AKTIONSPLAN ZUR UMSETZUNG DER UN-BEHINDERTENRECHTSKONVENTION IM SAARLAND MATERIALIENBAND QUALITATIVE ERGEBNISSE Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie Bearbeitet von: transfer – Unternehmen für soziale Innovation Eva-Maria Büch Schloßplatz 5 54516 Wittlich [email protected] www.transfer-net.de 2 Inhaltsverzeichnis 1 Beteiligung der Bevölkerung im Rahmen der Erarbeitung des Aktionsplans ________ 4 1.1 Impulskongress Eppelborn _______________________________________________ 4 1.2 Arbeitskreise mit Menschen mit Behinderungen ______________________________ 5 1.3 Experteninterviews _____________________________________________________ 5 2 Qualitative Ergebnisse zu den 10 Handlungsfeldern des Aktionplans _____________ 6 2.1 Handlungsfeld Prävention, Betreuung und Förderung im Vorschulalter_____________ 6 2.2 Handlungsfeld Bildung __________________________________________________ 6 2.3 Handlungsfeld Arbeit und Beschäftigung ____________________________________ 7 2.4 Handlungsfeld Wohnen ________________________________________________ 10 2.5 Handlungsfeld Alter und Pflege __________________________________________ 13 2.6 Handlungsfeld Gesundheit ______________________________________________ 13 2.7 Handlungsfeld Barrierefreiheit, Mobilität und Verkehr _________________________ 13 2.8 Handlungsfeld Gesellschaftliche Partizipation _______________________________ 14 2.9 Handlungsfeld Information und Beratung ___________________________________ 15 2.10 Handlungsfeld Gleiche Rechte und Schutz der Persönlichkeit___________________ 16 3 Weitere Ergebnisse der Experteninterviews ________________________________ 16 3.1 Verständnis von Inklusion und Teilhabe ____________________________________ 16 3.2 Stand der Umsetzung der UN-Konvention im Saarland ________________________ 16 3.3 Finanzielle Rahmenbedingungen _________________________________________ 17 3.4 Umsetzung der UN-Konvention „mit Herz und Verstand“ _______________________ 18 3.5 Konkrete Schritte zur Umsetzung der UN-Konvention _________________________ 18 3.6 Das Jahr 2016 - Fortschritte der Umsetzung? _______________________________ 19 3.7 Wie müsste der Aktionsplan aussehen, damit sich nichts ändert? ________________ 19 4 Fazit ______________________________________________________________ 20 3 1 BETEILIGUNG DER BEVÖLKERUNG IM RAHMEN DER ERARBEITUNG DES AKTIONSPLANS Die Einbeziehung der Menschen mit Behinderungen und weiterer Akteure bei der Erstellung des Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention war ein zentrales Anliegen der saarländischen Landesregierung. Die interministeriellen Arbeitsgruppe und der Beirat zur Landesbehindertenplanung begleiteten den Prozess der Erstellung. Im Rahmen eines Impulskongresses, zweier Arbeitskreise und einer Vielzahl von Experteninterviews wurden darüber hinaus weitere Personengruppen und Akteure eingebunden. Deren Einschätzungen, Ideen und Empfehlungen gaben wichtige Impulse für die Gestaltung des Aktionsplans und werden in diesem Materialienband zum Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vorgestellt. 1.1 Impulskongress Eppelborn Im Februar 2011 fand in Eppelborn ein Impulskongress zum „Aktionsplan zur Umsetzung der UNBehindertenkonvention (UN-BRK) im Saarland“ mit über 240 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt. Frau Ministerin Kramp-Karrenbauer eröffnete den Kongress und stellte die Umsetzung der UN-BRK im Kontext der Behindertenpolitik der Landesregierung vor. Erste Ergebnisse aus dem 5. Landesbehindertenplan wurden der Öffentlichkeit vorgestellt und diskutiert, sowie der Zusammenhang zwischen Landesbehindertenplan und Aktionsplan erläutert. Vertreter des BMAS und des Deutschen Instituts für Menschenrechte (Berlin) präsentierten die Aktivitäten zur Umsetzung der UN-BRK auf Bundesebene. In zwei Workshops zu den Themen Arbeit und Beschäftigung sowie Mobilität, Wohnen, Teilhabe wurden Beiträge aus unterschiedlichen Bereichen vorgestellt, Anliegen und Notwendigkeiten formuliert und Visionen für ein inklusives Saarland entworfen. Abschließend wurden die Bürgerinnen und Bürger des Saarlands dazu aufgerufen, ihre Anregungen und Anforderungen an den Aktionsplan über eine eigens eingerichtete Email-Adresse einzubringen. Diese Anregungen und Anforderungen finden sich in den entsprechenden Handlungsfeldern des Aktionsplans. (Die Beiträge zum Impulskongress und ein Protokoll mit einer Kurzdarstellung der Ergebnisse finden sich auf der Homepage des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie.) 4 1.2 Arbeitskreise mit Menschen mit Behinderungen Menschen mit Behinderungen, die Leistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe erhalten, waren die Adressaten dreier Arbeitskreise zu dem Thema „Wohnen“ und zweier Arbeitskreise zu dem Thema „Arbeit“. Landkreisspezifisch wurden Menschen, die in ihrer eigenen Wohnung unterstützt werden1, Vertreterinnen und Vertreter aller Heimbeiräte sowie aller Werkstatträte eingeladen, um über die UN-Konvention und den Aktionsplan zu informieren und gemeinsam bestehende Förderfaktoren und Barrieren zu erarbeiten. An den Arbeitskreisen „Wohnen“ nahmen insgesamt 35, an den Arbeitskreisen „Arbeit“ nahmen insgesamt 16 Menschen mit Behinderungen teil. Die Ergebnisse der Arbeitskreise finden sich in den entsprechenden Handlungsfeldern des Landesbehindertenplans. 