BVerfGE 48, 48, 56: Nach Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit "gesetzlich bestimmt" war, bevor die Tat begangen wurde. Der Einzelne soll von vornherein wissen können, was strafrechtlich verboten ist, damit er in der Lage ist, sein Verhalten danach einzurichten (…). Allerdings darf das Gebot der Gesetzesbestimmtheit nicht übersteigert werden; die Gesetze würden sonst zu starr und kasuistisch und könnten der Vielgestaltigkeit des Lebens, dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalles nicht mehr gerecht werden. Diese Gefahr läge nahe, wenn der Gesetzgeber stets jeden Tatbestand bis ins letzte ausführen müßte (…]). Das Strafrecht kann deshalb nicht darauf verzichten, allgemeine Begriffe zu verwenden, die formal nicht allgemeingültig umschrieben werden können und mithin in besonderem Maße einer Deutung durch den Richter bedürfen (…). Das Gebot der Gesetzesbestimmtheit bedeutet also nicht, daß der Gesetzgeber gezwungen ist, sämtliche Straftatbestände ausschließlich mit deskriptiven, exakt erfaßbaren Tatbestandsmerkmalen zu umschreiben (…). Generalklauseln oder unbestimmte, wertausfüllungsbedürftige Begriffe im Strafrecht sind deshalb nicht von vornherein verfassungsrechtlich zu beanstanden. Gegen die Verwendung derartiger Klauseln oder Rechtsbegriffe bestehen jedenfalls dann keine Bedenken, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden - insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes und durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs - oder auf Grund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen läßt, so daß der Einzelne die Möglichkeit hat, den durch die Strafnorm geschützten Wert sowie das Ver-[S. 57]bot bestimmter Verhaltensweisen zu erkennen und die staatliche Reaktion vorauszusehen (…). Die Beurteilung der Frage, ob der Tatbestand einer Strafnorm "gesetzlich bestimmt" im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG ist, kann danach auch davon abhängen, an welchen Kreis von Adressaten sich die Vorschrift wendet. Richtet sie sich ausschließlich an Personen, bei denen auf Grund ihrer Ausbildung oder praktischen Erfahrung bestimmte Fachkenntnisse regelmäßig vorauszusetzen sind, und regelt sie Tatbestände, auf die sich solche Kenntnisse zu beziehen pflegen, so begegnet die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe unter dem Gesichtspunkt des Art. 103 Abs. 2 GG keinen Bedenken, wenn allgemein davon ausgegangen werden kann, daß der Adressat auf Grund seines Fachwissens imstande ist, den Regelungsinhalt solcher Begriffe zu verstehen und ihnen konkrete Verhaltensanweisungen zu entnehmen (…). 1 § 240 HGB - Inventar (1) Jeder Kaufmann hat zu Beginn seines Handelsgewerbes seine Grundstücke, seine Forderungen und Schulden, den Betrag seines baren Geldes sowie seine sonstigen Vermögensgegenstände genau zu verzeichnen und dabei den Wert der einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden anzugeben. (2) 1Er hat demnächst für den Schluß eines jeden Geschäftsjahrs ein solches Inventar aufzustellen. 2Die Dauer des Geschäftsjahres darf zwölf Monate nicht überschreiten. 3Die Aufstellung des Inventars ist innerhalb der einem ordnungsmäßigen Geschäftsgang entsprechenden Zeit zu bewirken. -----------------------------aus BGHStE 11, 47, 48 f.: aus den Gründen: Die allgemeine Gesetzessprache kennt keinen ein für allemal feststehenden Begriff einer »Ingebrauchnahme«. [systematische Auslegung →] Die allgemeine Gesetzessprache kennt keinen ein für allemal feststehenden Begriff einer »Ingebrauchnahme«. Wohl ist er im § 290 StGB zu finden, der öffentliche Pfandleiher mit Strafe bedroht, die einen von ihnen in Pfand genommenen Gegenstand »unbefugt in Gebrauch nehmen«. Verstanden wird darBGHSt 11, 49 [11. »Ingebrauchnehmen« im Sinne des § 248b StGB nach Beginn der Fahrt]BGHSt 11, 49 unter jede nutzbare Verwendung des Pfandgegenstandes, die mit seiner Beschaffenheit verträglich ist (LK 6./7. Aufl. II zu § 290 StGB). Daraus ergibt sich jedoch nicht, ob eine unbefugte Ingebrauchnahme nur dann gegeben ist, wenn der Pfandleiher schon bei Beginn der Verwendung des Pfandes wußte, daß der Verpfänder nicht mit ihr einverstanden sei. Angesichts des verschieden gearteten Straftatbestandes könnte überdies für die Auslegung des § 248b StGB aus jener Vorschrift nichts Entscheidendes gewonnen werden. [!!] Da der Gesetzeswortlaut nicht eindeutig ist, müssen auch die Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Strafbestimmung bei der Auslegung mit herangezogen werden. [historische Auslegung →] Die Entstehungsgeschichte der auf Grund Art. 48 Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung erlassenen Verordnung des Reichspräsidenten gegen den unbefugten Gebrauch von Kraftfahrzeugen und Fahrrädern vom 20. Oktober 1932 (RGBl I 496), die durch das 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 (BGBl I 735) als 2 § 248b StGB in das Strafgesetzbuch übernommen worden ist, ergibt, daß die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs als nicht ausreichend angesehen wurden, um die als Gefährdung und Störung der öffentlichen Sicherheit empfundenen Schwarzfahrten unter Strafe zu stellen, die nach dem bis zum Erlaß der Verordnung geltenden Rechtszustand häufig straffrei bleiben mußten. [teleologische Auslegung →] Die neue Bestimmung sollte abschreckend und vorbeugend wirken, der Verkehrssicherheit dienen, weil die Zahl der Verkehrsunfälle auf Schwarzfahrten unverhältnismäßig groß ist, das öffentliche Vertrauen auf die Sicherheit der auf den Straßen abgestellten Fahrzeuge stärken und sowohl die Privatrechtsordnung als solche wie auch den einzelnen strafrechtlich schützen, der seine Rechte aus ihr herleitet (Wagner, Die VO des Reichspräsidenten vom 20. Oktober 1932 S. 15 ff). Weil nur Schwarzfahrten entgegengetreten werden sollte, bezweckt die gegen sie erlassene Strafbestimmung nicht, eine Benutzung in den Straftatbestand einzubeziehen, die keine Schwarzfahrt darstellt. Unter sie fällt daher beispielsweise nicht, wer in einem parkenden Kraftfahrzeug unbefugt nächtigt, wer in einem Autobus als blinder Passagier mitfährt oder BGHSt 11, 50 [11. »Ingebrauchnehmen« im Sinne des § 248b StGB nach Beginn der Fahrt]BGHSt 11, 50 wer sein Kraftfahrzeug oder sein Rad unbefugt an ein Kraftfahrzeug anhängt. Dadurch erklärt sich, daß weder in § 1 Abs. 1 der Verordnung noch in § 248b Abs. 1 StGB von einer Benutzung die Rede ist. Benutzung bedeutet jede beliebige Art der Verwendung, »Ingebrauchnahme« dagegen nur die Benutzung zu dem bestimmungsgemäßen Zweck des Fahrzeugs. Die Ingebrauchnahme kann deshalb nur eine Benutzung sein, bei der der Täter sich des Fahrzeugs unter Einwirkenlassen der zur Ingangsetzung und Inganghaltung geeigneten Kräfte als Fortbewegungsmittel bedient ------------------------------------------aus BGHStE 1, 1 ff.: aus den Gründen. [Urteil 1.Instanz →] Die Strafkammer hat die Angeklagte wegen schweren Raubes nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung nach § 223a StGB verurteilt. [Sachverhalt] Die Angeklagte lockte das Lehrmädchen K., das auf der Kreissparkasse einen großen Geldbetrag einzahlen sollte, in den Flur eines Wohnhauses, um sich in den Besitz des Geldes zu setzen. Dort schüttete sie der Fünfzehnjährigen plötzlich verdünnte Salzsäure ins Gesicht, die sie in einem Henkeltopf in ihrer Handtasche bereit gehalten hatte, entriß der Geblendeten den Geldbeutel, den diese unter dem offenen Mantel unter den 3 Arm geklemmt trug, und flüchtete. Die Säureeinwirkung hatte eine Netzhautentzündung und Verletzungen im Gesicht zur Folge, von denen eine eine kleine dauernde Narbe hinterlassen hat. [Rechtsproblem →] Die Voraussetzungen der §§ 249, 223 StGB sind dargetan. Der näheren Erörterung bedurfte nur, ob sich die Angeklagte, was das Landgericht bejaht, einer »Waffe« im Sinne der §§ 250 Abs. 1 Nr. 1, 223a StGB bediente, als sie dem Mädchen die verdünnte Salzsäure plötzlich ins Gesicht schüttete. Die Revision [eingelegt vom Verurteilten] bekämpft die Auffassung des Landgerichts und beruft sich auf die [bisherige] Rechtsprechung, die als Waffen im Sinne der BGHSt 1, 2 [1. Begriff der Waffe]BGHSt 1, 2 hier in Betracht kommenden Bestimmungen (§§ 223a, 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB) nur solche Gegenstände anerkenne, mit denen durch mechanische Einwirkung auf den Körper eines anderen eine Verletzung herbeigeführt werden soll. Die bisherige Rechtsprechung hat allerdings die Auffassung vertreten, daß die mechanische Wirkung zum Begriff der Waffe gehöre, und deshalb ätzende Stoffe (z B Vitriol) nicht als Waffe angesehen (Rspr RGSt 4, 298). Der Senat glaubt an dieser Begrenzung des Waffenbegriffs nicht festhalten zu dürfen. [historische Auslegung →] Ihr Ursprung liegt, wie die angeführte grundlegende Entscheidung des Reichsgerichts ergibt, in Auffassungen über das Wesen der Waffe, die aus dem in der Allgemeinheit und in der Technik beobachteten Sprachgebrauch hergeleitet wurden, Auffassungen, die dem Wandel der Zeiten unterworfen sind. Die Entscheidung von 1882 durfte eine Aufzählung der Wirkungsweisen einer Waffe im technischen Sinne mit Hieb, Stoß, Stich, Wurf oder Schuß als erschöpfend betrachten. Sie konnte bei der Erörterung der Reichstagsberatungen über die Fassung des § 223a ausführen, daß neben den zu mechanischer Einwirkung geeigneten Gegenständen die sonstigen zu Körperverletzungen gebrauchten Werkzeuge an praktischer Bedeutung so weit zurückständen, daß ihrer nur bei besonderem Anlaß gedacht werde. Diese aus der Entstehungsgeschichte und der Lebensauffassung von der frühen Entscheidung damals mit Recht hergeleiteten Auffassungen haben die Rechtsprechung bisher weiter beherrscht. Das Reichsgericht trug aber schon in Goltd Arch 39, 68 Zweifel an dieser Auslegung, wenn es sie auch noch anwandte. In der im Recht 1904 S 257 abgedruckten Entscheidung unterschied es zwischen den Verletzungen, die durch das Auftreffen des auf den Verletzten geschleuderten Kalkes auf mechanischem Wege verursacht sein könnten, und den Verletzungen, die der Kalk infolge seiner chemischen Eigenschaften hervorgerufen haben könnte. Dagegen sah es in Goltd Arch 62, 321 siedend heißen Kaffee, mit dem der Verletzte begossen worden war, als Waffe an, obwohl die eigentlich verletzende Wirkung des siedenden Kaffees nicht auf der rein 4 mechanischen Wirkung beruht, sondern auf der Wärmewirkung. An der grundsätzlich BGHSt 1, 3 [1. Begriff der Waffe]BGHSt 1, 3 einschränkenden Auslegung hat die Rechtsprechung festgehalten, ohne neue Begründungen zu geben; vgl aus späterer Zeit 4 D 409/40 vom 26. VIII. 1940, DR 1940, 1937. [Wandel der Verhältnisse → ] Die für die enge Auslegung angeführten Gründe, die ihren Ursprung hiernach nicht in strafrechtlichen Erwägungen, sondern gerade in der außerstrafrechtlichen Auffassung vom Wesen der Waffe hatten, haben durch die seitdem eingetretene Entwicklung ihre Berechtigung verloren. Wie die Kriegstechnik in wachsendem Maße Waffen auch zur Herbeiführung von Verbrennungen, Betäubungen, Vergiftungen hergestellt und verwendet hat und damit sogar Waffenwirkungen von viel entsetzlicherer Art schuf, als sie den mechanischen Kampfmitteln eignen, so rechtfertigt auch rein gedanklich das fortgeschrittene Forschungsbild der Naturwissenschaften nicht mehr, die Scheidung zwischen mechanischen und chemischen Vorgängen mit der gleichen Strenge zu betonen, wie das früheren Zeiten geboten erschien. [Art. 103 II GG: Wortlautgrenze →] Dieser Entwicklung ist auch der allgemeine Sprachgebrauch in dem, was er unter »Waffen« versteht, längst gefolgt. [systematische Überlegung →] Es könnte nur zu fragen sein, ob dieser Wandel in der technischen und in der allgemeinen Betrachtung keine Schlüsse für die strafrechtliche Bestimmung des Waffenbegriffs erlaube, weil der Inhalt strafrechtlicher Begriffe aus dem Strafgesetz selbst zu entnehmen ist. Die strafrechtliche Würdigung führt aber gerade zu dem Schluß, daß dem Sinn und dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck der hier in Frage stehenden Strafvorschriften nur die weitere Fassung des Waffenbegriffs, wie er heute der allgemeinen Auffassung entspricht, gerecht werden kann. [teleologische Auslegung → ] Die genannten Vorschriften heben aus den Tatbeständen der Körperverletzung, des Diebstahls und des Raubes als besonders strafwürdig die Fälle heraus, bei denen der Täter eine Waffe verwendet oder bei sich trägt. Der gesetzgeberische Grund für die strengere Strafdrohung ist die größere Gefährlichkeit einer solchen Handlungsweise. Gerade aus diesem Gesichtspunkt aber läßt sich nichts dafür herleiten, daß ein Rechtsbrecher, der einem Mitmenschen Verletzungen beibringen will, in seiner Strafwürdigkeit grundsätzlich danach verschieden beurteilt werBGHSt 1, 4 [1. Begriff der Waffe]BGHSt 1, 4 den soll, ob er diese Verletzungen durch einen Messerschnitt oder durch eine ätzende Säure herbeiführen will, und zwar in dem Sinne, daß der Angriff mit dem chemischen Mittel milder zu bestrafen sei als der mit dem mechanischen Werkzeug. Ein grundsätzlicher Unterschied dieser Art findet in keiner strafrechtlichen Erwägung eine Rechtfertigung, weder 5 nach dem Maß der Verwerflichkeit der Handlungsweise noch nach der Größe der Gefahr für den Angegriffenen. Diese vom Allgemeinen her gewonnene Erkenntnis wird durch die Anwendung auf die zur Entscheidung stehende Tat der Angeklagten nur bestätigt. Verglichen mit einem Raubüberfall mit einem Knüppel oder einem Messer war das Auflauern mit dem Säurebehälter weder von der Schuldseite her auch nur im geringsten verzeihlicher, noch für das angegriffene, von Erblindung bedrohte Mädchen auch nur im geringsten weniger gefährlich. [Ergebnis der Überlegungen →] Aus allen diesen Erwägungen erklärt sich der Senat zu der auch in der Rechtslehre (vgl. Schönke, StGB § 223a Anm II 1; Kohlrausch-Lange StGB § 223a Anm I; Niethammer, Lehrbuch S 147; v. Hippel, Lehrbuch