Soziales Verhalten

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Kap. 11, S. 1
Rudolph: Soziales Verhalten
Kapitel 11
Soziales Verhalten
Udo Rudolph
In: Stemmler, G. (Hrg.) (2007). Enzyklopädie der Emotionen. Göttingen: Hogrefe.
Prof. Dr. Udo Rudolph
Technische Universität Chemnitz
Institut für Psychologie
Allgemeine und Biopsychologie
D - 09107 Chemnitz
[email protected]
107.054 Zeichen
Kap. 11, S. 2
Rudolph: Soziales Verhalten
"Wie seltsam, dass nicht jeder einsieht, dass jede Beobachtung notwendig
für oder gegen eine Auffassung gemacht wird, wenn sie irgend einen Wert
haben soll!" (Charles Darwin)
1
Einleitung
Soziales Verhalten ist ein alltäglicher Bestandteil unseres Lebens: Wir helfen einem
Mitarbeiter oder einem anderen Studierenden, sind ärgerlich über eine andere Person und
zeigen dies auch deutlich, wir kooperieren oder konkurrieren mit anderen, wir empfinden
Zuneigung zu einer anderen Person oder womöglich auch tiefe Abneigung. Aus diesen
wenigen Beispielen wird bereits deutlich, dass unsere sozialen Interaktionen oftmals durch
Emotionen gekennzeichnet sind, ja dass diese Emotionen (wie etwa Freude, Stolz, Mitleid,
Ärger, Scham, Hass oder Liebe) unser Verhalten steuern.
Im vorliegenden Beitrag geht es um die Frage, wie soziales Verhalten durch Emotionen
beeinflusst wird. Hierbei sind zwei Begriffe zu definieren, nämlich der Begriff der Emotion
und der des sozialen Verhaltens. Zur Definition des Begriffs der Emotion verweise ich an
dieser Stelle auf andere Beiträge im gleichen Band (siehe zum Beispiel Stemmler, Kapitel 1).
Der Begriff des sozialen Verhaltens ist dagegen hier neu und zudem in der (Sozial-)
Psychologie sehr weit gefasst, mit teils auch recht unterschiedlichen Bedeutungen. Im
Folgenden grenzen wir daher den Zusammenhang zwischen Emotionen und sozialem
Verhaltens genauer ein, um dann anhand zweier verschiedener theoretischer Ansätze zu
untersuchen, inwiefern Emotionen bei der Steuerung solchen Verhaltens eine Rolle spielen.
Im sozialen Austausch zwischen Personen spielen Emotionen allein schon deshalb eine
bedeutsame Rolle, weil Emotionen (nicht unbedingt immer, aber oftmals) gezeigt und somit
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 3
(willentlich oder unwillentlich) kommuniziert werden. Dies ist so, weil es bei vielen
Emotionen einen charakteristischen mimischen Ausdruck gibt. Bereits Charles Darwin
(1872/1965) hat darauf hingewiesen, dass Emotionen neben einer so genannten
„organismischen“ auch eine kommunikative Funktion haben.
Mit organismischer Funktion von Emotionen meint Darwin diejenigen Wirkungen einer
Emotion, die einerseits „adaptiv“ sind (also einen Anpassungsvorteil darstellen) und
andererseits „nicht über den Umweg der Kommunikation psychischer Zustände an
Artgenossen zustande kommen“ (Meyer, Schützwohl, Reisenzein, 1999, S. 55; Hervorhebung
im Original). Ein Beispiel hierfür ist die Emotion der Überraschung, deren Ausdruck unter
anderem in einem weiten Öffnen der Augen, der Vergrößerung der Pupillen, dem Öffnen des
Mundes sowie der Unterbrechung anderer gerade ablaufender Handlungen oder Aktivitäten
besteht. Diese Merkmale des Ausdrucksverhaltens dienen der möglichst genauen
Wahrnehmung des auslösenden Ereignisses, das aufgrund seines unerwarteten Charakters
eine Ursachenanalyse erfordert (Meyer, Niepel, Rudolph & Schützwohl, 1991; Niepel,
Rudolph, Schützwohl & Meyer, 1993). Der Emotionsausdruck steht somit im Dienste dieser
Wahrnehmung und Ursachenanalyse – und eben solche Aspekte werden von Darwin unter
anderem als organismische Funktion bezeichnet. Eine weitere organismische Funktion des
Emotionsausdrucks ist Darwin zufolge die Regulation des eintretenden Gefühls: „Der freie
Ausdruck einer Emotion intensiviert sie. Auf der anderen Seite schwächt die Unterdrückung
aller äußeren Anzeichen (so weit dies möglich ist) unsere Emotionen ab.“ (Darwin,
1872/1965, S. 365).
Bei der kommunikativen Funktion von Emotionen hingegen kommt es gerade auf diejenigen
adaptiven Wirkungen des Emotionsausdruckes an, die durch die Kommunikation der Emotion
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Kap. 11, S. 4
an Artgenossen zustande kommen. Darwin erwähnt als Beispiel die Kommunikation (von
Emotionen) zwischen Mutter und Kind und weist darauf hin, dass der Ausdruck von
Emotionen die Gedanken und Absichten einer Person wahrheitsgetreuer enthüllen als Worte
es tun, die (leichter) gefälscht werden können (zusammenfassend siehe Eibl-Eibesfeldt,
1999).
Es wird somit deutlich, dass viele verschiedene soziale Interaktionen durch Emotionen
beeinflusst werden, und zwar allein deshalb, weil wir auf vielfältige Weise gänzlich
unterschiedliche Emotionen durch mimischen wie gestischen Ausdruck mitteilen, auf diese
Weise unsere Interaktionspartner informieren und beeinflussen, sowie im Gegenzug (anhand
der beim Interaktionspartner ausgelösten Emotionen) beeinflusst werden. Insofern gibt es
kaum soziale Interaktionen und soziales Verhalten, die nicht zumindest teilweise durch
Emotionen beeinflusst werden: Wir freuen uns über eine gute Nachricht, empfinden Mitleid
beim Bericht eines Freundes über ein Unglück, ärgern uns über die Unachtsamkeit eines
Mitreisenden im Zug, stoßen mit unserer Reaktion auf diese Unachtsamkeit vielleicht auf
Unverständnis und geraten in einen unerfreulichen Disput – es ließen sich unzählige solcher
Beispiele anführen.
Was ist nun eigentlich Verhalten? Gemäß einer möglichst weit gefassten Definition gehören
hierzu auch gedankliche Aktivitäten und Gefühlsregungen, spontane und unwillkürliche
Reaktionen, Reflexe, aber auch willentliches und geplantes Handeln. Heckhausen (1989)
spricht in diesem Zusammenhang von einem „Aktivitätsstrom“, dessen Äußerungen von
„Vorstellungsbildern reichen, die (...) durch das Bewusstsein ziehen, bis hin zu Handlungen,
die vorausgeplant sind und willentlich unternommen werden" (Heckhausen, 1989, S. 1).
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Dennoch ist es nicht dieses weite Feld, das wir untersuchen wollen, wenn es um den
Zusammenhang zwischen Emotionen und sozialem Verhalten geht. Dies liegt daran, dass wir
im vorliegenden Kontext ein etwas engeres Kriterium für den Begriff „Verhalten“ anlegen.
Das Verhalten, das uns im vorliegenden Zusammenhang interessiert, weist zwei Merkmale
auf: Zum einen handelt es sich um soziales Verhalten, das auf (mindestens) zwei
Interaktionspartner bezogen ist. Weiterhin interessiert uns insbesondere willentliches und
zielgerichtetes Verhalten. Dies bedeutet, dass es nicht unwillkürliche oder unbewusste
Reaktionen sind, die wir hier untersuchen werden, wie etwa der zumeist unwillkürliche
Ausdruck der Überraschung oder des Ekels, sondern vielmehr intentionale (also zielgerichtete
und willentliche) Verhaltensweisen, also Handlungen. Die Emotionsforschung hat in der
Vergangenheit wichtige Beiträge zur Erklärung verschiedener sozialer Verhaltensweisen
(Handlungen) geleistet; dies sind insbesondere (1) Hilfeverhalten (auch als prosoziales
Verhalten bezeichnet), (2) aggressives Verhalten, (3) Kooperation und Wettbewerb sowie (4)
enge (partnerschaftliche) Beziehungen zwischen Menschen.
Wie eine ganze Reihe von Autoren herausgestellt haben (vgl. Gergen, 1973; McGuire, 1973;
Schlenker, 1974; Goldman, 1993), gilt für alle diese sozialen Handlungen, dass sie zahlreiche
und in ihrer Verschiedenheit kaum zu überblickende Ursachen haben. So mögen wir
jemandem insbesondere dann helfen, wenn wir Mitleid empfinden, oder es mag Personen
geben, die aufgrund ihrer Persönlichkeit eher zu Hilfeleistung bereit sind als andere Personen.
Aber auch so unterschiedliche Variablen wie die Attraktivität der hilfsbedürftigen Person,
Merkmale der Situation, soziale Normen wie Fairness oder ein gegenseitiger Austausch (ich
helfe einer anderen Person dann mit höherer Wahrscheinlichkeit, wenn diese vorauslaufend
mir geholfen hat) sind sicherlich bedeutsame Einflussfaktoren (vgl. auch Bierhoff, 2002). Das
vorliegende Kapitel über Emotionen und soziales Verhalten stellt nicht den Versuch dar, eine
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Kap. 11, S. 6
umfassende Liste solcher Einflussfaktoren auf soziale Handlungen wie Hilfe und Aggression,
Kooperation und Wettbewerb sowie zwischenmenschliche Zuneigung zu erstellen. Die
resultierende Liste würde den verfügbaren Platz sprengen, und Brandstätter konstatiert in
diesem Zusammenhang eine "Zersplitterung der Forschungsergebnisse in eine
unüberschaubare, widersprüchliche und kaum integrierbare Menge von Befunden", die es zu
überwinden gilt (Brandstätter, 1990; S. 469).
Ein Überblick über die emotionalen Determinanten des sozialen Verhaltens soll an dieser
Stelle vielmehr anhand theoretischer Konzeptionen erfolgen: Theorien integrieren die
vorhandenen verfügbaren Daten, und die daraus ableitbaren Hypothesen leiten zukünftige
Forschung in dem fraglichen Gebiet an. Aus diesen Gründen beschäftigen wir uns im
Folgenden exemplarisch mit zwei verschiedenen theoretischen Ansätzen, die Hilfe und
Aggression, Kooperation und Wettbewerb sowie zwischenmenschliche Zuneigung
vorherzusagen versuchen und verschiedenste Befunde innerhalb eines kohärenten
theoretischen Rahmens integrieren. Dies ist zunächst ein kognitiver Ansatz, nämlich die
Theorie der Verantwortlichkeit von Weiner (1986, 1995, 2005a), sowie anschließend ein
evolutionärer Ansatz (für einen Überblick siehe beispielsweise Buss, 2004). Die Wahl gerade
dieser beiden theoretischen Zugänge zu den Phänomenen des sozialen Verhaltens bedeutet
nun keineswegs, dass sich damit bereits alle diese Phänomene erschöpfend erklären ließen
oder dass andere Ansätze zu vernachlässigen seien. Trotzdem ist diese Wahl keine zufällige:
Beide Theorien gehen von sorgfältigen und gut replizierbaren Beobachtungen aus, sie
beschreiben sowohl die unmittelbaren Ursachen als auch den Zweck sozialen Handelns, und
sie erklären eine große Bandbreite sozialen Verhaltens. Wenden wir uns also im Folgenden
diesen beiden -- und wie wir sehen werden -- sehr verschiedenartigen Ansätzen zu.
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2
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Eine kognitive Theorie sozialen Verhaltens: Weiners Theorie der
Verantwortlichkeit
Weiners Theorie der Verantwortlichkeit (1986, 1995) ist zugleich eine Emotionstheorie und
eine Theorie des sozialen Verhaltens, denn sie macht Vorhersagen über die Entstehung
bestimmter Emotionen sowie über die Konsequenzen dieser Emotionen für unser Verhalten.
Kennzeichnend für diesen theoretischen Ansatz ist die Überlegung, dass wahrgenommene
Ursachen (so genannte Attributionen) des eigenen Verhaltens sowie des Verhaltens anderer
Personen eine entscheidende Rolle für unser intra- wie interpersonales Erleben und Verhalten
spielen.
Ein Beispiel mag hier nützlich sein: Wenn die schlechte Leistung eines Schülers
kontrollierbare Ursachen hat (so etwa, weil der Schüler sich nicht bemüht hat, den Stoff zu
verstehen), dann werden die emotionalen Reaktionen des Lehrers und sein Verhalten anders
ausfallen, als wenn der Misserfolg des Schülers unkontrollierbaren Ursachen zuzuschreiben
ist (so etwa, wenn er aufgrund einer Krankheit zu viel Unterricht versäumt hat): Im ersten Fall
(der Schüler bemüht sich nicht) mag der Lehrer sich ärgern und möglicherweise auch Strafen
aussprechen, im letzteren Fall (der Schüler war lange krank) erscheint es wahrscheinlicher,
dass der Lehrer Mitleid empfindet und Hilfe anbietet. Auch wenn Sie, beispielsweise am
Arbeitsplatz, eine wichtige Aufgabe nicht erfolgreich bewältigen, macht es für Ihr Erleben
und Ihr Verhalten einen großen Unterschied, ob dieser Misserfolg beispielsweise auf
mangelnder Anstrengung beruht oder darauf, dass die Aufgabe ganz einfach zu schwierig
war. Im ersten Fall werden Sie sich womöglich schuldig fühlen und nachfolgend größere
Anstrengungen aufwenden, im letzteren Falle ärgern Sie sich möglicherweise über die zu
schwierige Aufgabenstellung und besprechen dies mit Ihrem Vorgesetzten. Diese Beispiele
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Kap. 11, S. 8
verdeutlichen, dass das gleiche Ereignis (Misserfolg) zu ganz verschiedenen Reaktionen
führen kann, und zwar in Abhängigkeit von den wahrgenommenen Ursachen dieses
Ereignisses.
