TRANSIT 01.03.2017 Erlebnisseeinewich9geTransforma9onvor:IhrRomanTransithandelt nichtetwavoneinerProtagonis9n,sondernvoneinemProtagonisten. 1 IhreEntscheidung,denRomanvoneinemmännlichenIcherzählenzu lassen, ist nachvollziehbar. Sie erfüllt damit die damalige Norm des Sozial-Realismus, der eine „durchschni4liche Person” darstellt 2. Anna TRANSIT „Das klingt eher nach öffentlichem Verkehrsmi4el.” So konsta9erte Chanda kri9sch, als ich den Projek?tel das erste Mal vorschlug. Zugegebenermaßen klingt der Titel, besonders auf Englisch, eher proletarisch als elitär künstlerisch und ist vielleicht deswegen umso passender. Das Wort „Transit“ wurde dem Exil-Roman mit selbigem Seghers’ Roman hebt Fragen vieler brennenden Themen Ihrer Zeit hervor: Exil, Emigra9on, Immigra9on, Na9onalismus und die sich daraus ergebenden Fragen von Na9onalität, Iden9tät, sowie persönlicheundöffentlicheSicherheit.VondiesenFragen,sowieauch nicht zuletzt vom Hauptziel ihres Schreibens, nämlich der Kri9k am Titel entnommen – wenn die Begriffe „Frau” und „Exil”, im gleichen Kontext erscheinen, dauert es nicht lange, bis der Name der großen SchriWstellerinAnnaSeghersinsSpielkommt. In ihrem 1944 erschienenem Kernstück der deutschen Exilliteratur beschreibt der Protagonist eine Reise ins Exil, die viele poli9sche Faschismus, hä4e eine der etlichen problema9schen Fragestellungen desdamalsnochradikalenFeminismuseherabgelenkt. 3 Gegner des na9onalsozialis9schen Deutschlands über Frankreich, den Atlan9k und schließlich auf den amerikanischen Kon9nent auf sich nehmen mussten. Auch Seghers erlebte diese Reise und viele Details der spannenden Geschichte stammen aus ihren persönlichen Erlebnissen,sovielesogar,dassderRomanalsquasi-autobiographisch MarkTwainmeinte„Geschichtewiederholtsichnicht,abermanchmal reimt sie sich.” Die Thema9k von Exil und Na9onalität sind heute wieder allgegenwär9g und dieses Mal ergibt sich aus der heu9gen Strophe der Geschichte offensichtlich ein weiblicher Reim. „Burkini- gilt. Aus vielen Gründen nahm Seghers aber in der Erzählung ihrer 1AnnaSegherswurdeauchhochgelobtalssieihrefrührereWerkeohneVorname,d.h.alsMann,veröffentlicht.SieheSwaffar:“WhenaGeorgeEliot,aGeorgeSand,oranAnnaSeghersintrudesupon themaledomaintowritecontemporarysocialhistory,agenregenerallyreservedformalewriters,sheisfrequentlyreviewedandreadasatransgressororasaninferiorcopyofmen’swork.Aswith othermarginalizedgroups,womenareoWenassignednega9vea4ributes(suchasemo9onalismandpoli9csnaiveté),instarkcontrasttothemoreposi9veimagesassignedtomen(ra9onalityand poli9calacuity).Theexpedientofadop9ngmalenormsisthusatwo-edgedweapon.”Swaffar,Janet,andEileenWilkinson."Aesthe9csandGender:AnnaSeghersasaCaseStudy."Monatshe,e87,no. 4(1995):460.h4p://www.jstor.org/stable/30153467. 2Swaffar,Janet,andEileenWilkinson."Aesthe9csandGender:AnnaSeghersasaCaseStudy."Monatshe,e87,no.4(1995):460.h4p://www.jstor.org/stable/30153467. 3“Afemaleheroine…wouldnecessarilyhavehadarestrictedrangeofpossibili9escomparedtothenovel’smaleheroandwould,consequently,haveseriouslyjeopardisedtheplot.Thus,forexample, afemaleprotagonistwouldhavebeenlessrepresenta9vethanamansimplybecauseini9allymen(unionandpartyleaders)experiencedthemorebrutalreali9esoffascistsuppression.Focusona womanwouldhaveputthenovelatthelevelofanentertainmentoraltereditsmessageasaseriousanalysisofthemechanismsofafascistregime.Towriteaninterna9onalbestsellerabercomba9ng fascism, then, a male protagonist was a virtual necessity.” Swaffar, Janet, and Eileen Wilkinson. "Aesthe9cs and Gender: Anna Seghers as a Case Study." Monatshe,e 87, no. 4 (1995): 461. h4p:// www.jstor.org/stable/30153467. 