deutsche bauzeitung Glaubenssache

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Kirche in Rijsenhout
Rijsenhout, Niederlande
Glaubenssache
SAMMLUNG
Die Expansion des Amsterdamer Flughafens verschlang auch die Kirche der
benachbarten Gemeinde. Als »eine feste Burg« entstand an anderer Stelle ein
Ersatzbau, dessen Materialität das landläufige Bild von Bauten mit
»Waschbeton-Optik« auf den Prüfstand stellt.
ARCHITEKTIN
von Anneke Bokern
STATIK
Rijsenhout ist ein 4000-Seelen-Dorf am östlichen Rand des Haarlemmermeerpolders, dem
ältesten maschinell trockengelegten Polder der Niederlande. Was zunächst nach
beschaulichem Landleben klingt, hat damit in Wirklichkeit wenig zu tun. Einen großen Teil
der Polderfläche nimmt der Flughafen Schiphol ein. Der Rest ist eine nicht enden wollende
Ansammlung von gesichtslosen Siedlungen und Gehöften, Gewächshäusern,
Bürokomplexen und Gewerbehöfen, umgeben von pfannkuchenflachen, geometrischen
Ackerflächen. Und über allem dröhnen ständig die Motoren der startenden und landenden
Jets.
deutsche bauzeitung
Claus en Kaan Architecten
BAUHERRIN
Schiphol Real Estate
ABT
FUNKTION
Sakralbauten
AUSFÜHRUNG
2005 - 2006
MITARBEIT PLANUNG
Felix Claus, Dick van Wageningen
(Projektarchitekten), Jan Kerkhoff,
Stefan Hofschneider, Leo van den
Burg, James Webb, Katharina Sander
Die Hauptdurchgangsstraße von Rijsenhout wird von frei stehenden Wohnhäusern aus
WEITERE KONSULENTiNNEN
dunklem Backstein gesäumt und ist eigentlich nicht weiter bemerkenswert. Dass man sich Haustechnik: Adviesbureau van der
Weele, Groningen (NL)
hier nicht lange aufhält, beweisen nicht nur die vorbeirasenden Autos, sondern auch das
Nichtvorhandensein eines Gehwegs. Aber selbst bei einer Geschwindigkeit von fünfzig
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zwischen der HTML- und der Printversion kommen.
Stundenkilometern kommt man nicht umhin, einen Fremdkörper im Einerlei
wahrzunehmen: In der Reihe der Wohnhäuser taucht plötzlich ein skulpturaler, maisgelber
Kirchenbau mit einem 15 Meter hohen Turm auf. Die Ästhetik des abgetreppten Volumens
erinnert ein wenig an Bauten von Willem Marinus Dudok (1884–1974) aus seiner
Frank-Lloyd-Wright-Phase, scheint aber auf den ersten Blick mindestens ebenso sehr mit
brutalistischer Architektur der sechziger und siebziger Jahre verwandt. Letzteres liegt unter
anderem am Material: Die Kirche besteht ganz aus sandgestrahltem Ortbeton, dem auf
den ersten Blick der Charakter von Waschbeton zu eigen ist.
Der Flughafen will sein Frachtareal erweitern und hat dafür seit 1990 die meisten Gebäude
im einige Kilometer nördlich von Rijsenhout gelegenen Ort Rozenburg aufgekauft und
abgerissen. Nur die alte Kirche der Niederländisch-Reformierten Gemeinde
Haarlemmermeer-Ost stand noch.
Nach vierzehnjährigen Verhandlungen einigte man sich 2005 darauf, dass die
Flughafengesellschaft die alte Kirche abreißen durfte, dafür aber in Rijsenhout eine neue
Kirche für die Gemeinde errichten sollte. Obwohl die Kirchengemeinschaft zunächst ihren
Hausarchitekten beauftragen wollte, entschied sie sich letztlich für das Büro Claus en
Kaan, vorgeschlagen von Schiphol Real Estate. Die Architekten, die noch nie eine Kirche
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Kirche in Rijsenhout
gebaut hatten und angesichts der schwindenden Kirchgängerzahlen in den Niederlanden
vermutlich auch nie wieder eine bauen werden, versprachen der Gemeinde ein
außergewöhnliches Gebäude.
