Der lange Weg zur bäuerlichen Landwirtschaft Agrarpolitik im 19. und frühen 20. Jahrhundert Die Agrarpolitik prägt in vielfältiger Weise und oft gesprochen wird. Grundherren als Lehensgeber und Bau- ten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber zunehmend. Das Ver- ern als Lehensnehmer standen in einem recht komplizier- antwortungshandeln gegenüber dem Hof und der künfti- ten Dienst-Lehen-Verhältnis zueinander mit Rechten und gen Generation schwindet gegenüber individuellen Wün- Pflichten auf beiden Seiten. Der Bauer war als Landnutzer schen der Hofmitglieder. Gleichwohl bleibt der bäuerliche personell und wirtschaftlich eng an den Grundherren ge- Familienbetrieb ein Leitbild der Agrarpolitik. bunden, z. B. hatte er Naturalabgaben zu leisten und Hand- Kapitalistische Agrarsysteme waren in Mitteleuropa vor und Spanndienste zu erfüllen. Andererseits stand der allem in der Gutswirtschaft verbreitet. Die Geschäftsbe- Grundherr in der Pflicht der Armen- und Notfürsorge oder ziehungen zwischen den Bodeneignern und den Pächtern der Bestellung eines Richters. Unterhalb der Herren- und oder Verwaltern und den eigentlichen Landarbeitern waren Bauernschicht entwickelte sich eine breite unterbäuerliche durch Pacht- und Arbeitsverträge geregelt. Die Entwick- Schicht der landarmen Kötter (Kleinbauern und Besitzer lung zur kapitalistischen Gutswirtschaft, die in England eines Kotton, d. h. eines kleinen Hofgebäudes) und landlo- und Skandinavien bereits im Späten Mittelalter einsetzte, sen Hausgenossen. Das feudale Agrarsystem dominierte in fand in Deutschland seit dem 16. Jahrhundert vor allem im Europa und Deutschland vom Frühen Mittelalter bis zu den nördlichen und östlichen Deutschland statt. So vor allem in großen Agrarreformen des 18. und 19. Jahrhunderts. Mecklenburg und Pommern, in Teilen Schleswig-Holsteins, In der bäuerlichen Landwirtschaft liegen die Eigentums- Brandenburgs und Schlesiens. Es wurden dort flächenhaft und Nutzungsrechte zusammen in der Hand der Betriebe. ehemals grundherrschaftliche Bauerndörfer zu Gutssied- Der Hof ist die Heimat und Lebensgrundlage der landwirt- lungen umgebildet, wobei die alten Dörfer meist aufgelöst wir dagegen eine Agrarpolitik, die ständig und teilweise schaftlichen Familie. Lange Zeit galt die sog. »Hofidee«: Das wurden.234 Man bezeichnet diesen Übergang auch als »Bau- massiv die Agrarwirtschaft und darüber hinaus die dirigistisch in Produktion und Marktgeschehen eingreift. wirtschaftliche Handeln war vorrangig auf die Erhaltung ernlegen« durch die Grundherren. Diese hatten die länger- Entwicklung der Dörfer. Dies gilt für Vergangenheit wie Zum Kennzeichen einer Zwangswirtschaft gehören die und Weitergabe des Hofes ausgerichtet. Vor über 100 Jah- fristigen bäuerlichen Nutzungsrechte am Boden zurück- Gegenwart. Kommt es zu größeren Umgestaltungen ausschließlich zentralistische Planung und staatlich kont- ren wurde das Leitbild der bäuerlichen Landwirtschaft von genommen und in kurzfristige Arbeitsverträge überführt. durch die Agrarpolitik, spricht man von Agrarreformen. rollierte Durchführung, wobei alle privatwirtschaftlichen Wilhelm Heinrich Riehl (1823–1897) ausführlich beschrie- Somit wurden die ehemaligen Bauern zu Landarbeitern Ein Jahrhundert großer Agrarreformen war das 19. Jahr- Kräfte ohne Wirkung bleiben. Häufig enthält die Agrar- ben und propagiert: Im Mittelpunkt stand der selbstgenüg- und Tagelöhnern degradiert. Sie gerieten in eine starke per- hundert. Damals entstand aus dem feudalen Agrar- politik Anteile aus verschiedenen Wirtschaftsordnungen. same und heimatverbundene »Bauer guter Art«. Das eu- sönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit zum Grund- system mit vielen Abhängigkeiten die bäuerliche Land- Heute ist die Agrarpolitik – gerade auch in den EU -Län- ropäische Hofbauerntum ist seit den Agrarreformen des herren, die man auch als »Leibeigenschaft« bezeichnet, z. B. wirtschaft. Bauernrevolten und die Landrevolution von dern – sehr kompliziert geworden: Sowohl liberale wie ge- 19. Jahrhunderts weit verbreitet, verändert sich seit der zwei- durften sie den Hof ohne Erlaubnis nicht verlassen. Ent- 1848 haben dabei geholfen. lenkte und dirigistische Elemente stehen unmittelbar nebeneinander, sodass kaum noch zu erkennen ist, welches Jeder Staat hat in der Regel genaue Vorstellungen davon, in welcher Weise die Land- und Forstwirtschaft betrieben wirtschaftspolitische Grundmodell zugrunde liegt. In Deutschland und Europa sind im Verlauf der Ge- werden soll. Die entsprechenden Ziele, Aufgaben, Regeln schichte sehr verschiedenartige Agrarwirtschaftsordnun- oder auch Reformprogramme zu formulieren und für de- gen entstanden, meist nacheinander, bisweilen auch ne- ren Umsetzung zu sorgen, ist Aufgabe der Agrarpolitik. In beneinander. Wir unterscheiden bisher vor allem feudale, der Agrarpolitik spiegelt sich die jeweils herrschende Wirt- bäuerliche, kapitalistische und kollektivistische Wirt- schaftsordnung eines Staates oder einer Gesellschaft wider. schafts- und Gesellschaftssysteme. Diese kann generell eher liberal sein und den freien Kräf- In der feudalen Agrarordnung besitzt eine herrschende ten des Marktes vertrauen oder staatlich gelenkt sein. Ohne Oberschicht (meist Klerus und Adel) das Bodeneigentum Kenntnisse der sich wandelnden Agrarpolitik sind viele und damit die wirtschaftliche und politische Macht. Das Entwicklungen des ländlichen Raumes nicht zu verstehen. Land wird teilweise zur Nutzung verliehen bzw. »zu Le- Eine liberale Wirtschaftsordnung vertraut auf Markt und Wettbewerb, wo bzw. wodurch sich eine leistungsfähige Agrarwirtschaft entwickelt und selbst organisiert. In gelenkten und gesteuerten Wirtschaftsordnungen haben hen gegeben«, weshalb auch von einer Lehensherrschaft Abbildung oben: Vor einem Gehöft in Kleindrebnitz in Sachsen präsentiert sich im Jahre 1897 das Gesinde in einem Gruppenbild. Für den heutigen Betrachter ist das Foto eher gefühlte 300 Jahre alt! Nach den Agrarreformen des 19. Jahrhunderts konnte die bäuerliche Landwirtschaft aufblühen und damit auch ein breiterer Wohlstand in die Dörfer einziehen, im Bild das Bauerndorf Unterliezheim in Bayern. 268 Das moderne Dorf Dorfpolitik 269 sprechend groß war in den Gutsdörfern die soziale Klassentrennung zwischen Gutsbesitzern und Landarbeitern. Das wesentliche Merkmal kollektivistischer Agrarsysteme ist die gemeinschaftliche Produktion und Vermark- 2. Ablösung des bisher geteilten Rechts am Boden (grundherrliches Obereigentum und bäuerliches Nutzungsrecht) und Übergabe des Eigentums am Boden an die Bauern. tung. Nach dem Grad der Sozialisierung unterscheidet 3. Auflösung der bisher gemeinschaftlich genutzten Flä- man genossenschaftliche und sozialistische Agrarsysteme. chen (Allmenden, Weiderechte in den Wäldern) zuguns- Die genossenschaftliche Landwirtschaft ist ein freiwilli- ten von Privateigentum und entsprechend individueller ger Produktionsverbund selbstständiger Landwirte, die Nutzung. auch Eigentümer ihres Landes bleiben. In Deutschland ent- 4. Zusammenlegung der verstreuten Besitzflächen und stand das moderne Genossenschaftswesen in der Landwirt- Feldwegebau zur individuellen Erschließung der Feld- schaft um die Mitte des 19. Jahrhunderts. In sozialistischen parzellen im Rahmen staatlicher Förderprogramme der Agrarsystemen regeln staatliche Planung und Aufsicht die Flurbereinigung. landwirtschaftliche Produktion. Eine sozialistische Plan- 5. Aufhebung des sog. »Flurzwanges«, wodurch eine ei- wirtschaft mit erheblichen Eingriffen in die Privatrechte genständige betriebswirtschaftliche Landbewirtschaf- der Landeigentümer herrschte in Deutschland von 1945 bis tung ermöglicht wurde. Mit Flurzwang beschreibt man 1990 im Gebiet der ehemaligen DDR . die genaue Festlegung der anzubauenden Feldfrüchte In Deutschland wie auch in den meisten Ländern Euro- und