Sensibilisieren – demonstrieren – umsetzen

Werbung
Technik am Menschen 4.0
Christoph Krause
leitet das „Schaufenster West“ des
Kompetenzzentrums Digitales
Handwerk in Koblenz.
Kompetenzzentrum Digitales Handwerk
Sensibilisieren – demonstrieren –
umsetzen
Unter dem Dach des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Energie (BMWi) fördert die Initiative „Mittelstand
Digital“ Betriebe bei der Entwicklung von Digitalisie­
rungsprozessen im eigenen Unternehmen. Es sind u. a.
16 Kompetenzzentren gegründet worden, von denen sich
das Kompetenzzentrum Digitales Handwerk (KDH) vor allem Firmen aus diesem Bereich annimmt.
Dezentral und in vier verschiedene inhaltliche Schwerpunkte­
unterteilt, unterstützt das an bestehende Strukturen angeschlossene KDH Handwerksbetriebe mit dem nötigen Knowhow. In Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum für
Gestaltung, Fertigung und Kommunikation der Handwerkskammer Koblenz liegt das Hauptaugenmerk des „Schaufensters West“ auf der Digitalisierung der Unternehmensprozesse. Leiter beider Einrichtungen ist Christoph Krause, der als
gelernter Designer viel Erfahrung in der Gestaltung von Prozessen mitbringt.
OT: Herr Krause, welche konkreten Ziele verfolgt das
Kompetenzzentrum Digitales Handwerk?
Christoph Krause: Das erste Ziel ist die Sensibilisierung – so
viel und so breit wie möglich. Wir in Koblenz veranstalten
z. B. am 24. und 25. Juni ein sogenanntes Barcamp, wo wir
digitale Vordenker mit mittelständischen Unternehmern zusammenbringen. Außerdem organisieren wir immer am ersten Wochenende im November die „Nacht der Technik“ mit
über 10.000 Besuchern, um das Thema breit vorzustellen und
Treffpunkte für alle Interessierten und Beteiligten zu schaffen.
Der zweite Punkt ist das Demonstrieren. In unseren vier
Zentren zeigen wir Praxisanwendungen auf. In Koblenz etwa
gibt es ein mobiles Prozessbüro, mit dem wir die Digitalisierung vor Ort im Unternehmen anhand seiner eigenen Prozesse erlebbar machen. Sie können einem Bäcker nichts vom
Fleisch erzählen und müssen die Handwerker branchenweise „abholen“. Dann sind sie bereit, sich einem solchen Thema zu widmen und haben relativ schnell ein Gefühl dafür,
was ihnen eine Digitalisierung der Prozesse einbringt. Wenn
sie sehen, wie optimierte Prozesse ablaufen, z. B. durch eine
vollautomatisierte Maschinenwartung, gelangen sie relativ
schnell zu der Erkenntnis, in solche Prozessoptimierungen
zu investieren.
Schließlich geht es um die Umsetzung. Zum einen begleiten wir Unternehmen durch Dialoge vor Ort. Häufig haben
die Betriebe eine Problemstellung, und wenn sie dafür eine
„Erste Hilfe“ bekommen, begrüßen sie das sehr. In einer erweiterten Form können diese Dialoge sogar in einem tatsächlichen, ca. einjährigen Umsetzungsprojekt münden. ­Jedes
18
Foto: Stefan Veres/HWK Koblenz
Schaufenster im Kompetenzzentrum verantwortet fünf von
diesen Projekten. Dabei geht es um die konkrete Umsetzung
eines Digitalisierungsprozesses im Unternehmen, verbunden mit der Zielsetzung, dass die Firma und das Kompetenzzentrum diese Prozesse vermarkten können und ein Vorbild für andere Betriebe sind. Erfolgreiche Projekte finden
eher durch die Kommunikation innerhalb eines Handwerks
Nachahmer als über einen externen Einfluss. Das wollen wir
damit provozieren.
Digitalisierung ist in hohem Maße
kundengetrieben
OT: Auf welche Problemstellungen bzw. Herausforderungen
stoßen Sie in den Betrieben?