1 TRANSIT 01.03.2017 Ban,” „Nasty Woman,” „Pussy-Grabber,” und „Köllner Sylvester” sind einige der vielen S9chwörter, die im letzten Jahr in den Schlagzeilen auWauchtenunddaraufhinweisen,dassdieRolleundPerspek9veder Frau nicht von von einer aktuellen poli9schen hinterlassenen Dokumente einer Marta Mierendorff zu sor9eren und zuverzeichnen.ErstJahrespäterwurdemirklarwelcheineBedeutung diese Dokumente in der Kunst- und Poli9kgeschichte ha4en – Mierendorff war Kunstsoziologin und ha4e ihre Kontakte zu bedeutsamen Persönlichkeiten der Exil-GesellschaW Kaliforniens nach D i s k u s s i o n a b l e n k t , sondern sind vielmehr einunübersehbarerroter Faden durch jegliche aktuelle sozio-poli9sche dem zweiten Weltkrieg dokumen9ert und der Doheney Library hinterlassen. Meine Zeit in Los Angeles, Wien und Berlin war geprägt durch die immer wieder faszinierenden Geschichten von Thomas Mann, Stefan Zweig, Arnold Schönberg, Bertold Brecht, Hanns Eisler, PaulHindemith,AlexanderZemlinskyundvielerAnderer,dieindiesen Deba4e – nicht zuletzt bei solchen, die mit Migra9on zu tun haben. Wie Anna Seghers sich und uns bewusst machte, dass ihre Erzählung eineandereunddamalsstärkereBedeutungvermi4elte,indemsiedas Geschlecht der Perspek9ve wechselte, können wir als Künstler, Forscher,WissenschaWlerundKulturkonsumentenneueLehrevonder Städten ihre Arbeit gestalteten. Im Gegensatz zu vorangegangenen Genera9onen deutscher Künstlern, für die der deutsche Na9onalstaat als roman9scher Traum galt, wurden diese Personen im Namen des Na9onalismusalsEntarteteKünstlerbezeichnet,aufdieSchwarzeListe gesetzt, und ihre Staatsangehörigkeit wurde entzogen. Zur gleichen Vergangenheit ziehen, indem wir die Geschichte aus anderer Perspek9ven anschauen. Durch Lieder und Texte versucht demzufolge das Konzert-Projekt TRANSIT die historischen und fik9ven Ereignisse und Figuren mit der heu9gen Zeit zu verbinden und in Kontrast zu setzen. Zeit, als ich anfing diese historischen Figuren kennenzulernen, wurde ich auch konfron9ert mit meinem eigenen Verhältnis zum Na9onalismus: US-Amerikaner wurden wegen des Krieg in Irak im A u s l a n d u n b e l i e b t e r a l s j e z u v o r u n d d u r c h d i e FussballweltmeisterschaW 2006 entstand eine neue Akzeptanz für Patrio9smusinDeutschland. Die Biographien und das Schaffen der großen Protagonisten der ExilKunstgeschichte interessierten mich seit Anfang meines Germanis9kStudiums in Los Angeles. Als studen9sche AushilfskraW – die übrigens kein Deutsch konnte und daher den Inhalt der Korrespondenz nicht AlsichspäterfürdasMasefield-SeminareinProjektentwickelnsollte, war klar, dass Exil-Werke der Kern des Repertoires werden mussten. Einige rote Fäden wurden in der Suche nach Repertoire nach weniger verstand – wurde ich beauWragt, in der Doheney Library die Zeit klar, denn viele von den Komponisten ha4en sehr ähnliche 2 TRANSIT 01.03.2017 Erlebnisse. Wegen meiner eigenen Erfahrungen in Los Angeles erwiesen sich die Personen, die während ihres Exils in Los Angeles wirkten,alsmeinAnfangspunkt. Hollywood Songbook schrieb Hanns Eisler während seines Exils in Los kon9nuierlich disku9eren, inwiefern seine Komposi9onstechnik sich während seines Exils qualita9v veränderte, kam er mit Stücken wie Street Scene näher an eine Oper als je zuvor. Jedoch wurde Weill kri9siert,dasserderoberflächlichenBroadway-Ästhe9knachgab. Die Sozialkri9k und der S9l des Berliner Kabare4 wurden erfolgreich Angeles in den Jahren 1942-47. In dieser „Hölle der Dummheit, der Korrup9on