der zeitlichen Nutzung der Flurparzellen (bei Saat, pas vollzog sich im 19. Jahrhundert die endgültige Beseiti- Pflege und Ernte) durch Grundherren oder Dorfgenos- gung des feudalen Agrarsystems. An seine Stelle trat in ei- senschaften. nem langen Prozess mehrerer Reformen, die sich fast über 6. Allmähliche Ablösung landesherrlicher Befugnisse seit das ganze Jahrhundert erstreckten, eine liberale und bau- der Mitte des 19. Jahrhunderts, die dem Adel als Grund- ernorientierte Agrarordnung. Im Mittelpunkt stand die herren noch aus früheren Rechten zugeordnet waren: Ablösung des sehr komplizierten Dienst-Lehen-Verhält- u. a. die niedere Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt der nisses zwischen Bauern und Grundherren. Sie brachte für Gutsherren. die Bauern und Landarbeiter die persönliche Freiheit und zugleich Rechte auf Bodeneigentum. Gleichzeitig befreite Der Umbruch vom feudalen zum liberalen System und sie aber auch die ehemaligen Grundherren von wichtigen überhaupt die Bereitschaft zu grundlegenden Agrarrefor- Verpflichtungen und Beschränkungen, so z. B. die den Bau- men wurde nicht zuletzt durch ein immer stärkeres Aufbe- schatzung des Schlosses Waldenburg in Sachsen am 5. April Straßenweiler Matgendorf, Groß Wüstenfelde und Schwet- ern eingeräumten alten Waldnutzungsrechte. Ziele der li- gehren der Landbevölkerung angetrieben.236 Ab 1830 kam 1848, die in einem sehr detaillierten Holzschnitt eindrucks- zin nördlich von Teterow in Mecklenburg-Vorpommern. beralen Agrarpolitik waren, den Bauern und Landarbei- es in Deutschland wiederholt zu Aufständen und Revol- stark dargestellt ist. Die Landrevolution von 1848 beschleu- Im Dritten Reich war ein wichtiges Ziel der Agrarpoli- tern gerechte und soziale Lebensbedingungen zu schaffen, ten gegen die lokale Grundherrschaft, um die Abgaben- nigte letztlich den Durchbruch zu einer liberalen Agrarpo- tik die Selbstversorgung aller Staatsbürger mit Lebensmit- den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt in der last und rechtliche Ohnmacht zu beseitigen. Den Höhe- litik und markiert in gewisser Weise den Start der Bauern teln durch den eigenen Bauernstand. Um wirtschaftlich Land- und Forstwirtschaft zu fördern und nicht zuletzt den punkt dieser Protestaktionen bildete dann die Revolution und generell der deutschen Landwirtschaft in die Moderne: stabile Bauernhöfe zu bekommen bzw. zu erhalten, wur- Aufbau moderner Staaten zu erleichtern. Bauern, Land- von 1848, die von Unruhen und Aufständen in Paris und Die von grundherrschaftlichen Vorrechten befreite bäuer- den »Erbhöfe« bestimmt, die mindestens 7,5 ha und höchs- arbeiter und Grundherren waren nun unmittelbar und in Berlin ausging und in kurzer Zeit praktisch ganz Deutsch- liche Mittel- und Oberschicht konnte sich nun – neben dem tens 125 ha besaßen und ungeteilt vererbt werden mussten. Landadel – entwickeln und etablieren. Basis dieser Agrarpolitik waren das Reichserbhofgesetz und gleicher Weise der Staatshoheit unterstellt. Nach Abschaf- land erfasste, vor allem aber auf dem Land wirksam wurde. fung des feudalen Agrarsystems setzte sich in Deutschland Vielerorts – Schwerpunkte lagen in Süddeutschland, West- Nach dem Ersten Weltkrieg wurde mithilfe des Reichs- das Reichsnährstandsgesetz, die beide im September 1933 das Leitbild der bäuerlichen Landwirtschaft durch. falen und Sachsen – zogen Dorfbewohner vor Amtssitze, siedlungsgesetzes von 1919 eine Bodenreform begonnen erlassen wurden. Auf dem 2. Reichsbauerntag im Novem- Schlösser und Archive und erklärten dem Landadel mit sei- und damit vor allem eine rege landwirtschaftliche Sied- ber 1934 erfolgte ein entsprechender Aufruf zur »Erzeu- Die wichtigsten Agrarreformen des 19. Jahrhunderts las235 nen Beamten den Kampf. Sie verlangten den Verzicht auf lungstätigkeit ausgelöst. Durch Privatisierung staatlicher gungsschlacht« der deutschen Landwirtschaft. Damit ange- 1. Aufhebung der persönlichen Bindungen und Abhängig- Abgaben und Dienste und pochten auf alte Rechte wie z. B. Güter entstanden von 1919 bis 1932 besonders in Mittel- und strebt wurde die sog. »Nahrungsfreiheit«, die ernährungs- keiten der Bauern und Landarbeiter an die Grundherren. der Waldnutzung. Fand man kein Gehör, wurden nicht sel- Ostdeutschland über 60 000 Neusiedlerstellen mit durch- wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Ausland.240 Dem Ziel Ablösung der Hand- und Spanndienste und der natura- ten Gebäude der adligen Grundherren gestürmt und in schnittlich 11 ha Land, die vom Staat an Landwirte vergeben der Produktionssteigerung diente auch die Neulandgewin- len Abgaben. Brand gesetzt. Ein Beispiel ist die Erstürmung und Brand- wurden. Beispiele solcher neuer Bauernsiedlungen sind die nung an den Küsten sowie die Urbarmachung von Ödland. sen sich in den folgenden Punkten zusammenfassen: 270 Die Landrevolution von 1848 beschleunigte die Agrarreformen und markiert den Start der Bauern in die moderne Zeit. Auf dem Holzschnitt dargestellt sind Erstürmung und Brand des Schlosses Waldenburg am 5. April 1848. Das moderne Dorf Dorfpolitik 271 32 % auf etwa 550 volkseigene Güter (VEG ). Die Begleitumstände der Bodenreform waren besonders in den Sommerund Herbstmonaten des Jahres 1945 oft dramatisch und mit großem menschlichem Leid verbunden.243 Die enteigneten Besitzer hatten meist binnen 24 Stunden mit ihren Familien die Höfe zu verlassen. Zahllosen Guts- und Hofbesitzern und ihren Angehörigen, insbesondere den Frauen, wurde Gewalt angetan. Viele wurden ermordet oder verschleppt, andere wieder begingen Selbstmord, um nicht in die Hände der Besatzer zu fallen. Nicht selten fanden ganze Familien den Tod. Die zweite Phase der Agrarpolitik von 1952 bis 1960 diente dem planmäßigen Aufbau des Sozialismus in der Bodenreform und Kollektivierung DDR – sie gilt als die Zeit der Kollektivierung. Zielvorgabe der Sozialistischen Einheitspartei war es, dass möglichst alle Agrarpolitik in Ostdeutschland von 1945 bis 1990 Bauern sich zu landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG ) zusammenschließen. Dies erfolgte zunächst auf freiwilliger Basis, dann mit verschiedenen Vergünsti- In den ersten 45 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg sellschaft, in der allmählich eine qualitativ neue Siedlungs- bestanden in den beiden getrennten Hälften unseres weise der Menschheit geschaffen wird.« Die Konsequenz tischen Druck. 1960 war die Vollkollektivierung der Land- waren die industrieähnlichen landwirtschaftlichen Pro- wirtschaft erreicht, die durchschnittliche Wirtschafts- nebeneinander. Ohne Zweifel hat die Agrarpolitik duktionsgenossenschaften (LPG ) und die Hochhäuser für fläche je LPG betrug bereits 580 ha. Die fast komplette im Gebiet der DDR die bestehenden Verhältnisse der Landarbeiter, die bald in den Dörfern entstanden. Beseitigung des frei verfügbaren Privatbesitzes an land- Insgesamt lassen sich in der DDR drei agrarpolitische wirtschaftlichen Nutzflächen wurde in der DDR sprachlich als im Westen Deutschlands. Seit 20 Jahren haben Phasen unterscheiden.242 Die erste von 1945 bis 1949 stand als »Bauernbefreiung« gefeiert. Allerdings hatten sich Tau- wir wieder eine gemeinsame deutsche Agrarpolitik. unter dem Leitwort der Bodenreform. Mit dem Motto sende von Landwirten dem zuletzt immer stärkeren Druck, Die viereinhalb Jahrzehnte Agrarpolitik von 1945 bis »Junkerland in Bauernhand« wurden alle Höfe und Güter ihren Betrieb in die LPG einzugliedern, durch ihre Flucht 1990 haben jedoch bis heute tiefe Spuren in den mit mehr als 100 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche ent- nach Westdeutschland entzogen. neuen Bundesländern hinterlassen. schädigungslos enteignet. Außerdem wurden ebenfalls Be- Ab 1963 folgte in einer dritten Phase der Agrarpolitik triebe unter 100 ha enteignet, sofern ihre Eigentümer als der Aufbau von Kooperationsgemeinschaften. Die