Estratto da pag. Mercoledì 10/12/2014 11 Direttore Responsabile Diffusione Testata Frank Schirrmacher (non disponibile) Ritaglio stampa ad uso esclusivo interno, non riproducibile ——— Selpress è un'agenzia autorizzata da Repertorio Promopress Gute Bücher für freie Menschen! Italien ist derzeit in keiner guten Verfassung. Die Krise setzt Kräfte, aber auch Ressentiments frei. Beides wird auf der römischen Buchmesse „Più libri", dem Treffen junger unabhängiger Verlage, heftig diskutiert. ROM, im Dezember Più libri" heißt die alljährliche Buchmesse unabhängiger Verlage in Rom: mehr Bücher. Das klingt wie Hohn angesichts von dramatisch sinkenden Verkaufszahlen bei 65 000 Neuerscheinungen, die jedes Jahr in Italien herauskommen. Umso mehr versteht sich die Messe als Hort für all jene, die den großen Verlagskonzernen und Medienhäusern die Stirn bieten. Deshalb wurde der Schriftzug auf den Plakaten um ein kleines e zu „Più liberi" ergänzt, und plötzlich heißt die Bücherschau der jungen Wilden: mehr Freie. Was im Palazzo dei Congressi dieser Tage gezeigt wird, ist der Versuch, mit viel Phantasie und wenig Geld Nischen zu besetzen und mit auffällig gestalteten Büchern neugierig zu machen auf neue Formen des Erzählens. In diesem Jahr ist Zerocalcare der Held der Schau. Der römische Zeichner, der 1983 in Arezzo geboren wurde und mit bürgerlichem Namen Michele Rech heißt, hat seine neueste Graphic Novel „Dimentica il mio nome" seit Erscheinen vor zwei Monaten schon 75 000 Mal verkauft. Natürlich sind es junge Leser, die Zerocalcare lesen. Für sie ist er ein Popstar - das Sprachrohr einer Generation, die nur wenig von der Zukunft erwartet, keine Jobs hat, in besetzten Häusern wohnt oder mit dreißig noch immer bei oder von den Eltern lebt. In Italien ist das keineswegs eine Minderheit. Fast sechzig Prozent der Jugend sind arbeitslos. An die hundert stehen an diesem Morgen am Stand von Bao Publishing. Sie wollen sich Zerocalcares neues Buch signieren lassen. Der Mann im dunklen Kapuzenpulli malt jedem, der möchte, eine Zeichnung aufs Frontispiz, Variationen der beiden Monster auf dem Cover. Die Fans sind begeistert, das Fernsehen filmt, und der Reporter aus New York fragt den Künstler, was es mit seinem Tattoo auf sich habe: „Comics brechen mir das Herz", steht auf seinem Arm. Zerocalcare lächelt nur. Künstlerisch ist er ein Autodidakt. Politisiert wurde er bei den Unruhen Economia während des G-8-Gipfels in Genua. Heute sympathisiert er mit der Occupy-Bewegung. Niemals würde er im Fernsehen auftreten, und auch in Roms Buchhandelsketten wird man vergeblich auf ihn warten. Sein Revier sind die besetzten Häuser Roms, die verlassenen Militärgelände, und auch sein Nerd-Verlag Bao Publishing gehört zum Narrativ dieser Außenseiterdarstellung. Wenn Zerocalcare dort auftritt, stehen Fans Stunden vorher Schlange. Sie bringen ihrem Idol Geschenke und Süßigkeiten. Er selbst begreift sich im Übrigen nicht als Stimme seiner Generation, dazu sei er, sagt er wie aus der Pistole geschossen, doch „zu eigenartig". Doch wer etwas über Italiens verlorene Jugend und ihre seelische Verfasstheit erfahren will, kann in seinen Büchern fündig werden. Das Phänomen Zerocalcare jedenfalls ist genauso ein Effekt jener schweren Krise, in der Italien derzeit steckt, wie jene Titel, die sich derzeit an Deutschland abarbeiten. „II Quarto Reich - Come la Germania ha sottomesso l'Europa" heißt die jüngste Polemik aus dieser Sparte, die seit Wochen auf