und der Langeweile” war sein „Liederbüchlein… das einzig Gute.”4DieLiederthema9sierendasLeidendesExilantsaneinemOrt, wo eigentlich das Paradies zu finden sein sollte. Dieses Thema wird auch von Mathilde Wesendonck5 in ihrem Gedicht „Im Treibhaus” undingelungenerMischungvonBenjaminBri4enundW.H.Audenim Jahrzusammengestellt:dieCabaretSongs.GeorgKreisler,derauchin New York sein Exil verbrachte und mäßige Erfolg mit seinem CabaretStücken unter den deutschsprachigen Exilanten genießen konnte, kehrte nach einigen Jahren nach Wien zurück. Dort schrieb er Heute beschreiben. Die exo9schen, schönen Planzen sind zwar im Treibhaus auvewahrt, wo sie präch9g gedeihen können. Die Erzählerin aber erkenntdasLeiden,ineinemnurscheinbarschönenfremdenOrtleben zumüssen. „I’maStrangerHereMyself”ausOneTouchofVenusvonKurtWeillist Nacht:LolaBlau,dieGeschichteeinerjüdischenSchauspielerin,dieaus ihrer Heimat Österreich flieht, um dem Na9onalismus zu entkommen und schließlich als Entertainerin auf einem Kreuzfahrtschiff arbeitet. Weillha4eaberandereMaßstäbe,dieihmgegenüberstanden. Seine neuenamerikanischenStückestandenthema9schimstarkenKontrast eineInterpreta9ondesselbenGefühls,allerdingsineiner,passendzum Broadway, heiteren und roman9schen S9mmung. Unter den zahlreichen für den Broadway verfassten Stücken schrieb Weill auch das Stück Lady in the Dark im Jahr 1941, nachdem er mit seiner Frau Lo4e Lenya in New York angekommen war. Das Libre4o von Ira zudenStückenseinerVergangenheit. “Deuxdollars!Chacunquimeprend/Estunmarindemonnavire. Torture-moi!/Chaquetourment/Estunevoileàmonnavire” MarieGalante,dasWeill1934inParisschrieb,erzähltvoneinerFrau, die en{ührt, nach Südamerika verschleppt, und zur Pros9tu9on gezwungen wird. In der produk9ven, sozialkri9schen Zusammenarbeit Gershwin – Bruder von George – erzählt die Geschichte einer erfolgreichenGeschäWsfrau,diedurchPsychotherapiedenGrundihrer Depressionen findet – ihr fehlt ein Mann. Obwohl Musikhistoriker 4Eisler,Hanns,PeterDeeg,andOliverDahin.HollywooderLiederbuch=Hollywoodsongbook.Leipzig:DeutscherVerlagfürMusik,2008.Vorwort. 5DieDichterinAgnesLuckemeyerverließihreHeimatalssiedenwohlhabendeSeidenhändlerO4oWesendonckheirateteundzogmitihmnachZürich.SienahmnichtnurseinenFamiliennamen sondernauchdenVornamenseinergestorbenenFrauMathildean.DasErgebnisistderName,dermitWagnerüberdieJahrzehntenverbundenwurde. 3 TRANSIT 01.03.2017 mitBertoltBrechttauchtedieseArt starker,jedochausgenutzterund vor allem verschollener Frauenfiguren auf. „Surabaya Johnny” und „Alabama Song” sind zwei Lieder, die mit ihren Texten diese Figuren deutlichdarstellen–FigurenundTexte,die Cathy Berberian - Stripsody eigentlich nicht von Brecht kreiert wurden, Schlussfolgerung lässt sich aber aus heu9gem Gesichtspunkt nur erahnen. Möglicherweise hä4e sie sich ähnlich wie Seghers als selbständigeFraudurchschlagenkönnen. Die Frage gilt ebenso für den Lebenslauf von Cathy Berberian. Die ArmenischAmerikanische Sängerin reiste 1948 nach Europa um ihre Chancen als Sängerin zu verbessern. 1950 heiratete sie den Komponisten Luciano Berio und wurde s c h n e l l d i e M u s e z a h l r e i c h e r zeitgenössischen Komponisten. Ihre Komposi9onStripsodyschriebsieimJahr1966,imselbenJahrindem BerioSequenzaIIIfürsieschrieb.WennmandiebeidenPar9turenliest und sich die originalen Aufnahmen anhört, fragt man sich: Versuchte Berberian zu singen, was Berio schrieb, oder versuchte Berio zu schreiben,wasBerberianvorsang? sondern von seinem „treu ergebener Scha4en” Elisabeth Hauptmann.6 Die HalbAmerikanerinarbeitetealsÜbersetzerinund SchriWstellerin in Berlin. Sie arbeitete so intensiv mit Brecht zusammen, dass ihr AnteilanseinemWerkhäufig unterschätzt wird und lange Zeit ignoriert wurde. 