Betriebe Kriegsverbrecher, Kriegsschuldige oder Nationalsozialis- wurden nun weiter vergrößert und zusammengelegt, au- Landwirtschaft und des Dorfes massiver verändert Die Agrarpolitik im Gebiet der damaligen DDR war ein Teil der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Im Mittel- ten ausgewiesen werden konnten (was nicht selten willkür- ßerdem wurden die LPG s auf wenige Produkte spezialisiert. punkt stand die Beseitigung der adligen Gutsherrschaften lich geschah). Insgesamt wurden so rund 12 000 Land- und Ab 1968 setzte eine weitergehende Industrialisierung der und des privaten Bauerntums. Dies wurde erreicht, indem Forstwirtschaftsbetriebe und etwa 3,2 Mio. ha Land enteig- Landwirtschaft ein, Schichtarbeit und Berufsverkehr wur- das Privateigentum in Staatseigentum überführt wurde net, rund ein Drittel der land- und forstwirtschaftlichen den zur Normalität. Bis zum Beginn der 1980er Jahre sank Alles wird von oben geplant und gesteuert: Auf diesem Plakat von 1952 geben die Zentralbehörden bekannt, wann die Feldarbeiten zu erledigen sind (als wenn man das vor Ort nicht besser wüsste!). Die großen LPG s und VEG s erfüllten in ihren Dörfern und damit auch in sozialistische und planwirtschaftliche Nutzfläche der damaligen Sowjetischen Besatzungszone die Zahl der Betriebe auf rund 5000, deren durchschnitt- zahlreiche Aufgaben, die weit über die Landwirtschaft hi- Produktionsformen. Nicht zuletzt verfolgte die Agrarpoli- (SBZ ). Das durch die Enteignungen »gewonnene« Land ver- liche Größe bei 5000 ha lag. Die immer größer werdenden nausgingen und die man gemeinhin der Kommunalpoli- tik das Ziel, die Lebensverhältnisse auf dem Land denen in teilte man zu 52 % auf etwa 220 000 Neubauernhöfe (mit Betriebe wuchsen nun über die Gemeindegrenzen hinaus. tik zuordnet: »Sie übernahmen Infrastrukturmaßnahmen der Stadt anzugleichen. Da man die Stadt gegenüber dem durchschnittlich 8,5 ha Besitz), zu 16 % auf 335 000 Kleinst- Durch den Neubau von modernen Großstallanlagen ent- bis hin zu Straßenbau, Wasserversorgung und Abwasserbe- Land ideologisch bevorzugte, war die Urbanisierung des landwirtstellen (mit durchschnittlich 1,5 ha Besitz) und zu standen die ersten Beispiele der Agrarindustrie auf deut- seitigung, betrieben Sozialeinrichtungen wie Gaststätten, schem Boden. Für die Arbeiter dieser Agrarfabriken wur- Kulturhäuser, Freibäder, Erholungseinrichtungen, Kin- den in den LPG -Dörfern kompakte Wohnsiedlungen in derkrippen, trugen mit bei zur Sicherung der Altenbe- vier- bis sechsgeschossigen »Hochhäusern« errichtet, die bis treuung und der ärztlichen Versorgung und boten Arbeits- heute das Erscheinungsbild vieler Dörfer prägen. plätze. LPG s und VEG s verfügten über eigene Baubriga- Landes eine Leitvorstellung. B. Röseler und K. Scherf haben dies überaus treffend formuliert: »Die herrschende Arbeiterklasse konzentriert sich in den Städten. Demzufolge führt die Stadt das Land beim Aufbau der klassenlosen Ge- 272 gungen und schließlich durch wirtschaftlichen und poli- Landes zwei völlig gegensätzliche Agrarpolitiksysteme 241 Das moderne Dorf Abbildung oben: Nach der Beseitigung der privaten Landwirtschaft entstanden in der DDR Großbetriebe, hier ein Blick in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG ) Großerkmannsdorf. Dorfpolitik 273 In den neuen LPG -Dörfern wurden zahlreiche Arbeitskräfte gebraucht und angezogen, für sie wurden erstmals kleine »Hochhäuser« in die Dörfer gebaut wie hier in Trinwillershagen in Mecklenburg-Vorpommern. frühen 1990er Jahren einen knappen sarkastischen Satz fal- und VEG s in Gesellschaften neuen Rechts oder Einzelunter- len, der mir im Gedächtnis geblieben ist: »Mitte Juni mel- nehmen (»Wieder- oder Neueinrichter«) überführt worden. deten sich die Herren vom Bezirk und erklärten, dass jetzt Die politische Behandlung der sog. »Bodenreform« von 1945 Erntezeit sei.« Insgesamt jedoch konnte die Landwirtschaft bis 1949 war nach der Wiedervereinigung höchst umstrit- der DDR durch die Vergrößerung und Rationalisierung der ten. So bestätigte das Bundesverfassungsgericht letztlich Betriebe ihre Produktivität ständig steigern. Im internatio- am 23. 4. 1991 die Enteignungen der fünf Nachkriegsjahre, nalen Vergleich erreichte sie einen Spitzenplatz unter den wobei den Alteigentümern später allerdings eine geringe Ländern Mittel- und Osteuropas, blieb jedoch unter dem Entschädigung zugebilligt wurde. Die Anzahl der Betriebe Stand der westeuropäischen Landwirtschaften. 1951 werden die »Bauern« noch umworben. Das Dorf Drachhausen bekommt nach diesem Plakat von 1951 einen Landwirtschaftlichen Produktionsplan und einen Dorfwirtschaftsplan, wozu auch Straßen- und Brückenbauten gehören. den, die auch die Wohnungen der Betriebsangehörigen die Zuteilung von Maschinen, Dünger, Saatgut und Futter- instandhielten. Die Kantinen versorgten vielfach die Schul- mitteln. Zwischen den Planzielen auf der einen Seite und und Krippenkinder mit Mittagsmahlzeiten, Fahrzeuge der den Ergebnissen der Produktion auf der anderen Seite tra- LPG s oder VEG s fuhren Betriebsangehörige als Teilnehmer ten jedoch regelmäßig erhebliche Differenzen auf. Dies zu Sportveranstaltungen.« 274 244 in den neuen Ländern hat sich von rund 5000 im Jahr Mit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 fand auch die 1989/90 auf inzwischen etwa 30 000 erhöht. Ihre durch- sozialistische Agrarpolitik der DDR ihr Ende. Zum 31. 12. schnittliche Größe ist heute aber immer noch etwa achtmal 1991 erloschen die Rechtsformen der LPG s und Kooperati- höher als in den westdeutschen Bundesländern. Durch ihre onsgemeinschaften. Die Privatisierung der Landwirtschaft größeren Flächen haben die landwirtschaftlichen Betriebe bedeutete vor allem, dass die vorher genossenschaftlich ge- in Ostdeutschland eine für Deutschland überdurchschnitt- nutzten Flächen in die Verfügungsmacht der Eigentümer liche Produktivität erreicht, die auch im europäischen und zurückgegeben wurden. Inzwischen sind die meisten LPG s internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig ist. wird vor allem darauf zurückgeführt, dass die bürokrati- Zusammengefasst lässt sich die Agrarpolitik der DDR als sche Organisation zu schwerfällig und die Betriebsabläufe eine Zentralverwaltungswirtschaft bezeichnen. Alle Pla- zu wenig überschaubar waren, z. T. aber auch auf die we- nungen und Entscheidungen zielten von oben nach un- nig intensive persönliche Bindung der Mitarbeiter an die ten. Die alljährlichen zentralen Planfestlegungen regel- Betriebe. Ein ehemaliger Mitarbeiter einer LPG -Verwal- ten Produktion, Verarbeitung, Absatz und Preise, aber auch tung ließ mir gegenüber anlässlich eines Besuches in den Das moderne Dorf Die LPG war in den Dörfern nicht nur für die Landwirtschaft zuständig, sie schuf und unterhielt auch soziale und kulturelle Einrichtungen, hier das Kulturhaus in Trinwillershagen. Dorfpolitik 275 7000 Bauern durchschnittlich 24 ha und 50 000 Neusiedler durchschnittlich 3 ha erhielten. Zur Landabgabe – gegen Entgelt – waren zuvor Großbetriebe über 100 ha per Gesetz verpflichtet worden. Insgesamt erfassten die Bodenreformen in Westdeutschland weniger als 5 % der agraren Nutzfläche und bewirkten keine wesentlichen Änderungen der Agrarstruktur. Man bewertet sie heute als vorübergehende Nothilfe, die den Betrieben wegen der geringen Flächenausstattungen kaum langfristige Chancen boten. Ab 1953/55 begann die Ausgestaltung einer modernen Agrarpolitik, deren Herzstück das neue Landwirtschaftsgesetz von 1955 wurde. Deren Hauptziele waren die Förde- Modernisieren und »Wachsen oder Weichen« Agrarpolitik in der Bundesrepublik Deutschland von 1945 bis heute rung der landwirtschaftlichen Produktion und die Verbesserung der sozialen Lage der in der Landwirtschaft tätigen Menschen. Angesicht der großen Modernisierungs- und Einkommensfortschritte in