Gewöhnliche Differentialgleichungen und Dynamische Systeme Dynamische Systeme Vorlesung Reiner Lauterbach Universität Hamburg, SS 2009 2 Inhaltsverzeichnis Einleitung 4 1 Dynamische Systeme – Grundlegendes 1.1 Einführende Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Das Collatz-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Wachstum und Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Diskrete Dynamik mit kontinuierlichen Zustandsraum 1.1.4 Das Pendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.5 Wortspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Grundlegende Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Metrische Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Vollständige metrische Räume . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Eingebettete Mannigfaltigkeiten . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Halbgruppen von Selbstabbildungen . . . . . . . . . 1.2.5 Diskrete Dynamik von Selbstabbildungen . . . . . . . 1.3 Geometrische Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Spezielle Orbits und ihre Grenzmengen . . . . . . . . 1.3.2 Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Diskrete versus kontinuierliche Dynamik . . . . . . . . . . . 1.4.1 Zeit–1–Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Poincaré–Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Suspensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Stabilität 41 2.1 Lineare Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.2 Lineare ebene Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.2.1 |λ1,2| < 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3 9 9 10 11 14 15 16 18 18 19 23 27 29 29 29 34 35 35 36 37 38 INHALTSVERZEICHNIS 4 Ein Eigenwert vom Betrag höchstens 1, ein Eigenwert von Betrag 1 . . . . . . . Stabilität von Ruhelagen . . . . . . . . . . . . . Lineare Differentialgleichungen und Stabilität 2.4.1 Jordan Form . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Die Matrixexponentialfunktion . . . . . 2.4.3 Ebene lineare Systeme . . . . . . . . . . Newtons Methode als dynamisches System . . 2.2.2 mindestens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 45 47 47 50 54 59 3 Klassifikation dynamischer Systeme 3.1 Konjugation und Orbit-Äquivalenz . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Hufeisen und Büroklammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Symbolische Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 61 64 69 4 Fraktale und Dimension 4.1 Selbstähnlichkeit . . . . . . 4.2 Selbstähnlichkeitsdimension 4.3 Hausdorff-Dimension . . . 4.4 Box-Dimension . . . . . . . 79 79 87 89 90 2.3 2.4 2.5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis 93 Index 93 Einleitung In dieser Vorlesung wollen wir uns dem Studium gewöhnlicher Differentialgleichungen widmen, dabei werden wir dies aus der Perspektive der Theorie dynamischer Systeme tun. Dieser Zugang ist relativ neu, hat sich aber weitgehend durchgesetzt. Er ist dabei so erfolgreich, dass sich diese Perspektive auch fur das Studium vieler weiterer Gleichungstypen durchgesetzt hat. Dabei sind dynamische Systeme allgemein Systeme, die eine zeitliche Evolution beschreiben, wir werden gleich Beispiele betrachten. Anwendungen gibt es reichlich, dies sogar aus praktisch allen Wissenschaften. Methoden sind ebenfalls weitgefächert, wir können Methoden aus dem Bereich der Analysis verwenden, aber auch die lineare Algebra wird eine Rolle spielen. oft kann man sich mit numerischen Verfahren einen raschen Überblick über das Verhalten in einem dynamischen System verschaffen. Methoden der Zahlentheorie spielen in dem Gebiet ebenso eine Rolle wie Stochastik und Topologie. Keine Angst, wir wollen uns nur mit der Einführung in das Gebiet befassen, dazu gehört, dass wir uns grundlegende Fragestellungen ansehen, einige wichtige Begriffe und Methoden kennenlernen, aber auch beispielhaft sehen wir die Methoden aus anderen Bereichen das Studium dynamischer Syteme fördern können. Grundsätzlich stellt man in der Theorie dynamischer Systeme Fragen, die einen sehr langen Zeithorizont betreffen: gibt es ein Gleichgewicht, gibt es periodische Orbits, sind diese global asymptotisch stabil, können wir einen globalen Attraktor angeben, welche Dimension hat dieser, können wir zeitliche und räumliche Mittelwerte angeben, gibt es dazwischen Zusammenhänge. Im ersten Semester werden wir natürlich nur einige wenige dieser Punkte behandeln. Aufbauend auf diese Vorlesung wird es eine Fortsetzung (von Herrn Gunesch) geben, die weiterführende Aspekte behandelt. Literatur zu den in der Vorlesung behandelten Themen gibt es reich5 INHALTSVERZEICHNIS 6 haltig, hier ist eine unvollständige Auswahl, die Werke dieser Liste haben auch in der einen oder anderen Weise, die Auswahl und Behandlung der hier vorgestellten Themen beeinflusst. • Abraham & Robbin [2] geben eine moderne auch unendlich dimensionale Darstellung der Theorie. Für die im Werk behandelten Themen eine hervorragende Einführung, zum Selbststudium vielleicht etwas abstrakt mit wenig Beispielen. • Amann [3] gibt eine moderne, sehr vollständige Darstellung der Theorie gewöhnliche rDifferentialgleichungen. Wir können nur einen Bruchteil des Materials bearbeiten. Das Werk eigente sich auch gut für weierführende Studien. • Arnold́ [4] gibt eine knappe Darstellung der wesentlichen Aspekte einer modernen Theorie von gewöhnlichen Differentialgleichungen. • Denker [6] • Devaney [7] • Gunesch [9] • Gunesch [10] • Hale [11] ist der Klassiker der englich sprachigen Literatur. Jack Hale hat mit diesem und vielen anderen Werken, die Grundlagen für den von uns verfolgten Zugang gelegt. • Hartman [12] hat ein umfangreiches und heute klassiches Werk verfasst, viele Themen findet man nur hier. Als Werk zum Lernen weniger geeignet, sehr gutes und umfangreiches nachschlagewerk zu den behandelten Themen. Moderne Themen fehlen teilweise. • Hasselblatt & Katok [13] • Harro Heuser [14] hat hiermit auch einen deutschen Klassiker vorgelegt. Eine sehr umfangreiche Themenauswahl und viele Geschichten rund um das Thema Differentialgleichungen machen es zu einer Fundgrube, zum Lernen und als Begleitlektüre eher nicht geeignet. Es ist mehr ein Ergänzungsbuch, das aber auch Begeisterung für das fach verrät und wecken kann. INHALTSVERZEICHNIS 7 • Katok & Hasselblatt [15] • Lauterbach [17] wurde von mir Als Skript zur Vorlesung Gewöhnliche Differentialgleichungen verfasst, liegt auch der jetzigen Vorlesung teilweise zu Grunde. • Palis & de Melo [18] haben hiermit eine hervoragende Einführung in wichtige Aspekte dynamischer Systeme und ihrer Anwendungen auf gewöhnliche Differentialgleichungen geschrieben. Für die Themen der engen Themenauswahl ist es auch zum Selbststudium sehr gut geeignet, als einzige lektüre zum Thema ist es wohl etwas eng. • Knobloch & Kappel [16] war lange Zeit ein deutsches grundlegendes Werk, ist inzwischen etwas in die Jahre gekommen. • Wolfgang Walter [19] hat mit diesem Werk einen vielzitierten deutschen Klassiker verfasst. Viele Ideen aus der Funktionalanalysis und Anwendungen auf Randwertprobleme sind hier enthalten. der geometrische Zugang zu Anfangswertproblemen und dynamisches Verhalten kommt zu kurz. Als das Buch geschrieben wurde, war dieser Zugang auch noch nicht entwickelt. Für die historischen Anmerkungen wurden folgende Quellen genutzt: 1. Die Internetseite von St. Andrews College: http://www-gap.dcs.st-and.ac.uk/ history/Indexes/HistoryTopics.html 2. Die Brockhaus Enzyklopädie [1] 3. Lexikon bedeutender Mathematiker [8] 8 INHALTSVERZEICHNIS Kapitel 1 Dynamische Systeme – Grundlegendes Wir wollen das Studium dynamischer Systeme durch eine kleine Zahl von Beispielen motivieren, Ziel soll sein, eine Fülle möglicher Anwendungen zu sehen. dabei werden wir genauso auf unbekanntes Terrain vorstoßen, wie auch erkennen, wie man mit einfachen Methoden Aussagen gewinnen kann, die wir später verfeinern werden. 1.1 Einführende Beispiele In diesem kurzen Abschnitt wollen wir einige motivierende Beispiele betrachten, die vielleicht auf den ersten Blick auch etwas ungewöhnlich sind. Kurz gesagt, besteht ein dynamisches System aus einer einem Zustandsraum, an den wir bei der präzisen Definition gewisse Forderungen stellen, z.B. soll der Begriff, dass zwei Zustände nahe beieinander sind, sinnvoll sein und aus einer Vorschrift, wie aus einem Zustand sich zukünftige Zustände entwickeln. Wesentlich soll dabei sein, dass allein der Zustand (und vielleicht die Anfangszeit) die zukünftige Entwicklung determinieren. An dieser Stelle, wollen wir zumindest im Moment keine zufälligen Einflüsse zualssen, obwohl man an anderer Stelle auch lernen kann, wie man zufällige Einflüsse behandelt. Für manche Anwendungen in der Physik sind diese zufälligen Einflüsse sehr wichtig, sie führen trotzdem weit über den uns gesteckten Rahmen hinaus. 