Die Kirche besteht aus drei Teilen: dem Kirchensaal für 250 Besucher, einem Trakt mit
Besprechungszimmern, Kinderhort und Teeküche sowie einer Wohnung für den Küster.
Sie alle sind um ein großes, innen liegendes Foyer arrangiert, das man durch den
Haupteingang an der Nordseite des Gebäudes betritt. Beleuchtet wird es über mehrere
schlitzförmige, horizontale Fensteröffnungen, die teils direkt unter, teils direkt über dem
Übergang von Wand zu Dach liegen. Zwei große Flügeltüren trennen das Foyer vom
Kirchensaal und ermöglichen, es bei großen Veranstaltungen als Erweiterung des Saals zu
benutzen.
Dem recht einfachen Grundriss steht eine für niederländische Verhältnisse hochwertige
Materialisierung des Kircheninneren gegenüber. Das Foyer wurde rundum mit
osteuropäischem Eichenholz verkleidet, hinter dem auch die Klimaanlage sowie alle
Leitungen versteckt sind. Altar, Kanzel und Orgelgehäuse bestehen aus demselben
Material und wurden ebenfalls von Claus en Kaan entworfen. Den Boden bedecken sowohl
im Foyer als auch im Kirchensaal anthrazitfarbene Keramikfliesen; die Bestuhlung besteht
aus einfachen Stahlrohrstühlen mit schwarzen Holzsitzen und -lehnen. Insgesamt wirken
die Räume zwar warm, aber auch recht karg – was zu den Grundsätzen der streng
protestantischen Glaubensgemeinschaft passt.
Nahezu verspielt wirkt bei all dieser Strenge das verspringende Muster, das die dimmbaren
Neonröhren an der Decke des Kirchensaals bilden.
Die einzelnen Funktionsbereiche der Kirche sind von außen deutlich ablesbar: Da Kirche,
Wohnung und Gemeinschaftsräume jeweils eine andere Deckenhöhe haben, präsentiert
sich der Bau als Konglomerat aus abgestuften und zusammengeschobenen kubischen
Elementen. So wurde mit minimalen Mitteln ein skulpturaler Eindruck erzeugt, zu dem auch
die Wasserspeier einen großen Teil beitragen: Sie sind in kubische Mauervorsprünge
integriert.
Mit Fenstern sind die Architekten an den Schauseiten der Kirche eher sparsam
umgegangen. In der Hauptfassade befindet sich nur ein einziges großes laibungsloses
Fenster mit dünnem Stahlrahmen über dem Altar, das genau dasselbe Format hat wie das
vertikale Fenster in der Turmspitze. Die Seitenfassaden sind, abgesehen vom einem
braunen Stahltor, völlig geschlossen. Dagegen haben die zum Parkplatz hin orientierten
Gemeinschaftsräume und die Küsterwohnung jeweils große Fensterfronten mit dreißig
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Kirche in Rijsenhout
Zentimeter tiefen Laibungen, die aber von der Straße aus nicht zu sehen sind.
Raue Betonhaut
Die Geschlossenheit der Fassaden und das Fehlen eines sichtbaren Dachrandes, vor
allem aber die uniforme Materialisierung in »Waschbeton-Optik« lassen die Kirche sehr
monolithisch wirken. Während jedoch bei Waschbeton die Platten am Ende der Fertigung
ausgewaschen werden, wurde hier die fertige Fassade sandgestrahlt. Das Ergebnis sieht
Waschbeton täuschend ähnlich – wobei man dieses Fassadenmaterial in der Regel
wahrhaftig nicht mit Skulpturalität oder Monolithik assoziiert. Im Gegenteil: Kaum ein
anderes Material ist so sehr zum Synonym für menschenfeindliche Bausünden der
siebziger Jahre geworden. Den meisten Leuten fallen zu diesem Stichwort vor allem billige
Massenwohnungsbauten und unattraktive Mehrzweckhallen ein, verkleidet mit
mausgrauen, stumpfen, pickeligen Fertigteilplatten. In Rijsenhout handelt es sich jedoch
nicht um vorgefertigte Platten, sondern um eine tragende Fassade aus 28 Zentimeter
dickem Ortbeton. Was man auf den ersten Blick für Dehnungsfugen halten könnte, sind in
Wirklichkeit Schalfugen. Um den gewünschten Farbton und die Kieselgröße für den Beton
zu bestimmen, haben Claus en Kaan zahlreiche Materialproben anfertigen lassen. Zuletzt
wurde auf dem Kirchengrundstück ein Fassadenmuster errichtet, an dem der
Strahlprozess getestet wurde. Man entschied sich für einen gelb eingefärbten Beton und
eine etwas größere Gesteinskörnung als gewöhnlich. Als die Kirche dann stand, waren die
Architekten, die noch keine Erfahrung mit dem Material hatten, dennoch schockiert
darüber, wie intensiv gelb sie schien. Erst nach dem Sandstrahlen nahm sie ihre jetzige,
sanft maisgelbe Farbe an.