An der attributionstheoretischen Betonung der wahrgenommenen Ursachen für nachfolgendes
Erleben und Verhalten ist zweierlei bemerkenswert: (1) Weil die wahrgenommenen Ursachen
(Attributionen) von Verhalten in diesem Ansatz eine so wichtige Rolle spielen, gehört die
Theorie Weiners zu einer Gruppe von Theorien, die man in der Literatur unter der
Bezeichnung Attributionstheorien zusammengefasst hat. (2) Da die Identifikation von
Ursachen ein kognitiver Prozess ist (der mit Wahrnehmung und Denken, im weitesten Sinne
also mit "Kognitionen" zu tun hat), sind alle Attributionstheorien, so auch die Weiner'sche
Theorie der Verantwortlichkeit, kognitive Theorien. Kausale Konzepte und Attributionen sind
nicht nur in der Emotionspsychologie (Lazarus, 1991; Ortony, Clore & Collins, 1988;
Scherer, 1984), sondern in nahezu allen Teilbereichen der Psychologie von großer Bedeutung,
so der Allgemeinen Psychologie, der Entwicklungs- und Sozialpsychologie, wie auch in
verschiedensten anwendungsbezogenen Disziplinen (Pädagogische, Klinische und
Organisations- und Gesundheitspsychologie).
Wir betrachten nun zum besseren Verständnis der Überlegungen Weiners zunächst einen
kurzen historischen Überblick zur Entwicklung der Attributionsforschung und wenden uns
dann der Weiner'schen Theorie der Verantwortlichkeit zu.
2.1
Grundlagen und Wurzeln
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Kap. 11, S. 9
Ausgangspunkt der Attributionstheorien ist die bahnbrechende Arbeit Fritz Heiders (1958)
zur "Psychologie der interpersonalen Beziehungen". Heider leistete in seinem Buch mehrere
Beiträge, die das Feld der Attributionsforschung überhaupt erst begründeten:
Naive Psychologie. Zum einen erkannte Heider, dass nicht nur Psychologen, sondern wir alle
– im positiven Wortsinne – "naive Theorien" über menschliches Verhalten haben: Menschen
sind Heider zufolge naive Wissenschaftler, die sowohl ihr eigenes Verhalten als auch das
Verhalten ihrer Mitmenschen gerne verstehen, vorhersagen und sicherlich oftmals auch
beeinflussen möchten. Dies bedeutet, dass es unbefriedigend wäre, Ereignisse – seien es
eigene Handlungsergebnisse (wie Erfolg und Misserfolg) oder die Handlungen anderer
Personen – nur zu beobachten und passiv hinzunehmen. Wenn wir beispielsweise eine
wichtige Aufgabe nicht bewältigen können, so würden wir gerne verstehen, warum wir
gescheitert sind. Nur wenn wir die Ursache dieses Ereignisses kennen, können wir ähnliche
Ereignisse in Zukunft vermeiden und kontrollieren. Diese Überlegungen Heiders (1958)
bilden das Fundament der Attributionstheorien, denn sie beinhalten ein ganz bestimmtes
Menschenbild, das des naiven Wissenschaftlers, das ein allgemeines Merkmal aller
attributionstheoretischen Ansätze ist. Darüber hinaus gilt, dass somit der Gegenstand der
Attributionstheorien in der wissenschaftlichen Analyse dieser naiven Theorien liegt:
Attributionstheorien sind wissenschaftliche Theorien über die alltäglichen Theorien von uns
allen (s. a. Kelley, 1992).
Naive Handlungsanalyse. Ein weiteres Verdienst Heiders besteht darin, dass er das
Augenmerk auf alltägliche Erklärungen des Verhaltens lenkte und somit den
Ursachenerklärungen eine sehr prominente Rolle für die Vorhersage unseres Erlebens und
Verhaltens zuwies. Im Rahmen seiner naiven Handlungsanalyse postulierte Heider (1958),
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Kap. 11, S. 10
dass insbesondere die Ursachen Begabung/Fähigkeit, Anstrengung, Aufgabenschwierigkeit
und Zufall in der Alltagspsychologie einen wichtigen Platz einnehmen. Zugleich lieferte
Heider (1958) eine Klassifikation dieser Ursachen, indem er darauf hinwies, dass Ursachen
sich hinsichtlich ihrer Lokation, Stabilität und Kontrollierbarkeit unterscheiden lassen.
Angesichts der Vielfalt unterschiedlicher Ursachen (vgl. auch Triandis, 1972) ist eine solche
Klassifikation ein wertvolles Instrument, da sie es erlaubt, verschiedene Ursachen und
Ursachenbezeichnungen nach bestimmten Kriterien zu ordnen und in funktional gleichwertige
Klassen einzuteilen. Die funktionelle Gleichwertigkeit verschiedener Ursachen ermöglicht es,
solche verschiedenen Ursachenzuschreibungen hinsichtlich ihrer gleichwertigen
Konsequenzen für das Erleben und Verhalten einer übergeordneten Klasse zuzuordnen und so
zusammenzufassen. Da die von Heider vorgeschlagenen Kriterien für eine Klassifikation von
Ursachen in der nachfolgenden Theorie Weiners eine wichtige Rolle spielen, betrachten wir
diese hier etwas genauer.
Die Kriterien zur Klassifikation von Ursachen wurden nachfolgend auch als
Kausaldimensionen bezeichnet (s. a. Rosenbaum, 1972). Die erste der von Heider (1958)
vorgeschlagenen Kausaldimensionen ist die Lokationsdimension. Diese Dimension gibt an,
ob eine Ursache in der (handelnden) Person oder ob eine Ursache eher in der Situation
(einschließlich anderer Personen) lokalisiert ist. In der Person liegende Ursachen (so etwa
Anstrengung oder Fähigkeit) werden als internale Ursachen bezeichnet. In der Situation
liegende Ursachen sind externale Ursachen, hierzu gehört die Aufgabenschwierigkeit (wie sie
etwa einem Schüler in der Klassenarbeit von außen, durch den Lehrer, zugewiesen wird).
Auch Zufall ist typischerweise eine externale Ursache, wie beispielsweise in Heiders oft
zitiertem Beispiel, bei dem ungünstige Winde und Strömungen einem Ruderer die Aufgabe
erschweren, den See zu überqueren.
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Kap. 11, S. 11
Die Kausaldimension Stabilität (über die Zeit hinweg) gibt an, ob eine gegebene Ursache
stabil und somit auch in Zukunft wirksam ist; Heider (1958) unterscheidet stabile versus
variable Ursachen. Hinsichtlich der vier von Heider genannten Ursachen
(Fähigkeit/Begabung, Anstrengung, Aufgabenschwierigkeit und Zufall) gilt, dass
Fähigkeit/Begabung und Aufgabenschwierigkeit eher stabil sind, während Anstrengung und
Zufall als variable Ursachen bezeichnet werden. Im Gegensatz zur Lokationsdimension, die
dichotomen Charakter hat, sind die zeitlichen Merkmale von Ursachen eher auf einem
Kontinuum anzuordnen: Ursachen können völlig stabil sein, wie im Falle einer hohen oder
geringen musikalischen Begabung, die einer Person „in die Wiege gelegt“ ist. Ursachen
können aber auch lediglich relativ stabil sein, denn eine Person kann ihre Fähigkeiten im
Gegensatz zu ihren Begabungen zumindest im Laufe der Zeit verändern, oder der Lehrer mag
im Laufe der Zeit erkennen, dass er die Schwierigkeit der von ihm gestellten Anforderungen
erhöhen oder senken sollte.
Die dritte von Heider (1958) postulierte Kausaldimension ist die der Kontrollierbarkeit. Diese
gibt an, inwiefern eine Ursache der willentlichen Kontrolle der Person unterliegt.
Aufgabenschwierigkeit, Zufall sowie Fähigkeit und Begabung sind eher unkontrollierbar,
während Anstrengung auch kurzfristigen willentlichen Veränderungen unterliegt und
kontrolliert werden kann.
Die genannten Kausaldimensionen sind zum einen ein wissenschaftliches Konzept zur
Klassifikation verschiedener Ursachen und als solches – wie wir noch sehen werden – haben
diese sich empirisch bewährt. Zum anderen sind diese Kausaldimensionen aber – und dies
folgt aus dem, was über Heiders Beitrag zur Attributionsforschung bereits gesagt wurde –
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 12
auch Bestandteil der naiven Theorien. Hierbei zeigt sich, dass die meisten Personen die hier
genannte Klassifikation verschiedener Ursachen anhand der Kausaldimensionen der Lokation,
Stabilität und Kontrollierbarkeit teilen. Zu beachten ist allerdings, und auch dies folgt aus
Heiders Überlegungen, dass es die subjektive Einschätzung verschiedener Ursachen ist, die
für das nachfolgende Erleben und Verhalten entscheidend ist: Zwei Personen können
beispielsweise bei der gleichen Erkrankung zu ähnlichen Ursachenzuschreibungen kommen,
diese aber doch verschieden bewerten: Beide Personen erfahren vom betreuenden Arzt, dass
schwerwiegende Herzprobleme auf falsche Ernährung und einen Mangel an Bewegung
zurückzuführen sind – und doch mag eine Person diese Ursachen als kontrollierbar erleben
und sich vornehmen, dies in Zukunft zu ändern, während die andere Person die gleiche
Ursache als unkontrollierbar wahrnimmt und nachfolgend keine Änderung des eigenen
Verhaltens zeigt. Wir kommen auf diese Unterscheidung zu einem späteren Zeitpunkt, bei der
Darstellung der Weiner’schen Theorie, noch zurück.
Ein weiterer wichtiger Schlüssel zum Verständnis der Weiner'schen Theorie ist deren
historischer Ausgangspunkt und der Bezug zu voraus gehenden Theorien der Emotion und
Motivation. Ausgangspunkt der Arbeiten von Bernard Weiner war Anfang der 70er Jahre das
Bemühen, eine Alternative zur Theorie der Leistungsmotivation von John Atkinson (bei dem
Weiner promovierte) zu entwickeln (s. a. Atkinson, 1964). Atkinsons
Leistungsmotivationstheorie ist eine Erwartungs-x-Wert Theorie, der zufolge für die
verfügbaren Handlungsalternativen eine Abwägung zwischen der Wahrscheinlichkeit einer
Zielerreichung einerseits und dem subjektiven Wert des fraglichen Ziels andererseits
vorgenommen wird. Im Gegensatz zu früheren Ansätzen in der Motivationsforschung wird
zudem auch angenommen, dass neben der Abwägung von Erwartung und Wert auch stabile
Persondispositionen (Motive) das Erleben von Emotionen und Verhalten bestimmen.
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 13
Atkinsons Konzeption kombiniert somit kognitive und hedonistische Überlegungen: Die
Theorie ist eine kognitive, weil subjektive Werte und Wahrscheinlichkeiten kognitiv
repräsentiert und verrechnet werden. Die Theorie ist eine hedonistische Konzeption, weil es
aus der Sicht der handelnden Person gilt, eigene positive Affekte zu maximieren und negative
Effekte zu minimieren.
Diese Ausgangslage der Motivationsforschung am Ende der 60er Jahre ist aus mehreren
Gründen für die nachfolgenden Attributionstheorien bedeutsam gewesen: Die Messung
überdauernder Motive als Persondispositionen, die unsere emotionalen Reaktionen und unser
Verhalten anleiten, ist zumindest im Rahmen der Atkinson'schen Theorie nicht befriedigend
gelöst worden (vgl. auch Heckhausen, 1989). Weitere Probleme ergeben sich aus der
Annahme eines Hedonismus, da es eine ganze Anzahl von Hinweisen gibt, dass menschliches
Verhalten nicht ausschließlich hedonistischen Prinzipien folgt. Die Attributionsforschung
ersetzte daher den kognitiv-hedonistischen Ansatz in der Leistungsmotivationsforschung
durch eine rein kognitive Theorie, in deren Rahmen der Mensch – wie bereits gesehen – als
naiver Wissenschaftler gesehen wird, der sich und seine Umwelt verstehen, vorhersagen und
kontrollieren möchte. Dieser Ansatz ist allein deshalb schon kein hedonistischer, weil die
kausale Analyse eigener Misserfolge beispielsweise auch schmerzvolle (und nur langfristig
wertvolle) Erkenntnisse erbringen mag (vgl. auch Försterling, 1985; Försterling & Rudolph,
1988).
Aufgrund der Tatsache, dass (als unbefriedigend empfundene) Konzepte der Theorie der
Leistungsmotivation der Ausgangspunkt der Attributionsforschung waren, ist es nicht
erstaunlich, dass sich diese zunächst der Erforschung leistungsmotivierten Verhaltens
zuwandte (Kukla, 1972; Weiner, Russell & Lerman, 1979), also der intrapersonalen
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Motivation. Mit Weiners Arbeiten zur Theorie der Verantwortlichkeit erfolgte dann ab den
80er Jahren eine zunehmende Anwendung attributionstheoretischer Überlegungen auf
soziales Verhalten, also auf den Bereich der interpersonalen Motivation.
