Klinische Psychologie (A) WS 2004/2005 Vorlesung mit Diskussion (# 1768) Montags, 14-16 Uhr, HS 8 Thema 4 Klinisch-psychologische Forschungsmethoden Klassifikations-, Epidemiologie-, Ätiologie-, und Interventionsforschung Universität Trier FB I - Psychologie Abt. Klinische Psychologie, Psychotherapie und Wissenschaftsforschung gkrampen Prof. Dr. Günter Krampen 1 Klinische Psychologie (A) - Überblick: Themenplan 1 Klinische Psychologie: Grundlagen 1.1 Gegenstandsbestimmung, Aufgaben, Anwendungsfelder 1.2 Geschichte der Klinischen Psychologie, Psychopathologie und Psychotherapie 1.3 Ethik und Berufsrecht in der Klinischen Psychologie 2 Störungs- und Krankheitsmodelle, Paradigmen 2.1 Krankheits- und Störungsbegriff: Normatives 2.2 Paradigmen: Störungs- und Krankheitsmodelle 3 Klassifikationssysteme und klinisch-psychologische Diagnostik 4 Klinisch-psychologische Forschungsmethoden: Klassifikations-, Epidemiologie-, Ätiologie- und Interventionsforschung 5 Ausgewählte Störungen gkrampen 2 Literaturhinweise zu Thema 4: Klinisch-psychologische Forschungsmethoden: Ätiologie-, Epidemiologie- und Interventionsforschung Basisliteratur B&P, Kap. 3, Kap. 8 und Kap. 9; D&N, Kap. 3 und Kap. 4 Ergänzungslektüre Schmidt, L.R. (2001). Klinische Psychologie. Tübingen: dgvt-Verlag, Kap. I/2.2, Kap. I/2.7 und Kap. I/2.8 Vertiefungsliteratur Bortz, J. & Döring, N. (1995). Forschungsmethoden und Evaluation. Berlin: Springer. Campbell, D.J. & Stanley, J.C. (1966). Experimental and quasi-experimental designs for research. Chicago, IL: Rand McNally. Cook, T.D. & Campbell, D.T. (Eds.). (1979). Quasi-experimentation: Design and analysis issues for field settings. Chicago, IL: Rand McNally. Gadenne, V. (1984). Theorie und Erfahrung in der psychologischen Forschung. Tübingen: Mohr. Hager, W. (1992). Jenseits von Experiment und Quasi-Experiment. Göttingen: Hogrefe. Kazdin, A.E. (1986). Comparative outcome studies of psychotherapy: Methodological issues and strategies. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 54, 95-105. Kirchner, F.T., Kissel, E., Petermann, F. & Boettger, P. (1977). Interne und externe Validität empirischer Untersuchungen in der Psychotherapieforschung. In F. Petermann (Hrsg.), Psychotherapieforschung (S. 51-102). Weinheim: Beltz. Krampen, G. (1998). Einführungskurse zum Autogenen Training (2. Aufl.). Stuttgart: Verlag für Angewandte Psychologie Hogrefe (=> S. 205ff.). Patton, Q.P. (1980). Qualitative evaluation methods. London: Beverly Hills (pp. 49-90). Wottawa, H. & Thierau, H. (1998). Lehrbuch Evaluation (2. Aufl.). Bern: Huber. Zielke, M. (1982). Probleme und Ergebnisse der Veränderungsmessung. In M. Zielke (Hrsg.), Diagnostik in der Psychotherapie (S. 41-59). Stuttgart: Kohlhammer. gkrampen 3 4 Klinisch-psychologische Forschungsmethoden 4.1 Methoden der klinischen Klassifikationsforschung – „Um was geht es?“ 4.2 Methoden der Epidemiologieforschung – „Ist das häufig und bei wem kommt das vor?“ 4.3 Methoden der Ätiologieforschung – „Woher kommt das?“ 4.4 Methoden der Interventionsforschung – „Wie kann das verhindert bzw. geheilt/gelindert werden?“ gkrampen 4 4.1 Methoden der klinischen Klassifikationsforschung „Um was geht es?