9 KAPITEL 1. DYNAMISCHE SYSTEME – GRUNDLEGENDES 10 1.1.1 Das Collatz-Problem Nach Lothar Collatz1 ist das ist das folgende Problem benannt, obwohl man es auch unter anderen Bezeichnungen findet. Die Lösung ist offen, jede(r) der die Lösung findet, wird wohl sofort sehr bekannt werden. Der Zustandsraum ist die Menge der natürlichen Zahlen , die Zeit wird hier auch als diskrete Zeit mit der Menge der natürlichen Zahlen modelliert. Ein Folge natürlicher Zahlen N {an }n∈N gibt dann die Evolution des Zustandes a1 an. Jedes Bildungsgesetz für eine Folge würde nun ein diskretes dynamisches System definieren, für das Collatz Problem betrachten wir das Gesetz an+1 = Ψ(an ), wobei Ψ durch Ψ: N→N ( 2n + 1 if n is odd, : n 7→ n if n is even. 2 Wir betrachten einige spezielle Anfangswerte: beginnen wir mit 1, so erhalten wir die periodische Folge 1, 4, 2, 1, 4, 2, 1, . . . mit Periode 3, d.h. an+3 = an . Wenn wir mit einem beliebigen Wert aus der Folge starten, erhalten wir bis auf eine Verschiebung die gleiche Folge zurück: 4, 2, 1, 4, 2, 1, · · · = sh− (1, 4, 2, 1, . . . ). Dabei ist sh− der Verschiebeoperator (nach links) auf dem Raum c aller reeller Folgen, der sich in natürlicher Weise auch auf alle Unterräume von c überträgt (und natürlich auch auf dem Raum der beidseitigen Folgen definiert ist und Anlass zu interessanten dynamischen Verhalten ist). Starten wir mit einem anderen Wert, z.B. 7, so erhalten wir die Folge 7, 22, 11, 34, 17, 52, 26, 13, 40, 20, 10, 5, 16, 8, 4, 2, 1, 4, 2, 1 1 Lothar Collatz (6.7.1910-26.9.1990) war ein weltweit bekannter angewandter Mathematiker, der vor allem die Entwicklung der angewandten Mathematik in Hamburg sehr bestimmt hat. Er hat in vielen Bereichen der angewandten Mathematik gearbeitet. 1.1. EINFÜHRENDE BEISPIELE 11 und so bis auf eine Verschiebung die ursprüngliche periodische Folge, also (sh− )16 (7, 22, 11, 34, 17, 52, 26, 13, 40, 20, 10, 5, 16, 8, 4, 2, 1, 4, 2, 1, . . . ) = (1, 4, 2, 1, . . . ). Das Collatz-Problem besteht nun darin zu beweisen, dass es zu jedem Startwert n eine Verschiebung (sh− )j gibt, so dass shj (n, Ψ(n), Ψ2 (n), . . . ) = (1, 4, 2, 1, 4, 2, 1, . . . ). Man kann leicht ein Computer-Programm schreiben, dass die Korrektheit dieser Behauptung für n < 10p nachprüft, aktuelle Werte von p findet man in der Literatur, weiteres zum Collatz-Problem findet man z.B. bei Wirsching []. 1.1.2 Wachstum und Zerfall Wir betrachten eine Population, der Zustand sei die momentane Anzahl der Individuen der Population. Wir nehmen an, dass die Population sich in einer festen Generationenfolge entwickelt, d.h. wir können die Beschreibung reduzieren auf die Anzahl der Individuen in der n-ten Generation. Die einfachste Annahme zur Beschreibung einer Population ist, dass Geburten und Todesfälle proportional zum gegenwärtigen Zustand sind. Dann gibt es eine Zahl b > 0, die sogenannte Geburtsrate und ein Zahl 1 > d > 0, die Sterberate, so dass sich die Anzahl der Individuen an+1 in der n + 1-Generation, sich aus der der n-ten Generation an errechnet durch an+1 = (1 + b − d)an . Nun ist es sehr einfach, das Verhalten zu diskutieren. Ist a0 der Ausgangszustand, β = 1 + b − d, so ergibt sich an = β n a0 . N Der Zustandsraum einer solchen Bevölkerung 0 . Dies ist vielleicht unnatürlich, weil die Angabe einer reellen Wachstumsrate β ∈ / aus dem Zustandsraum herausführt. Eine Möglichkeit diese Problematik zu umgehen besteht darin mit Populationsdichten zu arbeiten, diese sind in natürlicher Weise reelle Zahlen. Auch wenn es keine natürliche Zahl geben muss mit βn = 2 Q 12 KAPITEL 1. DYNAMISCHE SYSTEME – GRUNDLEGENDES ln 2 Zeiteinheiten eine Verkönnen wir doch feststellen, dass nach circa ln β doppelung der Population eingetreten ist. Entsprechendes findet man bei radioaktiven Zerfall als Halbwertszeit. Hier gibt es allerdings keine strenge Generationenfolge“, so dass es günstiger ist mit einem zeitlich kontinu” ierlichen System zu arbeiten. Der radioaktive Zerfall Beim radioaktiven Zerfall betrachtet man folgenden Vorgang. Man hat zum Zeitpunkt 0 eine gewisse Masse u0 einer radioaktiven Substanz. Mit u(t) bezeichnen wir die zum Zeitpunkt t verbleibenden Masse der Substanz. Durch Beobachtungen erhält man, dass die Anzahl der Zerfälle proportional zur Menge der Substanz ist. Sei α diese Rate. Dann lautet die zugehörige Gleichung (VERÄNDERUNG=ZERFALLSRATE∗MENGE) u′ (t) = −αu(t). (1.1) Man kann eine Lösung sofort hinschreiben: u(t) = ce−αt . (1.2) Nachdem zum Zeitpunkt t = 0 gelten muss, dass u(0) = u0 erhält man c = u0. Aus dieser Beziehung leitet man leicht ab, wielange es dauert, bis sich die Menge der radioaktiven Substanz halbiert hat. Ist nämlich u(T ) = 1 u , so rechnet man daraus T = ln(2)/α. Dieser Wert ist unabhängig von 2 0 u0 und daher gilt immer u(t + T ) = u(t)/2. (1.3) T wird als Halbwertszeit bezeichnet. Sie charakterisiert, wie wir eben gesehen haben, den Zerfallsprozess. Wiederum haben wir es hier mit einem Anfangswertproblem zu tun. Allgemein führen Wachstums- oder Zerfallsprozesse, wobei die Veränderung proportional zur gegenwärtigen Größe ist, auf Differentialgleichungen von der Gestalt (1.1). Das Verhulstsche Modell zur Populationsdynamik Wir kehren zur Diskussion von Populationen zurück. Hat man keine strenge Generationenfolge, so ist es sinnvoller eine kontinuierliche Zeit zu verwenden, wir schreiben dies als Differentialgleichung. Es sei x(t) die Funktion, die die Anzahl der Individuen zum Zeitpunkt t ∈ angibt, dann ist R 1.1. EINFÜHRENDE BEISPIELE 13 die Veränderung proportional zur Anzahl. Sei b > 0 wieder die Geburtenrate, d > 0 die Rate der Sterbefälle. Dann ist dx = (b − d)x(t). dt Gibt man sich noch die Anzahl x0 zu einem bestimmten Zeitpunkt t0 vor, so schreiben wir mit β = b − d ein Anfangswertproblem dx = βx dt x(t0 ) = x0 . (1.4) Diese Schreibweise besagt, dass wir eine differenzierbare Funktion x : → suchen, deren Ableitung an der Stelle ein konstantes Vielfaches vom Wert x(t) ist, und die an der Stelle t0 den Wert x0 annimmt. Ob es eine solche Funktion gibt, ist a priori nicht klar. Für diesen einfachen Fall können wir das Existenzproblem durch Angabe einer Lösung klären: sei x(t) = x0 eβ(t−t0 ) . R R Dann ist x(t0 ) = x0 und dx (t) = wx0 ew(t−t0 ) = wx(t). dt Natürlich stellt sich auch die Frage nach der Eindeutigkeit dieser Lösung. Dieses Modell für Wachstum ist natürlich sehr einfach, es gibt nur drei Möglichkeiten exponentielles Wachstum (w > 0), zeitlich konstantes Verhalten w = 0 und exponentielles Aussterben (Radioaktivität) w < 0. Verhalten, wie z.B. Wachstum bis zu einer Sättigungsgrenze ist dabei nicht möglich. Ist β positiv, hat man ein Bevölkerungswachstum, ähnlich der Halbwertszeit gibt es nun eine Verdoppelungszeit T = ln(2)/β. Beobachtet man in der Realität ein Wachstum, das noch stärker ist (Verkürzung der Verdoppelungszeiten), dann ist (1.4) kein geeignetes Modell. Ein schwerwiegender Nachteil dieses Modells ist die Vorhersage grenzenlosen Wachstums. Dies kann wegen der Endlichkeit aller Dinge nicht vorliegen, so gab es schon lange Versuche die Gleichung (1.4) zu modifizieren. Ein solches Modell ist die Einführung eines Stressfaktors S, der proportional zur Anzahl KAPITEL 1. DYNAMISCHE SYSTEME – GRUNDLEGENDES 14 der Begegnungen von Individuen der Population ist. Diese ist proportional zu p2 . Damit erhält man p′ = βp − Sp2 . (1.5) Die hier angegebene Gleichung wird oft als logistische Gleichung bezeichnet. Sie geht auf den belgischen Mathematiker V ERHULST 2 zurück. 1.1.3 Diskrete Dynamik mit kontinuierlichen Zustandsraum In diesem Unterabschnitt sei X = [0, 1] der Zustandsraum. Wir betrachten eine Vorschrift aus dem Zustand zum Zeitpunkt t ∈ einen Zustand zum Zeitpunkt t + 1 zu erhalten, indem wir eine Funktion f : X → X angeben, also xn+1 = f (xn ). N Um den Anfangswert der Entwicklung anzugeben, schreiben wir noch x0 ∈ X vor. 1. f (x) = x + b mod 1 In diesem Fall unterscheidet sich das Verhalten erheblich, je nachdem ob b ∈ oder b ∈ \ ist. Q R Q Q Satz 1.1.3.1 Ist b ∈ , so gilt für alle x0 ∈ X, dass die Folge {xn }n∈N mit xn+1 = f (xn ) periodisch ist. Q Ist b ∈ / , so gibt es kein x0 ∈ X, so dass die zugehörige Folge periodisch ist. Es gilt sogar, dass für jedes x ∈ X die zugehörige Folge {xn }n∈N dicht in X ist, d.h. zu jedem y ∈ X und jedem Anfangswert x0 gibt es eine Teilfolge {xnk }k∈N ⊂ {xn }n∈N , so dass lim xnk = y. k→∞ Beweis. siehe Übungen. 2 Pierre-Francois Verhulst (28.10.1804-15.2.1849) war Professor an der Freien Universität in Brüssel und später an der königlichen Militärschule. Seine Arbeiten zum Bevölkerungswachstum machten ihn zum Begründer der Bevölkerungsstatistik. 