1.3 Experteninterviews Um die Ergebnisse der Arbeitskreise und des Landesbehindertenplans zu vertiefen und weitere Organisationen und Personengruppen einzubeziehen, wurden im Mai 2011 sogenannte Experteninterviews durchgeführt. Die Gespräche orientierten sich an einem Leitfaden, der den Gesprächspartnern im Vorfeld zur Verfügung gestellt wurde und der an die Fragestellungen der Arbeitskreise mit den Menschen mit Behinderungen anschloss. Alle Interviewpartner erhielten im Anschluss an das Gespräch eine Gesprächsnotiz zur Rückmeldung. Die Auswahl der Experten fand unter Beteiligung des Beirats statt. Die Beiratsmitglieder wurden gebeten, Interviewpartner vorzuschlagen, das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie sowie die beiden Institute ergänzten diese. Vorgeschlagene Personen, die bereits im Beirat oder in den Arbeitskreisen beteiligt waren, wurden nur interviewt, wenn sich aus den bisherigen Ergebnissen konkrete Fragestellungen ergeben hatten, die ihre spezifische Expertise betrafen. Ansonsten konnten alle Interviewvorschläge berücksichtigt werden. Von den ursprünglich geplanten 22 Gesprächen kamen 15 Gespräche mit insgesamt 21 Teilnehmenden zustande.2 Darunter waren Menschen mit Behinderungen, Angehörige, Vertreterinnen und Vertreter der 1 Angeschrieben wurden alle Dienste, die im Verzeichnis der „Fachdienste Selbstbestimmtes Wohnen“ (FSW) – Stand 18.02.2011 enthalten sind, sowie die ambulanten Leistungserbringer, die Hilfen zum selbstbestimmten Leben und Wohnen für erwachsene seelisch behinderte Menschen/Leistungstyp A 6 und A 7 erbringen, mit der Bitte, die Einladung an Nutzerinnen und Nutzer weiterzuleiten. 2 Die übrigen angesprochenen Personen waren entweder nicht zu einem Interview bereit oder es konnte trotz mehrfacher Nachfrage kein Gesprächstermin vereinbart werden. 5 Selbsthilfe, der Behindertenverbänden, der Einrichtungen und Dienste sowie der Arbeitsagentur. 14 Gesprächsnotizen konnten für die Auswertung genutzt werden. Die Interviews wurden zum einen in Hinblick auf übergreifende Kategorien und zum anderen in Hinblick auf spezifische Anregungen und Fragestellungen anonym ausgewertet. Die Ergebnisse der Interviews finden sich in den entsprechenden Handlungsfeldern des Landesbehindertenplans, die darüber hinaus gehenden Ergebnisse finden sich im Anschluss unter „3. Weitere Ergebnisse der Experteninterviews“. 2 2.1 QUALITATIVE ERGEBNISSE ZU DEN 10 HANDLUNGSFELDERN DES AKTIONPLANS Handlungsfeld Prävention, Betreuung und Förderung im Vorschulalter und 2.2 Handlungsfeld Bildung 2.2.1 Ergebnisse der Experteninterviews Der vorschulische Bereich wurde von mehreren Gesprächspartnern positiv hervorgehoben. Es gebe im Saarland einen flächendeckenden und wohnortnahen Ausbau der frühkindlichen Angebote auf einem guten fachlichen Niveau. Es gebe nur selten Kindergärten, die die Aufnahme eines Kindes mit Behinderung ablehnen würden. Allerdings würden gerade in diesem Bereich aktuell Mittel gekürzt und vorhandene Strukturen zurück gebaut werden. Einen Bruch gebe es zudem beim Übergang in die Schule, wobei das Vorhandensein und die Notwendigkeit von Förderschulen von den Gesprächspartnern unterschiedlich bewertet wurden. Beispielen gelungener Inklusion stehen Befürchtungen oder auch tatsächliche Erfahrungen gegenüber, dass Kinder mit Behinderungen in Regelschulen nicht ausreichend berücksichtigt werden können und dort auch nicht immer willkommen seien. Einige Gesprächspartner hielten demnach die Förderschulen auch dauerhaft für notwendig, andere sahen in diesen einen Widerspruch zur Inklusion. Es gelte, die Übergänge zu einer gemeinsamen Schule zu gestalten. Die Schulsituation für blinde Kinder und Jugendliche wurde von einem Behindertenverband als gut eingeschätzt, allerdings erschwerten die unterschiedlichen Bildungssysteme der Bundesländer die Zugänglichkeit zu barrierefreiem Schulmaterial. Aus Sicht der interviewten Angehörigen fehlt es im Saarland an umfassenden, qualitativ hochwertigen Beratungsmöglichkeiten. Als besonderes Anliegen von Eltern nicht-sprechender Kinder 6 wurde die Einrichtung einer Beratungsstelle in Bezug auf Unterstützte Kommunikation formuliert. Die Unterstützte Kommunikation solle zudem stärkere Verbreitung im vorschulischen Bereich und in den Schulen finden. 