S 196 Anm 2; Mezger, Kurzlehrbuch II, S 34; vgl auch Bruns in der Anm zu DR 1940, 1937) in zunehmendem Maße vertretenen Auffassung, daß es für den strafrechtlichen Begriff der Waffe im Sinne der hier angewendeten §§ 223a, 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht entscheidend ist, ob das zur Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit eines Menschen bestimmte oder verwendete Mittel seine Wirkung auf mechanischem oder chemischem Wege ausübt. Damit schließt sich der Senat in der rechtlichen Beurteilung der zur Anklage stehenden Tat dem Landgericht an. [← Misserfolg der eingelegten Revision] -------------------------------aus BGHStE 10, 375 f. aus den Gründen: Mit Recht hat die Strafkammer auch den § 3 Abs. 1 Nr. 6 PrFDG angewendet. Danach wird die Regelstrafe für den Forstdiebstahl geschärft, »wenn zum Zwecke des Forstdiebstahls ein bespanntes Fuhrwerk, ein Kahn oder ein Lasttier mitgebracht ist«. Dem bloßen Wortlaut nach fällt ein Kraftfahrzeug, wie es die Angeklagten zur Ausführung des Forstdiebstahls verwendet haben, allerdings nicht unter die Vorschrift [also Art. 103 II GG-Wortlautgrenze (+) Straffreiheit!], wohl aber nach ihrem Sinn.[teleologische Auslegung →] Denn der Strafschärfungsgrund ist darin zu finden, daß der Täter mit einem mit herkömmlichen Zugtieren bespannten Fahrzeug größere Mengen Diebesgut wegschaffen, auch Schaden in jungen Holzbeständen anrichten und überdies sich der Ergreifung auf frischer Tat oder sonst der Feststellung seiner Person leichter entziehen kann. [historische Auslegung →] Aus derartigen Erwägungen hat auch die Vorschrift, deren Entwurf die Straferschwerung ursprünglich nur bei mitgebrachtem bespannten Fuhrwerk vorsah, in späteren Beratungen die geltende, erweiterte Fassung erhalten, die wasser6 reichen und gebirgigen Gegenden eigentümliche Beförderungsmöglichkeiten BGHSt 10, 376 [99. Forstdiebstahl mit Kraftfahrzeug]BGHSt 10, 376 berücksichtigt (Anlagen zu den Verhandlungen des Preußischen Herrenhauses in der Session 1877 II Drucks. Nr. 9 und Nr. 58; Sten. Berichte über die Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten 1878 Bd. II, 1753, 1773 ff – 65. Sitzung vom 14. März 1878; Anlagen dazu, Aktenstück Nr. 212 der 13. Legislaturperiode 1877 bis 1878). Ähnlich bedroht § 16 Nr. 1 des Preußischen Feld- und Forstpolizeigesetzes vom 1. April 1880 (GS 230) idF vom 21. Januar 1926 (GS 83), das sich auch sonst mit dem Forstdiebstahlsgesetz berührt, mit geschärfter Strafe die Feldentwendung, die »unter Anwendung eines zur Fortschaffung größerer Mengen geeigneten Geräts, Fahrzeugs oder Lasttieres« begangen wird. Dem Fassungsunterschied kann keine Bedeutung beigemessen werden. Beide Gesetze stammen – und zwar gerade mit den in Rede stehenden Einzelbestimmungen – aus einer Zeit, in der die Entwicklung des Kraftfahrzeugs in den ersten Anfängen stand, keinerlei Bedeutung für den Verkehr hatte und daher bei der Gesetzgebung nicht berücksichtigt wurde. Die späteren Änderungen des Forstdiebstahlsgesetzes haben im wesentlichen die Anpassung an die damaligen Währungsverhältnisse und die Änderungen des Jugendstrafrechts zum Inhalt. Den § 3 Abs. 1 Nr. 6 betreffen sie nicht. Um so eher kann auf seinen Grundgedanken zurückgegriffen werden (RGSt 12, 371f; BGHSt 1,1). Demgemäß wird nach dieser Vorschrift auch bestraft, wer zum Zwecke des Forstdiebstahls ein Kraftfahrzeug mitbringt. ---------------aus BGHStE 22, 235 ff. aus den Gründen: Die Frage, ob auch ein nicht durch Menschenkraft beweglicher Gegenstand, gegen den ein menschlicher Körper gestoßen oder geworfen wird, als gefährliches Werkzeug [iSv § 223a a.F. = § 224 I Nr. 2 n.F.] angesehen werden kann, ist seit der Entscheidung des Reichsgerichts in RGSt 24, 372 in der veröffentlichten Rechtsprechung, soweit BGHSt 22, 236 [63. Gefährliches Werkzeug im Sinne des § 223a StGB]BGHSt 22, 236 feststellbar, nicht mehr behandelt worden. Was das Gesetz unter einem gefährlichen Werkzeug versteht, wird in der Wissenschaft und der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet. [Art. 103 II GG: Wortlaustschranke →] Die am Wortsinn des Wortes »Werkzeug« ausgerichtete engere Auffassung sieht als solches nur einen beweglichen Gegenstand an, der durch menschliche Kraft gegen einen Körper in Bewegung gesetzt werden kann, um ihn zu verletzen (LK § 223a StGB, Anm. II 1b; 7 Schönke/Schröder, Rdnr. 4; Schwarz/Dreher, Anm. 1; RG aaO). Dabei soll es allerdings gleichgültig sein, ob im besonderen Falle das Werkzeug gegen den Menschen oder der Mensch gegen das Werkzeug in Bewegung gesetzt wird (RG aaO; Schönke/Schröder aaO, der sich für das angeführte Beispiel zu Unrecht auf das Reichsgericht beruft). Nach der weiteren Auffassung ist ein gefährliches Werkzeug jeder Gegenstand, der nach seiner Beschaffenheit und der Art seiner Verwendung im gegebenen Fall geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen (Kohlrausch/Lange, Anm. I; Maurach, B. T., 4. Aufl., S. 88; Welzel, 10. Aufl., S. 280). Für diese weitere Auslegung würde sich das Merkmal »mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung« [= § 224 I Nr. 5 n.F.] nur als Auffangtatbestand für solche lebensgefährlichen Körperverletzungen darstellen, die ohne Zuhilfenahme irgendeines Gegenstandes zugefügt werden (z. B. durch Würgen oder Schlag gegen die Halsschlagader). Die engere Auslegung verdient den Vorzug. [Wortlautschranke →] Das natürliche Sprachempfinden wehrt sich dagegen, eine feste Wand, den gewachsenen Boden oder einen Fels als »Werkzeug« zu bezeichnen. [historische Auslegung →] Die Beispiele aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes, die das Reichsgericht in RGSt 24, 372 angeführt hat, zeigen, daß auch die Gesetzgeber unter Werkzeugen nur solche Gegenstände verstanden haben, die durch menschliche Einwirkung irgendwie gegen einen menschlichen Körper in Bewegung gesetzt werden können. Dabei war von Anfang an nicht zweifelhaft, daß auch schwere, aber bewegliche Gegenstände, etwa schwere Maschinenteile, unter den Werkzeugbegriff fallen, dieser also nicht auf leicht zu handhabende Gegenstände, wie Waffen und Messer, beschränkt ist, die das Gesetz nur als besonders typische Beispiele für gefährliche Werkzeuge anführt. Die neuere Rechtsprechung zeigt allerdings die Neigung, den BGHSt 22, 237 [63. Gefährliches Werkzeug im Sinne des § 223a StGB]BGHSt 22, 237 sehr eng gefaßten Werkzeugbegriff des Reichsgerichts in anderer Beziehung zu erweitern. So gelten heute chemisch wirkende Mittel (BGHSt, 1, 1; 4, 125; MDR 1956, 526) oder ein auf den Menschen gehetzter Hund (BGHSt 14,152 gegen RGSt 8, 315) unbestritten als gefährliche Werkzeuge im Sinne des § 223a StGB. An der durch den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes gebotenen Grundauffassung, daß unbewegbare Gegenstände nicht zu den Werkzeugen in diesem Sinne gehören ist jedoch bisher nicht gerüttelt worden. [teleologische Auslegung →] Allein der Umstand, daß eine weitere Auslegung dem