1.1. EINFÜHRENDE BEISPIELE 15 Abbildung 1.1: Am Pendel wirkende Kraft bei einer Auslenkung ϕ 2. f (x) = 2x mod 1 In diesem Fall ist 0 ein Fixpunkt, d.h. f n (0) = 0, die Anfangswerte 2−n führen auf eine Folge, die nach einer geeigneten Verschiebung mit diesem Fixpunkt übereinstimmen. Rationale Anfangswerte führen auf periodisches Verhalten, irrationale Anfangswerte führen auf komplizierte Folgen. 1.1.4 Das Pendel Hier hat man es mit folgender Aufgabenstellung zu tun: Ein Pendel der Länge ℓ und Masse M sei an einem festen Punkt P aufgehängt und schwinge in einer Ebene um die untere Ruhelage. Wir wollen den zeitlichen Verlauf der Bewegung untersuchen. Zunächst vereinbaren wir eine Konvention: Da die unabhängige Variable die Zeit ist, werden wir sie, wie allgemein üblich, mit t ∈ bezeichnen. Bei der zu beschreibenden Bewegung reicht es offensichtlich, die Winkelauslenkung ϕ zu jedem Zeitpunkt t anzugeben. Wir werden die Bewegung also durch eine (gesuchte) Funktion ϕ(t) beschreiben. Wie erhält man eine Gleichung für ϕ? Dazu betrachten wir Abbildung 1.1: Mit −g bezeichnen wir die Erdbeschleunigung, dann wirkt auf M die Kraft −Mg, wobei der radiale Anteil dafür sorgt, dass der Faden gespannt bleibt, während der tangentiale Anteil für die Winkelbeschleunigung ℓϕ′′ (t) sorgt. Als tangentialen Kraftanteil erhält man −Mg sin ϕ(t). R KAPITEL 1. DYNAMISCHE SYSTEME – GRUNDLEGENDES 16 Damit ergibt sich als Gleichung (aus dem Newtonschen Kraftgesetz3 ) (KRAFT=MASSE∗BESCHLEUNIGUNG): Mℓϕ′′ (t) = −Mg sin ϕ(t) oder g ϕ′′ (t) = − sin ϕ(t). ℓ (1.6) 1.1.5 Wortspiele Wir kommen nochmals auf dynamische Systeme mit diskreter Zeit in einem diskreten Zustandsraum zurück. In diesem kurzen Abschnitt wollen wir eine bestimmte Form sogenannter selbstreferentieller Sätze betrachten. Wir wollen zeigen, dass die Theorie dynamischer Systeme nichttriviale Aussagen zu diesem Themenkomplex machen kann. Um einen formalen Unterschied zu machen zwischen diesen Sätzen und den Aussagen über diese Sätze, formulieren wir diese in Englisch. Ein erstes Beispiel ist der Satz In this sentence, the number of occurrences of 0 is 1, of 1 is 11, of 2 is 2, of 3 is 1, of 4 is 1, of 5 is 1, of 6 is 1, of 7 is 1, of 8 is 1, and of 9 is 1. Dieser Satz ist offensichtlich wahr, gibt es noch weitere solcher Sätze? Charakteristisch für diesen Satz ist offensichtlich, dass jeder natürlichen Zahl 0≤z≤9 eine Zahl zugeordnet, die die Anzahl des Auftretens dieser Ziffer angibt. Dies bedeutet, dass der Satz durch einen Punkt im Raum 10 vollständig beschrieben ist. Wir wollen nun eine Abbildung auf der Menge solcher Sätze definieren und betrachten dazu einen beliebigen Satz, z.B. den Satz N 3 Isaac Newton (4.1.1643-31.3.1727) ist der berühmteste britische Mathematiker, Physiker und Astronom. Es ist einer der wenigen Wissenschaftler dem die Ehre zu Teil wurde in der Westminster Abbey begraben zu werden. Er schuf die Grundlagen unseres Verständnisses der Gravitation und der klassischen Mechanik. Er entdeckte die axiomatischen Grundlagen der rationalen Mechanik. Innerhalb der Mathematik war er einer der Wegbereiter der Analysis und damit der Theorie der Differentialgleichungen. 1.1. EINFÜHRENDE BEISPIELE 17 In this sentence, the number of occurrences of 0 is 0, of 1 is 0, of 2 is 0, of 3 is 0, of 4 is 0, of 5 is 0, of 6 is 0, of 7 is 0, of 8 is 0, and of 9 is 0. Nun zählen wir in diesem offensichtlich unwahren Satz das Auftreten jeder Ziffer und schreiben dies in den nächsten Satz, damit erhalten wir In this sentence, the number of occurrences of 0 is 11, of 1 is 1, of 2 is 1, of 3 is 1, of 4 is 1, of 5 is 1, of 6 is 1, of 7 is 1, of 8 is 1, and of 9 is 1. Eine erneute Anwendung dieses Verfahrens liefert In this sentence, the number of occurrences of 0 is 1, of 1 is 12, of 2 is 1, of 3 is 1, of 4 is 1, of 5 is 1, of 6 is 1, of 7 is 1, of 8 is 1, and of 9 is 1. Nun auch dieser Satz ist unwahr, wir wenden unser Verfahren nochmals an und erhalten In this sentence, the number of occurrences of 0 is 1, of 1 is 11, of 2 is 2, of 3 is 1, of 4 is 1, of 5 is 1, of 6 is 1, of 7 is 1, of 8 is 1, and of 9 is 1. Dies ist unser (wahrer) Satz von oben. Dieser reproduziert sich unter der angegebenen Iteration. Wir halten eine nahezu triviale Beobachtung fest: Lemma 1.1.5.1 Ein Satz der angegebenen Form bleibt unter der angegebenen Abbildung genau dann erhalten, wenn er wahr ist. Damit ist das Auffinden weiterer (oder aller) solchen wahren Sätze darauf zurückgeführt, Fixpunkte unserer Abbildung zu finden. In mathematischer Sprache hat die Abbildung die Form Ψ: N 10 → N 10 : (z0 , . . . , z9 )T 7→ (1 + w(0), . . . , 1 + w(9)) (1.7) wobei w(j) die Anzahl des Auftretens der Ziffer j in den Zahlen z0 , . . . , z9 angibt. Wir werden im weiteren Verlauf des Semesters alle solchen Sätze angeben und zeigen, dass dies tatsächlich eine vollständige Liste ist. 18 KAPITEL 1. DYNAMISCHE SYSTEME – GRUNDLEGENDES 1.2 Grundlegende Begriffe 1.2.1 Metrische Räume Definition 1.2.1.1 Es sei X eine Menge, d : X × X → folgenden Eigenschaften R eine Abbildung mit (M1) Es gilt d(x, y) = 0 genau dann wenn x = y. (M2) Für alle Paare (x, y) ∈ X × X gilt d(x, y) = d(y, x). (M3) Für alle Tripel (x, y, z) ∈ X × X × X gilt d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z). Eine solche Abbildung heißt Metrik, das Paar (X, d) bezeichnen wir als metrischen Raum. Aufgabe 1.2.1.2 Zeigen Sie: ist (X, d) ein metrischer Raum, sind x, y ∈ X, so gilt d(x, y) ≥ 0. 1. Es sei (X, d) ein metrischernRaum , U ⊂ X heißtoof fen, wenn es zu jedem x ∈ U ein ε > 0 mit y ∈ X d(x, y) < ε = Bε (x) ⊂ U. Bε (x) heißt metrische Kugel um x vom Radius ε. Dabei ist im allgemeinen klar auf welche Metrik wir uns beziehen. Sollte dies nicht klar sein, so schreiben wir Bεd (x). Definition 1.2.1.3 2. Eine Teilmenge A ⊂ X heißt abgeschlossen, wenn X \ A offen ist. Lemma 1.2.1.4 1. Beliebige Vereinigungen offener Mengen in X sind offen, parametrisierte Familie offener d.h. ist {Uα }α∈A eine über der Menge Mengen, so ist [ Uα offen in X. A A α∈ 2. Auf gleiche Weise folgt, dass beliebige Durchschnitte abgeschlossener Mengen abgeschlossen sind. Definition 1.2.1.5 Seien (X, d), (Y, d′) metrische Räume und ist f : X → Y eine Abbildung, so heißt f stetig, wenn Urbilder offener Mengen in Y offen in X sind, d.h. für alle offenen Mengen V ⊂ Y ist f −1 (V ) eine offene Menge in (X, d). 1.2. GRUNDLEGENDE BEGRIFFE 19 Satz 1.2.1.6 Folgende Bedingungen sind äquivalent zur Stetigkeit von f : X → Y. 1. Urbilder abgeschlossener Mengen sind abgeschlossen. 2. Ist A ⊂ X eine Teilmenge, so ist f (A) ⊂ f (A). 3. Ist x0 ∈ X und {xn }n∈N eine Folge in X mit lim xn = x0 n→∞ so gilt {f (xn )}n∈N ist eine konvergente Folge und lim f (xn ) = f (x0 ). n→∞ Beweis. Übungsaufgabe. Definition 1.2.1.7 Eine stetige Abbildung f : X → Y heißt Homöomorphismus, falls f injektiv und offen ist, dabei heißt f offen, wenn Bilder offener Mengen offen sind. 1.2.2 Vollständige metrische Räume Definition 1.2.2.1 Es sei (X, d) ein metrischer Raum. (a) Eine Folge {xn }n∈N ⊂ X nennt man Cauchyfolge4 , wenn zu jedem ε > 0 eine natürliche Zahl N ∈ existiert mit N n > N, m > N ⇒ d(xn , xm ) < ε. 4 Augustin-Louis Cauchy (21.8.1789-22.5.1857) war Sohn eines hohen Beamten und genoss demzufolge eine gute Privatausbildung. Nach einem ingenieurwissenschaftlichen Studium eignete er sich nebenbei Werke von Lagrange an. Im Jahr 1811 löste er ein Problem, das Lagrange formuliert hatte. Er arbeitete über Integrale, Strömungsmechanik und Elastizitätstheorie. Speziell die Arbeiten zum letztgenannten Bereich machten ihn zu einem der bekanntesten Mathematiker seiner Zeit. Im weiteren arbeitete er auf vielen Gebieten, sein Hauptarbeitsgebiet wurde die Analysis mit der Theorie von Differentialgleichungen. Nach Gauß begann er mit komplexen Zahlen und der zugehörigen Analysis zu arbeiten. Cauchy war sehr produktiv und dies sehen wir noch heute an vielen Konzepten, die seinen Namen tragen. KAPITEL 1. DYNAMISCHE SYSTEME – GRUNDLEGENDES 20 (b) Ein metrischer Raum (X, d) heißt vollständig, wenn zu jeder Cauchyfolge {xn }n∈N in X ein Element x ∈ X existiert, so dass gilt x = lim xn . n→∞ Dies bedeutet natürlich: Zu jedem ε > 0 existiert ein N ∈ N, so dass gilt n > N ⇒ d(xn , x) < ε. Eine reiche Klasse von metrischen Räumen sind normierte Vektorräume. Wir werfen einen Blick darauf. Definition 1.2.2.2 Sei X ein reeller Vektorraum. (a) Man nennt (X, k.k) einen normierten Raum, falls k.kX eine Abbildung k.kX : X → ist, so dass R 1. kxkX ≥ 0 ∀x ∈ X; 2. kxkX = 0 ⇐⇒ x = 0; 3. kx + ykX ≤ kxkX + kykX ∀(x, y) ∈ X × X; 4. kαxkX = |α|kxkX ∀α ∈ R, ∀x ∈ X gilt. Ohne Beweis geben wir das folgende (triviale) Lemma an. Lemma 1.2.2.3 Mit d(x, y) = kx − ykX (1.8) wird ein normierter linearer Raum (X, k.kX ) zum metrischen Raum (X, d). Definition 1.2.2.4 Ist ein normierter, linearer Raum (X, k.kX ) bezüglich der Metrik aus (1.8) vollständig, so bezeichnet man ihn als Banachraum, nach S TE FAN B ANACH5 . 