2.3 Handlungsfeld Arbeit und Beschäftigung 2.3.1 Ergebnisse der Interviews Im Bereich der Arbeit und Beschäftigung nannten die Gesprächspartner insbesondere die virtuelle Werkstatt sowie die Außenarbeitsplätze der Werkstätten als Förderfaktoren, damit Menschen mit Behinderungen dort arbeiten können, wo andere Menschen auch arbeiten. Daneben wurden einige spezifische Angebote und Dienste hervorgehoben, so zum Beispiel die Berufsvorbereitung Inklusive, die Netzplaneinrichtungen, das Netzwerk Arbeit sowie das Know-How und die Kontinuität des Integrationsfachdienstes (IFD), des Integrationsamtes und der Arbeitsagenturen. Die zunehmende Praxis der Ausschreibung von Leistungen könne hier hinderlich sein, wenn der Preis im Vordergrund stehe. Als hinderlich wurde auch das Arbeiten mit vorgefertigten Maßnahmen genannt. Man müsse mehr auf die einzelne Person und deren Interessen und Anliegen eingehen. Die zunehmende Standardisierung in den Betrieben lasse weniger Raum für individuelle Sonderlösungen. Für Menschen mit Behinderungen gebe es zu wenige Möglichkeiten der Teilzeitarbeit. Die virtuelle Werkstatt sei eine gute Idee, jedoch nicht flächendeckend umgesetzt. Zudem handele es sich hierbei um ein Projekt ohne rechtliche Grundlage, dessen Fortbestand daher unsicher sei. Problematisch sah ein Gesprächspartner das Verhältnis zwischen dem ersten Arbeitsmarkt und der WfbM. Während auf der einen Seite der Bildungsmarkt eingebrochen sei und weniger Menschen qualifiziert werden könnten, würden auf der anderen Seite auch die Kapazitäten in den Werkstätten reduziert werden. So bliebe ein größer werdender Teil der Menschen außen vor. Als weitere Barriere für einen zugänglichen ersten Arbeitsmarkt wurde die zeitliche Begrenzung eines Minderleistungsausgleiches für die Arbeitgeber genannt. 2.3.2 Ergebnisse aus den Arbeitskreisen „Arbeit“ Die Mehrzahl der Teilnehmenden der Arbeitskreise „Arbeit“ kannte die UN-Konvention bereits und hatte sich in anderen Veranstaltungen im Rahmen ihrer Arbeit als Werkstatträte damit beschäftigt. Sie wurden gebeten, mit Hilfe eines Schaubildes einzuschätzen, inwieweit die UNKonvention im Bereich Arbeit im Saarland bereits umgesetzt ist und Menschen mit Behinderungen dort arbeiten, wo andere Menschen auch arbeiten. Die Teilnehmenden schätzen den Stand der Umsetzung eher gering ein, wie die untenstehende Abbildung verdeutlicht: 7 Abbildung 1: Arbeitskreise Arbeit, Umsetzung der UN-Konvention Quelle 1: Arbeitskreise Arbeit, 12.04.2011 und 14.04.2011, eigene Darstellung, transfer Diese Einschätzung begründeten die Teilnehmenden mit verschiedenen Barrieren. Insbesondere wurden die fehlenden Alternativen zu den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und der schwere oder fehlende Zugang zu Informationen und (beruflicher) Bildung genannt. Trotz oder gerade wegen der fehlenden Alternativen wurden die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen mit ihren Arbeitsmöglichkeiten und einem als (noch) sicher eingeschätzten Arbeitsplatz grundsätzlich als sehr hilfreich benannt. Sehr hilfreich sei die Arbeit der Werkstatträte, man sei gut vernetzt und gut informiert. Dies liege auch an dem Rechtsstatus der Werkstatträte. Die Werkstättenmitwirkungsverordnung (WMVO) sollte aber nach Einschätzung der Teilnehmenden weiter verbessert und die Position der Werkstatträte gestärkt werden. Kritisch wurden die fehlende Anerkennung und die unzureichende Vergütung der Arbeit in den Werkstätten genannt. Es gebe keinen anerkannten Abschluss, den man dort erwerben könne. Hinderlich sei auch, dass die Werkstätten für viele Menschen mit Behinderungen oft der einzige vorgesehene Weg seien. Selbst die Integrationsbetriebe würden von einigen Werkstätten als Konkurrenz im eigenen Haus kritisch betrachtet werden. 8 Abbildung 2: Förderfaktoren und Barrieren im Bereich Arbeit Quelle 2: Arbeitskreis Arbeit, 14.04.2011, transfer Ein Augenmerk lag auf der Virtuellen Werkstatt, die von den Teilnehmenden als gute und richtige Möglichkeit gesehen wurde, damit Menschen mit Behinderungen dort arbeiten können, wo andere Menschen dies auch tun. Kritisiert wurde jedoch die Abschaffung der sogenannten ZweiStunden-Regelung, demnach müsse man nun mehr als zwei Stunden am Tag arbeiten können. Dies sei für viele Menschen mit seelischer Beeinträchtigung aber nicht möglich. Man nehme diesen Menschen eine wichtige Betätigung weg. Grundsätzlich wurden die Hürden für flexible Arbeitszeiten kritisiert. Auf dem ersten Arbeitsmarkt könne man selbst mit seinem Chef vereinbaren, wie viel gearbeitet wird. In den Werkstätten entschieden andere, ob Teilzeit möglich ist. 3 3 Protokolle zu den Arbeitskreisen Arbeit, transfer 2011 9 2.4 Handlungsfeld Wohnen 2.4.1 Ergebnisse der Interviews Im Bereich des Wohnens wurde der politisch vorgegebene Grundsatz „ambulant vor stationär“ positiv bewertet, ebenso die finanziellen Anreize in Bezug auf eine Ambulantisierung für stationäre Einrichtungen. Die psychiatrische Krankenpflege und die Soziotherapie seien für Menschen mit psychischen Erkrankungen hilfreich, über die Fachdienste der Behindertenhilfe könne eine individuelle Unterstützung erfolgen. Neben diesen regelhaften Angeboten gebe es zahlreiche Vorzeigeprojekte, in denen innovative Ideen umgesetzt werden konnten. In diesem