemburg Numéro vert: 8002 8002 Vereinigtes Königreich Malta: Government Information Service Freephone 153 Niederlande: Postbus 51 Informatiedienst Antwoord 13 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Staaten mit EBN Staaten mit Planungen zur EBN Staaten ohne EBN Slowenien: Halo Uprava! (neue Rufnummer geplant: 115) Spanien: 060 Ungarn: 189 ÜGYFÉLVONAL Darstellung 3: Länderüberblick nach Abschluss der Phase 2 In einigen Staaten ohne EBN – wie Estland – wird der Zugang über das Webportal stark favorisiert, sodass der telefonische Zugang keine Beachtung findet. 4 Ebenfalls nicht einzubeziehen waren Länder wie die Tschechische Republik und Rumänien. Zwar gibt es in Prag und in Temeswar (Rumänien) EBN, die jedoch wegen ihrer lokalen Reichweite keine nationale EBN sind. Hinzu kommt, dass die Behördenrufnummer in Prag, die im Januar 2010 unter den Namen Pražské kontaktní centrum eröffnet wurde, derzeit nur zu wenigen Verwaltungsleistungen Informationen anbietet. Finnland, Großbritannien, Schweden und Zypern haben zwar Rufnummern für das gesamte Land, diese bieten jedoch nur spezielle Dienste an, sodass sie ebenfalls nicht als EBN zu werten sind. In Finnland können Anruferinnen und Anrufer beispielsweise über die Rufnummer „Osoitepalvelu 0600 0 1000“ bei der Einwohnermeldebehörde (Väestörekisterikeskus) Adressinformationen zu in Finnland registrierten Personen erfragen. In Großbritannien gibt es spezielle Rufnummern für Gesundheit sowie Sicherheit und Ordnung. Das britische Ministerium für Gesundheit (Department of Health) plant die Einführung einer gebührenfreien Rufnummer „111“ für Gesundheitsservices, die keine Notfälle abdecken. Über diese Rufnummer soll der Öffentlichkeit ein schneller und einfacher Zugang zu Informationen rund um gesundheitspolitische Fragen und Dienstleistungen in ihrer Region zur Verfügung gestellt werden. Sollte sich herausstellen, dass eine Anruferin oder ein Anrufer sofortige medizinische Hilfe benötigt, werden diese an die „999“ oder „112“ weitergeleitet. Im Frühjahr 2010 begann der Pilotbetrieb in den lokalen National Health Service (NHS)-Organisationen im Nordosten und Osten Englands sowie im östlichen Mittel-England. Über die Rufnummer „101“ können telefonisch Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung (z.B. Vandalismus, Lärmbelästigung oder Drogenkriminalität) gemeldet 4 Auch die Nicht-EU-Mitgliedstaaten Schweiz und Norwegen wurden in die Analyse einbezogen: In der Schweiz und in Norwegen gibt es derzeit weder Aktivitäten noch Planungen im Hinblick auf eine EBN, wenngleich das Thema in der Schweiz zumindest im Kontext von E-Government diskutiert wird. 14 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union werden. Durch „101“ wird auch das Notrufsystem ergänzt, wenn es z.B. an Feiertagen, zu bestimmten Ereignissen oder bei Katastrophen überlastet ist. Gleiches gilt für Zypern und Schweden, die über den Notruf hinaus spezielle Rufnummern für Ordnung und Sicherheit eingerichtet haben. Einen Sonderfall stellt Luxemburg dar, weil dort zwar mit „Numéro vert: 8002 8002“ eine Behördenrufnummer existiert, die auch hinsichtlich der Angebotsbreite als EBN zu werten ist, jedoch aufgrund geringer Nachfrage eine unbedeutende Rolle spielt. Der telefonische Service soll durch www.guichet.public.luis ersetzt werden, sodass Luxemburg nicht weiter in dieser Studie berücksichtigt wird. Konkrete Planungsaktivitäten für die Einführung einer EBN wurden in Portugal, Finnland, Lettland, Schweden, der Slowakischen Republik, Slowenien und Zypern ermittelt. In Slowenien soll eine EBN implementiert werden, die die bereits bestehenden Behördenrufnummern (u.a. Halo uprava!) ablöst. Dort ist vorgesehen – wie in Deutschland – die Zahlenreihe „115“ als Rufnummer einzuführen. Die Planungen zur EBN in Lettland, Schweden und der Slowakischen Republik befinden sich noch in der Anfangsphase. In Schweden ist die Implementierung einer EBN von der schwedischen Regierung 2010 in Auftrag gegeben worden. Auf EU-Ebene ist die gebührenfreie Rufnummer „europe direct“ (00 800 6 7 8 9 10 11) als EBN zu werten, die europaweit gilt und von der EU-Kommission eingerichtet wurde. Sie bietet Informationen zu EU-Institutionen, z.B. zum Europäischen Rat, zum Europäischen Rechnungshof, zum Ausschuss der Regionen und Wirtschafts- und Sozialausschuss. Die Einordnung, ob ein Land über eine EBN verfügt, war nicht in jedem Fall ganz zweifelsfrei: In Belgien gibt es für die Regionen Flandern und Wallonien jeweils eine eigene EBN, sodass es sich genau genommen nicht um eine national gültige EBN handelt. Hintergrund für die horizontale Zweiteilung ist, dass die föderale Ebene nur schwach ausgeprägt ist, die Regionen und die Sprachgemeinschaften hingegen eine politisch starke Stellung haben. Hinzu kommt, dass insbesondere zwischen Wallonien und Flandern ausgeprägte kulturelle und z.T. starke politische Differenzen bestehen. In den Niederlanden liegt ebenfalls eine Zweiteilung vor, die jedoch vertikal verläuft. Denn neben der nationalen Lösung „Postbus 51“, die vom Ministerium für Allgemeine Angelegenheiten betrieben wird, wurde mit „Antwoord“ eine Lösung für Kommunen eingeführt, die vom Innenministerium und dem Niederländischen Gemeindebund initiiert wurde. Beide Rufnummern bieten ein breites Leistungsspektrum an, sind landesweit gültig und werden als EBN in den Niederlanden wahrgenommen. Im Ergebnis wurden neben Deutschland die Staaten Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Malta, die Niederlande, Slowenien, Spanien und Ungarn in die engere Auswahl für die weitere Untersuchung einbezogen. Des Weiteren wurden Finnland, 15 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Portugal und Zypern betrachtet, weil hier konkrete Planungsaktivitäten mit hinreichend genauen Konzepten vorliegen. Auslöser, Zielsetzung und strategische Ausrichtung Der Auslöser zur Einführung einer EBN war in den untersuchten Staaten recht unterschiedlich. In den meisten Ländern wurde der Aufbau durch eine mehr oder weniger spezifische Problemsituation ausgelöst. So bestand in einigen Ländern genereller Handlungsdruck aufgrund einer zunehmenden Unzufriedenheit der Bürger mit der Qualität der angebotenen Verwaltungsleistungen und/oder der Unübersichtlichkeit der Verwaltungsstrukturen. Zum Teil waren auch bereits bestehende Behördenrufnummern überlastet, sodass ein Ausbau bzw. eine Weiterentwicklung des telefonischen Zugangskanals ohnehin erforderlich war. Ein weiterer Grund waren Erfahrungen und „Good-Practice-Sogwirkungen“ der New Yorker Behördenrufnummer „311“, von der auch das D115-Projekt in Deutschland inspiriert wurde. Gleiche Vorbildfunktion entwickelte das kanadische System „1 800 O-Canada“ für Frankreich. Auch zunehmender innereuropäischer Erfahrungsaustausch befördert die Umsetzung von Ideen: So ist bspw. der geplante EBN-Ausbau in Slowenien wesentlich von Postbus 51 (in den Niederlanden) inspiriert. Die Auslösersituationen in den jeweiligen Ländern sind in Darstellung 4 zusammengefasst. Auslöser Staaten Initiativen/Vorhaben zu einer umfassenden Verwaltungsmodernisierung Spezielle Initiativen: europe direct, Deutschland, Niederlande (Postbus 51), Spanien Verwaltungsmodernisierung: Belgien (Wallonien), Dänemark, Griechenland, Malta, Slowenien, Ungarn Finnland, Portugal, Zypern Weiterentwicklung von Projekten Irland Spezifische Problemsituationen Belgien (Flandern – Überlastung von Behördenrufnummern), Italien (Unzufriedenheit mit der Servicequalität der öffentlichen Verwaltung) Finnland und Zypern (Überlastung von Notrufnummern) Anregungen aus anderen Ländern Frankreich (Anregung aus Kanada), Niederlande (Antwoord – New York 311), Ungarn, Slowenien (Postbus 51) Zypern Darstellung 4: Überblick über Auslöser der Einführung der EBN Entsprechend der Auslöser ähneln sich die Staaten auch hinsichtlich der Ziele, die mit der Einführung der EBN verfolgt werden. Im Mittelpunkt stehen hauptsächlich ein verbesserter Zugang zu Verwaltungsleistungen sowie die Verbesserung der Servicequalität. Für Frankreich und Irland wurde in den durchgeführten Interviews erwähnt, dass es bei der Einführung 16 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union speziell auch darum ging, für ältere Menschen, Menschen mit Behinderung und den Bewohnern von ländlichen Regionen eine verbesserte Servicequalität zu bieten. Mit der EBN in Dänemark, Slowenien und Ungarn wird speziell darauf abgezielt, Menschen ohne Internetzugang ein mit dem Webangebot vergleichbares Angebot bereitzustellen (vgl. Darstellung 5). Zielsetzung Staaten Verbessertes Informationsangebot europe direct, Belgien (Flandern), Griechenland, Niederlande (Postbus 51 Informatiedienst, Antwoord – besonders auf kommunaler Ebene), Ungarn Finnland, Zypern Verbesserte Servicequalität/verbesserter Zugang zu Verwaltungsleistungen Belgien (Wallonien), Deutschland, Griechenland, Italien, Malta, Spanien (Verknüpfung von Verwaltungsebenen und Zugangskanälen) Finnland, Portugal, Zypern Frankreich und Irland (speziell für ältere Menschen, Menschen mit Behinderung und Bewohner von ländlichen Regionen) Ergänzender Zugangskanal zu Online-Services Dänemark, Slowenien, Ungarn Zusammenlegung bestehender Call Center Portugal, Slowenien (geplante neue EBN) Darstellung 5: Überblick über Ziele der Implementierung der EBN Überdies ist in fast allen EU-Mitgliedstaaten die EBN in eine umfassendere E-Governmentund/oder übergreifende Modernisierungsstrategie eingebettet (vgl. Darstellung 6). In Dänemark, Frankreich, Griechenland, Slowenien und Ungarn ist der Zugang zu öffentlichen Leistungen über den Telefonkanal explizit in die jeweils nationale E-Government-Strategie aufgenommen worden. Die EBN in Flandern (Belgien) ist in eine übergreifende Modernisierungsstrategie der öffentlichen Verwaltung eingebettet, zusätzlich wurde für die Implementierung der Rufnummer eine eigene Strategie entwickelt. „Antwoord“ in den Niederlanden ist sowohl in eine Modernisierungsstrategie als auch in eine E-Government-Strategie eingebettet. „D115“ wurde zunächst als eigener Modernisierungspfad konzipiert, dann aber 2008 als Maßnahme unter dem Handlungsfeld „E-Government“ in den Umsetzungsplan zur Strategie zur Verwaltungsmodernisierung „Zukunftsorientierte Verwaltung durch Innovation“ aufgenommen. Italien ist ein Sonderfall: Bereits kurz nach seinem Amtsantritt 2008 initiierte der neue Minister für öffentliche Verwaltung und Innovation die Errichtung der „Linea Amica“ als zentralen telefonischen Kontaktpunkt für die Bürger. „Linea Amica“ wird pragmatischinkrementell ausgebaut; eine explizit (ausformulierte) Strategie liegt nicht vor. Die geplante Einführung einer EBN in Portugal und in Finnland ist Bestandteil der nationalen E-Government-Strategie. Als Einzelansatz ist der geplante Ausbau der EBN in Slowenien 17 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union sowie die Ersteinführung in Zypern vorgesehen. In Lettland, Schweden und der Slowakischen Republik wurde die Einführung einer EBN in verschiedenen Richtlinien oder Strategiepapieren benannt; in Schweden wird ein entsprechendes Gesetz zur Einrichtung der EBN vorbereitet. In der nachfolgenden Darstellung ist die strategische Einbettung zusammengefasst. Die mehrfache Verankerung der EBN in Strategien ist ein Indiz für den Stellenwert, die eine EBN in dem jeweiligen Staat hat. Keine strategische Einbettung der EBN Eigenständige Strategie für EBN Einbettung der EBN in übergeordnete Modernisierungsstrategie Italien Belgien (Flandern), Irland, Niederlande (Postbus 51) Belgien (Flandern), Belgien (Wallonien), Deutschland, Dänemark, europe direct, Frankreich, Griechenland, Malta, Niederlande (Antwoord), Slowenien (Halo uprava!), Spanien, Ungarn Darstellung 6: Zuordnung der Staaten zu den strategischen Hauptrichtungen Zeitpunkt der Einführung Hinsichtlich des Zeitpunkts der Einführung der EBN lassen sich die EU-Mitgliedstaaten mit EBN in drei Gruppen einteilen: Die erste Gruppe umfasst die Länder, in denen im Vergleich sehr früh, d.h. noch vor dem Jahr 2000, eine EBN eingeführt wurde. Dazu zählen Belgien (Wallonien und Flandern), Malta und die Niederlande mit dem Postbus 51-System („Frühstarter“). Die zweite und größte Gruppe umfasst die Länder, die zwischen 2001 und 2007 eine EBN eingeführt haben: das waren Dänemark, Irland, Frankreich, Griechenland, die Niederlande mit dem Antwoord-System, Spanien und Slowenien. Diese Länder haben trotz der generellen Fokussierung auf den Internetzugang auch auf den Telefonkanal gesetzt. Ebenfalls fällt in diesen Zeitraum die Freischaltung von „europe direct“ (Mittelfeld). Zur dritten Gruppe der zeitlich nachziehenden Länder gehören Italien, Ungarn und Deutschland, die ihre EBN jeweils nach dem Jahr 2008 eingeführt haben („Verfolger“). Die nachfolgende Darstellung 7 gibt einen Überblick über den Zeitpunkt der Implementierung der jeweiligen EBN. Zur zeitlichen Orientierung wurde auch die Einführung der EBN in Kanada und New York angegeben, die als entwickelt gelten. 18 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union BE-Wallonien (1989) BE-Flandern (1999) Malta (1998) Dänemark (2007) Griechenland (2002) Irland (2002) NL-Postbus 51 (1995) Ungarn (2009) NL-Antwoord (2005) Deutschland (2009) Frankreich (2005) Luxemburg (2001) Slowenien (2007) Spanien (2006) Italien (2009) 1985 86 87 88 89 1990 91 92 93 94 95 96 97 98 99 2000 01 02 03 04 05 06 07 08 09 1800 O Canada - „Frühstarter“ - Mittelfeld - Verfolger New York 311 - Pilotbetrieb Darstellung 7: Zeitpunkte der Implementierung der EBN Projektverantwortung und strategische Ausrichtung Die politische Verantwortung für die EBN sind in fast allen Staaten bei Ministerien oder vielfach unmittelbar beim Ministerpräsidenten bzw. beim Premierminister angesiedelt, was auf den hohen Stellenwert der EBN im jeweiligen Staat verweist. In Dänemark, Deutschland, Griechenland, Italien, Slowenien und Zypern liegt die Verantwortung bei einem Ministerium, i.d.R. beim Innenministerium. In Slowenien und Malta haben die politisch verantwortlichen Ministerien bzw. Behörden auch die Umsetzungsverantwortung übernommen. In Belgien nehmen die Regionalregierungen jeweils die Verantwortung für die EBN in Wallonien und Flandern wahr. 1.3 Analyse Aus der Erhebung zur Existenz einer EBN lässt sich feststellen, dass es in Europa einen deutlichen Modernisierungstrend in Richtung EBN gibt, da ca. zwei Drittel der Länder über eine EBN verfügen oder deren Einführung hinreichend konkret auf der Reformagenda steht. Auffällig ist, dass Staaten wie Estland oder Österreich, die nach einschlägigen Studien (z.B. Capgemini 2009; UN-DESA 2008) gut im E-Government aufgestellt sind, weder über eine EBN verfügen noch deren Einführung geplant haben. 5 Damit haben sich die Staaten stark 5 Eine weitergehende Detailanalyse für den Zusammenhang zwischen E-Government- und EBN-Entwicklung ist – nach der Erhebung der Umsetzungsstände in den jeweiligen Ländern – im Kapitel II.5 dargestellt. 19 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union auf den Internetzugang konzentriert. Dort wird vermutlich der telefonische Kanal als eher traditionell wahrgenommen. Anders verhält es sich mit Staaten wie Finnland, Portugal, Schweden oder Zypern, die ebenfalls als entwickelt im E-Government gelten: Diese Staaten sind dabei, sich auf den telefonischen Kanal zurückzubesinnen bzw. diesen parallel zum Internet auszubauen; hier liegen bereits konkrete Planungen vor. Weiterhin wird erkennbar, dass insbesondere die neuen EU-Mitgliedstaaten kaum EBNAktivitäten aufweisen. Von den osteuropäischen Staaten hat lediglich Slowenien eine EBN umgesetzt und einen weiteren Ausbau geplant. Konkrete Planungen liegen nach einer Selbsteinschätzung nur in Lettland und in der Slowakischen Republik vor. Damit gibt es ein deutliches Gefälle entlang der neuen EU-Mitgliedstaaten, was bis auf Estland auch mit deren generellen Entwicklungsstand im E-Government bzw. deren Verwaltungssystemen zu begründen ist. Hinsichtlich der Auslöser ähneln sich die meisten Staaten. Insbesondere gab es eine große Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit der Verwaltung, wie beispielsweise in Italien. Als Besonderheit bestand dort u.a. durch das Erdbeben in den Abruzzen im Jahr 2009 ein dringender (zusätzlicher) Handlungszwang, was die Akzeptanz der EBN wesentlich erhöhte. Darüber hinaus sind generelle Überlastungen der bisherigen Behördenrufnummern ein Auslöser, sodass sich auch die Zielsetzungen der Staaten ähneln. Nicht zuletzt ist anzumerken, dass es in den meisten EU-Mitgliedstaaten erst ab dem Jahr 2000 zum verstärkten Aufbau von EBN kam. Daher kann davon ausgegangen werden, dass in diesen Staaten die EBN explizit als Teil von E-Government gesehen wird. Der Vergleich verdeutlicht, dass in allen EU-Mitgliedstaaten mit EBN diese eine hohe Priorität hat, da sie fast ausschließlich in ministerieller Verantwortung bzw. in der Verantwortung des Regierungschef selbst liegt. In vielen Fällen wird ein ausschließlich zentralistischer Ansatz vermieden, insbesondere wenn die Call Center organisatorisch dezentral umgesetzt sind. 1.4 Bewertung Innovationspotenzial Bereits aus der Untersuchung zur Existenz einer EBN in den 27 EU-Mitgliedstaaten lassen sich erste Good-Practice-Aussagen ableiten: Es ist deutlich geworden, dass es in einigen Ländern wie Großbritannien oder Finnland spezielle thematische bzw. auf konkrete Zielgruppen (z.B. Arbeitgeber) orientierte Rufnummernangebote der öffentlichen Verwaltung gibt, wie Gesundheit oder Ordnung und Sicherheit, was grundsätzlich auch für Deutschland Innovationspotenzial bietet. Hinsichtlich der Zielsetzung besteht für Deutschland insofern Innovationspotenzial, als „D115“ stärker mit der Zielsetzung verbunden werden könnte, sich an spe20 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union zifischen Lebenslagen der älteren Bevölkerung bzw. der Bewohnerinnen und Bewohner des ländlichen Raums auszurichten. Dort sind allerdings die Umsetzungsanforderungen aufgrund der verteilten Verwaltungsstruktur ungleich größer als in städtischen Gebieten, was auch die dort bisher geringere Verbreitung erklärt. Auch dürfte im ländlichen Raum die Konkurrenz zu bestehenden Behördenrufnummern weit geringer sein als beispielsweise in einer kreisfreien Stadt, da Gemeinden und Kreise keine gemeinsame Behördenrufnummer betreiben. Europäisierungspotenzial Für eine europäische Zusammenarbeit sind grundsätzlich alle Länder geeignet, die eine EBN umgesetzt haben. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass Länder die ähnliche Zielsetzungen verfolgen, eher für eine Kooperation in Betracht kommen. Ähnliche Zielsetzungen erleichtern es, sich auf einen gemeinsamen harmonisierten Dienst von sozialem Wert (europäische „116“-Nummer) zu einigen. Unter diesem Gesichtspunkt sind Belgien (mit Flandern und Wallonien), Griechenland, Italien, Malta, die Niederlande mit beiden Lösungen, Spanien sowie Ungarn besonders geeignet. Der Zeitpunkt der Umsetzung spielt für die Europäisierung eine geringere Rolle, da es eher auf den aktuellen Umsetzungsstand ankommt, der nicht zwangsläufig mit der Umsetzungsdauer im Zusammenhang stehen muss. Nicht zuletzt kommen für die Europäisierung auch Länder in Frage, die noch keine EBN umgesetzt haben. Insbesondere wenn schon konkrete Planungen zum Aufbau einer EBN vorliegen, wie bspw. Finnland, Schweden oder Portugal. So ist beispielsweise in Schweden vorgesehen, von Anfang an eine „116 115“ als nationale EBN einzurichten, sodass dann ein einfaches Szenario der Europäisierung (nationale Freischaltung der Rufnummer) erfüllt ist. 2. Vertriebssicht 2.1 Anforderungen an den Vertrieb Der generelle Leitgedanke bei der Gestaltung eines Zugangskanals ist es, einen bürokratiearmen, barrierefreien sowie ggf. mehrsprachigen Kontakt zu ermöglichen, was auch für die EBN gilt. Jeder Bürger und jede Bürgerin, jede weitere Zielgruppe (z.B. Familie, Senioren etc.) findet entsprechend seinen bzw. ihren spezifischen Vorkenntnissen und Bedarfslagen einfach und unmittelbar Informationen zu Verwaltungsleistungen (Lenk 2004, S. 79). Inwieweit das gelingt, hängt von der Ausgestaltung der Angebotsbreite, der Angebotstiefe, der Erreichbarkeit, Zielgruppenorientierung und einer Multikanal-Strategie ab. 21 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Die Angebotsbreite stellt das Spektrum verschiedener Informationen und Leistungen dar, das über eine EBN zur Verfügung steht. Nur wenn ein Zugang zu möglichst vielen Leistungen besteht, kann von „One Stop Government“ gesprochen werden. Eine große Angebotsbreite kann in der Regel nur dann von einer Stelle aus bereitgehalten werden, wenn organisationsübergreifende Kooperation stattfindet. Damit liefert die Angebotsbreite erste Hinweise auf die Kooperationsbreite, d.h. ob mit vielen Stellen in einem Land kooperiert wird. Neben der Breite an Leistungen ist für die Bürgerorientierung relevant, welche Angebotstiefe über die Informationsabgabe hinaus möglich ist. Über eine EBN können auch Anträge gestellt oder aktuelle Bearbeitungsstände abgefragt werden. Überdies ist auch die Zustellung von Genehmigungen denkbar. Die Angebotstiefe liefert weitergehende Hinweise auf die Kooperationsintensität. Denn während die Informationsabgabe noch mit begrenzter Kooperationsintensität (z.B. durch Nutzung gemeinsamer Informationsbestände) sichergestellt werden kann, setzt eine hohe Angebotstiefe in der Regel weitergehende Kooperationsmechanismen mit den Fachbehörden voraus (vgl. hierzu Produktionssicht). Sollen bspw. fallbezogene Informationen an den Anrufer abgegeben werden, wäre u.U. ein zumindest lesender Zugriff der Call-Center-Mitarbeiter auf die Anwendungen der Fachbehörden notwendig. Nicht zuletzt ist für die Vertriebsgestaltung die Erreichbarkeit des Angebots relevant. Dazu zählen Aspekte wie Öffnungszeiten, Mehrsprachigkeit oder auch Barrierefreiheit, um die Erreichbarkeit für Menschen mit Behinderung zu verbessern. Schließlich kann sich das Angebot nicht nur allgemein an Bürgerinnen und Bürger richten, sondern es ist möglich, auf spezielle Zielgruppen orientierte Angebote zuzuschneiden, wie Alleinerziehende, Senioren etc. Der Gesamtnutzen einer EBN erschließt sich jedoch erst dann vollständig, wenn ein Mehrkanal-Ansatz vorliegt. Denn auf der „Vertriebsoberfläche“ der Verwaltung gibt es weitere Zugangsoptionen, die nicht isoliert voneinander agieren. Während z.B. über eine EBN Bürgerinnen und Bürger die zuständige Behörde erfragen können, kann über ein physisch erreichbares Bürgerbüro oder auf elektronischem Weg der Antrag gestellt werden. Bspw. kann eine Terminvereinbarung über die EBN erfolgen, Anträge können vom Webportal heruntergeladen und ausgefüllt per E-Mail an die Verwaltung zurückgeschickt werden. Wie die aufgezeigten Bereiche konkret bei der EBN zu gestalten sind, lässt sich anhand eines Vier-Phasen-Modells verdeutlichen, das ursprünglich für den elektronischen Handel entwickelt wurde (vgl. Gisler 1999, S. 28ff.; Lenk 2004, S. 76). Danach werden Bürger- 22 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Behörden-Interaktionen entlang eines Verwaltungsverfahrens in folgende Phasen eingeteilt (vgl. Darstellung 8): Nachfrager Vorbereitung Entgegennahme von Anträgen, ggf. Weiterleitung an zuständige Behörde Bearbeitung Bereitstellung von Informationen zum Bearbeitungsstand (fallbezogene Informationen) Nachbereitung proaktiv Authentifizierung erforderlich Vorbereitung Bereitstellung von Informationen (u.a. Zusendung von Informationen, SMS zur Erinnerung an Fristenablauf) Servicecenter Adressaten-Feedback zur Zufriedenheit mit Telefonservice einholen Darstellung 8: Phasen der Bürger-Behörden-Interaktion am Beispiel der EBN In der Vorbereitungsphase können Servicecenter Bürgerinnen und Bürger unterstützen, indem sie Informationen bereitstellen oder Broschüren bzw. Antragsformulare zusenden. Hierdurch kann der spätere physische Kontakt zwischen Verwaltung und Bürgerinnen und Bürgern verbessert werden. Denkbar ist auch eine proaktive Informationsbereitstellung, indem bspw. die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Servicecenters eine Bürgerin oder einen Bürger anrufen oder automatisiert SMS versenden, weil z.B. der Reisepass abläuft oder sonstige Fristen ablaufen. Ist eine entsprechende Authentifizierung gesichert, können über eine EBN in der folgenden Beantragungsphase auch Anträge entgegengenommen und ggf. zur Bearbeitung an die zuständige Stelle weitergeleitet werden, wenn das Servicecenter selbst nicht zuständig ist. In der Phase der Antragsbearbeitung lassen sich über eine EBN Informationen zum Bearbeitungsstand abfragen (Statusabfragen), sodass fallbezogene Informationen abzugeben sind. Das setzt im Regelfall eine Authentifizierung über das Telefon voraus. Schließlich ist auch die Nachbereitungsphase (Nachsorge) über eine EBN möglich, wenn bspw. ein Adressaten-Feedback seitens der Verwaltung eingeholt wird. Die Verwaltung erkundigt sich bspw., ob Bürger mit dem Verwaltungskontakt zufrieden waren. Diese Befragungsergebnisse sind für Verbesserungen der EBN zu nutzen. 23 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union 2.2 Empirische Befunde Angebotsbreite Untersucht wurde die Breite an Verwaltungsthemen, über die Auskünfte erteilt bzw. Leistungen erbracht werden. Typische Themen, zu denen Informationen und Leistungen erbracht werden, sind folgende: Bildung, Finanzen, Kultur und Sport, Renten- und Vorsorgeangelegenheiten, Umwelt, Arbeitnehmerangelegenheiten, Kfz- und Führerscheinwesen, Pass- und Meldewesen, Bildung, Verkehrswesen, Verbraucherschutz, Wahlen, Unternehmensangelegenheiten, Steuerangelegenheiten, Soziales, Justiz und Recht, Gesundheit (z.B. in Dänemark, Irland, Slowenien). In Darstellung 9 sind die Länder hinsichtlich der Angebotsbreite zusammengefasst. „Antwoord“ in den Niederlanden ist nicht mit aufgeführt, weil es dort den Kommunen freigestellt ist, welche Angebotsbreite sie anbieten. Stattdessen besteht bei „Antwoord“ die Anforderung, dass 80 Prozent der eingehenden Anfragen unmittelbar zu beantworten sind. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Angebotsbreite gering ist, weil „Antwoord“ nur kommunale Leistungen anbietet. Anzahl der Verwaltungsbereiche, zu denen Leistungen über die EBN erbracht werden Staaten Bis 17 Verwaltungsbereiche Belgien (Wallonien), Dänemark, europe direct 6 , Frankreich, Griechenland, Irland, ggf. Niederlande (Antwoord), Niederlande (Postbus 51), Slowenien, Ungarn Über 17 Verwaltungsbereiche (hoch) Belgien (Flandern), Deutschland, Italien, Malta, Spanien Darstellung 9: Staatenübersicht Angebotsbreite Deutschland gehört in Bezug auf die Angebotsbreite neben Italien, Malta und Spanien zu den Vorreitern, d.h. fast 20 Politikbereiche werden abgedeckt. Es folgen Irland und die Niederlande (Postbus 51) mit 17 Bereichen. Frankreich und Ungarn weisen mit zwölf bzw. zehn Themen nur eine geringe Themenbereite auf. Das verwundert insofern, als die angebotene Themenbreite i.d.R. ein erster Indikator für die Kooperation ist. Denn bei einem breiten Angebot sind die Zuständigkeitsgrenzen der eigenen Organisation zu überschreiten, was grundsätzlich eine Kooperation voraussetzt. Die Angebotsbreite lässt jedoch nicht zwangsläufig Rückschlüsse auf gute Kooperation zu. So können Call-Center-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ersten Auskunftsebene der EBN in Slowenien bspw. Auskunft zu Öffnungszeiten und Ansprechpartnern geben, nicht jedoch zu Verfahrensabläufen, erforderlichen Unterlagen oder gesetzlichen Grundlagen. In Flandern (Belgien) hingegen können Anruferinnen und Anrufer der EBN Auskünfte zu Leistungen aller Verwaltungsebenen (Bund, Regionen, 6 Einzelne Politikbereiche (z.B. Pass- und Meldewesen, Recht, Versicherungsleistungen) werden über „europe direct“ nicht angeboten, da die Regelungen bzw. Informationen zu länderspezifisch sind. 24 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Gemeinschaften und Kommunen) erfragen, ebenso wie in Deutschland bei D115. Das Besondere an der EBN in Flandern (Belgien) ist, dass über die EBN auch Anrufe für elf andere öffentliche Einrichtungen, z.B. für den staatlichen Gasversorger oder für die staatliche Pflegeversicherung, angenommen werden. Alle Staaten, die eine Einführung der EBN planen, beabsichtigen ebenfalls ein breites Angebotsspektrum bereitzustellen. Eine Auflistung der Länder mit den jeweils angebotenen bzw. geplanten Verwaltungsbereichen ist der Anlage 2.2 zu entnehmen. Angebotstiefe Bei der Mehrheit der untersuchten EU-Mitgliedstaaten (Dänemark, Deutschland, Frankreich, Irland, Malta, Niederlande (Postbus 51), Slowenien und Spanien) sowie bei „europe direct“ kann die Anruferin oder der Anrufer über die EBN nur Informationen erhalten (vgl. Darstellung 10). Es handelt sich vielfach um Orientierungsinformationen, die der Vorbereitung des Verwaltungskontaktes dienen. Zur Unterstützung in dieser Phase wird Anruferinnen und Anrufern der EBN in Wallonien (Belgien), Irland, bei den beiden Lösungen in den Niederlanden und in Ungarn Informationsmaterial zugeschickt. In Flandern, Italien, Irland und Ungarn können über die EBN Termine mit den zuständigen Fachbehörden vereinbart werden. Nur in wenigen Ländern reicht die Angebotstiefe über die Informationsabgabe in der Vorbereitungsphase hinaus. In Ungarn können Bürger ihre Anträge per E-Mail an die EBN senden, die dann von der ersten Auskunftsebene an die zuständigen Fachbehörden weitergeleitet werden. Damit erfüllt die ungarische EBN bereits Funktionen eines Service Contact Centers. Ein Sonderfall hinsichtlich der Angebotstiefe stellt Griechenland dar. Dort haben Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, über die EBN „1500“ verschiedene Formulare und Bescheinigungen zu fast allen nationalen und kommunalen Verfahren anzufordern bzw. zu beantragen, wie z.B. Auszüge aus Personenstandsregistern oder Dokumente zu Steuerangelegenheiten. Unterstützung für das Ausfüllen von (Online-) Formularen per Telefon bieten die CallCenter-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter der EBN in Belgien (beide Lösungen), Dänemark, Griechenland, Irland und Ungarn an. In Griechenland und in Italien erhalten Anruferinnen und Anrufer der EBN Informationen zum Bearbeitungsstand oder andere fallbezogene Informationen (Bearbeitungsphase); in Flandern (Belgien) und Malta erhalten Bürgerinnen und Bürger über die EBN Informationen zu personenbezogenen Daten. Angebote für die Phase der Nachsorge (after care) werden nur in Italien über „Linea Amica“ bereitgestellt, indem die Anruferinnen und Anrufer am Ende des Telefonats gebeten werden, auf der Website von „Linea Amica“ die Servicequalität zu beurteilen. Umfangreichere Evaluierungen zur Kundenzufriedenheit werden bei der EBN in Flandern und Wallonien (Belgi25 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union en), Frankreich, Dänemark, Irland und bei „Postbus 51“ in den Niederlanden durchgeführt. Für „D115“ wurden im Rahmen einer Allensbach-Studie Anruferinnen und Anrufer der EBN hinsichtlich ihrer Einschätzung zur Servicequalität befragt (vgl. Institut für Demoskopie Allensbach 2010). EU-Mitgliedstaaten, in denen die Einführung einer EBN geplant ist, beschränken sich überwiegend auf die Informationsabgabe in der Vorbereitungsphase. Eine Ausnahme bildet Portugal, wo bereits vorgesehen ist, über die EBN eine Antragstellung zu ermöglichen. Auch in Zypern ist perspektivisch geplant, dass Bürger über die EBN ein Gewerbe anmelden oder einen Antrag stellen können. Die folgende Darstellung fasst die Angebotstiefe derjenigen EU-Mitgliedstaaten, die bereits eine EBN eingeführt haben, zusammen: Phase des Verwaltungskontakts mit Angebotstiefe Staaten Vorbereitung Belgien (Flandern und Wallonien), Dänemark, Deutschland, europe direct, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Malta, Niederlande (Postbus 51), Slowenien, Spanien, Ungarn Beantragung Griechenland, Ungarn Bearbeitung Belgien (Flandern), Griechenland, Italien, Malta Nachbereitung Italien Darstellung 10: Länderübersicht hinsichtlich Angebotstiefe Es zeigt sich, dass von „Linea Amica“ in Italien bis auf die Beantragungsphase alle Phasen unterstützt werden. Dagegen beschränkt sich bspw. Frankreich auf die Informationsbereitstellung in der Vorbereitungsphase. In Ungarn ist dagegen auch eine Beantragung von Leistungen möglich. Eine hohe Angebotstiefe erfordert jedoch in der Regel eine Authentifizierung der Anruferin oder des Anrufers, insbesondere bei Antragstellung oder Abgabe personenbezogener Daten. Für die Änderung von personenbezogenen Daten, eine Antragstellung oder die Abfrage von fallbezogenen Informationen müssen sich Anruferinnen und Anrufer bei den EBN in Italien und Flandern (Belgien) sowie bei „Antwoord“ in den Niederlanden authentifizieren. Sie werden dabei nach bestimmten Attributen wie Geburtsdatum, Adresse oder Aktenzeichen gefragt. In Portugal ist geplant, dass sich Anruferinnen und Anrufer mit der Bürgerkarte „Cartão do Cidadão“ und „Einmal“-Passwörtern authentifizieren können, ähnlich in Spanien. Dort ist für das Jahr 2010 geplant, das Angebot des Telefonservices „060“ auf die Bearbeitung personenbezogener Anliegen auszuweiten. Für die Authentifizierung bei einem Anruf bei „060“ sollen die Bürgerinnen und Bürger zwei Nummern angeben – eine Referenznummer, die ihnen per Post zugeschickt wurde, und die Nummer des Personalausweises oder des Führerscheins. Bei „Antwoord“ ist es vorgesehen, die nationale digitale Identifikationsnummer 26 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union (DigiD) für die Authentifizierung einzusetzen. Anruferinnen und Anrufer bei der EBN in Flandern (Belgien) müssen, wenn sie z.B. Änderungen von personenbezogenen Daten vornehmen lassen wollen, Name und Adresse, z.T. auch die Personalausweisnummer oder das Aktenzeichen, angeben. In Griechenland müssen sich die Anruferinnen und Anrufer gegenwärtig am Telefon nicht authentifizieren, wenn sie einen Antrag stellen. Eine entsprechende Lösung ist jedoch geplant. Zielgruppen- und Lebenslagenorientierung Über die allgemeine Bürgerperspektive hinaus werden nur in wenigen EU-Mitgliedstaaten spezielle Zielgruppen oder Lebenslagen angesprochen. Diesbezügliche Hinweise gab es in Irland, wo explizit der eingerichtete Telefonkanal von Senioren und Menschen mit Behinderungen genutzt werden soll. Außerdem orientiert sich das Leistungsangebot in Irland an bestimmten Themen/Lebenslagen wie z.B. Geburt, Bildung, Arbeit/Beschäftigung, Wohnen, Auswanderung und Tod/Trauer. In Slowenien und Griechenland wurde die EBN aufgebaut, um insbesondere Senioren und sozial benachteiligte Gruppen sowie Kinder und Jugendliche und Unternehmer zu erreichen. Der Telefonservice in Griechenland ist darüber hinaus auf die Lebenslagen Kauf eines Hauses, Gründung eines Unternehmens, Geburt, Versicherung, Wehrdienst und Studieren ausgerichtet. Das thematische Angebot von „D115“ ist gegenwärtig nicht auf bestimmte Zielgruppen oder Lebenslagen ausgerichtet, sondern auf generelle Bürgeranliegen. In einigen EU-Mitgliedstaaten mit EBN wurden zusätzlich Rufnummern geschaffen, die sich an spezielle Zielgruppen richten: In Frankreich wurde Ende März 2010 die landesweite Rufnummer „39 95“ eingeführt, die sich ausschließlich an Unternehmer/Arbeitgeber richtet. Über diese Rufnummer erhalten Anrufer Informationen zu Einstellungs- und Beschäftigungsbedingungen und können mit einem Anruf ihre Jobangebote auf die Website www.pole-emploi.fr stellen lassen. Diese Leistungen werden über die „39 39“ nicht angeboten und sollen auch nicht integriert werden. Zusätzlich zur EBN „189“ wurde in Ungarn zum April 2010 die Rufnummer „185“ eingeführt, über die Arbeitgeber Zeitarbeitskräfte anmelden können. Eine Integration in die bereits bestehende Rufnummer „189“ ist nicht geplant. Erreichbarkeit der EBN In den meisten Staaten wurde mit der Einführung der EBN auch die zeitliche Erreichbarkeit des telefonischen Angebots gegenüber den Öffnungszeiten für den physischen Zugang ausgeweitet. Die zeitliche Erreichbarkeit im EU-Vergleich lässt sich in drei Gruppen wie folgt zusammenfassen (vgl. Darstellung 11): 27 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Zu den gängigen Öffnungszeiten der Verwaltung (meistens zwischen 09:00 und 18:00 Uhr) sind die EBN in Belgien (Wallonien), Dänemark, Deutschland, Italien, Malta sowie den Niederlanden (Antwoord) erreichbar. Erweiterte Servicezeiten mit einer verlängerten Erreichbarkeit an Wochentagen sowie mit Öffnungszeiten an Samstagen und/oder Sonntagen/Feiertagen gibt es in Belgien (Flandern) Frankreich, Irland, den Niederlanden (Postbus 51), Slowenien und Spanien. Eine „Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit“ der EBN von Montag bis Sonntag ist in Ungarn und in Griechenland gewährleistet. Darüber hinaus haben in mehreren Staaten (z.B. Italien und Frankreich) Anruferinnen und Anrufer die Möglichkeit, außerhalb der regulären Servicezeiten eine Nachricht auf einem Anrufbeantworter zu hinterlassen oder sie werden von einer Bandansage über die Servicezeiten informiert. In fast allen Staaten sowie bei „europe direct“ werden Anrufer von den CallCenter-Mitarbeitern zurückgerufen, wenn das Anliegen im Erstkontakt nicht abschließend am Telefon geklärt werden konnte. Kernzeiten der Verwaltung Staat Flandern Wallonien Dänemark Deutschland europe direct X X Mo-Fr 08:00-18:00 Uhr X samstags (08:30-18:30 Uhr), Feiertage (08:30-20:30 Uhr) Frankreich Griechenland Irland Italien Malta Postbus 51 NL Antwoord (geplant) Slowenien X 09:00-21:00 Uhr X X 08:00-20:00 Uhr X 08:00-20:00 Uhr 09:00-21:00 Uhr, samstags (09:00-14:00 Uhr) Ungarn Portugal Slowenien (neu) Zypern 24hErreichbarkeit 09:00-19:00 Uhr B Spanien Erweiterte Servicezeiten X 08:30-19:30 Uhr (auch an Feiertagen), samstags (09:30-15:00) an allen Wochentagen von 08:0020:00 Uhr 08:00-22:00 Uhr (über Samstag/Sonntag wird noch entschieden) Darstellung 11: Übersicht über die Erreichbarkeit der EBN 7 7 In den nachfolgenden Tabellen werden z.T. auch die Informationen zu den geplanten EBN in Finnland, Portugal, der neuen Rufnummer in Slowenien sowie in Zypern angeführt. 