T ra i n e r o f f e n s i v e < Erstmals nach Vorstellung der Ergebnisse zur Studie Bildungsarbeit durch das Sportwissenschaftliche Institut der Uni Würzburg begleitete deren Leiter Professor Harald Lange ein Training unter pädagogischen Gesichtspunkten – und kam zu überraschenden Erkenntnissen. Der Erfolg der Offenheit von Harald Strier Heiko Dörr erklärt den jungen Schützen die nächste Übung, genau beobachtet von den Trainerkollegen und Professor Harald Lange. Fotos: Strier E s ist der Energielieferant dieses großen Körpers. Beliefert mit talentierten Schützen wie die Zelle mit Sauerstoff arbeitet das Schützengau an der Ausbildung dieser jungen Sportler, liefert die Enregie für den athletischen Körperteil des Deutschen Schützenbundes. Dieser Energielieferant braucht Mittel, neben dem Sauerstoff Nahrung und Anreize, also neben den Sportlern Gelder und motivierte Menschen, die als Trainer und Übungsleiter engagiert auftreten. Der Ertrag ist eindeutig: Der große Körper – und auch der kleine Körperteil namens Verein – lebt und wächst dank dieses Energielieferanten, die jungen Sportler bleiben dem Schießsport treu und werden, jedenfalls die besten von ihnen, zu den Leistungsträgern von morgen. Es gab nicht den Hauch von Kritik selbst von höchster Stelle, als Jugendleiter Heiko Dörr vom Schützengau Maingau sein Training im Vereinsheim des Schützenvereins St. Hubertus Klein-Welzheim abgeschlossen hatte. Professor Harald Lange sah in Seligenstadt bei Aschaffenburg die facettenreiche Durchführung des Trainings, in dem ein ungewöhnliches Mittel wie das Gleichgewichtskissen genauso zum Einsatz kam wie die exakte Erklärung des 12 1/2016 DSZ Bewegungsablaufes, die Begründung, warum dies so sein muss und vor allem: Lob, immer wieder Lob. „Das ist auch unser Grundsatz im Verein“, betonte eine der Nachwuchstrainerinnen des Gaus, die wie die Jugendleiter der Gegend zum Beobachten und Lernen eingeladen waren. „Es gibt keine schlechten Schüsse!“ Motivierende Sätze Professor Lange betonte. „Der pädagogische Anspruch zeigt sich auch an den Inhalten. Die Emotionsregelung der Schützen erfolgt über Kommunikation und sportliche Aktivitäten.“ Die Regelung, der Umgang mit Emotionen, vor allem auch mit Aggressionen, war schließlich ein zentraler Anteil seiner Forschung per Studie gewesen. Doch von Aggression konnte nach Beendigung der zweistündigen, intensiven Einheit keine Rede sein, im Gegenteil. Nachdem die Sportler ihre Luftpistolen eingepackt hatten, gab es ein kurzes spontanes Tischtennisspielchen, bevor sie sich, wieder diszipliniert, aber sichtbar hungrig vor dem großen Topf mit der Gulaschsuppe anstellten. Zuvor hatte sie Heiko Dörr in einem kurzen Abschlussgespräch in die Weihnachtsferien entlassen. Der erste und Die Begründung, warum eine Übung geGroße Freude herrschte bei den JugendIn großer Runde diskutieren die Trainer (im Vormacht wird, ist für Nachwuchssportler wich- dergrund) und die jungen Schützen, in deren Kreis lichen über die am Ende überraschend tig, Heiko Dörr setzt diesen Grundsatz um. sich Moderator Harald Lange (hinten links) geverteilten Weihnachtsgeschenke. mischt hatte. wichtigste Punkt: Lob. „Ihr habt alle eine sehr gute Entwicklung in diesem Jahr genommen, sowohl in Richtung eurer Technik als auch der Ergebnisse.“ Wer möchte einen solchen Satz auf der Arbeitsstelle nicht auch mal von seinem Chef kurz vor Weihnachten hören, und wie motiviert käme er dann aus den Ferien zurück? Punkt zwei: „Nehmt die heute geübte langsame Arbeitsweise mit in eure Vereine als Hausaufgabe mit.