den Bestsellerlisten steht. Die Journalisten Vittorio Feltri und Gennaro Sangiuliano warten darin mit der These auf, Deutschland habe nun doch noch quasi durchs Hintertürchen der Wirtschaft erreicht, was das Land im Ersten und im Zweiten Weltkrieg nicht geschafft habe: Europa zu unterwerfen. Auch wenn das Buch nicht auf der römischen Messe vertreten ist, weil es im Mondadori-Verlag Berlusconis erscheint, bleibt es ein Thema. Nicht zuletzt, weil die deutsch-italienischen Beziehungen, wie der römische Publizist Angelo Bolaffi weiß, auf dem Gefrierpunkt angekom men sind. Handelte es sich bei der Kritik nur um Schmähschriften à la „Viertes Reich", musste man sich nicht weiter sorgen, sagt Bolaffi, der lange in Berlin gelebt hat und Deutschland gut kennt. Doch inzwischen machten die Zeitungen und die geistige Elite Italiens, die Intellektuellen und Hochschullehrer, die in Pag. 1 Ritaglio stampa ad uso esclusivo interno, non riproducibile ——— Selpress è un'agenzia autorizzata da Repertorio Promopress Estratto da pag. Mercoledì 10/12/2014 11 Direttore Responsabile Diffusione Testata Frank Schirrmacher (non disponibile) Rom Adorno-Vorlesungen hielten, Angela Merkels Ordnungspolitik für die Misere Italiens verantwortlich. Antonio Sellerio, der erfolgreichste unter den unabhängigen Verlegern Italiens, der Antonio Tabucchi publiziert und von Camilleris MontalbanKrimis dreißig Millionen Bücher verkauft hat, ist nicht weniger besorgt. Der Sizilianer sieht aus, als sei er gerade einem Visconti-Film entsprungen. Er hat das rötliche Haar und die Sommersprossen des italienischen Adels, dem er gar nicht angehört, und trägt einen weinroten Samtanzug mit blauem Schal. Italien brauche einen kompletten Neustart, glaubt Sellerio. Das müsse im Kleinen und bei den Kleinsten beginnen. Denn Italien habe seine kulturelle Identität verspielt, habe sich in einen Kindergarten verwandelt. Mit einem frischen Anstrich sei es da nicht mehr getan. Alles auf Berlusconi zu schieben ist dem Sizilianer dabei zu einfach. Auch wenn das Erbe des Skandalpolitikers noch immer nachwirke. Das Fernsehen präsentiert sich dem Italien-Besucher nach wie vor so infantil und frauenverachtend wie zu Zeiten des Medienmoguls. Aber auch dass man sich nicht mehr mit komplizierten Dingen beschäftigen muss und Intellektuellen gegenüber eine gewisse Verachtung an den Tag legen darf, wurde mit Berlusconi salonfähig. Davon allerdings ist auf der Più libri tagsüber so wenig zu spüren wie im abendlichen Rom die Wirtschaftskrise. Durch die Fensterscheiben blickt man in vollbesetzte Restaurants und Bars. Auch wenn keiner Geld verdient, scheint es dennoch vorhanden zu sein. Und wenn man fragt, bekommt man erzählt, dass die prekären Lebenswege der jungen Italiener mit Hilfe von Privatvermögen aufgebessert werden. In Italien besitzen die privaten Haushalte mehr als in Deutschland. Und weil die Familien ihren Kindern klaglos unter die Arme greifen, kommt es auf den Straßen zu keinen Auseinandersetzungen das zumindest meint Angelo Bolaffi. Dass die Situation dramatisch sei, sieht auch Piero Attanasio vom italienischen Verlegerverband so, Visionen für seine Branche allerdings hat auch er keine zu bieten. E-Books in Blindenschrift sind so ziemlich das Einzige, was ihm zum Stichwort „Innovazione" einfällt. Interessanterweise kommen die kleinen Verlage leichter durch die Krise als die Großen in der Bücherwelt, etwa Mondadori, RCS, GeMs und Feltrinelli, die zu den weltweit sechzig