Rahmen wurden beispielsweise inklusive Wohnprojekte oder peer-to-peer Projekte Psychiatrie-Erfahrener genannt. Viele gute Ansätze und Ideen könnten so verwirklicht werden. Trotz positiver Entwicklungen sahen etliche Gesprächspartner nach wie vor Lücken in der ambulanten Unterstützung von Menschen mit Behinderungen. Betroffene und Angehörige berichteten von Schwierigkeiten, Assistenten auch jenseits der Fachdienste zu finden. Von mehreren Gesprächspartnern wurde die Handhabung des persönlichen Budgets als hinderlich kritisiert. Zum einen werde das Budget analog zu den ambulanten Leistungstypen bewilligt zum anderen werde in erster Linie mit Abtretungserklärungen gearbeitet – beides widerspreche dem Grundgedanken des Persönlichen Budgets. Für Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigungen seien der fehlende barrierfreie Wohnraum eines der zentralsten Hindernisse, um so wohnen zu können, wie sie dies möchten. Nächtlicher Hilfebedarf könne in der eigenen Wohnung nicht gedeckt werden, eine intensivere ambulante Begleitung sei schwierig zu organisieren. Es gebe nach wie vor zu viele vorgefertigte Maßnahmen, hier wurde von den Gesprächspartnern mehr Flexibilität gefordert. Für erblindete Menschen gebe es lediglich ehrenamtliche Unterstützung, sich in ihrem Wohnumfeld neu zurecht zu finden. Dies reiche jedoch nicht mehr aus. Eine Anregung einer Gesprächspartnerin war die Vorhaltung von Personal für kurzfristige Hilfen. Diese Assistenz könnte von allen Menschen, die kurzfristig Unterstützung brauchen, genutzt werden, zum Beispiel nicht nur von Menschen mit Behinderungen, sondern auch von alten Menschen oder Alleinerziehenden. Man müsse übergreifender denken. Ein Gesprächspartner hob hervor, dass sich durch die gute präventive Arbeit und die frühe Förderung die Klientel insbesondere in den Wohnheimen verändere. Hier würden zunehmend Menschen mit einem hohen Unterstützungsbedarf und/oder ältere Menschen mit Behinderungen wohnen. Hierauf müsse man sich ebenso einstellen wie auf eine Fallzahlsteigerung aufgrund der 10 älteren Menschen, zumindest in den nächsten Jahren. Eine differenzierte Anpassung der Hilfen sei erforderlich. 2.4.2 Ergebnisse aus den Arbeitskreisen „Wohnen“ Im Gegensatz zu den Teilnehmenden der Arbeitskreise „Arbeit“ kannten nur wenige der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Arbeitskreisen „Wohnen“ die UN-Konvention. Ein Mitglied eines Heimbeirats äußerte die Vermutung, dass die Wohnheime wenig Interesse hätten, diese Konvention bei den Bewohnerinnen und Bewohnern bekannt zu machen. Eine andere Vermutung war, dass dies damit zu tun haben könnte, dass Werkstatträte einen anderen Rechtsstatus haben als Heimbeiräte. Die Teilnehmenden der Arbeitskreise wurden gefragt, inwieweit Menschen mit Behinderungen im Saarland so wohnen können, wie sie dies möchten. Unten stehende Graphik zeigt die Einschätzung der Teilnehmenden aller Arbeitskreise: Abbildung 3: Arbeitskreise Wohnen, Umsetzung der UN-Konvention Quelle 3: Arbeitskreise Wohnen, 07.04.2011, 11.04.2011 und 12. 04,2011, transfer Die Ansichten gingen weit auseinander. Viele Teilnehmende wohnen bereits so, wie sie dies wollen und können ihren Alltag so gestalten, wie sie dies möchten. Sie können sagen, welche Unterstützung sie benötigen und erhalten diese dann auch. Etliche andere Teilnehmende wohnen nicht so, wie sie dies möchten und sehen für sich nicht die Möglichkeit mitzureden und Entscheidungen zu treffen, die auch ernst genommen werden. Die Teilnehmenden erarbeiteten, was bereits jetzt Menschen mit Behinderungen hilft, beziehungsweise was sie daran hindert, so zu wohnen, wie sie dies möchten. Im Anschluss konnten diese Nennungen mit zwei Klebepunkten von allen Teilnehmenden bewertet werden. 11 Abbildung 4: Förderfaktoren und Barrieren im Bereich Wohnen Quelle 4: Arbeitskreise Wohnen, 07.04.2011, 11.04.2011 und 12. 04,2011, transfer Als hilfreich schätzten die Teilnehmenden insbesondere die vielfältigen Möglichkeiten im Saarland und zahlreiche unterstützende Personen, wie zum Beispiel Betreuungspersonal oder Freunde ein. Der Schwerpunkt lag aber im Bereich der Selbständigkeit und Selbstbestimmung. Wenn man sich durchsetzten könne, sei vieles einfacher. Die Teilnehmenden forderten, ernst genommen zu werden. Dementsprechend war ein zentrales Thema die Frage nach den eigenen Rechten und den Rechten Dritter, welche bei einigen Teilnehmenden in eigenen Diskriminierungserfahrungen begründet war. Einige Teilnehmende, die so wohnen, wie sie dies möchten, berichteten davon, dass dies ein langer und schwieriger Weg gewesen sei. Unterstützung erhalte man nach ihrer Erfahrung oft nur im Rahmen der Einrichtungen, aber nicht, wenn die Orientierung nach draußen gehe. Man müsse oft darum kämpfen, und viele würden auf diesem Weg resignieren. Eine Person formulierte dies so: „Ich will unterstützt werden, nicht gebremst!