“ • heuristischer Wert von Klassen als „postulierte Einheiten“ • hypothetische Klassenbildung ermöglicht empirische Analysen, die neue Informationen (zu Ätiologie, Epidemiologie, Symptomatologie, Behandlungsmöglichkeiten) erbringen • Stellenwert: hypothetische Konstrukte, keine natürlichen Entitäten • Klassen bilden Taxonomie (= Vorform der Theorie i.e.S.) • erleichtern als „lingua franca“ die interpersonale, interdisziplinäre und internationale Verständigung • Klassifikationsmethoden – Typologien der 1. Art: eindimensional oder dichtom bestimmte Extremtypen • Analyse von (bimodalen) Häufigkeitsverteilungen • z.B. Extravertierte versus Introvertierte; Gesunde versus Kranke – Typologien der 2. Art: Klassifikation anhand von 2 oder mehr kategorialen oder dimensionalen Merkmalen (Merkmalskombinationen) • Kontingenztafel-, Faktoren- und Clusteranalysen auf Personenebene • z.B. klassifikatorische Diagnostik nach ICD-10 und DSM-IV-TR – Typologien der 3. Art: sprachliche Unterscheidungen • phänomenologisch-hermeneutische Methoden, „Meta-Idiographik“ gkrampen • z.B. antike Temperamentslehre, Freuds Persönlichkeitstypologie 5 4.1 Methoden der klinischen Klassifikationsforschung: „Um was geht es?“ Typische Klassifikationen in der Klinischen Psychologie (nach Westmeyer, 1998; B&P, Kap. 3) Einheiten Klassen (Beispiele) Personen krank vs gesund ICD-10- und DSM-IV-Diagnosen behandelt vs. unbehandelt Situationen / „settings“ belastend vs nicht belastend in sensu vs in vivo Reize auslösend vs aufrechterhaltend positiver vs aversiver vs neutraler Reiz Reaktionen abweichend vs normal respondent vs operant verdeckt (covert) vs offen (overt) Diagnostische Verfahren L-, L‘-, Q-, T- und P-Daten Breitband-Verfahren vs spezifische Verfahren Therapeutische Verfahren tiefenpsychologisch vs verhaltenstherapeutisch vs systemisch Therapieschulen vs Allgemeine Psychotherapie Einzel- versus Gruppenpsychotherapie Psychotherapie vs invasive Behandlung Behandlungseffekte Hauptwirkungen und Nebenwirkungen erwünscht vs nicht erwünscht Heilung vs Besserung vs keine Veränderung vs Depravation gkrampen 6 4.2 Methoden der Epidemiologieforschung „Ist das häufig und bei wem kommt das vor?“ • die Untersuchung der Verteilung und Determinanten von Krankheitshäufigkeiten bei Menschen (MacMahon & Pugh, 1970) – deskriptive Epidemiologie • Hauptmethoden: Gesundheits-„Surveys“ und Krankheits-„Surveys“ • räumliche und zeitliche Verteilung von (psychischen) Störungen oder anderer gesundheitsrelevanter Variablen (wie Depressivität oder Devianz) in Population – analytische Epidemiologie • Hauptmethoden: (quasi-)experimentelle Studien und (quasi-)Kausalanalysen • Analyse der Zusammenhänge zwischen Störungsauftritt und demographischen, genetischen, behavioralen und ökologischen Faktoren • interdisziplinäres Forschungsgebiet – Medizin, Psychologie, Soziologie, Demographie, Angewandte Mathematik – „public health“, Volkswirtschaftslehre • Aufgaben – Ermittlung der Krankheitsverteilung in Raum und Zeit in Abhängigkeit von Umwelt- und Personmerkmalen – Analyse von Entstehung, Verlauf und Ausgang von Erkrankungen – Ermittlung individueller Krankheitsrisiken – Prüfung von Hypothesen über (kausale) Beziehungen zwischen (1) Umweltfaktoren sowie personalen Risiko- und Schutzfaktoren und (2) Krankheit gkrampen 7 4.2 Methoden der Epidemiologieforschung: „Ist das häufig und bei wem kommt das vor?