5 Stefan Banach (30.3.1892-31.8.1945), polnischer Mathematiker, war der Begründer der Theorie linearer, normierter Räume und ihren linearen Abbildungen. Seine Arbeiten sind die Grundlage der modernen Funktionalanalysis. Er und seine Schüler zeigten viele Anwendungen der Funktionalanalysis auf. 1.2. GRUNDLEGENDE BEGRIFFE 21 In dieser Vorlesung werden wir vor allem den folgenden Banachraum benötigen. R ein kompaktes Intervall. Wir betrachten n o C(I; R ) = γ : I → R γ ist stetig . 1. Es sei I ⊂ Lemma 1.2.2.5 n n Dies wird mit der Norm kγkC(I;Rn ) = sup kγ(t)kRn t∈I ein Banachraum. 2. Ist U ⊂ R n eine offene Teilmenge, so ist o n C(I; U) = γ : I → U γ ist stetig ein vollständiger metrischer Raum bezüglich der Metrik dC(I;U ) (γ1 , γ2 ) = sup kγ1(t) − γ2 (t)kRn t∈I Beweis. Übungen! Definition 1.2.2.6 Sei (X, d) ein metrischer Raum. Eine Abbildung T : X → X heißt Kontraktion, falls für alle (x, y) in X × X gilt: d(T x, T y) < d(x, y). (1.9) T nennt man stark kontrahierend, wenn es ein λ ∈ (0, 1) gibt, so dass für alle (x, y) ∈ X × X gilt d(T x, T y) ≤ λd(x, y). (1.10) Satz 1.2.2.7 (Banach) Es sei (X, d) ein vollständiger metrischer Raum. Jede stark kontrahierende Abbildung T : X → X hat einen eindeutig bestimmten Fixpunkt x ∈ X. Beweis. Wir zeigen zunächst die Eindeutigkeit. Angenommen x1 , x2 sind Fixpunkte. Dann ist d(x1 , x2 ) = d(T x1 , T x2 ) < λd(x1 , x2 ). KAPITEL 1. DYNAMISCHE SYSTEME – GRUNDLEGENDES 22 Also ist d(x1 , x2 ) = 0 und wegen folgt x1 = x2 . Wir kommen zur Existenz. Sei x0 ∈ X beliebig. Wir konstruieren die Folge {xn }n∈N ⊂ X durch xn = T xn−1 und behaupten, dass dies eine Cauchyfolge ist. Dazu sei ε > 0 gegeben. Für m, n ∈ , m > n ≥ 1 ergibt sich mit (M.3) N d(xm , xn ) ≤ d(xm , xm−1 ) + · · · + d(xn+1 , xn ) = m−1 X d(xj+1, xj ) j=n Für ein j im angegebenen Bereich schließt man d(xj+1 , xj ) = d(T j x1 , T j x0 ) ≤ λj d(x1 , x0 ). Also hat man d(xm , xn ) ≤ m X j=n j λ d(x1 , x0 ) ≤ ∞ X λj d(x1 , x0 ) < ε j=n solange nur n genügend groß ist. Mit der Vollständigkeit von (X, d) ergibt sich die Konvergenz der Folge {xn }n∈N . Mit x bezeichnen wir den Grenzwert. Der letzte Schritt besteht darin die Fixpunkteigenschaft des Grenzwertes nachzuweisen. Dazu sei ε > 0 gegeben und N ∈ , so dass n > N impliziert ε d(xn , x) < . 2 Dann ist für n > N N d(T x, x) ≤ = ≤ ≤ < d(T x, xn ) + d(xn , x) d(T x, T xn−1 ) + d(xn , x) λd(x, xn−1 ) + d(xn , x) 2d(xn , x) ε. Da ε > 0 beliebig ist, ist d(T x, x) = 0 und damit T x = x. 1.2. GRUNDLEGENDE BEGRIFFE 23 Bemerkung 1.2.2.8 Ein alternativer Beweis für die Fixpunkteigenschaft besteht in der Beobachtung, dass T stetig ist (warum?) und dem Diagramm xn+1 = T xn → T x ↓ x Satz 1.2.2.9 (Stetige Abhängigkeit) Sei ( X , d) ein vollständiger metrischer Raum, (Y, d′) ein metrischer Raum. Ferner sei für jedes y ∈ Y eine starke Kontraktion Ty : X → X mit Kontraktionskonstante λy gegeben. Es sei s = supy∈Y λy < 1. Für jedes x ∈ X sei die Abbildung Fx : Y → X : y 7→ Ty x stetig. Dann ist auch die Abbildung G : Y → X : y 7→ xy , (1.11) stetig, wobei xy durch Ty xy = xy definiert ist. Beweis. Fixiere y0 ∈ Y. Wir zeigen die Stetigkeit in y0 . Sei x0 der zugehörige Fixpunkt von Ty0 . Dann gilt für den Fixpunkt xy von Ty , d(xy , x0 ) = d(Ty xy , Ty0 x0 ) ≤ d(Ty xy , Ty x0 ) + d(Ty x0 , Ty0 x0 ) ≤ λy d(xy , x0 ) + d(Ty x0 , Ty0 x0 ). (1.12) Es folgt (1 − s)d(xy , x0 ) ≤ (1 − λy )d(xy , x0 ) ≤ d(Ty x0 , Ty0 x0 ). Wegen s < 1 darf man durch (1 − s) teilen und die Behauptung folgt aus der Stetigkeit von Fx0 . 1.2.3 Eingebettete Mannigfaltigkeiten Mannigfaltigkeiten treten in natürlicher Weise im Kontext von gewöhnlichen Differentialgleichungen auf. Kurz (und vielleicht etwas vereinfacht) gesagt, besteht die Aufgabenstellung in der Theorie der gewöhnlichen Differentialgleichungen darin zu einem (hinreichend glatten) Feld von Geschwindigkeitsvektoren eine Bewegung zu finden, so dass an jeder Stelle 24 KAPITEL 1. DYNAMISCHE SYSTEME – GRUNDLEGENDES der Bewegung der Tangentialvektor an die Bewegung dem dort vorgegebenen Geschwindigkeitsvektor entspricht. Schon die Bewegung eines Zuges macht deutlich, dass der Geschwindigkeitsvektor des Zuges nicht innerhalb des Bewegungsraumes liegen muss, sondern, dass eine geeignete Beschreibung des Problemes die Menge der möglichen Geschwindigkeitsvektoren deutlich von der Menge der Orte der Bewegung unterscheidet. Noch deutlicher wird dies bei einem sphärischen Pendel, als einem an einem gespannten Faden hängenden Gewicht, welches an einem Punkt aufgehängt ist und sich nun auf einer 2-dimensionalen Kugeloberfläche bewegen kann. Was sind in diesem Fall die möglichen Geschwindigkeitsvektoren? Die geeignete Konstruktion, die mathematisch präzise diese Situation beschreibt ist die eines Tangentialbündels an einer Mannigfaltigkeit. Da die ganz allgemeine Konstruktion auf gewisse begriffliche Schwierigkeiten führt, die ein wenig von der uns angestrebten Theorie wegführt, wollen wir uns auf eine scheinbar speziellere Situation beschränken, die aber aufgrund des Einbettungssatzes von Whitney, siehe z.B. Bröcker & Jänich [5] für eine Formulierung und einen Beweis, sogar der allgemeinsten Situation entspricht, aber technisch etwas einfacher ist. Wir erinnern zunächst an die Beschreibung eines k-dimensionalen linearen Unterraumes U des n . Wir können einen solchen Raum auf zwei Weisen beschreiben: R 1. Wir geben k linear unabhängige Vektoren u1 , . . . , uk an, die den Raum aufspannen, damit können wir jeden Punkt u ∈ U als Linearkombination k X u= αk uk , αk ∈ R i=1 schreiben. 2. Wir geben n − k linear unabhängige Vektoren u′1 , . . . , u′n−k ∈ so dass für alle u ∈ U gilt R n an, hu, u′j i = 0, j = 1, . . . , n − k. Dann haben wir die Punkte in U als Lösungen eines Systems von n−k Gleichungen realisiert. Wir wollen uns die letztgemachte Beobachtung zu eigen machen. 1.2. GRUNDLEGENDE BEGRIFFE 25 R Definition 1.2.3.1 1. Eine Teilmenge M ⊂ n heißt eingebettete Untermannigfaltigkeit wenn es zu jedem x ∈ M eine offene Umgebung Bδ (x) ⊂ n und n − k stetig differenzierbare Funktionen R Fix : Bδ (x) → R gibt, so dass n o x (a) M ∩ Bδ (x) = y ∈ Bδ (x) Fj (y) = 0, j = 1, . . . , n − k (b) {∇Fjx (x)}j=1,...,n−k ist linear unabhängig. 2. Ist M eine eingebettete Untermannigfaltigkeit, x ∈ M und sind Fjx Funktionen, wie gerade benannt, so ist x Tx M = span[∇F1x (x), . . . ∇Fn−k (x)]⊥ der Tangentialraum an M im Punkt x. 3. Wir betrachten die disjunkte Vereinigung der Tangentialräume [ ˙ TM = Tx M x∈M und bezeichnen dies als Tangentialbündel. Wir können hier schon einen Nachteil unserer Konstruktion erkennen. T M ist keine in den n eingebettete Untermannigfaltigkeit. Der schon zitierte Satz von Whitney garantiert eine Einbettung dieses Tangentialbündels in den 4n+1 . Dies erscheint hochgradig unnatürlich. Arbeitet man mit dem abstrakten Begriff einer Mannigfaltigkeit kann man direkt zeigen, dass T M wieder eine Mannigfaltigkeit ist. Die allgemeine Konstruktion findet man bei [5], oder auch in dem sehr schönen Buch von Warner [20]. Eingebettete Untermannigfaltigkeiten M erben in natürlicher Weise eine Metrik vom umgebenden Raum n , indem man einfach die Metrik d des Raumes n auf M einschränkt. Damit sind dann für eingebettete Untermannigfaltigkeiten M ⊂ m und N ⊂ n auch stetige Abbildungen von M nach N erklärt. Wir wollen noch den Begriff der Differenzierbarkeit von Abbildungen zwischen solchen eingebetteten Untermannigfaltigkeiten einführen und zeigen, dass die Ableitung eine lineare Abbildung zwischen entsprechenden Tangentialräumen ist. Dazu betrachten wir Kurven, als Abbildungen γ : I → M eines reellen Intervalles I ⊂ . R R R R R R R 26 KAPITEL 1. DYNAMISCHE SYSTEME – GRUNDLEGENDES Definition 1.2.3.2 Die Kurve γ : I → M heißt im Punkt t0 ∈ I differenzierbar, wenn γ : I → n als Funktion in den n im Punkt t0 differenzierbar ist. R R Lemma 1.2.3.3 Ist γ : I → M im Punkt t0 ∈ I differenzierbar, so ist γ ′ (t0 ) ∈ Tγ(t0 ) M. Beweis. γ(t) ∈ M impliziert, wegen x0 = γ(t0 ), dass es ein δ1 > 0 gibt, so dass |t − t0 | < δ1 , dass γ(t) ∈ Bδ (x) und Fjx (γ(t)) = 0 für j = 1, . . . , n − k. Insbesondere impliziert dies h∇Fjx (x0 ), γ ′ (t0 )i = 0. Damit ist γ ′ (t0 ) ∈ Tx0 M. R R Definition 1.2.3.4 Es seien M ⊂ m und N ⊂ n eingebettete Untermannigfaltigkeiten, f : M → N sei stetig. Dann heißt f : M → N im Punkt x0 ∈ M differenzierbar, wenn für jede Kurve γ : I → M, die im Punkt t0 mit γ(t0 ) = x0 differenzierbar ist, die Abbildung f ◦ γ : I → N im Punkt t0 differenzierbar ist. R R Lemma 1.2.3.5 Sind M ⊂ m , N ⊂ n eingebettete Untermannigfaltigkeiten und ist f : M → N im Punkt x0 ∈ M differenzierbar, N ∋ y0 = f (x0 ), so wird durch Df (x0 ) : Tx0 M → Ty0 N : γ ′ (t0 ) 7→ (f ◦ γ)′ (t0 ) eine lineare Abbildung definiert. Beweis. Ist γ1 (t0 ) = γ2 (t0 ) und γ1′ (t0 ) = γ2′ (t0 ) so gilt für t nahe t0 und ℓ = 1, 2 γℓ (t) = γℓ (t0 ) + (t − t0 )γℓ′ (t0 ) + o(|t − t0 |) und entsprechend f ◦ γℓ (t) = f (x0 ) + (t − t0 )(f ◦ γℓ )′ (t0 ) + o(|t − t0 |) 1.2. GRUNDLEGENDE BEGRIFFE 27 Gleichsetzen dieser Terme und Koeffizientenvergleich führt auf Df (x0 )γ ′ (t0 ) = (f ◦ γ)′ (t0 ). Natürlich muss gezeigt werden, dass diese Definition unabhängig von der gewählten Kurve ist, also sind γ1 , γ2 zwei Kurven mit γ1 (t0 ) = γ2 (t0 ) und γ1′ (t0 ) = γ2′ (t0 ). Eindeutigkeit der Entwicklung ergibt, dass Df (x0 )γ1′ (t0 ) = Df (x0 )γ2′ (t0 ). Damit ist die Abbildung Df (x0 ) wohldefiniert, wir müssen noch zeigen, dass diese linear ist. Dies ist leicht zu zeigen. Definition 1.2.3.6 1. Es sei U ⊂ heißt Vektorfeld auf U. R N offen. Eine Abbildung V : U → R N R 2. Es sei M ⊂ N eine eingebettete Untermannigfaltigkeit, T M das Tangentialbündel auf M. Eine Abbildung V : M → T M heißt Vektorfeld auf M, falls für alle x ∈ M gilt V (x) ∈ Tx M. R Ist V als Abbildung in den N stetig differenzierbar, so sprechen wir von einem C 1 -Vektorfeld. Hängt V zusätzlich von der Zeit ab, also I ⊂ ein Intervall und R V :U ×I → R N oder V : M × I → T M eine Abbildung mit V (x, t) ∈ Tx M Fall der eingebetteten Untermannigfaltigkeit, so sprechen wir von einem zeitabhängigen Vektorfeld. 