“ Einige Teilnehmende nannten sehr konkrete Barrieren, auf die sie in ihren Wohnheimen stießen: 2- oder 3-Bett-Zimmer wurden insbesondere im Hinblick auf eine Partnerschaft kritisiert. In einigen Wohnheimen gebe es keinen Internet-Zugang für die Bewohnerinnen und Bewohner, dies sei aber eine grundlegende Informationsquelle. Hinderlich sei auch, dass man die Dinge, die man 12 selbst könne, nicht immer selbst machen dürfe, wie zum Beispiel das Kochen oder das Wäsche waschen. In einem waren sich alle Teilnehmenden einig: Für einige Menschen ist es wichtig, dass sie mit jemand anderem ein Zimmer teilen. Andere möchten, dass eine Betreuerin in ihr Zimmer oder ihre Wohnung kommt, falls sie nicht auf das Klingeln oder Klopfen eines Besuchers reagieren. Manche möchten gerne, dass man sie darauf anspricht, wenn ihr Zimmer oder die Wohnung dringend aufgeräumt werden sollte. Aber: Man muss all dies mit der betroffenen Person besprechen und vereinbaren. Die Menschen mit Behinderungen möchten über diese Dinge selbst entscheiden können. Dafür braucht es Wahlmöglichkeiten und jemanden, der sie bei Bedarf berät und in ihrer Entscheidung unterstützt. Denn, so ein Teilnehmer: „Man soll selbst entscheiden, ob man sich traut.“ 2.5 Handlungsfeld Alter und Pflege (Zu diesem Handlungsfeld gab es keine spezifischen Ergebnisse aus den Experteninterviews.) 2.6 Handlungsfeld Gesundheit 2.6.1 Ergebnisse der Interviews Eine vordringliche Barriere, die von mehreren Gesprächspartnern genannt wurde, ist die Zugänglichkeit zu niedergelassener ärztlicher Versorgung. Dies bezog sich zum einen auf den räumlichen Zugang, aber auch auf lange Wartezeiten insbesondere für Psychotherapie. Problematisch wurde hier die Situation vor allem für Menschen mit Sinnesbehinderungen angesehen. Eine Gesprächspartnerin schätzte die psychiatrische Versorgung für qualitativ nicht zufriedenstellend ein, dies sei allerdings ihrer Ansicht nach nicht auf das Saarland begrenzt. Konkret wurde die zu kurze stationäre Behandlung für Menschen mit Suchterkrankung als hinderlich genannt, sowie eine eingeschränkte Wahlfreiheit in Bezug auf die behandelnde Klinik. Ein anderer Gesprächspartner forderte ein alternatives stationäres Angebot der Krisenhilfe für Menschen mit psychischer Erkrankung. 2.7 Handlungsfeld Barrierefreiheit, Mobilität und Verkehr 2.7.1 Ergebnisse der Interviews Als grundlegendes Hindernis zur Teilhabe und Inklusion wurde die fehlende räumliche und informelle Barrierefreiheit genannt. 13 Die räumlichen Barrieren seien insbesondere in Bezug auf das Wohnen und die Arztpraxen aber auch den ÖPNV bedeutsam. Kritisiert wurde, dass die Politik es versäumt habe, die Barrierefreiheit im Rahmen des Investitionsprogrammes als verbindliches Kriterium zu benennen. Den Trend zur Minimalisierung und Mehrfunktionalität von alltäglichen Gegenständen sah eine Gesprächspartnerin als besonders problematisch an. Man müsse grundsätzlich mehrere Kanäle in der Kommunikation berücksichtigten, wie zum Beispiel Anzeigetafeln und Lautsprecherdurchsagen an den Haltestellen. Das Kriterium der räumlichen und informellen Barrierefreiheit müsse bei allen Entscheidungen verbindlich berücksichtigt werden, so einige Interviewte. Eine Einbeziehung der Menschen mit Behinderungen sei dabei unerlässlich. Zwei Gesprächspartner stellten eine zunehmende persönliche Betroffenheit der Ansprechpartner im öffentlichen Raum fest, wenn diesen über die vorhandenen Schwierigkeiten berichtet werde. Allerdings würden daraus keine Taten folgen. Änderungen des Busplans beispielsweise würden mit einem Hinweis auf die Mehrkosten nicht vorgenommen werden. Einer Gesprächspartnerin war es wichtig, zu betonen, dass die angesprochenen Verbesserungen nicht exklusiv den Menschen mit Behinderungen zu Gute kämen. Die räumliche Zugänglichkeit, leichte Sprache bei Formularen und Bescheiden oder leicht handhabbare Gebrauchsgegenstände würden allen Menschen einen direkten Nutzen bringen. 2.8 Handlungsfeld Gesellschaftliche Partizipation Unter diesem Handlungsfeld werden die Ergebnisse in Bezug auf die Haltung und das persönliche Engagement, die in den Interviews eine wichtige Rolle spielten, dargestellt. Diese bilden demnach eine Grundlage für das Gelingen gesellschaftlicher Partizipation in allen Handlungsfeldern. 2.8.1 Ergebnisse der Interviews Gesprächspartner aus unterschiedlichen Bereichen berichteten von einer eher positiven Haltung gegenüber Menschen mit Behinderungen. Es wurde ein zunehmend größeres Interesse an der Situation von Menschen mit Behinderungen berichtet. Ebenfalls in diesen Bereich fällt die große Anzahl als hilfreich genannter Einzelpersonen oder ganzer Gruppen in unterschiedlichen Bereichen. Genannt wurden beispielsweise andere Eltern von Kindern mit Behinderung, die Behindertenbeauftragten, die Behindertenverbände, die Selbsthilfe oder das persönliche Engagement von Vorgesetzten und Kollegen von Menschen mit Behinderungen. Letzteres wurde als ein wesentlicher Förderfaktor im Bereich der Arbeit und Beschäftigung bezeichnet. 