Kunstmarkt NZZ am Sonntag " 25. September 2011 Aufbruch an der Limmat NZZ am Sonntag " 25. September 2011 7 Kunstmarkt DOMINIC BÜTTNER 6 Zürichs Kunstszene hat sich in den letzten Jahren markant verjüngt. Die aufstrebenden Galerien sind international so gut vernetzt wie die Etablierten und machen Zürich trotz dem Umbau des Löwenbräu-Areals zu einem der dynamischsten Kunstzentren Europas. Von Brigitte Ulmer Gemeinsamer Start der Zürcher Galerien nach der Sommerpause: RaebervonStenglin eröffnet mit Ivan Seals Ausstellung «The object hurts the space». (5. September 2011) Aufmerksamkeit für junge Kunst «Zürich ist ein ausgezeichneter Standort für junge Kunst», schwärmt Beat Raeber. «Die Stadt pulsiert, liegt geografisch mitten in Europa, und das hiesige Publikum ist wach. Ausserdem kommen Sammler aus Italien, Deutschland, Südamerika und den USA.» Lange dominierten die etablierten Galerien das Zürcher Kunstgeschehen: Ein Künstler, der nicht von den grösse- Früher habe man ein paar Digitalfotos an die Leitung der Liste nach Basel geschickt, erzählt Andrea Hinteregger von der Galerie Christinger De Mayo. Heute geht es hochprofessionell zu, mit eingespielten Kontakten zu Kuratoren im In- und Ausland und internationalen Partnergalerien sowie einer unverwechselbaren Corporate Identity. «Es geht bei der Galerienarbeit eben nicht nur um die roten Punkte, sondern um die Arbeit mit Inhalten. Parallel zu den Präsentationen in der Galerie vermitteln die Händler Ausstellungen in Partnergalerien oder Museen, die sie oft auch organisatorisch betreuen», sagt Marlene Frei, Präsidentin des Vereins Zürcher Galerien. Strenges Kostenmanagement Bettina Meier-Bickel (l.) und Sabina Kohler in ihrer Galerie Rotwand. Saisonauftakt mit Arbeiten von Carlos Contente in der Galerie Christinger De Mayo. ren Häusern wie Hauser & Wirth und Eva Presenhuber vertreten wurde, hatte wenig Aussicht auf eine internationale Karriere. Die alteingesessenen Annemarie Verna und Bruno Bischofberger, in den siebziger und achtziger Jahren die Impulsgeber für aktuelle Kunst in Zürich, zeigen heute etablierte internationale Positionen aus den USA und Italien, und Galerien wie Francesca Pia und Nicola von Senger waren Einzelkämpfer für jüngere Positionen. Zudem hatte das LöwenbräuAreal, Epizentrum des hiesigen Kunstgeschehens, seit seiner Gründung 1996 die Aufmerksamkeit vom jungen Schweizer Kunstschaffen abgezogen. In den letzten zwei, drei Jahren hat sich das Ökosystem der Zürcher Galerien markant verändert. Das wurde mit der renovationsbedingten Schliessung des Löwenbräus bis 2012 deutlich. Die Szene hat sich ausdifferenziert, zu den Etablierten ist eine junge Generation dynamischer Galerien und Off-Spaces dazugekommen, die Zürich im Ausland ins Gespräch bringt, vom britischen Kunstmagazin «Frieze» bis zum amerikanischen «Art Forum» – manchmal fast unbemerkt von den Zürchern selbst. «Zürich ist so vital, weil das Niveau der Nachwuchsakteure ungewöhnlich hoch ist», konstatiert das deutsch-amerikanische Branchen-In- ternetportal «artnet». Neue Galeriencluster haben sich etwa rund ums Rotlichtviertel, an der Langstrasse und um den Stauffacher gebildet. Zu den dynamischsten Junggalerien gehören unter anderem Rotwand, Katz Contemporary, Christinger De Mayo, Hubert Bächler, Gregor Staiger, FreymondGuth & Co. Fine Arts, Lullin-Ferrari, BolteLang und Karma International, aber es gibt noch mehr. Manche von ihnen – etwa Karma International im Zürcher Seefeld und Freymond-Guth & Co. Fine Arts im Rotlichtviertel – haben sich aus nichtkommerziellen Projekträumen heraus entwickelt. Im Ausland wurde Erfahrung gesammelt; Neben Beat Raeber und Matthias von Stenglin, die zuvor bei den Berliner Topgalerien Klosterfelde und Neugerriemschneider arbeiteten, haben etwa Anna Bolte und Chaja Lang von BolteLang in London eine Galerie