1.2.4 Halbgruppen von Selbstabbildungen T Wir beginnen mit dem Begriff der Zeitmenge . Dazu dient folgende Definition. Dazu seien zunächst die folgende Schreibweisen vereinbart. bezeichne die Menge der Zahlen, also = {1, 2, 3, . . . }, 0 = natürlichen n o ∪ {0}, + = r ∈ r ≥ 0 . N R R N N N KAPITEL 1. DYNAMISCHE SYSTEME – GRUNDLEGENDES 28 T ZN RR Definition 1.2.4.1 Es sei eine der Mengen , 0 , , + . Dann bezeichen wir diese als Zeitmenge. Eine unbestimmte Zeitmenge wird i.A. mit bezeichnet werden. T Beachte, dass Zeitmengen als algebraische Struktur Halbgruppen sind. Dabei heißt eine Menge mit einer assoziativen Verknüpfung Halbgruppe, wenn es ein (eindeutiges) neutrales Element gibt Die hier als Zeitmengen eingeführten Halbgruppen tragen in natürlicher Weise auch die Struktur eines metrischen Raumes. T Definition 1.2.4.2 Es sei eine Zeitmenge, (X, d) ein metrischer Raum. Dann heißt eine stetige Abbildung ϕ: T×X →X ein Fluss, falls für alle x ∈ X 1. gilt ϕ(0, x) = x. 2. und alle s, t ∈ T gilt T Z T ϕ(s + t, x) = ϕ(s, ϕ(t, x)). N = oder = 0 , so sprechen wir von einem diskreten Fluss, Ist anderweitig von einem (kontinuierlichen) Fluss. Sei o n C(X; X) = Ψ : X → X Ψ ist stetig die Menge der stetigen Abbildungen auf X. Dann kann man einen Fluss als Element von C(X; X) auffassen und damit induziert für festes t ∈ ein Fluss einen stetigen Halbgruppenhomomorphismus T Φ: T → C(X; X) mit Φ(0) = 1lX und T Φ(t + s) = Φ(t) ◦ Φ(s). Man beachte, ist eine Gruppe, so ist Φ ein Gruppenhomomorphismus, und für jedes t ∈ T ist Φ(t) ein Homöomorphismus. T Aufgabe 1.2.4.3 Zeigen Sie, dass im Fall ist Gruppe, tatsächlich für t ∈ die Abbildung Φ(t) ein Homöomorphismus ist. T 1.3. GEOMETRISCHE BEGRIFFE 29 1.2.5 Diskrete Dynamik von Selbstabbildungen Wir wollen hier die allgemeine Situation diskreter dynamischer Systeme beschreiben. Das Wort diskret bezieht sich hier auf die Zeit, d.h. als Zeitmengen kommen also nur oder in Frage. Der Zustandsraum X sei jeweils eine metrischer Raum. Dazu sei f : X → X eine (stetige) Abbildung. Dann betrachten wir für x ∈ X und n ∈ 0 N Z N Φ(n, x) = f n (x). Diese Abbildung hat offensichtlich die Eigenschaften eines Flusses. Deshalb können wir folgende Definition vereinbaren. Definition 1.2.5.1 Es sei (X, d) ein metrischer Raum, f : X → X stetig, dann nennen wir das Paar (X, f ) ein diskretes dynamisches System mit Zeitmenge = 0 . Ist f zusätzlich bijektiv, d.h. f −1 existiert, so ist die Zeitmenge = . T N T Z 1.3 Geometrische Begriffe 1.3.1 Spezielle Orbits und ihre Grenzmengen Im folgenden sei (X, d) ein metrischer Raum, T eine Zeitmenge, ϕ : X × T → X ein Fluss. Wir wollen nun einige Begriffe einführen, die uns in die Lage versetzen über das Langzeitverhalten einzelner Trajektorien, wie auch des gesamten Systems zu sprechen. Definition 1.3.1.1 Es sei X ein metrischer Raum, ϕ: T×X→X ein Fluss. Ist x0 ∈ X so nennen wir die Menge n O(x0 ) = ϕ(t, x) t ∈ T eine Zeitmenge, T o den Orbit des Punktes x0 . Entsprechend definieren wir auch die positiven und negativen Semiorbits von x0 durch o n O+ (x0 ) = ϕ(t, x) t ∈ , t ≥ 0 T bzw. n O− (x0 ) = ϕ(t, x) t ∈ T, t ≤ 0 o . 30 KAPITEL 1. DYNAMISCHE SYSTEME – GRUNDLEGENDES Definition 1.3.1.2 Besteht ein Orbit eines Punktes x0 nur aus dem Punkt selbst, so nennen wir diesen ein Gleichgewicht oder auch eine Ruhelage. Bemerkung 1.3.1.3 In diskreten dynamischen Systemen kann ein Orbit der keine Ruhelage ist, eine Ruhelage enthalten. Betrachte f : [−1, 1] → [−1, 1] : x 7→ 1 − 2x2 . Dann ist f (−1) = −1, insbesondere ist −1 eine Ruhelage, f (1) = −1 und damit ist 1 keine Ruhelage O(1) enthält aber O(−1). Definition 1.3.1.4 Wir nennen einen Punkt x0 ∈ X einen periodischen Punkt, wenn es ein t ∈ , t 6= 0 gibt, mit T ϕ(t, x0 ) = x0 . Ist x0 keine Ruhelage, so sprechen wir von einem echten periodischen Punkt. In diesem Fall heißt n o min 0 < t ∈ ϕ(t, x0 ) = x0 T die minimale Periode von x0 . Jedes t > 0, t ∈ Periode bezeichnet. Die Menge n o ϕ(t, x0 ) t ∈ T mit ϕ(t, x ) = x 0 0 wird als T wird als periodischer Orbit bezeichnet. Lemma 1.3.1.5 Es sei x0 ∈ X mit O(x0 ) enthält einen periodischen Punkt x1 . Für ein dynamisches System mit ist Gruppe folgt dann, dass x0 selbst schon periodischer Punkt ist. T Beweis. Ist x1 eine Ruhelage, so ist für alle t ∈ R ϕ(t, x1 ) = x1 . Da es ein t0 gibt, mit ϕ(t0 , x0 ) = x1 ist x0 = ϕ(−t0 , x1 ) = x1 . Ist x1 keine Ruhelage, so ist ϕ(t1 , x1 ) = x1 und damit ist für alle s ∈ R ϕ(t, ϕ(s, x1 )) = ϕ(t + s, x1 ) = ϕ(s, ϕ(t, x1 )) = ϕ(s, x1 ) und jeder Punkt im Orbit von x1 ist periodisch, insbesondere auch x0 . 1.3. GEOMETRISCHE BEGRIFFE 31 Bemerkung 1.3.1.6 Eine entsprechende Aussage für dynamische Systeme deren Zeitmenge keine Gruppe ist, ist nicht wahr. Es kann dort Punkte geben, die selbst nicht periodisch sind, deren positiver Halborbit aber periodische Punkte enthält. Einen solchen Punkt nennen wir schließlich periodisch (vgl. engl. eventually periodic). Gleichgewichtspunkte und periodische Orbits sind Beispiele invarianter Mengen, d.h. solcher Mengen, die unter der Dynamik in sich abgebildet werden. Wir wollen den Begriff zunächst abstrakt einführen und dann weitere Beispiele angeben. T eine Zeitmenge und Definition 1.3.1.7 Es sei X, d) ein metrischer Raum, ϕ : × X → X ein Fluss. Eine Teilmenge A ⊂ X heißt invariant, falls zu jedem x0 ∈ A auch O(x0 ) ⊂ A. Ist mit x0 auch der positive (negative) Semiorbit in A, so sagen wir, A ist positiv (negativ) invariant. T T Definition 1.3.1.8 Gegeben sei ein metrischer Raum (X, d), eine Zeitmenge und ein Fluss ϕ : × X → X. Sei x0 ∈ X. Wir definieren den Begriff der Grenzmenge durch \ O+ (ϕ(t, x0 )), ω(x0 ) = T T 0≤t∈ und α(x0 ) = \ T 0≥t∈ O− (ϕ(t, x0 )). Wir nennen ersteres die ω-Grenzmenge von x0 und letzteres die α-Grenzmenge von x0 . Der folgende Satz fasst wesentliche Eigenschaften der jeweiligen Grenzmengen zusammen. Satz 1.3.1.9 1. Ist der entsprechende Semiorbit nichtleer∗ und beschränkt∗∗ , so ist die entsprechende Grenzmenge nichtleer. 2. Die ω–Grenzmenge besteht aus der Menge der Punkte n o x ∈ X es gibt eine Folge {tn }n∈N ⊂ mit lim tn = ∞ und x = lim ϕ(tn , x0 ) . T Entsprechendes gilt für die α–Grenzmenge. n→∞ n→∞ KAPITEL 1. DYNAMISCHE SYSTEME – GRUNDLEGENDES 32 3. Die ω–Grenzmenge ist positiv invariant. 4. Ist ∗ T eine Gruppe, so sind ω–, bzw. α–Grenzmengen invariant. Der positive Halborbit ist für jedes x0 definiert, der negative besteht für die Zeitmengen + , + nur aus einem Element. Die Voraussetzung nichtleer soll im Fall des positiven Semiorbits bedeutungslos sein, im anderen Fall besagen, dass die Zeitmenge negative Elemente besitzt. ∗∗ Beschränktheit ist in allgemeinen metrischen Räumen nicht definiert, wir meinen, dass der Abschluss kompakt ist. Für Teilmengen von n folgt aus der Beschränktheit die Kompaktheit des Abschlusses. Beweis. Wir führen alle Beweise für die ω–Grenzmenge, für die α–Grenzmenge werden sie ganz analog erbracht. Z R R 1. Vorbemerkung: Ist x∈ \ T 0≤t∈ O+ (ϕ(t, x0 )) T so gibt es zu jedem 0 < t0 ∈ und jedem ε > 0 ein t > t0 und ein xn ∈ O+ (ϕ(t, x0 )) mit d(xn , x) < ε. Wähle ε > 0 und setze εn = 2−n ε und wähle induktiv tn+1 > tn + 1 mit d(ϕ(x0 , tn ), x) < εn . Dann konvergiert die Zeitfolge tn gegen unendlich, xn = ϕ(tn , x0 ) → x. Die Umkehrung ist ebenso einfach. Ist x ein Grenzwert wie beschrieben, so müssen wir zeigen, zu jedem t > 0 ist x ∈ O+ (ϕ(t, x0 )). Da tn → ∞ gibt es ein N ∈ ist x dann in O+ (ϕ(t, x0 )). N mit t n > t für alle n > N. Offensichtlich 2. Ist x ∈ ω(x0 ) und t > 0. Dann ist x = limn→∞ ϕ(tn , x0 ) mit einer unbeschränkten Zeitfolge {tn }n∈N . Dann ist ϕ(t, x) = ϕ(t, lim xn ) = lim ϕ(t, xn ) = lim ϕ(t, ϕ(tn , x0 )) = lim ϕ(t+tn , x0 ). n→∞ n→∞ n→∞ n→∞ 1.3. GEOMETRISCHE BEGRIFFE 33 T 3. Ist eine Gruppe, so kann das eben verwendete Argument ebenso für negative Zeiten angewendet werden. S Beispiel 1.3.1.10 1. Wir betrachten das dynamische System f : S 1 → 1 : φ 7→ φ + β. Ist β ∈ π , so ist, wie wir wissen jeder Orbit periodisch und die Grenzmenge sind für den Anfangswert φ0 mit periodischen Orbit O = {φ0 , φ1 , . . . , φk } α(φ0) = ω(φ0) = O. Q Ist β ∈ ( R \ Q)π, so ist jeder Orbit O(φ ) dicht und es gilt 0 α(φ0 ) = ω(φ0) = S 1 . 