28 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Der Ländervergleich zeigt, dass bei „D115“die zeitliche Erreichbarkeit der EBN mit am geringsten ist. Besonders umfangreiche Servicezeiten für die EBN gibt es in Frankreich, Irland und Spanien; die EBN in Ungarn besticht durch einen Rund-um-die-Uhr-Service. Für die geplanten EBN in Portugal und Zypern sowie die neue EBN in Slowenien sind von Anfang an erweiterte Servicezeiten vorgesehen. Sprachliche Erreichbarkeit Nur in den jeweiligen Landessprachen liegen die Angebote in Frankreich, Malta, Portugal, Slowenien und Spanien vor, während in Belgien, Dänemark, Irland, den Niederlanden (beide Lösungen) und Slowenien über die Landessprache hinaus der EBN-Service auch in Fremdsprachen angeboten wird, vorwiegend in Englisch. Ungarn und Griechenland weisen das größte Spektrum an Sprachen in ihrem Service auf: in Ungarn werden die Dienste auf Englisch, Französisch und Deutsch angeboten. In Griechenland liegt das Angebot auf Albanisch, Arabisch, Bulgarisch, Englisch, Französisch und Russisch vor. In Italien werden Informationen auch in französischer und englischer Sprache, bei „europe direct“ in allen offiziellen EUSprachen angeboten. Für die EBN in Zypern sollen die Services zunächst nur auf Griechisch und Englisch angeboten werden, je nach Bedarf sollen weitere Sprachen hinzugenommen werden. Die folgende Darstellung 12 fast die jeweils verfügbaren Sprachen zusammen: Sprachangebot Staaten Nur Landessprache(n) Frankreich, Deutschland (lt. Feinkonzept, variiert aber zwischen den Call Centern im D115-Verbund), Malta, Portugal und Spanien Neben Landessprache Englisch als Fremdsprache Belgien (Flandern), Dänemark, Griechenland, Niederlande (beide Lösungen), Irland, Italien (geplant), Slowenien, Ungarn europe direct Andere bzw. weitere Fremdsprachen (neben Englisch) Belgien (Flandern; Französisch), Belgien (Wallonien; nur Deutsch) Dänemark (Deutsch), Griechenland (Albanisch, Arabisch, Bulgarisch, Französisch und Russisch), Italien (Französisch und Arabisch geplant), Ungarn (Französisch und Deutsch) europe direct (alle offiziellen EU-Sprachen) Darstellung 12: Sprachangebote der EBN Es zeigt sich, dass Englisch am weitesten verbreitet ist. Gegenwärtig sind die Angebote der EBN in Belgien (Flandern), Dänemark, Griechenland, Niederlande (beide Lösungen), Italien, Slowenien und Ungarn außer in Englisch auch in weiteren Sprachen verfügbar bzw. geplant. Dieses breite Spektrum an Informationen in den jeweiligen Sprachen plant Italien speziell für 29 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Migranten. Bzgl. des Fremdsprachenangebots bei „D115“ gibt es die Option, dass kommunale Servicecenter selbst weitere Sprachen anbieten, was teilweise schon erfolgt. Eine zentrale Lösung zum Beispiel durch die Zuschaltung eines Übersetzers in der gewünschten Sprache wird bei „D115“ derzeit nicht verfolgt. Multikanal-Ansatz Der Staatenvergleich zeigt, dass außer in Deutschland und Italien in allen Staaten der telefonische Zugangskanal in unterschiedlicher Weise mit anderen Zugangskanälen abgestimmt ist. Insbesondere wird die EBN mindestens durch einen Webzugang ergänzt. Deutschland ist das einzige der untersuchten Staaten, in dem die EBN nicht durch ein Webportal auf nationaler Ebene ergänzt wird, was sich mit der Organisationshoheit der jeweiligen Ebenen in Deutschland erklären lässt. Alle Staaten, bis auf Malta und Italien, hatten zuerst ein Webportal mit entsprechenden Informationen aufgebaut, das später um die EBN ergänzt wurde. Eine Besonderheit gibt es in Malta: Dort wurde das Call-Center-Personal dafür qualifiziert, die Inhalte der Datenbank, die sie bei der Beantwortung der Anfragen verwenden, als Elemente für die Website der Regierung Maltas aufzubereiten und in das Webangebot einzupflegen. In Italien wurden EBN und Webportal parallel aufgebaut; daher entspricht Italiens Angebot am ehesten einem Mehrkanal-Angebot. In Belgien (Flandern und Wallonien), Irland und Spanien gibt es parallel zur EBN Bürgerbüros als physische Kontaktstellen, die eng an die EBN gekoppelt sind. Kommunale Bürgerbüros gibt es zwar auch in Deutschland, deren Leistungsangebot ist jedoch in den meisten Fällen unabhängig von dem Angebot der EBN. Einen besonderen Service gibt es in Belgien mit Flandern: Bürger erhalten dort über Teletext und über digitales Fernsehen (Teletekst en interactieve tv [IDTV]) Informationen zu Verwaltungsleistungen. In Belgien (Wallonien) wird ein so genanntes „Mobilinfo“ (vgl. Darstellung 13) eingesetzt, das wie ein Informationszentrum ausgestattet ist und in kleinere Städte fährt, um auch dort Informationsmaterial zur Verfügung zu stellen. In Irland können Bürger den Citizens Information Phone Service (CIPS) auch per SMS, Live Text, SMS oder Videotelefonie kontaktieren, auch ein Gebärdensprachservice wird angeboten. Neben dem CIPS können das Webportal www.citizensinformation.ie und physische Bürgerbüros genutzt werden, um Informationen zu öffentlichen Leistungen einzuholen. In Belgien (Wallonien) wird ein „Mobilinfo“ eingesetzt, um Bürger v.a. zu Verwaltungsleistungen der regionalen Ebene zu informieren. Es sind täglich insgesamt drei Kleinbusse unterwegs, die in kleine Städte und Gemeinden fahren. Dort halten sie auf Märkten oder Dorfplätzen, sind aber auch auf regionalen Veranstaltungen (z.B. Jahrmärkten) präsent. Uhrzeiten 30 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union und Haltepunkte können unter einer gebührenfreien Rufnummer erfragt werden, die aber nicht die EBN ist. Darstellung 13: Beispiele für Multikanal-Ansätze als Zugang zu öffentlichen Leistungen Unabhängig von der Kopplung mit physischen Zugangsstellen zeigt sich, dass die EBN in den untersuchten Ländern über einen reinen telefonischen Dienst vielfach hinausgehen, sodass sie sich bereits in Richtung umfassendes Servicecenter entwickeln. Über den Telefonkanal hinaus werden Brief, E-Mail, SMS oder Chat als Kontaktmöglichkeiten angeboten. Welche Zugangs- und Kommunikationswege in welchem Land mit dem EBN-Angebot verfügbar sind, ist in Darstellung 14 im Überblick dargestellt. Zugangskanäle zu Leistungen der öffentlichen Verwaltung Service Center Staat B Flandern Portal Physischer Kontakt X X X X X X Brief Chat E-Mail X X Wallonien Dänemark X Deutschland X X X Griechenland X Frankreich X X X Italien Malta NL X X X europe direct Irland SMS X X X X X X X X X X X X X X X Postbus 51 X X X Antwoord (geplant) X X Slowenien X Finnland X X X Zypern X X X X X X X X X X X X (Ausbaustufe) X X Portugal Slowenien (neu) X X Spanien Ungarn X X X X (Ausbaustufe) X Darstellung 14: Überblick über verfügbare Zugangskanäle 31 X IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Insbesondere SMS und Chat können Bürgerinnen und Bürger bei den Servicecentern in Belgien (Flandern), Dänemark, Griechenland, Irland und Ungarn nutzen. In den Interviews hat sich gezeigt, dass diese Zugangsvarianten angeboten werden, um speziell jüngere Bevölkerungsgruppen oder Menschen mit Behinderung (z.B. Gehörlose) zu erreichen. Für Gehörlose und Hörgeschädigte wird in Belgien (Flandern) der so genannte Chat „Teletolk“ angeboten. Über „Teletolk“ können diese Bürger mit anderen kommunizieren, Fragen zu öffentlichen Verwaltungsleistungen stellen oder auch Termine mit einem Arzt vereinbaren. Seit 2010 ist auch in Deutschland der Zugang für Gehörlose über Videotelefonie möglich. Der Nutzer benötigt dazu lediglich einen internetfähigen Computer oder ein Video-Telefon sowie einen so genannten SIP-Videoclient (Session Initiation Protocol), der kostenlos im Internet heruntergeladen werden kann. Über die SIP-Adresse „[email protected]“ erfolgt dann der Zugang. Der Ländervergleich macht deutlich, dass Deutschland das einzige Land ist, das neben dem Servicecenter kein Webportal als Zugangskanal anbietet. Das lässt sich mit der föderalen Arbeitsteilung erklären: Die meisten Kommunen im D115-Verbund haben für sich mehr oder weniger einen Multikanal-Ansatz realisiert, d.h. neben der EBN können Bürgerinnen und Bürger zwar kommunale Webportale oder physische Bürgerbüros für Verwaltungskontakte nutzen, die Kanäle sind jedoch bisher kaum im Sinne eines Multikanal-Managements aufeinander abgestimmt oder verfügen über einen gegenseitigen Informationszugriff. Einige der Call Center im D115-Verbund in Deutschland bieten neben dem Telefonkanal noch Zugang über Fax oder E-Mail an; SMS- und Chat-Zugang sind vereinzelt geplant. 2.3 Analyse Aus Vertriebssicht konnten die Länder in drei Gruppen aufgeteilt werden: Weit entwickelt sind Belgien (Flandern), Griechenland, die Niederlande (mit dem Antwoord-System) und Ungarn. (Gruppe 1) Eine mittlere Gruppe bilden Irland, Italien, Malta, Slowenien und Spanien. Diese Staaten sind v.a. weit entwickelt hinsichtlich des Multikanal-Ansatzes, der zeitlichen Erreichbarkeit und/oder des Fremdsprachenangebots. (Gruppe 2) Die übrigen Länder mit den jeweiligen EBN Belgien (Wallonien), Dänemark, Deutschland, „europe direct“, Frankreich und die Niederlande mit „Postbus 51“ sind insgesamt gesehen nicht so fortgeschritten und daher der Gruppe 3 zuzuordnen. Länder der Gruppe 3 bieten aber dennoch eine ausreichende Vertriebsgestaltung, wenngleich Deutschland insbesondere durch die Angebotsbreite besticht, was bereits auf gute Kooperations- bzw. Produktionsstrukturen schließen lässt. 32 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union In der nachfolgenden Darstellung 15 ist die Beurteilung der Vertriebssicht zusammengefasst: Flandern B Angebotsbreite Angebotstiefe Erweiterte zeitliche Erreichbarkeit X X X Wallonien Dänemark Deutschland Mehrsprachigk eit des Angebots Multikanal X X 5 1 X X 2 3 X X 2 3 X* 2 3 X 2 3 X 2 3 X Europe direct X Frankreich X Griechenland X Irland Gesamt Erreichbarkeit Gruppe Vertriebssicht X X X 4 1 X X X 3 2 Italien X X X 3 2 Malta X X X 3 2 X X 2 3 X X X 4 1 X X X 3 2 X 3 2 4 1 NL Postbus 51 Antwoord X Slowenien Spanien Ungarn X X X X X X Darstellung 15: Überblick über Umsetzungsstand aus Vertriebssicht 8 * Das wird in Deutschland dezentral unterschiedlich gehandhabt. Es gibt vereinzelt Servicecenter, die per eMail oder SMS erreichbar sind bzw. diese an Bürgerinnen und Bürger versenden. Weitere Analysemöglichkeiten ergeben sich, wenn Angebotsbreite und Angebotstiefe zusammen betrachtet werden. Das einzige Land, das eine hohe Angebotsbreite und Angebotstiefe gleichermaßen erreicht hat, ist Italien. Das heißt, eine hohe Angebotsbreite muss nicht zwangsläufig mit einer hohen Angebotstiefe erkauft werden. Danach kommt Griechenland, das jedoch nicht die hohe Angebotstiefe wie Italien aufweisen kann. 8 Die Bereiche in, in denen die EBN der Länder Stärken ausweisen, wurden addiert. Die jeweiligen Summen bildeten die Grundlage für die Gruppierung der Länder. Dieser Hinweis gilt auch für die nachfolgenden Tabellen. 33 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Darstellung 16: Zusammenhang von Angebotsbreite und Angebotstiefe Die vertiefende Analyse von Angebotsbreite und Angebotstiefe ist auch deshalb relevant, weil sie erste Hinweise über die Kooperation liefert, die Gegenstand von Kapitel II.3 ist. Aufgrund der großen Angebotsbreite in Deutschland kann auf einen hohen Grad an Kooperationsbreite geschlossen werden, die in Deutschland trotz Föderalismus zumindest bei „D115“ besser als beispielsweise in den zentralisierten Strukturen Frankreichs zu funktionieren scheint. Die Kooperationsintensität dürfte aufgrund der hohen Angebotstiefe besonders in Griechenland hoch sein. „Antwoord“ in den Niederlanden ist nicht mit aufgeführt, weil es dort den Kommunen freigestellt ist, welche Angebotsbreite sie anbieten. 2.4 Bewertung Innovationspotenzial Im Vergleich der EU-Mitgliedstaaten fällt Deutschland insbesondere durch die große thematische Breite an Informationen auf, die für andere EU-Mitgliedstaaten relevant sind. Aus dem Vergleich wird jedoch auch Innovationspotenzial für Deutschland ersichtlich. Aus Vertriebssicht bieten folgende Themen und Länder für Deutschland Innovationspotenzial: Erreichbarkeit – Anrufer können bei der EBN auch außerhalb der Verwaltungskernzeiten anrufen. Besonders weit fortgeschritten und bürgerfreundlich sind hier Ungarn, Spanien, 34 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Griechenland und Frankreich. Innovationspotenzial für Deutschland bieten die erweiterten Servicezeiten, weil durch eine Erweiterung der Erreichbarkeit der EBN „115“ in Deutschland die Akzeptanz zunehmen kann, insbesondere dann, wenn über die üblichen kommunalen Servicezeiten hinausgegangen wird. Angebotstiefe – Über die EBN können Anrufer in einigen Ländern (z.B. Belgien, Griechenland, Italien) Auskünfte zu personenbezogenen Daten oder zu laufenden Verwaltungsverfahren erhalten oder Verwaltungsprozesse anstoßen. Dadurch ist es möglich, mehr Bürger-Behörden-Interaktion telefonisch abzuwickeln. Innovationspotenzial liefert die von Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern durchgeführte Remote- Unterstützung in Belgien, die Zusendung von Informationsmaterial und Antragsformularen oder die Terminvereinbarung für Fachbehörden. In Deutschland erscheint eine Antragstellung über die EBN möglich, wenn sich der neue Personalausweis (nPA) durchsetzt. Insbesondere bietet Italien im Hinblick auf die Angebotstiefe Innovationspotenzial, da hier bis auf die Beantragungsphase alle Phasen abgedeckt sind und das bei großer Angebotsbreite. Bzgl. der Beantragung bieten Ungarn und Griechenland Innovationspotenzial. Multikanal-Ansatz – In den meisten Ländern ist der Telefonkanal Teil einer Multi-KanalStrategie und wird mindestens durch ein Webportal ergänzt. Häufig greifen Webportal und Call-Center-Mitarbeiter der EBN auf dieselben Wissensbestände zu. Weit entwickelt in dieser Hinsicht sind Belgien (Flandern, Wallonien) und Irland. Insgesamt zeigt sich aus dem europäischen Vergleich, dass in Deutschland Potenzial für einen Ausbau der „D115“ in Richtung eines Multikanal-Ansatzes und Service Contact Centern besteht. Europäisierungspotenzial Aus Vertriebssicht sind für die Europäisierung insbesondere die Angebotsbreite, die Erreichbarkeit sowie Öffnungszeiten von Bedeutung, da sie wesentlich das Maß an einheitlichem bzw. homogenisiertem Service mitbestimmen: Hinsichtlich der Angebotsbreite gibt es zwar Unterschiede bei den EU-Mitgliedstaaten, diese sind jedoch nicht so hoch, als ein Land aus Gründen mangelnder Angebotsbreite nicht eingebunden werden könnte. Einzige Ausnahme bilden Belgien und Niederlande, weil dort EBN unter jeweils zwei Rufnummern regional mit Flandern und Wallonien sowie vertikal mit „Postbus 51“ und „Antwoord“ gegliedert vorliegen. Die Etablierung einer „116 115“ erfordert zuerst eine Zusammenarbeit innerhalb eines Landes, weil sonst kein national einheitlicher Zugang zu den Angeboten besteht. 35 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Weiterhin sind für eine Europäische Behördenrufnummer „116“ (116 115) die Servicezeiten relevant, damit alle Länder ihre EBN zu bestimmten Kernzeiten bereithalten. Alle Länder mit EBN bieten ihren Service von 09:00 und 18:00 Uhr an, sodass auch eine gewisse Mindeststandardisierung bei der zeitlichen Erreichbarkeit des Angebots möglich ist. Insbesondere lässt sich dann ein europäischer Dienst etablieren, wenn dieser in einer gemeinsamen Sprache angeboten wird. Englisch ist das am häufigsten vorkommende Sprachangebot, so dass diese Länder vorrangig für eine Europäisierung in Betracht kommen. In englischer Sprache wird das Angebot gegenwärtig neben „europe direct“ in sieben Ländern angeboten Belgien (Flandern), Dänemark, Griechenland, Niederlande (beide Lösungen), Irland, Italien, Slowenien und Ungarn. Hinzu kommen Deutschland, wo das Sprachangebot teilweise in Englisch vorliegt, und Italien, wo ein englisches Service-Angebot geplant ist. 3. Produktionssicht 3.1 Anforderungen aus Produktionssicht Um eine entsprechende Angebotsbreite und -tiefe bereitzustellen, sind diverse Voraussetzungen an die Leistungserstellung geknüpft. Kritische Kernelemente für eine funktionsfähige Leistungserstellung sind: Informationsmanagement, Informationstechnik sowie Kooperationsformen. Informationsmanagement Kernstück eines jeden Servicecenters bildet eine – möglichst zwischen verschiedenen Servicecentern und Behörden – standardisierte Informationsbasis. Andernfalls ist eine Informationsabgabe für die verschiedenen Leistungen aus einer Hand nicht möglich. Erforderlich sind mindestens standardisierte Leistungsbeschreibungen, was im D115-Projekt durch einen Leistungskatalog geschaffen wurde (Bundesministerium des Innern 2008, S. 68). Zu den einzelnen Leistungen sind die sachlichen Merkmale zu erfassen, wie z.B. der Name der Leistung, die Leistungsbeschreibung, die Bearbeitungszeiten, die Zuständigkeiten etc. Hierdurch ist gesichert, dass alle Servicecenter die Informationen in der notwendigen Breite und Tiefe bereitstellen können. Diese Beschreibungen sollten möglichst eine einheitliche Struktur aufweisen, was die Arbeit der Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter erleichtert und wiederum eine Mindestqualität bei den Antworten sicherstellt. 36 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Kooperation Die Funktionsweise eines Call Centers bzw. eines Servicecenters lässt sich nur dann in seiner Gänze erschließen, wenn dieses in einem Leistungsverbund, bestehend aus verschiedenen Auskunftsebenen, betrachtet wird. Dabei sind die Begriffe erste, zweite und dritte Auskunftsebene Bezeichnungen für die am Auskunftsprozess beteiligten Stellen. Ihre Anwendung bezieht sich auf den Anrufverlauf und verweist auf eine zunehmende Spezialisierung der Auskunft gebenden Stelle. Eingehende Anrufe werden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der ersten Auskunftsebene angenommen und so weit wie möglich abschließend beantwortet. Kann das Anliegen, z.B. aufgrund seiner Spezifik, nicht beantwortet werden, erfolgt eine Weiterleitung des Anrufs an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der zweiten Auskunftsebene, die über eine weitergehende fachliche Spezialisierung verfügen. Erste und zweite Auskunftsebene können von einem Front Office oder von verschiedenen Behörden bzw. Organisationseinheiten ausgeführt werden. Die Weiterleitung an die dritte Auskunftsebene erfolgt über die zweite Auskunftsebene insbesondere bei fallbezogenen oder sehr spezifischen Fragen, die ggf. nur von der zuständigen Fachbehörde (Back Office) beantwortet werden können. Für die reibungslose Zusammenarbeit zwischen den jeweiligen Auskunftsebenen und Organisationen sind hohe Anforderungen zu erfüllen: Insbesondere sind Informationsbestände und möglichst auch die Arbeitsschritte (Geschäftsprozesse) zu standardisieren und ggf. zu modularisieren, um Informationsbestände gemeinsam nutzen zu können (Shared Service). Insbesondere sind bei der Zusammenarbeit die in einem Land existierenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu befolgen. Gehen die Bürgeranliegen über die Zuständigkeit der ersten Auskunftsebene hinaus, gibt es folgende grundlegende Formen der Zusammenarbeit: Der/Die Call-Center-Beschäftigte kann das Anliegen selbst klären, da er/sie Zugriffsrechte (Leserechte, ggf. begrenzte Schreibrechte) auf die IT-Anwendungen des Back Offices bzw. des anderen Front Offices hat. Es erfolgt eine elektronische Weiterleitung der Anfrage mittels eines so genannten elektronischen „Tickets“, bei dem in standardisierter Form das Anliegen erhoben und anschließend als E-Mail versendet wird. Der/Die Front-Office-Mitarbeiter/-in ruft seiner/ihrerseits die zuständige Fachverwaltung zur Klärung des ihr/ihm von der Anruferin oder dem Anrufer vorgetragenen Anliegens an. 37 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union In der Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten liegt organisatorisch der neuralgische Punkt für das Funktionieren der EBN, da sonst eine Leistungserbringung aus einer Hand nicht möglich ist. Besondere Vorteile ergeben sich, wenn die EBN für spezielle Situationen, insbesondere in Krisensituationen, genutzt wird. Die Vorteile des Telefonkanals in solchen Situationen sind u.a. Schnelligkeit, Zugänglichkeit, leichte Bedienbarkeit und niedrige Infrastruktur- und Hardwareanforderungen im Vergleich zu anderen Kommunikationsformen. Anrufer können nicht nur Informationen über bevorstehende oder eingetretene Katastrophen erhalten, sondern auch Angaben zu Versorgungs- und Unterstützungsmöglichkeiten. Dazu gehört auch die Kopplung zwischen der EBN und weiteren spezialisierten Rufnummern, wie die Weiterleitung eines Anrufers zum Katastrophenschutz oder die Nutzung von deren Informationssystemen. Informationstechnik Ein Call Center ist nur dann funktions- und kooperationsfähig, wenn eine ganze Reihe von zum Teil spezifischen IT-Anwendungen zum Einsatz kommt. Eingehende Anrufe werden über eine Telefonanlage verteilt, die über ACD (Automated Call Distribution)- und CTI (Computer Telephony Integration)-Funktionalitäten verfügt. Diese Systeme verteilen die Anrufe auf die nächste freie Call-Center-Mitarbeiterin bzw. den -Mitarbeiter und integrieren das Telefon mit dem IT-System zur Bearbeitung der Anliegen. Zur Auskunftserteilung und Bearbeitung kommen Wissensmanagement- und elektronische Vorgangsbearbeitungssysteme zum Einsatz. Spezielle Reportingsysteme unterstützen die Auswertung eingehender Anrufe und dienen dem Qualitätsmanagement (siehe Kap. II.4.1). Customer-Relationship-ManagementSysteme unterstützen die Auswertung eingehender Anrufe und einen Multikanal-Ansatz. Insbesondere lassen sich alle bisherigen Interaktionen eines Bürgers und einer Bürgerin mit der Verwaltung dokumentieren, egal welcher Zugangskanal gewählt wurde. Dabei sind jedoch Regelungen zu beachten, was die Art und Dauer der Speicherung von Anrufen betrifft, was sich nach dem jeweiligen nationalen Recht richtet. Nicht zuletzt benötigt die Call-CenterMitarbeiterin bzw. der -Mitarbeiter u.U. Zugriff auf die Fachverfahren der beteiligten Fachbehörden, z.B. um Bearbeitungsstände mitzuteilen. Bei Service Contact Centern kommen weitere Funktionen hinzu, wie Chat oder SMS. Die technische Ausstattung unterscheidet sich zwischen den unterschiedlichen Auskunftsebenen. In der Regel haben die erste und zweite Auskunftsebene Zugriff auf alle Anwendungen im Call Center, jedoch nicht auf die Verfahren der Fachverwaltungen, die die dritte Auskunftsebene bilden. Umgekehrt haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der dritten Auskunftsebene in der Regel keinen Zugriff auf die Anwendungen im Call Center. Die folgende 38 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Darstellung 17 fasst die technischen Komponenten der IT-Anwendungen für den Betrieb eines Call bzw. Servicecenters zusammen. Darstellung 17: Technische Komponenten für den Betrieb eines Call Centers 3.2 Empirische Befunde Informationsmanagement In Frankreich, Italien und bei „Postbus 51“ in den Niederlanden werden für das Webportal und die EBN gleiche Informationsbestände und Wissenssysteme genutzt und zentral gepflegt. Durch die Analyse der Zugriffszahlen auf das Webportal können die Themen identifiziert werden, die besonders häufig aufgerufen wurden. Diese werden dann auch als relevant für die EBN eingestuft. Aktuelle Themen und Inhalte (z.B. Schweinegrippe, Aschewolke) werden zentral eingepflegt, sodass die Call-Center-Agenten auskunftsfähig sind; Aktualisierungen müssen somit nur einmal vorgenommen werden. Bei „39 39“ in Frankreich werden die Inhalte der Wissensdatenbank für die EBN und das Portal von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Informationsmanagements der DILA 9 , dem Betreiber der Rufnummer, gepflegt. Kern des Systems bei „Postbus 51“ ist eine Datenbank mit häufig gestellten Fragen, die auf der Website von „Postbus 51“ frei geschaltet ist. Jedoch gibt es keine festgelegten Standards für den Inhalt oder die Struktur der Einträge. Die CallCenter-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter der zweiten Auskunftsebene werden zusätzlich 9 La Direction de l’information légale et administrative (Direktion für Gesetz- und Verwaltungsinformationen). 39 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union durch eine Suchmaschine unterstützt, die das Angebot der Behörden durchsucht. Bei „Linea Amica“ (Italien) werden die Informationen für das Wissensmanagement-System, das sowohl für die Bearbeitung der Anfragen über das Telefon wie über das Portal von „Linea Amica“ eingesetzt wird, von den beteiligten Behörden zugeliefert. Die Informationsaufbereitung erfolgt bisher nicht in standardisierter Form. Auch in Spanien werden bei der „060“ die CallCenter-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter durch ein internes Wissensmanagement-System unterstützt, dessen Inhalt gleichfalls über die Website www.060.es bereitgestellt wird. Die Inhalte der Wissensdatenbank erstellt das Unternehmen, das im Auftrag der DGIAE 10 die erste Auskunftsebene betreibt. Die DGIAE liefert keine Inhalte zu und kontrolliert diese auch nicht. Bei „Antwoord“ in den Niederlanden nutzen die Kommunen jeweils eigene Wissens- bzw. Informationsbestände. Bei der Bearbeitung der Anfragen greifen die Call-Center- Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter von „Antwoord“ auch auf eine Datenbank häufig gestellter Fragen zu. Diese wird jedoch von den jeweils zuständigen Behörden auch auf nationaler und regionaler Ebene sowie von „Postbus 51“ gemeinsam gepflegt. Das Antwoord-Konzept selbst enthält dazu keine Vorgaben. Ein etwas anderer Ansatz im Wissensmanagement als in den genannten Staaten wird bei „D115“ verfolgt. Zentrales Element im D115-Verbund bildet ein Wissens- und Informationsmanagement-System, in dem entsprechende Verfahrensbeschreibungen zu den angebotenen Informationen/Leistungen zunächst dezentral vorliegen. Kommunen müssen mindestens Informationen über ihre am häufigsten nachgefragten Leistungen (so genannte TOP100) einstellen. Landes- und Bundesbehörden stellen die für die erste und zweite Auskunftsebene notwendigen Informationen zur Verfügung. Die bereitgestellten Leistungsberichte werden mindestens einmal täglich in eine zentrale Datenbank indiziert. Die im D115-Wissenspool bereitgestellten Informationen sind in standardisierter Form im XML-Format zu beschreiben. Die Standardisierung betrifft Format und Inhalt, für die es entsprechende Vorgaben gibt. Im zentralen Wissenspool sind die gesamten Verzeichnisse mit entsprechender Suchlogik abgelegt, sodass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Servicecenter über das World Wide Web Zugriff haben. Damit beruht das Wissensmanagement auf zentralen und dezentralen Elementen. Da alle verbundenen Servicecenter ihre Informationen den anderen Mitgliedern zur Verfügung stellen, können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jedes teilnehmenden Servicecenters auch Fragen eines anderen Zuständigkeitsbereichs beantworten. Jeder Teilnehmer im D115-Verbund ist für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität der im Katalog enthaltenen Beschreibungen verantwortlich. In Belgien (Flandern) wird zwar auch ein ebenenübergreifender Leistungskatalog genutzt, dort sind jedoch nur die regionale und kommunale Ebene in die EBN einbezogen. Ähnlich ist 10 DGIAE – La Dirección General para el Impulso de la Administración Electrónica (Generaldirektion für die Förderung der elektronischen Verwaltung). 40 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union es bei der EBN in Slowenien – dort umfasst der Leistungskatalog nur Verwaltungsleistungen auf nationaler Ebene, da von dieser Ebene die meisten Verwaltungsleistungen erbracht werden. Eine Standardisierung von Informationsbeständen befindet sich bei „Linea Amica“ in Vorbereitung; in Portugal wird derzeit ein gemeinsamer Leistungskatalog für die EBN erarbeitet. Kooperation In den untersuchten Staaten hat sich gezeigt, dass die Anzahl und die Zusammenarbeit zwischen den Auskunftsebenen sehr unterschiedlich organisiert sind, wobei die Anzahl der Auskunftsebenen und deren organisatorische Einbettung relevant sind. 11 In Slowenien und Frankreich ist die EBN beispielsweise nur durch zwei Auskunftsebenen realisiert, wogegen in den meisten anderen Staaten die Umsetzung über drei Auskunftsebenen erfolgt. Grund für zwei Auskunftsebenen in Slowenien ist, dass es dort nur einen zweistufigen Verwaltungsaufbau (Ministerien und Kommunen) gibt und die Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger in hohem Umfang durch die Ministerialverwaltung bzw. die ihr unmittelbar nachgeordneten Behörden erbracht werden. Die EBN in Frankreich ist ein Beispiel dafür, dass die Auskunftsebenen der EBN nicht in jedem Fall mit Verwaltungsebenen gleichzusetzen sind. Die Anrufe gehen bei einem Call Center auf nationaler Ebene ein (erste Auskunftsebene). Die zweite Auskunftsebene wird durch einen Verbund verschiedener nationaler Call Center für spezifische Themenbereiche gebildet, wobei die Kommunen nur sehr schwach eingebunden sind. Der D115-Verbund besteht aus einer dreigliedrigen Servicearchitektur (drei Auskunftsebenen). Eine Kommune ist immer die erste Anlaufstation und bildet die erste Auskunftsebene. Ein kommunaler Teilnehmer kann bei Weiterleitungen aus anderen Gemeinden, aber auch zur zweiten Station des Anrufs und damit zur zweiten Auskunftsebene werden. Bei Landesoder Bundesteilnehmern ist dies immer der Fall. Die dritte Auskunftsebene bezeichnet immer den nachgelagerten Bereich nach der zweiten Auskunftsebene. Ein D115-Service-Center kann nicht in das Back Office eines anderen D115-Teilnehmers vermitteln. Eine etwas andere Struktur gibt es für „Linea Amica“ in Italien und bei „Postbus 51“ in den Niederlanden. Können die Anfragen auf der ersten Auskunftsebene im Servicecenter nicht beantwortet werden, werden sie an Fachexperten, die die zweite Auskunftsebene bilden und ebenfalls dem Servicecenter zugeordnet sind, weitergeleitet. Bei „Antwoord“ in den Niederlanden werden eingehende Anrufe von Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern der 11 Informationen zur Service-Architektur mit den dazugehörigen Auskunftsebenen waren nicht für alle Länder verfügbar. Informationen lagen für Deutschland, Italien, die Niederlande, Spanien, Frankreich und Slowenien vor. 41 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union ersten Auskunftsebene entgegengenommen. Anfragen, die dort nicht abschließend geklärt werden können, werden an die zweite Auskunftsebene, die von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der physischen Bürgerservicecenter gebildet werden, weitergegeben. Können diese die Anfrage nicht beantworten, nehmen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bürgerservicecenter selbst Kontakt mit der zuständigen Behörde auf und holen die entsprechenden Informationen ein. Diese werden dann an die Bürgerinnen und Bürger weitergegeben. Nur bei „Antwoord“ wurden physische Kontaktstellen (als zweite Auskunftsebene) in die Call-CenterStruktur integriert. Zwischen den Auskunftsebenen wurden einzeln oder in Kombination folgende Formen der Kooperation ermittelt: die (händische) Weiterleitung von Anrufen, E-Mail, das so genannte elektronische Ticket-Verfahren, der direkte (lesende) Zugriff auf die Fachanwendungen der Fachbehörden. Die Weiterleitung per E-Mail wird in den meisten Ländern genutzt, ein Ticket-System (XMLInformationsweiterleitung) kommt nur bei der EBN in Belgien (Flandern) bei „D115“ in Deutschland, bei „Linea Amica“ in Italien und bei „Postbus 51“ in den Niederlanden zum Einsatz. Das Ticket-System in Deutschland stellt sich wie folgt dar: Stimmt die Anruferin oder der Anrufer der Aufnahme relevanter Daten (u.a. Telefonnummer) zu, wird ein Ticket mit allen Angaben zu Anliegen und Person an den zuständigen D115-Teilnehmer weitergeleitet, der i.d.R. ein lokales Servicecenter ist. Dieses beantwortet die Fragen – je nach Wunsch – telefonisch, per E-Mail, Fax oder Brief. Die Weiterleitung an die zuständigen Fachbehörden, die dann die dritte Auskunftsebene bilden, wird jedoch nicht per Ticket vorgenommen. Wird vom Anrufer keine Einwilligung zur Aufnahme der Daten erteilt, wird auch kein Ticket aufgenommen. Dann erfolgt eine qualifizierte telefonische Weiterleitung, wonach die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter im Servicecenter den Anrufer an die Mitarbeiterin oder den Mitarbeiter des zuständigen Servicecenters mit den Informationen zum Anliegen übergibt. Auch die Tickets bei „Linea Amica“ und bei „Postbus 51“ werden von der ersten an die zweite Auskunftsebene gesendet; die zweite Auskunftsebene wird in beiden Ländern von CallCenter-Agenten wahrgenommen, die zugleich Fachexperten sind. Die Verbindung zur dritten Auskunftsebene findet jedoch über individuelle Verfahren statt, in der Regel jedoch per Telefon oder E-Mail. Dies ist bei „D115“ in Deutschland und bei „Linea Amica“ in Italien der Fall. Bei der griechischen EBN „1500“ werden über das Workflowmanagement-System (WMS) die aufgenommenen Anträge an die zuständigen Fachbehörden elektronisch weitergeleitet. Die Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter von „189“ in Ungarn leiten eingegangene Anträge per E-Mail an die zuständigen Behörden weiter. 