14 Gleichzeitig sahen einige Gesprächspartner die Gefahr, dass Fortschritte und Entwicklungen bei der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an das Engagement einzelner Personen gebunden seien. Daher müssten beispielsweise Fragen der Beteiligung prozessorientiert verankert werden. Die durchgängige Beteiligung der Menschen mit Behinderungen war eine der zentralen Forderungen der Gesprächspartner. Bedenkenswert hierbei sei, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten keine direkte Interessenvertretung im Saarland hätten. Auch wurden trotz vieler positiver Erfahrungen Ängste und Vorurteile als eine nach wie vor bestehende Barriere benannt. Es gebe zu wenig Zutrauen in Menschen mit Beeinträchtigungen. Dies zeige sich beispielsweise bei den Mitarbeitenden der Einrichtungen, die die Bewohnerinnen und Bewohner „behüten“ wollten, oder bei Eltern in Bezug auf eine mögliche Selbständigkeit ihrer behinderten Kinder. 2.9 Handlungsfeld Information und Beratung 2.9.1 Ergebnisse der Interviews Insbesondere die Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige bemängelten ein Fehlen passender Beratungsangebote sowie deren als unzureichend wahrgenommene Qualität. Die Ansprechpartner wüssten oftmals nicht gut Bescheid, insbesondere in Bezug auf zustehende Leistungen. Es wurde als erniedrigend geschildert, Dinge immer wieder erklären zu müssen, zum Beispiel, was „Assistenz“ sei. Als konkrete Schritte für eine Umsetzung der UN-Konvention sei die Einbeziehung der Angehörigen auch von erwachsenen Menschen mit Behinderungen erforderlich. Insbesondere Angehörige psychisch kranker Menschen würden unter Hinweise auf den Datenschutz außen vor gelassen. Dabei sei oft schon ein verständliches, erklärendes Gespräch über das weitere Vorgehen z.B. bei einer Klinikeinweisung ausreichend und hilfreich, so ein Gesprächspartner. Erforderlich sei manchmal auch eine aufsuchende Beratung, da nicht alle Menschen zu den betreffenden Stellen gelangen könnten. Eine wohnortnahe Beratung wurde auch von Angehörigen gefordert, wobei die Qualität im Vordergrund stehe. So meinte ein Elternteil eines behinderten Kindes, dass es auch weitere Wege in Kauf nehmen würde, wenn man sicher sein könnte, dass man dort eine umfassende und gute Beratung erhielte. Diese sei aber aktuell nicht möglich. In Bezug auf die Zugänglichkeit von Information wurde die durchgängige Nutzung mehrerer Kanäle (z.B. visuell und auditiv) als erforderlich angesehen. Ein weiterer Punkt war die Frage der Vernetzung und Zusammenarbeit aller Akteure. Hier könne die Größe des Saarlandes vorteilhaft sein. Man kenne sich untereinander, dies wurde von einzel15 nen Gesprächspartnern als positive Verpflichtung zur Zusammenarbeit und zur Findung eines Konsenses gedeutet. Letzteres könne aber auch hinderlich sein, da die informellen Wege Transparenz erschwerten, so eine Gesprächspartnerin. Ein anderer Gesprächspartner führte das Nicht-Nutzen des Verbandklagerechts auf die räumliche und informelle Nähe der saarländischen Akteure zurück. 2.10 Handlungsfeld Gleiche Rechte und Schutz der Persönlichkeit 2.10.1 Ergebnisse der Interviews Die Gleichberechtigung auch vor dem Gesetz wurde von vielen Gesprächspartnern als Grundlage der Inklusion verstanden. Barrieren wurden hier insbesondere für Menschen mit seelischer Behinderung gesehen. Eine konkrete Forderung eines Gesprächspartners war die Abschaffung der PsychKG und der Unterbringungsgesetze. Eine Alternative könnte ein allgemeines Gefahrenabwehrgesetz sein, welches für alle Menschen gelte. 3 WEITERE ERGEBNISSE DER EXPERTENINTERVIEWS 3.1 Verständnis von Inklusion und Teilhabe Die Gesprächspartner der Experteninterviews setzten bei ihrem Verständnis von Teilhabe und Inklusion unterschiedliche Akzente, zeichneten jedoch ein weitestgehend einheitliches Bild. Für die Mehrzahl der interviewten Personen bedeutet „Inklusion“, dass Menschen mit Behinderungen von Anfang an ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft sind, wobei jedoch behinderungsspezifische Bedürfnisse berücksichtigt werden müssten. Die rechtliche Gleichberechtigung in allen Bereichen und die selbstverständliche Anerkennung der Individualität runden dieses Bild ab. 3.2 Stand der Umsetzung der UN-Konvention im Saarland Analog zu den Arbeitskreisen wurden auch die Experten nach einer Einschätzung in Bezug auf den Stand der Umsetzung der UN-Konvention im Saarland befragt. Nicht alle Gesprächspartner legten sich auf der Skala von 1 – 10 exakt fest. Die 11 Nennungen und Einschätzungen in Bezug auf eine gesamte Umsetzung bewegten sich zwischen einer 0 und 16 der damit einhergehenden Einschätzung, dass man von einer Umsetzung noch „meilenweit“ entfernt sei, und einer 6 und der damit einhergehenden Einschätzung, dass sich bereits vieles getan habe. Einige Teilnehmende schätzten die Umsetzung in Bezug auf verschiedene Bereiche differenziert ein. So sahen zwei Gesprächspartner in Bezug auf die Bildung Unterschiede. Die Umsetzung im Bereich der Schulbildung für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen wurde mit einer 2,5 relativ gering eingeschätzt, demgegenüber sei die Umsetzung im vorschulischen Bereich höher zu bewerten. Im Bereich der Arbeit und Beschäftigung sahen Gesprächsteilnehmer die Situation für Menschen mit einer Sinnes- oder Körperbehinderung eher als gut an, da diese Personen eine eher klar umrissene Beeinträchtigung hätten und über eine gute Interessenvertretung verfügten. Für Menschen mit geistigen oder seelischen Behinderungen sei die bisherige Umsetzung der UNKonvention weniger weit fortgeschritten. 