2.2
Grundannahmen der Theorie
Im Mittelpunkt der Theorie der Verantwortlichkeit steht die Beschreibung einer ganz
bestimmten Abfolge von Kognition, Emotion und Handeln. Weiner nimmt an, und zwar im
Einklang mit vielen anderen Autoren, insbesondere auch aus der klinischen Psychologie (vgl.
auch Beck, 1967; Ellis, 1962; Ellis & Grieger, 1977; Meichenbaum, 1977), dass unser
Denken unsere Gefühle beeinflusst und dass unsere Gefühle wiederum unser Handeln
steuern.1 Weiner (1995) spricht hier von drei verschiedenen Prozessen, einem
Verantwortlichkeits-, einem affektiven und einem motivationalen Prozess. Der
Verantwortlichkeitsprozess – im Folgenden als kognitiver Prozess bezeichnet – spezifiziert
die Bedingungen von Zuschreibungen persönlicher Verantwortlichkeit. Die Wahrnehmung
unterschiedlicher Grade persönlicher Verantwortlichkeit wiederum führt zu unterschiedlichen
Emotionen – so etwa Stolz, Schuld, Scham, Ärger, Mitleid und Dankbarkeit – die im
affektiven Prozess beschrieben werden. Und schließlich spezifiziert der motivationale Prozess
die Verbindung zwischen den genannten Emotionen und unserem sozialen Handeln, wobei
hierbei insbesondere Hilfe und Aggression im Mittelpunkt der theoretischen und empirischen
Analyse stehen. Wir untersuchen nun zunächst einen der wichtigsten Ausgangspunkte der
Theorie, nämlich: Warum eigentlich erscheint es sinnvoll, das Konzept der Verantwortlichkeit
zur Grundlage einer Theorie des sozialen Verhaltens zu machen? Nachfolgend wenden wir
uns dann den einzelnen Teilprozessen der Weiner'schen Theorie zu.
Rudolph: Soziales Verhalten
2.2.1
Kap. 11, S. 15
Die Bedeutung des Konzepts der Verantwortlichkeit für soziales Handeln
Beginnen wir mit einer Reihe von vermutlich zunächst willkürlich erscheinenden empirischen
Fakten: (1) Bei bestimmten Krankheiten oder Handicaps (so genannten Stigmata) ist die
Hilfsbereitschaft potentieller Spender höher ausgeprägt als bei anderen Stigmata. Weiner,
Perry und Magnusson (1988) beispielsweise fanden eine wesentlich höhere Hilfsbereitschaft
im Falle von Stigmata wie der Alzheimer'schen Erkrankung, Querschnittlähmung oder
Erblindung als beispielsweise bei Alkoholmissbrauch, einer HIV-Infektion oder
Kindesmissbrauch. (2) Juvonen und Murdoch (1993) berichten, dass jugendliche Schüler den
Eltern und Lehrern vorwiegend mitteilen, eigene Misserfolge seien auf einen Mangel an
Fähigkeit zurückzuführen, während sie gegenüber ihren Altersgenossen vorwiegend auf einen
Mangel an Anstrengung als Ursache für Misserfolge verweisen. Ferner zeigt sich, dass
negative Reaktionen seitens der Eltern und Lehrer (wie etwa Strafe) viel wahrscheinlicher
sind, wenn Anstrengungsmangel als Ursache wahrgenommen wird. (3) Übergewicht, das auf
falsche Ernährung und Bewegungsmangel zurückgeführt wird, führt zu deutlich negativeren
Reaktionen als Übergewicht, das auf einer körperlichen Fehlfunktion basiert (deJong, 1980).
(4) Personen, die eine HIV-Infektion aufgrund risikoreichen sexuellen Verhaltens haben,
erhalten deutlich negativere Reaktionen als Personen, deren HIV-Infektion auf eine
verunreinigte Blutkonserve zurückgeht (Graham et al., 1993). (5) Die gesetzliche Strafe für
vorsätzlichen Mord (und dies gilt für die weitaus meisten Rechtssysteme dieser Welt) ist
deutlich höher als für eine Tötung im Affekt (Totschlag).
Dies ist nur eine kleine Auswahl an oftmals replizierten empirischen Fakten. Diese Beispiele
haben zwei gemeinsame Merkmale: Positives soziales Verhalten (Hilfe) und negatives
soziales Verhalten (Strafe und Aggression) variieren. Ferner variiert in allen Beispielen die
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 16
wahrgenommene Verantwortlichkeit der beteiligten Personen. Die Reaktionen anderer
Personen (seien es potentielle Spendengeber, Eltern, Lehrer, Freunde, Richter oder
Zeitungsleser) sind hierbei umso ungünstiger, je höher die wahrgenommene
Verantwortlichkeit ist, sei es im Falle einer Notlage oder im Falle einer Regelverletzung der
betreffenden Person. Es ist also offensichtlich, dass die Wahrnehmung von
Verantwortlichkeit in vielen verschiedenen Bereichen des sozialen Lebens entscheidend für
die Reaktionen von Menschen sind. Warum ist dies so? Um dies zu verstehen, untersucht
Weiner zunächst den Prozess der Zuschreibung von Verantwortlichkeit und nachfolgend
dessen Auswirkungen auf (soziale) Emotionen und soziales Verhalten.
2.2.2
Der kognitive Prozess: Die Zuschreibung von Verantwortlichkeit
Im Einklang mit dem Menschenbild der Attributionstheorie wird angenommen, dass
Menschen nach den Ursachen von Ereignissen suchen. Weiner (1995) zeigte, dass dies
insbesondere bei Ereignissen der Fall ist, die wichtig, negativ oder unerwartet sind. Trotz der
Ähnlichkeit der Begriffe der Verantwortlichkeit und der Kontrollierbarkeit haben wir es hier
jedoch mit verschiedenen Konzepten zu tun: Wie bereits gesehen, ist Kontrollierbarkeit eine
Ursachendimension, also demzufolge das Merkmal einer Ursache. Verantwortlichkeit, im
Gegensatz hierzu, ist das Merkmal einer Person. Für eine Verantwortlichkeitszuschreibung
müssen nach Weiner (1996) drei Kriterien erfüllt sein: (1) Es muss persönliche Kausalität
vorliegen: Es ist die Person, die das Ereignis verursacht, im Sinne einer internalen Attribution
sensu Heider. (2) Diese internale Ursache muss kontrollierbar sein, was beispielsweise für
Anstrengung, nicht aber für Begabung gilt. (3) Und schließlich müssen mildernde Umstände
abwesend sein.
Kap. 11, S. 17
Rudolph: Soziales Verhalten
Zwei Dinge sind hierbei zu beachten: Zum einen sind die hier skizzierten Kriterien für eine
Verantwortlichkeitszuschreibung sicherlich sinnvoll und werden auch oftmals angewandt –
wenngleich Menschen hier durchaus auch Fehler machen können. Ein Beispiel hierfür ist der
„fundamentale Attributionsfehler“ (Ross & Nisbett, 1991), demzufolge Einflüsse der
Situation von Beobachtern oftmals deutlich unterschätzt werden. Zum anderen ist eine
Verantwortlichkeitszuschreibung keine dichotome Entscheidung ("ja" versus "nein"), sondern
es sind unterschiedliche Abstufungen möglich, was im Übrigen auch der Operationalisierung
dieses Konzeptes in den vorliegenden Untersuchungen entspricht.
2.2.3 Der affektive Prozess: Die Entstehung von Ärger, Mitleid, Scham und Schuld
In Abhängigkeit von verschiedenen Ereignissen und nachfolgenden
Verantwortlichkeitszuschreibungen resultieren der Theorie zufolge unterschiedliche
Emotionen. Die Theorie Weiners teilt dieses Merkmal mit anderen kognitiven
Einschätzungstheorien wie etwa den Konzeptionen von Meinong (1895, 1906), Lazarus
(1999) oder Ortony et al. (1988). Tabelle 1 gibt einen Überblick zu Weiners Annahmen über
die Entstehung der Emotionen Scham, Schuld, Ärger und Mitleid. Hierbei sind zwei Fälle zu
unterscheiden: Zum einen entstehen Emotionen bei der handelnden Person, zum Beispiel bei
dem Schüler, der bei einer wichtigen Arbeit Misserfolg hat und nachfolgend verschiedene
Verantwortlichkeitszuschreibungen vornehmen kann. Zum anderen entstehen Emotionen bei
anderen Personen, so etwa dem Lehrer oder den Eltern des Schülers, die den Misserfolg
wahrnehmen und nachfolgend ebenfalls unterschiedliche Verantwortlichkeitszuschreibungen
vornehmen.
----- Tabelle 1 -----
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 18
Gemäß den Vorhersagen der Weiner'schen Theorie wird die handelnde Person (in unserem
Beispiel: der Schüler) mit höherer Wahrscheinlichkeit Schuld empfinden, wenn sie sich für
den Misserfolg verantwortlich fühlt, zum Beispiel aufgrund mangelnder Anstrengung als
wahrgenommener Ursache. Die handelnde Person wird dagegen eher Scham empfinden,
wenn sie den Misserfolg auf unkontrollierbare Ursachen zurückführt, zum Beispiel auf
mangelnde eigene Fähigkeit. Die beobachtende Person (in unserem Beispiel der Lehrer des
Schülers) wird mit höherer Wahrscheinlichkeit Ärger empfinden, wenn er dem Schüler
Verantwortlichkeit für den Misserfolg zuschreibt (Beispiel: mangelnde Anstrengung). Die
beobachtende Person sollte dagegen eher Mitleid empfinden, wenn sie schlussfolgert, dass der
Schüler für diesen Misserfolg nicht verantwortlich ist.
2.2.4
Der motivationale Prozess
Zuschreibungen von Verantwortlichkeit und die daraus resultierenden Emotionen haben
Weiner zufolge großen Einfluss auf das soziale Handeln. Verschiedene Arten des sozialen
Verhaltens, die durch Verantwortlichkeitszuschreibungen und Emotionen beeinflusst werden,
sind bislang empirisch untersucht worden; dies sind (1) prosoziales und antisoziales Verhalten
(Hilfe und Aggression), (2) soziale Sanktionen (Lob und Tadel sowie die Zumessung von
Strafen oder Belohnungen), (3) die sozial-kommunikativen Funktionen von Emotion und
Handeln sowie (4) Entschuldigungen und Rechtfertigungen voraus gehender Handlungen mit
dem Ziel einer Verantwortlichkeitsreduktion. Im Folgenden fassen wir den Forschungsstand
für diese verschiedenen Teilbereiche des sozialen Handelns jeweils zusammen.
2.3
Empirische Überprüfungen der Theorie Weiners
Kap. 11, S. 19
Rudolph: Soziales Verhalten
2.3.1
Hilfe und Aggression
Im Rahmen von zwei Metaanalysen haben Rudolph, Roesch, Greitemeyer und Weiner (2004)
alle verfügbaren Studien in den Bereichen Hilfeleistung und Aggression zusammengefasst, in
denen Attributionen für eine Hilfsbedürftigkeit oder eine aggressive Handlung, entsprechende
Emotionen (Ärger oder Mitleid) und/oder eine entsprechende Handlung (Hilfe oder
Aggression) erfasst wurden. Insgesamt gingen in diese Analyse 64 Studien mit mehr als
12.000 Probanden ein. Im Rahmen dieser Analysen wurden verschiedene theoretische
Modelle zum Zusammenhang zwischen Kognition, Emotion und Verhalten überprüft; zwei
dieser Modelle sind in Abbildung 1 dargestellt. In Modell 1 beeinflussen
Verantwortlichkeitszuschreibungen die Emotionen Ärger und Mitleid und diese wiederum das
Verhalten (Hilfe beziehungsweise Aggression). Modell 2 weist nur einen Unterschied zu
Modell 1 auf, da hier zusätzlich auch direkt die Verantwortlichkeitszuschreibungen das
Verhalten beeinflussen.
------Abbildung 1 -------
Im Rahmen der Metaanalysen für Hilfe und Aggression wurde zudem der Einfluss (1)
kultureller Variablen (anhand von Daten aus verschiedensten Kulturen) und (2) der Einfluss
methodischer Merkmale der jeweiligen Untersuchungen untersucht. Schließlich wurde auch
(3) geprüft, ob die Ergebnisse unterschiedlich ausfallen, wenn entweder
Gedankenexperimente durchgeführt oder tatsächliches (helfendes beziehungsweise
aggressives) Verhalten untersucht wurden. Diese verschiedenen Variablen haben keinerlei
Einfluss auf die Ergebnisse, die daher zusammenfassend in Tabelle 2 dargestellt sind.
Kap. 11, S. 20
Rudolph: Soziales Verhalten
------- Tabelle 2 -------
Tabelle 2 zeigt die Pfadkoeffizienten für die beiden genannten Modelle. Für Hilfeverhalten
zeigt sich ein starker Zusammenhang zwischen Zuschreibungen von Verantwortlichkeit
einerseits und Mitleid (beta = -0,45) sowie Ärger (beta = 0,52) andererseits. Weiterhin
kovariiert Mitleid mit Hilfe (beta = 0,38), während Ärger Hilfe nur in geringem Maße
vorhersagt (beta = -0,08). Aufgrund der Tatsache, dass der direkte Einfluss von
Verantwortlichkeitszuschreibungen auf Hilfe nur gering (negativ) ausgeprägt ist, zeigt Modell
1 (ohne direkte Verbindung zwischen Kognition und Verhalten) für Hilfeverhalten eine
bessere Anpassung an die verfügbaren Daten. Für Aggression finden wir einen negativen
Zusammenhang zwischen Zuschreibungen von Verantwortlichkeit und Mitleid (beta = -0,35)
sowie einen positiven Zusammenhang in Bezug auf Ärger (beta = 0,61). In beiden Modellen
reduziert ein höheres Ausmaß an Mitleid das aggressive Verhalten (beta = -0,29), während
Ärger aggressives Verhalten wahrscheinlicher werden lässt (beta = 0,43). Zusätzlich findet
sich für aggressives Verhalten ein bedeutsamer direkter Einfluss von
Verantwortlichkeitszuschreibungen auf das Verhalten (beta = 0,17). Aus diesem Grunde gilt,
dass Modell 2 für Aggression eine höhere Anpassungsgüte zeigt.
Insgesamt erweist sich Weiners Theorie der Verantwortlichkeit aufgrund dieser großen
Datenmenge im Bereich von Hilfe und Aggression als sehr gut bestätigt. Bestimmte Details
der metaanalytischen Auswertung sollten darüber hinaus Anlass zu weiterer Forschung geben.