“ Zentrale Begrifflichkeiten der Epidemiologie • Prävalenz: Anteil einer Population, der zu bestimmtem Zeitpunkt/in bestimmtem Zeitraum an einer Störung leidet (= häufigstes Krankheitsmaß) • administrative Prävalenz: Inanspruchnahme-Rate für Behandlungsinstitutionen • wahre Prävalenz: Auftrittsrate in der Population • Inzidenz: Anzahl der Neuerkrankungen in definiertem Zeitabschnitt (meist 1 Jahr) • administrative Inzidenz: Inanspruchnahme-Rate für Behandlungsinstitutionen • wahre Inzidenz: Auftrittsrate in der Population • Morbidität = Prävalenz- und Inzidenzziffern: Krankheitshäufigkeit innerhalb einer Population • Komorbidität: Auftritt von mehr als einer (psychischen) Störung bei einer Person in einem bestimmten zeitlichen Rahmen (ggfs. Komorbiditätsquote) • interne Komorbidität: 2 oder mehr Störungen aus einer Störungskategorie • externe Komorbidität: 2 oder mehr Störungen aus verschiedenen Störungskategorien • Lebenszeitrisiko: Wahrscheinlichkeit, im Laufe der durchschnittlichen Lebensspanne an einer bestimmten Störung zu erkranken • relatives Risiko: Krankheitshäufigkeit in Population mit versus ohne best. Risikofaktor • Risikofaktoren: Bedingungen/Variablen, die das Lebenszeitrisiko erhöhen • Schutzfaktoren: Bedingungen/Variablen, die das Lebenszeitrisiko reduzieren • Mortalität (Sterblichkeit): Mortalitätziffer = Verhältnis der Anzahl der Sterbefälle zum Durchschnitts-bestand in der Population gkrampen 8 4.2 Methoden der Epidemiologieforschung: „Ist das häufig und bei wem kommt das vor?“ Epidemiologie: historischer Forschungsabriss • Robert Koch (1843-1910): Berliner Bakteriologe – Modell der epidemiologischen Trias für Infektionskrankheiten 1. Wirt: betroffene Person mit bestimmten Dispositionen gegenüber Exposition 2. schädliches Agens: akute oder chronische (körperliche; bakterielle o.ä.) Belastung 3. Umwelt: aktuelle physische oder soziale Umwelt des infizierten Wirts • Katschnig (1980) – Übertragung des Modells auf psychische Störungen 1. Wirt: betroffene Person mit bestimmten Dispositionen gegenüber Exposition 2. schädliches Agens: akute oder chronische (psychische oder soziale) Belastung 3. Umwelt: aktuelle physische oder soziale Umwelt des infizierten Wirts • Dohrenwend & Dohrenwend (1974): „Stressful life-events: Their nature and effects“ – Beginn der medizinischen und klinisch-psychologischen „life-event“-Forschung in der Epidemiologie psychosomatischer (somatoformer) Störungen – 70er und 80er Jahre: entwicklungspsychologische Ausweitung und klinischpsychologische Ausweitung auf psychischer Störungen – klassisch in der Geschichtsforschung: historische Ereignisse als Bedingungen struktureller (qualitativer) Veränderungen gkrampen 9 4.2 Methoden der Epidemiologieforschung: „Ist das häufig und bei wem kommt das vor?“ Epidemiologie: Untersuchungsdesigns und -methoden • Untersuchungs-„designs“ – Querschnittstudie • Momentaufnahme für aktuelle Kohorten und den aktuellen Erhebungszeitpunkt – prospektive Längsschnittstudie • exaktere Analyse von Risiko- und Schutzfaktoren sowie Verlaufsmerkmalen möglich – Fallkontrollstudie • Vergleich von Indexgruppe (mit best. Störung) und Kontrollgruppe (ohne Störung) – Interventionsstudie • experimenteller Ansatz zur Abklärung kausaler Beziehungen (ethische Richtlinien!) • Erhebungsmethoden – Primärerhebungen • aufwendige Datenerhebungen durch Forscher/in selbst • vor allem bei Fallkontrollstudien, prospektiven Studien, Interventionsstudien • häufig zweistufig: (1) „Screening“ in Population, (2) eingehende Untersuchung der Verdachtsträger – Sekundärdatenanalysen • sekundäre Analysen von Primärerhebungen, amtlichen Statistiken, Routineerhebungen ... – Versorgungs-Erhebungen • • • • gkrampen Inanspruchnahme-Erhebungen bei Versorgungsinstitutionen Auswertung bevölkerungsbezogener kumulativer Fallregister Patientenerhebungen bei Versorgungsinstitutionen Feldstudien: Gesundheits- bzw. Krankheits-„Surveys“ in der Bevölkerung 10 4.3 Methoden der Ätiologieforschung „Woher kommt das?“ 1. Psychologisch-inhaltliche Basis: Entwicklungstheorien 2. Methodologische Basis: (quasi-)kausalanalytische Methoden in der Klinischen Psychologie 3. Wissenschaftstheoretische Basis: Konzepte der Erklärung in der Klinischen Psychologie ad 1: Psychologisch-inhaltliche Basis: Entwicklungstheorien • Ansatz der „life-span developmental psychology“ => Ätiologietheorien • dynamisch-interaktionistisches Entwicklungsparadigma => biopsychosoziales Modell • aktionales Entwicklungsparadigma => „self-management“; Gesundheitspsychologie • Forschungsansatz zu kritischen Lebensereignissen und „Coping“ => Risikofaktoren • Entwicklungsplastizität => Verlaufsformen von Störungen gkrampen • absolute Stabilität vs Plastizität; korrelative ~ vs ~; ipsative ~ vs ~ • (aktionale) Selbsthilfe => Phänomen der spontanen Remission (Eysenck, 1952) • Entwicklungsphase => Episode: zeitlich definierte Manifestation einer Störung 11 4.3 Methoden der Ätiologieforschung: „Woher kommt das?“ ad 2: Methodologische Basis: (quasi-)kausalanalytische Methoden in der Klinischen Psychologie Untersuchungs-„Designs“ und Auswertungsstrategien • Longitudinalstudien – mit „quasi“-kausalanalytischer Auswertung • zeitverschobene Kreuz-Korrelationsanalyse / multiple Regression; Strukturgleichungsmodelle – klinisch-psychologische Arten von Longitudinalstudien • prospektive Längsschnittstudie • „fiktive“ Längsschnittstudie („cross-sectional design“): Aneinanderreihung von Kohorten mit unterschiedlichem Erkrankungsbeginn / Störungsphase • „retrospektive“ Längsschnittstudie: retrospektive Daten aus biographischen Analysen (etwa in Psychoanalyse, „life-event“- und „coping“-Forschung) • Querschnittstudien mit varianzanalytischer Auswertung – Feldstudie – Feldexperiment und „echtes, kontrolliertes“ Experiment (ethische Richtlinien!) • Fallstudien – (anekdotische) Kasuistik • narrative Methode • hermeneutische Methode, ggfs. mit „meta-idiographischer“ Typenbildung – experimentelle (quantitative) Einzelfallstudie gkrampen • etwa nach „A-B-A-B-design“ (A = ohne Stressor; B = mit z.B. beruflichem Stressor) 12 4.3 Methoden der Ätiologieforschung „Woher kommt das?“ ad 3: Wissenschaftstheoretische Basis: Konzepte der Erklärung in der Klinischen Psychologie (aufgrund von Theorien i.e.S.) Theorie (i.e.S.): System von (probabilistischen) Wenn-Dann-Aussagen zur Erklärung von Phänomenen (z.B. psychischen Störungen) • deduktiv-nomologische Erklärung: „H-O-Schema“ - zum Beispiel – – – • dispositionelle Erklärung: dispositionell erweitertes „H-O-Schema“ – – – – • 1. Explanans (G): allgemeines Gesetz, Hypothese, Annahme Hyp. gelernten Hilflosigkeit 2. Explanans (A1): (Diagnostik) von Antezedensbedingungen Nichtkontingenz&Fehlattribut. 