Der Beton überzieht das Gebäude wie eine raue Haut. Seine Struktur passt unerwartet gut
zur Gesamtform: Sie überträgt ihre Skulpturalität sozusagen auf einen kleineren Maßstab.
Damit bewerkstelligt der Kirchenbau beinahe so etwas wie eine Ehrenrettung des
unbeliebten Waschbeton-Looks. Die Fassade ist taktil, warm und schwer.
Allerdings verträgt sich die Betonhaut gar nicht mit dem blaugrauen Kies, mit dem die
Außenanlagen bestreut wurden. Mit Ausnahme zweier Pflanzbeete und eines betonierten
Pfads zum Tor ist das gesamte Gelände damit bedeckt. Laut den Architekten geschah das
aus ästhetischen Erwägungen, denn der große Parkplatz hinter der Kirche steht nur
sonntags voller Autos. Man wollte dort keine Asphaltwüste schaffen, sondern eine Einheit
mit der Architektur erreichen. Tatsächlich beißt sich der Farbton des Kieses jedoch mit
dem des Betons und strahlt die lieblos zugeschüttete Optik des Geländes unvorteilhaft auf
die Kirche ab. Dadurch wirkt die Fassade im Gesamtbild harscher als nötig. Das ändert
aber nichts daran, dass dieser Kirchenbau sicher manch einen, der kiesgespickte
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Kirche in Rijsenhout
Betonfassaden bisher für einen Frevel gehalten hat, zum Glauben bekehren kann.
Beton
Ausführungsvorgaben durch die Architekten:
Beton, Schalung und Ebenheit waren nach der niederländischen Richtlinie CUR 100
»Schoon Beton« (Sichtbeton) auszuführen. Auch in Deutschland wird diese Vorschrift oft
zur Rate gezogen.
Einen wesentlicher Unterschied zu den meisten deutschen Sichtbetonausschreibungen
stellte die Forderung dar, mit Hilfe des Reifecomputers nach Erreichen der
Ausschalfestigkeit den festgelegten Reifegrad zum Ausschalen der Betonflächen zu
ermitteln. Um eine einheitliche Betonfarbe zu erhalten, ist es unbedingt nötig, immer
dieselbe Reife anzustreben, diese kann gleichzeitig mit der Ausschalfestigkeit
übereinstimmen. Die Wände (3 m und 7 m hoch) sollten in jeweils nur einem Betonierabschnitt betoniert
werden. Für die Wandaußenseite war eine Betonüberdeckung von 60 mm vorgegeben, die
ohne die Verwendung von Abstandhalterklötzen zu realisieren war. Die äußere
Bewehrungsmatte musste an der inneren befestigt werden.
Die Durchankerungsöffnungen mussten mit demselben Beton geschlossen werden. Die
Fensterlaibungen wurden poliert, die Außenflächen sandgestrahlt (Vergleich mit
Probewand) und mit Funcosil hydrophobiert.
Nach vielen Betonversuchen wurden folgende Festlegungen getroffen:
Betonfestigkeitsklasse: C25/30 nach 91 Tagen
Gesteinskörnung: 0/32
Zement: CEM III/B 42,5 N/LH
Zusatzstoff : Kalksteinmehl (380 kg/m³)
Mehlkorn: Gehalt mindestens 160 l/m³
Farbpigment: Gelb (10 kg/m³)
Wandaufbau:
– Beton (280 mm)
– Holzlattung
– Isolierung (125 mm)
– dampfdichte Schicht
– 2 x Gipsplatte
deutsche bauzeitung, 02.01.2007
WEITERE TEXTE
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Kirche in Rijsenhout
Raum für Begegnung statt für Liturgie, Peter von Assche, Bauwelt, 27.04.2007
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