größten Verlagshäusern zählen und deshalb bei „Più libri" nicht zugelassen sind. Die Platzhirsche, die sonst auf den großen Messen in Frankfurt und Turin schon durch ihre Riesenstände die an- deren blass aussehen lassen, scheinen seit der Krise 2011 wie paralysiert. In den römischen Messehallen geht es dagegen fast naiv demokratisch zu, als wäre die Sache mit dem Buch am Ende Economia In Italien mag immer weniger gelesen werden, wie der italienische Verlegerverband beklagt. Es gibt aber Lichtblicke: Wo immer der Comic-Autor Zerocalcare (mit Mikrofon) auftritt, entsteht schnell Gedränge.Foto verlegerverband nicht auch ein Geschäft. Die dreihundert Verlage, vom größten Haus, Sellerio Editore über den angesagten Minimum Fax Verlag aus Rom, der junge italienische und amerikanische Literatur herausbringt, bis zum Einmannbetrieb aus den Abruzzen - alle haben gleich große weiße Kojen, die sie bespielen. Da lässt sich vieles entdecken: Was hier im Bereich Kinderbuch und Graphic Novels passiert, verdient den Begriff Kunst. Wie überhaupt die wunderbare Gestaltung fast aller Bücher ins Auge springt - vom Papier über die Typographie bis zu den Farben der Umschläge. Auch das Format ist anders, vielleicht nicht zufällig in einem Land, das den Fiat 500 erfunden hat. Die Italiener bringen kleine Bücher heraus und dünne zudem, fünfzig Seiten nur. Da scheinen sich sogar neue Genres zu entwickeln. Zum Beispiel mit den Sportnovellen im Verlag von Isabella Ferretti über solch tragische Figuren wie den Formel-1-Piloten Ayrton Senna oder den Radrennfahrer Marco Pastonesi; in Italien werden sie viel gelesen. Aber man stößt auch auf Kuriositäten. Ein Verleger preist Bücher an, deren Umschläge aus Elefantendung fabriziert wurden. Ein anderer sucht einen deutschen Lizenznehmer für seine siebenbändige Ausgabe über die Inquisition. Neben Tierbüchern sind Kochbücher populär, hier vor allem „La cucina etica". Im kommenden Jahr findet die Weltausstellung in Mailand statt - mit dem Thema Ernährung. Und dass Italien nicht nur Deutschland, sondern immer schon die ganze Welt im Blick hatte, auch das zeigt Più libri. Da entdeckt man bei den Edizioni E/O die Bücher von Christa Wolf, Bohumil Hrabal und Jérôme Ferrari und gegenüber bei La Nuova Frontiera die Südamerikaner, während der Mailänder Iperborea Verlag mit Lars Gustafsson, Arto ropäer im Programm hat. Jedes fünfte Buch, das in Italien erscheint, stammt aus Pag. 2 Estratto da pag. Mercoledì 10/12/2014 11 Direttore Responsabile Diffusione Testata Frank Schirrmacher (non disponibile) Ritaglio stampa ad uso esclusivo interno, non riproducibile ——— Selpress è un'agenzia autorizzata da Repertorio Promopress dem Ausland. Zum Vergleich: In Amerika machen die Übersetzungen nur drei Prozent aus. Wie aber soll sie nun aussehen, die Großrenovierung Italiens? Die Messe Più libri ist zumindest ein Versuch, der Kultur ein neues, zeitgemäßes Gewand zu geben. Aber so viel Optimismus sie im Palazzo dei Congressi auch ausstrahlt, die Wirklichkeit sieht anders aus. Im Kulturland Italien mag kaum noch jemand lesen. Mehr als die Hälfte aller Italiener hat im vorigen Jahr nicht einmal ein Buch in der Hand gehalten, geschweige denn ein Buch gelesen. Und in Rom ist es schon so weit, dass Touristen auf Rundgängen durch die Stadt zu Buchhandlungen wie dem kleinen Laden „Fahrenheit 451" auf der Piazza Campo de' Fiori geführt werden; zur Besichtigung eines aussterbenden Gewerbes. SANDRA KEGEL Economia Pag. 3