3. Explanans (A2): Diagnostik von Persönlichkeitsmerkmal ungünstiger Attributionsstil Explanandum (E): Beschreibung des zu Erklärenden depressive Störung historisch-genetische Erklärung – • 1. Explanans (G): allgemeines Gesetz, Hypothese, Annahme Hyp. gelernten Hilflosigkeit 2. Explanans (A): (Diagnostik) von Antezedensbedingungen Nichtkontingenzen&Fehlattribut. Explanandum (E): Beschreibung des zu Erklärenden depressive Störung idiographische Interpretation aufgrund biographischer Analyse, Theorie und Hermeneutik „Wie-es-möglich-war-dass-Erklärungen“ – gkrampen liberalisiertes H-O-Schema ohne Beachtung rivalisierender Erklärungsmöglichkeiten ff 13 4.3 Methoden der Ätiologieforschung: „Woher kommt das?“ ff • unvollkommende Erklärungen – narrative, bruchstückhafte, unsystematische Erklärungsversuche wie • ungenaue Erklärungen: schwache diagnostische Bestimmung des Explanandum (z.B. unscharfe Differentialdiagnostik auf nur zwei oder drei ICD-10-Stellen) • rudimentäre Erklärungen: unvollständige „weil“-Sätze ohne Gesetzesannahmen • partielle Erklärungen: Explanans liefern nur Erklärung für Teile des Explanandum • skizzenhafte Erklärungen: umrisshaft angedeutete, vage Explanans • Performanz-Erklärungen – probabilistische Kausal-Erklärung einzelner Ereignisse (etwa Verhaltensweisen) – etwa in Verhaltensanalysen nach dem S-O-R-C-Schema: „hic et nunc“-Erklärung durch aufrechterhaltende Bedingungen (wie diskriminative Reize und Verstärker) • psychologische Erklärungen aus inhaltlicher Sicht (Systematik nach Bunge, 1985) – – – – – – – – – – gkrampen tautologische Erklärungen durch Bezug auf mentale Fähigkeiten, „Vermögen“ o.ä. teleologische Erklärung durch Bezug auf Absichten/Ziele und Erwartungen mentalistische Erklärungen durch Bezug auf mentale Ereignisse metaphorische Erklärungen durch Bezug auf technomorphe oder soziale Analogien genetische Erklärungen durch Bezug auf die genetische Ausstattung entwicklungsbezogene Erklärungen durch Bezug auf biolog. oder psychische Entwicklung umgebungsbezogene Erklärungen durch Bezug auf Umweltfaktoren, Reize, Situationen evolutionsbezogene Erklärungen durch Bezug auf Selektionsvorteile und -nachteile neurophysiologische Erklärungen durch Bezug auf neurophysiologische Prozesse gemischte Erklärungen .... 14 4.4 Methoden der Interventionsforschung „Wie kann das verhindert bzw. geheilt/gelindert werden?“ Überblick: Methoden der Klinisch-psychologischen Interventions- und Evaluationsforschung • „echte“, „kontrollierte“ Experimente (mit Randomisierung) • quasi-experimentelle Designs (ohne Randomisierung) • vor-experimentelle Designs • Einzelfall-Experimente • Analogie-Experimente, Analogstudien • Metaanalysen • qualitative Interventions- und Evaluationsstudien Überblick: Methoden der Veränderungsmessung • (formative) Prozess-Evaluation: interventionsbegleitend • (summative) Produkt-Evaluation: interventionsabschließend – – indirekte Veränderungsmessung: Prä-Post-Vergleiche direkte Veränderungsmessung: retrospektive Erfolgsbeurteilung • Katamnese gkrampen 15 4.4 Methoden der Interventionsforschung - „Wie kann das verhindert bzw. geheilt/gelindert werden?“ Konzepte und Methoden der Diagnostik und Evaluation in der klinischen Interventionsforschung nach Krampen (1995, 1998, 2002) gkrampen 16 4.4 Methoden der Interventionsforschung - „Wie kann das verhindert bzw. geheilt/gelindert werden?