“ Dörr hatte mit mehreren Übungen zuvor praktisch genau an dieser Technik gefeilt. „Geht ganz langsam von oben in das Ziel hinein.“ Um eben zu verhindern, über selbiges in Hektik hinauszuschießen. Das war angekommen. „Es ist immer gut, die Technik aufzufrischen und erinnert zu werden, denn man vergisst immer etwas“, kommentierte einer der Schützlinge später in großer, von Professor Lange moderierter Runde mit Sportlern und Trainern. „In meinem Heimatverein habe ich das ganz anders gelernt.“ Professor Harald Lange: „Die Emotionsregelung der Schützen erfolgt über Kommunikation und sportliche Aktivitäten.“ Offenheit ist nicht die Regel Dörr hat im Schützengau 8 des Hessischen Schützenverbandes in den letzten Jahren Aufbauarbeit geleistet. Präsident Hans-Heinrich von Schönfels, gleichzeitig Vizepräsident im Deutschen Schützenbund, war eigens zur Beobachtung in das Kellergeschoss des Bürgerhauses von Klein-Welzheim gekommen, wo die Schützen ihren Luftdruckstand haben. „Es braucht einen Initiator wie Heiko, der einen begeistert“, betonten die Schützen. Dabei ist Dörr erst seit sechs Jahren in der Konzentrationssportart zu Hause. Doch er liefert die Energie in diesem Kompetenzzentrum, in dem die Trainer sich untereinander beobachten und damit voneinander lernen. „Sonst verfällt man in einen Grundmodus“, meinte einer der Trainer. „Die Beobachtung schärft die Sinne, und deshalb nutze ich jede Gelegenheit, um an mir zu arbeiten.“ Diese absolute Offenheit des Einladens und Austauschens mit der Nachbarschaft, mithin also der direkten Konkurrenz auf der ersten überörtlichen Ebene, gehört für Heiko Dörr zum Credo seines Engagements. Doch die Offenheit ist nicht die Regel. Viele Vereine schotten sich ab, weil sie Angst vor der lokalen Konkurrenz, vor allem vor dem Abwerben von talentierten Schützen haben. „Da regiert die eigene Eitelkeit“, sagte ein Trainer aus Erfahrung. Seine Kollegin pflichtete ihm bei: „Mir ist nicht wichtig, ob ein junger Schütze bei mir bleibt, sondern ob er, auch wenn er etwa in die Berufsausbildung einsteigt, im Schießsport bleibt, ob er wieder in einen Schützenverein eintritt, auch wenn er umgezogen ist.“ Die Begeisterung für den Sport, für die Atmosphäre unter den Schützen möchte sie wecken und möglichst auf Dauer erhalten. Und kann es nicht verstehen, wie ein Kollege, der ebenfalls ein überregionales Gautraining aufbauen wollte, sich von Kollegen anhören musste: „Trau dich das bloß nicht.“ Für Heiko Dörr ein undenkbarer Satz. Kooperation ist schließlich ein Markenzeichen des Vorzeigetrainers im Deutschen Schützenbund. „Wir wollen eine Austauschplattform aufbauen“, betonte der DSB-Referent Bildung, Stefan Hoffmann, der Initiator dieser Veranstaltung am letzten Samstag vor Weihnachten – und er handelte sich keine Absage ein. Diese Austauschplattform solle es online geben, wo sich die Trainer mit Kommentaren und Ideen gegenseitig befruchten könnten und sollten. Zudem sollen die durch die Studie erweiterten Inhalte in die Traineraus- und fortbildung einfließen. „Doch vor allem hoffen wir auf das Schneeballsystem“, meinte Harald Lange. Die Mund-zu-Mund-Propaganda hatte in Klein-Welzheim funktioniert, die Tournee durch die Schützenhäuser der Republik will Lange in den nächsten drei Jahren fortsetzen. „Denn so sammele ich auch für meine Arbeit viele Erkenntnisse. < DSZ 1/2016 13