42 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union In Griechenland haben die Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter Lese- und Schreibrechte auf einzelne Verfahren der Fachbehörden, sodass sie Anträge entgegennehmen, personenbezogene Auskünfte erteilen oder auch personenbezogene Daten ändern können. Planungen in diese Richtung gibt es auch in Portugal. In Belgien (Flandern) und Malta haben die Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter ebenfalls Leserechte auf die Fachverfahren, sodass sie fallbezogene Auskünfte oder Auskünfte zu personenbezogenen Daten erteilen können. Bei „Antwoord“ in den Niederlanden haben nur die Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter der zweiten Auskunftsebene lesenden Zugriff auf die entsprechenden Fachverfahren der Back-Office-Behörden. In der folgenden Darstellung 18 sind die jeweils in den Ländern existierenden Instrumente der Kooperation zusammengefasst: Kooperation Telefonische Weiterleitung Belgien (Flandern und Wallonien), Dänemark, Deutschland, Frankreich, Malta, Slowenien, Spanien, Ungarn Weiterleitung per E-Mail Belgien (Flandern und Wallonien), Dänemark, Malta, Slowenien Weiterleitung per Ticket Belgien (Flandern), Deutschland, Griechenland, Italien (Fachexperten im Call Center), Niederlande (Postbus 51 – Fachexperten im Call Center), Niederlande (Antwoord – empfohlen) Zugriff auf Fachverfahren Griechenland – Lese- und Schreibrechte, Malta – Leserechte Zweite zur dritten Auskunftsebene Deutschland, Niederlande (Antwoord – empfohlen), Slowenien, Spanien Niederlande (Antwoord – empfohlen), Slowenien Deutschland Niederlande (Postbus 51 – Fachbehörde), Niederlande (Antwoord – empfohlen) Belgien (Flandern) – Leserechte, geplant: Niederlande (Antwoord) – Lese- und Schreibrechte Erste zur dritten Auskunftsebene Spanien Spanien Erste zur zweiten Auskunftsebene Darstellung 18: Überblick über zum Einsatz kommende Kooperationsinstrumente In den meisten untersuchten Ländern mit einer EBN werden Anfragen, die nicht abschließend bearbeitet werden konnten, von den Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern per E-Mail oder Telefon an die nächste Auskunftsebene oder das zuständige Service- bzw. Call Center weitergeleitet. Bei „Antwoord“ in den Niederlanden rufen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der zweiten Auskunftsebene selbst bei der zuständigen Fachbehörde an und geben die Informationen dann an die Anruferin oder den Anrufer weiter. In Frankreich wird gegenwärtig die Weiterleitung an die zweite Auskunftsebene in einem Pilotprojekt getestet. Eine Besonderheit ist Spanien: Dort kann die Anruferin oder der Anrufer per Tastendruck aus43 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union wählen, zu welchen Themen er Informationen benötigt und wird u.U. direkt zur zuständigen Behörde auf die dritte Auskunftsebene weitergeleitet. Kooperation bei Krisenfällen In Italien und den Niederlanden (Postbus 51) wird die EBN genutzt, um die Bürgerinnen und Bürger mit aktuellen Informationen, z.B. im Katastrophen- oder Krisenfall zu versorgen. Nach dem Erdbeben in der Region Abruzzen in Italien im Sommer 2009 war „Linea Amica“ oft die einzig funktionierende Kontaktmöglichkeit mit der öffentlichen Verwaltung für die betroffene Bevölkerung. „Postbus 51“ bietet im Auftrag des niederländischen Innenministeriums seine Kapazitäten bei Krisen und Katastrophen für alle Verwaltungsebenen an und gibt die entsprechenden Informationen weiter (Smal 2008, S. 47). (Die Nutzung der EBN in Krisenfällen in Italien und in den Niederlanden ist in den Fallstudien Kap. 4 vertieft dargestellt.) Die Nutzung der EBN „189“ in Krisenfällen ist in Ungarn geplant. IT-Anwendungen In allen Ländern kommen standardmäßig digitale Telefonanlagen mit automatisierter Anrufverteilung zum Einsatz. In Irland und in Spanien werden Anrufe bei der EBN zunächst von einem Sprachdialogsystem entgegengenommen. Per Tastenwahl können die Anruferinnen und Anrufer zwischen verschiedenen Verwaltungsbereichen wählen und werden je nach Anliegen direkt an die zuständigen Behörden oder an die Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter der ersten Auskunftsebene vermittelt. Zentrales System der EBN ist in fast allen untersuchten Ländern ein WissensmanagementSystem, das durch Verzeichnisdienste oder Zuständigkeitsfinder zwecks Weiterleitung von Anliegen oder Weitergabe von Informationen zu Ansprechpartnern in Behörden ergänzt wird. Zusätzlich werden Datenbanken mit häufigen Fragen und Antworten (FAQ) genutzt, u.a. bei „Postbus 51“ und „Antwoord“ in den Niederlanden, bei „060“ in Spanien, bei „Linea Amica“ in Italien und bei „Halo uprava!“ in Slowenien. In Dänemark und Ungarn werden bei der EBN keine internen Wissensmanagement-Systeme eingesetzt; dort nutzen die Call-CenterAgenten nur die Behörden-Websites. Workflowmanagement-Systeme (WMS), die die Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter bei der Bearbeitung des Anrufes unterstützen, werden in den Call Centern der ersten Auskunftsebene der EBN in Belgien (Flandern), Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Malta und bei „Postbus 51“ in den Niederlanden eingesetzt. Sie dienen außerdem – wie im Weiteren noch deutlich wird – der elektronischen Weiterleitung von Anliegen zu anderen Auskunftsebenen. In Frankreich und Malta werden WMS bisher hauptsächlich für das Quali- 44 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union tätsmanagement genutzt. Die Weiterleitungsfunktion wird bei „39 39“ in Frankreich derzeit in einem Pilotprojekt getestet. CRM-Systeme werden nur in einigen Staaten eingesetzt. In Belgien (Flandern) und Griechenland werden die Angaben zu Anruferinnen und Anrufern und deren Anliegen in einem CRM dokumentiert. Bei erneutem Anruf kann der Call-Center-Mitarbeiterin oder der -Mitarbeiter lokal auf die gespeicherten Angaben zugreifen und muss grundlegende Angaben nicht noch einmal erfragen. Dadurch wird der Kundenservice verbessert, zugleich kann das Fehler- und Beschwerdemanagement besser organisiert werden. 3.3 Analyse Aus Produktionssicht lassen sich die Länder in drei Gruppen einteilen: Als führend (Gruppe 1) sind die EBN in Belgien (Flandern) Deutschland, Griechenland, Italien und die Niederlande (Postbus 51) einzuschätzen. Diese Länder weisen Stärken in allen drei erhobenen Aspekten der Produktionsperspektive (Informationsmangement, Kooperation und Informationstechnik) auf. Im Mittelfeld (Gruppe 2) befinden sich Malta, Niederlande (Antwoord) und Slowenien. Sie weisen Stärken in mindestens zwei Bereichen auf: Malta und „Antwoord“ heben sich dadurch ab, dass die Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter auf die Fachverfahren der Back Offices zugreifen können. Bei der EBN in Slowenien wird bereits ein standardisierter Leistungskatalog genutzt. Weniger entwickelt sind aus Produktionssicht die EBN in Belgien (Wallonien) Dänemark, „europe direct“, Frankreich, Irland, Spanien und Ungarn (Gruppe 3). 45 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Die folgende Darstellung 19 fasst die Beurteilung der Produktionssicht zusammen: Produktionssicht Wallonien X X Dänemark X X Deutschland X europe direct X X X Frankreich Griechenland X X X Irland Italien X Malta X NL Postbus 51 X Antwoord X X X X X X X X Gruppe X Gesamt X 8 1 3 3 2 3 6 1 3 3 X* 3 3 X 7 1 2 3 X 6 1 WMS Gemeinsam oder mehrfach genutzte Informationsbestände Erweiterung in Krisensituationen X Wissensdatenbank X Zugriff auf Fachverfahren Ticket-System Kommunikation per Telefon/E-Mail Flandern B ITAnwendungen Standardisierte Informationsbeschreibung Informationsmanagement zwischen Auskunftsebenen CRM Kooperation X X X X X X X X X X X X X X X X X X* 5 2 X X X 6 1 X 3 3 X 4 2 X 3 3 3 3 X Slowenien X X Spanien X X Ungarn X X X X X Darstellung 19: Überblick über Umsetzungsstand aus Produktionssicht (*Einführung geplant) Damit gehört Deutschland aus Produktionssicht mit zu den Vorreitern. Insbesondere ist die Kooperation und die Standardisierung trotz föderaler Strukturen gut gelungen, was generell als Hemmnis für ebenenübergreifende Zusammenarbeit gesehen wird. 46 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union 3.4 Bewertung Innovationspotenzial Im europaweiten Vergleich wird deutlich, dass insbesondere in Deutschland bei „D115“ umfassend standardisierte Informationsbestände mit zentralen Elementen genutzt wird. Auch ist in Deutschland das Ticket-System bei „D115“ im Vergleich mit den EU 27 am weitesten vorangeschritten, sodass hier besonderes Innovationspotenzial für andere EU-Mitgliedstaaten vorliegt. Möglichkeiten zur Weiterentwicklung der Kooperation vor dem Hintergrund des europäischen Vergleichs gibt es trotzdem in zweierlei Hinsicht: Kooperation mit Fachbehörden und Kooperation in Krisenfällen. Anregung für eine Kooperation mit den Fachbehörden liefert insbesondere Griechenland und Belgien mit Flandern, die einen direkten Zugriff auf IT-Anwendungen von Fachbehörden ermöglichen. Hierdurch wäre es möglich, die Angebotstiefe in Deutschland zu erhöhen, was jedoch – je nach Leistung – Authentifizierungsmechanismen voraussetzt. Weiteres Kooperationspotenzial bei „D115“ liegt in der Nutzung der EBN als Informationsquelle für die Bevölkerung bei Katastrophen, was sich in den Niederlanden (Postbus 51) und Italien als erfolgreich erwiesen hat. Durch die Erstellung und Aktualisierung entsprechender Einträge in der Wissensdatenbank der EBN können Informationen über Krisen und Katastrophen schnell und laufend zur Verfügung gestellt werden. Europäisierungspotenzial Grundsätzlich ist die Produktionssicht für eine einfache Freischaltung einer europäischen „116“-Rufnummer (116 115) von untergeordneter Bedeutung, weil es auf den angebotenen Service ankommt, der mit der Vertriebssicht bereits behandelt wurde. Allerdings sind auch weitergehende Szenarien der Kooperation denkbar, die eine Kopplung der nationalen EBNSysteme länderübergreifend vorsieht. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn eine Weiterleitung von Anliegen zwischen Call Centern länderübergreifend vorgenommen wird, weil z.B. Verwaltungsangelegenheiten eines anderen EU-Mitgliedstaates betroffen sind. Für eine solche Kooperation kommen Länder in Betracht, die über entwickelte Produktionsstrukturen verfügen, also insbesondere Länder, die der Gruppe 1 angehören (Belgien mit Flandern, Deutschland, Griechenland, Italien, Niederlanden mit Postbus 51). Konkret wäre für eine länderübergreifende Zusammenarbeit ein Ticket-System geeignet, weil hier in standardisierter Form ein Datenaustausch stattfindet, der die Kooperation erleichtert. Damit sind Länder mit Ticket-System im Besonderen für diese Art der Kooperation geeignet, wozu Belgien mit Flandern, Italien, Niederlande mit „Postbus 51“ sowie Deutschland zählen. Überdies ist die Kopplung mit Aufgaben bzw. Rufnummern des Krisenmanagements auch im europäischen 47 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Kontext relevant, insbesondere wenn grenzübergreifende Maßnahmen zu treffen sind, z.B. bei Hochwasser oder Epidemien. 48 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union 4 Organisatorische Umsetzung Mit der Umsetzungsorganisation werden Fragen der organisatorischen Einbettung über die eigentliche Distributions- und Produktionsgestaltung hinaus thematisiert. Denn es gibt zahlreiche weitere Gestaltungsanforderungen, von denen die Funktionsweise einer EBN abhängt. Dazu zählen Call-Center-Struktur, Betreibermodelle, Finanzierung und Gebührengestaltung, Personalmanagement, Qualitätsmanagement sowie Öffentlichkeitsarbeit. 4.1 Anforderungen an die organisatorische Ausgestaltung Call Center Struktur Je nach Größe und Ausgangsstruktur eines Landes kann die EBN durch ein einziges Call Center erbracht werden oder durch mehrere, die miteinander verkoppelt werden. Die Anzahl der Call Center ist deshalb von Bedeutung, weil hiervon der Kooperations- und Koordinationsaufwand bei der Implementation und beim Betrieb abhängt. Betreiberform Mit der Betreiberform wird erhoben, in welcher Trägerschaft ein Call Center sich befindet bzw. sich die jeweiligen Auskunftsebenen befinden. So kommt insbesondere auch für die erste Auskunftsebene eine Auslagerungen (vgl. ausführlich hier und zum Gesamtspektrum von in Betracht kommenden Trägern: Naschold et al. 2000, S. 117) in Betracht. Denn die Bereitstellung von allgemeinen Bürgerinformationen wird als eine Aufgabe mit geringem Grad an Hoheitlichkeit angesehen (vgl. zur Argumentation ausführlich: Schuppan 2009; Schuppan/Reichard 2010). Als nicht auslagerungsfähig werden dagegen die Aufgaben der dritten Auskunftsebene betrachtet, weil sie die Aufgaben der Fachbehörden betreffen, die einen hohen Grad an Hoheitlichkeit aufweisen. Jede institutionelle Variante hat Vor- und Nachteile. Einer möglichen Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und Kosteneinsparungen bei der Auslagerung auf private Organisationen stehen mögliche Steuerungs- und Kompetenzverluste gegenüber. Finanzierung und Gebühren Die Frage der Finanzierung ist eng an die institutionelle Ausgestaltung geknüpft. In der öffentlichen Verwaltung gibt es drei Grundtypen der Finanzierung von Call Centern: Das Call Center wird durch die Trägereinrichtung finanziert oder es ist ein Dienstleistungszentrum, das Call-Center-Leistungen für mehrere Kunden der Verwaltungen erbringt und von diesen ein leistungsbezogenes Entgelt erhält. Eine dritte Form ist die Finanzierung über Public Private Partnerships. Die Finanzierung kann auch durch die Einnahmen aus den Telefon- und Servicegebühren sichergestellt werden, die für die Anrufe bei der EBN entstehen. Telefongebühren können erhoben werden, um die Kosten für die Telefonverbindung zum Call Cen49 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union ter abzudecken. Die Servicegebühren können – wie z.B. in Slowenien – zur Finanzierung des Betriebs des Call Centers verwendet werden. Personalmanagement Das Personal spielt für den erfolgreichen Betrieb eines Call Centers eine entscheidende Rolle (Feil 2002, S. 13). Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter müssen über umfassende kommunikative, soziale und persönliche Kompetenzen verfügen (Zapf 2003, S. 15; Scupin 2006, S. 33f.). Gleichzeitig sind IT-Fähigkeiten erforderlich, um die vielfältigen ITAnwendungen des Call Centers richtig nutzen zu können. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Call Centers sollten auch bereit sein, außerhalb der üblichen Öffnungszeiten der Verwaltung zu arbeiten. Qualitätsmanagement Qualitätsmanagement ist erforderlich, um die gesamte Leistungserbringung kontinuierlich zu verbessern und weiterzuentwickeln. Maßnahmen zur Qualitätssicherung leisten einen wesentlichen Beitrag zu einem erfolgreichen Betrieb des Call Centers, indem sie kontinuierlich Fehler und Verbesserungspotenzial in den Arbeitsprozessen, Strukturen und Wissensmanagement-Systemen des Call Centers aufdecken. Für die Qualitätssicherung bzgl. der EBN stehen spezielle Instrumente zur Verfügung: Schulungen, Training am Arbeits- platz/Coaching, verbundweite Anrufe, Kundenbefragungen, Controlling durch Kennzahlen, Evaluierung, Benchmarking sowie Beschwerde- und Fehlermanagement (Scupin 2006, S. 101). Öffentlichkeitsarbeit Öffentlichkeitsarbeit ist eine Schlüsselkomponente für die Akzeptanz und Nutzung der EBN. Länder wie Deutschland mit „D115“, die eine kurze und leicht zu merkende Rufnummer haben, sind leichter zu vermarkten als lange Ziffernfolge. Durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit kann der Bekanntheitsgrad der Rufnummer sehr schnell gesteigert werden. Die Nutzung der EBN hängt wesentlich von ihren Bekanntheitsgrad ab. 4.2 Empirische Befunde Call-Center-Struktur Zu den wichtigsten organisatorischen Merkmalen von EBN zählt die Call-Center-Struktur, die sich nicht nur über die Anzahl der Auskunftsebenen definiert, sondern auch über die Anzahl und Verteilung der Call Center in einem Land. Die Organisationsstruktur der Call Center ist in der folgenden Darstellung zusammengefasst: 50 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Call-Center-Struktur Dezentrale Lösung: Verbund von Call Centern EU-Mitgliedstaaten Auf nationaler Ebene (Nicht alle Verwaltungsebenen sind einbezogen.) Auf nationaler Ebene (Alle Verwaltungsebenen sind einbezogen.) Auf kommunaler Ebene (Alle Verwaltungsebenen sind einbezogen.) Frankreich, Griechenland, Portugal Italien Deutschland Zentrale Lösung: Nationales Call Center für die EBN Belgien (Flandern und Wallonien), Dänemark, europe direct, Irland, Malta, Niederlande (Postbus 51), Slowenien, Spanien, Ungarn Separate Lösung (kein Verbund der Call Center) Niederlande (Antwoord) Darstellung 20: Überblick über Call-Center-Strukturen Neben der umgesetzten separaten Lösung „Antwoord“ in den Niederlanden lassen sich aus dem EU-Vergleich zwei Gruppen ableiten: Länder mit einem Verbund von Call Centern und Länder mit nationalen Call Centern für die EBN. In Deutschland, Frankreich, Griechenland und Italien wurde ein Verbund von Call Centern/ Servicecenter aufgebaut, in Portugal ist ein solcher Aufbau geplant. Für die EBN in Frankreich sind sechs Call Center auf nationaler Ebene miteinander verbunden, darunter die nationalen Call Center für Steuern und Verbraucherschutz sowie das Call Center des Zentrums für Behördeninformationen. Die Call-Center-Struktur von „Linea Amica“ in Italien ist ein Verbund aus einem nationalen Kontaktzentrum und weiteren 695 von insgesamt 1.753 telefonischen Kontaktzentren von Behörden und Körperschaften aller Verwaltungsebenen. Deutschland ist ebenfalls als Verbundstruktur organisiert, wobei die Servicecenter auf kommunaler Ebene von den Kommunen selbst, ggf. in interkommunaler Kooperation betrieben werden. Am deutschen D115-Verbund sind neben den Kommunen die Landesebene sowie Einrichtungen des Bundes beteiligt. Bei den Verbundstrukturen zeigen sich jedoch z.T. erhebliche Unterschiede innerhalb einer Gruppe: In Frankreich sind zwar mehrere Call Center miteinander verbunden, jedoch nur auf nationaler Ebene. Die regionale oder kommunale Ebene ist nur wenig involviert. Die französischen Kommunen stellen nur Informationen für die „39 39“ in einer Wissensdatenbank zur Verfügung. Bei „Linea Amica“ (Italien) wurde ebenfalls ein Call Center auf nationaler Ebene aufgebaut, hier sind jedoch – wie in Deutschland auch – alle anderen Verwaltungsebenen einbezogen. Ein Unterschied zwischen „D115“ und „Linea Amica“ besteht darin, dass die kommunale Ebene im D115-Verbund die erste Auskunftsebene bildet, während es bei „Linea Amica“ die dritte Auskunftsebene ist, bei der nur noch ein geringer Teil der Anfragen eingeht. 51 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Auch sind die Akteure im Verbund von „Linea Amica“ untereinander nicht vernetzt. Es mussten keine neuen Infrastrukturen aufgebaut. sondern nur die Weiterleitung von der zweiten auf die dritte Auskunftsebene organisiert werden. Bei „D115“ in Deutschland hingegen müssen die Kommunen u.U. neue Servicecenter-Strukturen aufbauen, sichern damit aber ein einheitliches, qualitativ hochwertiges Serviceversprechen. In den übrigen Ländern wurden nationale, d.h. zentrale Call Center eingerichtet. Für die neu geplanten EBN in Slowenien und Zypern ist ebenfalls die Einrichtung eines zentralen Call Centers geplant. Das lässt sich mit der Größe und der Verwaltungsstruktur des Landes erklären, da dort der überwiegende Anteil der Verwaltungsleistungen von der nationalen Ebene erbracht wird. Betreibermodelle Empirisch wurde in den untersuchten Ländern (z.B. Frankreich, Griechenland, Slowenien) festgestellt, dass hauptsächlich die erste Auskunftsebene von privaten Dienstleistern wahrgenommen wird, weil diese Aufgabe von allen Auskunftsebenen den geringsten hoheitlichen Aufgabenanteil aufweist. Darüber hinaus dürften diese Aufgaben möglicherweise von den Beschäftigten der Privatwirtschaft günstiger erbracht werden als von der öffentlichen Verwaltung, weshalb eine Auslagerung vorgenommen wurde. Auch eine Kombination aus Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung und der Privatwirtschaft ist sichtbar: So werden z.B. bei vereinzelten D115-Servicecentern in Berlin Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Zeitarbeitsfirmen eingesetzt, um „Spitzenzeiten“, d.h. Zeiten mit einem hohen Aufkommen an Anrufen, abzufedern. Der Ländervergleich (Darstellung 21) zeigt, dass bei der ersten Auskunftsebene sowohl die Geschäftsprozesse als auch die technische Infrastruktur ausgelagert wurden und teilweise von unterschiedlichen Unternehmen erbracht werden, wie bspw. in Frankreich. Dort wurde gleichzeitig auch die technische Infrastruktur der zweiten Auskunftsebene ausgelagert, wobei die Vergabe immer für drei Jahre vorgenommen wird. Bei „Postbus 51“ wurde beispielsweise die erste Auskunftsebene komplett an Arvato Services Niederlande, einer Tochtergesellschaft des Bertelsmann-Konzerns, ausgelagert. In Spanien wurde ein privater Dienstleister sowohl mit dem Betrieb der ersten Auskunftsebene als auch des Call Centers für Verkehrswesen beauftragt. Hier gab es v.a. in den Anfangszeiten Schwierigkeiten mit der Servicequalität. Die Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter des privaten Dienstleisters verfügten nicht über die spezifischen Kenntnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung. Bei „europe direct“ wurde der Betrieb des Telefonservices an einen privaten Dienstleister, der European Service Network (ESN) vergeben, die sich auf die Erbringung solcher Dienstleistungen spezialisiert hat. 52 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union In Deutschland werden öffentliche Call Center in der Mehrzahl als Teil einer Behörde bzw. in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft betrieben. Ausnahmen sind auf Landes- und insbesondere der Bundesebene zu finden. Land 1. Auskunftsebene Technik Technik Prozesse Sitel - - European Service Network (ESN) - - SFR - eValue S.A. - - GO plc - - Arvato Services Nederland BV - - Mobiltel - - Spanien Qualytel (bis Mai 2010) - - Ungarn Kopint Datorg Zrt. Zypern Auslagerung geplant Belgien (Flandern) europe direct Frankreich Prozesse 2. Auskunftsebene SFR Griechenland 1500 Malta NL (Postbus 51) Slowenien B2S Darstellung 21: Auslagerung von Call-Center-Bereichen Ein weiteres Modell für den Betrieb von Call Centern ist die Kooperation von mehreren Kommunen im Rahmen einer so genannten Public Public Partnership. Bei den untersuchten Ländern mit EBN gibt es solche Kooperationen zwischen Verwaltungen im D115-Verbund zum Beispiel in der Region Köln sowie bei „Antwoord“ in der Region Drechtsteden in den Niederlanden. Seit 2003 betreibt die Stadt Köln bereits ein Call Center, in dem Anrufe bei der einheitlichen Rufnummer der Stadt „(0221) 221-0“ beantwortet und bearbeitet werden; dieses Call Center ist auch Teilnehmer im D115-Verbund. Seit 2005 kooperiert die Stadt Köln mit anderen Städten, darunter Bonn, Leverkusen, Siegburg, und dem Rhein-Erft-Kreis und stellt diesen ihre Call-Center-Dienstleistungen auf vertraglicher Basis gegen Entgelt zur Verfügung. Köln verpflichtet sich, die Infrastruktur, die Hard- und Software, das Personal für die erste Auskunftsebene und Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Die zweite Auskunftsebene wird durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der jeweils anderen Stadt erbracht. In den Niederlanden haben die sechs Städte der Region Drechtsteden auch bei der Einführung einer Antwoord-EBN eng zusammengearbeitet; u.a. haben die Kommunen eine gemeinsame Organisation für den Aufbau der Wissensdatenbank gegründet. Die Kosten für die IT-Infrastruktur werden entsprechend aufgeteilt. 53 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union In den Niederlanden gibt es eine weitere Besonderheit, die mit dem Betrieb in engem Zusammenhang steht. Die EBN „Antwoord“ ist in den Niederlanden als eine Art FranchisingSystem aufgesetzt. Dabei hat die ICT Uitvoeringsorganisatie (ICTU) als so genannter Systemführer in Zusammenarbeit mit der Vereinigung van Nederlandse Gemeenten (VNG – Niederländischer Gemeindebund) das Antwoord-Konzept gemeinsam entwickelt und gemeinsame, wenngleich nur lockere, Standards festgelegt. Die Kommunen sind in diesem Fall die Systemnehmer und setzen die Antwoord-Lösung um (vgl. dazu ausführlich im Fallstudienteil Kap. II.3). In Irland wurde für den Betrieb der EBN „1890 777 121“ eine eigenständige Organisation gegründet – der Citizens Information Phone Service (CIPS) Ltd. Diese Rechtsform – vergleichbar mit einer GmbH in Deutschland – wurde gewählt, um eine gewisse Unabhängigkeit und Handlungsfreiheit zu erreichen. In keinem anderen Land wurde bisher für den Betrieb der EBN eine eigenständige Organisation gegründet. Finanzierung, Gebühren, Tarife Der Ländervergleich zeigt, dass in fast allen untersuchten EU-Mitgliedstaaten der Betrieb der EBN aus dem Haushalt der politisch verantwortlichen Ministerien bzw. Behörden finanziert wird. In Dänemark ist die Finanzierung der EBN „1881“ durch eine Vereinbarung zwischen der dänischen Regierung, den Gemeinden sowie den Regionen sichergestellt. Bis auf Irland und Ungarn ist in allen EU-Mitgliedstaaten, in denen die EBN über nationale Servicecenter realisiert wird, der Anruf gebührenfrei. In EU-Mitgliedstaaten, in denen der Betrieb der ersten Auskunftsebene ausgelagert wurde (Frankreich, Griechenland, Spanien und Ungarn), werden für einen Anruf bei der EBN Telefongebühren erhoben; in Slowenien fallen zusätzlich noch Servicegebühren an. Letzteres lässt vermuten, dass die Gebühren Teil der Finanzierung des privaten Call-Center-Betriebs sind. Auch ein Anruf bei „D115“ ist im laufenden zweijährigen Pilotbetrieb kostenpflichtig, wenngleich der D115-Service selbst kostenfrei ist. Es werden jedoch für die Freischaltung der 115-Rufnummer Tarife durch die Telekommunikationsanbieter erhoben. Von den erhobenen Tarifen wird ein Teil zur Finanzierung der D115-Netztechnik verwendet, die darüber hinaus gehenden Kosten erhalten die jeweiligen Telekommunikationsanbieter. Es ist ab Beginn des Regelbetriebs geplant, die Tarife auf den Ortstarif zu senken. Konkrete Aussagen zu den Ausgaben zur Einführung der EBN und zum laufenden Betrieb konnten im Rahmen der Studie jedoch nicht ermittelt werden, zumal die Kostenaufstellungen von Land zu Land sehr verschieden und damit kaum vergleichbar sind. Hinzu kommt, dass sich die Ausgangsbedingungen in den Ländern sehr unterscheiden: So musste z.B. bei „Linea Amica“ in Italien das Call Center komplett neu aufgebaut werden, während für „39 39“ 54 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union in Frankreich die bereits bestehenden Call Center nur zu einem Verbund zusammengeschlossen wurden. Alle Dienststellen, die am Linea-Amica-Verbund teilnehmen, konnten ihre bisherigen Lösungen, auch einfache Telefonzentralen, beibehalten. Für „Postbus 51“ besteht ein spezielles Verrechnungsmodell zur Finanzierung. Der Informationsrat (interministerielles Gremium) stellt jährlich einen bestimmten Betrag bereit. Dafür wird „Postbus 51“ für eine festgelegte Mindestanzahl an Leistungen verpflichtet. Werden Vorgaben, die in Service Level Agreements festgelegt wurden, nicht erreicht, ist ein vertraglich vereinbarter Prozentsatz des Betrages zurückzuzahlen. Personalmanagement Beim Personalmanagement existieren im Ländervergleich nur geringfügige Unterschiede. In allen Ländern (z.B. Italien) werden regelmäßig Weiterbildungen für die Call-CenterMitarbeiterinnen und -Mitarbeiter angeboten. Bei „39 39“ in Frankreich absolvieren angehende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein sechswöchiges Training. Dabei wird u.a. der Umgang mit Wissensdatenbanken erlernt und eingeübt. Bei „Antwoord“ werden Schulungen durch den IT-Dienstleister ICTU angeboten. Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter der EBN in Belgien (mit Wallonien), Dänemark, „Postbus 51“ in den Niederlanden und Ungarn müssen gute Kenntnisse über Verwaltungsstrukturen und -abläufe und über Verwaltungsrecht nachweisen. Für Flandern (Belgien) und Malta wurde angegeben, dass die Call-CenterMitarbeiterinnen und -Mitarbeiter keine speziellen Anforderungen erfüllen müssen. Auffällig bei „europe direct“ ist, dass es sich bei allen Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter um Akademiker (mit Masterabschlüssen bspw. in europäischer Politik oder europäischem Recht) handelt, die neben ihrer Muttersprache noch zwei weitere Sprachen beherrschen müssen. Auch „1500“ in Griechenland fordert umfangreiche Fremdsprachenkenntnisse ihrer Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter ein. Trotz der Auslagerung der ersten Auskunftsebene bei „060“ in Spanien müssen die Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter genauso qualifiziert sein wie die Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst. Auch sind in allen untersuchten Ländern erhöhte IT-Anwendungskompetenzen nachzuweisen, wofür z.B. in Irland und Ungarn spezielle Mitarbeitertrainings durchgeführt werden. Bei „D115“ werden die bestehenden dezentralen Call Center in den Verbund einbezogen. Aufgrund des föderalen Staatsaufbaus liegen Themen des Personalmanagements im jeweiligen Verantwortungsbereich der Behörden. Schulungen und „Training on the Job“ in den Servicecentern dauern in der Regel vier bis sechs Wochen. D115-spezifische Themen werden in den D115-Servicecentern durch den D115-Verbund geschult. 55 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Qualitätsmanagement Das Qualitätsmanagement bei der EBN spielt in allen EU-Mitgliedstaaten eine besondere Rolle, um Angebot und Prozesse zu verbessern. Die in fast allen Ländern zum Einsatz kommenden Instrumente des Qualitätsmanagements sind Monitoring 12 und Berichtswesen 13 . Dagegen werden Benchmarking, Fehler- und Beschwerdemanagement, Evaluierungen und Activity Reports (Erfassung der täglichen Arbeiten/Arbeitszeiten) nur von einigen Ländern eingesetzt. In Flandern (Belgien), Frankreich, Griechenland, Italien und Irland sowie bei „europe direct“ wird das größte Spektrum an Instrumenten genutzt (vgl. Darstellung 22). Danach folgen Wallonien (Belgien), Deutschland, Dänemark, die Niederlande (Postbus 51), Slowenien und Ungarn. Am geringsten ist das Qualitätsmanagement im europäischen Vergleich in Spanien und bei „Antwoord“ in den Niederlanden ausgeprägt. Das Instrument „Mystery Questions“ 14 wird in Belgien (Flandern), Frankreich und in den Niederlanden bei „Postbus 51“ verwendet. Sind Call-Center-Funktionen (i.d.R. die erste Auskunftsebene) ausgelagert, wie in Belgien mit Flandern, Frankreich, Griechenland, Irland, Spanien oder bei „europe direct“, werden für die Qualität relevante Standards und Kennzahlen in Service Level Agreements (SLA) festgelegt, die mit den genannten Instrumenten gemessen werden. Dort sind in den SLA auch Sanktionsmechanismen vereinbart, wie Kürzung des Rechnungsbetrages, wenn die vereinbarten Standards nicht erreicht werden. Bei der EBN in Irland werden die von Anrufern erhobenen Beschwerden geprüft und mit der betreffenden Call-Center-Mitarbeiterin bzw. dem betreffenden Call-Center-Mitarbeiter besprochen und Gegenmaßnahmen festgelegt. Die Beschwerdeführerin bzw. der Beschwerdeführer wird im Anschluss über die Ergebnisse informiert. In Malta veröffentlicht der Government Information Service, bei dem auch die EBN „153“ angesiedelt ist, eine „Quality Service Charter“, die u.a. folgende Verpflichtungen beinhaltet: Der Anruf wird sofort und höflich beantwortet; die Informationen aus der Datenbank sind richtig und auf dem neuesten Stand. Die Einführung dieser Service-Charta erhöhte den Bekanntheitsgrad der EBN. Bei „D115“ ist ein wesentlicher Aspekt ein definiertes Serviceversprechen, das über einheitlich definierte Kennzahlen in allen Servicecentern sichergestellt wird. Das Serviceversprechen an die Bürger umfasst Bereiche wie einheitliche Öffnungszeiten, eine zugesicherte Fallabschlussquote von derzeit mindestens 65 Prozent (anfänglich lag sie bei 55 Prozent) und eine zugesicherte Auskunftstiefe. Bei „D115“ werden Standards und Prozesse weiterentwickelt sowie Schulungen und Kundenbefragungen als Teil eines kontinuierlichen Ver- 12 13 14 Überprüfung der Qualität der Call-Center-Leistungen anhand automatisierter Kennzahlen. Regelmäßige Statistiken. Testanrufe, bei denen die Qualität der Auskünfte anhand vorgegebener Kriterien beurteilt wird. 56 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union besserung durchgeführt. Das Qualitätsmanagement wird bei „D115“ in einer eigenen Arbeitsgruppe aus Kundensicht kontinuierlich weiterentwickelt und innerhalb des Verbundes abgestimmt. Eine ebenso enge Qualitätsüberprüfung ist auch bei Auslagerungen der ersten und/oder zweiten Auskunftsebene an Dritte erforderlich. Hierbei verfolgen z.B. Frankreich und Spanien unterschiedliche Vorgehensweisen. In Frankreich werden alle gängigen Instrumente zum Qualitätsmanagement eingesetzt, um die privaten Dienstleister eng überwachen zu können. Das ist besonders relevant, da Technik und Personal an verschiedene Anbieter ausgelagert wurden. Bei „060“ in Spanien werden nur Fehler- und Beschwerdemanagement und Activity Reports genutzt, was sich dort für die Überwachung von ausgelagerten Services als nicht ausreichend erwiesen hat. So zeigte sich, dass bei „060“ nach der Auslagerung der ersten Auskunftsebene an einen privaten Dienstleister zunächst Probleme mit der Servicequalität der erbrachten Leistungen bestanden. Dabei stellte sich heraus, dass das Personal nicht ausreichend qualifiziert war. Als Folge müssen die Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter, die ab Mai 2010 vom neu beauftragten Dienstleister eingesetzt werden, die Eig- Sanktionsmechanismen „Mystery Questions“ X X X X X X Wallonien X X X X Dänemark X Deutschland X europe direct X Frankreich Evaluierungen X X X X X X X X X X Griechenland X X X X Irland X X X Italien X X Malta X X N Postbus 51 X + X + X X X X + X X X + X X X + X X X X + X X X X X X 57 X Überdurchschnittliches Qualitätsmanagement Berichtswesen B Activity Report Benchmarking Flandern Staat Fehler- und Beschwerdemanagement Monitoring nungsprüfung für Angestellte des Öffentlichen Dienstes absolvieren. X X + X IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union L Antwoord X X Slowenien X X Spanien X X Ungarn X X X X X X Darstellung 22: Überblick über eingesetzte Instrumente zum Qualitätsmanagement Öffentlichkeitsarbeit In Belgien (Flandern und Wallonien), Frankreich, Griechenland, Italien, den Niederlanden (Antwoord), Slowenien und Spanien werden umfassende Werbekampagnen durchgeführt, um die EBN im Land bekanntzumachen. Am häufigsten werden das Internet (u.a. Bannerwerbung und Videos bei YouTube) und Anzeigen in Zeitungen oder Zeitschriften für die EBN eingesetzt, gefolgt von Broschüren/Flyern, Radio- und Fernsehwerbung, Plakataktionen und Aufklebern (vgl. Darstellung 23). Zusätzlich werden die Lösungen (z.B. Linea Amica) auf Konferenzen oder Messen präsentiert. Nur wenige Werbekanäle werden für „Postbus 51“ in den Niederlanden, den Citizens’ Information Phone Service in Irland und „189“ in Ungarn genutzt; geworben wird vorrangig im Internet und in Zeitschriften. In Irland werden in Postämtern zusätzlich kleine Kärtchen und Magnetpins mit der EBN verteilt. Für das Borger.dk’s Service Contact Center in Dänemark wird nur über das Internet und für „Freephone 153“ in Malta nur mit Anzeigen in Zeitschriften und Tageszeitungen geworben. Die Öffentlichkeitsarbeit des deutschen Projekts „D115“ steht vor der Herausforderung, für die zahlreichen Verbundpartner, die auf freiwilliger Basis zusammenarbeiten, ein Konzept umzusetzen. Mittels einheitlichem Erscheinungsbild (Logo, Corporate Design, Visuals) und einheitlicher Sprache (Textbausteine, koordinierte Pressearbeit, Informationsmaterial) wird „D115“ als Marke entwickelt. Die konzipierten Maßnahmen sind entsprechend umfangreich, die vom einheitlichen Soundbranding (Stimme und Musik) für alle Verbundpartner bis zu diversen Werbe- und Kommunikationsmaßnahmen reichen (Infofilme, YouTube-Spot, Radiospots, Online-Werbung, Newsletter, Flyer, Informationsbroschüren, Plakate, Give-aways wie Kugelschreiber, Aufkleber etc.). Die Maßnahmen und Instrumente werden vom Bund mit den Verbundpartnern gemeinsam entwickelt, die dann lokal umgesetzt werden, wobei übergreifende Werbemaßnahmen durch das Bundesministerium des Innern finanziert werden. 