“ Exkurs: Relevanz der Interventionsforschung Psychotherapeutische Behandlungsformen nach den „Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen für die Durchführung der Psychotherapie“ (Psychotherapie-Richtlinien) in der Fassung vom 23.10.1998 • Psychoanalytisch begründete Verfahren • Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und deren Sonderformen • • • • Kurztherapie Fokaltherapie Dynamische Psychotherapie Niederfrequente Therapie in einer längerfristigen, Halt gewährenden therapeutischen Beziehung • Analytische Psychotherapie • Verhaltenstherapie mit den Schwerpunkten der • • • • • Stimulus-bezogenen Methoden (z.B. Systematische Desensibilisierung) Response-bezogenen Methoden (z.B. operante Konditionierung) Methoden des Modellernens Methoden der kognitiven Umstrukturierung Selbststeuerungsmethoden • mit Kombinationsverbot für VT und Psychoanalytisch begründeten gkrampen Verfahren ff 17 4.4 Methoden der Interventionsforschung - „Wie kann das verhindert bzw. geheilt/gelindert werden?“ Exkurs: Relevanz der Interventionsforschung Psychotherapeutische Anwendungsformen nach den „Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen für die Durchführung der Psychotherapie“ (Psychotherapie-Richtlinien) in der Fassung vom 23.10.1998 - ff • • • • • gkrampen Einzeltherapie bei Erwachsenen Behandlung von Erwachsenen in Gruppen – N = 6-9 bei Psychoanalytisch begründeten Verfahren – N = 2-9 bei Verhaltenstherapie Einzeltherapie bei Kindern und Jugendlichen Behandlung von Kindern und Jugendlichen in Gruppen – N = 6-9 bei Psychoanalytisch begründeten Verfahren – N = 2-9 bei Verhaltenstherapie Mit Kombinationsverbot für Einzel- und Gruppentherapie bei den Psychoanalytisch begründeten Verfahren ff 18 4.4 Methoden der Interventionsforschung - „Wie kann das verhindert bzw. geheilt/gelindert werden?“ Exkurs: Relevanz der Interventionsforschung ...im Rahmen der Psychosomatischen Grundversorgung zusätzlich nach den „Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen für die Durchführung der Psychotherapie“ (Psychotherapie-Richtlinien) in der Fassung vom 23.10.1998 • • • • gkrampen Autogenes Training als Einzel- oder Gruppenbehandlung (Unterstufe) – Gruppengröße: 2-10 Patienten Jacobsonsche Relaxationstherapie als Einzel- oder Gruppenbehandlung – Gruppengröße: 2-10 Patienten Hypnose in Einzelbehandlung Alles mit Kombinationsverbot für Psychoanalytisch begründete Verfahren 19 4.4 Methoden der Interventionsforschung - „Wie kann das verhindert bzw. geheilt/gelindert werden?“ Exkurs: Relevanz der Interventionsforschung Kriterien für die Anerkennung von Behandlungsformen nach den „Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen für die Durchführung der Psychotherapie“ (Psychotherapie-Richtlinien) in der Fassung vom 23.10.1998 Für die anerkannten Verfahren wird postuliert: • • „umfassendes Theoriesystem der Krankheitsentstehung“: Ätiologietheorie „in ihrer therapeutischen Wirksamkeit belegt“: Effektnachweise Für Anerkennung neuer Verfahren ist notwendig: • • • • gkrampen „Feststellung durch den wissenschaftlichen Beirat gemäß § 11 Psychotherapeuten-Gesetz, daß das Verfahren als wissenschaftlich anerkannt angesehen werden kann“ Nachweis der erfolgreichen Anwendung an Kranken überwiegend in der ambulanten Versorgung über mindestens 10 Jahre durch wissenschaftliche Überprüfung...“ „Ausreichende Definition des Verfahrens und Abgrenzung von bereits angewandten und bewährten psychotherapeutischen Methoden...