Insbesondere ist die Frage zu klären, warum aggressives Verhalten im Gegensatz zu
Hilfeverhalten in höherem Maße (genauer gesagt: zusätzlich auch) kognitiv vermittelt ist.
Weiterhin erweist sich prosoziales Verhalten ganz überwiegend von positiven Emotionen
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 21
(Mitleid), nicht aber von negativen Emotionen (Ärger) beeinflusst, während aggressives
Verhalten gleichermaßen von positiven wie negativen Emotionen bestimmt ist.
Zu beachten ist allerdings, dass aggressives Verhalten im Rahmen dieser Theorie
ausschließlich als reaktive Aggression untersucht wurde, wenn also eine aggressive Reaktion
auf ein Verhalten des Interaktionspartners gezeigt wird, das subjektiv als negativ oder als
Provokation erlebt wird (siehe auch Rudolph, 2003). Wir kommen auf diesen Punkt im letzten
Abschnitt dieses Beitrages zurück.
2.3.2
Soziale Sanktionen: Loben und Belohnen, Tadeln und Strafen
Erste Studien zu sozialen Sanktionen wurden im Leistungskontext bereits Anfang der 70er
Jahre durchgeführt. Beispielhaft sei hier die Studie von Weiner und Kukla (1970) genannt, bei
der die Versuchspersonen Beschreibungen von Studierenden erhielten, die eine Prüfung mit
unterschiedlichen Ergebnissen (von klarem Misserfolg bis klarem Erfolg) absolviert hatten.
Zusätzlich wurden die Probanden über die voraus gehenden Ursachen dieser Resultate
informiert; hierbei gab es vier Bedingungen: Das Prüfungsergebnis basierte entweder auf
hoher Fähigkeit und hoher Anstrengung, auf hoher Fähigkeit und geringer Anstrengung, auf
geringer Fähigkeit und hoher Anstrengung, oder der Prüfungskandidat verfügte weder über
hohe Fähigkeit noch hatte er hohe Anstrengung aufgewendet. Die Versuchsteilnehmer sollten
sich in die Rolle des Lehrers versetzen und angeben, ob sie die betreffende Person loben oder
tadeln würden. Die sozialen Sanktionen variieren nun beträchtlich mit dem Prüfungsergebnis:
Positive Leistungen sind generell in höherem Maße mit Lob, schlechte Leistungen mit Tadel
assoziiert. Darüber zeigt sich, dass Lob ausgeprägter und Tadel weniger ausgeprägt ist, wenn
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 22
hohe Anstrengung vorliegt, insbesondere auch dann, wenn die Fähigkeit des
Prüfungskandidaten eher gering ist.
In einer ähnlichen Studie erfasste Karasawa (1991) zudem wahrgenommene
Verantwortlichkeit, Ärger und Mitleid für verschiedene Misserfolgsbedingungen, bei denen
Misserfolg entweder auf kontrollierbaren oder nicht kontrollierbaren Ursachen basierte. Es
zeigt sich, dass Kritik und andere negative Sanktionen dann vorgenommen werden, wenn
Verantwortlichkeit als hoch wahrgenommen wird. In diesem Fall ist die Ausprägung von
Mitleid niedrig und die von Ärger hoch.
Diese Befunde werden auch durch Felduntersuchungen gestützt, welche die Entscheidungen
von Jurys in Strafrechtsprozessen untersucht haben. In einem Überblick über die verfügbaren
Daten kommt Carroll (1979) zu dem Schluss, dass Intentionalität (wurde das Verbrechen
absichtlich begangen) und Verantwortlichkeit die bei weitem besten Prädiktoren für die
Zuerkennung des Strafmaßes bei Jury-Mitgliedern sind. Ähnliche Befunde (auch unter
Einbeziehung der Stabilitätsdimension) berichten Carroll und Payne (1977) für die
Entscheidungen über mögliche Bewährungsauflagen bei Straftätern.
Ziehen wir eine erste Zwischenbilanz: Die hier berichteten Studien legen nahe, dass soziale
Sanktionen in hohem Maße von Verantwortlichkeitszuschreibungen abhängig sind: Je größer
die wahrgenommene Verantwortlichkeit für einen Misserfolg, desto weniger Mitleid und
desto mehr Ärger resultieren, und desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass Kritik und
Strafe ausgesprochen werden. Je geringer dagegen die wahrgenommene Verantwortlichkeit,
desto wahrscheinlicher werden Mitleid und Hilfe im Gegensatz zu Ärger sowie Kritik und
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 23
Strafe. Eine Vielzahl empirischer Studien hat diese Zusammenhänge bestätigt (einen
Überblick gibt Weiner, 1996).
2.3.4
Die informierenden Funktionen von Emotionen und Verhalten
Bislang haben wir in unserer Übersicht die Sequenz von Kognition zu Emotion zum Handeln
betrachtet, und hierbei insbesondere die handlungsmotivierenden Effekte von Emotionen wie
Mitleid und Ärger. Wir wenden uns nun zwei Phänomenen zu, die verdeutlichen, dass sowohl
Emotionen als auch soziale Sanktionen eine informierende Funktion haben; Meyer et al.
(2003, S. 121-122) bezeichnen dies auch als sozial-kommunikative Funktion, die aus Weiners
Theorie ableitbar ist.
Wenn die bisher dargestellten Annahmen der Weiner'schen Theorie richtig sind, dann
existieren bestimmte Verknüpfungen zwischen Kognition, Emotion und Verhalten, und diese
Verknüpfungen sind demzufolge auch Bestandteil der naiven Alltagspsychologie. Wenn dies
zutrifft, so informieren sowohl Emotionen als auch soziale Handlungen über Kognitionen.
Meyer und Mitarbeiter (2002) geben hierzu das Beispiel eines Lehrers, der auf den Misserfolg
eines Schülers mit Mitleid reagiert: In diesem Fall sollte die emotionale Reaktion des Lehrers
dem Schüler mitteilen, dass der Lehrer den Schüler nicht für den Misserfolg verantwortlich
macht – dem Schüler wird beispielsweise nahe gelegt, dass der Misserfolg in den Augen des
Lehrers auf mangelnde Begabung oder Fähigkeit zurückzuführen ist. Ärger hingegen sollte
dem Schüler mitteilen, dass der Lehrer die Ursachen des Misserfolgs in kontrollierbaren
Ursachen sieht und den Schüler für diesen Misserfolg verantwortlich macht.
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 24
Eine empirische Bestätigung dieser Annahmen findet sich erstmals bei Weiner, Graham,
Stern und Lawson (1982). Die Probanden sollten sich in dieser Studie vorstellen, ein Lehrer
reagiere auf den Misserfolg seines Schülers mit einer von fünf Emotionen, nämlich Ärger,
Mitleid, Überraschung, Schuldgefühlen oder Traurigkeit. Aufgabe der Versuchspersonen war
es, Angaben über die Ursachenzuschreibungen des Lehrers zu machen. Im Einklang mit den
Hypothesen zeigte sich, dass aus einer ärgerlichen Reaktion ganz überwiegend auf
Attributionen auf kontrollierbare Ursachen, zum Beispiel Anstrengungsmangel, geschlossen
wurde. Bei einer Mitleid-Reaktion wurde dagegen am häufigsten eine Attribution auf
Fähigkeitsmangel vorgenommen, während Schuldgefühle seitens des Lehrers als Indikator
eines schlechten Unterrichtes gewertet wurden.
Diese Befunde gehen über die eingangs dargestellten, von Darwin angenommenen
kommunikativen Funktionen von Emotionen weit hinaus: Die Emotion ist nicht länger nur
selbst Gegenstand der (beispielsweise mimisch vermittelten) Kommunikation, sondern
darüber hinaus werden auch die kognitiven Schlussfolgerungen desjenigen kommuniziert, der
diese Emotion zeigt. Dies bedeutet, dass eine auf emotionalem Wege vermittelte indirekte
Rückmeldung geringer Fähigkeit durch Mitleid sowie auch eine Rückmeldung hoher
Fähigkeit durch Ärger möglich ist. Rustemeyer (1984) hat darüber hinaus gezeigt, dass solche
Fähigkeitsrückmeldungen, die auf diese Weise indirekt und möglicherweise auch
unbeabsichtigt mitgeteilt werden, unter bestimmten Bedingungen auch vom
Kommunikationspartner (in diesem Falle: dem Schüler) übernommen werden und so dessen
Selbstkonzept und sein Verhalten beeinflussen.
Meyer (1984) hat diese Überlegungen aufgegriffen und weiter systematisiert, indem er den
Informationswert von Lob und Tadel genauer untersuchte. Im Fokus der Aufmerksamkeit
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 25
steht somit nicht der Informationswert emotionaler Reaktionen, sondern der Informationswert
bestimmter sozialer Sanktionen wie Lob und Tadel. In einer Serie von Experimenten hat
Meyer (zsf. siehe Meyer, 1984) mögliche paradoxe Wirkungen von Lob und Tadel
aufgezeigt: Zunächst einmal zeigt sich, dass Lob vor allem für hohe Anstrengung und in viel
geringerem Maße für hohe Fähigkeit ausgesprochen wird. Des Weiteren ist auch Tadel
überwiegend anstrengungsabhängig, weil beispielsweise Lehrer oder Vorgesetzte viel seltener
die geringe Fähigkeit, wohl aber die mangelnde Anstrengung von Schüler oder Mitarbeitern
tadeln. Daraus ergeben sich paradoxe Effekte sozialer Sanktionen wie Lob und Tadel: Lob bei
einer einfachen Aufgabe führt zu Schlussfolgerungen, die eigenen Fähigkeiten seien eher
gering, während Tadel bei schwierigen Aufgaben den Getadelten schlussfolgern lässt, seine
Fähigkeiten seien vergleichsweise hoch. Dies gilt bereits für Kinder ab einem Alter von 10 bis
12 Jahren, wie Leon-Villagra, Meyer und Engler (1990) gezeigt haben: Offensichtlich sind
Kinder ab diesem Alter in der Lage, die entsprechenden Schlussfolgerungen vorzunehmen.
2.3.5 Entschuldigungen und Rechtfertigungen
Weiner (1996) sieht Entschuldigungen als Strategien an, die geeignet sind, die
Verantwortlichkeitszuschreibungen seitens anderer Personen zu beeinflussen. In einer
empirischen Arbeit hierzu stellen Weiner, Graham, Peter und Zmuidinas (1991) fest, dass
Entschuldigungen zu etwa 75% im persönlichen Kontext, also unter Freunden und in
partnerschaftlichen Beziehungen und weitaus seltener im Leistungskontext vorgebracht
werden. Folkes (1982) sowie Weiner, Amirkhan, Folkes und Verette (1987) zeigen weiterhin,
dass nur ein geringer Teil vorgebrachter Entschuldigungen nicht geglaubt wird (um 10%).
Dagegen geben Personen, die über den Wahrheitsgehalt ihrer Entschuldigungen befragt
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 26
wurden, in etwa 50% der Fälle an, dass ihre Entschuldigungen nicht der Wahrheit
entsprechen.
Die Annahme, dass Entschuldigungen oftmals eine der Strategien zur Reduktion von
Verantwortlichkeit sind, wird durch Daten von Weiner, Figuera-Munoz und Kakihara (1991)
gestützt. In dieser Studie wurden die Probanden gebeten, sich an eine selbst vorgebrachte
Entschuldigung zu erinnern; weiterhin sollten sie angeben, was der tatsächliche Grund für das
Fehlverhalten gewesen sei. Interessant sind hierbei insbesondere wahre Ursachen, die im
Rahmen der Entschuldigung verschwiegen, sowie vorgebrachte Entschuldigungen, die nicht
wahr sind. Der am häufigsten wahre Grund für ein Fehlverhalten (zum Beispiel: ein
Versprechen oder eine Verabredung nicht einhalten) war schlichtweg "Absicht", eine
Ursache, die natürlich persönliche Verantwortlichkeit impliziert. Diese Ursache war zugleich
diejenige, die am seltensten tatsächlich berichtet wurde (in 10% der Fälle). Im Gegensatz
dazu sind praktisch alle unwahren, aber vorgebrachten Entschuldigungen Verweise auf
unkontrollierbare Ursachen, die eine persönliche Verantwortlichkeit und nachfolgend
negative Emotionen reduzieren oder gänzlich verhindern. In der hier genannten Studie sind
dies 96% der als Entschuldigung explizit genannten Ursachen, Beispiele sind Krankheit oder
unentrinnbare und unvorhersehbare Verpflichtungen.
Die bislang hier zusammen gefassten Befunde sprechen dafür, dass Entschuldigungen
tatsächlich Strategien zur Reduktion von Verantwortlichkeit sind, sie sagen jedoch nichts
darüber aus, ob diese Entschuldigungen die gewünschten Dienste tatsächlich leisten und das
soziale Gefüge positiv beeinflussen.
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 27
Dieser Frage sind Weiner et al. (1987) in weiteren Studien nachgegangen. In einer ersten
Studie hatten die Probanden anzugeben, wie es sich ihrer Meinung nach – also aus der
Perspektive der sich entschuldigenden Person – auswirken würde, wenn die zurückgehaltene
wahre Ursache entdeckt würde. Es zeigten sich hoch signifikante negative Auswirkungen auf
die Beziehung der Interaktionspartner, auf das Image der sich entschuldigenden Person und
auf die Verantwortlichkeit für das zu entschuldigende Fehlverhalten. Weiterhin nahmen die
Probanden an, dass der Interaktionspartner in hohem Maße negative Emotionen (insbesondere
Ärger) erleben würde. Alle diese Variablen – Beziehungsqualität, Image,
Verantwortlichkeitszuschreibung und negative Emotionen seitens des Interaktionspartners –
sind dagegen deutlich im positiven Bereich, wenn die Probanden annehmen, den wahren
Grund für das Fehlverhalten erfolgreich zu verschleiern.