Krause: Das größte Problem im mittelständischen Handwerk
ist nicht die Investition in eine Maschine, sondern das fehlende „4.0-Denken“. Die Frage lautet: Wie ermittle ich den
digitalen Mehrwert für den Kunden? So viel ist sicher: Ohne
diesen Mehrwert gibt es irgendwann ein Problem. Denn die
Digitalisierung ist in hohem Maße kundengetrieben. Das
heißt, die Kunden fordern etwas ein. Die Frage lautet: Wer
bietet es ihnen an? Hier muss das Handwerk achtgeben, dass
es aus diesen digitalen Mehrwertketten nicht irgendwann
herausfällt und nur noch ein „austauschbares Werkzeug“ ist.
Im Moment gibt es viele Start-ups, die nicht aus dem Handwerk stammen und lediglich darüber nachdenken, welchen
Nutzen eine Schuhsohle in Zukunft dem Kunden bringen
soll. Diese Gründer haben keine Ausbildung zum Orthopädie-Schuhtechniker, sondern denken in digitalen Mehrwerten und bauen eine Plattform mit den zentralen Kundendatensätzen auf. Die nachfolgende Anfertigung und Auslieferung ist ihnen zunächst egal.
OT: Was sind die Aufgaben, die es für das klassische Handwerk
zu bewältigen gilt, ohne den Anschluss zu verpassen?
Krause: Bei uns in Koblenz beschäftigen wir uns vor allem
mit der Digitalisierung der Geschäftsprozesse, etwa wenn ein
Betrieb den Produktverlauf vom Lieferanten zum Kunden
ohne Schnittstellenverluste und analoge Tätigkeiten digitalisieren will. So etwas ist im Handwerk insofern komplex, als
häufig bereits einzelne Lösungen wie z. B. Zeiterfassung im
Haus vorhanden sind. Hier hilft es, von den Prozessen auszugehen und nicht von der Software. Die Aufgabe lautet: Nicht
das tun, was die Software einem abverlangt, sondern den Prozess voranstellen und das Tool daraufhin anpassen. Anschließend erfolgt die Digitalisierung der Kundenkommunikation,
ORTHOPÄDIE TECHNIK 05/17
Gewerbeübergreifende
Zusammenarbeit
OT: Sie haben finanzielle Investitionen angesprochen.
Von welchen Beträgen ist hier die Rede?
Krause: Eine Plattform aufzubauen kostet viel Geld, die bekommt man nicht für 20.000 Euro. Bei solchen Kosten sind
viele zunächst skeptisch, aber die Zugriffszahlen und daraus resultierende Verkaufsoptionen geben der Investition irgendwann Recht. Man muss schon sehr genau hingucken,
was man da tut. Und am besten schließt man sich mit anderen Betrieben zusammen, anstatt so etwas alleine anzugehen. Vielleicht baut man sogar eine gewerbeübergreifende
Gesundheitsplattform auf – mit Chat-Modul, Terminvereinbarung und solchen Dingen.
Foto: Stefan Veres / HWK Koblenz
auf die die Kollegen in Oldenburg spezialisiert sind. Es genügt nicht, ein Bildchen auf Facebook hochzuladen – das
kann man tun oder es sein lassen. Benötigt wird vielmehr
eine Kundenplattform, auf der Kunden interagieren können.
Wie so etwas aussehen kann, macht die auf Schuheinlagen
spezialisierte Firma Myonso vor: Der Kunde gibt bei Google
nicht ein, dass er eine Sohle oder Einlage kaufen möchte, sondern er gibt seine Beschwerden wie z. B. „Fersensporn“ an.
Myonso lotst den Kunden auf eine sogenannte Landing-Page,
die zunächst eine Übersicht über das Thema vermittelt. Erst
danach folgt das Angebot. So wird eine Kundenschnittstelle
geschaffen und Interaktionen über eine Plattform angeboten. Wer hier gut ist sowie Geld und Zeit investiert, der kann
die Kunden wunderbar im Netz „abholen“. Wer meint, eine
Unternehmens-Website und ein bisschen Facebook würden
genügen, der liegt falsch.
Das Schaufenster West ist an die Handwerkskammer
Koblenz angedockt.
weit vorne. Die Fragen lauten: Wie scanne ich ein, wie programmiere ich ein 3-D-Modell, wie schicke ich es an die Fräse? Steht diese Fräse bei mir oder woanders? Reicht vielleicht
ein Bearbeitungszentrum, oder muss jeder eine solche Maschine haben? Wie vernetze ich diese Maschinen miteinander? Was ist mit additiver Fertigung? Hier besteht das eigentliche Problem nicht im Handwerk.