58 X X X Wallonien X X X Internetwerbung Plakate B Anzeigen Radio- und Fernsehwerbung Flandern Staat Aufkleber Broschüren/ Flyer IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union X X X X X Dänemark X Deutschland X europe direct X Frankreich X X X X X Griechenland X X X X X X X X X Irland X X x X X X Italien X X X X Malta N L X X Postbus 51 X Antwoord X X X Slowenien (Halo uprava! und Planung) X X X Spanien X X X Ungarn X X X X X X X X X X X X X Darstellung 23: Überblick über genutzte Werbemittel 4.3 Analyse Aus der vergleichenden Untersuchung zur organisatorischen Umsetzung können CallCenter-Strukturen nur länderspezifisch erklärt werden. Denn es gibt per se keine optimalen Call-Center-Strukturen und Betreibermodelle, da deren Wirkung nur im jeweiligen Kontext eines Landes zu beurteilen ist. Die Länder, die für die Realisierung ihrer EBN beispielsweise nur ein nationales Call Center eingerichtet haben, sind meist kleinere EU-Mitgliedstaaten (Teilregionen in Belgien oder Malta) und der Großteil der Verwaltungsleistungen wird ohnehin auf nationaler Ebene erbracht. Auch Betreibermodelle sind nur im Einzelfall zu beurteilen: Ob beispielsweise in einem EUMitgliedstaat eine Auslagerung zur besseren Leistungserbringung führt, kann nur länderspezifisch beurteilt werden. Deshalb wird die Gesamtbeurteilung der organisatorischen Umsetzung anhand der Themen Öffentlichkeitsarbeit, Qualitätsmanagement und Gebühren vorge- 59 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union nommen. Je nachdem, ob diese Bereiche gut ausgeprägt und entwickelt sind, ergibt sich folgende Einteilung: Belgien (Flandern) ist als fortgeschritten (Gruppe 1) einzuschätzen. Belgien (Wallonien), „europe direct“, Niederlande (Postbus 51) und Slowenien zeichnen sich insbesondere durch eine gebührenfreie Rufnummer sowie eine umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit oder Stärken beim Qualitätsmanagement aus (Gruppe 2). Gewisser Nachholbedarf bei der Umsetzungsorganisation besteht in Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Malta, Niederlande (Antwoord) Spanien und Ungarn (Gruppe 3). Diese Länder weisen Stärken nur in einem oder gar keinem Bereich auf. Gebührenfreie EBN Qualitätsmanagement Öffentlichkeitsarbeit Gesamt Gruppe Die folgende Darstellung liefert einen Überblick zur Umsetzungsorganisation. Flandern X X X 3 1 Wallonien X X 2 2 1 3 2 2 2 2 EU-Mitgliedstaat B Dänemark X Deutschland Europe direct X X X X Frankreich X X 2 2 Griechenland X X 2 2 Irland X 1 3 Italien X 2 2 1 3 X 2 2 X 1 3 X 2 2 X 1 1 0 3 Malta X Postbus 51 NL X X Antwoord Slowenien X* Spanien Ungarn Darstellung 24: Überblick über Stand der Umsetzungsorganisation 4.4 Bewertung Innovationspotenzial Zwar kann aus der Call-Center-Struktur und Betreiberform wegen deren Länderspezifik nicht unmittelbar Innovationspotenzial erschlossen werden, allerdings gibt es einige Anregungen. 60 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Deutschland bietet Innovation, was die interkommunale Zusammenarbeit bei dezentraler Serviccenter-Struktur angeht. Auch die Verbundstruktur in Deutschland ist im europäischen Vergleich als einzigartig zu charakterisieren, die Vorbildcharakter für dezentrale Servicecenter-Organisation liefert. Bzgl. des Betreibermodells bieten andere EU-Staaten für Deutschland Anregungspotenzial hinsichtlich der Auslagerung der ersten Auskunftsebene. Besonders kleinerer Kommunen kann der Aufbau von Servicecentern aufwändig sein, so dass die Beauftragung eines privaten Trägers durchaus eine Option sein könnte. Das heißt, nicht nur die IT-Infrastruktur, sondern auch die Ausführung der Prozesse im Servicecenter könnten von privaten Trägern erbracht werden. Eine Auslagerung der ersten Auskunftsebene kann dazu beitragen, den flächendeckenden Ausbau von „D115“ voranzutreiben. Länder mit ausgelagerter erster Auskunftsebene sind Belgien, Frankreich, Griechenland, Malta, Niederlande (Postbus 51), Slowenien, Spanien und Ungarn. Größeres Innovationspotenzial für Deutschland ergibt sich aus den Niederlanden (Antwoord), wo versucht wird, die kommunalen Call Center in einer Art Franchise-System zu steuern. Das von dem ICTU entwickelte Konzept von „Antwoord“ in den Niederlanden leistet einen wichtigen Beitrag zum Ausbau des Antwoord-Systems. Kommunen werden beim Aufbau eines Call Centers intensiv unterstützt. Dadurch werden Vorbehalte gegenüber einer Beteiligung an dem Antwoord-Projekt reduziert. Derzeit befindet sich „D115“ in einer ähnlichen Phase wie „Antwoord“. Es geht nicht mehr nur darum, bereits bestehende kommunale Call Center zu integrieren, sondern Kommunen sollen neue Call Center aufbauen und diese in den D115-Verbund integrieren. Hierbei könnte der Bund die Funktion als Franchisegeber wahrnehmen und die Kommunen die Franchisenehmer sein; die Vermarktung kann dann noch stärker als bisher unter einer einheitlichen „Dachmarke“ „D115“ erfolgen. Innovationspotenzial für Deutschland sind auch die Breite und Vielfalt der Öffentlichkeitsarbeit. In Deutschland liegt zwar eine Vielfalt von Instrumenten vor, diese kommen aber noch nicht in der Breite wie in anderen EU-Mitgliedstaaten zum Einsatz. Mehrere Beispiele für umfassende Öffentlichkeitskampagnen bei der Einführung von einheitlichen Rufnummern sind im EU-Mitgliedstaaten-Vergleich besonders aufgefallen: Die PR-Kampagnen für „Linea Amica“ in Italien, die koordinierte Öffentlichkeitsarbeit zur Information der niederländischen Bevölkerung über die einheitliche Rufnummer von „Antwoord“ sowie die Werbekampagnen, die bereits die Pilotphase von „39 39“ in Frankreich begleiteten. Gute Beispiele für die Öffentlichkeitsarbeit gibt es auch in Irland und Malta. Für Deutschland bieten insbesondere die Länder Innovationspotenzial, die einen breiten Instrumentenmix nutzen. 61 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Europäisierungspotenzial Im Hinblick auf die Europäisierung der EBN zeigt sich, dass eher ein zentrales nationales Call Center vorteilhaft ist, insbesondere wenn sie mit einer länderübergreifenden Kooperation einhergeht, da sich die Anzahl der Kooperationspartner verringert. Auch ist es bei wenigen Call Centern eher möglich, sich auf Standards zu einigen, wenn es bspw. um die länderübergreifende Weiterleitung geht. Aus Sicht von „D115“ sind grenzübergreifende Kooperationen vorstellbar – z.B. Kooperationen zwischen einzelnen Kommunen in Deutschland und in den Niederlanden, die beide über dezentrale Call-Center-Strukturen verfügen. Bezugnehmend auf die Gebührengestaltung ist die formale Anforderung für die Einführung einer europäischen „116“-Rufnummer (116 115), dass diese gebührenfrei ist, was dann auch für Deutschland zu beachten wäre. Im Hinblick auf die Europäisierung der EBN ist Qualitätsmanagement insofern relevant, als hierdurch für das Angebot einer europäischen „116“-Rufnummer (116 115) eine Verbesserung im europäischen Maßstab möglich ist. Denn Instrumente des Qualitätsmanagements kommen in allen Ländern zum Einsatz. Es könnte auch ein EU-weites Benchmarking für die nationalen EBN eingesetzt werden, um ein länderübergreifendes Lernen als Grundlage für die Qualitätsverbesserung zu nutzen. Nicht zuletzt spielt bei der Etablierung einer europaweiten „116“-Rufnummer (116 115) auch Öffentlichkeitsarbeit eine Rolle, die – wie bei „europe direct“ – europaweit erfolgen kann. Dabei können auch in den jeweiligen Nationalstaaten die bereits bestehenden Formen der Öffentlichkeitsarbeit auch für eine europäische „116“-Rufnummer genutzt werden. 62 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union 5 Gesamteinschätzung mit weitergehender Analyse Um insgesamt den Entwicklungsstand bzgl. der EBN in den EU-Mitgliedstaaten wiederzugeben, ist eine Gesamteinordnung der einzelnen EU-Mitgliedstaaten erforderlich. Grundlage hierfür bildet eine Gruppierung, in der die Ergebnisse bei der Vertriebs- und Produktionssicht sowie der organisatorischen Umsetzung berücksichtigt werden. Insgesamt zeichnet sich für die EU 27 folgendes Bild ab: Die Gruppe 1 bilden die Staaten, die in allen drei Gestaltungsbereichen (Vertrieb, Produktion und Umsetzungsorganisation) gut entwickelt sind und nur in Einzelaspekten der jeweiligen Gestaltungsbereiche Verbesserungsbedarf haben. Hierzu zählen Belgien mit Flandern und Griechenland. In Gruppe 2 sind die Staaten eingeordnet, die in zwei von drei Gestaltungsbereichen gut entwickelt sind. Hierzu zählen Deutschland, Italien, Malta, die Niederlande mit „Postbus 51 Informatiedienst“ und „Antwoord“, Slowenien und Spanien. Zur Gruppe 3 gehören die Staaten, die in mindestens einem Bereich von Vertrieb, Produktion, Umsetzungsorganisation gut entwickelt sind. Hierzu zählen Belgien (mit Wallonien), Dänemark, Frankreich, Irland und Ungarn sowie die einheitliche Rufnummer „europe direct“. Gruppe 4 bilden die Staaten, die sich bereits in konkreter Planung befinden. Hierzu zählen EU-Mitgliedstaaten, deren EBN sich im Vorbereitungs- oder Planungsstadium befindet, dass über die bloße Ankündigung hinausgeht. Hierzu gehören folgende Staaten: Finnland, Lettland, Portugal, Schweden, die Slowakische Republik, Zypern. Gruppe 5 sind die Staaten, die keine Aktivitäten in Sachen EBN aufweisen und in denen in naher Zukunft auch keine Aktivitäten zu erwarten sein werden. Dazu gehören folgende Staaten: Bulgarien, Estland, Litauen, Österreich, Polen, Rumänien, die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich. Deutschland kann im Vergleich mit den EU-Mitgliedstaaten insgesamt in einem guten vorderen Feld eingestuft werden. Das begründet sich vornehmlich in seiner Produktionsstärke (Ticket-System und standardisierte Wissensbestände). Gewisser Nachholbedarf und folglich besondere Lernpotenziale bestehen im Vertrieb, wenngleich Deutschland bei der Angebotsbreite einer der führenden Staaten ist. Die Einteilung in Gruppen ist nicht als strenges Ranking zu verstehen. Zu unterschiedlich sind die Ausgangsbedingungen der EU-Mitgliedstaaten, woraus unterschiedliche Ausprägungen für Call Center resultieren. So ist bspw. Griechenland zwar in der Umsetzung der EBN fortgeschritten, dort gibt es jedoch aufgrund der Größe des Staates und der Verwal63 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union tungsstruktur nur zwei Call Center. Damit sind in Griechenland bestimmte Gestaltungsanforderungen deutlich leichter umzusetzen als bspw. in Deutschland, wo eine dezentrale Verbundlösung vorliegt. Trotzdem bietet die vorliegende Einordnung eine gute Grundlage, um den Entwicklungsstand insgesamt einzuschätzen. Denn sie stellt eine deutlich weitergehende Analyse als die sonst üblichen E-Government-Vergleichsstudien (vgl. kritisch hierzu: Bannister 2007) dar. Hier wird in der Regel nur die Vertriebssicht abgebildet und sich dabei nur auf einige Bereiche (z.B. Information, Kommunikation, Transaktion) beschränkt. Die hier in dieser Studie einbezogene Produktionssicht wird in der Regel ausgeblendet, weil sie hohen Erhebungsaufwand bedeutet, der nicht selten von den Auftraggebern einer Studie aus Kostengründen gescheut wird. Der Vergleich der Entwicklungsstände in den EU-Mitgliedstaaten mit dem Zeitpunkt der Einführung liefert weitere Aufschlüsse: So ist z.B. Belgien mit Wallonien, wo als erstes eine EBN eingeführt wurde, aus der Vertriebs- und der Produktionsperspektive hinter den anderen Staaten deutlich zurückgeblieben. Hier hat es seit der Einführung der EBN nur wenige Weiterentwicklungen gegeben. Hingegen haben Griechenland und Ungarn, die erst viel später mit der Umsetzung der EBN begonnen haben, einen besseren Umsetzungsstand erreicht. Offenbar wirken nach der Etablierung einer EBN die eingeschlagenen Pfade so stark, dass sie wenig Spielraum für Weiterentwicklungen zulassen. Für eine weitere länderbezogene Einordnung der Entwicklung der EBN bietet sich ein Vergleich mit dem Umsetzungsstand im E-Government an. Es ist nun möglich einzuschätzen, ob diejenigen Länder, die weit in der Umsetzung einer EBN vorangeschritten sind, auch im E-Government zu den Vorreitern zählen. Es zeigt sich, dass Staaten, die als gut entwickelt im E-Government gelten, nicht unbedingt Vorreiter bei der Umsetzung der EBN sind. Slowenien und Malta bilden die Ausnahme, was in beiden Fällen auf die geringe Größe des Staates zurückgeführt werden kann. 64 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Darstellung 25: Länderüberblick hinsichtlich Umsetzungsstand EBN und Umsetzungsstand von E-Government (Quelle: in Anlehnung an Capgemini 2009) So haben Österreich, Estland, Portugal, Schweden oder Finnland bisher keine EBN umgesetzt, gelten jedoch generell im europäischen E-Government-Vergleich als fortgeschritten. Staaten wie Griechenland, die Niederlande, Belgien oder auch Deutschland, die bei den EGovernment-Rankings eher im hinteren oder im Mittelfeld liegen, haben dagegen fortschrittliche Lösungsansätze bei der EBN. Es gibt nur einen geringen Zusammenhang zwischen Staaten, die bereits eine EBN umgesetzt haben und ihrem jeweiligen Stand im EGovernment. Insgesamt besteht besonderes Innovationspotenzial für Deutschland aus dem europäischen Vergleich im Bereich der Umsetzungsorganisation. Schwächen bestehen im Vertrieb, jedoch nicht in der Angebotsbreite, die ein Indiz für ausgeprägte Kooperation ist, was sich dann auch bestätigt. Denn im Vergleich zu den anderen Staaten weist Deutschland Stärken im Bereich der Produktion auf. Insbesondere ist die ebenenübergreifende Kooperation trotz föderaler Strukturen – zumindest für die Pilotphase – gelungen. Bei der Kooperation sind v.a. das Ticket-System und die standardisierte Wissensbasis hervorzuheben. Deutschland hat im europäischen Vergleich die anspruchsvollste Verbundstruktur von Servicecentern, weil sie kommunal organisiert sind. Hieraus resultiert im Gegenzug die Notwendigkeit zur Kooperation. Welche Innovationspotenziale aus dem Vergleich der EU 27 sichtbar wurden, sind in der folgenden Darstellung zusammengefasst: 65 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Innovationspotenzial für Deutschland Vertriebssicht Produktionssicht Umsetzungssicht Herkunftsländer Erweiterte Angebotstiefe Belgien (Flandern), Griechenland, Italien Multi-Kanal-Ansatz Belgien (Flandern und Wallonien), Irland Zeitliche Erreichbarkeit Frankreich, Griechenland, Spanien, Ungarn Erweiterung in Krisensituationen Niederlande (Postbus 51), Italien Auslagerung Belgien (Flandern), Frankreich, Griechenland, Malta, Niederlande (Postbus 51), Slowenien, Spanien, Ungarn Franchising Niederlande (Antwoord) Öffentlichkeitsarbeit Frankreich, Irland, Italien, Malta, Niederlande (Antwoord) Darstellung 26: Überblick über Innovationspotenzial für Deutschland (Good Practices) Deutschland bietet für die untersuchten EU-Mitgliedstaaten insbesondere Innovationspotenzial in den folgenden Bereichen: Produktionssicht Innovationspotenzial aus Deutschland Mögliche Empfängerländer Kooperation mit Back Office: TicketSystem Insbesondere z.B. Frankreich, Niederlande (Antwoord), Slowenien Standardisierte Informationsbeschreibung Alle EU-Staaten mit umgesetzter oder geplanter EBN Ebenenübergreifende Vernetzung Insbesondere Italien, Niederlande, Spanien Interkommunale Kooperation Insbesondere Niederlande, Italien, Spanien Umsetzungssicht Darstellung 27: Überblick über Innovationspotenzial aus Deutschland Zunächst sind die identifizierten Innovationspotenziale als Anregung für Verbesserungen zu verstehen. Welche Innovationspotenziale konkret für die Weiterentwicklung von „D115“ genutzt werden können, ist im Kapitel IV (Handlungsempfehlungen) weiter ausgeführt. Damit jedoch die Innovationen übertragen werden können, sind die Lösungen in ihrem Herkunftskontext zu verstehen. Fest steht, dass für reflektiertes Lernen Kontextfaktoren besonders zu berücksichtigen sind. Erst dann wird deutlich, unter welchen Rahmenbedingungen, Ausgangssituationen und Akteurskonstellationen eine Innovation zustande kam. Hierfür sind die EBN der Staaten, die für Deutschland besonders hohes Innovationspotenzial bieten, näher in Fallstudien beschrieben. 66 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union III. Vertiefende Betrachtung ausgewählter Fälle In diesem Kapitel wird eine vertiefte Fallanalyse ausgewählter Länder mit EBN vorgenommen. Hierdurch soll ein weitergehendes Verständnis bei der Umsetzung einer EBN erreicht werden. Auf diese Weise werden länderspezifische Entstehungs- und Entwicklungskontexte berücksichtigt, sodass ein reflektiertes Lernen möglich ist. Im Ergebnis der Falluntersuchung werden die EBN der untersuchten EU-Mitgliedstaaten in Innovationstypen eingeteilt. Das trägt zur Einordnung einer Good-Practice-Lösung und damit zur erfolgreichen Übernahme bei. Für die Fallanalyse wurden Frankreich, Italien, Niederlande und Spanien ausgewählt. Die Auswahlkriterien waren Anzahl an Einzelinnovationen, Strukturähnlichkeit der Verwaltungssysteme sowie Größe des Staates. Ein weiteres Auswahlkriterium war die räumliche Nähe zu Deutschland, die insbesondere für grenzübergreifende Kooperation relevant ist. Die Datenerhebung erfolgte auf Basis einer weitergehenden Auswertung der Fragebögen, Projektberichten, Telefoninterviews v.a. zu Entstehungssituation, Implementationsverlauf und Verwaltungsstrukturen. Die aus dieser Vorgehensweise bedingten Wiederholungen von Einzelinformationen aus Kapitel II werden zugunsten einer verständlichen Falldarstellung in Kauf genommen. Insgesamt wurden acht vertiefende leitfadengestützte Interviews zur weitergehenden Fallerhebung durchgeführt. Interviewpartner waren Projektleiter und Projektverantwortliche in den zuständigen Ministerien und Behörden. Die Falldarstellungen wurden den Interviewpartnern in den jeweiligen Staaten zur Abstimmung zugeschickt, sodass hierdurch die Richtigkeit der Fälle noch verifiziert wurde. Die Fallstudien sind jeweils wie folgt gegliedert: Zuerst wird die Ausgangslage mit den für die EBN relevanten Rahmenbedingungen beschrieben. Danach werden die jeweiligen in einem Staat typischen Kernmerkmale der Vertriebs-, Produktions- und/oder Umsetzungsgestaltung dargestellt. Es folgt eine Analyse des Implementationsverlaufs des Projektes, der weiteren Aufschluss über das „Wie“ der Entstehung der Innovation liefert. Abschließend wird für jeden Fall eine länderbezogene Analyse im Hinblick auf herausragende Merkmale und im Vergleich zu Deutschland vorgenommen. 67 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union 1. Frankreich – Allô Service Public 39 39 1.1 Ausgangslage und Rahmenbedingungen 2005 wurde in Frankreich die einheitliche Rufnummer „39 39“ eingeführt. Vor der Einführung dieser landesweiten Rufnummer gab es bereits einige Call Center in wichtigen Ministerien Frankreichs, die jedoch jeweils nur unter – für die Bürgerinnen und Bürger sehr unübersichtlichen – separaten Rufnummern zu erreichen waren. Des Weiteren mussten die Bürgerinnen und Bürger z.T. lange Wartezeiten in Kauf nehmen und weite Wege zurücklegen, um Informationen zu Unterlagen z.B. für bestimmte Antragstellungen zu erhalten. Ziel der „39 39“ war es daher, die Bürgerorientierung zu erhöhen und zu einem modernen, positiven Bild der öffentlichen Verwaltung beizutragen. Insbesondere für die Bevölkerung in abgelegenen Regionen sollte der Zugang zu öffentlichen Leistungen erleichtert werden. Des Weiteren sollten die Mitarbeiter in den öffentlichen Verwaltungen vor Ort dadurch entlastet werden, dass einfache Anfragen zu Verwaltungsleistungen bereits über „39 39“ beantwortet werden können. Die Anregung, eine EBN in Frankreich einzuführen, kam aus Kanada, wo die einheitliche Rufnummer „1800 O – Canada“ bereits 1998 eingeführt wurde. Die Einführung der EBN „39 39“ war ein prioritäres Vorhaben des E-GovernmentAktionsplans 15 , durch den die französische E-Government-Strategie „ADELE“ („ADministration ELEctronique“) für die Jahre 2004-2007 umgesetzt wurde. Der telefonische Kanal als Zugang zu Informationen und öffentlichen Leistungen ist auch Teil einer Multikanal-Strategie. 16 Neben dem Telefon gibt es als weiteren Kanal das Webportal (www.service-public.fr) mit ergänzenden Informationen. Die Planungen für die Einführung der EBN begannen bereits kurz nach der Einführung des E-Government-Portals www.service-public.fr im Jahr 2000, sodass beide Kanäle – Webportal und Telefon – von Beginn an als gleichberechtigte Zugänge zu Informationen über die öffentliche Verwaltung und ihren Leistungen angesehen wurden. 1.2 Gestaltung „39 39“ ist ein Verbund von gegenwärtig sechs Call Centern auf nationaler Ebene, die in zwei Auskunftsebenen gegliedert sind. Die Anrufe gehen bei dem Call Center ein, das für das Gebiet zuständig ist, aus dem der Bürger anruft. Der Anruf wird von den Call-CenterMitarbeiterinnen und -Mitarbeitern der ersten Auskunftsebene entgegengenommen und der 15 16 E-Government-Aktionsplan: Dienstleistungen für den Bürger – Kontaktaufnahme zur öffentlichen Verwaltung: ADELE 37: Die einheitliche Rufnummer „39 39, Allô Service Public“ siehe: The Prime Minister (o.J.): ADministration ELEctronique 2004 – 2007, The ADeLE Project - making life simpler for you!, S. 39 und Premierministre (o.J.): Dossier de presse, ADministration ELEctronique 2004-2007, S. 52. http://interactif.service-public.fr/cgi-bin/posez_question/akio.cgi?page=posez_question/question-droitdemarche.html (Zugriff: 10.02.2010). 68 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Zweck des Anrufs geklärt. Anfragen zum Themenbereich Steuern, werden an das Call Center des Steuer-Servicecenters (zweite Auskunftsebene) 17 weitergeleitet, Anfragen zum Verbraucherschutz werden telefonisch und via Ticket an das Call Center des Verbraucherservices (ebenfalls zweite Auskunftsebene) weitergeleitet. Alle anderen Anfragen werden durch die CallCenter-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter der ersten Auskunftsebene mittels der gemeinsamen Wissensdatenbank möglichst abschließend beantwortet. Ist die Anfrage zu spezifisch, wird diese telefonisch an das Call Center des Zentrums für Behördeninformationen in Metz (CIRA, zweite Auskunftsebene) 18 weitergeleitet. Dieses Call Center ist neben spezifischen Anfragen zu Verwaltungsleistungen vornehmlich auf Fragen zu den Themen Arbeitsrecht, Justiz, Wohnungs- und Städtebau spezialisiert. Bei Anfragen, die nicht in die Zuständigkeit von „39 39“ fallen, wird auf die zuständige Behörden, externe Servicestellen oder das Internetangebot verwiesen. Das Call Center hat keine Möglichkeit den Anruf an zuständige Behörden auf der nationalen, regionalen oder lokalen Ebene weiterzuleiten. Derzeit wird jedoch im Rahmen eines Pilotprojektes die Weiterleitung von Anliegen per Telefon und über das Workflowmanagement-System von „39 39“ an die zuständige Fachbehörde getestet. Betreiber der einheitlichen Rufnummer „39 39“ und des Webportals www.service-public.fr ist La Direction de l’information légale et administrative (DILA) 19 , die auch den Betrieb finanziert. Die DILA ist dem Generalsekretariat (vergleichbar mit dem Bundeskanzleramt in Deutschland) unterstellt. 20 Die Lenkungs- und Überwachungsfunktion für E-Government-Projekte – und somit auch für „Allô Service Public 39 39“ – hat die Ende 2005 gegründete Generaldirektion für Staatsmodernisierung (DGME 21 ) inne, die zum Geschäftsbereich des Ministeriums für Haushalt, öffentliche Finanzen, den öffentlichen Dienst und Staatsreform (Ministère du budget, des comptes publics, de la fonction publique et de la réforme de l'État) gehört. Die EBN „39 39“ unterscheidet sich von den untersuchten EBN in den anderen Ländern (EUStaaten) dadurch, dass bereits seit der Pilotphase die erste Auskunftsebene an einen privaten Dienstleister ausgelagert wurde. Das Unternehmen Phone Marketing (jetzt: Marketingroup) stellte im Auftrag der ADAE 22 das erforderliche Personal, das auf Telefon- 17 18 19 20 21 22 http://vosdroits.service-public.fr/F2530.xhtml (Zugriff: 03.02.2010). Ende 2009 waren dies neun Zentren für Behördeninformationen; http://www.senat.fr/rap/a08-104-6/a08-104-64.html (Zugriff: 04.02.2010). http://www.dila.premier-ministre.gouv.fr/missions/information-administrative.html (Zugriff: 03.02.2010). http://www.dila.premier-ministre.gouv.fr/qui-sommes-nous/dila.html (Zugriff: 05.02.2010). DGME – La direction générale de la modernisation de l’État. ADAE – Agence pour le développement de l'administration électronique. Sie wurde 2003 zur Umsetzung der ADELEStrategie gegründet und wurde 2005 mit einigen anderen Agencies und Direktionen unter dem Dach der DGME zusammengelegt; http://www.modernisation.gouv.fr/dgme/decouvrir-la-dgme/index.html (Zugriff: 03.02.2010). 69 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union marketing spezialisiert war 23 , sowie die technische Plattform bereit. Für die Konzeption und Realisierung der technischen Infrastruktur (Annahme der Anrufe, Weiterleitung) war der französische Telekommunikationsbetreiber Prosodie zuständig, der auf Customer-RelationshipManagement-Services spezialisiert ist. 24 Die technischen Leistungen für die Rufnummer „39 39“ werden von der DILA alle drei Jahre neu ausgeschrieben. So wurden nach Abschluss des Pilotbetriebs die Unternehmen B2S und Jet Multimédia France für drei Jahre mit dem Betrieb des Call Centers beauftragt. Jet Multimédia France stellt die technische Infrastruktur, wie Software, ADC/CTI etc. und übernimmt deren Wartung. B2S ist für die Bearbeitung der Anrufe zuständig und stellt die Call-Center-Mitarbeiter. 25 Seit 2009 werden die technischen Aufgaben, wie z.B. die Sammlung und Verteilung der Anrufe, von SFR (ursprünglich Société Française de Radiotéléphonie), dem zweitgrößten Mobilfunkanbieter Frankreichs, erbracht. Der Verbund der speziellen Call Center der zweiten Auskunftsebene sowie die zur Beantwortung der Anfragen genutzte Wissensdatenbank werden technisch ebenfalls von SFR betreut. Wie bereits nach Beendigung der Pilotphase stellt das Unternehmen B2S auch derzeit das Call-Center-Personal der ersten Auskunftsebene. Der Bereich Personal der Call Center der zweiten Auskunftsebene wird nicht auslagert; dort arbeiten Verwaltungsmitarbeiter aus den jeweiligen Fachverwaltungen sowie Mitarbeiter der DILA. Neben der Auslagerung gehörte eine umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit bereits in der Pilotphase zu den besonderen Merkmalen von „Allô Service Public 39 39“. Um „Allô Service Public 39 39“ bekanntzumachen, wurde eine umfangreiche Werbekampagne mit Radio- und TVSpots bei den wichtigsten nationalen Sendern, auf den wichtigsten Websites der Regierung, z.B. auf www.service-public.fr, und auf den Portalen der Verwaltungsbezirke sowie in gedruckter Form (Flyer und Tageszeitungen) und auf Plakaten durchgeführt. Für die einheitliche Rufnummer „39 39“ wurde auch in mehreren Informationsbroschüren zur ADELEStrategie und deren Maßnahmen geworben. Für die ständige Werbekampagne wurde ein eigener Slogan entwickelt: „Die erste Antwort auf Ihre Fragen rund um die Verwaltung – 39 39“ (La première réponse à vos questions administratives – 39 39). In der Testregion Rhône-Alpes wurde vor allem in den Radio- und Fernsehnachrichten für „39 39“ geworben; die Darstellung der Vorteile von „39 39“ stand dabei im Vordergrund: Telefonischer Zugang zu allen Verwaltungsleistungen über eine einheitliche Rufnummer sowie hohe Qualität und Schnelligkeit der Antworten. 26 Zusätzlich wurden Werbespots bei den regionalen Radiosendern von France Bleu, NRJ, Nostalgie und Chérie FM für eine Dauer von 23 24 25 26 http://www.epractice.eu/node/283238 (Zugriff: 03.02.2010). http://www.asrnews.com/backissue/asrn1203.htm#Telephone%20-%20IVR%20Applications (Zugriff: 03.02.2010). http://www.senat.fr/rap/a08-104-6/a08-104-64.html (Zugriff: 08.02.2010). Ministère de la Fonction publique et de la Réforme de l‘État (o.J.): Dossier d‘information. La prèmiere réponse à vos questions administratives 39 39, S. 17-18. 70 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union zwei Wochen (sechs Spots pro Tag) geschaltet. In Fernsehzeitungen wurde in regelmäßigen Abständen eine halbseitige Anzeige veröffentlicht und über 20.000 Plakate und 300.000 Informationskärtchen im Kreditkartenformat wurden an öffentlichen Orten (in Postämtern, Rathäusern etc.) in der gesamten Region Rhône-Alpes aufgehängt bzw. ausgelegt. Diese Orte wurden gewählt, um den neuen Zugang zu Verwaltungsleistungen in den „traditionellen“ (Verwaltungs-)Räumen bekanntzumachen. Die Werbekampagne wurde vom 24. November 2003 bis 11. April 2004 durchgeführt. 1.3 Implementation und Ergebnisse Die Einführung von „39 39“ wurde zentral durch die Agency für die Entwicklung des EGovernment (ADAE) gesteuert. Sie war u.a. für das Projektmanagement, die Koordination der Zusammenarbeit mit anderen Projektpartnern (z.B. den Betreibern der Call Center auf der zweiten Ebene) und den landesweiten Roll-out zuständig. Die einheitliche Rufnummer „39 39“ wurde in mehreren Phasen umgesetzt. Nach Abschluss der Konzeptionsphase 2003 wurde in der Region Rhône-Alpes – eine der größten Regionen Frankreichs und repräsentativ für die Vielfalt administrativer Tätigkeiten und Verwaltungsgebiete – das System für sechs Monate pilotiert. Nach Auswertung der Erfahrungen des Piloten in der Region Rhône-Alpes wurde im Juli 2004 der Pilotbetrieb auf die Region Aquitaine ausgeweitet. Nach Abschluss der Pilotphase erfolgte dann ab Oktober/November 2004 die landesweite Einführung der „39 39“. Dabei wurde ein Verbund aus den neu aufgebauten und den bestehenden Call Centern der Steuerbehörde und der Generaldirektion für Wettbewerb, Verbraucherschutz und Betrugsbekämpfung (La direction générale de la concurrence, de la consommation et de la répression des fraudes – DGCCRF), die dem Ministerium für Wirtschaft, Industrie und Beschäftigung unterstellt ist, zu einem Verbundsystem (centre d’appel virtuel – CAV) integriert. Seit 2005 ist die einheitliche Rufnummer im Routinebetrieb. 2009 gingen bei der einheitlichen Rufnummer ca. 1,55 Millionen Anrufe ein. Damit liegt die Anzahl der Anrufe zwischen 6.500 und 7.500 pro Tag. 27 1.4 Beurteilung Insbesondere die Auslagerung der ersten Auskunftsebene, der technischen Infrastruktur der zweiten Auskunftsebene sowie die umfassenden Werbemaßnahmen treten bei dem „39 39“System als Good Practices hervor. 27 La Documentation française (2008): Trafic en hausse pour les deux plate-formes d’informations administratives de la Documentation française: Allô Service Public 3939 et Service-public.fr, http://www.ladocumentationfrancaise.fr/informations/ presse/2008/campagne-3939-servicepublic.pdf (Zugriff: 03.02.2010). 71 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union In Frankreich wird eine Multikanal-Strategie verfolgt. Dies spiegelt sich in der E-GovernmentStrategie ADELE wider, in deren Aktionsplan die Einführung der „39 39“ explizit erwähnt wurde. Mit der Einführung des E-Government-Portals www.service-public.fr im Jahr 2000 wurde parallel mit der Planung für die Einführung der einheitlichen Rufnummer begonnen. Im Ergebnis wurden beide Kanäle – Webportal und Telefon – von Beginn an als gleichberechtigte Zugänge zu Informationen über die öffentliche Verwaltung und zu ihren Leistungen angesehen. Ein Ausbau des Telefonsystems ist derzeit nicht vorgesehen. So gibt es keine Pläne z.B. für eine Kopplung von „39 39“ mit anderen Behördenrufnummern (z.B. zum Krisenmanagement) oder für eine Kooperation mit anderen Ländern. Auch der Ausbau der Angebotstiefe (z.B. die Bereitstellung von fallbezogenen Informationen) oder die Möglichkeit, mit dem Call Center über SMS Kontakt aufzunehmen, sind nicht geplant. Nach einem fünfjährigen Betrieb der EBN gibt es demzufolge wenig Weiterentwicklungen. Zu den Stärken des französischen Systems zählt der Einsatz umfassender Qualitätsmanagementinstrumente. Die am Verbund beteiligten Call Center werden wie bei „D115“ hinsichtlich der Einhaltung der Qualitätsstandards mittels Monitoring überwacht und kontrolliert. Zusätzlich werden die Anzahl der abgewickelten Anrufe, die Dauer der Gespräche sowie die Zufriedenheit der Anruferinnen und Anrufer evaluiert und in wöchentlichen und monatlichen Statistiken festgehalten. Dabei wird auch die zweite Auskunftsebene – die speziellen Call Center für Verbraucherinformationen, Steuerfragen und weitere Verwaltungsinformationen – in diese Evaluierungen einbezogen. Diese Statistiken werden analysiert und dienen der Erweiterung der eingesetzten Wissensdatenbank. Steigt die Zahl der Anfragen zu bestimmten Themen, werden diese mit den entsprechenden Antworten in die Wissensdatenbank (insbesondere in die FAQ-Liste) aufgenommen. Wenn ein beteiligtes Call Center die gesetzten Qualitätsstandards nicht einhält, werden im Unterschied zu „D115“ Sanktionsmechanismen 28 eingesetzt. Bei „D115“ werden bei Qualitätsabweichungen die Call-Center-Leiter informiert und aufgefordert, dies zu verbessern („weiche“ Sanktionsmechanismen). Hinsichtlich der Angebotsbreite ist „3939“ weniger weit entwickelt als „D115“. Es werden nur Informationen zu Leistungen der nationalen Ebene abgegeben. In Bezug auf die lokale Ebene werden nur Ansprechpartner und Rufnummern bereitgestellt, während Informationen zur regionalen Ebene gar nicht verfügbar sind. Damit fehlen der „39 39“ wichtige Themenbereiche in ihrem Angebot. Möglicherweise hängt die fehlende Einbindung der Kommunen auch mit deren Autonomiezugewinn der letzten Jahre zusammen, die sie im Rahmen von Dezentralisierungen erhalten haben. Französische Kommunen sind für die Bereiche Sozialhilfe, Bildung, Kultur und Sport, Gesundheit, Wirtschaftsförderung sowie Städteplanung und Raum28 Werden z.B. weniger als 95 Prozent Anrufe angenommen, wird der Auszahlungsbetrag am Ende des Monats um 5 Prozent gemindert. 