Zweck der Strafschärfung vielleicht besser entsprechen würde (s. § 148 E 1962 und die Begründung dazu), rechtfertigt es nicht, von der bisherigen Auffassung abzugehen, zumal da hierfür auch kein zwingendes Bedürfnis besteht. Körperverletzungen durch Stoßen gegen eine Wand, den Fußboden, durch Sturz aus einem Fenster u. dgl. fallen, wenn sie das Leben des 8 Verletzten gefährden, ohnehin unter § 223a StGB. Für leichtere Fälle reicht der Strafrahmen des § 223 StGB aus. ---------------------aus BGHStE 28, 100, 101 f. aus den Gründen: Nach den Feststellungen verletzte der in den Bauch H. s geführte Messerstich dessen rechte Niere derart, daß sie entfernt werden mußte. Da nach Überzeugung des Landgerichts der Angeklagte diese Folge hätte voraussehen können und müssen, hat es eine schwere Körperverletzung im Sinne des § 224 StGB [a.F. = § 225 I Nr. 2 n. F. ] angenommen; der Verlust einer Niere sei gleichbedeutend mit dem Verlust eines wichtigen Gliedes. Die linke Niere habe zwar die Funktion des amputierten Organs mitübernommen; H. müsse aber sterben, wenn auch die linke Niere wegen Krankheit oder Unfall ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen könne. 1. § 224 StGB ist dann anwendbar, wenn die Körperverletzung zur Folge hat, daß der Verletzte ein wichtiges Glied des Körpers verliert. Dieses hier allein in Betracht kommende Tatbestandsmerkmal ist jedoch entgegen der Meinung der Strafkammer nicht verwirklicht. a) [ratio legis →] Schwere Körperverletzungen im Sinne der Vorschrift sind solche, die bestimmte schwere Folgen bewirken, die den Verletzten dauernd erheblich beeinträchtigen. Diese Folgen sind in § 224 StGB abschließend aufgezählt. Das Landgericht führt aus, der Verlust einer Niere sei gleichbedeutend mit dem Verlust eines wichtigen Gliedes; diese Begründung, die den Verdacht einer unzulässigen Analogie erweckt [!!], reicht für sich betrachtet nicht aus. b) Die Strafkammer nimmt außerdem Bezug auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Neustadt/W (NJW 1961, 2076 Nr. 18), das – in einem Hinweis – eine Niere als »wichtiges Glied« ansieht (ihm folgend Dreher, StGB 37. Aufl. § 224 Rdn. 4; Lackner, StGB 11. Aufl. § 224 Anm. 2). Das Oberlandesgericht stützt sich auf eine Formulierung des Reichsgerichts, wonach ein Glied [1. Definition des TB-Merkmals →] ein Körperteil ist, der eine »in sich abgeschlossene Existenz mit besonderer Funktion im Gesamtorganismus« hat (RGSt 3, 391, 392). Das Reichsgericht hat diese Voraussetzung in dem von ihm entschiedenen Fall (Verlust eines Teils der Schädeldecke) verneint und in einem weiteren Urteil (RGSt 6, 346) ausgesprochen, von einem »Glied« im Sinne des § 224 StGB [2. Definition des TB-Merkmals →] könne gesprochen werden, wenn es mit dem BGHSt 28, 102 [24. Verlust einer Niere]BGHSt 28, 102 9 Körper durch ein Gelenk verbunden sei; es blieb aber dahingestellt, ob auch andere Körperteile dem Tatbestandserfordernis genügen. Der Bundesgerichtshof hat, soweit ersichtlich, die hier gestellte Frage bisher nicht behandelt. Die bei Dallinger in MDR 1957, 267 angeführte, von einigen Kommentaren in diesen Zusammenhang gebrachte Entscheidung (Urt. vom 16. Januar 1957 – 2 StR 591/56) betrifft einen Fall der erheblichen Entstellung, c) Der Senat vermag der Auffassung des Oberlandesgerichts Neustadt nicht zu folgen (dagegen u.a. auch Hirsch in LK 9. Aufl. § 224 Rdn. 8; Horn in SK § 224 II 5; Stree in Schönke/Schröder, StGB 19. Aufl. § 224 Rdn. 2). Wortlaut [= Art. 103 II GG: Analogie-Verbot] und Sinn des § 224 StGB sprechen dagegen. Wollte man ein inneres Organ als »Glied« bezeichnen, so würde das die Grenze einer zulässigen Wortauslegung überschreiten. Außerdem [systematische Auslegung →] werden in § 224 StGB Organe des Körpers insofern gesondert berücksichtigt, als die Beseitigung ihrer Funktionen den Tatbestand verwirklicht, so bei Geschlechtsorganen und bestimmten Sinneswerkzeugen (Augen, Ohren). Hier zählt die Vorschrift abschließend auf, welche Einbuße der körperlichen Fähigkeiten vorausgesetzt wird soweit sonst die Funktionsuntüchtigkeit innerer Organe in Betracht kommt, genügen allein Siechtum, Lähmung oder Geisteskrankheit den Erfordernissen des Tatbestandes. Der fraglos schwerwiegende Verlust einer Niere, der aber nach den Feststellungen nicht zum Siechtum geführt hat, wird hiernach von der Vorschrift nicht erfaßt, mag man auch (mit Stree aaO) die gesetzliche Regelung als unbefriedigend ansehen. Der Revision muß auch darin zugestimmt werden, daß die Steigerung der Lebensgefahr (bei Erkrankung der verbliebenen Niere) zwar das allgemeine Lebensrisiko erhöht, deshalb aber noch nicht den Tatbestand des § 224 StGB erfüllt. --------------------aus BGH NStZ 2001, 319 f. (zu § 263 III Nr. 2, 1. Alt.): Dem könnten Bedenken insoweit entgegenstehen, als in 18 der 27 Fälle juristische Personen (regelmäßig Handelsgesellschaften in der Form der GmbH) vom Angekl. [= Angeklagten] geschädigt worden sind. Bei den durch das 6. StRG eingefügten Regelbeispielen in § 263 Abs. 3 StGB [historische Auslegung →] wollte der Gesetzgeber an Umstände anknüpfen, die nach Rechtsprechung oder Literatur bereits auf der Grundlage des bis dahin geltenden Rechts als besonders schwere Fälle gewertet werden konnten und auch aus anderen Strafzumessungsvorschriften bekannt waren. Hinsichtlich des Regelbeispiels „Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten einer großen Zahl von Menschen“ ist in der Gesetzesbegründung [systematische Auslegung →] auf §§ 283a S. 2 10 Nr. 2, 283d Nr. 2 StGB Bezug genommen worden (BT-Dr 13/8587, S. 42). Nach diesen Vorschriften liegt ein besonders schwerer Fall des Bankrotts oder der Schuldnerbegünstigung in der Regel vor, wenn der Täter „viele Personen in die Gefahr des Verlustes … ihrer Vermögenswerte … bringt“. Trotz dieser Bezugnahme in der Entstehungsgeschichte kann der Begriff Mensch nicht dahin ausgelegt werden, dass unter ihn neben natürlichen Personen auch juristische Personen fallen. [Art. 103 II- GG: Analogie-Verbot →] Insoweit ist der Gesetzeswortlaut die Grenze der Auslegung. Die Absicht, durch die fortgesetzte Begehung von Betrug eine große Zahl von juristischen Personen in die Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten zu bringen, könnte daher - von Sonderfällen, etwa einer Ein-Mann-GmbH, abgesehen - das benannte Regelbeispiel für den Betrug im besonders schweren Fall nicht erfüllen. -----------------------------------aus BVerfG NJW 2006, 3050 ff.: aus den Gründen: [Sachverhalt →] Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist eine jugendgerichtliche Verurteilung wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB). Der Bf. nahm als stellvertretender Versammlungsleiter an einer Demonstration von etwa 40 Personen aus dem rechten Spektrum teil. Nach Auflösung der Versammlung rief er zusammen mit anderen Teilnehmern die Parole: „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“. Das AG Eisenach - Jugendrichter - verwarnte den Bf. wegen eines Verstoßes gegen § 86a I Nr. 1 i.V. mit § 86a II 2 und § 86 I Nr. 4 StGB. Die Waffen-SS habe die skandierte Parole zwar nicht verwendet, ihr Wahlspruch habe vielmehr „Unsere Ehre heißt Treue“ gelautet. Die skandierte Parole sei jedoch einem verbotenen Kennzeichen zum Verwechseln ähnlich. Auf die Berufung der StA verurteilte das LG - Kleine Jugendkammer - den Bf. zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Die Berufung des Bf. wurde verworfen. Zur Begründung führte das LG aus, die Parole „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“ sei nach der konkreten Art ihrer Benutzung der Parole „Blut und Ehre“ der Hitlerjugend zum Verwechseln ähnlich. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. [8]1. Das Urteil des AG verletzt den Bf. [Beschwerdeführer] in seinem Grundrecht aus Art. 103 II GG. 11 [9]a) Art. 103 II GG verpflichtet den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Anwendungsbereich und Tragweite der Straftatbestände sich aus dem Gesetzeswortlaut ergeben oder jedenfalls durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 71, 108 [114] = NJW 1986, 1671; st. Rspr.). Für die Rechtsprechung folgt aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit ein Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung. Dabei ist „Analogie“ nicht im engeren technischen Sinn zu verstehen. Ausgeschlossen ist vielmehr jede Anwendung von Strafrecht, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht; der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation. Dies gilt auch dann, wenn infolge des Bestimmtheitsgebots besonders gelagerte Einzelfälle aus dem Anwendungsbereich eines Strafgesetzes herausfallen, obwohl sie ähnlich strafwürdig erscheinen mögen wie das pönalisierte Verhalten. Es ist dann Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, ob er die Strafbarkeitslücke bestehen lassen oder durch eine neue Regelung schließen will (vgl. BVerfGE 71, 108 [114ff.] = NJW 1986, 1671; BVerfGE 73, 206 [234ff.] = NJW 1987, 43; BVerfGE 92, 1 [11ff.] = NJW 1995, 1141; st. Rspr.). NJW 2006 Heft 42 3051 BVerfG: Verwendung rechtsextremistischer Fantasieparole - „Ruhm und Ehre der WaffenSS“ [10]b) Gemessen daran ist das Urteil des AG mit Art. 103 II GG nicht zu vereinbaren. [11]Nach Auffassung des AG kommt es für die Frage, ob das benutzte Kennzeichen i.S. des § 86a II 2 StGB dem Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation zum Verwechseln ähnlich ist, darauf an, ob der Wahrnehmende veranlasst wird, das Wahrgenommene für etwas zu halten, von dem er weiß oder auch nur annimmt, dass es existiert. Damit sollen unter § 86a II 2 StGB auch solche Kennzeichen fallen, denen zwar kein authentisches Kennzeichen zugeordnet werden kann, die aber den Anschein eines solchen Kennzeichens erwecken. [12] [Wortlautgrenze →] Eine solche Auslegung des § 86a II 2 StGB findet im Gesetzestext keine Stütze (vgl. BGH, NJW 2005, 3223 [3224f.]). § 86a I Nr. 1 StGB stellt die Verwendung von Kennzeichen bestimmter Organisationen unter Strafe. Ihnen müssen Kennzeichen, die unter § 86a II 2 StGB fallen, zum Verwechseln ähnlich sein. Damit ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm erforderlich, dass eine Ähnlichkeit zu einem tatsächlich existenten Kennzeichen besteht, dessen Verwendung nach § 86a I Nr. 1 StGB verboten ist. Auch die [historische Auslegung →] Ge12 setzesbegründung zu § 86a II 2 StGB führt lediglich den Fall auf, dass „von Anhängern nationalsozialistischen Gedankengutes leicht abgewandelte Symbole nationalsozialistischer Organisationen verwendet werden“ (BT-Dr 12/6853, S. 23). Sie geht also gleichfalls davon aus, dass die Nachahmung ein tatsächlich existentes Vorbild haben muss. --------------------------aus BVerfG NJW 2008, 3627 = JuS 2009, 78 = JK StGB 4/09, StGB § 113/7 Zum Sachverhalt: Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob das strafrechtliche Analogieverbot verletzt ist, wenn § 113 II 2 Nr. 1 StGB dahingehend ausgelegt wird, dass ein Personenkraftwagen eine „Waffe“ im Sinne der Vorschrift darstellt. Der Bf. wurde wegen schnellen, die Vorfahrt nicht beachtenden Fahrens in einem Pkw angehalten und kontrolliert. … startete er sein Fahrzeug und fuhr los. Einer der Polizeibeamten versuchte, mit einem Arm durch das halb offene Fahrerfenster zu gelangen, und wurde von dem Schwung des anfahrenden Fahrzeugs kurz nach vorne mitgezogen. Verletzt wurde der Beamte nicht. Die Beamten verfolgten den Bf. sodann… Einer der Beamten versuchte, durch das geöffnete Fahrerfenster hindurch den Zündschlüssel am Fahrzeug des Bf. abzuziehen. Während der Beamte sich mit seinem Oberkörper noch im Fahrzeuginnenraum befand, … legte den Rückwärtsgang ein und fuhr mit Vollgas rückwärts. Der Beamte wurde hierdurch, zunächst mit seinem gesamten Oberkörper im Fahrzeug verbleibend, dann herausrutschend, aber mit dem Kopf noch im Fahrzeug befindlich, einige Meter mitgerissen, wobei er neben dem Pkw mitlaufen konnte. Weitere 10 bis 15 Meter rutschte der Beamte auf seinen Schuhen mit, bis er sich vom Fahrzeug des Bf. abdrückte und so von dem Fahrzeug freikam. Verletzt wurde der Beamte nicht. ….. Wie bereits das AG ging auch das LG davon aus, dass der Angekl. den Tatbestand des § 113 II 2 Nr. 1 StGB verwirklicht habe. Der Pkw stelle eine Waffe im untechnischen Sinne dar, die der Bf. zur Gewaltanwendung eingesetzt habe. Das OLG Dresden verwarf die Revision des Bf.gem. § 349 II StPO als unbegründet. Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Aus den Gründen:… [10]Der Beschluss des OLG Dresden vom 14. 9. 2007 und das Urteil des LG Dresden vom 19. 4. 2007 verletzen das grundrechtsgleiche Recht des Bf. aus Art. 103 II GG. Die Entscheidungen verkennen die der Auslegung strafrechtlicher Normen von der Ver- 13 fassung gezogenen Grenzen, indem sie den vom Bf. gesteuerten Pkw unter den Begriff der „Waffe“ nach § 113 II 2 Nr. 1 StGB subsumieren. [11]1. a) Nach dem Beschluss des Ersten Senats des BVerfG vom 10. 1. 