mit aufgebaut oder als Kulturattaché der Schweizer Botschaft gewirkt. Die Junggalerien pflegen das internationale Netzwerk genauso wie die etablierten Kollegen, bahnen jüngeren Künstlern internationale Karrieren an, arbeiten mit Museen zusammen und bereiten sorgfältig Messeauftritte vor: Man fährt mit der Kunst zu den Messen nach Brüssel, Paris und Turin oder fliegt nach Miami, New York und Rio. .................................................................................. Die Wirtschaftsflaute hat den jungen Galerien wenig anhaben können, weil sie immer auf kleinem Feuer kochten. .................................................................................. Einer der umtriebigsten Galeristen der neuen Generation ist Jean-Claude Freymond-Guth. Als Künstler ausgebildet, war er zunächst Kurator, nun residiert er mit seiner Galerie FreymondGuth & Co Fine Arts zwischen Videoshops und Bordellen in einer ehemaligen Garage an der Brauerstrasse. Mit der Solo-Präsentation der 2010 94-jährig verstorbenen britischen Malerin Sylvia Sleigh und dem Schweizer Shootingstar Stefan Burger war Freymond dieses Jahr an der Art Basel bereits doppelt beteiligt – ein Gütesiegel für seine erst fünfjährige Galeriearbeit. Während er in seinen Räumen von der Minimal Art inspirierte, gefaltete Leinwände der jungen Französin Sophie Bueno-Boutellier zeigt, ist der Hausherr mit einer temporären Dépendance nach Athen verreist. Auf Einladung des griechischen Sammlers Iasson Tsakonas liess Freymond Stefan Burger eine Ausstellung mit weiteren Künstlern aus seiner Galerie kuratieren, unter ihnen Loredana Sperini, Marc Bauer und Tanja Roscic. Geschickt speisen auch andere Galeristen ihre Schäfchen in den internationalen Kreislauf ein. Sabina Kohler und Bettina Meier-Bickel, die in ihrer Galerie Rotwand an der Lutherstrasse, einer ehemaligen Kühlschrankfabrik, zurzeit reizvolle abstrakte Malerei der 38-jährigen Britin Clare Goodwin zeigen, haben an der Art Hongkong im Mai mit ihrer Präsentation von ebenso geheimnisvollen wie filigranen, mit Chiffren und Symbolen befrachteten Zeichnungen des 35-jährigen Österreichers Constantin Luser bei den Chinesen helle Begeisterung ausgelöst. Ein Steinwurf davon entfernt versteht sich die Galerie Christinger De Mayo als Brückenkopf zwischen junger Schweizer und südamerikanischer Kunst. Die rohen Wandzeichnungen des 34-jährigen Brasilianers Carlos Contente, die zwischen politischer Strassengraffiti und Art Brut oszillieren, sorgen dafür, dass neben Kapitalströmen auch gelebte Erfahrung aus den Emerging Markets in der Bankenstadt zu spüren ist. Die Wirtschaftsflaute hat den jungen Galerien wenig anhaben können, weil sie immer auf kleinem Feuer kochten, mit geringen Fixkosten und Praktikanten als Aushilfe. «Ich halte meine Kosten bewusst tief, um krisenbeständig zu sein und pointiert arbeiten zu können», sagt Freymond. Immerhin beschäftigen Banken und Versicherungen auch während der Finanzkrise eigene Kunstkuratoren; sie gehören zu den Stammkäufern der Galerien. Darüber hinaus sorgen das eng geknüpfte Netz der Künstlerförderung durch Stadt, Kanton und private Stiftungen, die traditionell hohe Sammlerdichte in der Schweiz und der kosmopolitische Geist Zürichs für Schubkraft. Internationale Ausstrahlung Schweizer Sammler machen allerdings oft nur die Hälfte des Umsatzes hiesiger Galerien aus. «Man kann nicht allein von Zürich leben. Und wenn man wachsen will, bedeutet das, dass man sein internationales Netzwerk pflegen muss», sagt Andrea Hinteregger De Mayo. Das tun die Galeristen mit Geschick. Die geheimnisvoll abgründige Malerei der 37-jährigen Schweizerin Tatjana Gerhard, bei Rotwand im Programm, wurde etwa in Brüssel vom S.M.A.K. angekauft. In der Stadt, in der die Jugend in den Unruhen der achtziger Jahre einst «Nieder mit den Alpen – Freie Sicht aufs