72 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union ordnung zuständig. 29 Der Einbezug weiterer Informationen zu Leistungen der lokalen Ebene und der Informationen der regionalen Ebene wird u.a. dadurch erschwert, dass es in Frankreich viele verschiedene Arten von lokalen und regionalen Gebietskörperschaften gibt, wodurch die Zahl der zu beteiligenden Akteure sehr hoch ist. Da die regionale Ebene bisher gar nicht einbezogen ist, ist bei „39 39“ von einer sehr geringen Ausprägung der vertikalen Kooperation zu sprechen. Die Call-Center Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter greifen zwar auf eine gemeinsame Wissensdatenbank mit einer integrierten FAQ-Liste und einem Zuständigkeitsfinder zu, verfügen aber im Unterschied zu „D115“ über keinen standardisierten Leistungskatalog. Das oben genannte Ziel, gerade für die Bevölkerung in abgelegenen Regionen den Zugang zu öffentlichen Verwaltungsleistungen zu erleichtern, wurde nicht erreicht. Denn die Anruferzahlen aus dem Jahr 2009 zeigen, dass die meisten Anrufer Bewohner der Region Île-deFrance (rund um Paris) sind. Diese Region ist mit über elf Millionen Einwohnern die bevölkerungsreichste Region Frankreichs. 2. Italien – Linea Amica 2.1 Ausgangslage und Rahmenbedingungen Auslöser für den Aufbau von „Linea Amica“ war die starke Kritik an der Servicequalität der öffentlichen Verwaltung. Dies zeigten Ergebnisse mehrerer Umfragen aus den Jahren 2007 und 2008. So klagten die Befragten über lange Wartezeiten, unklare bzw. unbekannte Zuständigkeiten und Kompetenzüberlappungen, intransparente Entscheidungswege sowie die fehlende Vernetzung zwischen den verschiedenen Verwaltungen. Daher stand die kurzfristige und strukturelle Verbesserung der Servicequalität der Verwaltung auf der politischen Agenda und wurde auch im Wahlkampf 2008 thematisiert. Sowohl das Berlusconi-Bündnis „Popolo della Libertà“ wie auch das Mitte-Links-Bündnis versprachen eine Verbesserung der Qualität der öffentlichen Verwaltung im Falle des Wahlsieges. Nach dem Sieg des Berlusconi-Bündnisses wurde das Linea-Amica-Projekt vom neuen Minister initiiert und umgesetzt. Übergreifendes Ziel von „Linea Amica“ war es, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die öffentliche Verwaltung wiederherzustellen, in der Verwaltungsleistungen einfach und auch von zu Hause aus zu erreichen sind. Weitere Ziele lagen in der Verbesserung der Mitarbeiterqualifikation sowie in der Erhöhung der Kundenzufriedenheit. 29 Die Regionen wurden bereits 1955 geschaffen, waren aber lange Zeit nur eine dekonzentrierte Einheit der nationalen Planung. Im Jahr 1972 erhielten sie den Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft mit begrenzter Finanzhoheit, jedoch ohne eine direkte demokratische Vertretung. Erst die Dezentralisierungsgesetze vom März 1982 und Januar 1983 schufen eine echte Regionalstruktur und weisen der Region die Funktion einer Gebietskörperschaft zu, deren Aktivitäten jedoch von externen Instanzen (Präfekt der Region, Finanzstellen) kontrolliert wird. 73 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union 2.2 Gestaltung Die Bürgerinnen und Bürger können Informationen über das Telefon, die Website www.lineaamica.it oder physische Kontaktstellen der Behörden nutzen. „Linea Amica“ ist nicht als „Kopfstelle“ konzipiert, ersetzt also nicht die bestehenden Kontaktmöglichkeiten, sondern ergänzt diese. Anrufer erhalten über „Linea Amica“ nicht nur Informationen zu Leistungen der öffentlichen Verwaltung, sondern auch zu Bearbeitungsständen von Anträgen und zu personenbezogenen Daten. „Linea Amica“ verfügt über ein eigenes Kontaktzentrum mit insgesamt 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, das mit 695 Behörden aller Ebenen verknüpft ist. Wenn ein Anruf bei „Linea Amica“ eingeht, wird zunächst versucht, das Anliegen auf der ersten Auskunftsebene zu klären, was bei fast zwei Dritteln der Fälle auch gelingt. Die Fragen beziehen sich in der Regel auf Zuständigkeiten, gesetzliche Regelungen und Verfahrenswege. Die Call-Center-Agenten tragen die Grunddaten zur Anfrage und zum weiteren Umgang mit dem Anliegen in ein CustomerRelationship-Management-System (CRM) ein, falls Anliegen nicht sofort geklärt werden können. Kann die erste Auskunftsebene die Frage nicht beantworten, wird ein Ticket erstellt und an die zweite Auskunftsebene weitergeleitet (ca. 20% der Anrufer). Individuelle und sehr spezifische Anfragen (unter 3%) werden in der Regel an die zuständigen Ministerien und Behörden weitergegeben. Die politische Verantwortung für die einheitliche Behördenrufnummer und das gesamte Projekt „Linea Amica“ liegt beim Ministerium für öffentliche Verwaltung und Innovation (Ministero per la Pubblica Amministrazione e l'Innovazione). Das Ministerium hat Formez PA – „Centro servizi, assistenza, studi e formazione per l'ammodernamento delle P.A.“ (Zentrum für Weiterbildung und Studien) mit der Durchführung, Entwicklung und Betreuung des Netzwerks der an „Linea Amica“ teilnehmenden Behörden, mit der Öffentlichkeitsarbeit und mit der Evaluation beauftragt. Formez PA ist ein Verband in privatrechtlicher Form, dem das Ministerium für öffentliche Verwaltung und Innovation sowie Verwaltungen der regionalen, provinziellen und kommunalen Ebenen angehören. Die zentrale Aufgabe von Formez PA ist die Unterstützung der Mitgliedsverwaltungen v.a. bei der Einführung von organisatorischen und technischen Veränderungen, beim Bürokratieabbau, beim Einsatz neuer Technologien und bei der Prozessgestaltung. Der Verbund „Linea Amica“ umfasst derzeit 15 Hauptträger (u.a. Rentenversicherung, Steuerverwaltung, die Kommunen Rom und Mailand) und zahlreiche weitere Mitglieder auf allen 74 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Verwaltungsebenen. Eine Verwaltung, die sich an „Linea Amica“ beteiligt, verpflichtet sich, die folgenden Aufgaben zu erfüllen: Bereitstellung von „Frequently Asked Questions“ (FAQs), also häufig gestellten Fragen für Leistungen, die in der Zuständigkeit der jeweiligen Verwaltung liegen. Diese FAQs sind zurzeit wenig standardisiert; dies soll zu einem späteren Zeitpunkt geändert werden. Benennung von Ansprechpartnern in der jeweiligen Verwaltung, die mit den Mitarbeitern der zweiten Auskunftsebene zusammenarbeiten, um spezifische bzw. fallbezogene Anfragen zu beantworten. Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten auch bereit sein, in bestimmten Fällen mit den Bürgerinnen und Bürgern direkt in Verbindung zu treten. Regelmäßige Bereitstellung von Daten zur Zahl der Anrufer in der jeweiligen Verwaltung, über deren Anliegen, die genutzten Zugangskanäle und zur Zufriedenheit der Anrufer mit dem Service. „Linea Amica“ ist eine der EBN, die anlässlich eines Krisenfalls eine besondere Bedeutung erhalten hat. Nach dem Erdbeben in den Abruzzen im April 2009 hatte „Linea Amica“ eine wichtige Funktion für die Bürgerinnen und Bürger als Ansprechpartner für Fragen im Zusammenhang mit der Bewältigung der Folgen des Erdbebens. Das spiegelt sich in dem enormen Anstieg der Anrufe bei „Linea Amica“ wider. Im Sommer 2009 gingen ungefähr ein Viertel aller diesbezüglichen Anfragen bei „Linea Amica“ Abruzzo ein. Beantwortet wurden beispielsweise Fragen wie, wann die Energieversorgungsanlagen geprüft werden, sodass Gas und Strom wieder genutzt werden können oder ob und mit welcher finanziellen Unterstützung zu rechnen ist. Zusätzlich zum Telefonzugang wurde von „Linea Amica“ eine physische Kontaktstelle im Einkaufszentrum von L’Aquilone aufgebaut und es wurden 15 InternetZugangspunkte geschaffen, um den Bewohnern Zugang zu der Linea-Amica-Website zu gewährleisten. Auf der Website www.lineaamica.gov.it und im „Radio P.A. Amica“ wurden regelmäßig aktuelle Informationen veröffentlicht. Ähnlich wie in Frankreich wurde auch für die Bekanntmachung von „Linea Amica“ eine umfangreiche Werbekampagne aufgesetzt. Das Ministerium für die öffentliche Verwaltung und Innovation hat zwei Werbekampagnen durchgeführt: die erste im April und die zweite im September 2009. Geworben wurde mit TV-Spots und Radiobeiträgen, mit Statements des Ministers auf allen Programmen, mit Plakaten und Zeitungsanzeigen. „Linea Amica“ hat außerdem ein eigenes Radioprogramm „Radio P.A. Amica – Le news per il cittadino“, in dem einmal pro Woche Nachrichten zur und aus der öffentlichen Verwaltung gesendet werden. Als unmittelbarer Effekt war ein deutliches Ansteigen der Anrufe bei „Linea Amica“ zu verzeichnen. Auf „YouTube“ wurden in den elf Monaten zwischen Februar 2009 und Januar 2010 zahlreiche Werbevideos über die „Linea Amica“ hinaufgeladen. Die Website www.lineaamica.it bzw. www.lineaamica.gov.it wirbt für alle Zugangskanäle. Des Weiteren 75 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union wurde „Linea Amica“ auf öffentlichen Foren und Konferenzen in allen Landesteilen vorgestellt und es wurden Einzelfragen des Systems diskutiert. Einzigartig ist, dass diese Öffentlichkeitsarbeit durch eine Kampagne ergänzt wird, die sich an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung richtet und von Formez PA durchgeführt wird. Formez PA übernimmt auch die Vorbereitung und Durchführung von Weiterbildungsveranstaltungen im ganzen Land. 2.3 Implementation und Ergebnisse Die Einführung von „Linea Amica“ ist nicht in deutlich unterscheidbaren Phasen abgelaufen. Am Anfang stand nur das Bemühen, so schnell wie möglich den Service der Verwaltung zu verbessern. Daher war es notwendig, die sieben wichtigsten Behörden, die nationalen Ministerien und einige Großstädte einzubeziehen und ein gemeinsames Vorgehen zu entwickeln. Entstanden ist eine nur wenig standardisierte Lösung, die dem kleinsten gemeinsamen Nenner entspricht: nämlich ein Verbund, der die existierenden Zugangsmöglichkeiten zu den beteiligten Behörden ergänzt und nicht zu diesen in Konkurrenz steht. Nach der Erprobung im Februar 2009 wurde das Projekt schnell in den Regelbetrieb überführt. Das System „Linea Amica“ erweiterte sich schrittweise durch den Anschluss weiterer Behörden. Die Organisation und die Struktur der „Linea Amica“ wurden mit der zunehmenden Zahl der Nutzer ständig angepasst und erweitert. Ab April 2009 wurden Weiterbildungskurse zunächst für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des zentralen Kontaktzentrums und danach auch für die ca. 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der beteiligten Dienststellen des Verbundes durchgeführt. Die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurde schrittweise von 120, davon 60 auf der ersten Auskunftsebene und 60 Experten auf der zweiten Auskunftsebene für die Fallbearbeitung im zentralen Kontaktzentrum, auf 170 im Januar 2010 gesteigert. Von Februar 2009 bis Januar 2010 gingen insgesamt ca. 103.000 Anrufe bei der EBN ein. Aufgrund des Erdbebens in der Region Abruzzen erhöhte sich die Zahl der Anrufe bei „Linea Amica“ von 7.100 im Startmonat Februar 2009 auf 17.000 im April 2009. 2.4 Bewertung Die Nutzung der EBN als einheitlicher Zugangskanal in Krisensituationen und Katastrophen sowie die ausgeprägte Öffentlichkeitsarbeit sind sehr auffällig. Wie bei „D115“ können die Bürgerinnen und Bürger über „Linea Amica“ Informationen zu Leistungen aller Ebenen erhalten. Dabei können sie die Fragen auch per E-Mail oder SMS stellen bzw. das Webportal von „Linea Amica“ nutzen. Bei „D115“ ist dagegen nur der telefonische Zugang vorgesehen. „Linea Amica“ ist bereits landesweit erreichbar. Im Unterschied 76 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union zu „D115“ bietet „Linea Amica“ auch Fallbearbeitung und Informationen zu Bearbeitungsständen an. Ein großer Unterschied zwischen „D115“ und „Linea Amica“ besteht in der Struktur: „Linea Amica“ ist kein Leistungsverbund, sondern besteht aus einem nationalen Call Center mit zwei Auskunftsebenen, das mit den Kontaktzentren zahlreicher Behörden auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene lose verbunden ist. Dabei findet keine Weiterleitung zwischen der zweiten und dritten Auskunftsebene statt, sondern die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter der zweiten Auskunftsebene klärt für die Bürgerin bzw. den Bürger das Anliegen und ruft diese(n) zurück. Diese Struktur entspricht zum einen dem Selbstverständnis von „Linea Amica:“ sie versteht sich eher als Makler zwischen Bürger und Verwaltung. Dies kann damit erklärt werden, dass „Linea Amica“ entstanden ist, um die Servicequalität zu verbessern und der Bürgerin oder dem Bürger den Zugang zu Verwaltungsleistungen zu erleichtern. Zum anderen spiegelt sie wider, dass das bestehende System den kleinsten gemeinsamen Nenner in Bezug auf die Integration darstellt. „Linea Amica“ ist auf der nationalen Ebene angesiedelt und wird aus dem Haushalt des Ministeriums für öffentliche Verwaltung finanziert. Betrieben wird „Linea Amica“ von Formez PA, einem Verband im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für die öffentliche Verwaltung, die neben der Projektausführung u.a. auch für die Öffentlichkeitsarbeit und die Weiterbildung der Beschäftigten zuständig ist. Für die Implementation wurde ein Konzept mit mehreren Phasen entwickelt. Dessen Umsetzung erfolgte eher pragmatisch und schrittweise, da schnell und v.a. für die Bürgerinnen und Bürger sichtbar eine Verbesserung der Servicequalität der Verwaltung erreicht werden sollte. Aufgrund von Finanzierungsschwierigkeiten und der großen Anzahl der Akteure hat jedoch eine weitere Integration mit den zuständigen Behörden bisher nicht stattgefunden, sodass die bisher eher lose Verknüpfung weiterbesteht. Dies spiegelt sich auch in der bisher fehlenden Standardisierung der Leistungen wider, sodass viele Anrufe mit den zuständigen Fachbehörden geführt werden müssen, um die erforderlichen Informationen zu erhalten. Im Unterschied zu „D115“ waren die zuständigen Behörden auch kaum in die Projektstrukturen eingebunden. Auffällig ist, dass die Anzahl der Gesamtanrufe bei „Linea Amica“ mit 122.000 pro Jahr eher niedrig ist, obwohl durch die hohe Verbreitung der Mobiltelefone 30 Italien als „Telefongesellschaft“ gilt. „D115“ hat im Vergleich dazu 150.000 Anrufer pro Monat (Bundesministerium des Innern 2010, S. 30). Die Beantwortungsquote der ersten Auskunftsebene ist mit etwa 66 Prozent im Vergleich zu „D115“ mit 80 Prozent ebenfalls niedrig. Dies kann zum einen mit der fehlenden Standardisierung bei der Informationsbereitstellung erklärt werden, sodass 30 Die Mobilfunkverbreitung beträgt 192,5 Prozent gegenüber 129 Prozent im EU-Durchschnitt. 77 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union viele Anrufe an die nächste Auskunftsebene weitergegeben werden, und zum anderen damit, dass auch eine Antragsbearbeitung möglich ist, die durch die zweite Auskunftsebene in Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden erfolgt. Eine wichtige Rolle hatte „Linea Amica“ im Rahmen des Krisenmanagements nach dem Erdbeben in den Abruzzen übernommen, indem sie den Zugang zur öffentlichen Verwaltung sichergestellt hat. Diese Funktion war ursprünglich nicht vorgesehen, entspricht aber dem pragmatischen Ansatz, der bereits beim Aufbau von „Linea Amica“ verfolgt wurde. Innovationspotenzial für Deutschland bietet die Nutzung der „Linea Amica“ im Rahmen des Krisenmanagements und der umfassenden Öffentlichkeitsarbeit. Für die Weiterentwicklung von „Linea Amica“ würde es sich anbieten, wie bei „D115“ eine standardisierte, umfassende Wissensdatenbank aufzubauen, um auch die zuständigen Behörden zu entlasten. Dies ist für 2010 bereits in der Planung. Weiteres Innovationspotenzial besteht darin, ein organisationsund ebenenübergreifendes Vorgangsbearbeitungssystem aufzubauen, sodass die Tickets mit den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger an die zuständigen Behörden weitergeleitet werden können. Damit könnte die gegenwärtig „manuelle“ und aufwändige Kontaktaufnahme der zweiten mit der dritten Auskunftsebene entfallen. 3. Niederlande 3.1 Ausgangslage und Rahmenbedingungen „Postbus 51“ (Postfach 51) gibt es bereits seit den 1950er Jahren als Service des Rijksvoorlichtingsdienst (RVD) (Nationaler Informationsdienst), der während des Zweiten Weltkriegs von London aus Informationen über die Aktivitäten der niederländischen Exilregierung in den Niederlanden verbreitet hat. „Postbus 51“ wurde als Services des RVD, einer Abteilung des Ministerie van Algemene Zaken (Ministerium für allgemeine Angelegenheiten) mit dem Auftrag gegründet, der Bevölkerung Informationen über die Regierung und deren Leistungen zunächst per Post zur Verfügung zu stellen. Die Initiative, das Antwoord-System aufzubauen, ging von der VNG (Vereiniging van Nederlandse Gemeenten – Niederländischer Gemeindebund) aus. Parallel zu der weiteren Entwicklung von „Postbus 51“ auf der nationalen Ebene wurde seit 2004 überlegt, wie die Leistungserbringung für die Bürgerinnen und Bürger auf kommunaler Ebene verbessert und ein entsprechendes Konzept entwickelt werden kann. Dieses sieht den Aufbau von kommunalen Bürgerbüros (sog. KCCs – Kundenkontaktzentren) vor, die Leistungen über mehrere Zugangskanäle anbieten sollen, u.a. auch über das Telefon. Als Vorbild für die Antwoord78 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Lösung wurde explizit das New Yorker 311-System benannt. Das erste Antwoord-CallCenter wurde dann im November 2008 in der Gemeinde Terneuzen in Betrieb genommen. 31 3.2 Gestaltung Bürgerinnen und Bürger können Informationen über das Telefon und per E-Mail erhalten oder die von „Postbus 51“ betriebene Website www.rijksoverheid.nl nutzen. Das Call Center von „Postbus 51“ ist in drei Auskunftsebenen organisiert. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ersten und zweiten Auskunftsebene nutzen zur Beantwortung aller Anfragen – auch der E-MailAnfragen – ein gemeinsames Vorgangsbearbeitungssystem und greifen auf eine gemeinsame Wissensdatenbank zu, die etwa 650 häufig gestellte Fragen (FAQs) zu Verwaltungsleistungen und aktuellen Themen (z.B. H1N1-Virus) enthält. Die FAQs erstellt „Postbus 51“ in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Ministerien. Die Call-Center-Agenten der zweiten Auskunftsebene können auch die Informationssysteme der niederländischen Ministerien durchsuchen, um nach relevanten Informationen zu recherchieren. Die Weiterleitung der Anfragen zwischen den Auskunftsebenen erfolgt über Tickets, die vom Vorgangsbearbeitungssystem erstellt werden. „Postbus 51“ gehört zum Dienst Publiek en Communicatie (DPC), einer Agency im Zuständigkeitsbereich des RVD. DPC ist ein Kompetenzzentrum für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit und soll eine klare und effiziente Kommunikation zwischen der Regierung und den Bürgerinnen und Bürgern gewährleisten. „Postbus 51“ und die Leistungen werden von den Ministerien finanziert. Die Leistungen werden auf der Basis von Service Level Agreements (SLA) erbracht, die der Informationsrat, dem alle Ministerien angehören, mit dem DPC schließt. In den SLA ist festgelegt, wie viel Geld der DPC für welche Leistungen von „Postbus 51“ erhält. So wird u.a. vereinbart, wie viele Anrufe mindestens anzunehmen sind oder wie die Anliegen der Anrufer zu bearbeiten sind, aber auch Sanktionen, wenn die Leistungen nicht bzw. nicht ausreichend erbracht wurden. In letzterem Fall verringert sich das Entgelt. Im Frühjahr 2008 wurde der Betrieb der ersten Auskunftsebene an Arvato Services Niederlande, einer Tochtergesellschaft des deutschen Bertelsmann-Konzerns, ausgelagert, u.a. um Kosten zu sparen. Durch die Auslagerung konnte DPC ca. 190.000 EUR/Jahr einsparen, was ca.12 Prozent der Betriebskosten für die erste Auskunftsebene entspricht. Hinzu kommt, 31 ICTU (2008): Terneuzen heeft Antwoord!, den Haag. http://www.antwoord.nl/actueel/nieuws,2008/november/Terneuzenheeft-Antwoord-.html (Zugriff: 15.3.2010). 79 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union dass die Zahl der Anrufe bei „Postbus 51“ seit 2002 abnimmt, sodass der DPC weiter Kapazitäten hätte vorhalten müssen, die in dem Umfang nicht mehr benötigt werden – das Risiko trägt jetzt der private Betreiber. Gleichzeitig nimmt jedoch die Zahl der Nutzer der Website zu. Eine ähnliche Entwicklung konnte bei der EBN in Luxemburg beobachtet werden. Das weist darauf hin, dass nicht die Zahl der Informationssuchenden gesunken ist, sondern die Bürgerinnen und Bürger eher das Online-Angebot nutzen 32 . Der gemeinsame Zugriff auf die Postbus-51-Wissensdatenbank sichert die Qualität bei der Abgabe der Informationen. Im Rahmen des Krisenmanagements dient „Postbus 51“ im Auftrag des Innenministeriums als eine zentrale Kontaktstelle für Informationen (Smal 2008). Dabei arbeitet es eng mit dem nationalen Krisenzentrum (Nationaal CrisisCentrum – NCC-cRC) zusammen. Diese Leistungen werden für alle Verwaltungsebenen angeboten. Hat z.B. eine regionale oder nationale Behörde im Krisenfall wichtige Informationen für die Bevölkerung, wenden sich die Verantwortlichen an das NCC-cRC. Das Call Center von „Postbus 51“ kann spätestens nach zwei Stunden die erforderlichen Informationen bereitstellen, die in Zusammenarbeit mit dem NCCcRC und „Postbus 51“ von den nationalen, regionalen oder lokalen Behörden für die Wissensdatenbank von „Postbus 51“ aufbereitet und ständig aktualisiert werden 33 . So stehen der Öffentlichkeit diese Informationen schnell über verschiedene Zugangskanäle zur Verfügung. Beispiele für solche Ereignisse waren z.B. die Rheinflut im Februar 1995, ein DioxinSkandal im Jahr 1999 oder die Schweinegrippe-Epidemie im Jahr 2009 34 . Für den Postbus 51-Telefonservice gibt es keine eigenständige Öffentlichkeitsarbeit, sondern es wird ggf. im Rahmen von Informationskampagnen, die „Postbus 51“ für die Ministerien zu verschiedenen Themen durchführt, auf die Möglichkeit hingewiesen, sich telefonisch zu informieren. Das Antwoord-Konzept sieht den flächendeckenden Aufbau von eigenständigen unvernetzten Kontaktstellen (KCCs) vor – ein KCC für jede Kommune. Diese KCCs sollen über die Festnetznummer „14“, an die die Vorwahl der jeweiligen Kommune gehängt wird, erreichbar sein. Die Nummer z.B. für Amsterdam lautet „14 020“ und für Rotterdam „14 010“. Neben den physischen und telefonischen Zugangskanälen sollen die KCCs ihre Leistungen auch über das Internet und per E-Mail anbieten. Angeboten werden hauptsächlich Leistungen der jeweiligen Kommune. Welche Leistungen anderer Ebenen ebenfalls abgegeben werden, können die Kommunen selbst entscheiden. In der ersten Ausbaustufe von „Antwoord“ sollen nur Informationen bereitgestellt werden; in den nächsten Stufen auch per- 32 33 34 Dienst Publiek en Communicatie (2007): Jaarverslag 2006, den Haag. S. 14. Richsvoorlichtingsdienst (2010): Postbus 51 Informatiedienst - Voorlichting bij crises, den Haag. http://www.communicatieplein.nl/Onderwerpen/Wie_doet_wat/Postbus_51_Informatiedienst/Voorlichting_bij_crises (Zugriff: 12.03.2010). Siehe z.B. http://www.postbus51.nl/nl/home/themas/zorg-en-gezondheid/ziekte-en-preventie/besmettelijke-ziekten/nieuweinfluenza-a-h1n1-voorheen-mexicaanse-griep/wat-is-nieuwe-influenza-a-h1n1-.html (Zugriff: 10.02.2010). 80 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union sonenbezogene Auskünfte erteilt werden. 35 Die Authentifizierung der Anruferinnen und Anrufer soll über die so genannte DigiD erfolgen, einem Teilprojekt der niederländischen EGovernment-Strategie. Die DigiD wird bereits von Behörden aller Ebenen, wie z.B. einigen Kommunen und Provinzen, den Wasserbehörden, dem Sozialversicherungsträger, der Steuerbehörde und der Katasterbehörde verwendet. Sie besteht aus einem Benutzernamen und einem Passwort. Der Benutzername und das Passwort können auch mit einer Mobilfunknummer verbunden sein. Bürgerinnen und Bürger, die in den Niederlanden gemeldet sind, können sich über das DigiD-Portal für einen DigiD registrieren. Dazu müssen sie Angaben wie Bürgerservicenummer, Anschrift und Geburtsdatum machen. Nachdem diese Angaben von den Behörden bestätigt wurden, erhält die Bürgerin bzw. der Bürger ein Bestätigungsschreiben mit einem Aktivierungscode per Post, mit der sie/er seine DigiD freischaltet. Für einige Verwaltungsvorgänge ist auch eine TAN erforderlich, die per SMS an die registrierte Mobilfunknummer verschickt wird. Zurzeit gibt es zwei Sicherheitsstufen der DigiD: Bei der einfachsten Stufe sind nur der Benutzername und Passwort erforderlich ist. Bei der zweiten Sicherheitsstufe ist auch die TAN erforderlich. Nach der Einführung des digitalen Personalausweises in den Niederlanden wird dieser auch in das DigiD-System integriert und bildet dann die dritte Sicherheitsstufe. Hinsichtlich der Struktur und Organisation der einzelnen Antwoord-KCCs sind kaum Standards vorgegeben, sodass die bereits umgesetzten Lösungen und die bereitgestellten Leistungen von Kommune zu Kommune erheblich variieren können. Festgelegt ist nur, dass die KCCs in der Lage sein müssen, 80 Prozent der eingehenden Anrufe zu beantworten. In manchen Städten (z.B. in Enschede) wurden Call Center aufgebaut, die die EBN über drei Auskunftsebenen realisieren. Ebenso unterschiedlich stellt sich die Anbindung zwischen den Call Centern und den Fachbehörden (d.h. der dritten Auskunftsebene) in den Kommunen dar. Für die Wissensmanagement-Systeme in den einzelnen Kommunen wird der Antwoord Contentcollectie eine Datenbank häufig gestellter Fragen zu Leistungen der nationalen und regionalen Ebenen zur Verfügung gestellt. Die Einträge werden von den jeweils zuständigen Behörden auf der nationalen und provinziellen Ebene sowie von „Postbus 51“ gepflegt. Gegenwärtig ist unklar, ob und wie die provinziellen und nationalen Behörden als dritte Auskunftsebene konkret in das Antwoord-System eingebunden werden. 3.3 Implementation und Ergebnisse Das Call Center von „Postbus 51“ nahm 1995 den Betrieb auf. Zugleich wurde auch die Website www.postbus51.nl online geschaltet; seit 1998 können Anfragen auch per E-Mail 35 Gerco Overeem, Ewoud de Voogd und Martijn Mindhoud (2007): Answer – The KCC of local councils as the front office for the entire government, den Haag. S. 33-34. http://www.antwoord.nl/binaries/antwoord/pdf/gemeente-heeft-antwoordenglish.pdf (Zugriff: 10.02.2010). 81 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union gestellt werden. Mit dem Aufbau des Call Centers wurde 1994 begonnen, nachdem der Informationsrat (Voorlichtingsraad), ein Steuerungsgremium des RVD, im dem alle Ministerien vertreten sind, entschieden hatte, einen telefonischen Zugangskanal einzurichten. Die Umsetzung verlief nach Angaben der Interviewpartner ohne größere Probleme, u.a. auch, weil nur die nationale Ebene beteiligt war. Ein weiterer Vorteil bestand in den bereits vorliegenden Leistungsinformationen, die für die Nutzung durch das Call Center lediglich aufzubereiten waren. Die nationalen Ministerien und „Postbus 51“ arbeiten schon seit der Gründung von „Postbus 51“ eng zusammen, denn der RVD war bereits damals für die Koordination der Öffentlichkeitsarbeit der Ministerien zuständig. Das bedeutete, dass für die EBN keine neuen Kooperations- oder Koordinationsstrukturen aufgebaut werden mussten. Das erleichterte die Umsetzung von „Postbus 51 Informatiedienst“ erheblich. In den ersten Jahren nach der Einführung des Postbus-51-Call-Centers stieg die Zahl der Anrufe stark an: Während z.B. 1995 ca. 60.000 Bürgerinnen und Bürger den Service nutzten, waren es 1996 bereits ca. 267.000 Anrufe (Meijer/Veenman 2001). Etwa seit 2002 nimmt die Zahl der Anrufe jedoch ab, während die Zahl der Besucher des Webportals konstant steigt. Das weist darauf hin, dass nicht die Zahl der Informationssuchenden gesunken ist, sondern die Bürger eher das Online-Angebot nutzen. 36 Bei der Umsetzung von „Antwoord“ spielt der IT-Dienstleister ICT Uitvoeringsorganisatie (ICTU) eine wichtige Rolle. ICTU ist eine Shared-Service-Organisation, an der die nationale Regierung und VNG beteiligt sind. Für „Antwoord“ hat die ICTU ein Franchising-Konzept entwickelt, in dem die Kommunen die Rolle der Franchisenehmer übernehmen und die KCCs umsetzen. Als Systemführer bietet die ICTU den Kommunen eine Vielzahl von Unterstützungsmaßnahmen und Beratungsleistungen an, z.B.: Erstellung von Musterkonzepten für die Umsetzung der KCCs, die die Kommunen an ihre eigenen Strukturen und Organisationen anpassen müssen, Anleitungen zur Einführung von Maßnahmen zum Qualitätsmanagement sowie Vorschläge für die wichtigsten Leistungsindikatoren, Zugang zu der Antwoord Contentcollectie, die die Kommunen ergänzend zu ihren eigenen Wissensdatenbanken nutzen können, Entwicklung von Lehrmaterialen für die Weiterbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Führungskräften der KCC, Gemeinsame Richtlinien und Anregungen für die Öffentlichkeitsarbeit sowie für den Aufbau des gemeinsamen Erscheinungsbildes. Bereitgestellt werden Logos und Darstellungen zu bestimmten Themenbereichen. Das ICTU und die einzelnen Kommunen werben 36 Dienst Publiek en Communicatie (2007): Jaarverslag 2006, den Haag. S. 14. 82 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union für „Antwoord“ in und mit verschiedenen Medien, z.B. mit Broschüren und Flyern, Plakaten, Aufklebern, Anzeigen in Zeitschriften und im Internet. Die Arbeit der ICTU und der Aufbau und die Pflege der Contentcollectie werden zum Teil durch die nationale Ebene gefördert. Die nationale Ebene trägt auch die Kosten für die Reservierung der Rufnummer „14“ + „Vorwahl“. Alle anderen Kosten, z.B. für den Aufbau der technischen Infrastruktur, für Hard- und Software und für die organisatorischen Änderungen, sind von den Kommunen zu tragen. Bis Ende 2009 hatten 46 Kommunen das Antwoord-System umgesetzt. Somit haben 4,8 Mio. Niederländer (ca. 29 Prozent der Gesamtbevölkerung) Zugang zu Leistungen der öffentlichen Verwaltung über solch eine Rufnummer. Das ursprüngliche Ziel, bis 2007 flächendeckend das Antwoord-System aufzubauen, konnte nicht erreicht werden. Bis Anfang 2010 hatten 85 Kommunen zumindest ihr Interesse bekundet, die Antwoord-Rufnummern 37 einzuführen. Evaluierungsergebnisse zu den bereits umgesetzten Antwoord-Systemen liegen noch nicht vor. Der Grund für die schleppende Umsetzung liegt u.a. darin, dass die Kommunen den Aufbau und Betrieb selbstständig finanzieren müssen. 3.4 Bewertung Bemerkenswert an „Postbus 51“ sind die verschiedenen Zugangskanäle, über die Bürgerinnen und Bürger Informationen erhalten können und dass die Anfragen über die verschiedenen Kanäle alle aus einer gemeinsamen Wissensdatenbank beantwortet werden. Ebenfalls treten der Shared-Service-Ansatz und die Kopplung beim Krisenmanagement hervor. Bei „Antwoord“ sind besondere Merkmale die physischen Kontaktcenter, die gleichzeitig aufgebaut bzw. ausgebaut werden und häufig als zweite Auskunftsebene dienen, das FranchiseSystem und die geplante Authentifizierung der Anruferinnen und Anrufer. Beide Systeme existieren bislang nebeneinander, was sich mit ihrer unterschiedlichen Entstehungsgeschichte erklären lässt. Während „Postbus 51“ über mehrere Jahre im Zuständigkeitsbereich des Ministerie für Algemeene Zaken entstanden ist, wurde „Antwoord“ durch den niederländischen Gemeindebund initiiert und durch das Innenministerium unterstützt, um die Leistungsstärke der Kommunen zu demonstrieren. Insofern sind die gleichzeitige Existenz zweier Projekte sowie der derzeitige Umsetzungsstand von „Antwoord“ auch durch die Spannungen und getrennten Zuständigkeiten der Verwaltungsebenen und Institutionen in den Niederlanden zu erklären. Letztendlich erscheint ihre Zukunft eng miteinander verbunden, denn sollte das Leistungsangebot von „Antwoord“ in dem geplanten Maße ausgebaut werden (d.h. Informationen und Leistungen auch der nationalen Ebene werden über 37 ICTU (2010): Terugblik Antwoord© 2009, Den Haag. http://www.antwoord.nl/actueel/nieuws,2010/februari/TerugblikAntwoord--2009.html (Zugriff: 08.03.2010). 