OT: Sondern?
Krause: Viele Unternehmen wissen nicht, was sie alles benötigen, um ein digitales Geschäftsmodell auf den Weg zu
bringen. Bei dieser Frage unterstützt sie das Schaufenster Ost
in Dresden. Aber Vorsicht – wenn ein Betrieb in ein digitales Geschäftsmodell integriert wird, ist er kein Handwerksbetrieb mehr. Das muss man auch politisch betrachten und
gegenüber der Politik deutlich machen, dass es zukünftig ein
„digitales Handwerk“ in all seinen skizzierten Facetten geben
wird. Sonst werden solche Betriebe am Ende der Industrieund Handelskammer zugeordnet.
OT: Mit welchen konkreten Problemen wenden sich die
Unternehmen an Sie?
OT: Wie sieht aktuell die Situation in den Werkstätten aus?
Krause: In Bezug auf die Automatisierung bei der Fertigung
der Produkte – dies ist der Schwerpunkt des KDH-Schaufensters Süd in Bayreuth – war die Orthopädie-Technik früh sehr
Krause: Zumeist geht es um Prozesse und Integration. Das
heißt, der Betrieb hat eine Software zwar im Einsatz, ihm
gelingt aber nicht mehr der nächste Schritt auf eine höhere
Digitalisierungsebene. Oft ist sein Software-Hersteller hier
Im Schulungslabor wird ein
Bewusstsein für die Digitalisierung von Arbeitsprozessen
vermittelt.
Foto: HWK Koblenz
ORTHOPÄDIE TECHNIK 05/17
19
OT: Sind diese Prozesse primär in der Werkstatt, im Fachhandel
oder in der Unternehmensorganisation lokalisiert?
Krause: In allen. Was nützt es Ihnen, wenn der Kunde Ihr Angebot bestätigt und dann als Beispiel die Aufgabe zur Anfertigung in der Werkstatt nicht ordnungsgemäß abläuft. Wir
versuchen die Schnittstellen so zu digitalisieren, dass der
Chef und vor allem die Mitarbeiter zufrieden sind, die die
Tätigkeiten ausführen müssen.
Im ersten Schritt ist ein Geschäftsführer notwendig, der
sagt: Wir wollen einen Digitalisierungsschritt vollziehen.
Des Weiteren ist ein Mitarbeiter erforderlich, denn dieser ist
der Fachexperte innerhalb des Prozesses. Wenn dieser in die
Entwicklung und Optimierung mit eingebunden wird, ist er
nicht nur froh, dass er ernst genommen wird – er ist auch viel
offener dafür, in Zukunft ein digitales Werkzeug zu nutzen
und nicht mehr Zettel und Stift.
Hoher Bedarf an digitalem Fortschritt
OT: Ist der Bedarf an digitalem Fortschritt in der OT weniger
ausgeprägt oder ausgeprägter als in anderen Handwerksbranchen?
Krause: Er ist ausgeprägter, was auch an der Interaktion mit
der Herstellung liegt. Die Betriebe, die in der Herstellung stark
von der Industrie geprägt sind – der Zimmerer, der Zahntechniker oder auch der Orthopädie-Techniker – haben eine hohe
Nachfrage im Hinblick auf Interaktion bei den Grundlagenprozessen. Die, bei denen ein hohes Maschinenaufkommen
in der Produktion besteht – was beim Orthopädie-TechnikBetrieb gegeben ist –, fragen im Moment am stärksten nach.
OT: Zu den Betrieben, die das KDH längerfristig begleitet, gehört
auch das Unternehmen Jaeger Orthopädie aus Lahnstein. Schildern Sie uns bitte die konkreten Herausforderungen in diesem Fall.
Krause: Bei Jaeger versucht man, ganz stark den 3-D-Druck
einzubinden. Was dort besonders gut gehandhabt wird, sind
die Scan-Methoden: vor Ort in der Bewegung scannen und
daraus Daten erzeugen, die auf CNC-Maschinen weiterverarbeitet werden können. Der nächste Schritt wird es zunächst
sein, CNC durch additive Fertigung abzulösen. Danach gilt
es sich dann zu fragen, wie der Kunde über eine digitale Plattform besser an den Betrieb angebunden werden kann.