1995 (vgl. BVerfGE 92, 1 [11ff.] = NJW 1995, 1141) enthält Art. 103 II GG nicht nur ein Rückwirkungsverbot für Strafvorschriften. Die Vorschrift verpflichtet den Gesetzgeber vielmehr auch, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Anwendungsbereich und Tragweite der Straftatbestände sich aus dem Wortlaut ergeben oder jedenfalls durch Auslegung ermitteln lassen. Diese Verpflichtung dient einem doppelten Zweck. Sie soll einerseits sicherstellen, dass die Normadressaten vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Sie soll andererseits gewährleisten, dass die Entscheidung über strafwürdiges Verhalten im Voraus vom Gesetzgeber und nicht erst nachträglich von der vollziehenden oder der rechtsprechenden Gewalt gefällt wird. Insoweit enthält Art. 103 II GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der die Strafgerichte auf die Rechtsanwendung beschränkt. [12]Das schließt allerdings nicht eine Verwendung von Begriffen aus, die in besonderem Maß der Deutung durch den Richter bedürfen. Auch im Strafrecht steht der Gesetzgeber vor der Notwendigkeit, der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung zu tragen. Ferner ist es wegen der Allgemeinheit und Abstraktheit von Strafnormen unvermeidlich, dass in Einzelfällen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht. Jedenfalls im Regelfall muss der Normadressat aber anhand der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist. In Grenzfällen ist auf diese Weise wenigstens das Risiko einer Bestrafung erkennbar. Für die Rechtsprechung folgt aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit ein Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung. Dabei ist „Analogie“ nicht im engeren technischen Sinn zu verstehen; ausgeschlossen ist vielmehr jede Rechtsanwendung, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht. Da Gegenstand der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen immer nur der Gesetzestext sein kann, erweist dieser sich als maßgebendes Kriterium: Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation. Da Art. 103 II GG die Vorhersehbarkeit der Strafandrohung für den Normadressaten garantieren will, ist die Grenze aus dessen Sicht zu bestimmen. [13]Der Gesetzgeber hat also zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz BVerfG: Personenkraftwagen keine Waffe im NJW 2008 Heft 50 3628 Sinne des StGB 14 ihm wesentlich (und notwendig) erscheint, gerade mit den Mitteln des Strafrechts verteidigen will. Den Gerichten ist es verwehrt, seine Entscheidung zu korrigieren. Würde erst eine über den erkennbaren Wortsinn der Vorschrift hinausgehende Deutung zur Strafbarkeit eines Verhaltens führen, so müssen sie zum Freispruch gelangen. Dies gilt auch dann, wenn infolge des Bestimmtheitsgebots besonders gelagerte Einzelfälle aus dem Anwendungsbereich eines Strafgesetzes herausfallen, obwohl sie ähnlich strafwürdig erscheinen mögen wie das pönalisierte Verhalten. Es ist dann Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, ob er die Strafbarkeitslücke bestehen lassen oder durch eine neue Regelung schließen will. [14]b) Diese Ausführungen gelten sinngemäß für die Auslegung von Vorschriften, die nicht die Strafbarkeit eines Verhaltens an sich regeln, sondern unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Verschärfung der Strafdrohung gegenüber dem Grundtatbestand führen. Art. 103 II GG umfasst nicht nur den Straftatbestand an sich, sondern auch die Strafandrohung (vgl. BVerfGE 45, 363 [371] = NJW 1977, 1815; BVerfGE 86, 288 [311] = NJW 1992, 2947) und somit auch strafschärfende Vorschriften (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 103 II Rdnr. 231). Strafzumessungsregeln, die einen erhöhten Strafrahmen - beispielsweise - an das Vorliegen eines „besonders schweren Falls“ knüpfen, sind daher am Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG zu messen. Die Anknüpfung an den „besonders schweren Fall“ als solche begegnet dabei keinen grundsätzlichen Bedenken. Was unter einem „besonders schweren Fall“ zu verstehen ist, lässt sich anhand der von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Kriterien und der Bestimmung des § 46 StGB, die bei der Ausfüllung dieses Begriffs herangezogen werden kann, unschwer ermitteln. Danach liegt ein besonders schwerer Fall nur vor, wenn das gesamte Tatbild einschließlich der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle so sehr abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint (vgl. BGH, NJW 1992, 1518 = NStZ 1992, 229 m.w. Nachw.). Zur Bestimmtheit der Norm trägt es ferner bei, wenn der Gesetzgeber Beispiele nennt, die zusätzliche Hinweise dafür geben, unter welchen Voraussetzungen ein besonders schwerer Fall in der Regel vorliegt. Bei dieser Rechtslage ist das materiale Kriterium der „besonderen Schwere“ des Falls hinreichend deutlich gemacht, um eine sichere Rechtsanwendung zu garantieren (vgl. BVerfGE 45, 363 [370ff.] = NJW 1977, 1815). [15]2. Ein Personenkraftwagen ist vom möglichen Wortsinn des Begriffs der „Waffe“ in § 113 II 2 Nr. 1 StGB nicht mehr umfasst. [16]a) Die etymologische Herkunft des Begriffs „Waffe“ ist unklar (vgl. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 23. Aufl. [1995], S. 870). 15 Lexikalische Definitionen verstehen unter „Waffe“ oder „Waffen“ etwa … [17]Der allgemeine Sprachgebrauch bezeichnet danach Gegenstände als Waffen, wenn ihre primäre Zweckbestimmung darin liegt, im Wege des Angriffs oder der Verteidigung zur Bekämpfung anderer eingesetzt zu werden, oder wenn eine solche Verwendung zumindest typisch ist etwa bei Hiebwaffen wie Keulen oder bei Messern. Die bloße Möglichkeit, einen Gegenstand auch in zweckentfremdender Benutzung zur Bekämpfung von Zielen zu verwenden, genügt zur Begründung der Waffeneigenschaft danach jedenfalls nicht. Eine derart weite Definition - wie sie das Sächsische Staatsministerium der Justiz vertritt - würde den Begriff der Waffe auch ufer- und konturenlos machen; praktisch jeder Gegenstand lässt sich nämlich in entsprechenden Umständen auch gegen Menschen, Tiere oder Gegenstände einsetzen. [18]b) Es gibt keine greifbaren Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber den Ausdruck der „Waffe“ in § 113 II 2 Nr. 1 StGB in einem weiteren, über den umgangssprachlichen Gebrauch hinausgehenden Sinn verwenden wollte. [19]aa) Was als „Waffe“ im Sinne strafrechtlicher Bestimmungen zu gelten hat, ist im Strafgesetzbuch nicht geregelt. Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Inhalt dieses Rechtsbegriffs zu bestimmen im Einklang mit dem allgemeinen Sprachgebrauch …. Begriffsbestimmungen des Waffengesetzes, …. bieten dabei aber eine „gewisse Orientierung“ (vgl. BGHSt 48, 197 [203] = NJW 2003, 1677 m.w. Nachw.). [20]bb) Das Waffengesetz ……. 25]cc) Der vom BGH im Kontext des § 224 I Nr. 2, des § 244 I Nr. 1 lit. a oder des § 250 I Nr. 1 lit. a, II Nr. 1 StGB verwendete „strafrechtliche Waffenbegriff“ …. BVerfG: Personenkraftwagen keine Waffe im NJW 2008 Heft 50 3629 Sinne des StGB [26]dd) Dementsprechend hat der mit der Vorschrift des § 113 II StGB befasste Sonderausschuss für die Strafrechtsreform seinerzeit ausführlich und kontrovers darüber diskutiert,… [27]c) Ein Kraftfahrzeug kann unter Anlegung dieser Maßstäbe nicht als Waffe angesehen werden, da es weder von der Zweckbestimmung noch von einem typischen Gebrauch her zur Bekämpfung anderer oder zur Zerstörung von Sachen eingesetzt wird. Die Ansicht in Rechtsprechung und Lehre, nach welcher der Begriff der Waffe in § 113 II 2 Nr. 1 StGB in einem „nichttechnischen“, gefährliche Werkzeuge und insbesondere bei entsprechender Verwendung auch Kraftfahrzeuge umfassenden Sinne zu verstehen sein soll (vgl. BGH, Urt. v. 8. 3. 