83 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Antwoord angeboten), stellt sich die Frage, ob „Postbus 51“ weiter betrieben werden muss. Das hängt jedoch auch vom weiteren Ausbau von „Antwoord“ ab. Da die Systeme aber bisher parallel existieren, werden sie im Folgenden einzeln mit „D115“ verglichen. Die Call Center von „Postbus 51“ und „Antwoord“ bieten den Bürgerinnen und Bürgern jeweils Zugang zu Informationen über mehrere Kanäle. Insbesondere „Antwoord“ ist ambitioniert, da entweder bestehende physische Zugangspunkte genutzt oder neue aufgebaut werden. Bei den Servicezeiten gibt es keine großen Unterschiede zwischen den beiden niederländischen und dem deutschem System. Das Antwoord-System wird, wenn es komplett ausgebaut ist, die größte Angebotstiefe anbieten, d.h. es wird möglich sein, Informationen über Bearbeitungsstände zu erhalten und Anträge per Telefon zu stellen. Dafür wird ein bereits entwickeltes Authentifizierungssystem genutzt werden. Hier ergibt sich ein Innovationspotenzial für Deutschland. Während bei „D115“ Leistungen aller Ebenen angeboten werden und die Behörden dieser Ebenen auch alle integriert sind, sind bei beiden niederländischen Systemen bisher keine Leistungen der Provinzebene verfügbar. Bei Antwoord ist dies jedoch vorgesehen. Große Unterschiede bestehen bei der Struktur und Organisation der Systeme. „D115“ ist als Servicecenter-Verbund aufgebaut, der sich über mehrere Verwaltungsebenen erstreckt und bei dem die kommunalen Servicecenter die erste Auskunftsebene bilden. Ein gemeinsames Wissensmanagement-System und die Weiterleitung per Ticket ermöglichen den reibungslosen Betrieb im Leistungsverbund. Insgesamt gibt es eine hohe Anzahl von teilnehmenden Behörden und Akteuren im D115-Verbund. „Antwoord“ besteht zwar auch aus mehreren Call Centern, die von den Kommunen als erste Auskunftsebene betrieben werden, diese sind aber unvernetzt, sodass z.B. keine Standardisierung bei der Leistungserstellung und Informationsbereitstellung erforderlich ist. „Postbus 51“ betreibt nur ein einziges Call Center, das die erste und zweite Auskunftsebene bildet, die beide integriert sind. Die Standardisierung der Leistungserbringung ist bei „D115“ am größten, während „Antwoord“ durch eine mangelnde Standardisierung gekennzeichnet ist. In Bezug auf das Betreibermodell ähneln sich „Antwoord“ und „D115“, da die Kommunen jeweils die Call- bzw. Servicecenter betreiben. Bei „Postbus 51“ hingegen wird ein SharedService-Ansatz verfolgt, der einzigartig ist und als ein mögliches Vorbild für „D115“ dienen könnte. Außerdem ist die erste Auskunftsebene von „Postbus 51“ an einen privaten Dienstleister ausgelagert. Für „Antwoord“ wurde ein Franchising-Konzept entwickelt. Hierin liegt ebenfalls Innovationspotenzial für Deutschland. Bei „Postbus 51“ und „Antwoord“ sind die Stakeholder etwas enger in die GovernanceStrukturen eingebunden als bei „D115“. Bei „Postbus 51“ erfolgt die Einbindung der Ministerien, für die die Leistungen erbracht werden, über den Informationsrat. Bei „Antwoord“ sind, 84 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union weil es sich um eine kommunale Initiative handelt, Vertreter der Kommunen sowohl politisch als auch operativ eng in die Projektumsetzung eingebunden. Die Flächendeckung von „Postbus 51“ liegt bei 100 Prozent. Das System von „Postbus 51“ ist gut etabliert, wenn auch nach dem Freischalten des Webportals die Anruferzahlen kontinuierlich zurückgegangen sind. „Antwoord“ und „D115“ haben dagegen noch keine Flächendeckung erreicht: „Antwoord“ gibt es erst in 46 Kommunen und „D115“ befindet sich noch in der Pilotphase, wenngleich die flächendeckende Umsetzung geplant ist. Für „D115“ ergibt sich aus beiden niederländischen Systemen Innovationspotenzial. Hier kann beispielsweise der Mehrkanal-Ansatz von „Postbus 51“ und „Antwoord“ genannt werden. Denn die Möglichkeit, ein einheitliches Angebot von „Postbus 51“ über mehrere Zugangskanäle zu erhalten – Post, E-Mail, WWW und Telefon – ist nicht nur ein Zeichen für Bürgerorientierung, sondern erhöht auch deutlich den Nutzen des Services. Auch bei „Antwoord“ wird der Telefonkanal explizit als einer von mehreren Zugangskanälen betrachtet. Hier ist insbesondere die Verknüpfung mit den physischen Zugangspunkten erwähnenswert. Im Falle von „Antwoord“ ist jedoch dieses Konzept bisher noch nicht vollständig realisiert worden. Weiteres Innovationspotenzial ergibt sich für Deutschland aus dem Betrieb von „Postbus 51“ als Shared Service, dessen Finanzierung durch alle Ministerien erfolgt und an die Leistungserbringung gekoppelt ist. Diese Art der Finanzierung könnte den Aufbau eines solchen Systems erleichtern, da sie durch mehrere Akteure realisiert wird. Für den flächendeckenden Ausbau von „D115“ könnte aber auch ein Franchising-System analog zu „Antwoord“ entwickelt werden, durch das die einzelnen Kommunen beim Aufbau der Servicecenter unterstützt werden. Die Nutzung der Marke „Postbus 51“ bei allen Informationskampagnen der Regierung trägt auch zu ihrer großen Bekanntheit bei. Dies wird bei „D115“ auch eingesetzt, der Name wird nicht nur für den Telefonservice genutzt, sondern auch auf Publikationen der Bundesregierung. Langfristiges Innovationspotenzial für „D115“ besteht auch darin, „D115“ wie „Postbus 51“ im Rahmen des Krisenmanagements zu nutzen. Das Innovationspotenzial von „D115“ liegt in der Standardisierung der Leistungen. Dies könnte insbesondere bei „Antwoord“ den Service verbessern und den Aufbau gemeinsamer Call Center erleichtern, was insbesondere dann notwendig ist, wenn mehrere Kommunen die gleiche Vorwahl haben. Für „Postbus 51“ und „Antwoord“ liegt ein weiteres Innovationspotenzial darin, die Einbindung mehrerer Ebenen zu übernehmen. So könnten beispielsweise für „Antwoord“ ebenfalls die wichtigsten Leistungen aller Ebenen identifiziert und die erforderlichen Leistungen standardisiert bereitgestellt werden. Umgesetzt werden sollte auch die Vernetzung der Auskunftsebenen untereinander, damit Anliegen per Ticket-System weiterge85 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union leitet werden können. Jedoch stellt sich hier die Frage, ob die fest definierten Standards hinsichtlich Angebotsbreite und -tiefe politisch realisierbar sind. 4. Spanien „060“ 4.1 Ausgangslage und Rahmenbedingungen Das Projekt „060“ wurde im Mai 2006 von der spanischen Regierung gestartet. Die einheitliche Behördenrufnummer wurde zur Vereinheitlichung der Rufnummern auf der nationalen Ebene eingerichtet. Angeboten werden Informationen zu Leistungen hauptsächlich der nationalen Ebene. Daneben existierten spezielle Rufnummern für die anderen beiden Verwaltungsebenen: die „010“ für die Kommunalebene und die „012“ für die Regionen. Initiiert wurde „060“ vom damaligen Ministerium für öffentliche Verwaltung mit dem Ziel, einen einheitlichen Zugang zu nationalen Leistungen v.a. über die Kanäle Telefon und Internet und z.T. über physische Bürgerämter zu schaffen. Die Umsetzung erfolgte dann auf der Grundlage des Gesetzes für den elektronischen Zugang der Bürger zu den öffentlichen Leistungen, das 2007 dahingehend geändert wurde. „060“ war von Anfang an in die spanische E-Government-Strategie eingebettet. Zuständig für die Umsetzung von E-Government und des einheitlichen Zugangssystems ist seit 2009 der Staatssekretär für den öffentlichen Dienst (Secretaría de Estado para la Función Pública) im Ministerium des Ministerpräsidenten (Ministerio de la Presidencia – MPR), so dass die politische Verantwortung für die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung in einer Institution gebündelt ist. 4.2 Gestaltung Über die einheitliche Behördenrufnummer „060“ erhalten die Bürgerinnen und Bürger Informationen zu Leistungen und Verfahren der nationalen Behörden. Informationen werden zu allen Lebens- bzw. Unternehmenslagen angeboten. Die Anrufe gehen im zentralen Call Center in Madrid ein und werden von einem Sprachdialogsystem angenommen. Über das Menü des Systems kann der Anrufer per Tastendruck auswählen, zu welchen Themenbereichen er Informationen haben möchte. Nach dieser Auswahl wird der Anruf sofort 86 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union an die zuständige Behörde auf der dritten Auskunftsebene weitergeleitet. So werden Anrufe zu den Bereichen Personaldokumente, Personenstands- und Meldewesen direkt an das nenministerium und Anrufe zum Bereich Verkehr an das Call Center der spanischen kehrsbehörde weitergegeben, das an ein privates Unternehmen ausgelagert ist. Hat der rufende jedoch ein Anliegen, das nicht im Menü angeboten wird, oder möchte mit dem Call Center sprechen, wird der Anruf an die erste Auskunftsebene weitergeleitet. Wenn hier das Anliegen nicht abschließend geklärt oder die Frage nicht beantwortet werden kann, wird der Anruf an die zweite Auskunftsebene weitergeleitet. Ist auch der zweiten Auskunftsebene eine abschließende Beantwortung nicht möglich, erhält der Anfragende Informationen zu den zuständigen Behörden und den Ansprechpartnern. Anrufe zu Stellenausschreibungen im öffentlichen Dienst werden gleich an die zuständige Stelle innerhalb der Generaldirektion für den öffentlichen Dienst bzw. das Nationalinstitut für öffentliche Verwaltung (Instituto Nacional de Administración Pública – INAP) geleitet. Die Call Center der Fachbereiche der Steuerbehörde und der Sozialversicherungsträger sind nicht in „060“ integriert oder mit ihr verbunden; dies ist auch nicht vorgesehen. Anrufe zu diesen Themen werden gleich an die entsprechenden Behörden weitergeleitet. Dies hängt u.a. damit zusammen, dass diese Call Center lange vor der „060“ aufgebaut wurden und trotz langer und umständlicher Rufnummern in der Bevölkerung und bei den Unternehmen bekannt sind und viel genutzt werden. Außerdem kann das System von „060“ die jährlich sehr hohen Anruferzahlen bei den Call Centern der Steuerverwaltung und der Sozialversicherung technisch und organisatorisch nicht bewältigen. Für 2010 ist vorgesehen, das Angebot des Telefonservices „060“ auf die Bearbeitung personenbezogener Anliegen, z.B. Antragstellungen und die Bearbeitung von Bußgeldern, auszuweiten. Um die Anruferin oder den Anrufer dafür eindeutig identifizieren zu können, wird derzeit eine Lösung entwickelt: Vorgesehen ist, dass die Bürgerin bzw. der Bürger eine Referenznummer, die sie bzw. er per Post erhält, und die Nummer seines Ausweises oder Führerscheins am Telefon angibt. Die zuständige DGIAE 38 entwickelt das technischorganisatorische Konzept für den Ausbau des Angebots, das den Vertretern der Autonomen Gemeinschaften (Comunidades Autónomas, CC.AA.) vorgestellt wird, um deren Unterstützung für das Projekt zu sichern. Denn die Autonomen Gemeinschaften spielen de facto in der Exekutive eine bedeutendere Rolle als in der Verfassung festgelegt. Nach deren Zustimmung zum Projekt soll dann mit der Umsetzung begonnen werden. Die erste Auskunftsebene wurde an einen privaten Dienstleister ausgelagert. Das beauftragte Unternehmen hatte jedoch anfangs große Probleme, die vereinbarte Qualität der Auskünfte zu erreichen. Denn die Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter kannten sich zu we38 DGIAE – La Dirección General para el Impulso de la Administración Electrónica (Generaldirektion für die Förderung der elektronischen Verwaltung) 87 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union nig mit dem System und den Leistungen der öffentlichen Verwaltung aus und wurden nicht ausreichend durch ein geeignetes Wissensmanagement-System unterstützt. Das Call Center der zweiten Auskunftsebene wird von der DGIAE selbst betrieben. Für den Betrieb der Call Center der dritten Auskunftsebene sind die einzelnen Behörden selbst zuständig. Bemerkenswert an der Umsetzung von „060“ ist neben der Auslagerung der ersten Auskunftsebene die Gestaltung der Öffentlichkeitsarbeit. Nachdem vom Ministerium für öffentliche Verwaltung das Konzept für das einheitliche Zugangssystem entwickelt worden war und der Kabinettsbeschluss für die Umsetzung vorlag, wurde eine breit angelegte Werbe- und Informationskampagne gestartet. In den Kampagnen der Jahre 2007 und 2008 wurden Radiound TV-Spots sowie Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften geschaltet; als weiteres Werbemittel wurden Aufkleber genutzt. 2009 wurde zusätzlich Flyer und Plakate eingesetzt sowie Internetbanner geschaltet. 4.3 Implementation und Ergebnisse Das Projekt befindet sich nach einem kurzen Testlauf seit 2006 im Regelbetrieb. Für die Umsetzung und den Betrieb von „060“ sind drei Abteilungen im Ministerium des Ministerpräsidenten politisch und operativ zuständig. Partner, v.a. für die fachliche Unterstützung in den Bereichen Pass-, Melde- und Personenstandswesen, sind die entsprechenden Abteilungen des Innenministeriums sowie für das Kfz-Wesen die Generaldirektion für Verkehr. Es ist geplant, als weiteren Partner das Ministerium für Gesundheit und Sozialpolitik einzubeziehen und das Angebot um Leistungen für Menschen mit Behinderungen zu erweitern. Monatlich gehen ca. 160.000 Anrufe bei „060“ ein, was gegenüber dem Start eine Verdoppelung darstellt. 4.4 Bewertung Besonders hervorzuheben sind bei der spanischen EBN die Planungen zur Ausweitung des Telefonangebotes und damit verbunden die Authentifizierung über das Telefon. Ähnlich wie in Frankreich wurde bei der EBN in Spanien die erste Auskunftsebene ausgelagert sowie eine umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit durchgeführt. Im Unterschied zu „D115“ gibt es bei „060“ physische Zugänge und ein Webportal. Wie bei „D115“ muss der Anrufer für ein Telefonat bei „060“ einen Tarif zahlen. Im Gegensatz zu „D115“ werden über „060“ generell nur Informationen zu nationalen Leistungen abgegeben; dies entgegen der ursprünglichen Planung, alle Ebenen mit einzubeziehen. Personenbezogene Auskünfte und die Antragstellung sollen bei „060“ erst später per Telefon möglich sein; dazu wird derzeit ein Authentifizierungssystem entwickelt. Bei „060“ wird ein Sprachdialogsystem verwendet, über das die Anruferin oder der Anrufer auswählen kann, zu welchen 88 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Themen sie bzw. er Informationen benötigt oder ob sie bzw. er einen Call-Center-Agenten persönlich sprechen will. Anrufe über „D115“ werden hingegen direkt von einen Mitarbeiterin/einen Mitarbeiter des Servicecenters entgegengenommen. Ein großer Unterschied zu „D115“ besteht in der Struktur von „060“: während „D115“ als Servicecenter-Verbund aufgebaut ist, gibt es in Spanien ein zentrales Call Center in Madrid als erste Auskunftsebene, das vorher als Call Center für die Hauptstadtregion genutzt wurde. Für die zweite Auskunftsebene wurde ein Call Center innerhalb der Generaldirektion aufgebaut, als dritte Auskunftsebene gibt es z.T. ebenfalls Call Center bei den zuständigen Behörden. Insgesamt ist die Integration des 060-Systems im Unterschied zu „D115“ gering. So erfolgt die Weiterleitung eines Anrufes über Telefon; zwischen zweiter und dritter Auskunftsebene gibt es in der Regel keine Weiterleitung. Außerdem sind die bestehenden Systeme der Steuerbehörde und der Sozialversicherung nicht über „060“ zu erreichen, was sowohl politische als auch technisch-organisatorische Gründe hat. Im Unterschied zu Deutschland wurde in Spanien die erste Auskunftsebene an einen privaten Dienstleister ausgelagert. Die Leistungen der Call Center sind im Vergleich zu „D115“ nur wenig standardisiert, jedes Call Center – auch das an einen privaten Betreiber ausgelagerte – erstellt und pflegt seine eigene Wissensdatenbank. Für den Aufbau der einheitlichen Rufnummer gab es ähnlich wie in Deutschland keinen konkreten äußeren Anlass, sondern „060“ ist Teil einer allgemeinen Verwaltungsmodernisierung. Sollte bei „D115“ auf der ersten Auskunftsebene durch einzelne Kommunen eine Auslagerung erwogen werden, könnten die Erfahrungen von „060“ berücksichtigt werden, insbesondere in Bezug auf die Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die eingesetzt werden. Des Weiteren ist zu überlegen, ob das geplante Authentifizierungssystem für Deutschland genutzt werden kann. Innovationspotenzial für die „060“ bieten die Bereitstellung standardisierter Informationen zu Leistungen aller Ebenen sowie der Einsatz eines ebenen- und organisationsübergreifenden Wissensmanagement-Systems, wie es bei „D115“ verwendet wird. In die Erweiterung des Systems könnten die anderen Ebenen, wie die Autonomen Gemeinschaften, nicht nur pro forma einbezogen werden, sondern wie bei „D115“ in Projekt- und Arbeitsgruppen aktiv mitarbeiten. 5. Fazit zu den Fallstudien Die vertiefende Fallanalyse hat aufgezeigt, dass z.T. völlig unterschiedliche Wege bei der Einführung der EBN beschritten wurden. Unter Berücksichtigung des Zeitpunkts der Einfüh- 89 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union rung, der Reformauslöser, der Steuerungsmodi bei der Einführung sowie der Kooperationsintensität lassen sich die Staaten wie folgt zusammenfassen: Die Niederlande haben den Weg der Kontinuität beschritten. „Postbus 51“ ist seit Mitte der 90er Jahre umgesetzt. Der Aufbau des Telefonkanals auf zentraler Ebene war wenig spektakulär und erforderte keine politische und mediale Aushandlung und Präsentation. Auf kommunaler Ebene ist die EBN in den Niederlanden als Call-Center-Verbund organisiert, jedoch mit ausgesprochen wenig zentraler Steuerung, was auch die fehlende Angebotsbreite und Vernetzung auf kommunaler Ebene erklärt. Zur Umsetzung werden Empfehlungen zur Standardisierung bezüglich des Aufbaus und der Arbeitsweisen ausgesprochen, wodurch zahlreiche Insellösungen auf kommunaler Ebene entstehen. Bzgl. der Einführung von „Postbus 51“ sind die Niederlande als innovativer Frühstarter einzuordnen, jedoch nicht ebenenübergreifend. Italien ist der Gegenentwurf zu den Niederlanden: Italiens Veränderungsweg bei der EBN war durch schnelles Handeln geprägt. Um Misstrauen gegenüber der Verwaltung zu verringern, musste schnell gehandelt werden. Erst bei gestiegener Akzeptanz konnte eine gewisse Fundierung und Professionalisierung, z.B. durch Aus- und Weiterbildung und Einführung eines Qualitätsmanagements, in das System „Linea Amica“ gebracht werden. In Italien war angesichts der Notwendigkeit einer schnell sichtbaren Antwort auf den Unmut der Bevölkerung mit der öffentlichen Verwaltung für die Anfangsphase nicht an eine Standardisierung und Vorab-Harmonisierung der Call Center zu denken. Das mit der operativen Steuerung beauftragte Institut Formez bemühte sich mit einer Vielzahl von Initiativen im Netzwerkmanagement darum, dass die Call Center die gesteckten Ziele unter Anleitung und in enger Begleitung erreichten. Italien kann im Gesamttypus als Verfolger eingeordnet werden. Frankreichs Schritt zu einem Call-Center-Verbund für die EBN erfolgte auf zentraler Ebene als kontinuierliche Verbesserung. Die Nationalregierung hat eine starke Steuerung im Verbund aus sechs Call Centern konzentriert, sodass die kommunale Ebene weitestgehend außen vor blieb. Der Steuerungsmodi Frankreichs ist daher horizontal auf die nationale Ebene beschränkt, sodass die französische Vorgehensweise insgesamt nur begrenzt Lernpotenzial bietet. Denn erst bei ebenenübergreifender Steuerung stellt sich die eigentliche Herausforderung für die Steuerung bei einer EBN. Frankreich ist bei geringer ebenenübergreifender Kooperation und Angebotsbreite vom Veränderungstyp als aufholender Modernisierer zu bezeichnen. Spanien gehört ebenfalls zu den aufholenden Modernisierern, weil es spät mit der Umsetzung begonnen hatte. Die Vorgehensweise ist von einer Untersteuerung geprägt, was die organisatorisch-technische Umsetzung der EBN anbelangt. Dies zeigt sich beispiels90 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union weise in einem Verzicht der Einflussnahme auf die Arbeitsweise des Call Centers in Madrid. Mit der Auslagerung auf den privaten Dienstleister wurde die operative Steuerung vernachlässigt, was dazu führte, dass die Leistungen des Call Centers als unbefriedigend einzuschätzen waren. Die Korrektur bestand darin, dass das Ministerium des Ministerpräsidenten den beauftragten privaten Dienstleister über im Service Level Agreement niedergelegte Indikatoren kontrolliert. Ab Mai 2010 agiert ein neuer Dienstleister. Spanien weist Lücken in der Vernetzung mit den Fachbehörden und den Kommunen auf, was mit deren Governance-Strukturen bei der Umsetzung erklärt werden kann. Deutschland bildet ebenfalls den Typ des Verfolgers und hat eine beachtliche Integration der Ebenen mit hoher Aufgabenbreite erreicht. Der deutsche Modernisierungsweg ist eher strategisch und verhandlungsorientiert angelegt. Die Koordinierung erfolgt zentral, wenngleich jedes einzelne Bundesland aufwändig zu überzeugen ist; dies erklärt auch die gegenwärtig noch geringe Flächendeckung. Die Unterstützung der Umsetzung der Pilotkommunen erfolgt durch eine Reihe von gut ausgearbeiteten Instrumenten, z.B. den Blaupausen für die Call-Center-Struktur, den Leistungskatalog, das Ticket-System etc., die als sanfte Steuerungsinstrumente gegenüber den Kommunen zum Einsatz kommen. Bei der Umsetzung und Steuerung des Call-Center-Verbundes ist Deutschland von allen Ländern am weitesten vorangeschritten. Damit wird deutlich, dass in jedem Staat aufgrund unterschiedlicher Integrationspfade (Einbindung der Ebenen), institutioneller Ausgangslagen sowie die in einem Staatvorherrschenden Vorgehen bei der Implementation jeweils ein unterschiedlicher Lösungsraum besteht. Mit anderen Worten, die realen Möglichkeiten für Innovationen und Europäisierung sind begrenzt. Folgendes lässt sich daraus für Innovations- und Europäisierungspotenzial ableiten: Bezogen auf Innovationen ist relevant, dass der Lösungsraum nicht zuletzt durch die recht unterschiedlichen in einem Staat vorzufindenden Koordinations- und Kooperationsmechanismen begrenzt ist. Diesbezüglich sind die Fallstudienländer kaum vergleichbar, weshalb sie deutliche Unterschiede im Integrationsgrad und weiteren Ausprägungsformen (insbesondere Vertrieb) aufweisen. Für Deutschland bieten bzgl. der Steuerungsmodi am ehesten Italien und die Niederlande mit „Antwoord“ Anregungen, die jedoch vor dem Hintergrund des dort existierenden Kontexts zu bewerten sind. Gerade weil Italien mit dem Aufbau seiner EBN auf die zunehmende schlechte Berichterstattung in den Medien reagiert hat, ist es anfänglich zu einer schnellen Umsetzung gekommen. Darin liegen allerdings im Vergleich zu Deutschland auch Stärken und damit ggf. auch Anregungspotenzial. Deutschland hat Stärken in der ebenenübergreifenden Kooperation und auch in der Umsetzung der „D115“ mit den diversen Vorgaben für die Teilnahme am D115-Verbund. Die Entwicklung der Dachorganisation ist insofern als logische Weiterentwicklung zu sehen, zumal durch sie ein Mindestmaß an einheitlicher Steuerung im 91 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Verbund sichergestellt wird. Diese Verbundsteuerung ist für alle Staaten von Vorteil, die nicht nur über ein einziges oder weniger zentrales Call Center verfügen, sondern auch Kommunen umfassend einbinden, wie Italien, Spanien oder auch die Niederlande. Für die Europäisierung der EBN ist besonders relevant, dass einfache Freischaltungen einer europäischen „116“-Rufnummer (116 115) am ehesten möglich sind; dies ist insbesondere in Frankreich, Spanien oder Italien der Fall. In den Niederlanden ist eine Freischaltung schwierig, da es bis dato zwei entkoppelte Systeme gibt, wenngleich durch „Antwoord“ eine länderübergreifende Kopplung auf kommunaler Ebene in Betracht kommt. Des Weiteren zeigt die Fallanalyse, dass es bisher nur Deutschland gelungen ist, von der zentralen Ebene ausgehend die Kommunen in strukturierter Weise einzubinden. Die ebenenübergreifenden Kooperationsmechanismen sind in den anderen Staaten nicht sehr ausgeprägt, was u.U. auch Rückschlüsse auf die staatenübergreifende Kooperationsfähigkeit zulässt. Aus der Analyse sind Spanien und Italien am ehesten für fortgeschrittene Europäisierungsszenarien bei der EBN geeignet. Sie gehören zu den Verfolgern und haben klare Planungen für eine erhöhte Integration. 92 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union IV. Ableitung von Handlungsempfehlungen 1. Handlungsempfehlungen im Bereich Innovation 1.1 Vertriebssicht Anregungen zur Weiterentwicklung von „D115“ bestehen aus Vertriebssicht bei der Angebotstiefe, der Erreichbarkeit (Servicezeiten, Mehrsprachigkeit) und beim Multikanal-Ansatz. Aus Vertriebssicht ist die Angebotsbreite von „D115“ besonders weit entwickelt. Hier bietet Deutschland Innovationspotenzial für andere EU-Mitgliedstaaten, wie Frankreich, Griechenland oder Irland. Innovationspotenzial für Deutschland Handlungsempfehlung: Erhöhung der Angebotstiefe und Authentifizierung ermöglichen Bislang ist bei „D115“ nicht die individuelle Fallbearbeitung über die EBN vorgesehen. Belgien (Flandern), Ungarn und Italien sehen diese Angebotstiefe bereits jetzt vor, weitere EUMitgliedstaaten wie die Niederlande, Spanien und Portugal planen die End-to-EndFallbearbeitung. Um die Angebotstiefe auszuweiten (z.B. fallbezogene Informationen oder Antragstellung), ist es erforderlich, dass für Anrufer Authentifizierungsmechanismen über den telefonischen Zugang bereitstehen. Überdies ist die Kooperationsintensität zwischen Servicecenter und Fachbehörden zu erhöhen, sodass neue Kooperationsmechanismen erforderlich sind (vgl. Produktionssicht). Konkrete Anregungen für „D115“ liefern die geplanten EBN-Lösungen in Portugal und Spanien: dabei ist der Einsatz des elektronischen Personalausweises auch für die telefonische Kommunikation zwischen Bürgern und öffentlicher Verwaltung vorgesehen. In Portugal soll die Cartão do Cidadão zusammen mit einem durch diese Karte erzeugten Einmal-Passwort zum Einsatz kommen, sodass dann eine Authentifizierung möglich ist. Die Spezifik der Karte ergibt sich aus dem konstitutionellen Verbot einer zentralen Personendatenbank; dadurch trägt die Karte mehrere Identifizierungsmerkmale (bürgerliche ID-Nummer, Sozialversicherungsnummer, Steuernummer und Gesundheitsnummer). In Spanien wird das System der RSA-Schlüssel, also dem Schlüsselpaar aus einem privaten Schlüssel zur Entschlüsselung und einem öffentlichen Schlüssel verwendet. Danach erhalten die Bürgerinnen und Bürger per Brief eine Referenznummer, die sie zusammen mit der Nummer ihres Personalausweises oder des Führerscheins angeben. Derzeit wird in der zuständigen Abteilung im Ministerium des Vizeministerpräsidenten (DGIAE) das technischorganisatorische Konzept für den Ausbau des Angebots entwickelt. Überdies haben Spanien und Portugal Anfang Februar 2010 ein Abkommen unterzeichnet, mit dem die wechselseitige 93 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Nutzung der Online-Dienstleistungen unter Verwendung der jeweiligen elektronischen Personalausweise möglich wird. Weniger streng ist die Authentifizierung in anderen EU-Mitgliedstaaten, wie Belgien mit Flandern. Um personenbezogene Auskünfte zu erhalten, reicht es aus, Attribute wie Namen und Anschrift bzw. in einigen Fällen zusätzlich die nationale Registernummer oder die Antragsnummer anzugeben. Auch gibt es eine ganze Reihe von Vorgängen, bei denen auf eine formale Authentifizierung verzichtet werden kann, wie Bestellung von Mülltonnen oder bestimmte Anzeigen. So könnten Bürgerinnen und Bürger „D115“ auch nutzen, um z.B. auf Gefahrenquellen (Schlaglöcher, umgestürzte Bäume etc.) hinzuweisen oder per Mobiltelefon Fotos an das Servicecenter zu schicken. Als konkrete Handlungsempfehlung für Deutschland ergibt sich, „D115“ mit der Möglichkeit der Authentifizierung über den neuen Personalausweis weiterzuentwickeln. Dadurch sind perspektivisch die Angebotstiefe und damit der Nutzen von „D115“ insgesamt zu verbessern. Ggf. ist zu prüfen, ob – wie in Belgien – bestimmte personenbezogene Auskünfte auch ohne formale Authentifizierungsmechanismen erteilt werden können. In jedem Fall bietet „D115“ ein interessantes Anwendungsfeld für die im Herbst 2010 geplante Einführung des neuen Personalausweises, der gleichzeitig Nutzen für „D115“ verspricht. Insbesondere sind authentifizierungsbedürftige Anwendungen und Leistungen zu identifizieren, bei denen es sich besonders lohnt, sie über den telefonischen Kanal abzuwickeln. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Leistungen, die zu einer größeren Angebotstiefe führen und entsprechenden Nutzen bringen. Es ist zu empfehlen, dass auch bestimmte Anzeigen und Dokumente eingereicht werden können, ohne dass unbedingt eine Authentifizierung verlangt wird. Handlungsempfehlung: Multikanal-Ansatz verfolgen Im Bereich Multikanal-Ansatz bietet Belgien mit Flandern Innovationspotenzial, da es dort neben dem Servicecenter ein Webportal und physische Bürgerbüros gibt, die aufeinander abgestimmt sind. Weiterhin erhalten die Nutzer über Teletext und über digitales Fernsehen (Teletekst en interactieve tv [IDTV]) Zugang zu Informationen, die vorher nur über das Internet zugänglich waren. Die EBN in Belgien weist auch deutliche Merkmale eines Servicecenters auf, indem neben dem telefonischen Kontakt weitere Kommunikationskanäle angeboten werden. Kunden können per Brief, E-Mail oder Chat das Servicecenter kontaktieren; für Gehörlose und Hörgeschädigte wird der Chat „Teletolk“ angeboten. Über „Teletolk“ können diese Personen mit anderen kommunizieren, Fragen zu öffentlichen Verwaltungsleistungen stellen, aber auch Termine mit einem Arzt vereinbaren. Irland verfolgt eine Multikanal-Strategie: Neben dem CIPS gibt es das Webportal www.citizensinformation.ie und physische Bürgerbüros. Ungarn hat eine Multikanal-Strategie 94 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union für den Zugang zu Leistungen der öffentlichen Verwaltung entwickelt. Neben dem Telefon bzw. Servicecenter gibt es als weiteren Zugang seit September 2003 das Webportal www.magyarorszag.hu. Das Servicecenter bietet neben dem telefonischen Kontakt verschiedene Kommunikationskanäle an – Kunden können eine E-Mail ([email protected]) schreiben oder eine SMS (189) schicken. „D115“ kann wesentlich optimiert werden, wenn sich die D115-Servicecenter als umfassende Contact Center für Bürgerinnen und Bürger etablieren, die alle (neuen) Medien wie SMS, Chat, MMS, E-Mail etc. nutzen. Aufgrund der Verbundlösung und des dezentralen Ansatzes sind dafür in Deutschland die Kommunen selbst verantwortlich. Der Bund, der die zentrale Projektsteuerung übernimmt, kann jedoch unterstützend wirken, indem beispielsweise ein entsprechendes Referenzmodell für diese multikanalfähige Contact-Center-Lösung entwickelt wird. Weitere Optimierungsansätze ergeben sich, wenn die Kommunen ihr telefonisches Angebot stärker mit ihren weiteren kommunalen Zugangskanälen abstimmen. Insbesondere setzt „echte“ Multikanal-Fähigkeit gemeinsame Datenbestände und CRM-Systeme zwischen den Zugangskanälen voraus. Damit wird ein Wechsel der Zugangskanäle möglich, ohne dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Anliegen ständig neu darlegen müssen. Hierbei sind im besonderen Maße Aspekte des Datenschutzes zu beachten, ggf. ist die Einwilligung der Bürgerin und des Bürgers im jeweiligen Einzelfall einzuholen. Handlungsempfehlung: Erreichbarkeit verbessern Weiteres Innovationspotenzial für „D115“ liegt in einer erweiterten Erreichbarkeit und der Ausweitung von Servicezeiten. Insbesondere durch Kooperationen von mehreren Servicecentern lassen sich erweiterte Öffnungszeiten sicherstellen. Denkbar ist eine erweiterte Erreichbarkeit an Wochentagen. Öffnungszeiten an Samstagen und/oder Sonnta- gen/Feiertagen gibt es in Belgien (Flandern), Frankreich, Irland, den Niederlanden (Postbus 51), Slowenien und Spanien. Eine „Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit“ der EBN von Montag bis Sonntag ist beispielsweise in Griechenland gewährleistet, wenngleich es hier nur wenige Call Center sind, so dass eine erweiterte Erreichbarkeit leichter als bei Verbundlösungen sichergestellt werden kann. Im Hinblick der sprachlichen Erreichbarkeit ergibt sich für „D115“ aus dem Vergleich der EUMitgliedstaaten, dass ein mehrsprachiges Angebot zu empfehlen ist. Insbesondere Englisch sollte angeboten werden, da diese Sprache in den untersuchten Ländern am meisten verbreitet ist. 95 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Innovationspotenzial aus Deutschland Aus EU-Vergleichssicht bietet Deutschland beim Vertrieb nur begrenzt Innovationspotenzial, da es sich hier nicht wesentlich von anderen unterscheidet. Deutschland gehört bei der Angebotsbreite zu den Vorreitern, was jedoch im Wesentlichen auf Innovationen im Produktionsbereich zurückzuführen ist. 1.2 Produktionssicht Kern aus Produktionssicht ist die Kooperation mit anderen Behörden, weil nur so das Angebot der EBN verbessert werden kann. Insgesamt ist „D115“ hinsichtlich der Kooperation gut aufgestellt. Im Detail ergeben sich dennoch aus internationaler Vergleichsperspektive Verbesserungsmöglichkeiten. Denn die positive Gesamteinschätzung bei der Kooperation bezieht sich auf die Themenbreite, wodurch bei „D115“ die Angebotsbreite zustande kommt. Nachholbedarf besteht jedoch in der Angebotstiefe, was auf eine geringere Kooperationsintensität schließen lässt. Hier besteht Handlungsbedarf bei der Zusammenarbeit mit den Fachbehörden. Weiterhin ist aus Produktionssicht die Nutzung von „D115“ in Krisenfällen, wie sie bereits in den Niederlanden und Italien praktiziert wird, zu empfehlen. Im Ergebnis sollte in Deutschland die Erweiterung der Zusammenarbeit mit der dritten Auskunftsebene (Erhöhung der Kooperationsintensität) sowie die Kopplung mit Krisenmanagement erfolgen. In den übrigen Bereichen, u.a. Informationsmanagement und ITAnwendungen, zählt „D115“ mit zu den am weitesten entwickelten Lösungen und bietet Anregungen für andere EU-Mitgliedstaaten. Innovationspotenzial für Deutschland Handlungsempfehlung: Kopplung mit Krisenmanagement Zu empfehlen ist der Aufbau eines Systems, über das die in den Bundesländern für Krisen zuständigen Behörden schnell Informationen für „D115“ im Krisenfall bereitstellen. Die Servicecenter sind dann in der Lage, die Bevölkerung aktuell zu informieren. Die Ausweitung des Angebots für den Krisenfall dürfte die Akzeptanz von „D115“ in der Bevölkerung und nicht zuletzt bei den für den Krisenfall originär zuständigen Behörden wesentlich steigern. Bei der Bereitstellung ist darauf zu achten, dass die Informationen länderübergreifend zur Verfügung stehen. Anregung für diese Art der Kooperation liefert Italien: Nach dem Erdbeben in den Abruzzen im April 2009 hatte „Linea Amica“ eine wichtige Funktion für die Bürger als Ansprechpartner für Fragen zur Bewältigung der Folgen des Erdbebens. Das spiegelt sich in dem enormen Anstieg der Anrufe bei „Linea Amica“ im April wider. Ca. ein Viertel aller Anfragen gingen bei „Linea Amica“ Abruzzo ein. Die Bürgerinnen und Bürger hatten ganz 96 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union praktische Fragen, wie z.B. wann die Anlagen geprüft werden, sodass Gas und Strom wieder genutzt werden können, wann sie wieder in ihre Häuser einziehen können oder welche finanzielle Unterstützung es gibt. In Deutschland gab es in den letzten Jahren immer wieder Krisenfälle, wie Hochwasser, Massenpanik auf Großveranstaltungen, Terrorgefahr, Epidemien etc., sodass hier „D115“ einen hohen Mehrwert leisten kann. Handlungsempfehlung: Kooperationsintensität mit Fachbehörden erhöhen Soll die Angebotstiefe und damit das Angebot insgesamt verbessert werden, muss auch die Kooperation mit den Fachbehörden intensiviert werden. Konkret müssen die zweite Auskunftsebene und Fachbehörden besser zusammenarbeiten. Hierfür können den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der zweiten Auskunftsebene Leserechte auf die Anwendungen der Fachbehörden eingeräumt werden, wie es beispielsweise in Belgien mit Flandern oder in Malta umgesetzt ist. In den Niederlanden bei „Antwoord“ kann die erste Auskunftsebene komplexe oder personenbezogene Fragen auch direkt an die dritte Auskunftsebene, d.h. die jeweils zuständige kommunale Fachbehörde weiterleiten, wenn aus ihrer Sicht die zweite Auskunftsebene diese nicht beantworten kann. Lesenden Zugriff auf die Anwendungen der Fachbehörden hat jedoch nur die zweite Auskunftsebene. Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass Anträge, Dokumente etc. zu den Fachbehörden weitergeleitet werden können, wenn die Authentifizierung über die EBN erfolgte. Die Kooperation zwischen zweiter Auskunftsebene und Fachbehörde kann wie beim Einheitlichen Ansprechpartner erfolgen, der im Rahmen der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie umgesetzt wurde. Hier kommen bereits in jedem Bundesland Lösungen zum Einsatz, die auf die „D115“ übertragen werden könnten. Damit wird auch eine Mehrfachverwendung von häufig kostenaufwändig entwickelten und vorliegenden Lösungen erreicht. Innovationspotenzial aus Deutschland Der ebenenübergreifende Ansatz und das damit verbundene Angebot von Leistungen von mehreren Verwaltungsebenen sind insbesondere für Länder wie Frankreich, Niederlande oder Italien interessant, bei denen die ebenenübergreifende Zusammenarbeit in der Breite noch nicht weit vorangeschritten ist. Das Kernstück bilden standardisierte Leistungsbeschreibungen mit dazugehörigen Informationsbeständen, die allen Call Centern im Verbund zur Verfügung gestellt werden. In den meisten Ländern liefern andere Verwaltungen oder Behörden zwar Informationen für die Wissensdatenbank zu, die Beschreibungen folgen jedoch keiner einheitlichen Struktur. Auch fehlen für die Bereitstellung der Informationen ent97 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union sprechende Qualitätsvorgaben. Bei „Antwoord“ in den Niederlanden und bei „Linea Amica“ in Italien wird eine solche Standardisierung vorbereitet. Die übrigen Länder, dabei v.a. die Länder, die die Einführung einer EBN planen, sind mögliche Interessenten für den deutschen Ansatz. Weiteres Innovationspotenzial bietet das Ticket-System, das in dieser Form für Deutschland besonders charakteristisch ist. Ein solches System ist für alle Länder relevant, bei denen die EBN über mehrere Ebenen organisiert ist oder realisiert werden soll oder wie in Italien, wo die Kooperation nicht sehr gut funktioniert oder nur manuell stattfindet. 1.3 Organisatorische Einbettung Im Bereich der Umsetzungsorganisation gibt es mehrere Innovationspotenziale und Anregungen, die andere EU-Mitgliedstaaten für Deutschland bereithalten. Dazu zählen Innovationen aus den Bereichen Betreibermodell, Öffentlichkeitsarbeit und Gebühren. Umgekehrt bietet Deutschland Anregungen für andere EU-Staaten, wie z.B. bei der interkommunalen Kooperation oder bei der dezentralen Verbundlösung, die beispielgebend ist. Innovationspotenzial für Deutschland Handlungsempfehlung: Tarife reduzieren Deutschland ist der einzige EU-Staat unter den untersuchten EU-Mitgliedstaaten, wo entsprechend hohe Tarife fällig werden. In einigen EU-Mitgliedstaaten, wie Belgien (Flandern und Wallonien), Dänemark und Malta sind Anrufe der EBN gänzlich tarif- bzw. gebührenfrei. Eine zum Ortstarif zugängliche Rufnummer würde wesentlich die Akzeptanz von „D115“ erhöhen. Auch würden geringere Probleme bei der Konkurrenz mit bestehenden kommunalen Rufnummern auftreten, die bereits zum Ortstarif genutzt werden können. Handlungsempfehlung: Franchisesystem entwickeln und aufbauen Zentrale Frage für Deutschland ist die Steuerung im Verbundsystem. Konkret sind einzelne Bundesländer und Kommunen aufwändig durch Verhandlungen zu überzeugen, sich an „D115“ zu beteiligen. Aufgrund der Autonomie der Beteiligten kommt eine hierarchische Umsetzung nicht in Betracht. Unterstützend kann für die Umsetzung ein Franchisesystem als ein „weiches Steuerungsinstrumentarium“ sein (vgl. zur Anwendung auf die öffentliche Leistungserbringung: Lenk/Klee-Kruse 2000, S. 94ff.). Der Bund ist der Franchisegeber und die Länder bzw. die Kommunen die Franchisenehmer. Insbesondere unter den Bedingungen der kommunalen Vielfalt und Kleinteiligkeit der Strukturen im Flächenland erscheint ein solcher 98 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Ansatz als besonders viel versprechend. Der Vorteil des Franchisings liegt in der Möglichkeit, unternehmerische Konzepte auf der Basis von Wissenstransferleistungen wirkungsvoll zu verbreiten. Kennzeichen des Franchisings ist vor allem dessen arbeitsteilige Vorgehensweise. Die Leistungs- und Durchführungsstruktur wird zwischen Franchisenehmer und -geber aufgeteilt, was vertraglich verankert wird. Der Franchisegeber stellt den Franchisenehmern das von ihm entwickelte Konzept in der Regel gegen Entgelt zur Verfügung. Außerdem sorgt er für die Aus- und Weiterbildung der Gemeinden und des Personals in den Servicecentern sowie für die Weiterentwicklung des Konzepts und dessen gleichförmige Durchsetzung bei allen Beteiligten. Die Gemeinden setzen jeweils das Konzept lokal um. Eine solche Art von arbeitsteiliger Vorgehensweise, die Franchisecharakter hat, wurde in den Niederlanden bei „Antwoord“ identifiziert: Um die Umsetzung in den Kommunen zu erleichtern, hat das ICTU eine Art Franchising-Modell entwickelt, das aufeinander abgestimmte Schritte und Maßnahmen enthält, die für die Umsetzung erforderlich sind. Im Einzelnen enthält das Modell u.a. folgende Elemente: ein z.T. sehr detailliertes Umsetzungskonzept, dass die Kommunen an ihre eigenen Strukturen und Organisationen anpassen müssen (einschließlich der Anleitungen zum Aufbau eines Call Centers und für die Erhebung von Prozessen), den Zugang zur Antwoord Contentcollectie, einer Wissensdatenbank mit häufig gestellten Fragen, die von nationalen Behörden aufgebaut wurde, Handreichungen für die Einführung eines Qualitätsmanagements sowie Vorschläge für die wichtigsten Leistungsindikatoren, Schulungen für Mitarbeiter und Führungskräfte von öffentlichen Call Centern, die kostenpflichtig sind und im Rahmen einer Public Private Partnership durchgeführt werden und Richtlinien und Vorschläge für die Öffentlichkeitsarbeit sowie für Informationsveranstaltungen und Workshops zur Umsetzung von „Antwoord“. Die praktische Einführung des Systems erfolgt durch die Kommunen selbst, die neben dem Umsetzungskonzept zusätzliche Unterstützungsleistungen von der ICTU erhalten können. Ein Franchise-System ist gut anschlussfähig zur gegenwärtig neu entstehenden Dachorganisation bei „D115“, die zwar keine direkte Einwirkmöglichkeiten auf die kommunalen Servicecenter hat, jedoch eine Art Systemführerschaft für die Kommunen entwickeln könnte. Damit könnte die Dachorganisation ein einheitliches Konzept für die Servicecenter entwickeln; auch für den Aufbau und den Betrieb. Die Gemeinde als Franchisenehmer erhält damit ein „Systempaket“, d.h. ein einheitliches Geschäftskonzept, aus einer Hand. Als Franchisegeber kommen eigens zu diesem Zweck gegründete (öffentliche oder private) Unternehmen wie die entstehende Dachorganisation oder große innovative Städte/Bundesländer in Betracht, wel99 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union che die von ihnen entwickelte Lösung weitergeben. Die Unterstützung der Gemeinde als Franchisenehmer erfolgt vor allem in vier Bereichen: Marketing, Informationstechnik, Personalqualifizierung und Management. Der Franchisegeber bestimmt für alle Mitglieder im Netzwerk die Marketingstrategie. Durch geeignete Managementpraktiken und -prozesse sorgt er dafür, dass diese Strategie und damit ein einheitliches Leistungsbild auch vor Ort professionell und wirtschaftlich realisiert werden. Mit einer einheitlichen Marketing-Strategie können nicht nur Kosten gespart werden, sondern es ist möglich, den telefonischen Vertriebskanal unter einer einheitlichen und eigenständigen Marke aufzubauen. Gerade in Zeiten des zunehmenden Vertrauensverlustes privater Dienstleister gewinnt das Thema „Der Staat als Marke“ an Bedeutung, die so gezielt platzieren werden kann – ein Aspekt, der bisher noch kaum gesehen wird. Auch ist ein Franchiseansatz relevant, um „D115“ kontinuierlich weiterzuentwickeln. In vielen EUMitgliedstaaten mit EBN hat sich gezeigt, dass die Systeme nach dem Aufbau kaum weiterentwickelt wurden. Dies könnte jedoch durch einen Franchisegeber (z.B. die Dachorganisation) geleistet werden. Handlungsempfehlung: Öffentlichkeitsarbeit ausbauen. Obwohl übliche Instrumente der Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland entwickelt vorliegen, gibt es aus den EU-Mitgliedstaaten Anregungen. Insbesondere ist in anderen EUMitgliedstaaten die ganzheitliche Anwendung der Instrumente beispielgebend, die eng aufeinander abgestimmt sind. In anderen EU-Mitgliedstaaten wie Slowenien oder Frankreich wird sichtbar, dass die Öffentlichkeitsarbeit kampagnenartig über mehrere Wochen durchgeführt wird, um Sichtbarkeit zu erzeugen. Gerade in der Pilotphase könnte das Projekt aktiv beworben werden, damit Bürger auf ihre Verwaltung „Druck“ erzeugen, dass „D115“ eingeführt wird. Für „D115“ bieten Italien, Frankreich, „Antwoord“ in den Niederlanden und Slowenien besonderes Innovationspotenzial in Sachen Öffentlichkeitsarbeit. Besondere Beispiele für Werbemaßnahmen waren neben üblichen Werbemitteln, wie sie auch im Privatsektor zum Einsatz kommen, direkt in den Gebäuden der öffentlichen Verwaltung (wie z.B. in Frankreich) „platzierte“ Werbung. Auffällig war in Frankreich, dass bereits während der Pilotphase intensiv für die EBN geworben und bei den Werbekampagnen der Nutzen der EBN für die Bürgerinnen und Bürger deutlich herausgestellt wurde. In Italien besticht der breite Ansatz und die Intensität des Einsatzes aller klassischen (Printmedien, Radio) und der modernen Werbeträger (Internet). Um „Allô Service Public 39 39“ bekannt zu machen, wurde eine umfangreiche Werbekampagne mit TV-Spots, Werbung bei den wichtigsten nationalen Radiosendern, auf den wich100 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union tigsten Websites der Regierung, auf www.service-public.fr und auf den Portalen der Verwaltungsbezirke sowie in gedruckter Form und auf Plakaten durchgeführt. Für die einheitliche Rufnummer „39 39“ wurde auch in mehreren Informationsbroschüren zur ADELE-Strategie und deren Maßnahmen geworben. Für die ständige Werbekampagne wurde – wie in Deutschland auch – ein eigener Slogan entwickelt: „Die erste Antwort auf Ihre Fragen rund um die Verwaltung – 39 39“ (La première réponse à vos questions administratives – 39 39). Die ständige Werbekampagne erfolgt durch Flyer, über Spots im Radio und Fernsehen, mit Postern, Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften sowie im Internet. In der Testregion RhôneAlpes wurde vor allem in den Radio- und Fernsehnachrichten für „39 39“ geworben. Über 20.000 Plakate und 300.000 Informationskärtchen im Kreditkartenformat wurden an öffentlichen Orten (in Postämtern, Rathäusern etc.) in der gesamten Region Rhône-Alpes aufgehängt bzw. ausgelegt. Diese Orte wurden gewählt, um den neuen Zugang zu Verwaltungsleistungen in den „traditionellen“ (Verwaltungs-)Räumen bekannt zu machen. Für Deutschland ergibt sich die Handlungsempfehlung, die vorhandenen Instrumente der Öffentlichkeitsarbeit verstärkt einzusetzen und die Kommunikationsmaßnahmen um weitere Instrumente zu erweitern. Insbesondere besteht die Anforderung für „D115“ einen integrierten Kommunikationsansatz als Gesamtstrategie zu entwickeln. Das ist nicht nur erforderlich, um „D115“ in den frei geschalteten Regionen bekannter zu machen, sondern auch um neue Regionen zu gewinnen. Innovationspotenzial aus Deutschland Deutschland verfügt über eine ausgeprägte Verbundstruktur an Servicecentern. Das hat generell den Vorteil, dass lokale/regionale Gegebenheiten besser als bei zentralen Lösungen berücksichtigt werden kann – bei gleichzeitiger Vorgabe von Mindeststandards für „D115“. Die deutsche Verbundlösung bietet einige Vorteile, wenngleich hierdurch eine schnelle Ausbreitung erschwert wird. Allerdings kann hierdurch eine hohe Angebotsbreite sichergestellt werden, weil die Kommunen stark einbezogen sind. Die Zusammenarbeit im Verbund bietet insbesondere Anregungen für die Niederlande, Frankreich oder Spanien. Weiteres Innovationspotenzial bietet Deutschland für die EU-Mitgliedstaaten bei der interkommunalen Kooperation, was insbesondere bei dezentralen Call Center-Lösungen in Betracht kommt. Um zu vermeiden, dass jede Kommune ein separates Call Center aufbauen und betreiben muss, bieten sich interkommunale Kooperationen wie in der Region Köln an. Das kommt für alle Länder mit EBN in Betracht, in denen Call Center auf kommunaler Ebene aufgebaut werden sollen bzw. bereits vorhanden sind, z.B. Italien. Auch Frankreich und Griechenland könnten die Erfahrungen aus Deutschland nutzen, wenn dort die regionale und kommunale Ebene stärker integriert werden soll. 101 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union 2. Handlungsempfehlungen für die Europäisierung Für die Möglichkeit der Umsetzung der Europäisierung der EBN kommen vier Grundoptionen mit verschiedenen Varianten in Betracht, die sich entlang von Kooperationsintensitäten einordnen lassen. Zunächst kommt als schwächste Form der Kooperation ein Erfahrungsaustausch in Betracht, danach die bloße Freischaltung der „116 115“-Rufnummer. Eine weitergehende Option ist die staatenübergreifende Kopplung (horizontale Kopplung) von EBN sowie die Kopplung zwischen den nationalen EBN mit Rufnummern der EU (vertikale Kopplung). 2.1 Option 1: Erfahrungsaustausch Um Ideen für die Weiterentwicklung von nationalen EBN und Erkenntnisse aus der Umsetzung zu diskutieren, bietet es sich an, einen Erfahrungsaustausch zwischen den EUMitgliedstaaten zu initiieren und ggf. zu institutionalisieren. So könnte eine europäische Arbeitsgruppe zur EBN entstehen. Relevante Themen für den europäischen Austausch sind: Vertiefte Diskussion der hier identifizierten Innovationspotenziale und Diskussion über die Übertragbarkeit von Lösungen auf andere EU-Mitgliedstaaten. Dabei Konzentration auf Kernthemen wie Erhöhung der Angebotstiefe, Authentifizierung, Multikanal-Ansatz, Kooperation etc. Vertiefte Diskussion über Möglichkeiten/Grenzen der Europäisierung der EBN und der in dieser Studie herausgearbeiteten Optionen mit Fokussierung auf europaweite Standards zur Sicherung von Interoperabilität. Entwicklung von europaweiten Service-Standards für EBN mit Aufbau eines regelmäßigen europaweiten Benchmarking-Systems. Insbesondere Einigung auf Indikatoren zur europaweiten Messung der EBN-Entwicklung. Ein europäisches EBN-Benchmarking könnte zukünftig das Kernthema der Arbeitsgruppe bilden. Durch das Monitoring, d.h. die Dauerbeobachtung von gemeinsam definierten Standard-Kenngrößen, können Veränderungen der nationalen EBN aus Vertriebssicht (z.B. Veränderungen des Leistungsangebots oder der Erreichbarkeit) oder aus Produktionssicht (z.B. Ausweitung von Kooperationen mit anderen Behörden) verfolgt und miteinander verglichen werden. Durch ein gemeinsames Benchmarking lassen sich laufend Good Practices und jene Bereiche der nationalen EBN identifizieren, in denen Optimierungspotenziale liegen. Gleichzeitig können die jeweiligen EBN-Ansätze besser auf europäische Belange ausgerichtet werden. An diesem Austausch können grundsätzlich alle EU-Mitgliedstaaten mit einer bereits eingeführten EBN (z.B. Frankreich, Italien, Spanien) teilnehmen. Darüber hinaus ist der Erfah102 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union rungsaustausch besonders für die EU-Mitgliedstaaten relevant, die gegenwärtig den Aufbau einer EBN planen (z.B. Schweden, Finnland, Slowakei). Sie haben dadurch die Gelegenheit, von Anfang an ihre Aktivitäten mit europäische Anforderungen abzustimmen und die Erfahrungen anderer EU-Mitgliedstaaten mit EBN zu übernehmen. Nicht zuletzt ist der Erfahrungsaustausch auch für die Staaten von Interesse, die noch keine EBN haben (z.B. Estland, Tschechien, Bulgarien oder auch die Schweiz). Für sie bietet der Erfahrungsaustausch die Möglichkeit, im Vorfeld abzuklären, ob und inwieweit eine EBN für ihren Staat sinnvoll ist. Staaten ohne EBN sind insbesondere für einen Good-Practice-Workshop geeignete Teilnehmer, um konkrete Anregungen für umgesetzte Lösungen zu erhalten. Der Erfahrungsaustausch kann unabhängig von den weiteren Europäisierungsszenarien stattfinden und ist nicht als ausschließliches Instrument anzusehen. Vielmehr setzen die Europäisierung des EBN-Dienstes sowie die ständige Weiterentwicklung einen dauerhaften Erfahrungsaustausch voraus. Dabei muss der Erfahrungsaustausch keineswegs ausschließlich in Workshops stattfinden. Es ist zu empfehlen, parallel eine Online-Good-PracticeDatenbank aufzubauen und dazu entsprechende Fachforen einzurichten, um einen effizienten Wissenstransfer sicherzustellen. 2.2 Option 2: Einführung einer europäischen mit „116“ beginnenden Rufnummer für harmonisierte Dienste von sozialem Wert durch Freischaltung Der nächste Schritt der Integration ist die Freischaltung einer europäischen mit „116 “ beginnenden Rufnummer für harmonisierte Dienste von sozialem Wert in jedem EU-Mitgliedstaat, der über eine entsprechende EBN verfügt. Dieses Szenario stellt die einfachste Form zur Europäisierung des Dienstes dar und kann umgesetzt werden, wenn mindestens fünf Länder dieses Vorhaben unterstützen. Die Zuteilung der Rufnummer durch die nationalen Regulierungsbehörden in den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten an den Diensteerbringer (in der Regel dem zuständigen Ministerium) ist dabei Voraussetzung. Das formale Verfahren zur Reservierung einer europäischen mit „116“ beginnenden Rufnummer für harmonisierte Dienste von sozialem Wert erfolgt im Wesentlichen in drei Schritten: Der erste Schritt ist die durch einen EU-Mitgliedstaat zu initiierende Antragstellung auf Reservierung einer „116“-Rufnummer bei der Europäischen Kommission. Hierfür ist der zu erbringenden Dienst anzugeben, der über diese Rufnummer erbracht werden soll. Wird die „116“-Rufnummer von der Europäischen Kommission reserviert, so wird die Kurzbeschreibung des Dienstes zusammen mit der Rufnummer in die „Liste der für harmonisierte Dienste von sozialem Wert reservierten Rufnummern“ aufgenommen. In einem zweiten Schritt erfolgt die Zuteilung der Rufnummer an eine Organisation (Diensteerbringer) in den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten. Für das Verfahren der Zutei103 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union lung der Rufnummer sind die Regulierungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten verantwortlich (Art. 5 der Entscheidung der Kommission 2007/116/EG). Der dritte Schritt besteht in der organisatorischen und technischen Abwicklung durch den jeweiligen Diensteanbieter und dessen Netzbetreiber, sodass die Nummer für den definierten Dienst genutzt werden kann. Anforderungen für dieses Grundszenario lassen sich aus der Vertriebssicht ableiten. Die Untersuchung hat gezeigt, dass hierfür alle EU-Mitgliedstaaten mit EBN, die Niederlande und Belgien unter Vorbehalt, in Betracht kommen. Belgien und die Niederlande haben zwar (noch) entkoppelte Systeme, kommen jedoch dennoch für die Freischaltung in Betracht, da sie mit einer europäischen „116“-Rufnummer jeweils beide Systeme (Postbus 51 und Antwoord in den Niederlanden sowie die EBN in Flandern und Wallonien in Belgien) verbinden können. Insbesondere in Belgien dürfte es aufgrund der regionalen Teilung gegenwärtig schwierig sein, sich auf einen europäischen „116“-Dienst zu einigen, wenngleich das für Belgien auch die Chance wäre, die zwei bestehenden EBN-Systeme zu harmonisieren. Weiterhin kommen für die Freischaltung Finnland und Schweden in Frage, auch wenn sich diese Staaten erst in der Planungsphase befinden; sie haben sich von Anfang an, auch als nationale EBN auf eine europäische „116“-Rufnummer der „116 115“ geeinigt. Damit erfüllen diese Staaten de facto mit der nationalen Einführung in ihrem Land schon die Anforderungen an eine europäische EBN. Für dieses einfache Szenario ist jedoch mindestens dafür zu sorgen, dass der Dienst in englischer Sprache und möglichst – über die nationale Sprache hinaus – in einer weiteren EUSprache bereitsteht. Das ist zwar für die formale Freischaltung nach den EU-Bestimmungen nicht notwendig, sollte aber dennoch sichergestellt sein, um den staatenübergreifenden Anforderungen gerecht zu werden. Eine organisatorische Umsetzung ist denkbar, indem jeder Staat bei der Wahl einer europäischen „116“-Rufnummer ein so genanntes federführendes Call/Servicecenter ansteuert. Dieses Call-/Servicecenter nimmt die die Anfrage an und leitet sie ggf. an das zuständige Call-/Servicecenter bzw. Auskunftsebenen weiter. Beherrscht der Anfragende bzw. die Anfragende nicht die jeweilige Landessprache, kann das Servicecenter die Informationen von der nächsten Auskunftsebene einholen. Für die Umsetzung der Freischaltung einer europäischen „116“-Rufnummer, beispielsweise der „116 115“ in den jeweiligen Staaten, bestehen über die Grundvariante hinaus weitere Möglichkeiten zur Umsetzung: Nationale Ziffernfolge der EBN durch „116 115“ ersetzen Diese Variante wird insofern wenig Akzeptanz finden, als die EU-Staaten mit bereits vermarkteten und in ihren Staaten bekannten, auch kürzeren und für die Bevölkerung leicht 104 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union merkbaren nationalen EBN vermutlich nur einen geringen Mehrwert sehen. Diese Staaten werden daher eher zögerlich sein, ihre nationale Ziffernfolge der EBN abzuschaffen. Für EUStaaten, die hingegen noch keine nationale EBN etabliert haben, bietet sich bereits in der Planungsphase einer EBN die Wahl einer europäischen „116“-Rufnummer (116 115) an. Für Staaten mit bestehender nationaler EBN kommt eher eine zusätzliche Freischaltung ggf. einer „116 115“ in Betracht. Damit wäre sowohl unter der nationalen als auch unter der europäischen EBN das gleiche Angebot gewährleistet. Schaffung eines zusätzlichen Angebots unter einer europäischen „116“-Nummer (116 115) Denkbar ist auch, dass unter der europäischen EBN in den jeweiligen Ländern ein zusätzlicher Dienst geschaltet wird, der das Angebot in englischer oder in anderen EU-Sprachen vorhält. Zusätzlich könnte auch ein spezielles EU-relevantes Leistungsbündel geschaffen werden, dass nur unter einer „116“-Rufnummer (116 115) erhältlich ist. So könnten hierunter speziell Angebote vorgehalten werden, die einen staatenübergreifenden europäischen Bezug haben (Bsp. Wohnen, Arbeiten in einem anderen EU-Mitgliedstaat). Ein solches europarelevantes „Dienstebündel“ kann dann in jedem Staat aufgebaut werden. Staaten, die mit einer europäischen „116“-Rufnummer (116 115) ihren nationalen Dienst belegen, können europarelevante Leistungen nur unter einer Rufnummer anbieten. Im Ergebnis ist die Freischaltung einer „116“-Rufnummer (116 115) zu empfehlen. Allerdings ist auch dabei mit Aufwand zu rechnen: Denn die „116“-Rufnummern sind zwar für den Anrufer kostenlos, jedoch nicht für die Diensteanbieter, die für Infrastruktur und Betrieb aufkommen müssen. Zudem sind Verhandlungen mit jedem Netzbetreiber zu führen, der die Nummer als Sonderrufnummer individuell in seinem Netz einrichtet. Dennoch ist bei diesem Szenario keine zusätzliche Veränderung des bestehenden Angebots erforderlich, was die Umsetzung erleichtert und Aufwände begrenzt. Vor dem Hintergrund, dass in den meisten EUMitgliedstaaten der Dienst der EBN bereits in englischer Sprache existiert, wäre eine harmonisiertes Sprachangebot leicht umsetzbar. 2.3 Option 3: Kopplung von EBN zwischen mehreren EU-Mitgliedstaaten Über die bloße Freischaltung hinaus kommen weitergehende Integrationsszenarien zur Kopplung der EBN in Betracht. Dabei bleiben die bereits eingeführten EBN erhalten, auch kann die Kopplung grundsätzlich ohne einheitliche europäische Rufnummer im Rahmen der HDSW erfolgen, wenn sie beispielsweise nur bilateral zwischen EU-Mitgliedstaaten stattfindet. Für Deutschland kommt dieses Szenario mit Belgien, Niederlanden, Dänemark und Frankreich in Betracht, weil sonst kein weiterer EU-Mitgliedstaat eine EBN eingeführt hat. 105 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Für die Frage der staatenübergreifenden Zusammenarbeit kommt es besonders auf die Entwicklung der Produktions- und auch auf die Implementationssicht an. Im Einzelnen sind zahlreiche Varianten denkbar, wie die Kopplung zwischen den nationalen EBN-Systemen ausgestaltet sein könnte. Vor dem Hintergrund des Umsetzungsstandes und der Ausprägungsformen in den jeweiligen Staaten sind zwei Kopplungsvarianten grundsätzlich denkbar: Erstens, es werden die jeweils nationalen EBN-Systeme in Grenzregionen gekoppelt und/oder zweitens erfolgt eine generelle Kopplung der nationalen Systeme. Option 3a: Variante ‚Kopplung von EBN in Grenzregionen’ Für diese Kopplungsvariante ist nicht unbedingt eine europäische „116“-Rufnummer (116 115) erforderlich, wenn sie ausschließlich bilateral zwischen zwei EU-Mitgliedstaaten in Grenzregionen stattfindet. Befindet sich beispielsweise eine Bürgerin/ein Bürger in Aachen und hat eine Anfrage zu einem Verwaltungsverfahren in den Niederlanden, kann das deutsche D115-Servicecenter angerufen werden, das generelle Anfragen zu Verwaltungsleistungen in den Niederlanden beantworten kann. Sind weitergehende Antworten erforderlich, bildet das grenznahe niederländische Call Center die zweite Auskunftsebene. Die Weiterleitung kann über ein Ticket-System oder über eine Weiterleitung von Anrufen erfolgen. Um dieses Szenario umzusetzen, ist es nicht unbedingt erforderlich, dass in dem jeweiligen Nachbarland eine EBN existiert, da die Weiterleitung zur zuständigen Verwaltung im Nachbarland erfolgen kann. Insofern können auch jenseits der EU-Dimension „kleinere Kopplungsszenarien“ in Betracht kommen. In jedem Fall bieten sich staatenübergreifende Kooperation für (Euro-)Regionen an, in denen viele Bürgerinnen und Bürger ihren Wohnsitz und Arbeitsplatz in verschiedenen Staaten haben. Das trifft aus deutscher Sicht vorrangig für die Grenzregionen zu den Niederlanden, Belgien, Dänemark, Frankreich und zur Schweiz sowie zu Polen und Tschechien zu. Für den Aufbau eines staatenübergreifenden Services müssen zunächst Leistungen identifiziert werden, die für spezifische Lebenslagen in diesen Regionen oder bei bestimmten Ereignissen (z.B. Hochwasser) relevant sind. Neben Informationen in Krisenfällen sollten z.B. Auskünfte zu folgenden Themenbereichen angeboten werden: Bildung, Wohnen, Tourismus, Arbeiten (Arbeitnehmerangelegenheiten), Steuern, Pass- und Meldewesen sowie Verkehrswesen. Eine wichtige Zielgruppe sind Grenzpendler, deren Bedürfnisse abzubilden sind. Denkbar ist auch, dass sich ein D115-Servicecenter in der jeweiligen Grenzregion auf die relevanten Themenbereiche spezialisiert. Anfragen zu „Grenzthemen“ werden durch das Servicecenter auf Basis einer Wissensdatenbank mit regionalspezifischen Themen möglichst fallabschließend beantwortet. Ist eine fallabschließende Beantwortung nicht möglich, nimmt das Servicecenter die Anfrage auf und bietet einen Rückruf nach Rückkopplung (Telefon 106 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union oder Ticket) mit dem Call Center im Nachbarstaat an. Im Ergebnis fungiert dieses Servicecenter als Vermittler zwischen dem oder der Anfragenden und dem Call Center in dem jeweils anderen Staat. Der Anruf des spezialisierten D115-Servicecenters wird im Nachbarstaat entweder von nationalen Call Centern (z.B. bei „Postbus 51 Informatiedienst“ in den Niederlanden oder bei „39 39“ in Frankreich) oder von Call Centern in Grenzregionen angenommen. Im Gegensatz zur bloßen Freischaltung einer europäischen „116“-Rufnummer (116 115) eignen sich für staatenübergreifende Kooperationen in Grenzregionen im Besonderen Belgien und die Niederlande; jeweils nationale EBN sind hier nicht zwingend erforderlich. Für Belgien kann die EBN in Wallonien einbezogen werden, für die Niederlande die Kommunen in der Grenzregion, die bereits „Antwoord“ umgesetzt haben. In Deutschland sind solche spezialisierten Servicecenter für folgende Grenzregionen denkbar: Hamburg für Dänemark, Aachen für die Benelux-Staaten und Freiburg i.Br. für Frankreich und/oder die Schweiz. In Frage kommen auch Kooperationen in den Grenzregionen zu Polen und der Tschechischen Republik. Da dort bisher keine EBN existieren, können in beiden Staaten regionale Call Center aufgebaut werden. In einer späteren Phase können daraus jeweils nationale Lösungen entwickelt werden. Die Vorteile solch spezialisierter Call/Servicecenter liegen darin, dass der Service in der jeweiligen Fremdsprache angeboten wird und lokale Wissensbestände genutzt werden. Frau Mustermann will in einem halben Jahr eine neue Arbeitsstelle in Tønder in Dänemark antreten. Ihren Wohnsitz behält sie in Flensburg. Frau Mustermann möchte wissen, was bei diesem Arbeitsplatzwechsel zu beachten ist. Recherchen im Internet sind ihr zu aufwendig und die Sprachkenntnisse reichen noch nicht aus, um auf Dänisch mit den Verwaltungsmitarbeitern zu kommunizieren. Deshalb wählt Frau Mustermann die „115“. Ein Mitarbeiter des spezialisierten Servicecenters für die Region Hamburg nimmt den Anruf entgegen. Das spezialisierte Servicecenter fragt nach dem Anliegen. Während Frau Mustermann ihr Anliegen schildert, trägt der Mitarbeiter/die Mitarbeiterin des Servicecenters bereits Suchwörter wie z.B. „Dänemark“ und „Arbeiten“ in die Maske des Workflowmanagement-Systems ein. Nach wenigen Sekunden kann die Anfrage beantwortet werden: Frau Mustermann muss sich an das Rathaus bzw. den Bürgerservice in Tønder wenden. Mitbringen muss sie ihren Personalausweis sowie den Arbeitsvertrag. Dort erhält sie dann die dänische Krankenversicherungskarte sowie einen Nachweis, dass sie in Dänemark krankenversichert ist. Zusätzlich muss sich Frau Mustermann an das nächstgelegene Finanzamt wenden; dort erhält sie eine Steuernummer sowie eine Steuerkarte, die sie beim Arbeitgeber abgeben muss. Das Servicecenter bietet Frau Mustermann an, für den Fall, dass sie spezifische Fragen hat, das spezialisierte Call Center in Dänemark anzurufen. Aber Frau Mustermann ist mit diesen Auskünften zufrieden. 107 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Option 3b: Generelle Kopplung von EBN-Systemen der EU-Mitgliedstaaten Für die Kopplung von EBN verschiedener Staaten kommen besonders die EBN-Lösungen in Frage, die einen funktionierenden Leistungsverbund innerhalb ihres Staates zwischen verschiedenen Verwaltungs- und/oder Auskunftsebenen aufgebaut haben. Dafür bieten sich derzeit Belgien (Flandern) mit Contactpunt Vlaamse Infolijn und Italien mit „Linea Amica“ an: beide sind aus Produktionssicht ähnlich weit entwickelt wie „D115“. Zwischen den genannten Staaten könnte die Weiterleitung von Anliegen über ein Ticket-System realisiert werden. Soll zunächst nur eine telefonische Weiterleitung genutzt werden, sind prinzipiell Kooperationen zwischen allen EBN-Lösungen denkbar, z.B. könnte „39 39“ in Frankreich mit „060“ in Spanien und „Linea Amica“ in Italien gekoppelt werden. Schwierigkeiten bereiten die Niederlande durch die Trennung von „Postbus 51“ und „Antwoord“ da eine länderübergreifende Weiterleitung Kenntnisse über die nationalen Zuständigkeiten voraussetzt. Zu berücksichtigen sind bei der generellen Kopplung verschiedener EBN-Systeme von EUMitgliedstaaten die unterschiedlichen Call-/Service-Center-Strukturen. Existiert nur ein einziges nationales Call Center (z.B. Spanien), ist eine Umsetzung wesentlich leichter zu organisieren als bei einem Verbund von Call-/Service Centern (wie z.B. bei „D115“ oder „Linea Amica“). Wenn z.B. ein Anruf beim nationalen Call Center in Dänemark zu „D115“ weitergeleitet werden soll, ist unklar, welches Call Center der Empfänger der Weiterleitung in Deutschland sein soll. Denn die erste Auskunftsebene von „D115“ setzt sich aus zahlreichen Servicecenter der Kommunen zusammen, die zunächst alle als Empfänger in Betracht kommen würden, sodass das dänische Call Center das regional zuständige deutsche Servicecenter finden müsste. Dann müsste aber u.U. entsprechende Sprachkompetenz in jedem Call Center aufgebaut werden, was jedoch kaum zu organisieren ist. Weiterführend wäre es daher, auf deutscher Seite ein federführendes Servicecenter für jedes (Kooperations-) Land zu bestimmen, dass die Funktion als Kopfstelle mit den entsprechenden sprachlichen und zusätzlichen inhaltlichen Angeboten vorhält. Dieses kann ggf. weitere Informationen auf der zweiten oder dritten Auskunftsebene einholen und an das ausländische Call Center weiterleiten bzw. den Bürger direkt anrufen. 2.4 Option 4: Kopplung zwischen nationalen EBN mit Rufnummern der EU Eine weitere Option ist die Kopplung von „europe direct“ mit einer oder mehreren nationalen EBN (EU-Integration). „Europe direct“ und nationale EBN könnten bei Bedarf Anliegen wechselseitig weiterleiten. Sollten spezialisierte Call Center in den jeweiligen Staaten bestimmt bzw. eingerichtet worden sein, wie in Option 3 dargestellt, könnte von „europe direct“ die Weiterleitung an diese erfolgen. „Europe direct“ bietet alle Sprachen der EU-Mitgliedstaaten 108 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union an, sodass eine Kooperation mit den jeweils nationalen Systemen diesbezüglich problemlos ist. Relevant für ein solches Szenario ist wie bei der Kopplung von einzelnen EBN-Systemen der jeweilige Umsetzungsstand, wofür jedoch weitestgehend alle Länder mit EBN in Betracht kommen. Besteht in einem Land ein Servicecenter-Verbund wie in Deutschland, empfiehlt es sich, ein federführendes Servicecenter für den Empfang von Anrufen von „europe direct“ zu bestimmen. Aus sprachlichen Gründen ist dies nicht zwingend notwendig, da „europe direct“ seinen Dienst in allen EU-Sprachen vorhält. Dieses Kopplungsszenario ist deutlich einfacher als die Option drei umsetzbar und sollte deshalb bevorzugt verfolgt werden. Für dieses Kopplungsszenario entsteht für alle EU-Mitgliedstaaten der geringste Aufwand. 3. Fazit Als Fazit ist festzuhalten, dass die EU-Mitgliedstaaten mit EBN eine ganze Reihe von Innovationspotenzialen zur Weiterentwicklung von „D115“ bereithalten. Servicecenter könnten als umfassende Contact Center ausgebaut werden, die über verschiedene Medien, wie eMail, MMS, SMS etc. zu erreichen sind. Eine Mehrkanal-Ansatz mit den dezentralen Bürgerbüros und kommunalen Internetangeboten ist ebenfalls mittelbis langfristig anzustreben, weil sich erst dann der Nutzen der EBN vollständig erschließt. Auch hier können durch ein Franchisekonzept den Kommunen „weiche Vorgaben“ gemacht werden. Gleichzeitig sind die angebotenen Dienste zu erweitern, insbesondere bei Krisensituationen, weil hier ein besonderer Mehrwert für die EBN, insbesondere in Abgrenzung zu vorhandenen (kommunalen) Behördenrufnummern, entsteht. Im gegenwärtigen Stand der Umsetzung von „D115“ ist insbesondere die Etablierung eines Franchising-Konzepts vordringlich, das genutzt werden kann, um die EBN im ländlichen Raum bei verteilten Strukturen einzuführen. Denn Deutschland befindet sich noch im Pilotstadium und erst ca. 15 Prozent der Abdeckung ist erreicht, die sich zudem überwiegend auf größere Städte und Stadtstaaten bezieht. Die gegenwärtigen Aktivitäten und Entwicklungen von „D115“ können gut in ein Franchise-Konzept integriert werden. Schließlich ist mittelfristig darauf hinzuwirken, die Angebotstiefe zu erhöhen, wobei dann auf speziellen Nutzen zu achten ist. Dafür ist nicht zwangsläufig eine Authentifizierung notwendig, weil es eine Reihe von Diensten gibt, die kein formales Authentifizierungsverfahren erfordern, wie beispielsweise die Meldung von bestimmten Vorfällen (z.B. illegale Müllplätze). Nichtsdestotrotz könnte der neue Personalausweis zur Vergrößerung der Angebotstiefe genutzt werden. 