80 Prozent des Textes der Dreigroschenoper gehen beispielsweise eigentlich auf Hauptmann zurück; 7 das Pseudonym „Dorothy Lane” und der Text des TheaterstückesHappyEndwurdenBrechtzugeschrieben,warenjedoch eigentlich von Hauptmann. Der Text für „Alabama Song” schrieb sie ebenfalls. Auch gehörte siespäterauchzuderExil- Luciano Berio - Sequenza III GesellschaW Kaliforniens, wo sie den Komponisten U n b e s c h r ä n k t e U n a b h ä n g i g ke i t w a r selten, sogar für die genialsten Künstlerinnen. Figuren wie Dame Ethel Smyth sind Raritäten der Musikgeschichte. Einige S9chpunkte aus ihrem faszinierenden Lebenslauf sind auf dem beiliegendem Flussdiagramm zu finden. PaulDessauheiratete. Oberflächlich betrachtet muss man annehmen, dass Elisabeth Hauptmann ohne Brecht oder Dessau vermutlich vollkommen in Vergessenheit geraten wäre. Diese 6Farneth,David,andHelmutRoss.Lo4eLenya:eineAutobiographieinBildern.Köln:Könemann,1999.S.52. 7Kebir,Sabine.IchfragtenichtnachmeinemAnteilElisabethHauptmannsArbeitmitBertoltBrecht.Berlin:Auvau-Taschenbuch-Verl,2006.S.6 4 TRANSIT 01.03.2017 Smyths deutschsprachige Lieder stammen aus ihrer Zeit in Leipzig, wosiegegendenWillenihrerElternKomposi9onstudierte,sichals alte Dame verkleidete, um unbegleitet Konzerte anzuhören, und ihre Korrespondenz mit Grieg, Tschaikowsky u.a. begann. Der Text von„Tanzlied”inBüchnersLeonceundLenawähltesieohneZweifel aus persönlichen Gründen, denn Smyth ha4e Erfahrung mit der öffentlichen Norm, nach der sie sich als englische Frau im 19. Jahrhundert zu benehmen ha4e. Diesen gesellschaWlichen Erwartungengabsienurgelegentlichnach. schenkt, solch ein apartes Repertoire voller ErnsthaWigkeit zu bearbeiten. Meine Dankbarkeit gilt außerdem dem Career Center und Masefield S9pendium der Hochschule für Musik und Theater und dafür, dass solche Projekte unterstützt werden. Meinen zwei PianistInnen,LémuelGraveundChandaVanderHart,binichebenso dankbar,ohnederenFreundschaW,HilfsbereitschaW,Krea9vitätund FlexibilitätichdiesesKonzeptmirgarnichtvorstellenkönnte.Dijana Bošković für ihre wunderbare, krea9ve Mitarbeit und außerordentliche Unterstützung und Florian Huber für seine imagina9ven, jedoch werkgetreuen Bearbeitungen, danke ich ebenfallsvomHerzen. DieFiguren–historischundfik9v–dieichinderVorbereitungfür dieses Programm entdeckte, führten mich dazu, auch eine Verbindung mit der heu9gen Zeit zu suchen. Was sind die Erwartungen der heu9gen Frau? Nach Gesprächen mit Dijana Bošković stellten wir die Texte für ein neues Stück zusammen, das zweiZitatevonMarilynMonroeundLo4eLenya ausden1950ern zeitgenössischen Google-Suchergenissen entgegen stellt.8 Das Ergebnisistdasgroßar9geundzumNachdenkenanregendeStück, dasheutepräsen9ertwird. -MeredithNicollai Das Ziel von TRANSIT, ein historisch informiertes, zeitgenössisch relevantes, und für jeden Publikumsmitglied genießbares Konzert darzubieten, ist mir hoffentlich gelungen. Ich möchte meiner Gesangsprofessorin Yvi Jänicke nicht nur für die gigan9schen Fortschri4evonHerzendanken,dieichinihremUnterrichtmachte, sondern auch dafür, dass sie mir das Vertrauen und die Freiheit 8BeidiesemTeilderKomposi9onwerdendieGoogle-ErgebnissefürdieS9chwörter“FrauimAusland”und“MannimAusland”aufderWandprojiziertundverglichen.AusTechnischenGründenwird eineAufführungzudiesemAnlassnichtmöglich.Wirermu9gendasPublikumimlaufedesAbendsdiesePhrasenimGoogleeinzugebenunddieErgebnissezuanalysieren. 5