2. Ein etwas allgemeineres Verhalten zeigt die folgende Abbildung 1.2. f bildet jeweils die roten Punkte auf den nächsten im mathematisch positiven Sinne ab, entsprechend die blauen Punkte. Dazwischen werden die Segmente S1 → S2 → S3 → S1 abgebildet. Die nicht bezeichneten Segemente werden genauso behandelt. Gleichzeitig soll f die Punkte die Punkte in Richtung der roten Punte verschieben. Dann gilt für jeden roten Punkt xr,i ω(xr,i ) = α(xr,i ) = O(xr,i ) und entsprechend für jeden blauen Punkt ω(xb,i) = α(xb,i ) = O(xb,i ). Für jeden anderen Punkt x ist ω(x) = O(xr,i ) und α(x) = O(xb,i ). T Definition 1.3.1.11 Es sei (X, d) ein metrischer Raum, eine Zeitmenge und ϕ : × X → X ein Fluss. Ein Punkt x0 ∈ X heißt nichtwandernd, wenn es zu jeder Umgebung U ein 0 < t ∈ gibt mit T T ϕ(t, U) ∩ U 6= ∅. Die Menge der nichtwandernden Punkte wird mit o n Ω(ϕ) = x ∈ X x ist nichtwandernd bezeichnet. 34 KAPITEL 1. DYNAMISCHE SYSTEME – GRUNDLEGENDES S3 S1 S2 Abbildung 1.2: Eine Abbildung auf S 1 . Satz 1.3.1.12 Die Menge der nichtwandernden Punkte ist positiv invariant. Ist eine Gruppe, so ist Ω(ϕ) invariant. T Beweis. Übungsaufgabe. Lemma 1.3.1.13 Ist (X, d) ein metrischer Raum, ϕ: T eine Zeitmenge und T×X →X ein Fluss. Ist M ⊂ X eine (positiv) invariante Teilmenge, so gilt dies auch für den Abschluss M . Beweis. Folgt sofort aus den Beweisen der vorangehenden Lemmata. 1.3.2 Stabilität Definition 1.3.2.1 Es sei (X, d) ein metrischer Raum, ϕ: T eine Zeitmenge und T×X →X ein Fluss. Eine kompakte, invariante Menge K heißt attraktiv, falls es eine offene Umgebung U von K gibt, so dass für alle x ∈ U gilt ω(x) ⊂ K. Sie heißt global attraktiv, wenn dies für alle x ∈ X gilt. 1.4. DISKRETE VERSUS KONTINUIERLICHE DYNAMIK Definition 1.3.2.2 Es sei (X, d) ein metrischer Raum, ϕ: T×X→X 35 T eine Zeitmenge und ein Fluss. Eine kompakte, invariante Menge K heißt stabil, falls zu jeder offenen Umgebung U von K eine Umgebung V von K gibt, so dass für alle x ∈ V gilt O+ (x) ⊂ U. Definition 1.3.2.3 Eine kompakte, invariante Menge K wird als Attraktor bezeichnet, wenn K attraktiv und stabil ist. K wird als globaler Attraktor bezeichnet, wenn K ein global attraktiver Attraktor ist. Eine wesentliche Aufgabe in der Theorie dynamischer Systeme ist es (globale) Attraktoren zu finden und die Dynamik auf diesen Attraktoren zu beschreiben. Die eben definierten Begriffe spielen natürlich für die speziellen invarianten Mengen wie Ruhelagen und periodische Orbits eine besondere Rolle. Bemerkung 1.3.2.4 Attraktivität einer invarianten Menge impliziert nicht ihre Stabilität, wir werden dafür noch ein Beispiel in den Übungen sehen. Beispiel 1.3.2.5 In unserem Beispiel 1.3.1.10, vgl. Abbildung 1.2 ist die Menge der roten Punkte ein Attraktor, allerdings kein globaler Attraktor, da die blauen Punkte eine invariante Menge bildet. 1.4 Diskrete versus kontinuierliche Dynamik 1.4.1 Zeit–1–Abbildungen Die einfachste Möglichkeit aus einem kontinuierlichen Fluss ein diskretes dynamisches System zu gewinnen, ist die sogenannte Zeit–1–Abbildung. Sei (X, d) ein metrischer Raum, = und T R ϕ:T×X→X ein Fluss. Wir definieren die Abbildung F : X → X : x 7→ ϕ(1, x). Offensichtlich ist F ein Homöomorphismus von X → X. Gleichgewichte für ϕ sind auch solche für F , für periodische Punkte ist dies nicht immer wahr. Man überzeuge sich von der Richtigkeit dieser Beobachtung. KAPITEL 1. DYNAMISCHE SYSTEME – GRUNDLEGENDES 36 1.4.2 Poincaré–Abbildungen T Sei ϕ : × M → M ein differenzierbarer Fluss auf einer Mannigfaltigkeit M (insbesondere M = n oder M = T n ). Das zugehörige Vektorfeld, man überlege sich, dass es so ein Objekt immer gibt, sei V , also R V (x) = d |t=0 ϕ(t, x). dt Eine Hyperfläche S ist eine Untermannigfaltigkeit von M (also Teilmenge und Mannigfaltigkeit) mit dim S = dim M − 1. Wenn M = n , so ist jeder (n − 1)-dimensionale Unterraum eine Hyperfläche. R Definition 1.4.2.1 Eine Hyperfläche S heißt (globaler) (transversaler) Schnitt des Flusses ϕ, wenn gilt: • Das zu ϕ gehörende Vektorfeld V ist nirgends tangential an S. • Jeder Orbit von ϕ schneidet S unendlich oft für t → ∞ und t → −∞. Wir kommen jetzt zur ersten Definition der Poincaré-Abbildung: Definition 1.4.2.2 Sei S ein globaler Schnitt von ϕ. Die Wiederkehrzeit τ : S → ist definiert durch R τ (x) = min{ϕ(t, x) ∈ S}. t>0 Es gilt immer τ (x) > 0, da wir vorausgesetzt haben, dass V nicht tangential an S ist. Beispiel 1.4.2.3 Wir betrachten den Torus T 2 . Diesen erhalten wir algebraisch als Qutient 2 / 2 , geometrisch durch Verkleben der Kanten eines Quadrates. Ist v ∈ 2 , so können wir auf 2 den Fluss ϕ(t, x) = x + tv betrachten. Ein Gerade orthogonal zu v projiziert nun einem Kreis S auf T 2 , der ein globaler tranversaler Schnitt zur Projektion von ϕ ist. Wir können uns die Frage stellen ob wir auf dem globalen Schnitt eine andere Abbildung, z.B. die aus Abbildung 1.2 vorgeben können und dazu einen geeigneten Fluss konstuieren können (mit einer roten“ und einer blauen“ periodischen ” ” Lösung, die vorwärts gegen die rote und rückwärts gegen die blaue Lösung konvergiert. Dies werden wir im folgenden Abschniit behandeln. R R Z R 1.4. DISKRETE VERSUS KONTINUIERLICHE DYNAMIK 37 Definition 1.4.2.4 Sei S ein globaler Schnitt von ϕ. Dann ist die PoincaréAbbildung P :S→S definiert durch P (x) = ϕ(τ (x), x). Das heißt: Der Punkt x wird auf den Punkt abgebildet, der auf dem Orbit von x liegt und der erste ist, an dem der Orbit von x wieder durch S läuft. Beispiel 1.4.2.5 Für die Differentialgleichung ṙ = r(1 − r), θ̇ = 1 (in Polarkoordinaten) ist S = {(x, 0) : x > 0} ein globaler Schnitt. Die Wiederkehrzeit ist τ = 2π für alle Punkte in S. Da die Differentialgleichung gelöst wird durch r(t) = 1 , 1 + (1/r0 − 1)e−t θ(t) = t + θ0 , ist die Poincaré-Abbildung gegeben durch 1 ,0 . P (x, 0) = 1 + (1/r0 − 1)e−2π 1.4.3 Suspensionen Wir beobachten, dass nicht jeder (orientierungserhaltende) Diffeomorphismus als Zeit t0 -Abbildung eines Flusses auftreten kann. Angenommen x0 , . . . , f k (x0 ) sei ein periodischer Orbit von f mit minimaler Periode k, der isoliert liegt, d.h. für den es eine Umgebung U gibt, die keinen Orbit der Länge k enthält, so ist dies nicht die Zeit t0 -Abbildung eines Flusses. Angenommen, dies wäre so, dann gilt f k ϕ(t, x0 ) = ϕ(t + k, x0 ) = ϕ(t, f k x0 ) = ϕ(t, x0 ). Also ist der gesamte Zeitorbit ϕ(t, x0 ) von x0 periodisch mit (minimaler) Periode k für f und dies widerspricht der Isoliertheit. 38 KAPITEL 1. DYNAMISCHE SYSTEME – GRUNDLEGENDES Definition 1.4.3.1 Sei M eine Mannigfaltigkeit und f : M → M ein Diffeomorphismus. Sei X = (M × [0, 1])/ ∼, wobei die Äquivalenzrelation ∼ definiert wird durch (x, 1) ∼ (f (x), 0). Dann ist der Suspensionsfluss von f auf X definiert durch ψt ([(x, θ)]) := [(f ⌊t+θ⌋ (x), t + θ − ⌊t + θ⌋)]. Hierbei bedeutet ⌊r⌋ = max{s ∈ Z : s ≤ r}. Wir können den Suspensionsfluss statt für Diffeomorphismen einer Mannigfaltigkeit M auch für Diffeomorphismen einer offenen Menge U im n definieren. Allerdings ist auch in diesem Fall die Menge X, auf der der Suspensionsfluss definiert ist, keine Teilmenge des n × [0, 1] sondern eine abstrakte Mannigfaltigkeit. R R Beispiel 1.4.3.2 Wenn f : S 1 → S 1 eine Rotation ist, so ist X ein Torus. Beispiel 1.4.3.3 Wenn f : S 1 → S 1 eine Spiegelung ist, so ist X eine KleinFlasche, eine nicht-orientierbare Mannigfaltigkeit (eine Fläche, deren Innensei” te“ gleichzeitig die Außenseite“ ist). ” Beispiel 1.4.3.4 Wenn f : (0, 1) → (0, 1) eine Spiegelung ist, so ist X ein Möbiusband. Beispiel 1.4.3.5 In unserem Beispiel mit den roten und blauen Ruhelagen auf der S 1 erhalten wir als Suspensionsfluss auf T 2 mit zwei periodischen Orbits und einem heteroklinen Orbit, der die beiden verbindet. 