109 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Spätestens mit der Freischaltung einer Europäischen Behördenrufnummer sind verstärkt mehrsprachige Angebote zu schaffen und auf Gebührenerhebung beim Bürger zu verzichten. Ungeachtet der Möglichkeiten zur Weiterentwicklung von „D115“ hat Deutschland auch für andere EU-Staaten Innovationspotenziale vorzuweisen. Die in Deutschland ermittelte „Produktionsstärke“ bietet Innovationspotenzial und Anregungsmaterial für andere EUMitgliedstaaten bei der Verbundlösung mit dem Ticket-System und der standardisierten Informationsbestände mit dem dazugehörigen Organisationsansatz. Die Kooperation ist in der Breite bei der EBN vergleichsweise gut gelungen, obwohl föderale Strukturen gemeinhin als kooperationshinderlich gelten. Aus dem Umsetzungsstand der EU-Mitgliedstaaten lassen sich Optionen für die Zusammenarbeit im EU-Maßstab ableiten, die in der folgenden Darstellung zusammengefasst sind. Potenzielle Partner Erfahrungsaustausch zwischen den EUMitgliedstaaten Alle EU-Mitgliedstaaten Einführung und Freischaltung der Rufnummer „116 115“ in EU-Mitgliedstaaten Alle EU-Mitgliedstaaten, die bereits eine EBN eingeführt haben bzw. die Einführung planen Optionen für eine Kopplung Handlungsempfehlungen Kopplung von EBN für Grenzregionen Benelux-Staaten, Dänemark, Niederlande, Frankreich, Polen und die Tschechische Republik Vollständige Kopplung von EBNSystemen Alle EU-Mitgliedstaaten, die bereits eine EBN eingeführt haben Kopplung nationaler EBN mit EURufnummer Alle EU-Mitgliedstaaten, die bereits eine EBN eingeführt haben Darstellung 28: Übersicht über Partner für die Handlungsempfehlungen für eine Europäisierung der EBN Ausgehend von den generellen Optionen lassen sich folgende Handlungsempfehlungen für die konkrete Umsetzung ableiten: Ein Erfahrungsaustausch zu Innovations- und Europäisierungspotenzial ist zu empfehlen. Insbesondere können unterschiedliche Formen der Europäisierung mit den anderen EUMitgliedstaaten diskutiert werden. Das Ziel eines solchen Erfahrungsaustauschs könnte in der Einigung konkret umzusetzender Szenarien liegen. Ein zweites Szenario ist die Freischaltung einer europäischen „116“-Rufnummer (116 115) in jedem EU-Mitgliedstaat mit EBN. Dies ist mit vergleichsweise geringem Aufwand 110 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union möglich, zumal die formalen Voraussetzungen hierfür bereits in den EU-Mitgliedstaaten mit der EBN erfüllt sind. Im Weiteren ist parallel mittelfristig eine vertikale Kopplung mit „europe direct“ anzustreben, die zunächst eine telefonische Weiterleitung in standardisierter Form vorsieht. Dadurch kann insbesondere auch „europe direct“ aufgewertet werden, so dass die EU stärker die Bürger der Mitgliedsstaaten sichtbar wird. Danach sind mittelfristig in Pilotprojekten, ggf. in geförderten EU-Projekten, bilaterale grenzüberschreitende Kopplungen umzusetzen, deren Erfahrungen dann für weitere Szenarien genutzt werden können. Als eher langfristig sind generelle staatenübergreifende Integrationen zu sehen, wenngleich eine Weiterleitung per Telefon leicht umzusetzen erscheint. Das wäre aber auch leicht über „europe direct“ zu realisieren, die dann als Kopfstelle zwischen den EUMitgliedstaaten wirken könnte. 111 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Literaturverzeichnis Accenture (2005): Leadership in Customer Service: New Expectations, New Experiences. Bannister, F. (2007): The curse of the benchmark: an assessment of the validity and value of e-government comparisons; in: International Review of Administrative Sciences, 2/2007, S. 171-188. Bundesministerium des Innern (2008): Projekt D115 Einheitliche Behördenrufnummer Feinkonzept, Vers. 1.1, Berlin. 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(2003): Flexible Kundeninteraktionsprozesse im Communication Center, Frankfurt, 113 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Anlagen Anlage 1: Fragebögen für Länder mit EBN European Survey of Single Non-Emergency Government Telephone Numbers Questionnaire We would like to ask you to complete this questionnaire. For some questions, you have to option to choose between several options; in such cases, we ask that you mark the appropriate option with an “x”. For other questions, the answer should be in the form of a short text passage. For the questions which are marked by an asterisk (*), we would also like to ask you to provide any additional documents which may be helpful to us, such as internal studies, strategy papers, documentation, etc. General information about the single non-emergency government telephone number What is the telephone number? What is the name of the project? Services provided What was the goal of establishing the single non-emergency government telephone number? Coverage area of the single non-emergency government telephone number: National Regional Local □ □ □ The single non-emergency government telephone number provides services or information about which of the following topics? (Multiple selections possible) * Labour questions (employee rights and protection, payroll taxes, etc.) □ Immigration and services for migrants (nationalisation, residence permits, visas, work permits, □ etc.) Education (schools, vocational training, university studies, continuing education, financial assistance, student loans, job search assistance, workforce integration) □ Family affairs (custody issues, child protection, alimony payments, financial assistance for families, family leave, marriage, child care…) □ Financial issues (retirement planning, public pensions, etc. – excluding tax questions) □ Health (health insurance, health certificates, transport of sick individuals, etc) □ Private vehicles and driving (vehicle registration, driving licenses, traffic violations, specialized number plates, etc.) □ Culture and sport □ Identification and registration (birth certificates, passports, ID cards, notarizations, residency registration, death certificates, etc.) □ Law (courts, lawsuits, claims deadlines, etc.) □ 114 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Pension affairs □ Social affairs (social assistance, handicapped persons, unemployment assistance, homelessness, etc.) □ Taxes (personal or business income taxes, VAT, tax identification numbers, etc.) □ Environment (rubbish collection and disposal, emissions, noise complaints, disposal of large items, environmental violations, etc.) □ Business affairs (business promotion programs, financial support for businesses, credits, workers protection, marketing promotion, start-up assistance and advice, etc.) □ Consumer protection □ Transportation (public transportation, regional and national transportation, discounts, tickets, etc. – except vehicle and driver affairs) □ Insurance services □ Elections □ Housing (rental law, rental contracts, building permits, property rights, renter and landlord affairs, housing assistance, housing placement etc.) □ Other services (please specify): Callers receive information by telephone: Only about public services provided by the public authority being called: □ Also for services provided by other public authorities: □ Calls are forwarded on to other public authorities (i.e. the responsible authority) □ Using the system, can callers carry out the following tasks over the telephone? Notify authorities of a change in their personal data (such as an address change) □ Carry out a registration process (such as registering a business) □ File a formal application or claim □ Additional services provided (multiple selections possible) Remote support services (e.g. support in the completion of online forms) □ Sending forms □ Appointment setting for public authorities □ Tracking the status of an application □ Other (please specify): In addition to the general public, is the service oriented toward any particular target groups? (e.g. families, senior citizens, entrepreneurs, etc.): Yes no 115 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union □ □ If yes, which ones? Is the service oriented towards specific life events? (e.g. birth of a child, change of residence, starting a business, etc) Yes no □ □ If yes, which ones? Is the provision of information about public services over the telephone of the part of a multichannel strategy? yes No this is planned □ □ □ If yes: the following contact channels are also available: (Multiple selections possible) E-Mail □ Post □ Short Message Service (SMS)/Text Message □ WWW Portal □ Chat □ Physical face-to-face contact point □ Additional channels: Service Commitment On which days of the week and hours of the day does the number accept calls? Monday-Friday Saturday Sunday Public Holidays □ □ □ □ from … to … from … to … from … to … from … to … Day of the week Hours of operation What happens when the number is called outside the above hours of operation? Automated message only, with information about operating hours □ Calls are forwarded to voice mail where the caller can leave a message □ No information/call goes unanswered □ Other: Is a telephone (not service) charge incurred when using the service? Yes no 116 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union □ □ If yes, how high are the telephone charges? (only one answer necessary) … € per minute … € per call In addition to telephone charges, are service charges incurred when using the service? Yes no □ □ If yes, how high is the service charges? (only one answer necessary) … € per minute … € per call When calls are forwarded to other call centres or public authorities, are telephone or service charges incurred? Yes no □ □ If yes, how high are telephone charges? (only one answer necessary) … € per minute … € per call Is the service also offered in foreign languages? Yes no, only in the official language(s) □ □ If yes, please specify the languages: (Multiple selections possible) English □ French □ German □ Spanish □ Portuguese □ Polish □ Romanian □ Other languages (please specify): If an enquiry can not be resolved in the first contact, is the caller called back? Yes no □ □ If yes: The caller is called by the call centre □ The caller is called by the responsible public authority □ Within which time frame must the caller be called? What is the standard time within which incom117 Seconds IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union ings calls must be answered by the call centre? Quality Management Must call centre employees possess any special qualifications? * Yes no □ □ If special qualifications are required, which ones? Which of the following quality management instruments are employed?: (Multiple selections possible) * - Monitoring □ - Benchmarking □ - Error and complaints management □ - Evaluations □ - Activity reports (incoming and outgoing calls are recorded in writing) Reporting system (regular reports and statistics) - □ □ Sanction mechanisms □ Additional instruments: What proportion of inquiries are answered in the initial single contact by the citizen (no follow-up call is necessary by the citizen or public authority)? % Organisational Structure Which actors or institutions are involved in the system (such as project leader, financing, IT provider, marketing)? * Actor/Institution Role politically responsible lead authority 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 How is the operation of the number financed? (Multiple selections possible) * Public funding □ Public Private Partnership (PPP) □ 118 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union Private funding □ Through service charges □ Other sources of financing: Does a detailed operating or business model exist? * Yes no □ □ Was an autonomous organisation created for the implementation and operation of the number? * Yes no □ □ If yes, please name the organisation. Which of the following best characterizes the structure of the call centre(s) which answer calls to the number? * One single national call centre □ Several connected call centres □ Several separate, unconnected call centres □ Other structure: If a network of call centres is used: How many call centres are used? Knowledge and Information Management Which tools or applications are used to support the call centre staff in their work? * Yes no Shared knowledge database □ □ Simple organisational or telephone directory □ □ Searchable directory organized by life event, target group, service provided or similar criteria □ □ Other: If a network of call centres exists: will call centres have access to the same data set? Yes no 119 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union □ □ Can the call centre staff access the IT systems of other public authorities? Yes, they have readonly rights Yes, they have read and write rights Yes, they can initiate processes No, they have no such access □ □ □ □ Is a so-called customer relationship management (CRM) system employed? Yes, for the national call centre Yes, for the network of call centers Yes, for each individual call-center no □ □ □ □ Is a workflow management system used? Yes no □ □ If yes, for which working steps/processes? Do all call centres utilize a standardized catalog of services? * yes no □ □ If a network of call centres is used, at which call centre does a call first arrive? Always at the call centre responsible for that geographic area (possibly with a waiting queue) □ At the nearest call centre with available capacity □ How are enquiries forwarded to the responsible back office? Letter □ Fax □ E-mail □ Telephone □ Notification in workflow management system □ Other: If the callers’ personal data are accessed: it is necessary to authenticate the caller? yes no □ □ If yes: for which tasks/processes? If authentication is necessary, how is this accomplished? 120 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union PIN □ The caller provides his/her name and date of birth □ Password □ Electronic identification card □ Other/additional remarks: Implementation What was the trigger for the introduction of the single non-emergency government telephone number? (multiple selections possible) * External influence (e.g. suggestions or ideas from other countries) □ Overloaded emergency contact numbers □ Unanticipated event (such as catastrophe, flood, etc) □ Part of a strategy for the modernization of public administration □ Other/additional remarks: Is the introduction of the single non-emergency government telephone number part of an egovernment strategy? * yes Inclusion in a strategy is planned no □ □ □ From when? For when? Who is responsible for the strategy? Who is responsible for the strategy? Is the introduction of the single non-emergency government telephone number part of a general strategy to modernize public administration? * yes Inclusion in a strategy is planned no □ □ □ From when? For when? Who is responsible for the strategy? Who is responsible for the strategy? Is there a separate or stand-alone strategy for the introduction of the single non-emergency government telephone number? * yes Strategy is planned no □ □ □ 121 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union From when? For when? Who is responsible for the strategy? Who is responsible for the strategy? Is there an implementation plan for the single non-emergency government Telephone number? * yes no □ □ Which phases of the project have been completed to date? Please indicate the duration. * Initial planning □ from to Implementation concept □ from to Pilot operation □ from to Pilot operation in the process of being expanded □ from to Regular operation □ Since Who are/were the project partners? Please specify the respective role of the organisation. Project partner Role 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 What is the leading public authority or organisation responsible for the project? * - Which of the following measures for public relations are utilised? (Multiple selections possible) * Brochures and flyers □ Radio and television advertising □ Posters □ Stickers □ Newspaper and magazine ads □ Internet advertising □ 122 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union □ Other Is there a public relations concept for the number? * yes no Planned □ □ □ Which barriers or problems exist or arose during implementation? (Multiple selections possible) Insufficient financing □ Large differences in the interests of the involved actors □ A lack of acceptance of the number by the general public □ Problems in the technical implementation of the system □ Services offered are not appropriate to the needs of the citizens □ Inadequate project management □ Other/additional remarks Are evaluation results available for the system?* yes no □ □ If yes, which: User polling □ Staff polling □ Other Are the data in the customer relationship management system analysed for statistical purposes? yes no □ □ If yes: the following data are analyzed: Nature of enquiry □ Demographic features of the callers (such as age, gender, employment status, etc) □ Other/Remarks How many calls does the system receive? (one of the answers below is sufficient) Per day Per month Is the expansion of the system being considered?* Cooperation with other EU member states: 123 Per year IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern in der Europäischen Union yes no □ □ If yes, with which countries? Cooperation with other government telephone numbers (for example, disaster management)? yes no □ □ Are other types of expansion under consideration? Again, thank you very much for completing this questionnaire! 124 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern im europäischen Vergleich X X X X X X X X X X 125 X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X Zypern X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X Slowenien - neu X X X X X X X X Portugal X X X X X X X X X Ungarn X X X X X X X X Spanien X X X X X X X X Slowenien – Halo Uprava X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X Postbus 51 X X X X X X X X X X X X X X X X X Antwoord X X Malta X X X X X X X X Italien X X X X X X Deutschland X X X Wallonien X X X X X X X Niederlande Irland X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X Griechenland X X X X X X X X X X X X X X X X X europe direct Arbeitnehmerangelegenheiten Ausländerwesen Bildung Familie Finanzen Gesundheit Kfz- und Führerscheinwesen Kultur und Sport Pass- und Meldewesen Justiz/Recht Renten- und Versorgungsangelegenheiten Soziales Steuerangelegenheiten Umwelt Unternehmen Verbraucherschutz Verkehrswesen Versicherungsangelegenheiten Wahlen Wohnen Dänemark Angebotsbreite Flandern Belgien Frankreich Anlage 2: Überblick über die Angebotsbreite X X X X X X X X X X X IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern im europäischen Vergleich Glossar Angebotsbreite Unter Angebotsbreite ist das Spektrum an verschiedenen Verwaltungsthemen zu verstehen, das der Bürgerin und dem Bürger über eine einheitliche Behördenrufnummer zur Verfügung steht. Die Angebotsbreite erfordert eine gewisse Kooperationsbreite. Eine große Angebotsbreite kann in der Regel nur dann von einer Stelle bereitgehalten werden, wenn eine organisationsübergreifende Kooperation stattfindet, d.h. wenn viele Stellen in einem Land kooperieren. Angebotstiefe Darunter ist die Tiefe der angebotenen Leistungen zu verstehen, die über die einheitliche Behördenrufnummer abgefragt werden können. Über die einheitliche Behördenrufnummer können Bürgerinnen und Bürger Informationen erhalten, aber auch – mit einem entsprechenden Authentifizierungsverfahren – Anträge stellen oder aktuelle Bearbeitungsstände abfragen. Die Angebotstiefe erfordert eine bestimmte Kooperationsintensität. Während die Informationsabgabe, d.h. eine geringe Angebotstiefe, noch mit geringer Kooperationsintensität (z.B. durch Nutzung gemeinsamer Informationsbestände) sichergestellt werden kann, setzt eine hohe Angebotstiefe in der Regel weitergehende Kooperationsmechanismen mit den Fachbehörden, auch verschiedener Ebenen, voraus. Auskunftsebene/Servicelevel Als Auskunftsebenen werden alle am Auskunftsprozess beteiligten Institutionen und Behörden bezeichnet. Die eingehenden Anrufe werden von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Servicecenters der ersten Auskunftsebene (First Level) angenommen und so weit wie möglich abschließend beantwortet. Kann das Anliegen, z.B. aufgrund seiner Spezifik, nicht beantwortet werden, erfolgt i.d.R. eine Weiterleitung des Anrufs an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der zweiten Auskunftsebene (Second Level), die über eine höhere fachliche Spezialisierung verfügen. Die Weiterleitung an die dritte Auskunftsebene (Third Level) erfolgt insbesondere bei fallbezogenen oder sehr spezifischen Fragen, die ggf. nur von der zuständigen Fachbehörde – häufig als Back Office bezeichnet – beantwortet werden können bzw. dürfen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der dritten Auskunftsebene haben durch ihre Zugehörigkeit zu den Fachbehörden Zugriff auf die Fachverfahren mit ggf. personenbezogenen Daten. Benchmarking Benchmarking ist als kontinuierlicher Verbesserungsprozess zu verstehen. Auf Basis festgelegter Referenzwerte (sog. Benchmarks) werden Servicecenter landesweit oder auch europa- und weltweit miteinander verglichen. Ziel ist es, anhand des Vergleichs mit besseren Servicecentern, Good Practices zu ermitteln und anschließend die Leistungen sowie Prozesse zu verbessern. Beschwerde- und Fehlermanagement Das Beschwerde- und Fehlermanagement umfasst alle Maßnahmen und Instrumente, mit denen die Zufriedenheit der Anruferinnen und Anrufer wiederhergestellt und langfristig sichergestellt werden kann. Die Beschwerden werden dabei von den Call-Center126 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern im europäischen Vergleich Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern aufgenommen, systematisch ausgewertet. Darauf aufbauend wird über den Einsatz entsprechender Instrumente entschieden. Beschwerde- und Fehlermanagement ist Bestandteil des Qualitätsmanagements. Call Center Die Anrufe über die einheitliche Behördenrufnummer gehen in einem Call Center ein. Ein Call Center ist ein Ort, an dem Anrufe in großem Umfang entgegengenommen und von dem aus Telefonate getätigt werden können. Mit Hilfe technischer und organisatorischer Infrastruktur wird eine hohe Erreichbarkeit gewährleistet. Customer-Relationship-Management-Systeme Generell ist unter Customer-Relationship-Management (CRM) ein ganzheitlicher Ansatz der kundenorientierten Unternehmensführung zu verstehen. Bezogen auf die Verwaltung bedeutet es, dass die Beziehungen zu den Bürgerinnen und Bürgern optimiert und die Bürgerorientierung verbessert werden soll. Alle Aktivitäten in diesem Bereich können durch CRMSysteme systematisch unterstützt werden, indem Informationen über die Bürger, wie z.B. Adressdaten oder Kontakthistorie, dokumentiert und verwaltet werden. So können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Servicecenter bspw. die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger im CRM-System aufnehmen und beim nächsten Anruf nachfragen, ob das Anliegen vollständig geklärt werden konnte (auch Citizen-Relationship-Management). Einheitliche Behördenrufnummer (EBN) Eine EBN ist eine kurze bzw. gut einprägsame Telefonnummer, über die ein telefonischer Zugang zu möglichst vielen häufig nachgefragten öffentlichen Leistungen besteht. Die EBN ist von den national zuständigen (Regulierungs-)Behörden auf Antrag zugeteilt und über diese wird der Dienst angeboten. Über eine nationale EBN können Bürger und Unternehmen unabhängig von administrativen Zuständigkeiten die Verwaltung kontaktieren. Der telefonische Zugangskanal stellt dabei einen von mehreren Zugangskanälen dar (s. Stichwort Multikanal-Ansatz). Europäisierungspotenzial Unter Europäisierungspotenzial sind die Möglichkeiten einer europäischen Zusammenarbeit zu verstehen, um eine einheitliche Behördenrufnummer im Rahmen eines harmonisierten Dienstes von sozialem Wert (s. Stichwort Harmonisierter Dienst von sozialem Wert) europaweit anzubieten. Franchising Unter Franchising ist zu verstehen, dass mehrere Organisationen unter einer gemeinsamen Marke, mit einem einheitlichen Konzept und einheitlichem Erscheinungsbild auftreten. Der sog. Franchisegeber entwickelt das Konzept für ein Produkt/eine Marke und überwacht dessen Umsetzung nach bestimmten Standards. Der Franchisenehmer adaptiert dieses Konzept und bietet das entsprechende Produkt bzw. unter der Marke den Standards entsprechende Produkte an. Franchising kommt auch zunehmend im öffentlichen Sektor zur Anwendung und ist besonders für die Umsetzung von Organisationsansätzen bei verteilten kleinteiligen Verwaltungsstrukturen geeignet. 127 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern im europäischen Vergleich Good Practices Unter Good Practices sind auch auf längere Sicht erfolgreich umgesetzte Lösungen oder Verfahrensweisen zu verstehen, die in einer Gesamtschau aller Aspekte nachhaltig sind. Bei Good-Practice-Lösungen muss es sich nicht unbedingt um Best Practices handeln, da es oft schwierig ist, die – einzig – beste Lösung zu ermitteln bzw. sie als Vorlage für andere zu verwenden. Good Practices meint auch den Prozess, solche Lösungen zu finden und für Verbesserungen zu nutzen. Harmonisierter Dienst von sozialem Wert (HDSW) Ein Harmonisierter Dienst von sozialem Wert (HDSW) ist gemäß Art. 2 der Entscheidung der EU-Kommission vom 15. Februar 2007 (2007/116/EG) über die Reservierung der mit „116“ beginnenden nationalen Nummernbereiche ein Dienst, der für Einzelpersonen unter einer gebührenfreien Rufnummer erreichbar ist, der potenziellen Besuchern aus anderen Ländern nützt und für den ein konkreter Bedarf besteht, der also insbesondere zum Wohlbefinden oder zur Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger oder bestimmter Bevölkerungsgruppen beiträgt oder Bürgerinnen und Bürgern hilft, die sich in Schwierigkeiten befinden. Ein Beispiel für einen harmonisierten Dienst von sozialem Wert ist die EU-Hotline für vermisste Kinder („116 000“). Diese Hotline nimmt Meldungen über vermisste Kinder entgegen und leitet sie an die Polizei weiter. Über diese Rufnummer, die gegenwärtig nur in fünf EUMitgliedstaaten umgesetzt wurde, können Angehörige und andere Betroffene auch Beratung und Unterstützung einholen. Innovationspotenzial Innovationen sind allgemein Neuerungen und/oder Verbesserungen und meint die Umsetzung von (neuen) Ideen in Produkte, Dienstleistungen, Services, Prozesse, Strukturen und Verhaltensweisen. Innovationspotenzial umfasst im Rahmen dieser Studie zwei Dimensionen: einerseits stellen erfolgreiche Lösungsansätze aus anderen EU-Mitgliedstaaten mit einer einheitlichen Behördenrufnummer interessante Lernbereiche für den D115-Service dar; andererseits weist der D115-Service ebenfalls erfolgreiche Lösungsansätze auf, die wiederum für andere EUMitgliedstaaten, die eine einheitliche Behördenrufnummer haben bzw. deren Einführung planen, von Interesse sein können (s. Stichwort Good Practices). Monitoring Monitoring wird als systematische, auf Dauer angelegte Erfassung, Beobachtung und Überprüfung der Qualität der Call-Center-Leistungen anhand von Kennzahlen verstanden, die i.d.R. mittels technischer Systeme erhoben werden. Auf Grundlage des Monitorings kann in einen Prozess eingegriffen werden, wenn dieser nicht den gewünschten Verlauf nimmt bzw. bestimmte Werte über- bzw. unterschritten werden. Werden in einem Call Center die Kennzahlen regelmäßig erhoben und ausgewertet, können die Ergebnisse mit vorherigen Erhebungen verglichen werden. So können Schlussfolgerungen für mögliche Qualitätsverbesserungen im Call Center gezogen werden. Multikanal-Ansatz Unter Multikanal-Ansatz sind verschiedene Vertriebskanäle zur Verwaltung gemeint, wobei es mehrere Kanaltypen gibt. Vertriebskanäle sind ein Mittel, mit dem Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und andere Interessenten mit der Verwaltung Kontakt aufnehmen können, 128 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern im europäischen Vergleich um Verwaltungsleistungen in Anspruch zu nehmen und über die die Behörden den Kontakt zu diesen suchen, um Verwaltungsleistungen zu erbringen. Ein Zugangskanal ist das Telefon. Durch die Nutzung von IT wird das Call Center multikanalfähig. Die Bürgerinnen und Bürger haben die Möglichkeit, das Call Center über mehrere Zugangskanäle zu kontaktieren, wie z.B. per Brief, Chat, E-Mail oder SMS (s. Stichwort Servicecenter). Können die Bürgerinnen und Bürger neben dem Telefonkanal (dieselben) Informationen und Leistungen über ein Webportal abrufen oder in einem Bürgerbüro nachfragen, besteht ein „echter“ Multikanal-Ansatz. Ein Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger ist erst dann zu erwarten, wenn die unterschiedlichen Zugangskanäle zur Verwaltung aufeinander abgestimmt sind. Für die Integration und Koordination der verschiedenen Vertriebskanäle ist ein sog. Multikanal-Management erforderlich. Mystery Calls bzw. Questions Dies sind Testgespräche, bei denen Telefonate ohne Wissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Servicecenters simuliert werden und die Qualität der Auskünfte nach vorgegebenen Kriterien beurteilt wird. Sie bieten die Möglichkeit, die Gesprächsverläufe auszuwerten und zu analysieren, um den Informationsstand bzw. die Informationssysteme, die fachliche Kompetenz sowie die Serviceorientierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Servicecenters zu überprüfen. Im Call-Center-Betrieb sind Mystery Questions bzw. Mystery Calls ein gängiges Instrument des Qualitätsmanagements. One-Stop-Government One-Stop-Government bezeichnet den Zusammenschluss unterschiedlicher Informationsund Dienstleistungsangebote der öffentlichen Verwaltung z.B. über eine gemeinsame Plattform sowie den Zugang über eine einheitliche Benutzeroberfläche. Unabhängig von den Zugehörigkeiten der einzelnen Dienststellen zu den unterschiedlichen Gebietskörperschaften und Behörden wird mit One-Stop-Government versucht, verschiedene Verwaltungsleistungen über eine Kontaktstelle zu integrieren. Dies ermöglicht den Bürgerinnen und Bürgern die Erledigung aller, in einer bestimmten Situation anfallenden, Verwaltungsangelegenheiten an und mit einer Stelle, was neue vernetzte Organisationsformen erfordert. Call Center sind ein Beispiel für eine Zugangsstelle, an der eine Vielzahl von Informationen abgefragt werden können – unabhängig von Zuständigkeiten. Produktion Im E-Government ist die Produktion öffentlicher Leistungen eine der Gestaltungsdimensionen. Idealtypisch übernehmen die Back Offices (die Fachbehörden) die Produktion. Mit dem Ausdruck „Produktion“ wird der für die Kundinnen und Kunden an der Vertriebsoberfläche „unsichtbare“ Teil der Leistungserstellung bezeichnet. Bezogen auf Call Center beschreibt die Produktionssicht, wie sich das Call Center organisieren muss, um seine Leistungen sowohl kundengerecht als auch effizient und in hoher Qualität zu erbringen. Einen Kernbereich der Produktionssicht bildet die Kooperation mit anderen Behörden, weil sonst die Leistungserbringung aus einer Hand nicht möglich ist. Weiterhin sind Aspekte wie Aufbau- und Ablaufstruktur, Kooperationsformen mit Front und Back Offices sowie eingesetzte IT-Anwendungen und Informationsmanagement relevant. 129 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern im europäischen Vergleich Qualitätsmanagement Qualitätsmanagement bezeichnet alle organisierten Maßnahmen, die der Verbesserung und Weiterentwicklung von Produkten, Prozessen oder Leistungen jeglicher Art dienen. Für die Qualitätssicherung stehen mehrere spezielle Instrumente für Call Center zur Verfügung: Schulungen, Training on the Job/Coaching, Monitoring, die Aufzeichnung von Telefonaten, Mystery Calls bzw. Questions, Kundenbefragungen, Controlling durch Kennzahlen, Evaluierung, Benchmarking und Beschwerde- und Fehlermanagement. Qualitätsmanagement ist erforderlich, um die gesamte Leistungserbringung im Call Center kontinuierlich zu verbessern und weiterzuentwickeln. Servicecenter Durch die zunehmende IT-Durchdringung wandeln sich Call Center zu sog. Servicecentern oder Service Contact Centern. Servicecenter nehmen im Unterschied zu herkömmlichen Call Centern nicht nur Anrufe entgegen und beantworten Anfragen, sondern sind Kommunikationszentren, die mit den Anruferinnen und Anrufern auch per E-Mail, Chat, SMS, Brief oder Fax kommunizieren, was höhere Anforderungen an die Telekommunikationsinfrastruktur und IT als bei Call-Center-Arbeitsplätzen stellt. Service Level Agreements (SLA) Service Level Agreements sind formell ausgehandelte und schriftlich dokumentierte Vereinbarungen, die quantitative (oder qualitative) Messgrößen festlegen, die regelmäßig zur Überprüfung eines Services ermittelt werden. Die Messgrößen müssen klar definiert und eindeutig messbar sein (z.B. Anzahl der telefonischen Anfragen, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums qualitätsgerecht beantwortet werden müssen). Umsetzungsorganisation Unter Umsetzungsorganisation ist die organisatorische Gestaltung und Einbettung der einheitlichen Behördenrufnummer zu verstehen. Unter diese Sicht sind u.a. Aspekte wie die Struktur des Call Centers, Betreibermodell, Finanzierung und Gebühren, Personalmanagement, Qualitätsmanagement und Öffentlichkeitsarbeit zu fassen. Vertrieb Im E-Government ist der Vertrieb von Verwaltungsleistungen von deren Bearbeitung und Erstellung getrennt. Idealtypisch übernehmen die Front Offices den Vertrieb. Der Vertrieb betrifft den für die Kundinnen und Kunden sichtbaren und zugänglichen Bereich der öffentlichen Verwaltung, d.h. deren „Benutzeroberfläche“. Bezogen auf Call Center beschreibt die Vertriebssicht die Gestaltung des telefonischen Zugangskanals. Dies ist der gesamte Umfang der aus der Kundensicht zu gestaltenden Beziehungen zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Call Center. Hierzu zählen Aspekte sowohl beim Zugang (Multikanal-Zugang) als auch beim Bezug öffentlicher Informationen und Leistungen über die einheitliche Behördenrufnummer (wie z.B. Angebotsbreite, Angebotstiefe, Erreichbarkeit (zeitlich/sprachlich) und Serviceversprechen). Wissensmanagement-Systeme Wissensmanagement meint allgemein das zielgerichtete Analysieren, Zusammenführen und Verknüpfen aller vorhandenen Erfahrungen und Informationen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in einer Organisation. 130 IfG.CC – Einheitliche Behördenrufnummern im europäischen Vergleich In den Servicecentern umfasst die Infrastruktur u.a. das Wissensmanagement-System mit Funktionen zur Suche in unterschiedlichen Informationsquellen. Es handelt sich demnach eher um Informations- als um Wissensmanagement. Das Wissens- bzw. Informationsmanagement-System dient als Basis, damit die Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter qualitätsgerechte Auskünfte geben können. Workflowmanagement-System Ein Workflow ist ein Ablauf, der aus einzelnen Aktivitäten aufgebaut ist, die sich auf Teile eines Geschäftsprozesses oder andere organisatorische Vorgänge beziehen. Bezogen auf ein Call Center werden damit die Abläufe zur Bearbeitung der Anfragen bezeichnet. Mit Hilfe von Workflowmanagement-Systemen können Abläufe einzelner Tätigkeiten oder (Teil-) Aufgaben der Vorgangsbearbeitung gesteuert sowie einzelne Teilfunktionen automatisiert werden. 131