1973 - 4 StR 44/73, VRS 44, 422; BGHSt 26, 176 [179] = NJW 1975, 1934; OLG Düsseldorf, NJW 1982, 1111; von Bubnoff, in: LK-StGB, § 113 Rdnr. 53; Fischer, § 113 16 Rdnr. 38; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. [2006], § 113 Rdnr. 64; Kühl, StGB, 26. Aufl. [2007], § 113 Rdnr. 24; dagegen jedoch Paeffgen, in: NK-StGB, § 113 Rdnr. 84), lässt sich mit dem im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willen nicht in Einklang bringen. Insbesondere das Argument, dass die Gefährlichkeit der Tatausführung beim Einsatz von Waffen im „nichttechnischen Sinn“ und speziell von Kraftfahrzeugen derjenigen beim Einsatz von Waffen im engeren Sinne gleichstehe (vgl. etwa von Bubnoff, in: LKStGB, § 113 Rdnr. 53), geht fehl. Es ist gerade der Sinn des Analogieverbots, über die Verfassungsgrundsätze der Demokratie, der Gewaltenteilung und der richterlichen Gesetzesbindung hinaus (vgl. dazu Rüthers, Rechtstheorie, 3. Aufl. [2007], Rdnr. 812) einer teleologischen Argumentation zur Füllung empfundener Strafbarkeitslücken entgegenzuwirken. Im Falle des § 113 II StGB kann teleologischen Überlegungen überdies dadurch Rechnung getragen werden, dass das Beisichführen gefährlicher Werkzeuge in Verwendungsabsicht als unbenannter „besonders schwerer Fall“ im Sinne des Gesetzes gewertet wird, soweit - was vorliegend möglich erscheint - die weiteren Voraussetzungen hierfür vorliegen. [!!; in der Literatur sehr str.: umgekehrte Indiz-Wirkung des Regelbeispiels = Umkehrschluss: s. NKHassermer/Kargl § 1 Rn 74; Arzt/Weber BT, § 14 Rn 19]. -------------------------------------BVerfGE 25, 269, 286 ff. aus den Gründen: Art. 103 Abs. 2 GG verbietet sowohl die rückwirkende Strafbegründung wie die rückwirkende Strafverschärfung. 2. Art. 103 Abs. 2 GG besagt dagegen nichts über die Dauer des Zeitraums, während dessen eine in verfassungsmäßiger Weise für strafbar erklärte Tat verfolgt und durch Verhängung der angedrohten Strafe geahndet werden darf. Er verhält sich nur über das "von wann an", nicht über das "wielange" der Strafverfolgung. Jede Strafnorm enthält ein mit staatlicher Autorität versehenes, sozialethisches Unwerturteil über die von ihr pönalisierte Handlungsweise. Der konkrete Inhalt dieses Unwerturteils ergibt sich aus Straftatbestand und Strafandrohung. Beide zusammen machen die Strafbarkeit im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG aus. Ist eine Verhaltensweise durch eine den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügende und auch im übrigen ver- 17 fassungsmäßige gesetzliche Bestimmung mit Strafe bedroht, so wird sie dadurch Seite 287 zu einer "strafbaren Handlung". Ihre Strafbarkeit ist gesetzlich bestimmt. Die Strafbarkeit einer Tat ist Voraussetzung für deren Verfolgbarkeit. Eine Handlung darf nur dann strafrechtlich geahndet werden, wenn ihre Strafbarkeit bereits vor der Begehung gesetzlich bestimmt war. Mit der Strafbarkeit entfällt die Verfolgbarkeit, nicht dagegen mit der Verfolgbarkeit die Strafbarkeit. Eine einmal begangene strafbare Handlung verliert ihren Unrechtscharakter nicht dadurch, daß sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht verfolgt wird oder nicht verfolgt werden kann. Art. 103 Abs. 2 GG bestimmt die Voraussetzungen, unter denen ein Verhalten für strafbar erklärt werden kann. Verjährungsvorschriften regeln, wie lange eine für strafbar erklärte Tat verfolgt werden soll. Da sie lediglich die Verfolgbarkeit betreffen, die Strafbarkeit hingegen unberührt lassen, fallen sie aus dem Geltungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG heraus; eine Verlängerung oder Aufhebung von Verjährungsfristen kann deshalb nicht gegen diesen Verfassungssatz verstoßen (ebenso schon BVerfGE 1, 418 [423]). 3. Das bestätigt auch die Entstehungsgeschichte [wird ausgeführt] III. § 1 Abs. 1 des Berechnungsgesetzes [= nachträgliche Verlängerung einer Verjährungsfrist] steht nicht in Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip. 1. Rückwirkende Gesetze sind - außerhalb des von Art. 103 Abs. 2 GG erfaßten Sachbereichs - nicht schlechthin unzulässig. Seite 290 Verfassungsrechtliche Grenzen ergeben sich aber auch hier aus dem in dem Rechtsstaatsprinzip enthaltenen Gebot der Rechtssicherheit….. Das dem Rechtsstaatsprinzip immanente Postulat der Rechtssicherheit fordert, daß der Staatsbürger die ihm gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten kann. Er soll sich grundsätzlich darauf verlassen können, daß der Gesetzgeber an abgeschlossene Tatbestände keine ungünstigeren Folgen knüpft, als im Zeitpunkt der Vollendung dieser Tatbestände voraussehbar war (echte 18 Rückwirkung). Unter Umständen kann auch das Vertrauen des Bürgers darauf Schutz beanspruchen, daß seine Rechtsposition nicht nachträglich durch Vorschriften entwertet wird, die lediglich auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte einwirken (unechte Rückwirkung). Rechtssicherheit bedeutet für den Bürger in erster Linie Vertrauensschutz (BVerfGE 13, 261 [271]; 14, 288 [297]; 15, 313 [324]). Zur Rechtsstaatlichkeit gehört jedoch nicht nur die Rechtssicherheit, sondern auch die materielle Gerechtigkeit. Diese beiden Seiten des Rechtsstaatsprinzips können vom Gesetzgeber nicht immer gleichmäßig berücksichtigt werden (BVerfGE 3, 225 [237]; 7, 89 [92 f.]). Liegt die Rechtssicherheit mit der Gerechtigkeit in Widerstreit, so ist es in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers, sich für die eine oder andere Seite zu entscheiden. Geschieht dies ohne Willkür, so kann die gesetzgeberische Entscheidung aus VerfasSeite 291 sungsgründen nicht beanstandet werden (BVerfGE 3, 225 [237f.]; 15, 313 [319f.]). Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz gilt also nicht ausnahmslos. Der Bürger kann sich insbesondere auf Vertrauensschutz als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips dann nicht berufen, wenn sein Vertrauen auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung eine Rücksichtnahme durch den Gesetzgeber billigerweise nicht beanspruchen kann (BVerfGE 14, 288 [299f.]), das Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage also sachlich nicht gerechtfertigt ist (BVerfGE 13, 261 [271], ständige Rechtsprechung). Das ist hier der Fall. 2. Das Berechnungsgesetz griff nicht nachträglich ändernd in der Vergangenheit angehörende Tatbestände ein. Es gilt nicht für Taten, deren Verfolgung beim Inkrafttreten des Gesetzes bereits verjährt waren (§ 1 Abs. 2). § 1 Abs. 1 des Berechnungsgesetzes bewirkte lediglich die Verlängerung noch laufender Verjährungsfristen in die Zukunft hinein. Die Verlängerung der Verjährungsfristen für die Verfolgung von Verbrechen, die mit lebenslangem Zuchthaus bedroht sind, hatte auch keinen verfassungsrechtlich relevanten Vertrauensschaden zur Folge. Nach § 68 StGB [= § 78c n.F.] kann die Verjährung durch eine richterliche Handlung, welche wegen der begangenen Tat gegen den Täter gerichtet ist, unterbrochen werden. Mit jeder Unterbrechung beginnt die Verjährungsfrist von neuem zu laufen, ohne daß der Täter davon etwas zu erfahren braucht. Schon im Hinblick darauf bestand für die von § 1 Abs. 1 des Be19 rechnungsgesetzes Betroffenen kein hinreichender Anlaß zu der