3.3 Finanzielle Rahmenbedingungen In den Gesprächen kristallisierten sich die Fragen der finanziellen Rahmenbedingungen und Möglichkeiten als ein zentrales Querschnittsthema zu den zehn Handlungsfeldern heraus. Kritisch wurde die Verteilung vorhandener Mittel entgegen den Anliegen der UN-Konvention benannt. So sahen einige Gesprächspartner finanzielle Anreize für das stationäre Wohnen. Es müsse einen Mainstreamingprozess in Bezug auf alle Investitionen unter Beteiligung der Menschen mit Behinderungen geben. Alle Investitionen, aber auch alle Sparpläne müssten auf den Prüfstand. Insbesondere im vorschulischen Bereich wurden die aktuellen Sparpläne als Barriere beschrieben. Während einige Gesprächspartner die Kürzungen grundsätzlich kritisierten, legte eine weitere Person einen anderen Schwerpunkt: ihrer Ansicht nach würden die Integrationshelfer und Assistenten unzureichend entlohnt, dadurch sei die Kontinuität der Bezugspersonen und der Unterstützung gefährdet. Die einkommensabhängige Unterstützung bei Teilhabeleistungen wurde von einem Gesprächspartner als grundsätzlich konträr zu dem Anliegen der UN-Konvention geschildet, es müsse einen „wirklichen Nachteilsausgleich“ geben. 17 3.4 Umsetzung der UN-Konvention „mit Herz und Verstand“ Eine Teilnehmerin des Arbeitskreises Arbeit forderte eine Umsetzung der UN-Konvention „mit Herz und Verstand“. Die Interviewpartner wurden gefragt, was diese Forderung für sie bedeute. Insbesondere drei Aspekte wurden aufgeführt: An oberster Stelle stand bei den meisten Gesprächspartnern die Beteiligung der Menschen mit Behinderungen, aber auch der Angehörigen und weiterer Akteure auf allen politischen Ebenen. Dies wurde als Grundvoraussetzung einer erfolgreichen Umsetzung der UN-Konvention gesehen. Man müsse insbesondere die Erfahrungen und Fähigkeiten der Menschen mit Behinderungen nutzen, man müsse sie von Anfang an einbeziehen und ernst nehmen. Niemals dürfe über den Kopf eines Menschen hinweg entschieden werden. Diese Beteiligung müsse durchgängig gewährleistet sein und dürfe nicht von einzelnen Personen abhängen. Damit dies gelingt, wurde eine gemeinsame Sprache als erforderlich angesehen. Die leichte Sprache nahm dabei einen besonderen Stellenwert ein. Der zweite Aspekt zeigte sich in den Forderungen nach einer klaren Positionierung der Politik. Diese müsse ihre Strategien offen kommunizieren. Es sei Aufgabe der Politik, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Inklusion ermöglichen. Dabei gehe es um konkrete Schritte, bei denen die Kontinuität und Verlässlichkeit berücksichtigt werden müssen. Der dritte Aspekt bezog sich auf den Einsatz finanzieller Mittel, wobei die Schwerpunkte der einzelnen Gesprächspartner sich unterschieden. Während auf der einen Seite eine Bereitstellung der erforderlichen Mittel im Zentrum stand, war eine Gesprächspartnerin die Frage auf, was eigentlich „Qualität“ in der Unterstützung von Menschen mit Behinderungen sei - dies müsse geklärt werden. Geld müsse das Ergebnis qualitativ guter Arbeit sein. 3.5 Konkrete Schritte zur Umsetzung der UN-Konvention Die konkreten Schritte, die als erforderlich angesehen wurden, damit Menschen mit Behinderungen ihre Rechte besser wahrnehmen können, waren sehr vielfältig, je nach persönlichen Gesichtspunkten der Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner. Die Hälfte der Gesprächspartner sah auch hier ausdrücklich die Beteiligung der Menschen mit Behinderungen, der Angehörigen und der Behindertenverbände als erforderlich an. Diese Beteiligung wurde auf unterschiedlichen Ebenen gefordert: Zum einen in Bezug auf ein Mitspracherecht im politischen Raum, aber auch sehr konkret beginnend in der Aufklärung der Menschen mit Be- 18 hinderungen über ihre Rechte. Man müsse eine gemeinsame Sprache finden, um so die Akzeptanz aller Beteiligten zu erhöhen. Hier anschließend sahen sechs Gesprächspartner die Transparenz, die Information und Vernetzung aller Beteiligten als konkreten Schritt zu einer Umsetzung. Die Beratung von Menschen mit Behinderungen und ihrer Angehörigen müsse qualifiziert und umfassend erfolgen. Bei all dem dürften finanzielle Restriktionen aufgrund der Haushaltslage nicht im Vordergrund stehen. Ein Gesprächspartner vertrat die Ansicht, dass man vieles mit wenig Geld verändern könne, wie zum Beispiel der Aufbau von Strukturen zur Selbstbestimmung und eine Kommunikation zwischen allen Beteiligten. Dabei dürfe man die Menschen mit schweren Behinderungen nicht vergessen. 