“ „Nachweis von Weiterbildungseinrichtungen für Ärzte sowie Ausbildungsstätten für Psychologische Psychotherapeuten und Kinder und Jugendlichenpsychotherapeuten mit methodenbezogenem Curriculum in theoretischer Ausbildung und praktischer Krankenbehandlung“ 20 4.4 Methoden der Interventionsforschung - „Wie kann das verhindert bzw. geheilt/gelindert werden?“ Exkurs: Relevanz der Interventionsforschung PsychThG: § 11 Wissenschaftliche Anerkennung „Soweit nach diesem Gesetz die wissenschaftliche Anerkennung eines Verfahrens Voraussetzung für die zuständige Behörde ist, soll die Behörde in Zweifelsfällen ihre Entscheidung auf der Grundlage eines Gutachtens eines wissenschaftlichen Beirates treffen, der gemeinsam von der auf Bundesebene zuständigen Vertretung der Psychologischen Psychotherapeuten und Kinderund Jugendlichenpsychotherapeuten sowie der ärztlichen Psychotherapeuten in der Bundesärztekammer gebildet wird....“ gkrampen 21 4.4 Methoden der Interventionsforschung - „Wie kann das verhindert bzw. geheilt/gelindert werden?“ Exkurs: Relevanz der Interventionsforschung „Bestandsaufnahme“ von Kriterien für die wissenschaftliche Anerkennung psychotherapeutischer Verfahren • Effektivitätsnachweise: Wirksamkeit (Zweckmäßigkeit) – Wirksamkeitskriterien („outcome“-Maße) • Erfolgsquote, Quote der Besserungen und Residuen • Effektstärken nach der direkte und indirekte Veränderungsmessung • Dauerhaftigkeit, Breite und Muster („pattern of change“) der Veränderungen – empirische Prüfphasen für Interventionsmethoden • Phase 0: Entwicklungsphase - Einzelfallberichte • Phase I: Erkundungsphase - Analogstudien und vorexperimentelle Designs • Phase II: Pilot-Phase - experimentelle Studien • Phase III: Testphase - Multicenter-Studien, Metaanalysen, Kriterienkataloge, Standards • Phase IV: Anwendungsphase - vorexperimentelle Designs und quasiexperimentelle Designs • Effizienznachweise: Wirtschaftlichkeit – Kosten-Effektivitäts-Analysen: Effektivitätsanalyse plus Einbezug der Interventionskosten – Kosten-Nutzen-Analysen: durch Intervention erzielter Gewinn • Anwendungsbreite sowie Akzeptanz durch Th. und Pat. – „compliance“, „consumer satisfaction“; professionelle Identität • Art der therapeutischen Beziehung (Menschenbildannahmen) – ethische Angemessenheit einer Intervention (Ziel-Mittel-Kompatibilität etc.) • Störungsmodell: Ätiologietheorie • Spezifische Verfahren der Differentialdiagnostik und Evaluation • Geltungsbereichseinschränkungen (vs. Universalitätsanspruch) • Aussagen zu Gesundheitskonzept und Therapieziele gkrampen • Differentielle Indikation spezifischer Therapiemethoden/-techniken 22 4.4 Methoden der Interventionsforschung - „Wie kann das verhindert bzw. geheilt/gelindert werden?“ 4-Phasen-Modell der Interventionsforschung (Prüf-Phasen der „evidence-based medicine“) (Vor-)Phase 0: Entwicklungsphase Mehr oder weniger kreative Entwicklung/Kombination neuer Interventionsmethoden aufgrund von klinischen Beobachtung, theoretischen Überlegungen sowie unsystemat. Erprobungen => Einzelfallberichte, (anekdotische) Falldarstellungen Phase 1: Erkundungsphase Systematische(r) Einsatz und Überprüfung der neuen/kombinierten Interventionsmethode unter wenigen, eher global formulierten Hypothesen => Analogstudien: Tierstudien; unauffällige Probanden (Stud.); Abweichungen von Realität in (a) Störungsgrad, (b) Stichprobe, (c) Therapeuten/Intervenierenden, (d) Interventions-setting und/oder (e) (umfangreicherer) Diagnostik => systematische Einzelfallstudien mit system. Bedingungsvariation, etwa einfaches A-BA-Einzelfalldesign und komplexe Zeitreihenanalysen => vor-experimentelle Studien ohne explizite Kontrollgruppe: (a) retrospektive Post-Erhebung (nach Intervention) (b) Eingruppenplan mit Prä- und Posterhebung (c) Eigenkontrollgruppenplan mit „baseline“ und Intervention (abwechselnd) gkrampen => evtl. auch schon quasi-experimentelle Studien (ohne Randomisierung) ff 23 4.4 Methoden der Interventionsforschung - „Wie kann das verhindert bzw. geheilt/gelindert werden?“ Phasenmodell der Interventionsforschung ff Phase 2: Pilot-Phase Prüfung der therapeutischen Wirksamkeit anhand gezielter Hypothesen Achtung: Beachtung ethischer Probleme und Fragen bei Randomisierungen => formative und summative Evaluation mit experimentellen Designs mit (a) unbehandelter Kontrollgruppe (b) Warteliste-Kontrollgruppe (c) Kontrollgruppe mit "Routine-Behandlung" (d) Kontrollgruppe mit Placebo-Behandlung (schwierige Placebo-Bestimmung) (e) Kontrollgruppe mit alternativer Intervention - „echte“ Alternativbehandlung - Parametervariation - Parameteraddition - Parametersubtraktion => bei (c) bis (e): Blindstudie bzw. Doppelblind-Studie (Ethik: Pat.-Aufklärung?!) => differentielle Interventionsforschung (mehrfaktorielle experimentelle Designs) gkrampen 24 4.4 Methoden der Interventionsforschung - „Wie kann das verhindert bzw. geheilt/gelindert werden?“ Phasenmodell der Interventionsforschung ff Phase 3: Testphase Prüfung der Interventionsmethoden im Großversuch => Verbundstudie, Multicenter-Studie (gleiches Design in mehreren Institutionen) => Metaanalysen => ggfs. Entwicklung von Kriterienkatalogen und störungsspezifischen Behandlungsrichtlinien (Interventions-Manuale) Phase 4: Anwendungsphase - Praxiskontrolle Prüfung der Bewährung der Methode unter alltäglichen Anwendungs- und Praxisbedingungen („Routinebedingungen“) => Analyse günstiger vs. ungünstiger Implementationsbedingungen => zumeist vorexperimentell oder quasi-experimentell exemplarisch für eine Inst. gkrampen 25 4.4 Methoden der Interventionsforschung - „Wie kann das verhindert bzw. geheilt/gelindert werden?“ prominente Metaanalysen in der klinischen Interventionsforschung: Luborsky, L., Singer, B. & Luborsky, L. (1975). Comparative studies of psychotherapy: Is it true that „everyone has won and all must have prices“? Archives of General Psychiatry, 32, 995-1008. Smith, M.L. & Glass, G.V. (1977). Metaanalysis of psychotherapy. American Psychologist, 41, 165-180. Smith, M.L., Glass, G.V. & Miller, T.I. (1980). The benefits of psychotherapy. Baltimore: John Hopkins University Press. Quasi-Metaanalyse: Grawe, K., Donati, R. & Bernauer, F. (1994). Psychotherapie im Wandel: Von der Konfession zur Profession. Göttingen: Hogrefe. gkrampen z.B. „file-drawer“-Problem in Onkologie: mehr als 1/4 von mehr als 500 „Phase IIIStudien“ zur Krebsbehandlung, die zwischen 1989 und 1998 auf US-Fachtagungen vorgestellt wurden, wurden nie schriftlich publiziert ... besonders solche mit negativen Befunden .. (Krzyzanowska et al. (2003), JAMA, 290, p. 495ff) 26 4.4 Methoden der Interventionsforschung - „Wie kann das verhindert bzw. geheilt/gelindert werden?“ gkrampen 27