Mittelmeer» proklamierte, spielen Grenzen für junge Galerien keine Rolle mehr. «Zürich ist eine kleine Stadt, das Publikum ist nicht endlos», meint Jean-Claude Freymond-Guth lächelnd – kurz vor der Abreise nach Athen zu seinem griechischen Sammler. Galerist Gianfranco Verna über den Wandel der Galerienstadt Zürich «Jungsein hat die Innovation ersetzt» NZZ am Sonntag: Wie hat sich der Galerienplatz Zürich seit den Anfängen Ihrer Galerie 1969 verändert? Gianfranco Verna: Die Galerien, die damals Gegenwartskunst zeigten, liessen sich an einer Hand abzählen. Es gab praktisch keine Konkurrenz, aber auch kaum Publikum. Die Kunst erlebte 1969 einen historischen Moment: Man hängte nicht mehr einfach Bilder auf, sondern die Künstler reisten an, um mit ihrem Werk auf den Galerieraum zu reagieren. Es ging uns darum, diese fundamental neuen Ideen der Künstler zu teilen und sie mit ihnen durchzusetzen. Das war nicht leicht. Die Kritiken waren bitterböse. Heute ist es umgekehrt: Das Publikum umarmt junge Gegenwartskunst, aber es gibt kaum mehr Kritiken in Zeitungen. Heute gibt es in Zürich in der Tat eine enorme Dichte an Galerien, und es gibt Tausende von Produkten. Diese sind teilweise kleinen oder mittleren Einfällen entsprungen, werden aber sehr wichtig genommen, weil sie in etwas eingebettet sind, das in manchen Kreisen zum Lifestyle gehört. Ist es nicht positiv, dass junge Kunst heute eine grössere Offenheit erfährt? Die Aufmerksamkeit für Kunst der Gegenwart ist heute masslos. Früher gab es praktisch keinen Markt für Gegenwartskunst, selbst Museen hatten ein schwieriges Verhältnis dazu. Wir nahmen die Abwesenheit des Publikums in Kauf, weil wir für etwas Wichtiges kämpfen wollten. Heute geht die junge Szene davon aus, dass Kunst vor allem ein Business ist und eine Galerie sich als Marke profilieren muss. Kunst ist ein Produkt, eine Ware geworden, der Diskurs dem Markt gewichen, und die Kunstszene ist ein Feld der Karriere geworden. Was ist schlecht daran? Früher war Gegenwartskunst mit intellektueller und ästhetischer Leis- DOMINIC BÜTTNER MARTIN STOLLENWERK E s gibt Momente im Leben eines Junggaleristen, in denen er genau weiss, dass er einen richtigen Entscheid getroffen hat. So erging es Beat Raeber und Matthias von Stenglin, als sie vor ein paar Monaten in ihrer Galerie, einer ehemaligen Lastwagen-Garage im Welti-Furrer-Areal in Zürich-West (Frontbild), beim Mittagssandwich sassen. Der englisch sprechende Mann, der sich zu ihnen ans Pult setzte, erwies sich als einer der grössten amerikanischen Sammler. Dass er kam, war kein Anfängerglück, sondern die Konsequenz eines fokussierten Galerienprogramms und einer gute Vernetzung. Mit ihrem auf raumgreifende Installationen und Skulpturen junger internationaler Künstler ausgerichteten Programm besetzt die Galerie RaebervonStenglin in der Limmatstadt eine Nische. Nachdem der Berliner von Stenglin und der Basler Raeber in Berlin ihre Sporen bei arrivierten Galerien abverdient hatten, wählten sie bewusst die Boomtown Zürich als Standort ihrer Galerie – und eröffneten sie im Februar 2010 im Schatten des neu erstellten Prime Towers in Zürich-West mit einem ästhetischen Paukenschlag: Der 33-jährige Deutsche Karsten Födinger, gerade frisch von der Kunstakademie Karlsruhe gekommen, setzte einen Lawinenbrecher aus 16 Tonnen Beton präzis in die Galerie, als wäre es ein Schiffsbug. Das eindrückliche Stück kaufte ein Schweizer Sammler, der es in Übersee installieren liess. Inzwischen sind auch die Galerieschwergewichte Eva Presenhuber und Peter Kilchmann ins benachbarte Maag-Areal gezogen. Das sorgt für Synergien, man schickt sich gegenseitig Kunden ins Haus. Gianfranco Verna Gianfranco Verna, 68, hat 1969 zusammen mit seiner Frau Annemarie die Galerie Annemarie Verna gegründet. Sie gilt als erste Adresse für amerikanische Minimal