3.6 Das Jahr 2016 - Fortschritte der Umsetzung? Die Gesprächspartner wurden abschließend gefragt, woran sie im Jahr 2016 Fortschritte bei der Umsetzung der UN-Konvention festmachen würden. Insbesondere zwei Kategorien fanden sich in den Antworten wieder. Auf der einen Seite würden die Gesprächspartner eine erfolgreiche Umsetzung in Bezug auf die Haltung gegenüber Menschen mit Behinderungen merken. So wurden unter anderem eine individuellere Sichtweise und eine Selbstverständlichkeit im gemeinsamen Umgang genannt. Auf der anderen Seite könnte man eine Umsetzung quantitativ in einer gestiegenen Barrierefreiheit messen oder darin, dass mehr Menschen ambulant unterstützt werden. Im Bereich der Arbeit könne man eine Entwicklung daran sehen, dass es weiterhin sinkende Arbeitslosenquoten schwerbehinderter Menschen gebe. Von vielen Gesprächspartnern kam die Antwort: Man könne eine positive Entwicklung daran sehen, dass man mehr Menschen mit Behinderungen im Stadtbild, in öffentlichen Einrichtungen, in den Bussen und Bahnen und in der Freizeit begegne. 3.7 Wie müsste der Aktionsplan aussehen, damit sich nichts ändert? Die meisten Gesprächspartner waren sich in einem Punkt einig: Damit sich etwas tue dürfe der Aktionsplan nicht unverbindlich und unkonkret sein. Es dürfe kein punktueller Plan sein, der direkt „im Regal verschwinde“. Der Aktionsplan dürfe keine Floskeln beinhalten, sondern müsse Probleme, Bruchstellen und Verantwortlichkeiten klar benennen und konkrete Wege aufzeigen. Er müsse überprüfbar und terminiert sein. 19 Es würde sich im Saarland nichts ändern, wenn der Aktionsplan zum einen nicht von Menschen mit Behinderungen eingesehen und beeinflusst werden könnte und er zum anderen keine weitere Einbeziehung der Menschen mit Behinderungen vorsehe. Es wäre auch hinderlich, wenn er die Handelnden vor Ort nicht einbeziehe. Nach Ansicht einiger Gesprächspartner müsse der Aktionsplan insbesondere die Verankerung der räumlichen und informellen Barrierefreiheit sicherstellen. Ein unterschiedliches Meinungsbild gab es in Bezug auf institutionalisierte Sonderlösungen, wie zum Beispiel die Förderschulen oder die Wohnheime. Eine Gesprächspartnerin vertrat die Auffassung, dass der Aktionsplan keine dieser Sonderlösungen beinhalten dürfe, eine andere Person war der Ansicht, dass Sonderlösungen klar als Übergangsmodelle benannt werden sollten, wiederum eine andere Meinung war, dass in Zukunft höchstens eine Reduzierung der Zuweisungen zu Sondersystemen gelingen könne. 4 FAZIT Die Ergebnisse der Arbeitskreise und die Experteninterviews zeigen ein vielfältiges und differenziertes Bild der aktuellen Situation von Menschen mit Behinderungen, ihren Angehörigen und den beteiligten Akteuren im Saarland und welche Wirkungen des politischen aber auch bürgerschaftlichen Handelns im Alltag identifiziert und bewertet werden. Positiv wurden die vorhandene Angebotsstruktur insbesondere in den Bereichen des Wohnens und der Arbeit sowie die Erprobung neuer Möglichkeiten im Rahmen besonderer Projekte beurteilt. Ziel sollte hier eine weitere Flexibilisierung und Individualisierung der Angebote sein. Die Hilfen im vorschulischen Bereich und in der Bildung für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen wurden in ihrer Bedeutung für die Entwicklung einer inklusiven Gesellschaft betont. Hier werden Grundsteine für eine gemeinsame Zukunft von Menschen mit und ohne Behinderungen gelegt. Die Ergebnisse benennen neben diesen und anderen themenspezifischen Gesichtspunkten drei zentrale Anliegen der Bürgerinnen und Bürger des Saarlandes. Der räumlichen und informellen Barrierefreiheit kommt ein besonderer Stellenwert zu, da die Zugänglichkeit zu Orten und Informationen als Voraussetzung für die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gesehen wird. Dies gilt insbesondere, da diese Zugänglichkeit nicht ausschließlich für Menschen mit Behinderungen sondern für alle Bürgerinnen und Bürger des Saarlandes von Nutzen ist. 20 Eine zugängliche und qualifizierte Beratung ist insbesondere ein Anliegen der Menschen mit Behinderungen und deren Angehöriger. Dieses Anliegen beinhaltet die Frage nach den zustehenden Leistungen und Unterstützungsmöglichkeiten, sowie nach den eigenen Rechten und den Rechten Dritter. Die Beteiligung der Menschen mit Behinderungen und weiterer Akteure wurde, ähnlich wie die Barrierefreiheit, als zentrale Anforderung an eine weitere Entwicklung eines inklusiven Gemeinwesens und der Unterstützungsangebote für Menschen mit Behinderungen formuliert. Das vorhandene Fach- und Erfahrungswissen sollte auf allen Ebenen verankert und genutzt werden. Damit diese Gesellschaft im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention möglich ist, wurden insbesondere eine klare Positionierung der Politik und die damit einhergehende Schaffung von entsprechenden Rahmenbedingungen gefordert. 21