Annahme, daß die Verjährung in einem bestimmten, unverrückbar feststehenden Zeitpunkt eintreten werde. Allenfalls mochte der Täter damit rechnen, daß es bis zum Ablauf der regulären Verjährungsfrist nicht zu einer Unterbrechung kommen werde. Diese Hoffnung war in Anbetracht der Schwere der in Frage stehenden Straftaten ebensowenig schutzwürdig wie die etwa bei Begehung der Tat gehegte Erwartung eines Mörders, die Spuren seines Verbrechens verwischen und dadurch der angedrohten Strafe entgehen zu können. --------------------aus BVerfG NStZ 1990, 537: Problem: Zur Tatzeit wurde bei Anwendung von § 315c I nr. 1a StGB für die Annahme einer zur TB-Anwendung führenden sog. absoluten Fahruntüchtigkeit von der Rspr. ein Promille-Wert von 1,3 zugrunde gelegt; dies wurde von einem Gericht 1990, 491) auf 1,1 %o korrigiert. (nichtamtlicher) Leitsatz: Die Grundsätze des Rückwirkungsverbotes und des Vertrauensschutzes hindern die Gerichte nicht, bestimmte Sachverhalte aufgrund neuer Erkenntnisse als tatbestandsmäßig zu qualifizieren. [Vorbringen Verfassungsbeschwerde]: Die im Zuge des Ursprungsverfahrens erfolgte Tat sei begangen worden, bevor das LG seine Rechtsauffassung geändert habe und dazu übergegangen sei, absolute alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit bereits bei einer BAK von 1,1 Promille, statt - wie früher - erst bei einer BAK von 1,3 Promille anzunehmen. Diese Änderung seiner Rechtsprechung habe das Gericht nicht angekündigt; sie sei auch nicht vorhersehbar gewesen. Hierin liege ein Verstoß gegen Art. 3 I GG. Denn der Bf. sei ohne sachlichen Grund schlechter gestellt worden als diejenigen Beschuldigten, die im selben Zeitraum eine ähnliche Tat begangen hätten, deren Verhalten von den Gerichten jedoch noch unter Zugrundelegung der früheren Rechtsprechung beurteilt worden sei. Auch Art. 103 II GG sei verletzt, weil diese Verfassungsbestimmung auch die Strafbegründung und -verschärfung im Wege der Analogie „kraft Natur der Sache und durch Gewohnheitsrecht" ausschließe. Nichts anderes könne für die überraschende, unangekündigte Änderung der Auslegung ausfüllungsbedürftiger Tatbestandsmerkmale gelten, sofern dieser Änderung strafschärfende oder strafbegründende Wirkung zukomme. Die Neufestsetzung der Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit habe die Wirkung einer Gesetzesänderung. Deshalb seien die Gerichte gehalten gewesen, während einer Übergangsfrist „Ankündigungs- und Warnurteile“ zu erlassen. aus den Gründen: 20 1. Ein Verstoß gegen Art. 103 II GG liegt nicht darin, daß die Gerichte bei der vorläufigen Einziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO das Verhalten des Bf. als Straftat nach § 316 StGB gewertet und deshalb angenommen haben, ihm werde im Hauptverfahren die Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB entzogen werden. In § 316 StGB wird die Strafbarkeit nicht an eine bestimmte Blutalkoholkonzentration ("Promille-Grenze“) geknüpft, sondern an die auf Alkoholgenuß beruhende Unfähigkeit, ein Fahrzeug im Verkehr sicher zu führen. Der gesetzliche Tatbestand gibt damit von vornherein der Rechtsprechung Raum, bei der Feststellung der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit gewandelten wissenschaftlichen Erkenntnissen und verbesserten wissenschaftlich-technischen Methoden Rechnung zu tragen, ohne daß damit schon die durch Art. 103 II GG geforderte Bestimmtheit des Straftatbestands und das Verbot einer rückwirkenden Verschärfung der Strafbarkeit berührt wären. Indem AG und LG aufgrund der BAK wie sie bei dem Bf. festgestellt worden war, von dem Vorhandensein dringender Gründe ausgingen, daß die Fahrerlaubnis entzogen werden würde (§ 69 StGB), haben sie sich ersichtlich einer in der Rechtsprechung im Vordringen befindlichen Ansicht [so letztlich auch BGH NStZ 1990, 491]angeschlossen, derzufolge schon bei einer BAK von 1,1 Promille absolute Fahruntüchtigkeit vorliegt. Diese Auffassung beruht auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen insbesondere zur Genauigkeit der Blutalkoholfeststellung. Damit beruhen die angegriffenen Entscheidungen nur auf einer Änderung der Erkenntnisgrundlagen, nicht auf einem geänderten strafrechtlichen Unwerturteil. Zwar verbietet Art. 103 II GG sowohl die rückwirkende Strafbegründung wie die rückwirkende Strafverschärfung (BVerfGE 46, 188, 192); die Grundsätze des Rückwirkungsverbotes und des Vertrauensschutzes hindern die Gerichte indes nicht, bestimmte Sachverhalte aufgrund neuer Erkenntnisse als tatbestandsmäßig zu qualifizieren (vgl. BVerfGE 18, 224, 240f.). 2. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen auch nicht gegen Art. 3 I GG in dessen Bedeutung als Willkürverbot. Ob ein alkoholisierter Kraftfahrer in der Lage ist, ein Fahrzeug sicher zu führen (§ 316 I StGB) ist als Frage der Feststellung und Würdigung des Tatbestandes sowie der Auslegung und Anwendung des Strafrechts der Nachprüfung durch das BVerwG entzogen (vgl. BVerfGE 74, 102, 127 (NStZ 1987, 275 = NStE Nr. 1 zu § 10 IGG)). Nur in seltenen Ausnahmefällen kommt ein Eingreifen des Bf. in Betracht, nähmlich wenn eine fehlerhafte Rechtsanwendung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruht (BVerwG, aaO). Das ist nicht der Fall. Die Gerichte haben in nachvollziehbarer Weise ihre 21 Rechtsprechung den verbesserten wissenschaftlichen Möglichkeiten zur Blutalkoholbestimmung angepaßt. Dies erscheint vertretbar, keineswegs willkürlich. -----------------aus BVerfGE 95, 96 ff. (DDR-Unrecht: Mauerschützen1): Leitsätze: 1. a) Das Rückwirkungsverbot des Art.103 Abs.2 GG ist absolut und erfüllt seine rechtsstaatliche und grundrechtliche Gewährleistungsfunktion durch eine strikte Formalisierung. b) Es gebietet auch, einen bei Begehung der Tat gesetzlich geregelten Rechtfertigungsgrund [§ 27 II DDR-GrenzG] weiter anzuwenden, wenn dieser im Zeitpunkt des Strafverfahrens entfallen ist. Ob und inwieweit Art.103 Abs.2 GG auch das Vertrauen in den Fortbestand ungeschriebener Rechtfertigungsgründe in gleicher Weise schützt, wird nicht abschließend entschieden. 2. Das strikte Rückwirkungsverbot des Art.103 Abs. 2 GG findet seine rechtsstaatliche Rechtfertigung in der besonderen Vertrauensgrundlage, welche die Strafgesetze tragen, wenn sie von einem an die Grundrechte gebundenen demokratischen Gesetzgeber erlassen werden. 3. An einer solchen besonderen Vertrauensgrundlage fehlt es, wenn der Träger der Staatsmacht für den Bereich schwersten kriminellen Unrechts die Strafbarkeit durch Rechtfertigungsgründe ausschließt, indem er über die geschriebenen Normen hinaus zu solchem Unrecht auffordert, es begünstigt und so die in der Völkerrechtsgemeinschaft allgemein anerkannten Menschenrechte in schwerwiegender Weise mißachtet. Der strikte Schutz von Vertrauen durch Art.103 Abs.2 GG muß dann zurücktreten. 1 Hierzu: Roxin, Strafrecht AT I, 5/54; Schönke/Schröder-Eser RN 100 vor § 3; Zimmermann, JuS 1996, 865 ff.; s.a. EGMR, NJW 2001, 3035, 3042 22