Industrie und Handel hatte man die Notwendigkeit erkannt, auch den Agrarsektor zu modernisieren. Um die angestrebten Verbesserungen zu Agrarpolitik geht uns alle an, tagtäglich, aber viele gemeinsamen EU -Agrarpolitik geprägt. Erst seit 20 Jah- beobachten, wurde ein alljährlicher Bericht über die Ein- Die Präsentation guter landwirtschaftlicher Produkte ist ein wichtiges Anliegen der Agrarpolitik und der Agrarverbände, hier mit zuständigen Bundes- und Landesministern sowie einer Produktkönigin. wissen wenig davon. Wer einmal Agrarpolitik zum ren haben wir wieder eine einheitliche deutsche Agrarpoli- kommenssituation in der Landwirtschaft an den Bundestag Anfassen erleben möchte, sollte die alljährliche Inter- tik, wobei in den neuen Ländern zunächst die Reprivatisie- gesetzlich verankert. Das gilt bis heute. Aus dem »Grünen darbietet. Konkrete Schwerpunkte der staatlichen Agrar- nationale Grüne Woche Mitte Januar in Berlin besu- rung der kollektivierten Betriebe im Vordergrund der Be- Bericht« wurde der »Agrarbericht«, der alljährlich Mitte strukturförderung ab 1953 waren u. a.: Flurbereinigung chen. Schon bei der festlichen Eröffnung im Internatio- mühungen stand. Januar zur Grünen Woche erscheint und jeweils wichtige und Aussiedlung, Agrarsubventionen wie Dieselölverbilli- Zielvorgaben und Daten zur Agrarpolitik in knapper Form gung oder Preisstützungsmaßnahmen bei Milch und Ge- nalen Congress Centrum (ICC ) in Berlin präsentieren Die Agrarpolitik der Bundesrepublik Deutschland seit EU - und Bundespolitiker sowie Bauernpräsidenten die dem Zweiten Weltkrieg lässt sich bisher in drei Phasen un- unterschiedlichen Wünsche und Sorgen der Agrarpo- tergliedern.245 In den Nachkriegsjahren von 1945 bis 1953 litik, der Produzenten, Händler und Verbraucher von stand politisch der Wiederaufbau des zerstörten Landes im Agrarprodukten. Sie sprechen über Agrarsubventionen, Vordergrund. Wichtigstes agrarpolitisches Ziel war damals Milchquoten und -preise bis hin zur nachhaltigen Land- die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln. wirtschaft und zur Verantwortung für die Welternäh- Dazu musste die landwirtschaftliche Produktion, die in den rung. An den folgenden Tagen zeigt die Grüne Woche Kriegsjahren um mehr als ein Drittel gesunken war, wie- unzählige Aktivitäten der Agrarpolitik ganz konkret: die der gesteigert werden. Die ersten Berichte des Bundesernäh- Bemühungen um alte Tierrassen und Apfelsorten, um rungsministers hatten daher den Tenor »Sorgen um das täg- gesunde Lebensmittel und Ernährung sowie die Erhal- liche Brot«. Diese prekäre Lage dauerte etwa fünf Jahre an. tung des Dorfes und der ländlichen Kulturlandschaft. Bereits 1950 konnten alle Bewirtschaftungsmaßnahmen für Nahrungsmittel wieder aufgehoben werden. Zur Phase Es gibt kaum einen Politikbereich, der in den letzten 65 Jah- des Wiederaufbaus gehören auch die Bemühungen um ren in Deutschland so unterschiedlich, wechselhaft und eine Bodenreform. Man wollte damit vor allem den etwa teilweise revolutionär und widersprüchlich verlaufen ist 300 000 aus Ostdeutschland und Osteuropa vertriebenen wie die Agrarpolitik. Im Osten Deutschlands herrschte zu- Bauern eine neue Existenzmöglichkeit anbieten. Insgesamt nächst eine sozialistische Gesellschaftsordnung, im Westen wurden jedoch nur etwa 230 000 ha Land umverteilt, wobei die soziale Marktwirtschaft. Entsprechend kontrastreich war die jeweilige Agrarpolitik. Seit Mitte der 1960er Jahre wird die (west-)deutsche Agrarpolitik zunehmend von der Abbildung oben: Auf der jährlichen Grünen Woche in Berlin informiert die Agrarpolitik auch über Verbraucherschutz und gesunde Ernährung. Die Agrarpolitik fördert Groß- wie Kleinbetriebe, in der Börde wie im Gebirge. Dieser Hof im Trettachtal bei Oberstdorf betreibt Gründlandwirtschaft und damit zugleich – durch die Offenhaltung der Talaue – Kulturlandschaftspflege. 276 Das moderne Dorf Dorfpolitik 277 treide sowie agrarsoziale Maßnahmen wie die Altershilfe Agrarprodukten durch Subventionen. Ein großes Problem für Landwirte und deren Ehefrauen. Daneben gab es land- für eine gemeinsame Agrarpolitik waren die erheblichen wirtschaftliche Regionalprogramme zur Unterstützung Unterschiede in der westeuropäischen Agrarstruktur. So benachteiligter Regionen wie dem Emsland, der Schwäbi- stand die klein- und mittelbäuerliche deutsche Landwirt- schen Alb und dem Bayerischen Wald. Die Fördermaßnah- schaft einer von Großbetrieben geprägten Landwirtschaft men der 1950er und 1960er Jahre dienten letztlich dazu, in Großbritannien und Frankreich gegenüber. Um hier den angestrebten Modernisierungs- und Schrumpfungs- eine notwendige Anpassung zu beschleunigen, verfasste der prozess der Landwirtschaft nicht dem »freien Markt« zu damalige Vizepräsident der EG -Kommission Sicco Mans- überlassen, sondern in geordneten Bahnen verlaufen zu las- holt im Jahr 1968 ein »Memorandum zur Reform der Land- sen. Dazu gehörte auch, dass man an dem Leitbild des bäu- wirtschaft in der EG «. Dieser seinerzeit äußerst umstrittene erlichen Familienbetriebes festhielt. »Mansholt-Plan« forderte nicht zuletzt von der deutschen Ab Mitte der 1960er Jahre wurde die Agrarpolitik der Landwirtschaft einen forcierten Schrumpfungsprozess Bundesrepublik zunehmend von übernationalen Regelun- nach dem Motto »Wachsen oder Weichen«. Klein- und Mit- gen der EWG , dann der EG und heute der EU geprägt. Man telbetriebe sollten zugunsten von Großbetrieben zum Aus- erließ Marktordnungen, in denen z. B. einheitliche Richt- scheiden gedrängt werden. Betriebe mit Bodenproduktion preise für Milch, Zucker oder Getreide festgelegt wurden. sollten mindestens 80–120 ha groß sein. Der Mansholt-Plan Man schützte die eigenen Bauern vor billigen Einfuhren wurde besonders in Deutschland seinerzeit als Radikal- mit Zöllen und erleichterte andererseits die Ausfuhr von lösung verurteilt, er zeigte jedoch mittel- und langfristig Protestierende Bauern machen immer wieder auf Probleme aufmerksam: Hier fordern rund 500 Milchbauern aus Baden-Württemberg vor dem Agrarministerium in Stuttgart am 22. 9. 2009 faire Milchpreise, die nicht unter den eigenen Kosten liegen. Wirkung. Mit verschiedenen Programmen hat die EU seit im Westen als gleichberechtigt neben den Städten und In- den 1970er Jahren dazu beigetragen, den Prozess der Ge- dustriegebieten respektiert, wie es der damalige Bundes- sundschrumpfung der Landwirtschaft (Verringerung der landwirtschaftsminister Josef Ertl im Jahr 1976 unmissver- Betriebe und Vergrößerung der Flächen je Betrieb) ökono- ständlich ausdrückte: »Ein Industriestaat muß gleicherma- misch und sozial abzufedern. So gab es Förderungen zur ßen industrielle und ländliche Räume entwickeln. Verliert Modernisierung landwirtschaftlicher Betriebe, zur Ein- der ländliche Raum infolge mangelnder Arbeitsplätze an stellung der landwirtschaftlichen Tätigkeit, zur berufli- Attraktivität, dann ist die Chancengleichheit der Bürger in chen Qualifikation der in der Landwirtschaft tätigen Perso- unserem Lande zunehmend gefährdet. Soziale, generative nen und nicht zuletzt das sog. »Bergbauernprogramm« zur und kulturelle Erosion sind die Folge. Noch funktionsfä- Förderung der Landwirtschaft in Berggebieten und in be- higen Siedlungsstrukturen droht der Kollaps. Auf der an- stimmten Regionen. deren Seite würden die stärker verdichteten Räume immer Trotz der intensiv betriebenen Gesundschrumpfung der dichter werden; die Umweltprobleme potenzieren sich und Landwirtschaft vernachlässigte die Agrarpolitik die Ge- die Infrastruktur wird zunehmend belastet.«246 So wurde in samtentwicklung des ländlichen Raumes keineswegs. An- Deutschland zusätzlich mit einem Gesetz über die Gemein- ders als im Osten Deutschlands wurde der ländliche Raum schaftsaufgabe des Bundes und der Länder zur Verbesserung Die Agrarpolitik unterstützt zunehmend auch eine nachhaltige und weniger intensive Landbewirtschaftung, hier die Pflege und Bewirtschaftung einer Streuobstwiese in Benediktbeuern in Bayern. 