In einer zweiten Studie überprüften Weiner und Mitarbeiter (1987) die tatsächlichen
Auswirkungen guter versus schlechter Entschuldigungen beim Interaktionspartner. Eine
Hälfte der Probanden wurde gebeten, für eine experimentell herbeigeführte Verspätung
entweder eine "gute" oder eine "schlechte" Entschuldigung vorzubringen (die Probanden
erhielten keinerlei Instruktion darüber, was eine gute oder schlechte Entschuldigung sei). Die
andere Hälfte der Probanden hörte sich diese Entschuldigung an und sollte Angaben zu den
eigenen Emotionen, Merkmalen des (verspäteten) Interaktionspartners sowie zur erwarteten
Qualität zukünftiger Interaktionen machen. Im Falle der "guten" Entschuldigungen, die
ausnahmslos eine Reduzierung von Verantwortlichkeit beinhalteten, berichteten die
Kommunikationsempfänger über ein höheres Ausmaß eigener positiver Emotionen, sie
beurteilten den Interaktionspartner positiver, und sie erwarteten zudem in höherem Maße
positive zukünftige Interaktionen. Gute Entschuldigungen sind somit (in den Worten
Weiners) "erfolgreiche Täuschungen", die geeignet sind, beim Interaktionspartner sowohl die
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 28
wahrgenommene Verantwortlichkeit als auch die Wahrscheinlichkeit negativer sozialer
Konsequenzen zu reduzieren.
Es gibt einige Untersuchungen, die diese Überlegungen auch in konkreten Situationen
überprüft haben. So berichten Felson und Ribner (1981), dass Personen, die wegen
Gewalttätigkeit gegen andere verurteilt wurden, in den weitaus meisten Fällen angeben, dies
aus Gründen der Selbstverteidigung getan zu haben. Pollock und Hashmall (1991) prüften
weiterhin die psychiatrischen Gutachten über Personen, die wegen sexueller Belästigung von
Kindern verurteilt worden waren. Trotz der vorliegenden Beweise gaben 21% dieser Personen
an, dass die Anschuldigungen falsch seien, in 35% der Fälle behaupteten die Täter, die
Handlungen seien nicht sexueller Natur gewesen, und in 36% der Fälle wurde angegeben,
sexuelle Handlungen mit Kindern seien entweder nicht verwerflich oder hätten im
Einverständnis mit den Kindern stattgefunden. Zusätzlich sagten 22% der Verurteilten, die
Initiative sei vom Kind ausgegangen, und 48% machten mildernde Umstände geltend (so
etwa Trunkenheit oder Stress). In 38% der Fälle verwiesen die Täter darauf, selbst als Kind
missbraucht worden zu sein.
Es sind verschiedene Strategien der Verantwortlichkeitsreduktion, die hier zum Tragen
kommen und die in Einklang mit den theoretischen Überlegungen stehen: (1) Die Handlung
selbst oder deren negativer Charakter wird geleugnet; (2) die Situation wurde vom Kind
initiiert und legt daher eine externale Attribution nahe; (3) der Verweis auf mildernde
Umstände (verschiedenster Art) schließlich impliziert Attribution auf unkontrollierbare
Ursachen.
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 29
Abschließend soll die Frage untersucht werden, wie sich die Verwendung und Wahrnehmung
von Entschuldigungen im Kindesalter entwickelt. Weiner und Handel (1985) fanden, dass
Kinder im Alter von 5 bis 7 Jahren sich der negativen Implikationen "schlechter
Entschuldigungen" (die keine Verantwortlichkeitsreduktion bewirken) nicht so bewusst sind
wie bereits 8 bis 12 Jahre alte Kinder. Entsprechend zeigt diese jüngste Altersgruppe eine
vergleichsweise hohe Wahrscheinlichkeit, im Rahmen von Entschuldigungen auch auf
kontrollierbare Ursachen zu verweisen. Graham, Weiner und Benesh-Weiner (1997) haben
weiterhin aggressive (verhaltensauffällige) mit einer Kontrollgruppe nicht aggressiver Kinder
verglichen. Die Daten zeigen, dass aggressive Kinder bei Entschuldigungen in geringerem
Maße auf unkontrollierbare Ursachen verweisen. Weiterhin zeigen aggressive Kinder ein
geringer ausgeprägtes Verständnis für den Zusammenhang zwischen eigener
Verantwortlichkeit und möglichen ärgerlichen Reaktionen bei anderen. Beide Befunde sind
ein Hinweis darauf, dass aggressive Kinder zwar einerseits ehrlicher sein könnten,
andererseits aber weniger motiviert oder in der Lage sind, die sozialen Konsequenzen
entsprechender Mitteilungen in Betracht zu ziehen.
2.4
Bewertung der Theorie
Weiners Theorie der Verantwortlichkeit ist eine kognitive attributionale Theorie, in deren
Rahmen die kognitiven Voraussetzungen von Emotionen sowie deren Konsequenzen
insbesondere für das soziale Verhalten spezifiziert werden. Im einzelnen erfolgt (1) eine
detaillierte Analyse derjenigen Prozesse, die zu Verantwortlichkeitszuschreibungen führen,
(2) die Implikationen dieser Zuschreibungen von Verantwortlichkeit für verschiedene
Emotionen (insbesondere Scham und Schuld sowie Mitleid und Ärger) wird herausgearbeitet,
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 30
und schließlich (3) macht die Theorie Aussagen über verschiedene Aspekte und Bereiche des
sozialen Verhaltens.
Ein großer Vorteil der Theorie ist sicherlich darin zu sehen, dass die Anzahl der getroffenen
Annahmen in einem selten günstigen Verhältnis steht zur Bandbreite sehr unterschiedlicher
sozialer Handlungen, die vorhergesagt werden: Wie wir gesehen haben, beweist dieser Ansatz
Gültigkeit für sehr unterschiedliche Verhaltensbereiche:
-
Hilfe und (reaktive) Aggression in jeweils sehr unterschiedlichen Varianten von
helfendem und aggressiven Verhalten (zsf. siehe Rudolph & Six-Materna,
2005);
-
soziale Sanktionen wie Lob und Belohnung sowie Tadel und Strafe, im
pädagogischen wie im juristischen Kontext;
-
sozialkommunikative Funktionen hinsichtlich der Inferenzen aus Emotion und
Verhalten;
-
Entschuldigungen und Rechtfertigungen zur Reduktion von Verantwortlichkeit
(wiederum im pädagogischen wie im juristischen Kontext).
Weiterhin ist die Varianzaufklärung im beobachteten Verhalten beeindruckend. Dies gilt –
im Gegensatz zu dem gelegentlich geäußerten Vorurteil, Attributionstheorien stützten sich
vorwiegend auf Gedankenexperimente und fiktive Szenarien – auch für tatsächlich
beobachtetes Verhalten (zsf. siehe auch Rudolph et al., 2004). Und schließlich ist positiv
hervorzuheben, dass attributionale Konzepte, insbesondere auch die von Weiner, Eingang
gefunden haben in die klinische Psychologie (zsf. siehe Försterling, 1988, 2001).
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 31
Dieser kurze Überblick wäre dennoch nicht vollständig, wenn an dieser Stelle nicht einige
offene Fragen und mögliche Kritikpunkte angesprochen würden. Dies betrifft zunächst
Weiners Definition und den funktionalen Status von Emotionen; eine Frage, die wir eingangs
bewusst ausgeklammert haben. Betrachten wir zunächst Weiners (1986) Definition von
Emotionen:
"Ich definiere eine Emotion als ein komplexes Syndrom oder einen Verbund
sich wechselseitig beeinflussender Faktoren. Es wird angenommen, dass
Emotionen (1) eine positive oder negative Qualität von (2) einer bestimmten
Intensität haben, und dass ihnen (3) häufig eine Einschätzung einer Situation
vorangeht, und dass diese schließlich (4) zu einer Vielzahl von Handlungen
Anlass geben." (Weiner, 1986, S. 119).
Meyer et al. (2002) haben bereits darauf aufmerksam gemacht, dass dies nur scheinbar eine
Syndromdefinition ist. Kognitionen sind Weiners Theorie zufolge voraus gehende
Bedingungen von Emotionen, Handlungen sind Auswirkungen derselben; beide Aspekte sind
nicht Bestandteil der Emotion. Emotionen sind also in der Weiner'schen Theorie als
Erlebniszustände aufzufassen, für die – entgegen der von Weiner gebrauchten Begrifflichkeit
– der Begriff des Gefühls sicherlich angemessener wäre. Es passt zu dieser Auffassung von
Emotionen, dass in der empirischen Überprüfung der Theorie ganz überwiegend Emotionen
als subjektiv erfragbare Gefühlszustände erfasst und beispielsweise auch kaum jemals durch
physiologische Messungen oder Beobachtungen des Ausdrucksverhaltens ergänzt werden.
Ein weiteres bedenkenswertes Merkmal der Theorie ist die Tatsache, dass Weiner sich
vorwiegend mit moralischen Emotionen oder Gefühlen befasst (man denke neben Mitleid und
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 32
Ärger insbesondere an die Emotionen Scham, Schuld und Dankbarkeit; siehe auch Fußnote
1). Der moralische Aspekt von Verantwortlichkeitszuschreibungen wird insbesondere in
denjenigen Überprüfungen der Theorie deutlich, die sozialen Sanktionen gewidmet sind.
Dennoch thematisiert Weiner die moralischen Grundlagen von
Verantwortlichkeitszuschreibungen nicht explizit (eine Ausnahme ist Steins & Weiner, 1999),
sondern beschränkt sich – in der Tradition von anderen Attributionstheorien (vgl. Jones &
Davis, 1965; Kelley, 1967, 1972) – ganz überwiegend auf deren unmittelbar kognitiven
Voraussetzungen.
Abschließend sei auf ein Merkmal der Weiner'schen Theorie hingewiesen, das wir bei der
abschließenden Diskussion der hier beschriebenen Ansätze wieder aufgreifen werden: In
Weiners Theorie (1996, 2005b) gibt es keine teleologische Erklärung menschlichen
Verhaltens. Dies bedeutet: Verhalten wird nicht im Hinblick auf den Zweck des Verhaltens
erklärt. Dies ist in der Motivations- und Emotionspsychologie eine seltene Ausnahme: In der
vorliegenden Konzeption sind es Kognitionen, die Emotionen verursachen, und Emotionen
verursachen Verhalten. Es ist nicht das Ziel des Verhaltens, unangenehme Emotionen zu
reduzieren oder angenehme Emotionen zu maximieren. Im Gegensatz dazu sei beispielhaft an
die schon genannte Atkinson'sche Theorie der Leistungsmotivation erinnert:
Leistungsmotiviertes Verhalten wird demzufolge gezeigt, um positive Emotionen (Stolz) zu
maximieren und negative Emotionen (Scham) zu minimieren. Weiner (2005b) grenzt sich
explizit von dieser und allen anderen Varianten eines psychologischen Hedonismus ab und
führt hierzu die Unterscheidung zwischen push- und pull-Variablen ein: In seiner
theoretischen Konzeption gibt es ausschließlich push-Variablen, die Emotionen oder
Verhalten anstoßen; der Zweck des Verhaltens ist nicht von theoretischer Bedeutung.
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 33
Wenden wir uns nun einem gänzlich anderen Ansatz zur Erklärung sozialen Verhaltens zu,
der Evolutionären Psychologie.
3
Evolutionäre Konzepte und Befunde zur Erklärung sozialen Verhaltens
Die Liste derjenigen Bereiche des sozialen Verhaltens, mit denen sich die evolutionäre
Psychologie befasst, ist beeindruckend lang. Hierzu zählen verschiedenste Aspekte der
Partnerwahl und sexuellen Strategien, Elternschaft, Verhalten unter Verwandten und NichtVerwandten, Altruismus und Kooperation, Aggression sowie Status, Prestige und Dominanz
(einen Überblick geben beispielsweise Buss, 2004; Cartwright, 2002). Eine Einführung in
evolutionspsychologische Emotionstheorien geben Meyer, Schützwohl und Reisenzein
(1999); und zwar unter besonderer Berücksichtigung der Emotionstheorien von Charles
Darwin (Darwin, 1872/1965), William McDougall (z. B. McDougall, 1908, 1920) und Robert
Plutchik (z. B. Plutchik, 1980, 1991).
Die moderne evolutionäre Psychologie baut auf den Entdeckungen und Ideen von Charles
Darwin auf – und es bedarf keiner weiteren Erwähnung, dass Darwins Konzeption der
Evolution heutzutage nicht mehr als Theorie gilt, sondern als Tatsache (vgl. auch Mayr,
1988). William McDougall, der sich selbst als jemand sah, der die Arbeiten Darwins auf dem
Gebiet der Emotionen fortführte, widerfuhr jedoch leider ein gänzlich entgegen gesetztes
wissenschaftliches Schicksal: McDougall hatte die Schaffung einer "Evolutionären
Psychologie" bereits vor rund 100 Jahren gefordert und darf durchaus als Erfinder dieses
Begriffs gelten. Unglücklicherweise löste McDougall zu seiner Zeit zwar einige
Aufmerksamkeit für seine Ideen aus, wurde aber Zielscheibe der vehementen Kritik und auch
des Spotts seiner wissenschaftlichen Kollegen, insbesondere von Seiten der behavioristischen
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 34
Psychologie. So dauerte es 70 bis 80 Jahre, ehe tatsächlich das Projekt einer Evolutionären
Psychologie unter genau dieser Bezeichnung (erneut) begonnen wurde. Leider geschah dies
unter weitgehender Vernachlässigung sowohl der Ideen McDougalls wie auch der zahlreichen
Konzepte und Befunde der Ethologie, die auch unter Berufung auf die bahnbrechenden
Arbeiten von Konrad Lorenz und Nicolas Tinbergen als vergleichende Verhaltensforschung
bezeichnet wird (vgl. zusammenfassend Eibl-Eibesfeldt, 1998). Heute ist die evolutionäre
Psychologie nicht etwa ein Teilgebiet der Psychologie, sondern ein übergreifendes
theoretisches Paradigma, eine spezifische theoretische und methodische Herangehensweise an
unterschiedlichste Fragen aus allen Teilen der Psychologie (vgl. Barrett, Dunbar & Lycett,
2002; Buss, 2004).