Art und Arte Povera und wurde zum Stützpunkt der Avantgarde der siebziger Jahre. Von 1998 bis 2008 war Verna Mitglied des Art Basel Committee, das die Teilnehmer bestimmt. (B. U.) tung verbunden, die für die Gesellschaft als wichtig erachtet wurde. Es ging um Innovation, darum, der Kunst neue Möglichkeiten, nicht neue Märkte zu eröffnen. Der von der Avantgarde geprägte Innovationsbegriff wurde längst in das rein biologische Phänomen des Jungseins übersetzt. Das ergänzt sich gut mit dem gesellschaftlichen Mythos von Jugendlichkeit, einer Lebensphase, die viel Hochachtung geniesst. Darin ist per se auch nichts Negatives. Aber wenn es sich vor allem um das Jungsein des Künstlers dreht, rückt das Lebenswerk, das eigentlich der Sinn einer Künstlerkarriere ist, aus dem Blickfeld. Zürichs junge Galerien sind heute international vernetzt und haben professionelle Messeauftritte wie die etablierten Kollegen. Die Basler Messe brachte mit sich, dass man mit Galeristen auf der ganzen Welt zusammentreffen konnte. Das war positiv und hat massgeblich zur fundamentalen Veränderung der Schweizer Kunstlandschaft beigetragen. Aber Messebeteiligungen werden von Galeristen oft falsch eingeschätzt. Inwiefern? Viele Messen sind völlig unnütz und bringen den Galerien höchstens marginale Aufmerksamkeit, gemessen an den hohen Kosten, die sie verursachen. Für viele ist eine Messe nicht der richtige Ort für ihre Tätigkeit. .................................................................................. «Heute entscheiden sich Sammler für ein Werk, weil es ihnen gefällt, weil sie es glatt finden und weil sie gern dabei sind.» .................................................................................. Die meisten Galerien könnten aber nicht von Zürich allein leben. Mit der Vielzahl kleiner Satelliten-Messen hat eine Enthierarchisierung stattgefunden. Auch eine kleine Galerie aus dem Zürcher Langstrassenviertel kann heute zum Global Player werden. Das stimmt. Und man kann natürlich die Strategie verfolgen, ganz gezielt einen bestimmen Markt aufzurollen. Der heutige Kunstbetrieb ist ohne Messen nicht denkbar, und die tradi- tionelle Galerie, die ihre Arbeit allein vor Ort machte, ist ein Auslaufmodell. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass man zuerst fundiert vor Ort arbeiten und die eigenen Beziehungen aufbauen muss. Es gibt keine Garantie für Verkäufe auf der Messe. Um die Standmiete hereinzuholen, braucht es grosse Anstrengungen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die grossen Galerien, die Millionenumsätze mit Top-Sammlern machen, das Wunschbild der kleinen Galeristen sind. Aber das sind zwei Welten, die nichts miteinander zu tun haben. Immerhin kaufen auch renommierte Sammler wie die Rubells in Miami immer junge Künstler. Ja, junge Kunst zu sammeln und zu zeigen, ist sehr attraktiv. Aber letztlich sind bei vielen Messen die kleineren Galerien Wasserträger der grossen. Wie hat sich denn in Ihren Augen das Galeriepublikum verändert? Früher gab es nur eine ganz kleine Gruppe von Eingeschworenen, die sich intellektuell für Kunst interessierten und Dokumente dazu sammelten. Heute entscheiden sich Sammler oft weniger für ein Kunstwerk, weil es ihnen in einem Gesamtkontext wichtig erscheint, sondern weil es ihnen ganz einfach gefällt, weil sie es glatt finden und weil sie gern dabei sind. Sammler möchten entdecken. Was prophezeien Sie dem Zürcher Galerienstandort für die Zukunft? Zürich als Galerienstandort bietet offenbar viele Vorteile. Der Beweis dafür ist, dass viele Galerien hier arbeiten und überleben können. Aber ich glaube, dass ihre Anzahl für die Grösse der Stadt überdimensioniert ist. Allerdings ist Zürich ja auch nicht der Platz, wo das Powerplay der Kunstwelt, die Zuteilung von Einfluss und Macht, stattfindet. Interview: Brigitte Ulmer