278 Das moderne Dorf Dorfpolitik 279 der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK , seit 1973) Stand zunächst die Lebensmittelversorgung der Bevölke- ein Instrument zur Modernisierung der Landwirtschaft rung zu erschwinglichen Preisen im Vordergrund, wur- und des ländlichen Raumes geschaffen, das u. a. der Dorfer- den es danach mehr und mehr die ökonomischen, sozialen neuerung zugutekam. Seit den 1990er Jahren werden mit und baulichen Verbesserungen im ländlichen Raum sowie dem EU -LEADER -Programm vielfältige innovative In- heute zunehmend der Natur- und Kulturlandschaftsschutz. itiativen im ländlichen Raum gefördert, die von lokalen Selbstkritisch sieht sich die Gemeinsame Agrarpolitik der Gruppen getragen werden. All diese Förderungen dien- EU (GAP ) heute in ihren offiziellen Verlautbarungen: »Die ten letztlich dazu, den für notwendig gehaltenen ökonomi- GAP mußte sich ändern … und sie wurde geändert!« Was schen und sozialen Strukturwandel des Landes zu beglei- die EU -Agrarpolitik derzeit konkret für uns tut, fasst sie in ten. Es gibt jedoch bis heute unterschiedliche Auffassungen sechs Punkten zusammen:247 darüber, ob das von der Agrarpolitik der EU und Deutsch- 1. »Wir können uns darauf verlassen, dass uns die GAP auch lands vorgegebene Tempo der Modernisierung nicht doch in Zeiten weltweiter Engpässe und hoher Preise mit Le- zu scharf war und gerade in der deutschen Landwirtschaft bensmitteln versorgt. und im deutschen Dorf schmerzhafte Wunden hinterlassen 2. Die EU setzt strikte Bestimmungen zur Gewährleistung hat, die z. T. immer noch nicht verheilt sind. An der Gestal- der Sicherheit unserer Lebensmittel durch und legt strik- tung der Agrarpolitik haben sich natürlich auch die ver- te Tierschutznormen fest. schiedenen Spitzenverbände der deutschen Agrarwirtschaft seit Jahrzehnten intensiv beteiligt. Immer wieder wurde die EU -Agrarpolitik in den zu- Aufgaben und Entwicklung der Flurbereinigung 3. Die GAP leistet einen wichtigen Beitrag, um das einzigartige ländliche Erbe Europas zu erhalten und die Umwelt zu schützen. Seit Jahrhunderten betreibt der Staat Bodenneuord- lich die nur wenige Meter breiten »Handtuchfluren« übrig rückliegenden Jahrzehnten mit Vorwürfen und Krisen 4. Die GAP trägt dazu bei, dass Lebensmittel erschwing- nungen im ländlichen Raum – mit sehr unterschied- blieben. Die Zersplitterung und stetige Verkleinerung des konfrontiert. Finanzkrisen führten dazu, dass Beihilfen lich bleiben. Gegenwärtig sind 15 % der Ausgaben eines lichen Zielen. Meist stand die ökonomisch zweckmä- Besitzes erschwerte natürlich eine langfristige Existenzsi- und Förderprogramme abgesetzt werden mussten. Die viel- durchschnittlichen Haushalts in der EU für Lebensmit- ßige Landbewirtschaftung im Vordergrund. Dabei ging cherung der landwirtschaftlichen Betriebe in den Realerb- fältigen Subventionen ermöglichten erst Produktionsüber- tel bestimmt, während dieser Anteil 1960 mit 30 % noch es vor allem um die Zusammenlegung von zersplit- gebieten. schüsse (erinnert sei an die »Milchseen« und »Butterberge«), doppelt so hoch war. die man dann durch feste Quoten zu reduzieren versuchte. 5. Die Landwirte sind wettbewerbsfähiger geworden. Sie Vorwürfe, die Brüsseler Agrarbürokratie sei zu aufgebläht, stehen fast ständig im Raum. Dies gilt auch für die hohe tertem Grundbesitz, den Feldwegebau und den Hoch- Generell haben auch die Staaten (und deren Wirtschafts- wasserschutz. Heute ist die staatliche Flurbereini- und Finanzminister) bzw. früher die Landes- und Grund- produzieren nun das, was auf dem Markt nachgefragt gungsbehörde für zahlreiche und komplexe Aufgaben herren ein Interesse an ökonomisch stabilen und ertrag- wird und was die Verbraucher benötigen. der ländlichen Entwicklung zuständig. Im Mittelpunkt reichen landwirtschaftlichen Betrieben. Daher gibt es in stehen die Dorferneuerung und die Kultur- und Natur- Deutschland und in vielen anderen europäischen Ländern landschaftspflege. schon seit der Frühen Neuzeit Reformen, Gesetze und För- Regelungsdichte der Verordungen und Anweisungen, der 6. Die EU garantiert die Qualität und Sicherheit von Le- Eingrenzungen und Ausgrenzungen, der Erstattungen und bensmitteln durch klare Etikettierungensvorschriften, Abschöpfungen, die so unübersichtlich und wechselhaft Verordnungen über Tier- und Pflanzengesundheit sowie geworden sind, dass eine verantwortungsvolle Kontrolle durch die Kontrolle von Pestizidrückständen und Zu- Schon auf kleinmaßstäblichen Luftbildern von Deutsch- Flur zugunsten größerer, betriebswirtschaftlich sinnvol- kaum noch möglich ist. An der Basis wird der Sinn der oft satzstoffen in Lebensmitteln.« land kann man erkennen, dass die Flurstücke von Region ler Feldstücke umzuwandeln. Diese einschlägigen staatli- zu Region sehr unterschiedliche Größen haben. Generell chen Ziele und Maßnahmen werden heute in den Begriffen wechselnden Programme nicht verstanden. Ähnliche Kla- 280 Wie der Staat die Landbewirtschaftung verbessert derprogramme mit dem Hauptziel, die kleinparzellierte gen wie diese hört man häufiger: »Heute wird das Abhol- Die für die deutsche Agrarpolitik zuständige Ministerin sind sie im Norden und Osten am größten, die kleinsten »Flurbereinigung« bzw. »Bodenneuordnung« zusammen- zen von Obstbäumen – und morgen das Anpflanzen von Ilse Aigner beschreibt in knapper Form ihr Leitbild der Flurparzellen finden sich im Süden und Westen Deutsch- gefasst. Auch die dafür zuständigen staatlichen Ämter tru- Obstbäumen gefördert.« Manche sprechen daher von einer Landwirtschaft: »Als Ministerin habe ich ein klares Bild lands. Diese Kontraste im Flurbild sind historisch entstan- gen oder tragen in der Regel diese Namen. staatlich-bürokratischen Zwangswirtschaft in der Agrar- von unternehmerischer und bäuerlicher Landwirtschaft. den durch ein unterschiedliches Erbrecht. Im Norden und Die staatliche Flurbereinigung zielt grundsätzlich auf politik. Andere werfen ihr vor, dass sie die EU -Landwirt- Sie ist geprägt von einem hohen Maß an Verantwortung Osten Deutschlands galt früher die geschlossene Vererbung eine Verbesserung der Agrarstruktur ab. Neben der Besei- schaft zu sehr von anderen Märkten abschotte und insge- gegenüber den nachfolgenden Generationenen, von tierge- oder das Anerbenrecht: Das landwirtschaftliche Grundei- tigung von kleinparzelliertem Grundbesitz geht es dabei samt zu wenig ihre soziale, ökologische und globale Ver- rechter Haltung und von einer nachhaltigen Pflanzenpro- gentum ging im Erbgang ungeteilt an eine Person über. Im auch darum, das Feldwegenetz und die Wasserwirtschaft zu antwortung wahrnehme. duktion.«248 Westen und Südwesten dominierte hingegen die Realtei- verbessern, Betriebe zu vergrößern, Orte aufzulockern, Aus- Man muss der Agrarpolitik allerdings zugutehalten, lung: Das landwirtschaftliche Vermögen wurde gleichmä- dass sich die Ansprüche der Gesellschaft an die Landwirt- ßig auf die Erben aufgeteilt. Durch fortgesetzte Teilungen schaft in den letzten Jahrzehnten ständig verändert haben. entstanden so immer schmalere Flurparzellen, bis schließ- Das moderne Dorf Abbildung oben: Schmale Parzellen wie hier in Bayern erschweren die Landbewirtschaftung. Hier kann die Flurbereinigung helfen. Dorfpolitik 281 siedlerhöfe zu errichten und insgesamt Dörfer zu erneuern. den in sehr viel größeren Ausmaßen vor allem in England Vermessen hinaus. Durch die immer komplexer geworde- auch in zahlreichen Weinbergsgemarkungen durchgeführt Nicht selten dient die Flurbereinigung auch nicht agraren, (seit dem 15. Jahrhundert) und in Skandinavien (seit dem nen Aufgabenstellungen arbeiten die Flurbereinigungs- wurden, profitierte ohne Zweifel die westdeutsche Land- überregionalen Planungen für Autobahnen, Bahntrassen, 18. Jahrhundert) statt. Hier ist die Landwirtschaft schon ämter heute intensiv mit Agraringenieuren, Bauingenieu- wirtschaft. Kanäle oder Flugplätze, wobei sie zwischen den Privatinte- seit dem 19. Jahrhundert komplett aus den beengten Dorf- ren, Architekten, Denkmalpflegern, Geographen, Ökolo- Ein typisches Flurbereinigungsverfahren aus den 1960er ressen der Landwirtschaft und den Gemeinwohlinteressen lagen verschwunden und konzentriert sich jetzt auf die frei gen, Landespflegern, Soziologen, Historikern und Juristen Jahren zeigt das Beispiel Glehn (s. Abb. Seite 284). Hier des Staates zu vermitteln hat. Die meisten Gemarkungen in in der Feldflur liegenden Gehöfte. Diese Nachbarländer ha- zusammen.251 wurden im Wesentlichen sechs Maßnahmen verwirklicht: Deutschland haben seit dem 19. Jahrhundert zumindest ein- ben durch ihre frühen und flächenhaften Flurneuordnun- mal eine Flurbereinigung erfahren. 