OT: Welche Unterstützung kann das KDH im Bereich der Ausund Weiterbildungsgestaltung geben, und gibt es diesbezüglich
bereits einen Austausch im Bereich der OT?
Krause: Die Rahmenbedingungen lassen es durchaus zu, bereits jetzt Digitalisierung als Bestandteil der Ausbildung umzusetzen. Es muss aber dafür gesorgt werden, dass die Ausbil-
20
der in den Berufsschulen und Ausbildungszentren Lust auf
das Thema Digitalisierung haben. Wir müssen die Leute zu
„digitalen Treibern“ machen, die die jungen Leute ausbilden.
Wir haben in diesem Zusammenhang zwei Projekte mit
dem BMWi geplant. Das erste läuft bereits und heißt „Elek­
triker 4.0“. Dabei findet eine Woche lang eine Unterweisung
an fünf Standorten statt. Anschließend könnte das Projekt
„Tischler 4.0“ folgen. Vielleicht schließt sich als Dritter der
„Orthopädie-Techniker 4.0“ an? Es ist wichtig, nicht nur
zehn Tablets und einen 3-D-Drucker zu kaufen, sondern die
Betroffenen gedanklich und emotional „mitzunehmen“.
Das ist die große Hürde.
OT: Wie kann ein Orthopädie-Techniker aktuell vom Angebot
der KDH-Web-Seminare profitieren?
Krause: Der Mehrwert besteht bereits darin, dass er mit dem
Thema Digitalisierung Kontakt bekommt und die Grundstruktur der Prozesse versteht. Fragen in diesem Zusammenhang lauten: Was sind meine Aufgaben, um anschließend in
der Lage zu sein, ein eigenes Projekt zu initiieren? Wo stehe
ich auf einer Skala von 1 bis 10? Wir bieten dazu auf unserer
Internetseite einen schnellen Check zur Selbsteinschätzung.
Im Anschluss sollte ein direkter Dialog mit uns stattfinden.
Wir schauen uns den Betrieb an und gucken, „wie
er tickt“. Anschließend
können wir die Betriebe
mit IT-Dienstleistern in
Kontakt bringen. Unter
unserer Moderation können die Beteiligten dann
miteinander Projekte in
Angriff nehmen – auf Augenhöhe und im Sinne des
OT-Unternehmens. Denn
vielleicht wird ihnen von
dritter Seite ein OnlineMit ihrem Mobilen Prozessbüro
shop für 80.000 Euro anbesuchen die Experten des KDHs
geboten, den sie aber gar
die Betriebe.
nicht brauchen.
Foto: KDH Koblenz
der falsche Ansprechpartner, wenn er für eine kleine Änderung auf der Oberfläche einen teuren Kostenvorschlag
erstellt, woraufhin der Geschäftsführer abwinkt. In diese
Schnittstelle bewegen wir uns mit neuen Lösungen und dem
Ansatz eines Prozessmanagements, was bedeutet, den Prozess zu digitalisieren und dafür Anwendungen erstellen zu
lassen. Mit dieser Problematik werden wir quasi überrannt.
OT: Bei aller Bereitschaft der Betriebe, sich mit der Digitalisierung von Prozessen auseinanderzusetzen: Stellt die mangelhafte
Internetgeschwindigkeit, gerade in ländlichen Regionen, nicht
ein konkretes Hindernis für den digitalen Fortschritt im
Handwerk dar?
Krause: Auf jeden Fall, etwa wenn man einen 3-D-Datensatz in einen ländlichen Raum zum Drucken übertragen will.
Wenn wir dieses Problem nicht schnell angehen, wird sich
dies als großer Wettbewerbsnachteil erweisen. Deutschland
ist bei der Netzgeschwindigkeit weit hinten. Gerade in ländlichen Bereichen sind wir ein Entwicklungsland. Was nützt
ein digitaler Kundenservice, wenn Daten nicht übertragen
werden können? Hier muss konsequent Druck auf die Verantwortlichen ausgeübt werden.
Die Fragen stellte Michael Blatt.
ORTHOPÄDIE TECHNIK 05/17
Herunterladen