Schwerpunkt Endodontie versus Implantologie: Konkurrenz oder Synergie? Vergleichende Erwägungen Die Implantologie hat sich in den letzten Jahren zu dem Wachstumssegment in der Zahnheilkunde entwickelt. Gleichzeitig machen moderne Hilfsmittel es dem interessierten Zahnarzt möglich, Zähne erfolgreich endodontisch zu behandeln, die noch vor einer Dekade lediglich von einer Handvoll Spezialisten erhalten werden konnten. Immer häufiger stehen wir daher vor der Entscheidung, einen Zahn konservierend zu behandeln oder implantologisch zu ersetzen. In einer Zeit, in der sowohl das Implantat als auch der endodontisch erstversorgte Zahn mit Erfolgsquoten von weit über 90 Prozent aufwarten, wird diese Entscheidung immer schwieriger. Z iel einer jeden zahnärztlichen Behandlung sollte es sein, die Probleme des Patienten zu lösen, seine Erwartungen zu befriedigen oder noch zu übertreffen. Die Behandlungsentscheidung sollte sich nicht nur nach versicherungstechnischen Kriterien richten und auch nicht alleine auf der subjektiven Erfahrung und Einstellung des Patienten oder des Behandlers beruhen. Die Abwägung über die geeignete Therapie sollte natürlich im Rahmen eines schlüssigen Behandlungsplans getroffen werden. Dabei gilt es eine Reihe von medizinischen, psychologischen und sozioökonomischen Gesichtspunkten in Betracht zu ziehen, die sich auch in der aktuellen Fachliteratur widerspiegeln. Psychologische Erwägungen Während Industrie und Ärzte in den letzten Jahren die Implantologie sehr erfolgreich in den Medien platzieren konnten, das Implantat als Lifestyle-Artikel vermarktet und damit das Negativ-Image der frühen Fehlschläge abgeschüttelt werden konnte, ist die moderne Endodontie noch weit von diesem Status entfernt. Immer noch kämpfen die endodon- BZB/April/07 tisch interessierten Zahnärzte gegen Schlagworte wie „Herdsuche“, „Leichengift“ oder „Fremdkörperreaktion“. Diese Ressentiments müssen im Vorgespräch erkannt und objektiviert werden. Finanzielle Erwägungen Im Rahmen einer aufwandsorientierten Abrechnung stellt sich bei Verknappung der Mittel häufig die Frage nach der wirtschaftlichen Erhaltungsfähigkeit eines Zahnes. Eine endodontische Revision, oftmals in Verbindung mit präprothetischer Chirurgie, nimmt ein Vielfaches der bei einer Implantation aufgewandten Behandlungszeit in Anspruch. Das schlägt sich das auch in den Behandlungskosten für den Patienten nieder. Aufwendige Augmentationsmaßnahmen und Materialkosten einer implantologischen Versorgung können diese wirtschaftlich ungünstig erscheinen lassen. Auch die unterschiedlichen Erstattungspraktiken der Kostenerstatter sollten hier Beachtung finden. Medizinische Erwägungen Allgemeinmedizinische Grunderkrankungen stellen Kontraindikationen – relative und absolute – für Implantate dar. So sollte beispielsweise bei entgleistem Diabetes mellitus, Immunsuppression, eingeschränkter Hygienefähigkeit, wie nach Parkinson oder Apoplex, die Indikation zur Implantation enger gestellt werden. Allerdings treten bei dieser Patientengruppe auch bei endodontischen Behandlungen Komplikationen auf. Mehrere Studien belegen den Zusammenhang zwischen Typ 2Diabetes und dem vermehrten auftreten von Parodontitis apikalis nach Wurzelbehandlung. Ein stark reduzierter Allgemeinzustand oder zentralnervöse Erkrankungen machen es oft unmöglich, mehrere Stunden bewegungslos unter dem Dentalmikroskop zu verbringen. 39 Fotos: Zipprich Schwerpunkt Die Verfärbung endodontisch versorgter Zähne, die früher ästhetische Probleme verursachte, lässt sich durch geeignete Sealer und eine adäquate Versäuberung der Kavität vermeiden. Zur langfristigen prothetischen Versorgung endodontisch versorgter Zähne ist es oftmals nötig, diese mit Kronen zu versorgen. Zur Erzielung des Ferrule-Effektes ist eine zirkuläre Umfassung des Zahnes von etwa zwei Millimetern anzustreben. Dies Teleskop-Pfeiler bei Eingliederung der Versorgung und sechs Monate später: Zustand nach Längsfraktur lässt sich im Molarenbereich häufig nur schwer erreichen. Chirurgische KronenverProthetische Erwägungen längerung und/oder kieferorthopädische ExDiesem Aspekt kommt in der Literatur die trusion können hier Abhilfe schaffen, erhöhöchste Bedeutung zu. Die Rekonstruktion hen aber wiederum den Aufwand und die Beder Frontzahn-Ästhetik, insbesondere der rohandlungszeit. ten Ästhetik, stellt in der Implantologie oftIm Rahmen eines prothetischen Gesamtkonmals ein Problem dar. zeptes kann es nötig sein, aus strategischen Die klassische, von Tarnow beschriebene ReGründen auf eine möglicherweise einfache gel der Papillenerhaltung trifft bei Implanendodontische Therapie zugunsten des Imtaten nicht zu und führt vor allem bei mehplantates zu verzichten. Dies trifft