250 Ein gutes Beispiel für die Flurneuordnung des 19. Jahr- 1. Beseitigung der Flurzersplitterung: So wurde für den gen einen deutlichen strukturellen Vorsprung gegenüber hunderts bietet die Separation von Göhritz westlich von dargestellten Ortsbetrieb die Anzahl der Betriebsstücke Die ältesten staatlichen Flurneuordnungen fanden in der deutschen Landwirtschaft, die in vielen Regionen im- Merseburg im Jahr 1854. Die Flur vor der Bereinigung zeigt von 24 auf 3 reduziert; Deutschland ab dem 16. Jahrhundert im Allgäu und in mer noch relativ kleinparzelliert ist und sich häufig auch sich extrem zersplittert in schmalen, langen und geboge- 2. Aussiedlung von Höfen in die Feldflur mit arrondierten Oberschwaben statt. Es kam hier zu den sog. »Vereinödun- noch in beengten Dorflagen befindet. nen Parzellen in Gemengelage ohne Feldwegeerschließung. Besitzflächen: Hier konnte für das gezeigte Beispiel eine gen«, d. h. zu Aussiedlungen von Hofstellen aus den beeng- Eine erste flächenhafte Verbreitung fand die staatliche Die Gemarkung erhielt im Bereinigungsprozess gerade Li- optimale Reduzierung der Betriebsstücke von 32 auf 1 er- ten Ortslagen in die Flur, und gleichzeitig zur Zusammenle- Flurneuordnung in Deutschland erst mit den Agrarrefor- nien und größere Besitzflächen. So ist das neue Flurbild ge- reicht werden; gung (Arrondierung) der Besitzflächen um die neuen Ein- men des 19. Jahrhunderts. So kam es zunächst zur Auftei- prägt durch wenige rechtwinklige Parzellen und ein syste- ödhöfe. Diese Neuordnung fand bis ins 19. Jahrhundert statt. lung, d. h. Privatisierung, des Gemeindelandes – der All- matisches Feldwegenetz, das die Erschließung jeder Besitz- Ein Beispiel hierfür ist die Vereinödung von Gunzesried mende. Um den »Flurzwang«, also die fest geregelte Bewirt- einheit ermöglicht. im Allgäu aus den Jahren 1826–28.249 Insgesamt 49 Hofstel- schaftung der Feldparzellen, aufheben zu können, stand Die erste reichseinheitliche Regelung zur Flurneuord- len wurden hierbei in die Feldflur ausgesiedelt und der frei dann für Jahrzehnte der Feldwegebau im Vordergrund. Seit nung erfolgte erst im 20. Jahrhundert, und zwar durch werdende Hofgrund an die verbleibenden Höfe aufgeteilt. Mitte des 19. Jahrhunderts konzentrierte sich die Flurberei- das Reichsumlegungsgesetz von 1936 und die Reichsumle- Das generelle Ergebnis dieser Flurneuordnung war nicht nigung darauf, die in der Flur verstreuten Feldstücke zu- gungsordnung von 1937. Zu deren vorrangigen Zielen ge- nur eine wesentliche Verbesserung der landwirtschaftli- sammenzulegen. Diese Bemühungen trugen regional sehr hörten die Selbstversorgung der Bevölkerung mit Nah- chen Produktionsbedingungen, sondern auch eine Umge- unterschiedliche Namen wie Verkoppelung, Konsolidation, rungsmitteln und damit eine Erhöhung der landwirt- staltung der Siedlungslandschaft: Aus einer Landschaft mit Arrondierung, Separation, Vereinödung oder Feldberei- schaftlichen Produktion. Die staatlichen Programme eng bebauten Dörfern entwickelte sich ein Streusiedlungs- nigung. In dieser Phase entwickelte sich allmählich auch zielten darauf ab, Flurstücke zusammenzulegen, Ortslagen gebiet mit Einzelhöfen und vereinzelten Weilern sowie lo- der Berufsstand der Bodenneuordner oder Flurbereini- aufzulockern und Aussiedlungen zu fördern. Außerdem cker bebauten, kleinen Dörfern. Ähnliche Maßnahmen der ger. Es sind früher wie heute Geodäten (früher »Landmes- gab es auch das Leitziel einer Vergrößerung der landwirt- Dorfauflockerung und manchmal auch der Dorfauflösung ser« oder »Feldmesser«), also Vermessungsingenieure. Doch schaftlichen Nutzflächen durch die Urbarmachung von zugunsten von arrondierten Einzelhöfen in der Flur fan- deren Arbeitsfelder gehen inzwischen weit über das reine Mooren und Sümpfen, die Nutzung von brachliegendem 3. Landstraßenneubauten der L 377 und L 376 mit Umgehung der Ortschaften; 4. Feldwegebau; 5. Begradigung des Jüchener Baches; 6. Anlage von Gräben zur Entwässerung und Vermeidung von Überschwemmungen. Ödland sowie die Neulandgewinnung an den Küsten. Die geplanten Maßnahmen wurden allerdings nur kurze Zeit ausgeführt, sie endeten mit Beginn des Krieges. Nach dem Zweiten Weltkrieg bildete in Westdeutschland das Flurbereinigungsgesetz von 1953 die neue Gesetzesgrundlage. Zur Durchführung von konkreten Flurbereinigungsverfahren entstanden in allen Bundesländern schlagkräftige Behörden, die sich »Flurbereinigungsämter« oder »Ämter für Agrarordnung« nannten. Das Gesetz von 1953 gilt im Wesentlichen bis heute, es bekam jedoch durch eine Novellierung im Jahr 1976 neue agrarpolitische Zielsetzungen. Für gut zwei Jahrzehnte lagen die überwiegend ökonomisch orientierten Schwerpunkte der Flurbereinigung in Ortsauflockerungen und Aussiedlungen von Betrieben in die Feldflur, Flurstückszusammenlegungen sowie in Feldwege- und Wasserbauten. Von diesen Maßnahmen, die Im Allgäu wurden ab dem 16. Jahrhundert Einzelhöfe in die Flur ausgesiedelt: Ergebnisse einer frühen Flurbereinigung. 282 Das moderne Dorf Auch Weinberge werden flurbereinigt. Dabei geht es vor allem um Wegeerschließung, Entwässerung und Erosionsschutzmaßnahmen: hier das Beispiel Strümpfelbach. Dorfpolitik 283 antwortlich gemacht für den starken Artenrückgang in der vor Flurbereinigung 1961 Gemeinde Büttgen Gemeinde Kleinenbroich Tier- und Pflanzenwelt, für die Bodenzerstörung und die Ausräumung und manchmal gar Zerstörung ganzer Landschaften und Dörfer. Gesetzgeber und Behörden reagier- Birkhof ten daraufhin durchaus auf den Bewusstseinswandel und die Kritik – bereits mit der Novellierung des Flurbereinic Jü ne he gungsgesetzes von 1976 wurden andere Akzente gesetzt. h ac rB Lüttenglehn Neu aufgenommen wurden »bodenschützende« und »landschaftsgestaltende« Maßnahmen. Die Aufgabenstellungen Glehn Schanzer Höfe Ortsauflockerung und Aussiedlung wurden hingegen aufgegeben und durch eine umfassende Dorferneuerung er- Epsendorf Jüchener Bach Beispielbetriebe Ortsbetrieb 24 Besitzstücke Scherfhausen Aussiedlungsbetrieb 32 Besitzstücke setzt. Heute gehören Arten- und Biotopschutz, Boden- und Erosionsschutz, Wasserrückhaltung, Kulturlandschafts- pflege und inzwischen vorrangig die ganzheitliche und erhaltende Dorferneuerung zu den Schwerpunkten der Flurbereinigung. Von der Dorf- und Landesverschönerung Die Entwicklung vom späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert In der DDR gab es keine Gesetze und Behörden zur Flur0 bereinigung, die mit Westdeutschland vergleichbar wären. 