Im Folgenden geben wir Antworten auf zwei Fragen: Wir werden zunächst erörtern, welche
Merkmale das theoretische Paradigma der evolutionären Psychologie auszeichnen.
Nachfolgend untersuchen wir beispielhaft die theoretische Analyse von Emotion und
sozialem Verhalten am Beispiel von Ärger und Aggression. Dies bedeutet, dass wir uns im
empirischen Teil nur mit einem kleinen Ausschnitt der Erkenntnisse der evolutionären
Psychologie beschäftigen werden.
3.1
Das Paradigma der Evolutionären Psychologie
Die Evolutionäre Psychologie nimmt an, dass die natürliche Selektion dazu geführt hat, dass
solche Individuen überleben und sich fortpflanzen, die spezifische Anpassungsprobleme
besonders gut lösen können. Zu solchen Anpassungsproblemen zählt der Wettkampf um
Ressourcen verschiedenster Art, wie beispielsweise Nahrung, Lebensräume oder
Sexualpartner. Die Lösung dieser Anpassungsprobleme gelingt aufgrund vieler verschiedener
bereichsspezifischer Mechanismen, so genannter "evolutionärer psychischer Mechanismen"
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 35
(im folgenden: EP-Mechanismen). EP-Mechanismen lösen insbesondere solche
Anpassungsprobleme, die in der Geschichte der Menschheit über lange Zeiträume vorhanden
gewesen sind und/oder wiederholt wiederkehrten.
Ein Beispiel mag hier nützlich sein: Anhand einer solchen Analyse ist es möglich, ein
Phänomen wie beispielsweise das der Eifersucht nicht als unerwünschte emotionale Reaktion
zu verstehen, sondern mit gänzlich anderen Augen zu sehen. Das Gefühl der Eifersucht und
das daraus resultierende Verhalten gegenüber dem eigenen Partner kann ein adaptiver Vorteil
(ein EP-Mechanismus) sein, weil es geeignet ist, die drohende Untreue des Partners zu
verhindern (vgl. Daly, Wilson & Weghorst, 1982; Meyer et al., 1999).
Aus dem Gesagten folgt, dass der Evolutionären Psychologie zufolge viele psychische
Merkmale und Dispositionen des Menschen ein Produkt der Evolution sind und dass ihr Ziel
die Identifikation dieser Merkmale und die Erforschung ihrer Funktion ist. Meyer et al. (1999)
bezeichnen die Evolutionäre Psychologie daher zutreffender Weise als Funktionsforschung.
In den Worten von Tooby (1988): "Die evolutionäre Psychologie erforscht die durch
natürliche Selektion entstandenen 'Konstruktionsmerkmale' derjenigen Mechanismen, die
Verhalten kontrollieren" (Tooby, 1988, S.67). Somit untersucht die evolutionäre Psychologie
insbesondere die Frage nach der Funktion oder dem Zweck von psychischen Merkmalen,
indem sie die zugrunde liegenden Mechanismen, ihre Struktur und ihre Wirkungsweise
identifiziert.
Wie lässt sich nun entscheiden, ob ein gefundenes Merkmal ein EP-Mechanismus ist?
Cosmides und Tooby (1994) geben hierfür drei Kriterien an:
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 36
1. Der Mechanismus ist ein (beim Menschen) kulturübergreifendes Phänomen und
entwickelt sich ontogenetisch zuverlässig,
2. Der Mechanismus löst ein identifizierbares Anpassungsproblem, und zwar auf besonders
effiziente Weise.
3. Der Mechanismus ist kein Nebenprodukt anderer Anpassungsleistungen und keine
zufällige Entwicklung.
3.2
Emotion und soziales Verhalten aus evolutionärer Perspektive
Betrachtet man die Geschichte der Evolutionären Psychologie, so wird eine überraschende
Diskrepanz deutlich: Einerseits gibt es durchaus eine Analyse von Emotionen aus
evolutionstheoretischer Perspektive, andererseits sind in der neueren Evolutionären
Psychologie viele soziale Aspekte des Verhaltens erforscht worden, ohne dabei auf
emotionale Konzepte zurückzugreifen. Beide Aspekte – Emotion einerseits und soziales
Verhalten andererseits – blieben daher bislang von wenigen Ausnahmen abgesehen
vergleichsweise unverbunden. Warum ist dies so?
Betrachten wir zunächst die Analyse von Emotionen aus evolutionärer Sicht: Bereits Darwin
(1872/1965), William James (1890) und später in sehr ausgearbeiteter Form McDougall
(1908, 1920) legten dezidiert evolutionäre Emotionstheorien vor. Darwin (1872/1965)
beschränkt sich hierbei im Hinblick auf soziale Aspekte von Emotionen ganz überwiegend
auf den (mimischen) Emotionsausdruck. Für William James gilt, dass insbesondere die
Emotionsentstehung besondere Aufmerksamkeit erfährt. McDougall schließlich legt einen (zu
Unrecht verkannten) instinkttheoretischen Ansatz vor. Innerhalb der Liste seiner an Instinkte
gebundenen Emotionen gibt es zwar eine Reihe von Instinkten, die explizit der Regulation
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 37
des sozialen Verhaltens dienen; eine empirische Analyse der Verbindung zwischen Emotion
und konkretem Verhalten wurde jedoch von McDougall nicht vorgenommen (zu den Gründen
hierfür siehe auch Meyer et al., 1999).
Wie steht es nun um die neuere Analyse des sozialen Verhaltens aus evolutionärer
Perspektive? Es darf mit Fug und Recht behauptet werden, dass die evolutionäre Psychologie
bislang beeindruckende Arbeit geleistet hat, was die Erklärung zahlreicher Aspekte des
sozialen Verhaltens betrifft (s. S. 31 dieses Kapitels). Als Beispiel sei die Erklärung
altruistischen Verhaltens unter Verwandten und Nicht-Verwandten genannt. Was auf den
ersten Blick als seltsamer Widerspruch zu evolutionären Konzepten erscheinen mag, dass
nämlich Individuen (nicht nur Menschen, sondern auch Individuen vieler anderer Spezies)
miteinander kooperieren und eigene Kosten nicht scheuen, um anderen Vorteile zu
verschaffen, ist Gegenstand einer ganzen Reihe von brillanten Analysen (vgl. Axelrod &
Hamilton, 1981; Axelrod, 1984; Hamilton, 1964; Ridley, 1993; Trivers, 1971). Trivers (1985)
war es auch, der darauf hingewiesen hat, dass die Evolution von Kooperation und Altruismus
wohl einen bedeutsamen Einfluss auf die evolutionäre Entwicklung von Emotionen hatte: Die
Fähigkeiten beispielsweise, sich schuldig zu fühlen oder Mitleid zu haben, können somit
angesehen werden als Resultate einer erfolgreichen Anpassung an eine Umwelt. Wenn
Kooperation und Hilfe für andere arterhaltend wirken, dann „lohnt“ sich ein Mechanismus
(eine Emotion), der solches Verhalten anregt (beispielsweise Mitleid). In ähnlicher Weise gilt:
Wenn Täuschung und Betrug der Arterhaltung entgegenstehen, dann „lohnt“ sich ein
emotionaler Mechanismus, der solches Verhalten unangenehm werden lässt (beispielsweise
Schuldgefühle).
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 38
Im Gegensatz zu diesen theoretischen Überlegungen gibt es bislang vergleichsweise wenige
empirische Arbeiten zur evolutionstheoretischen Funktionsanalyse von Emotionen und
sozialem Verhalten, bei denen emotionale Reaktionen konkret erfasst werden. Wir
beschränken uns im vorliegenden Kontext auf ein Beispiel sozialen Verhaltens und der damit
einhergehenden Emotionen; dies ist die Analyse von Ärger und Aggression. Diese Auswahl
erscheint deshalb besonders geeignet, weil sie im abschließenden Teil dieses Kapitels einen
Vergleich mit der zuvor dargestellten kognitiven, attributionstheoretischen Analyse von Ärger
und Aggression erlaubt.
3.3
Ärger und Aggression in sozialen Gruppen
Wir konzentrieren uns in diesem Kontext auf Ärger und Aggression innerhalb einer Spezies,
und hierbei auf den Menschen und seine direkten Vorfahren, die Primaten. Es ist
unabweisbar, dass es beim Menschen viele und oftmals schreckliche Formen der Aggression
gibt, von aggressiven Konflikten zwischen Individuen bis hin zu Kriegen zwischen Völkern.
Gerade vor diesem Hintergrund erhebt sich die Frage, wie weit eine theoretische Analyse
tragen kann, die Aggression nicht als Ausdruck irrationaler oder unbewusster Impulse
betrachtet (Freud, 1920), sondern explizit deren Zweck und Funktion untersucht. Hierbei
führen wir im Folgenden einige zentrale Begriffe ein und betrachten die Hypothesen, die sich
aus einer evolutionspsychologischen Sichtweise ergeben.
3.3.1
Implikationen einer evolutionären Analyse von Ärger und Aggression
Ein wichtiger Ausgangspunkt der evolutionären Überlegungen zur innerartlichen Aggression
ist zunächst die Beobachtung, dass es bei allen sozialen Säugetieren wie auch bei in Gruppen
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 39
lebenden Vögeln eine soziale Hierarchie gibt, die auch als Dominanzhierarchie oder
Rangordnung bezeichnet wird.
Was ist eine Dominanzhierarchie? Der Begriff weckt zunächst negative Assoziationen, und er
erscheint passender für die soziale Organisation bei nicht-humanen Primaten denn von
Menschen; im letzteren Falle wäre der Begriff soziales Gefüge sicherlich angemessener.
Zudem impliziert der Begriff der Dominanzhierarchie nicht nur dominante und dominierende
Individuen, sondern auch solche, die sich unterordnen (müssen) – eine Implikation, die
unseren Vorstellungen von Menschenwürde und Menschenrechten zuwider läuft. Weiterhin
erhebt sich bei näherer Betrachtung und insbesondere vor dem Hintergrund der evolutionären
Analysen von Altruismus und Kooperation die Frage, warum die Evolution Emotionen und
dazugehörige aggressive Verhaltensrepertoires bereitstellen sollte, die so vielen Individuen
Schaden zufügen. Hierbei sind mehrere Aspekte zu beachten:
- Zunächst einmal finden wir bei vielen Spezies große Unterschiede zwischen einer
ritualisierten und wenig gefährlichen, innerartlichen Aggression einerseits, und
solchen Aggressionen andererseits, wie sie beispielsweise in Räuber-BeuteBeziehungen auftreten (zusammenfassend siehe Immelmann, 1976).
- Weiterhin unterscheidet die ethologische Forschung zwischen repressiven und
fürsorglichen Rangordnungen. In repressiven Rangordnungen erfolgt die
Unterordnung auf Seiten des Verlierers notgedrungen in Folge einer
kämpferischen Auseinandersetzung. In fürsorglichen Rangordnungen dagegen
erfolgt die Aushandlung einer Dominanzhierarchie auf der Basis einer prosozialen
Führung. In diesem Falle wird die Führungspersönlichkeit des Interaktionspartners
von den sich unterordnenden Individuen aktiv gewählt, beispielsweise aufgrund
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 40
von Ressourcen oder Kompetenzen, die ein bestimmtes Individuum (zumindest
auch) zum Vorteil der Gruppe bereit stellt (Eibl-Eibesfeldt, 1997).
- Insbesondere für die erste Form der Dominanzhierarchien ist es im Hinblick auf
den resultierenden Gesamtnutzen der Gruppe wichtig, dass die Etablierung einer
Rangordnung schließlich von allen Beteiligten anerkannt wird, und zwar
unabhängig davon, wie erbittert der Streit um seine Etablierung auch verlaufen
sein mag. Dies bedeutet, dass es neben Ärger und Aggression auch Formen der
Unterwerfung, Versöhnung und Anerkennung des erreichten Zustandes geben
muss (siehe auch Scott, 1960). Eine solche Anerkennung auch von Seiten des
Unterlegenen kann nachfolgend dann, eine gewisse Stabilität vorausgesetzt, in
zukünftigen Interaktionen einen Nutzen stiften.
- Schließlich muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass das Aushandeln
von Dominanzhierarchien bei vielen Spezies auch in der sexuellen Selektion (der
Partnerwahl) zum Tragen kommt: Ein hoher Rang garantiert hierbei einen
bevorzugten Zugang zu den Mitgliedern des anderen Geschlechts; bei den meisten
(polygynen) Spezies gilt dieser positive Zusammenhang zwischen Rangordnung
und sexuellen Optionen in höherem Maße für die männlichen Individuen (Perusse,
1993; Petrie, 1983; Trivers, 1971).
Aus evolutionärer Perspektive ist weiterhin die Frage interessant, wie Dominanzhierarchien
bei unseren direktesten Vorfahren, den Primaten, etabliert und aufrecht erhalten werden.
Hierzu gibt es bereits umfassende Untersuchungen, so etwa von De Waal (1982) und Goodall
(1986). Aus emotionaler Perspektive werden solche Hierarchien durch folgende
Mechanismen ausgehandelt:
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 41
1. Durch die Zurschaustellung von Ärger,
2. durch möglicherweise nachfolgende aggressive Handlungen und
3. durch dem Ärgerausdruck komplementäre Zeichen der Unterordnung.
Aufgrund evolutionärer Überlegungen erwarten wir hierbei, dass die Elemente und der Ablauf
dieser Mechanismen für Primaten und Menschen eine hohe Ähnlichkeit aufweisen. Weiterhin
sollten, wie bereits Darwin (1872/1965) schlussfolgerte, interkulturelle Differenzen dieser
Elemente und Mechanismen gering ausfallen.
