9 Rekombination „Folgeschden“ durch ektopische homologe Rekombination. Repetitive Elemente bieten Ansatzpunkte fr homologe Rekombination zwischen nichthomologen Stellen des Genoms. Diese verursachen Deletionen, Inversionen und Translokationen, die jeweils unterschiedliche Krankheiten oder Krebs nach sich ziehen knnen. Aktivitt von Retrotransposons. Vor etwa 10 Jahren ist erstmals eine Krankheit auf die Inaktivierung eines wichtigen Gens durch eine Insertion des L1-Retrotransposons zurckgefhrt worden. Seitdem wurden zahlreiche weitere Beispiele belegt. Erhhung der Chancen von Krebswucherungen. Bei vielen Tumoren wird eine erhhte Expression eines zentralen Proteins der homologen Rekombination, Rad51, gefunden. Dies fhrt zu selektiven Vorteilen sowohl bei dem tumorspezifischen schnellen Wachstum der Zellen als auch gegenber vielen gngigen Behandlungen von Tumoren. 9 9.7 Evolution durch Rekombination und Evolution der Rekombination Die Verbreitung von Rekombinationsproteinen zeigt, dass die Rekombination ein evolutionr sehr alter Prozess ist. Sie ist fr die Genomevolution und die Artentstehung unerlsslich, da sie an horizontalem Gentransfer und der Neukombination von Genen und Proteindomnen beteiligt ist. Die Analyse von Bakterienpopulationen zeigt, dass bei vielen Populationen noch heute Rekombination eine strkere evolutive Kraft ist als Mutation. In der Evolution sind viele neue biologische Prozesse durch Einbeziehung von Rekombinationsproteinen entstanden. Beispiele sind die Entwicklung meiotischer Rekombination und Genregulation durch Genkonversion aus einem Reparaturweg. Weitere Beispiele zeigen die „Zhmung“ von Transposasen durch den Wirt und ihr Einsatz zur Entwicklung neuer Wirtsfunktionen. 9.7.1 Evolution durch Rekombination Homologe Rekombination ist ein phylogenetisch sehr alter Prozess, wie die ubiquitre Verbreitung sowohl des zentralen Rekombinationsproteins RecA/RadA/ Rec51 als auch des Prozesses der Rekombination in allen Domnen des Lebens zeigt. Homologe Rekombination war sowohl fr die Evolution einzelner Genome wichtig als auch fr den horizontalen Gentransfer zwischen den Arten. Die Sequenzierung von inzwischen mehr als 500 Genomen – meist von Prokaryoten – hat gezeigt, dass horizontaler Gentransfer in der Evolution sehr massiv stattgefunden hat und das Vorhandensein von Genen in Genomen und insbesondere ihre Anordnung innerhalb der Genome nicht gut konserviert sind. Die Neukom- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 362 363 bination von Genen in einem Genom, die nicht vertikal von den Vorfahren ererbt wurden, sondern aus den Genpools mehrerer Arten stammen, erlaubt die Evolution vollkommen neuer Stoffwechselwege, also qualitative „Evolutionssprnge “, durch die Selektion neuer Kombinationen vorhandener Gene, anstatt „nur“ auf Einzelmutationen als Motor der Evolution angewiesen zu sein. Plakative Beispiele sind auch sogenannte Pathogenittsinseln, die durch bertragung und Integration in das Genom einer bislang nichtpathogenen Art dieser einen vollkommen neuen „Lebensstil“ ermglichen. Es kann angenommen werden, dass in der Frhzeit der Evolution die Genome sowie auch die Gene kleiner waren. Schon vor Jahrzehnten wurde entdeckt, dass die Exons eukaryotischer Gene sehr oft einzelne Domnen von Proteinen codieren, die autonom falten knnen. Die Domnen mit einer bestimmten Eigenschaft (Bindung von ATP, Bindung von RNA, Hydrolyse einer Bindung) knnen Teile von Proteinen mit sehr unterschiedlicher biologischer Funktion sein, in denen sie mit jeweils verschiedenen weiteren Domnen kombiniert sind. Die Theorie des „Domain-Swappings “ oder „Exon-Shufflings “ postuliert, dass ein einmal in der Evolution „erfundenes“ Gen fr eine bestimmte Funktion im Laufe der Zeit durch vielfache Duplikation und Rekombination Teil von vielen zusammengesetzten Genen geworden sein kann und heute eben fr eine Domne von Proteinen codiert. Auch prokaryotische Proteine bestehen oft aus mehreren Domnen, die in verschiedenen Proteinen mit unterschiedlicher Funktion vorkommen. Allerdings haben die proteincodierenden Gene keine Introns, sodass bei der Neukombination von Genteilen, die fr einzelne Proteindomnen codieren, zu neuen Genen das Leseraster bei der Rekombination erhalten bleiben muss. Dies war u. U. nicht immer so: Whrend man frher die Existenz von Introns innerhalb von Genen fr eine spte Erfindung innerhalb der Evolution der Eukaryoten hielt, hlt man es heute fr mglich, dass auch Gene von Prokaryoten in der Frhgeschichte des Lebens Introns enthielten. Noch heute findet man bei Prokaryoten Introns in den Genen stabiler RNAs, und vor kurzem hat man Beispiele von tRNAs gefunden, die in zwei Hlften an verschiedenen Stellen im Genom codiert sind und nachtrglich zu einem Molekl zusammengesetzt werden. Der Vergleich vieler Genome hat gezeigt, dass die Rekombination in der Vergangenheit ein wichtiger Prozess bei der Entstehung prokaryotischer und eukaryotischer Arten war. In den letzten Jahren sind Methoden entwickelt worden, um zu untersuchen, ob Rekombination in heute lebenden Populationen von Prokaryoten ein noch immer wirkender Evolutionsfaktor ist. Eine Methode ist MLST (Multi Locus Sequence Typing) (Abb. 9.23): Zunchst werden viele Individuen einer Population isoliert und vermehrt. Anschließend whlt man ca. zehn Gene aus, die von den verschiedenen Klonen der Individuen amplifiziert werden, und sequenziert diese danach (S. 487). Wenn man von einer ursprnglichen theoretischen Population ausgeht, bei der alle Individuen unterschiedliche Sequenzen der zehn Gene aufweisen, dann hinterlassen Mutationen und Rekombinationen unterschiedliche „Spuren“ in den Genomen der Nachkommen. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 9.7 Evolution durch Rekombination und Evolution der Rekombination 9 9 Rekombination Genome der ursprnglichen Population Evolution durch Mutation Abb. 9.23 Folgen der Evolution durch Mutation bzw. Rekombination: Grundlage fr Multi Locus Sequence Typing (MLST). Rekombination 9 Eine Mutation fhrt typischerweise bei einem der zehn Gene zu einer neuartigen Sequenz, die in keinem anderen Individuum der Population vorkommt, whrend Rekombination die Sequenz von einem oder mehreren Genen des Individuums durch Sequenzen austauscht, die auch in anderen Individuen der Population vorkommen (Abb. 9.23). MLST-Analysen sowohl von pathogenen Bakterienpopulationen, die aus Kranken isoliert wurden, als auch von Bakterienpopulationen aus verschiedenen kosystemen haben gezeigt, dass bei vielen Arten Rekombination hufiger vorkommt als Mutation. Dies zeigt, dass Rekombination auch heute noch ein wichtiger Mechanismus fr die Evolution prokaryotischer Arten ist. Abschließend sei wiederholt, dass die meiotische Rekombination von Eukaryoten die Neukombination von Genen in jeder Generation zur Regel erhoben und damit enorm beschleunigt hat, was fr die Evolution eukaryotischer Arten eine wichtige Rolle gespielt hat und noch spielt. 9.7.2 Evolution der Rekombination In mehreren Abschnitten wurden schon Beispiele genannt, wie Rekombinationsmechanismen im Laufe der Evolution weiterentwickelt wurden und neue biologische Funktionen fr Rekombinationsenzyme „erfunden“ wurden. Die Enzyme der homologen Rekombination sind wahrscheinlich als „Replikationshilfsenzyme “ entstanden. Was auch immer die frhere Funktion und die selektive Kraft fr die Entstehung der Enzyme war – die andere Funktion war so hnlich, dass sie als „Nebenfunktion“ nahtlos mitentstand. Die Enzyme sind heute aber auch an vollkommen anderen biologischen Funktionen beteiligt, wie der Genregulation durch Umschalten zwischen verschiedenen Varianten oder der Erzeugung Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 364 365 neuer Genkombinationen in der Meiose. Jeweils waren fr den Funktionswechsel einige zustzliche Proteine ntig. Dafr wurden typischerweise bereits vorhandene Enzyme des Nucleinsurestoffwechsels „umgewidmet“, z. B. ist das Meioseprotein Spo11 aus einer Topoisomerase entstanden. Dasselbe Prinzip wird auch bei den anderen Formen der Rekombination beobachtet. Ortsspezifische Rekombinasen knnen – in Wechselwirkung mit weiteren Proteinen – ganz unterschiedliche biologische Funktionen erfllen. Die Tyrosin-Rekombinasen sind selbst Beipiel fr Proteinevolution und Benutzung einer Domne fr unterschiedliche Funktionen, da ihre katalytische Domne hnlich zu Topoisomerasen und Telomer-Resolvasen ist und alle drei wohl gemeinsame Wurzeln haben. Ein anderes Beispiel ist das Immunsystem der Eukaryoten, das fr die essentiellen Schritte der Gensynthese durch Kombination verschiedener Bausteine eine ursprngliche Transposase in eine vollkommen andere biologische Funktion eingebunden hat. Es gibt weitere analoge Beispiele, so gibt es in Pflanzen Transkriptionsfaktoren, die an der lichtabhngigen Genregulation beteiligt sind und die in der Evolution durch „Zhmung“ einer Transposase entstanden sind. Ein „jngeres“ Beispiel aus unserer eigenen Geschichte ist ein SETMAR genanntes Protein, das in einem Primatenvorlufer durch eine Transposition entstanden ist, die zur Fusion eines Gens einer Transposase der „marimer“-Familie mit einem Gen fr eine SET-Domne gefhrt hat. Die Analyse des menschlichen Genoms zeigt, dass es, je nach Stringenz der angewendeten Kriterien, zwischen 20 und mehreren hundert Gene enthlt, die in der Evolution aus Transposongenen entstanden sind. Die „Umwidmung“ einer Transposase hat fr Arten nicht nur den Vorteil, ein zustzliches Protein fr eigene biologische Belange einsetzen zu knnen, sondern es werden auch alle Transposasebindestellen im Genom mit „bernommen“, was den direkten Aufbau eines Regulationsnetzwerkes ermglicht. Evolution durch Rekombination: Evolutionr sehr alt; Genomplastizitt und Artentstehung; Exon-Shuffling; horizonaler Gentransfer, Multi Locus Sequence Typing (MLST). Evolution der Rekombination: Evolution neuer Funktionen aus einem Reparaturweg p z. B. Meiose, Genregulation durch Genkonversion; Proteinevolution p Divergieren zu unterschiedlichen Funktionen; „Zhmung“ von Transposons und Einsetzen fr Wirtsfunktionen. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 9.7 Evolution durch Rekombination und Evolution der Rekombination 9