500 m Gemeinde Büttgen Gemeinde Kleinenbroich nach Flurbereinigung 0 500m 1966 Birkhof ach rB ne he Jüc Lüttenglehn Glehn Schanzer Höfe Mülldeponie er Bach Epsendorf Jüchen Beispielbetriebe Ortsbetrieb 3 Besitzstücke Scherfhausen Aussiedlungsbetrieb 1 Besitzstück Der erste bekannte Dorfverschönerungsplan in Forstwirtschaft im Vordergrund. Doch seit etwa 200 Jah- ren Art – als Konsequenz einer sozialistischen Agrarpoli- Deutschland stammt aus dem Jahr 1807. Das Dorf ren gibt es neben den ökonomischen Interessen auch ver- tik. Nachdem im Rahmen der sog. »Bodenreform« von 1945 Freudenbach bei Creglingen sollte nach den Prinzipien schiedene Bewegungen, die eine Verschönerung der ländli- bis 1949 alle landwirtschaftlichen Betriebe ab 100 ha ent- der Harmonie, der geometrischen Ordnung und Nütz- chen Kulturlandschaft zu ihrem Anliegen gemacht haben. eignet worden waren, wurden diese Flächen z. T. in kleine lichkeit umgestaltet werden. Wichtige Impulse erfuhren Zunächst waren es die Landesherren (der vielen deutschen Parzellen für Neubauern (in der Regel Vertriebene aus den zahlreiche Dörfer und ländliche Kulturlandschaften Kleinstaaten), daneben vor allem der Adel und die Klöster, ehemaligen deutschen Ostgebieten) aufgeteilt. In der Kol- durch die großartigen Parkschöpfungen des Adels in dann die ländlichen Gemeinden und schließlich die Hei- lektivierungsphase ab 1952 wurden dann alle landwirt- allen deutschen Regionen. Aber auch der beginnende matschutz- und Verschönerungsvereine, die das Dorf ästhe- schaftlichen Betriebe zur Zusammenlegung ihrer Eigen- Tourismus an den Küsten, am Rhein, am Alpenrand tisch aufwerten wollten. Die Bewegung der »Landesverschönerung« entstand in tumsflächen in die neu geschaffenen LPG s genötigt. Nach und in den Mittelgebirgen führte zu bewussten Dorf- der Wiedervereinigung etablierte man in den neuen Län- verschönerungen. Bereits 1867 wurde in Remagen Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Als ihr Be- dern flächendeckend – nach westdeutschem Vorbild – neue ein sog. »Lokalverschönerungsverein« gegründet. gründer gilt Karl Vorherr, der als Baubeamter in verschie- Flurbereinigungsämter und stattete sie mit hohen Personal- Eine breite Heimat- und Denkmalschutzbewegung für denen Regionen Süddeutschlands tätig war. In einem 1808 und Sachetats aus. Grundlage waren das bestehende Flur- ganz Deutschland begann um 1900. veröffentlichten Aufsatz »Über Verschönerung Deutsch- bereinigungsgesetz und das in Kraft getretene Landwirtschaftsanpassungsgesetz von 1990/91. Generell ging es in lands« rief er dazu auf, durch Förderung des Ackerbaus, der Bei der Gestaltung von Dörfern und Fluren stand früher in Gartenkunst und der Baukunst das ganze Land planmä- deren Her- der Regel die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit im Vorder- ßig zu verschönern, um Deutschland zu einem »Eden von ausforderung darin bestand, die sozialistische Eigentums- grund und das, was lange hielt (also nachhaltig war) und Europa« zu machen.253 Ideen der Aufklärung und Roman- und Agrarordnung in eine liberale, auf Privateigentum was man sich leisten konnte, wie z. B. die Baumaterialien aus tik kamen hier zusammen. Die Aufklärung brachte Ord- basierende Agrarordnung zu überführen. Die konkreten der eigenen Gemarkung. Mit Gedanken um die Schönheit nungsdenken, klare Formen und Volkserziehung, die Ro- Der in den frühen 1970er Jahren einsetzende allgemeine Aufgaben der neuen Ämter lagen zunächst in der Auftei- ihrer Dörfer und Felder werden sich die meisten Landbe- mantik entdeckte den Reichtum der eigenen Geschichte Wertewandel zu mehr Umwelt- und Kulturpflegebewusst- lung der riesigen Schläge, entsprechend der neuen bzw. al- wohner sicherlich nicht allzu oft beschäftigt haben. Auch sowie den von Natur und Landschaft. Durch die Landesver- sein führte zu einer breiten öffentlichen Kritik an der Flur- ten Eigentumsflächen, und im Feldwegebau. Heute geht es die Landes- und Grundherren hatten vorwiegend ökono- schönerung sollten die Bereiche Landwirtschaft, Gewerbe, bereinigung. Nun waren die alten Ziele wie Begradigung, zunehmend und damit vergleichbar mit Westdeutschland mische Interessen am ländlichen Raum. Selbst bei den frü- Arrondierung, Hochwasserfreilegung (der Ortslagen) und um Landschaftspflege, Naturschutz und nicht zuletzt um heren Agrarreformen und Maßnahmen der Flurbereini- Dorfsanierung umstritten. Die Flurbereinigung wurde ver- Dorferneuerung. gung stand die wirtschaftliche Verbesserung der Land- und Eine typische Flurbereinigung der 1960er Jahre: das Beispiel Glehn am Niederrhein 284 Dennoch kam es zu »Flurbereinigungen« der ganz ande- Das moderne Dorf der Folge um die »Lösung der Bodenfrage«, 252 Ein bewusst schön gestaltetes »Musterdorf« entstand um 1800 in Paretz in Brandenburg. Initiator war der preußische König Friedrich Wilhelm III . Dorfpolitik 285 Obstbau und Gartenbau gefördert und dazu die Dörfer und auftragte. Es entstanden ein schlichtes königliches Land- Fluren sowohl nach den Prinzipien der Wirtschaftlichkeit haus im Stil des Klassizismus, ein Amtshaus, mehrere Bau- und Zweckmäßigkeit als auch der Harmonie und Schön- erngehöfte und ein Familienhaus, in dem ein Leineweber, heit gestaltet werden. ein Fischer, vier Drescher und Tagelöhner, ein Müller und Von Gustav Vorherr stammt auch der erste bekannte Dorf- der Dorflehrer wohnten. Außerdem wurde eine Schmiede verschönerungsplan in Deutschland, den er 1807 für sein und ein Gasthaus errichtet sowie die alte Feldsteinkir- Heimatdorf Freudenbach vorlegte (s. Abb. unten). Das vor- che zu einer neugotischen Kirche mit einer Königsloge geschlagene Ordnungsraster neuer, rechtwinkliger Straßen umgebaut. Den Dorfeingang betonte der Architekt durch ist vom Stil des Klassizismus geprägt. Aus zeitgenössischen zwei Torhäuschen, in denen ein Schafstall und die Woh- Berichten wissen wir, dass die Dörfer damals in einem jäm- nung für den Schafhirten untergebracht waren. Alle Häu- merlichen Zustand und zugleich verschuldet waren. Um ser der Dorfbewohner waren sorgfältig geplant. Sogar an nicht zu viel Geld investieren zu müssen, schlug Vorherr den Scheunen finden sich verblendete Rundfenster und deshalb nur geringe Renovierungsarbeiten an den Gebäu- Fledermausgauben. In Paretz verbrachten König Friedrich den selbst vor. Es kam ihm zunächst darauf an, die Infra- Wilhelm III . und seine Ehefrau Königin Luise von 1797 bis struktur und die Landbewirtschaftung zu modernisieren 1805 jeden Sommer einige Wochen und genossen das Land- und damit eine Aufbruchstimmung zu begründen. Die leben. Doch das Musterdorf diente nicht nur dem Vergnü- Ideen der ästhetischen und kulturellen Landesverschöne- gen, es warf auch Erträge ab.255 rung des frühen 19. Jahrhunderts schlugen sich zwar noch Zu einer wirklichen und bleibenden Bereicherung der in einer Reihe von beeindruckenden Plänen nieder, sie fan- ländlichen Kulturlandschaft kam es flächenhaft vom spä- den jedoch im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts keine ten 18. Jahrhundert an durch die zahlreichen und vielfäl- durchgehende Verbreitung. Die Landbevölkerung wie tigen Parkschöpfungen des Adels. Vor allem von engli- auch die Landes- und Grundherren waren mit der Umset- schen Vorbildern (landscape-gardening) angeregt, entstan- zung der Agrarreformen, mit starken Bevölkerungszunah- den um die adligen Schlösser und Herrenhäuser weit mehr men, Missernten und Hungersnöten sowie betriebswirt- als tausend Landschaftsparks in Deutschland. Als Urzelle schaftlichen Neuerungen ausreichend beschäftigt. auf deutschem Boden gilt Wörlitz, wo man um 1765 mit der Das Beispiel eines neu errichteten »Musterdorfes« ist Pa- Gestaltung eines neuen Parks nach Vorbildern aus England retz westlich von Potsdam. Initiator war der preußische Kö- begann.256 Zuvor hatte der junge, in Wörlitz residierende Ab dem späten 18. Jahrhundert bereicherten zahlreiche Parkschöpfungen die ländliche Kulturlandschaft. Einer der ersten und schönsten entstand – nach englischen Vorbildern – in Wöhrlitz bei Dessau in Sachsen-Anhalt. rere Kunst- und Bildungsreisen nach Italien, Frankreich ben, Denkmälern, Grotten, Pyramiden und Vulkanen, die nig Friedrich Wilhelm III ., der 1797 den Architekten David Fürst Franz von Anhalt-Dessau mit seinem befreundeten und vor allem England