Betrachten wir nun den schon in der Überschrift dieses Absatzes nahe gelegten
Zusammenhang zwischen Ärger und Aggression. Bereits McDougall (1908) reservierte unter
den sieben Instinkten, in deren Mittelpunkt so genannte primäre Emotionen stehen, immerhin
drei Instinkte, die für die Etablierung und Aufrechterhaltung einer Dominanzhierarchie
verantwortlich sind. Dies sind (1) der "Kampfinstinkt", ausgelöst durch (externe) Hindernisse
bei der Ausführung von Handlungsimpulsen und vermittelt durch die Emotion Ärger;
weiterhin (2) der "Dominanzinstinkt", ausgelöst durch eine wahrgenommene Überlegenheit
über Artgenossen (mit "Hochgefühl" als dazu gehöriger Emotion (was man etwas moderner
sicherlich als Freude oder Vorfreude bezeichnen würde); schließlich (3) der
"Unterordnungsinstinkt", ausgelöst durch die Wahrnehmung einer Unterlegenheit und einem
Gefühl der Unterwürfigkeit als entsprechender Emotion (wiederum in etwas moderener
Terminologie als Traurigkeit zu bezeichnen).
Es erscheint zwar zumindest einer genaueren Analyse wert, (1) ob etwa das "Hochgefühl"
(zumindest eine Art von Freude) ausschließlich durch die wahrgenommene Überlegenheit
über andere ausgelöst wird (vgl. aber auch Gilberts, 1990, 2000), (2) ob "Unterwürfigkeit"
tatsächlich eine Emotion ist, und schließlich (3) ob in diesem Zusammenhang nicht auch
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 42
kognitive Konzepte wie ein erhöhter oder verringerter Selbstwert hilfreich wären (vgl.
Barkow, 1989; Baumeister & Leary, 1995). Diese möglichen Vorbehalte können aber nicht
über ein wichtiges Verdienst McDougalls hinweg täuschen: Bemerkenswert an dieser
Einteilung ist nämlich die Tatsache, dass der "Kampfinstinkt" McDougall zufolge dem
Beseitigen von insbesondere durch Artgenossen errichteten Hindernissen dient und diesem
somit die Funktion zukommt, aggressive Handlungen zumindest anzudrohen oder schließlich
auch zu initiieren. Diese Androhung oder tatsächliche Durchführung von aggressiven
Handlungen ist zudem durch das Erleben und den Ausdruck einer Ärger-Emotion vermittelt.
3.3.2 Empirische Befunde zu den Evolutionären Hypothesen zu Ärger und Aggression
Es ist besonders beeindruckend, dass die schon bei McDougall vorgeschlagene enge
Verbindung zwischen Ärger und Aggression in mehrfacher Hinsicht auch durch solche
Forschungsprogramme bestätigt wird, die nicht einem evolutionären Ansatz zuzuordnen sind:
- Averill (1982) legte Tagebuchanalysen vor, bei denen Personen gebeten wurden,
partnerschaftliche Interaktionen von Ärger und Aggression zu notieren. Die Daten
bestätigen die enge Verbindung zwischen Ärger als Emotion und Aggression als
Verhalten.
- Averills (1982) Daten zeigen zudem, dass Ärger zwar von praktisch allen
Beteiligten (den "Sich-Ärgernden" wie den "Ärger-Auslösenden") als hoch
unangenehm erlebt wird, zugleich aber die Ärger-Episoden im Nachhinein in der
großen Mehrzahl der Fälle und von der Mehrheit aller Beteiligten hinsichtlich ihrer
Konsequenzen für das Aushandeln des Konflikts als positiv bewertet werden. Dies
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 43
ist ein Hinweis auf die Konflikt-regulierende Komponente von Ärger und
Aggression.
- Weiterhin haben Berkowitz und Mitarbeiter (zum Beispiel Berkowitz, 1962, 1989)
in zahlreichen Arbeiten die Verbindung zwischen Frustration und Aggression
bestätigt. Frustration ist ein Konzept, das der McDougall'schen Analyse der
Auslöser von Aggression (die Wahrnehmung eines Hindernisses mit dem Ziel
seiner Beseitigung) gänzlich entspricht.
Auch zu den anderen Implikationen dieses Ansatzes liegen empirische Daten vor; dies betrifft
insbesondere Parallelen im Ausdrucksverhalten bei nicht-humanen Primaten und Menschen
sowie in verschiedenen Kulturen, und die Auswirkungen einer Rangordnung auf den Zugang
zu sexuellen Partnern.
Bereits Darwin (1872/1965) hatte auf die Ähnlichkeit des Ärger-Ausdrucks bei Schimpansen
und Menschen hingewiesen sowie auch auf die interkulturellen Ähnlichkeiten des ÄrgerAusdrucks beim Menschen und entsprechende Befunde vorgelegt. Darwins Annahmen und
Daten wurden trotz der Kritik an seinen Methoden durch neuere Untersuchungen regelmäßig
bestätigt (siehe zum Beispiel Ekman, 1994; einen Überblick geben Meyer et al., 1999). Eine
weitere Methode, die bereits Darwin (1872/1965) angeregt hatte, ist die Untersuchung des
Emotionsausdrucks taub und blind geborener Kinder. Eibl-Eibesfeldt (1997) zeigt
anschaulich, dass der Ärgerausdruck bei solchen Kindern, der ja nicht durch Lernprozesse zu
erklären ist und somit phylogenetische Ursachen haben muss, denen von anderen Kindern
sehr ähnlich ist:
"Die Untersuchung taub und blind geborener Kinder lehrt, dass auch bei
ihnen viele der Ausdrucksbewegungen, die Akte der Aggression normaler Weise
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 44
begleiten, vorhanden sind. Verärgerte Taubblinde beißen die Zähne zusammen
und entblößen sie. Sie legen die Stirn in senkrechte Falten, ballen die Fäuste und
sie stampfen mit dem Fuß auf – letzteres ein Verhalten, das man im allgemeinen
als ritualisierte Angriffsbewegung deutet: als Schritt auf den Gegner zu" (EiblEibesfeldt, 1997, S. 528).
Betrachten wir abschließend die möglichen Konsequenzen der Etablierung einer
Dominanzhierarchie. Zahlreiche Studien haben zunächst den Zusammenhang zwischen
Rangordnung und Zugang zu sexuellen Partnern bei vielen Säugetieren und Primaten belegt.
Weiterhin zeigen alle einschlägigen Untersuchungen, dass auch beim Menschen der soziale
Status eines Mannes einen großen Anteil an seinem reproduktiven Erfolg hat (für einen
Überblick siehe beispielsweise Buss, 2004; Cartwright, 2001). Zwei mögliche vermittelnde
Mechanismen sind in diesem Zusammenhang empirisch untersucht worden, der eine betrifft
die intersexuelle Selektion (zwischen den Geschlechtern), der andere die intrasexuelle
Selektion (insbesondere innerhalb des männlichen Geschlechts).
Zur intersexuellen Selektion: Möglicherweise bieten Männer mit hohem sozialen Status
Frauen mehr Ressourcen, die nachfolgend den gemeinsamen Kindern zugute kommen. Frauen
könnten deshalb geneigt sein, solche Männer bevorzugt als Partner zu wählen. Hierfür
sprechen die Befunde von Betzig (1986): In polygynen Gesellschaften (innerhalb derer ein
Mann mit mehr als einer Frau sexuelle Beziehungen haben kann, ohne dass dies negativ
sanktioniert würde) bevorzugen es Frauen oftmals, die umfangreichen Ressourcen eines
ranghöheren Mannes zu teilen, statt die geringeren Ressourcen eines rangniederen Mannes für
sich alleine beanspruchen zu können. Zur intrasexuellen Selektion gibt es ebenfalls Daten aus
Jäger-Sammler-Gesellschaften, die für eine heftige Konkurrenz zwischen Männern um
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 45
sexuelle Ressourcen sprechen (Chagnon, 1983). Eine indirekte Bestätigung der größeren
Bedeutung von sozialem Status bei Männern im Gegensatz zu Frauen sind schließlich
geschlechtsspezifische Unterschiede im Dominanz- und im aggressiven Verhalten, die auch
interkulturell bestätigt wurden (Whiting & Edwards, 1988).
3.4
Bewertung des evolutionspsychologischen Ansatzes
Wie schon bei Weiners Theorie der Verantwortlichkeit gilt auch im Falle des
evolutionspsychologischen Ansatzes, dass die Fülle der Beobachtungen und der erklärten
Verhaltensbereiche beeindruckend ist. Die Datenmenge ist in diesem Falle so groß, dass wir
uns hier auf nur einen Bereich (Ärger und Aggression sowie deren Konsequenzen für sozialen
Status) beschränkt haben, für den das Zusammenspiel von Emotion und Verhalten untersucht
wurde. Im Einzelnen leistet dieser Ansatz wertvolle Beiträge zur systematischen sowie kulturund speziesübergreifenden Analyse des Ausdrucks von Ärger und der verschiedenen
Varianten aggressiven Verhaltens in unterschiedlichen Dominanzhierarchien. Im Rahmen des
theoretischen Paradigmas der Evolutionstheorie lässt sich eine Vielzahl von Hypothesen
ableiten, diese betreffen die Determinanten von Ärger und Aggression sowie deren Funktion
im sozialen Kontext. Hinsichtlich der Funktionen von Ärger und Aggression wurden
insbesondere die soziale Unterordnung und die Konsequenzen von Dominanz-Prozessen für
die sexuelle Selektion und den Reproduktionserfolg einer theoretischen Analyse unterzogen.
Wie in Abschnitt 3.3.2 gesehen, ist nicht nur die Fülle der resultierenden Beobachtungen
beeindruckend; die so gewonnenen Daten stehen auch weitgehend in Einklang mit den
theoretischen Ableitungen. Für eine abschließende Bewertung des evolutionspsychologischen
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 46
Ansatzes ist ein direkter Vergleich zwischen den beiden hier vorgestellten Theorien des
sozialen Verhaltens hilfreich, dem wir uns nun zuwenden.
4
Ein abschließender Vergleich beider Ansätze
Die beiden hier vorgestellten Theorien des sozialen Verhaltens und der Rolle der Emotionen
für dieses Verhalten unterscheiden sich in Bezug auf die Datenbasis, hinsichtlich
grundlegender theoretischer Annahmen sowie hinsichtlich metatheoretischer Annahmen.
Betrachten wir diese im Einzelnen.
4.1
Unterschiede in der Datenbasis
Wie bereits ausgeführt, werden attributionstheoretische Studien zu Emotion und sozialem
Verhalten häufig mit der Methode der fiktiven Fragebogen-Szenarien und
Gedankenexperimente in Verbindung gebracht. Diese Kritik ist ungerechtfertigt, wenn man
bedenkt, dass auch Studien vorliegen, in denen konkretes Verhalten erfasst wurde und bei
denen ganz analoge Daten gefunden wurden. Dennoch ist der experimentelle und der quasiexperimentelle Zugang für Weiners Theorie der Verantwortlichkeit charakteristisch, während
solche Methoden im Bereich der evolutionären Psychologie zumindest in Bezug auf
Emotionen und soziales Verhalten nur selten anzutreffen sind. In diesem Bereich dominieren
dagegen zwei andere Methoden: Dies sind zum einen Beobachtungsmethoden, die aus dem
Erbe der Ethologie resultieren, sowie der soziobiologische Ansatz zur Analyse des
Reproduktionserfolgs (auch: counting babies approach). Natürlich haben beide methodischen
Alternativen ihre Berechtigung und sollten einander ergänzen.
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 47
Dies gilt allein schon deshalb, weil wir gesehen haben, dass beide Herangehensweisen unsere
Aufmerksamkeit auf unterschiedliche, in jedem Falle jedoch außerordentlich interessante
Phänomene legen. Beispiele hierfür sind Hilfe (Altruismus) und Aggression,
Entschuldigungen und Rechtfertigungen, soziale Sanktionen, Dominanz und Unterwerfung.
Es erscheint unwahrscheinlich, dass die Funktion von Entschuldigungen beispielsweise aus
evolutionärer Perspektive einer so stringenten experimentellen Analyse zu unterziehen wäre;
zugleich ist schwer vorstellbar, dass im Rahmen einer attributionalen Analyse die
Implikationen von Ärger und Aggression für das soziale Gefüge von Gruppen so detailliert
beleuchtet würde.
4.2
Unterschiede in grundlegenden theoretischen Annahmen
Auf den ersten Blick gibt es zunächst einmal erstaunliche Parallelen zwischen beiden
Ansätzen, insbesondere hinsichtlich der Vorhersage von Aggression: In beiden Fällen ist es
die Ärger-Emotion, die das aggressive Verhalten (ein-) leitet. Beide Theorien sehen
zumindest im weitesten Sinne die Emotion des Ärgers als diejenige Variable an, die zwischen
Wahrnehmung und Verhalten vermittelt, auch wenn die Interaktion zwischen den Variablen
(Kognition – Emotion – Verhalten) im Rahmen der attributionalen Theorie einer genaueren
Analyse unterzogen und auch oftmals gleichzeitig innerhalb einer Studie untersucht wurde.