zum Beireren benachbarten Pfeilern dazu, dass häuspiel bei endständigen Pfeilern einer teleskofig große kosmetische Kompromisse eingepierenden Kombinationsarbeit zu. Hier wird gangen werden müssen. Durch den Erhalt die Frakturrate wurzelbehandelter Zähne strategischer Zähne mit Hilfe endodontischer von einigen Autoren mit bis zu 60 Prozent Maßnahmen lässt sich das umgehen. innerhalb von zehn Jahren angegeben. Trotz minimalinvasiver chirurgischer TechAuch bei gedrehten, gekippten oder stark niken lässt sich eine geringfügige Gingivakompromitierten Pfeilern ist oftmals der retraktion im Rahmen von Extraktion und Ersatz mit Implantaten günstiger, um eine Implantation nicht vermeiden. Gerade bei optimale Ästhetik und Funktion zu erzielen. aufwendig restaurierten Patienten, führt sie häufig zu einem Freiligen der RestaurationsForensische Erwägungen ränder der Nachbarzähne und zum ErneuerViele der heute in der endodontischen Theungsbedarf der Versorgung. rapie eingesetzten Medikamente haben eiUmgekehrt können Wurzelfrakturen, wie sie nen historischen Hintergrund. Einige der gerade bei grazilen Wurzeln auftreten, oder Wirkstoffe, beispielsweise Arsen oder ParaWurzelspitzenresektionen, die bei abweiformaldehyd, sind als problematisch anzuchender Anatomie unterer Frontzähne übersehen. Zink – enthalten in einer Vielzahl von durchschnittlich häufig durchgeführt wurSealern – begünstigt das Entstehen von Asperden, zu mukogingivalen Problemen und eigillose auch in kleinen Mengen. Bisher fehnem sehr unharmonischen Gingivaverlauf len bindende Richtlinien, welche Bestandführen. 40 BZB/April/07 Schwerpunkt teile ein Wurzelkanalfüller überhaupt haben darf. Da die meisten Implantattypen und Knochenaufbaumaterialien inzwischen eine Zulassung der sehr strengen FDA haben, ist das Gewährleistungsrisiko deutlich geringer. Chirurgische Erwägungen Ist eine Implantation am prothetisch richtigen Ort überhaupt möglich? Oftmals geht die Entfernung eines stark zerstörten Zahnes mit Verlust von Knochen einher, der eine Implantation an dieser Stelle erschwert oder unmöglich werden lässt. Endodontische Erwägungen Hier muss jeder Zahnarzt entscheiden, ob er in der Lage ist, die gewählte Therapie mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit durchzuführen oder ob er einen geeigneten Spezialisten hinzuzieht. Generell ist es heutzutage möglich, die meisten Primärbehandlungen und die überwiegende Mehrzahl der Revisionsbehandlungen erfolgreich abzuschließen. Das ist nicht zuletzt der immer breiteren Verbreitung des Dentalmikroskops zu verdanken (Anm. d. Red.: siehe auch Beitrag auf Seite 32ff.). Dennoch gibt es Komplikationen, beispielsweise adhäsiv zementierte Metallstifte, große Perforationen oder Stufenbildungen, die eine erfolgreiche Therapie unwahrscheinlich machen. Was bedeutet all das für den Praktiker? Weder die endodontische Therapie noch die Implantation sind eine universelle Therapie. Jeder stark restaurierte Zahn mit endodontischer Versorgung hat seine Limitationen. Aber auch das Implantat hat seine Einschränkungen. Nicht umsonst lässt sich aber momentan in der Gruppe der amerikanischen Endodonten ein starker Trend beobachten, das Feld der Implantologie in ihre Praxis zu integrieren. Die restaurative Prognose hat heutzutage mehr Bedeutung für die Behandlungsentscheidung als die endodontische Versorgbarkeit. Im Rahmen von Einzelzahnversorgungen ist die Entscheidung noch relativ simpel; sie richtet sich nach der Restaurierbarkeit der Pfeiler und den finanziellen und psychologi- BZB/April/07 Zahnerhaltung im Grenzbereich: Wie entscheidet man bei dieser Ausgangssituation? schen Betrachtungen. Bei komplexeren Versorgungen kommt den strategischen Betrachtungen größere Bedeutung zu. Hier muss ein „risk assessment“ für jeden einzelnen Pfeiler im Rahmen der Gesamtplanung durchgeführt werden. Generell kann man auch hier sagen, dass die restaurative Langzeitprognose dominant über die endodontische Versorgbarkeit der Pfeiler ist. In Fällen ausgedehnten koronalen Substanzverlustes ist eine Erhaltung ungünstiger als bei schwerwiegenden endodontischen Problemen, deren Lösung in erster Linie von der Ausrüstung, dem Fachwissen und dem manuellen Geschick des Behandlers abhängt. Vom ethischen Standpunkt aus sollte man Patienten bei Zähnen mit guter Prognose zur endodontischen Versorgung raten. In Fällen mit mittlerer oder fraglicher Prognose muss eine ausführliche Beratung erfolgen, die es dem Patienten ermöglicht, anhand aller Parameter eine qualifizierte Entscheidung zu treffen – ein „informed consent“. In Fällen marginaler oder infauster Prognose ist die Entscheidung zur Extraktion oftmals dem Behandlungsversuch vorzuziehen. Dirk Zipprich Aschaffenburg 41