durchgeführt und sich dort reich- dem Spaziergänger durch immer wechselnde Sichtachsen Gilly mit der planmäßigen Anlage eines ganzen Dorfes be- Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff meh- liche Anregungen geholt. Die Parkschöpfungen veredelten erschlossen wurden. Bei der Gestaltung der Parks waren der die Naturlandschaft: Ehemals sandiges Ödland, sumpfige Fantasie der Parkschöpfer kaum Grenzen gesetzt. Zu den Talzüge oder kahle Ebenen wurden in kunstvolle und üp- großartigsten gehören die Anlagen in Wörlitz, Branitz und 1807 um 1830 Dorfverschönerungsplan von Gustav Vorherr für Freudenbach 286 254 Das moderne Dorf Das bestehende Haufendorf (s. Plan von 1830) wurde dem Zeitstil entsprechend streng klassizistisch umgeplant. Die damalige Bewegung der Landesverschönerung hatte zum Ziel, Landwirtschaft, Gartenkunst und Architektur zu vereinen und Dörfer nach den Prinzipien der Harmonie, der geometrischen Ordnung und Nützlichkeit zu gestalten. Dieser erste bekannte deutsche Dorferneuerungsplan wurde allerdings nicht verwirklicht. pige Parklandschaften umgewandelt. Mit bestehenden Ge- Muskau an der Neiße. In Muskau hat Fürst Hermann von bäuden ging man nicht immer behutsam um. Die häufig Pückler-Muskau seine »Utopie« realisiert: Nicht nur das in der Nähe der Residenzen liegenden Gutshöfe oder Teile Schloss mit seinen Nebengebäuden, sondern auch das Dorf von Dörfern wurden beseitigt oder verlagert, wenn sie im Muskau, gewerbliche Betriebe und die Ländereien sind in Wege standen, wie das Beispiel von Branitz in Brandenburg das Konzept des Parks einbezogen. zeigt.257 Herzstück der Parks waren zunächst das Schloss Neben den Parks und Schlossgärten des Adels waren na- oder Herrenhaus mit den dazugehörigen Nebengebäuden türlich auch die Klostergärten der verschiedenen Orden wie Pferdeställen, Wagenschuppen, Küchenhaus, Orange- ein besonders schönes Element der ländlichen Kulturland- rie und Gästehaus. Von dort ging es über breite Terrassen schaft mit oft erheblicher Ausstrahlung auf die Pfarr- und mit Blumen- und Staudenbeeten zu größeren Rasenflächen, Bauerngärten der umliegenden Dörfer. Nach der Auflösung Baumgruppen, Hainen, Einzelbäumen, Baumschulen und der meisten Klöster durch die Säkularisation im Jahr 1803 Gemüsegärten, zu künstlichen Hügeln, Seen und Bächen verwilderten und verbuschten jedoch sehr viele der ehemals mit Brücken, Inseln und Wasserfällen, zu Tempeln, Lau- prächtigen Gartenanlagen, die wir noch aus alten Stichen Dorfpolitik 287 len und Promenaden, sondern auch ansehnliche Ortsbilder mit zahllosen Gasthöfen, Cafés und Hotels in der sog. »Bäderarchitektur«. Diese vorwiegend im Historismus-Stil der Gründerzeit errichteten Gebäude sind besonders auf den Inseln und an den Küsten der Ostsee bis heute in großer Zahl erhalten. Um 1900 entwickelte sich in allen Teilen Deutschlands eine breite Heimatschutzbewegung. Sie zielte vor allem auf eine Erhaltung und Pflege bäuerlich-ländlicher und regionaler Kulturgüter und Traditionen ab. Man deutet diese Bewegung heute als Reflex gegen die Industrialisierung und Urbanisierung mit ihren schnellen Veränderungen, aber auch als Folge des im späten 19. Jahrhundert zunehmenden Nationalgefühls. Im Jahr 1904 wurde der »Bund Heimatschutz« gegründet, der mit seiner regionalen und lokalen Präsenz bald flächendeckend in ganz Deutschland (also auch in den Städten) aktiv wurde und bis heute Bestand hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg trug er jahrzehntelang den Namen »Deutscher Heimatbund«, seit 1998 firmiert er unter dem Titel »Bund Heimat und Umwelt (in Deutschland)« oder kurz »BHU «. Das wachsende Heimat- und Nationalbewusstsein im späten 19. Jahrhundert beförderte auch die Entstehung der modernen Denkmalpflege. Zu deren Bibel Einer der größten Parkschöpfer in Deutschland war Fürst Hermann von Pückler, der zuerst in Muskau an der Neiße seine »Utopie« verwirklichte und dabei Schloss, Gutshof und Dorf in sein Parkkonzept einbezog, hier eine Farblithographie von 1834. in fünf dicken Bänden von 1905 bis 1912 von Georg Dehio herausgegeben wurde. »Der Dehio« dieser Gründerjahre ist »Auflockerung der Ortslagen« durchgeführt. In den 1930er bis heute ein Standardwerk und immer wieder neu aufge- Jahren gab es Bestrebungen, den schlechten baulichen Zu- und Gemälden kennen. Nur ein kleiner Teil der früheren verkehrsgemeinden gründete man zu diesem Zweck häufig legt worden. Auch der Schutz schöner Ortsbilder und Land- stand der Landarbeiterhäuser und -wohnungen in den Klostergärten hat bis heute Bestand. Einzelne wurden in- spezielle Verschönerungsvereine. So entstand in Remagen schaften fand bald seine Verankerung in der Gesetzgebung. Gutsdörfern zu beseitigen. Es entstand die »Verordnung zur zwischen nach alten Vorgaben wiederhergestellt, wie das am Rhein im Jahr 1867 der erste »Lokalverschönerungs- Das preußische Gesetz gegen die Verunstaltung von Ort- beschleunigten Förderung des Baues von Heuerlings- und Bereits in den folgenden zwei Jah- schaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden Werkswohnungen sowie von Eigenheimen für ländliche Die Orts- und Landesverschönerung bekam ab der Mitte ren legte dieser Verein einen Promenadenweg an und ge- von 1907 wandte sich gegen unschöne bauliche Verände- Arbeiter und Handwerker« vom 10. 3. 1937.261 Wie man sich des 19. Jahrhunderts einen neuen Impuls durch den Touris- staltete einen Aussichtspunkt mit einem Pavillon und ei- rungen.260 Es gab den Gemeinden außerdem die Erlaubnis, ein Gutsdorf mit mustergültigen Landarbeiterhäusern vor- mus, der sich in vielen ländlichen Regionen nun stärker ent- ner breiten Terrasse. Schon ein Jahr nach Remagen wurde durch Ortssatzungen »schönheitliche« Anforderungen an stellte, wurde dann in Alt Rehse bei Neubrandenburg bei- wickelte. Dieser begann an den Küsten, im Alpenvorland, im benachbarten Neuenahr ein »Verschönerungs-Verein bevorzugte Gebiete festzulegen. spielhaft veranschaulicht: Nachdem man das alte Dorf ab- in den Mittelgebirgen, am Rhein und seinen Nebenflüssen für Bad Neuenahr« gegründet. Der dortige Badearzt Dr. Un- Die 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts brachten re- gerissen hatte, wurden 22 Einzel- und Doppelhäuser mit sowie an Orten mit neu erschlossenen Mineral- und Ther- schuld formulierte 1870 die Notwendigkeit solcher Bemü- lativ wenig nachhaltige Impulse für die Dorf- und Landes- Fachwerk und Reetdach im Stil der deutschen Provinzen malquellen. So entstanden bereits ab dem späten 18. Jahr- hungen: »Neuenahr, erst in der 2. Dekade seiner Wirksam- verschönerung. Allerdings wurden nun erstmals im Rah- errichtet. Die etwas skurril anmutende Anlage steht heute hundert in zahlreichen kleinen, ländlichen Orten wie Dri- keit, bietet dem Fremden als ersten Eindruck den des men der Flurbereinigung vereinzelt auch Maßnahmen zur unter Denkmalschutz und kann besichtigt werden. Beispiel des Klosters Dalheim in Westfalen zeigt. 288 wurde das »Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler«, das Die Parkanlagen und Kurgebäude von Driburg in Westfalen sind vorwiegend im späten 18. und im 19. Jh. entstanden. Das gesamte Ensemble ist bis heute sehr gepflegt und wurde vor ein paar Jahren zu einer 5-Sterne-Anlage restauriert und ausgebaut. verein« der Region. 258 burg oder Lauchstädt bemerkenswerte Kurbauten, die bis Unfertigen. Hütten neben Hotels, Sandwüsten neben Park- heute Besucher anziehen. Um den Gästen den Aufenthalt anlagen, Ziegenställe neben Wagenremisen, Filetvorhänge angenehmer zu machen, wurden auch die Ortsbilder auf- neben Papierscheiben.«259 In den touristisch geprägten Or- gebessert, Promenaden und Aussichtspunkte, Kurparke ten und Regionen Deutschlands entstanden nicht nur die und Trinkhallen angelegt. In den aufstrebenden Fremden- bis heute sehenswerten Kurparks, Badehäuser, Wandelhal- Das moderne Dorf Dorfpolitik 289