Allerdings gibt es bei genauerem Hinsehen auch gravierende Unterschiede. Beginnen wir mit
den Aspekten der Kognition: Es ist im Falle der Weiner’schen Theorie die Kognition der
Verantwortlichkeitszuschreibung, im Falle der evolutionären Analyse die Wahrnehmung
einer Behinderung eigener Verhaltensoptionen durch andere, die den kognitiven
Ausgangspunkt des Ärgers darstellen. Ein weiterer Unterschied besteht in der
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 48
Operationalisierung von Emotionen; dies gilt für alle untersuchten Emotionen und sei hier nur
am Beispiel der Ärger-Emotion verdeutlicht: Der Beitrag der Attributionstheorien besteht in
höherem Maße in Befragungen subjektiven emotionalen Erlebens und in geringerem Maße in
der genauen Erfassung der physiologischen Korrelate und des Ausdrucks der Emotion. Diese
beiden letztgenannten Aspekte verdanken den evolutionären Ansätzen eine wesentlich
differenziertere und genauere Analyse. Und schließlich finden wir auch Unterschiede
hinsichtlich der Art des untersuchten Verhaltens, das im Falle der attributionalen Analyse
lediglich reaktive aggressive Handlungen beinhaltet, während die evolutionäre Analyse sich
in viel höherem Maße auf aktiv initiierte Aggressionen konzentriert.
Auf eine Gemeinsamkeit ist noch hinzuweisen: Wie bereits für die Theorie der
Verantwortlichkeit erwähnt, beinhaltet dieser Ansatz implizit eine Fokussierung auf
moralische Emotionen: Dies bedeutet, dass Emotionen wie Schuld, Scham, Mitleid und Ärger
auch moralische Normen und Standards beinhalten, anhand derer wir das Verhalten anderer
beurteilen. Auf die Bedeutsamkeit moralischer Emotionen ist auch in der
Evolutionspsychologie bereits hingewiesen worden: Haidt (2003) hat darauf aufmerksam
gemacht, dass moralische Emotionen oftmals eine Funktion für das Zusammenleben haben,
weil sie uns „sagen“, was in verschiedenen sozialen Situationen eine angemessene Reaktion
wäre – und zwar auch ohne längeres Nachdenken. Haidt (2001, 2003; Haidt & Sabini, 2000)
hat den Wert einer evolutionären Analyse für eine Vielzahl moralischer Emotionen
nachgewiesen, wie beispielsweise für Ekel und Abscheu (zum Beispiel als Schutz vor
unbekömmlicher Nahrung oder vor Inzest), Verlegenheit (als Signal für Unterwerfung) oder
Rachegefühle (wenn man es genießt, einen anderen für ein Fehlverhalten zu bestrafen).
4.3
Unterschiede in metatheoretischen Annahmen
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 49
Mit metatheoretischen Annahmen sind im vorliegenden Kontext solche Annahmen gemeint,
die sich auf die generellen Merkmale (nicht aber auf die konkreten Hypothesen und
Annahmen) einer Theorie beziehen. Solche metatheoretischen Annahmen sind zumeist
impliziter Natur und werden in vorherrschenden Forschungsparadigmen (innerhalb derer eine
Theorie überprüft wird) nur selten explizit reflektiert. Ein wichtiges metatheoretisches
Merkmal von Theorien besteht darin, in welcher Weise sie menschliches Verhalten zu
erklären suchen und welche Art von Fragen sie hierbei beantworten. Auf welche Art können
wir Verhalten erklären? Tinbergen (1963) folgend gibt es vier Alternativen, dies zu tun.
Nach den proximalen Ursachen des Verhaltens suchen wir, wenn wir das Verhalten eines
Individuums in einer bestimmten Situation analysieren. Proximale Ursachen sind
beispielsweise der Einfluss von Hinweisreizen auf die Aggressionsbereitschaft oder der
Handlung voraus gehende Kognitionen und/oder Emotionen. Proximale Ursachen geben also
an, welche unmittelbar vorliegenden Ursachen aufgrund von räumlicher und zeitlicher Nähe
ein Verhalten determinieren.
Ontogenetische Ursachen (synonym auch: entwicklungsbedingte Ursachen) des Verhaltens
basieren auf der Analyse der Ontogenese (der individuellen Geschichte) des Individuums.
Lernprozesse sind ein gutes Beispiel für ontogenetische Ursachen. Phylogenetische Ursachen
dagegen beziehen sich nicht auf die Entwicklung des Individuums, sondern der Art. Gute
Beispiele sind die genannten EP-Mechanismen, die in vielen Verhaltensbereichen auch des
Menschen eine große Rolle spielen, und hierzu zählen natürlich auch die Ausdrucksformen
des Ärgers.
Kap. 11, S. 50
Rudolph: Soziales Verhalten
Eine letzte Art der Verhaltenserklärung ist die der ultimativen Ursachen, die Untersuchung
des Zwecks oder der Funktion eines Verhaltens, die in Abschnitt 3.1 bereits angesprochen
wurde. In Tabelle 3 ist nun zusammenfassend dargestellt, welche Beiträge die beiden hier
vorgestellten Theorien für diese verschiedenen Arten der Verhaltenserklärung leisten.
----- Tabelle 3 -----
Es wird deutlich, dass die attributionale Analyse von Emotion und sozialem Verhalten sowohl
die proximalen als auch die ontogenetischen Ursachen einbezieht: Proximale Determinanten
sind im Rahmen dieses Ansatzes voraus gehende Wahrnehmungen und Kognitionen, deren
Entwicklung und kognitive Voraussetzungen auch in entwicklungspsychologischen Studien
untersucht wurden. Ein wenig ungewiss ist die Haltung der Theorie zu den phylogenetischen
Ursachen: Auf den ersten Blick werden solche Ursachen nicht behandelt. Es stellt sich aber
die Frage, wie dieser Sachverhalt zu werten wäre, wenn Weiner die impliziten moralischen
Wertungen, die in der Theorie durchaus enthalten sind, einbeziehen würde. Hinsichtlich der
ultimativen Ursachen von Verhalten schließlich ist Weiners Position im Gegensatz zu vielen
anderen Theorien der Motivation und Emotion in Bezug auf hedonistische Ursachen als
Zweck des Verhaltens ablehnend (Weiner, 2005b). Weiner schlägt stattdessen in der Tradition
von Fritz Heider andere ultimative Ursachen vor, insbesondere (1) Wissen und Verständnis
der eigenen Person und anderer Personen und (2) Bewältigung und Erhaltung des sozialen
Gefüges, in dem die Person lebt. Allerdings ist hier anzuführen, dass die Konsequenzen von
Kognition, Emotion und Verhalten für das soziale Gefüge allenfalls ansatzweise untersucht
werden.
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 51
Betrachten wir nun den evolutionären Ansatz zur Analyse von Emotion und sozialem
Verhalten: Dieser informiert uns über alle der genannten Ursachen von Verhalten, teilweise
auch anhand von Daten und Beobachtungen, die hier bislang noch nicht angesprochen
wurden: Es sind zumindest auch Kognitionen und Emotion, die soziales Verhalten
determinieren, man denke etwa an McDougalls Konzeption des Kampfinstinktes mit seinen
entsprechenden kognitiven Voraussetzungen. Zwei Einschränkungen sind hier angebracht:
Die empirische Analyse der kognitiven Voraussetzungen ist zum einen nicht so ausgearbeitet
(weder theoretisch noch empirisch) wie bei den kognitiven Theorien. Zum anderen wird
oftmals postuliert, Verhalten sei zumindest in Teilen auch unbewusst gesteuert (siehe auch
Neumann in diesem Band), weil beispielsweise entsprechende Überlegungen zum
Reproduktionserfolg bestimmter sozialer Verhaltensweisen nicht kognitiv repräsentiert oder
das Nebenprodukt anderer Mechanismen seien. Ein Beispiel hierfür ist der Zusammenhang
zwischen Attraktivität und Partnerwahl: Die Wahrnehmung von Attraktivität kann als
vermittelnder Mechanismus gelten, der den reproduktiven Erfolg von Frauen und Männern
sicherstellt, und zwar anhand von jeweils unterschiedlichen Interessen und nachfolgend
unterschiedlichen Attraktivitätsstandards für Frauen und für Männer (einen Überblick geben
Hönekopp & Rudolph, 2005).
Im Bereich der ontogenetischen und phylogenetischen Ursachen aus evolutionärer
Perspektive könnte man auf den ersten Blick annehmen, angesichts der starken Dominanz von
angeborenen Mechanismen des Erlebens und Verhaltens (EP-Mechanismen) würde die
evolutionäre Analyse hinsichtlich einer ontogenetischen Entwicklung keinen oder einen
allenfalls geringen Beitrag leisten. Dies mag auf dem Gebiet von Ärger und Aggression so
sein (zumindest sind dem Autor hier keine empirischen Beiträge bekannt), dies gilt aber
keineswegs für andere Bereiche der emotionalen Entwicklung, wie beispielsweise – und um
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 52
nur ein Beispiel zu nennen – die Bindungsforschung eindrucksvoll dokumentiert (Bowlby,
1969, 1973).
Hinsichtlich der ultimativen Ursachen des sozialen Verhaltens ist aus dem Gesagten bereits
ersichtlich geworden, dass Arterhaltung und Reproduktionserfolg im Falle der
Evolutionspsychologie selbstverständlich zentrale ultimative Konzepte sind. Am Beispiel von
Ärger und Aggression wird zudem deutlich, dass die evolutionäre Perspektive hier wertvolle
Beiträge auch zu einem detaillierteren Verständnis leistet, indem die konkreten Auswirkungen
von Emotion und Verhalten für die Genese und Beibehaltung des soziales Gefüges und des
Reproduktionserfolgs untersucht werden.
Welches Fazit ziehen wir aus diesem Vergleich? Am Beispiel des Zusammenspiels von
Emotion und sozialem Verhalten ist ersichtlich, dass unterschiedliche theoretische Werkzeuge
nicht nur nebeneinander ihre Berechtigung und je spezifische Stärken und Schwächen haben,
sondern einander sinnvoll ergänzen (siehe auch Greitemeyer, Rudolph & Weiner, 2003). Es
ist der zukünftigen Erforschung des sozialen Verhaltens zu wünschen, dass sich die
Wissenschaftler in diesem Feld die Erkenntnisse auch unterschiedlicher theoretischer und
empirischer Ansätze zueigen machen, um weitere Fortschritte zu erzielen.
Kap. 11, S. 53
Rudolph: Soziales Verhalten
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Kap. 11, S. 62
Rudolph: Soziales Verhalten
Fußnoten
1
Im Falle von Weiners Theorie bedeutet "Kognitionen bestimmen Emotionen", dass es
Ursachenzuschreibungen sind, die über unser emotionales Erleben entscheiden.
Weiner (1986, 1995, 2005a) zufolge sind nicht alle Emotionen das Ergebnis einer
Ursachenzuschreibung, manche Emotionen basieren lediglich auf der Wahrnehmung
eines Ereignisses. Weiterhin sind nicht alle Emotionen von der
Kontrollierbarkeitsdimension und Verantwortlichkeitszuschreibungen abhängig;
bestimmte Emotionen basieren auf den Dimensionen Lokation und Stabilität. Auf
diese Unterscheidungen gehen wir hier nicht ein, da dies für die Vorhersage sozialen
Verhaltens keine Rolle spielt. Einen guten Überblick über die gesamte Theorie geben
Meyer et al. (2002).
Kap. 11, S. 63
Rudolph: Soziales Verhalten
Tabelle 1
Die Emotionen Schuld, Scham, Ärger und Mitleid im Falle eines negativen Ereignisses in
Abhängigkeit von Ausprägungen der Verantwortlichkeitszuschreibung und der Perspektive
der Person
Negatives Ereignis
__________________________________________________________________
Handelnde Person
Beobachtende Person
__________________________________________________________________
Niedrige Verantwortlichkeit
Scham
Mitleid
Hohe Verantwortlichkeit
Schuld
Ärger
__________________________________________________________________
Kap. 11, S. 64
Rudolph: Soziales Verhalten
Tabelle 2
Pfadkoeffizienten zur Vorhersage von Hilfe und Aggression (siehe Modell 1 und 2 in
Abbildung 1)
__________________________________________________________________
Hilfeverhalten
Modell 1
Modell 2
__________________________________________________________________
Verantwortlichkeit -- Mitleid
- 0,45*
-0,45*
Verantwortlichkeit -- Ärger
0,52*
0,52*
Verantwortlichkeit -- Hilfe
- 0,05*
--
Mitleid -- Hilfe
0,37*
0,39*
Ärger -- Hilfe
-0,07*
-0,09*
__________________________________________________________________
Aggression
Modell 1
Modell 2
__________________________________________________________________
Verantwortlichkeit -- Mitleid
- 0,35*
-0,35*
Verantwortlichkeit -- Ärger
0,61*
0,61*
Verantwortlichkeit -- Aggression
0,17*
--
Mitleid -- Aggression
-0,27*
-0,30*
Ärger -- Aggression
0,38*
-0,48*
__________________________________________________________________
Anmerkung: * für p < 0,05.
__________________________________________________________________
Kap. 11, S. 65
Rudolph: Soziales Verhalten
Tabelle 3
Verhaltenserklärungen nach Tinbergen (1963) und die Stellung von attributionalen und evolutionären Konzepten zu diesen
Erklärungsarten
________________________________________________________________________________________________
Theorie
Attributionale Analyse
Evolutionäre Analyse
Art der Erklärung:
________________________________________________________________________________________________
Proximale Ursachen
Kognition, Emotion
Kognition, Emotion
________________________________________________________________________________________________
Ontogenetische Ursachen
Kognitive Entwicklung
Emotionale Entwicklung, Bindung
________________________________________________________________________________________________
Phylogenetische Ursachen
– nicht explizit adressiert --
Angeborene EP-Mechanismen
________________________________________________________________________________________________
Ultimative Ursachen
Wissen, Verständnis,
Genese und Beibehaltung des
Bewältigung des sozialen Gefüges
des sozialen Gefüges
________________________________________________________________________________________________
Kap. 11, S. 66
Rudolph: Soziales Verhalten
Titel der Abbildungen
Abbildung 1: Empirische Modelle zur Vorhersage von Hilfe und Aggression auf der
Basis einer Metaanalyse aller verfügbaren Daten (Rudolph et al., 2004).
Rudolph: Soziales Verhalten
Kap. 11, S. 67
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