1.5 Aufgaben Aufgabe 1.5.0.6 Man überlege sich, ob ein Zerfallsgesetz u(t), welches der Beziehung (1.3) genügt, auch eine Gleichung der Form (1.1) erfüllt. Aufgabe 1.5.0.7 (a) Man begründe, dass jede Lösung der Gleichung du =u dx 1.5. AUFGABEN 39 die Form Cex mit einer reellen Konstante C hat. (b) Man gebe ein entsprechendes Argument für die Gleichung g ϕ′′ (t) = − ϕ(t) ℓ √ √ und die Lösungen A sin( ωt) + B cos( ωt) mit ω= g ℓ an. Aufgabe 1.5.0.8 Man zeige, dass für das dynamische System auf [0, 1], das durch f (x) = 2x mod 1 gegeben ist, rationale Anfangswerte zu periodischen Orbits führen. Aufgabe 1.5.0.9 Man zeige, dass für das dynamische System auf [0, 1], das durch f (x) = x+ b mod 1, gegeben ist, bei irrationalem b jeder Orbit dicht in [0, 1] liegt. Aufgabe 1.5.0.10 Man löse die Gleichungen (a) u′ = u2 + 1 2 (b) u′ = − x3 u (c) u′ = eu sin(x) mit der Methode der Trennung der Veränderlichen und diskutiere das Verhalten der Lösungen mit u(0) = p0 , p0 ∈ . Darunter verstehen wir die Beantwortung der folgenden Fragen. R • Für welche t ∈ R existiert die Lösung? • Wie verhält sich die Lösung für t → t+ , t → t− , wenn (t− , t+ ) das (maximale) Intervall bezeichnet, auf dem die Lösung u(t) existiert? Aufgabe 1.5.0.11 Man verifiziere die Aussagen über die logistische Gleichung: (a) Für p0 ∈ (0, K) existiert die Lösung für alle Zeiten und strebt für t → ∞ gegen K, für t → −∞ gegen Null. (b) Für p0 > K existiert die Lösung nicht für alle reellen Zeiten. Man diskutiere das Verhalten. (c) Man untersuche das Verhalten der Lösungen für p0 < 0! KAPITEL 1. DYNAMISCHE SYSTEME – GRUNDLEGENDES 40 Aufgabe 1.5.0.12 Man diskutiere das System w ′′ = −Kw v ′′ = −Kv für K < 0. 1. Beweisen Sie Satz 1.1.3.1 Aufgabe 1.5.0.13 2. R Aufgabe 1.5.0.14 Man zeige, dass die Menge C([0, 1]; n ) der stetigen Funktionen auf dem Intervall [0, 1] mit Werten im n , versehen mit der Norm R kuk = sup ku(x)kRn , x∈[0,1] ein Banachraum ist. Aufgabe 1.5.0.15 Wir betrachten die Abbildung T : C([0, 1]; R ) → C([0, 1]; R ) : u 7→ n n Z1 f (., y)u(y) dy, (1.13) 0 wobei f eine auf [0, 1] × [0, 1] stetige, reellwertige Funktion ist. Man zeige, T ist stetig und linear. Ist T eine Kontraktion? Aufgabe 1.5.0.16 Man beweise das Lemma 1.2.2.3. Aufgabe 1.5.0.17 Man veranschauliche sich das Tangentialbündel an die Einheitssphäre im 2 . Wie sehen typische Vektorfelder aus? Wie hat man sich das entsprechende auf dem Torus T2 vorzustellen. R Aufgabe 1.5.0.18 Für die Folge {xn }n∈N aus dem Beweis zum Banachschen Fixpunktsatz beweise man die Fehlerabschätzung d(xn+1 , x) ≤ λn d(x1 , x0 ). 1−λ Aufgabe 1.5.0.19 Man beweise Satz 1.3.1.12. Kapitel 2 Stabilität In diesem Kapitel beschränken wir uns auf diskrete dynamische Systeme und wir wollen Aussagen über Stabilität von gewissen invarianten Mengen machen, indem wir linearisieren, d.h. eine im Allgemeinen nichtlineare Abbildung durtch die Linearisierung approximieren. Dazu muss der Zustandsraum das Konzept der Linearisierung zulassen. Wir betrachten daher als Zustandsraum eine offene Menge im n oder eine Mannigfaltigkeit. Grundlegend ist dabei ein kurzer Blick auf lineare Systeme im n . R R 2.1 Lineare Systeme R Im folgenden sei X = n der Zustandsraum, A sei eine lineare Abbildung A : X → X, = oder = . Wir betrachten das dynamische System (X, A). Ist A injektiv, wählen wir = , im anderen Fall ist = . Mit σ(A) bezeichnen wir das Spektrum von A. Ist λ ∈ σ(A) so sei E(λ) der verallgemeinerte Eigenraum von A zum Eigenwert λ, d.h. o n r E(λ) = x ∈ X ∃r∈N (A − λ1l) x = 0 . T Z T N T Z T N Entsprechend sei K(λ) = ker(A − λ1l) der Eigenraum zum Eigenwert λ. Wir notieren das triviale Lemma: Lemma 2.1.0.20 (Invarianz der Eigenräume) Die Räume E(λ), K(λ) sind innvariante Mengen für (X, A). 41 KAPITEL 2. STABILITÄT 42 Beweis. Für x ∈ E(λ) gilt mit r, so dass (A − λ1l)r x = 0 (A − λ1l)r Ax = (A − λ1l)r (A − λ1l + λ1l)x = (A − λ1l)r+1 x + λ(A − λ1l)r x = 0. Lemma 2.1.0.21 (Asymptotik in den Eigenräumen) x ∈ E(λ), so gilt lim Ak x = 0. 1. Ist |λ| < 1 und k→∞ 2. Ist |λ| > 1, so ist für 0 6= x ∈ E(λ) die Folge {Ar }r∈N x unbeschränkt. Die Folge wächst wie |λ|r . 3. Ist λ| = 1, so gilt 0 6= x ∈ K(λ), dass {Ar x}r∈N eine beschränkte, von Null wegbeschränkte Folge ist mit kAr xk = kxk für alle r ∈ N und eine geeignete Norm auf V . 4. Ist |λ| = 1 und x ∈ E(λ) \ K(λ) so ist {Ar x}r∈N unbeschränkt, die Folge wächst polynomial in r. Beweis. 1. Ist x ∈ K(λ) so ist Ak x = λk x → 0 für k → ∞. Im allgemeinen Fall schreiben wir die Einschränkung auf E(λ) in der Form A = D + N, wobei D = λ1l und N nilpotent ist, d.h. es existiert ein m ∈ mit m N = 0. Dann ist m−1 X r r r D r−j N j . A = (D + N) = j j=1 N Dann sieht man leicht, dass lim Ar x = 0. r→∞ 2.2. LINEARE EBENE SYSTEME 43 2. Der Beweis für den Fall |λ| > 1 folgt dem vorigen und braucht keine neuen Argumente. 3. Ist |λ| = 1, und VC der komplexifixierte Raum, so ist für x ∈ K(Λ)C Ar x = λr x und damit ist kAr xk = kλr xk = |λ|r kxk = kxk. 2.2 Lineare ebene Systeme Ein ebenes lineares diskretes System hat die Form xn+1 = Bx R wobei xi ∈ 2 und B ∈ L( hat Eigenwerte λ1 , λ2 mit R , R ) ist. Wir unterscheiden mehrere Fälle: B 2 2 1. |λ1,2 | < 1 2. |λ1 | < 1, |λ2 | = 1 3. |λ1 | < 1, |λ2 | > 1 4. |λ1,2 | = 1 5. |λ1 | = 1, |λ2 | > 1 6. |λ1,2 | > 1 In den Fällen mit mindestens einem Eigenwert vom Betrag < 1 ist die Matrix eventuell nicht invertierbar und wir müssen die Fälle in denen mindestens ein Eigenwert 0 auftritt, getrennt betrachten. KAPITEL 2. STABILITÄT 44 2.2.1 |λ1,2 | < 1 Doppelter Eigenwert 0 Ist B = 0, so ist die Dynamik trivial: in einem Iterationsschritt landen wir in 0 und bleiben dort. Ist B 6= 1, so hat die Jordan-Form von B die Gestalt B= 0 1 0 0 Ein Punkt der Form x= x1 x2 wird auf x2 0 abgebildet und im nächsten Schritt auf die 0. Auch eine recht einfache Dynamik. Ein Eigenwert 0 Nun kann B diagonalisiert werden, wir reduzieren in einem Schritt die Dynamik in eine eindimensionale Situation. Dort konvergiert die Folge gegen 0. 0 < |λ1 | < |λ2 | < 1 Hier könnten wir die Fälle ob die Eigenwerte gleiches oder ungleiches Vorzeichen haben unterscheiden. Im beiden Fällen gibt es die eindimensionalen Eigenräume E(λi ) die invariant unter der Dynamik sind. In beiden Unterräumen konvergieren die Folgen gegen 0 mit Raten |λi |n . 2.3. STABILITÄT VON RUHELAGEN 45 2.2.2 Ein Eigenwert vom Betrag höchstens 1, mindestens ein Eigenwert von Betrag 1 Ein Eigenwert 0, ein Eigenwert vom Betrag 1 In diesem Fall sind beide Eigenwerte einfach, und es gibt die zwei Möglichkeiten für die Jordanform 0 0 0 0 oder 0 −1 0 1 In einem Schritt erreicht man den Eigenraum zum Eigenwert vom Betrag 1, in einem Fall ist dieser gefüllt mit Ruhelagen, im anderen mit periodischen Orbits der Länge 2. Ein Eigenwert 0 < |λ| < 1, ein Eigenwert vom Betrag 1 Der Eigenwert vom Betrag 1 ist entweder 1 oder −1. Hier hat man Konvergenz gegen eine Familie von Ruhelagen, oder gegen eine Familie periodischer Orbits der Länge 2. Zwei Eigenwerte vom Betrag 1 Hier sind die einfachen Fälle aus Kombination von zwei reellen Eigenwerten ±1 denkbar, bei geichen Eigewerten geometrisch doppelt, oder geometrisch einfach. Allerdings gibt es auch den Fall von einem Paar konjugiert komplexer Eigenwerte, entweder Einheitswurzeln λp = 1, p ∈ oder keine Einheitswurzeln. Die ersten Fälle mit Eigenwerten λ1,2 = ±1 λ1 λ2 = −1 führen auf periodische Orbits der Länge 2, zwei gleiche Eigenwerte mit geometrisch doppelten Eigenwerten führen ebenfalls auf Ruhelagen oder periodische Orbits, sind aber keine stabilen Situationen. Im Fall von geometrisch einfachen, algebraisch doppelten Eigenwerten ±1 hat man polynomiale Divergenz. Z 2.3 Stabilität von Ruhelagen Wir betrachten nun die Situation einer nichtlinearen Abbildung f : U → U, wobei U ⊂ n offen ist. Die Situation einer offenen Teilmenge einer R KAPITEL 2. STABILITÄT 46 Mannigfaltigkeit M wird ganz entsprechend behandelt. Wir nehmen an, x0 ∈ U sei eine Ruhelage von f , also f (x0 ) = x0 . Wir nehmen an, f sei stetig differenzierbar und A = Dx f (x0 ). OBdA dürfen wir annehmen, dass x0 = 0 ist, indem wir f1 (x) = f (x + x0 ) − x0 setzen, dann ist f1 (0) = f (x0 ) − x0 = 0 und Dx f1 (0) = Dx f (x0 ). Es sei g = f − A und damit gilt Dg(x0 ) = 0 und zu jedem ε > 0 und zu jeder Norm auf L( bung V von 0 mit kDg(y)kL(Rn) < ε R ; R ) gibt es eine Umgen n für y ∈ V . Definition 2.3.0.1 (Stabilität von Ruhelagen) 1. Eine Ruhelage heißt stabil, wenn sie als kompakte invariante Menge stabil ist. 2. Sie wird als asymptotisch stabil bezeichnet, wenn sie als invariante Menge ein Attraktor ist. 3. Ist die Ruhelage nicht stabil, so bezeichnen wir sie als instabil. R n 1 Satz 2.3.0.2 (Stabilität von Ruhelagen) n Es sei0 ∈ U ⊂o offen, f ∈ C (U; U) mit A = Dx f (0). Dann gilt: Ist σ(A) ⊂ z ∈ |z| < 1 , dann ist 0 asymptotisch stabil. C Beweis. Der Spektralradius ρ(A) < s < 1. Daher gibt es eine Norm, mit zugehöriger Operatornorm, so dass kAkL(Rn ,Rn ) < s. Ist ε < 1 − s, so ist auf V , kDf k < k < 1. Dann ist für x ∈ Bδ (0) ⊂ V kf (x) − f (0)k ≤ kDf (ξ)kL(Rn;Rn ) kxk ≤ kkxk < δ. Somit ist 0 stabil, und das gleiche Argument zeigt, dass 0 attraktiv ist. 2.4. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN UND STABILITÄT R 47 R Satz 2.3.0.3 (Störungssatz) Ist f : n → n stetig differenzierbar auf einer Umgebung W eines Fixpunktes x0 und ist kDf (x0 )k < 1, so gibt es eine abgeschlossene Umgebung U von x0 , so dass f (U) ⊂ U und f ist Kontraktion auf U. Ferner ist jede hinreichend nahe an f in gelegene Abbildung g : U → U (f, g nahe in C 1 (U; U)), dass g auf U eine Kontraktion ist (und damit einen asymptotisch stabilen Fixpunkt besitzt). Wir erhalten dafür einen zweiten Stabilitätsbegriff: (U, f ) ist als System stabil (gegen Störungen). Dieser Begriff spielt in der Theorie dynamischer Systeme eine sehr große Rolle. 2.4 Lineare Differentialgleichungen und Stabilität 2.4.1 Jordan Form In diesem kurzen Abschnitt wiederholen wir einige Begriffe der linearen Algebra. Sei A : n → n eine lineare Abbildung mit zugehöriger Matrix A (diese wird durch die Wahl einer Basis bestimmt). Wir gehen immer von der kanonischen Basis aus und identifizieren auf diese Weise die lineare Abbildung mit der Matrix. Eine Zahl λ ∈ heißt Eigenwert von A, wenn es einen Vektor uc ∈ n gibt mit R R C C Auc = λuc . Dieser Vektor uc wird Eigenvektor genannt. Natürlich müssen wir auch bei reellen Matrizen komplexe Eigenwerte und Eigenvektoren zulassen. Deshalb arbeiten wir zunächst im komplexifizierten Raum n . Die Eigenwerte sind Lösungen der charakteristischen Gleichung C det(A − λ1l) = 0. (2.1) Wegen des Fundamentalsatzes der Algebra gibt es (mit Vielfachheiten gerechnet) genau n Wurzeln dieser Gleichung. Jede Wurzel von (2.1) ist auch Eigenwert, jedoch gibt es im allgemeinen weniger als n Eigenvektoren. Sei λ ein Eigenwert, so ist Kλ = ker(A − λ1l) KAPITEL 2. STABILITÄT 48 ein A-invarianter Unterraum, der Eigenraum von A zum Eigenwert λ. Sei m die Dimension von Kλ . Kλ ist enthalten im verallgemeinerten Eigenraum, der gegeben ist durch Eλ = {u ∈ C n | ∃k ∈ N mit (A − λ1l) u = 0}. k Der verallgemeinerte Eigenraum Eλ zum Eigenwert λ ist invariant unter der Abbildung A. Eine weitere Zerlegung in invariante Unterräume ist möglich. Dazu betrachtet man den minimalen Wert k0 , so dass ker(A − λ1l)k0 = Eλ ist. So eine Zahl existiert immer. In Eλ existiert eine Basis B, welches die Vereinigung von m Mengen H1 , . . . , Hm ist, wobei jedes Hk die Form Hk = {uk,1, . . . , uk,rk } (2.2) hat mit (A − λ1l)uk,i+1 = uk,i, i = 1, . . . , rk , (A − λ1l)uk,1 = 0. Die Einschränkung von A auf Eλ hat in der Basis B dann die Gestalt B1 0 . . . . . . 0 0 B2 0 . . . 0 .. . . .. , .. .. (2.3) . . . . . 0 ... 0 0 0 . . . . . . 0 Bm wobei jeder dieser rk × rk Blöcke Bk die einfache Form λ 1 0 ... ... 0 .. 0 λ . 0 1 0 . . . . . . . . . . . . . . .. . . Bk = . . . . .. .. .. .. 0 .. . .. λ 1 . 0 ... ... ... 0 λ (2.4) hat. Damit haben wir die komplexe Jordansche1 Normalform einer Matrix erhalten. In der reellen Jordanschen Normalform hat man auch eine Dar1 Camille Marie Ennemond Jordan (5.1.1838-21.1.1922) wurde zunächst zum Bergbauingenieur ausgebildet. Im Jahre 1916 wurde er Präsident der französischen Akademie der Wissenschaften. Sein Werk umfasst neben der Normalform Beiträge zur Algebra (u.a. zur Galois-Theorie), zur Analysis, zur Wahrscheinlichkeitsrechnung und zur Topologie der Ebene (Kurvensatz). 2.4. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN UND STABILITÄT 49 stellung in Blöcken wie in (2.3), jedoch sehen die Blöcke i.a. anders aus. Ist λ reell so bleibt die Form (2.4) erhalten. Für komplexe Eigenwerte λ = eiα , ergibt sich statt (2.4) die Form cos α − sin α 1 0 ... ... ... 0 sin α cos α 0 1 0 ... ... 0 0 0 cos α − sin α 1 0 . . . 0 0 0 sin α cos α 0 1 ... 0 .. .. .. .. .. .. .. .. . . . . . . (2.5) . . . Bk = . . . . .. .. .. .. 1 0 . . . .. .. .. 0 1 0 ... ... ... . . . 0 cos α − sin α 0 ... ... ... . . . 0 sin α cos α Eine einfache Begründung für diese Form ergibt sich aus der komplexen Jordanschen Normalform und der folgenden Überlegung. Ist λ ∈ ein komplexer Eigenwert einer reellen Matrix so ist λ̄ ebenso ein Eigenwert und es gibt zu dem zur Menge aus Gleichung 2.2 Hk = {uk,1, . . . , uk,rk } eine Menge Hk∗ = {uk,1 , . . . , uk,rk } konjugiert komplexer Vektoren die eine entsprechende Basis zum Eigenwert λ̄ bilden. Wir definieren nun ein Paar reeller Vektoren 1 (uk,j + uk,j ), j = 1, . . . , rk vk,j = 2 1 wk,j = (uk,j − uk,j ), j = 1, . . . , rk . 2i C Nun sehen wir leicht 1 (Auk,j + Auk,j ) 2 cos(α) − sin(α) vk,j = vk,j−1 + . sin(α) cos(α) wk,j Avk,j = Für Awk,j ergibt eine ähnliche Rechnung ein ganz ähnliches Ergebnis. Für die Basis, die immer aus Paaren HkR = {vk,1 , wk,1, . . . , vk,rk , wk,rk } besteht ergibt sich dann die obige Abbildungsmatrix. Wie sieht der Block für λ = |λ|eiα aus? KAPITEL 2. STABILITÄT 50 2.4.2 Die Matrixexponentialfunktion Definition 2.4.2.1 Sei A ∈ L( n , |u| = 1 . R R , R ). Wir setzen kAk n n = sup |Au| u ∈ Lemma 2.4.2.2 k · k ist eine Norm auf dem linearen Raum der linearen Abbildungen von n in sich. Außerdem gilt kABk ≤ kAkkBk. R Beweis. Einfaches Nachrechnen! Definition 2.4.2.3 Sei A eine n × n-Matrix. Die Funktion E : sei definiert durch ∞ k X t k E(A, t) = A . k! R → L(R , R ) n n (2.6) k=0 Wir nennen E(A, t) die Matrixexponentialfunktion und schreiben dafür auch E(A, t) = eAt . Lemma 2.4.2.4 Die Funktion E(A, t) ist für jedes A ∈ L( reelle Zahl t ∈ definiert. R R , R ) und jede n n Beweis. Übungsaufgabe! Satz 2.4.2.5 Die Matrixexponentialfunktion E(A, t) löst das Anfangswertproblem (??) Ċ = AC, C(0) = 1l aus Hilfssatz ??. Beweis. Zunächst betrachten wir eine Teilsumme der Reihe E(A, t) Em (A, t) = m X tk k=0 k! Ak . Die Ableitung von Em (A, t) ist natürlich Ėm (A, t) = m X k=1 tk−1 Ak = AEm−1 (A, t). (k − 1)! Wegen der gleichmäßigen Konvergenz der rechten Seite (auf kompakten Teilmengen von ) ist E(A, t) differenzierbar und Ė(A, t) = AE(A, t). Natürlich ist auch E(A, 0) = 1l. Die Lösung des Anfangswertproblems u̇ = Au, u(0) = u0 erhält man also durch u(t, u0) = E(A, t)u0 . R 2.4. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN UND STABILITÄT 51 Hilfssatz 2.4.2.6 Kommutieren die beiden Matrizen A, B miteinander, d.h. ist AB = BA, folgt für alle t ∈ R BE(A, t) = E(A, t)B, und es gilt E(A + B, t) = E(A, t)E(B, t) = E(B, t)E(A, t) ∀t ∈ R. Beweis. Die erste Eigenschaft ist eine unmittelbare Konsequenz der Definition, die zweite erhält man aus dem Eindeutigkeitssatz für die Lösung von Anfangswertproblemen, indem man nachprüft, dass E(A + B, t) und E(A, t)E(B, t) das gleiche Anfangswertproblem lösen. A kann durch eine Ähnlichkeitstransformation in die Jordansche Normalform gebracht werden. Sei J die Jordansche Normalform von A und C die Transformationsmatrix, also J = CAC −1 . Die allgemeine Form des Verhaltens der Lösungen unter Koordinatentransformation ist in Aufgabe 20, Blatt 5 angegeben. Für den Spezialfall können wir die Lösung des Ausgangsproblems gewinnen, indem wir A in die Jordansche Normalform überführen, für diese dann die Gleichung lösen und zurücktransformieren. Wir erhalten u(t, u0) = E(A, t)u0 = C −1 v(t, Cu0) = C −1 E(J, t)Cu0 . Aus der Eindeutigkeit der Lösung folgt noch E(A, t) = C −1 E(CAC −1 , t)C. Natürlich kann man diese Formel auch unmittelbar aus der Definition von E(A, t) schließen. Zur allgemeinen Lösung linearer Anfangswertprobleme müssen wir noch E(J, t) ausrechnen. Wir gehen von der Gestalt (2.3) aus. Natürlich gilt für eine Matrix J in Blockdiagonalgestalt J = diag(B1 , . . . , Bm )), dass die Matrixexponentialfunktion auch Blockdiagonalgestalt annimmt, also E(J, t) = diag(E(B1 , t), . . . , E(Bm , t)). Ist B ein Block der Länge 1, also B = (λ), so ist natürlich E(B, t) = eλt . Ist B ein Block der Länge r > 1 und der zugehörige Eigenwert λ reell, so ergibt sich die Exponentialreihe aus folgenden Betrachtungen. KAPITEL 2. STABILITÄT 52 Definition 2.4.2.7 Eine Matrix N heißt nilpotent, wenn es ein r ∈ N r = 0. N gibt mit Lemma 2.4.2.8 Ein Block der Gestalt (2.4) ist die Summe einer Diagonalmatrix D und einer nilpotenten Matrix N. Beweis. Natürlich ist D = diag(λ, . . . , λ). Übrig bleibt die r × r Matrix 0 1 0 ... ... 0 .. 0 0 . 0 1 0 . . . . . . . . . . . . . . .. . . (2.7) N = . . .. .. .. .. . . . 0 . . . . . . 0 1 0 ... ... ... 0 0 Eine einfache Rechnung zeigt, dass N r = 0 ist. Damit ist N nilpotent. Bemerkung 2.4.2.9 Genauer gilt, dass jede Matrix A Summe einer diagonalisierbaren und einer nilpotenten Matrix ist. Unser Beweis zeigt dies zumindest für reelle Matrizen mit ausschließlich reellen Eigenwerten. Lemma 2.4.2.10 Die Matrixexponentialfunktion E(B, t) eines Jordan-Blocks der Länge r zum Eigenwert λ hat die Gestalt tr−1 1 t t2 /2 t3 /6 . . . (r−1)! .. .. .. 0 1 . . t . .. . . .. .. .. 3 . . . . t /6 E(B, t) = eλt .. (2.8) .. .. .. . 2 . . . t /2 . . . .. .. 1 t 0 ... ... ... 0 1 Beweis. Es gilt DN = ND und daher mit dem Hilfssatz 2.4.2.6 E(B, t) = E(D + N, t) = E(D, t)E(N, t). Nun ergibt E(D, t) = eλt 1l und da N nilpotent ist, hat man E(N, t) = 1l + tN + tr−1 t2 2 N +···+ N r−1 . 2 (r − 1)! 2.4. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN UND STABILITÄT 53 Für einen nichtreellen Eigenwert stellt man die gleiche Betrachtung im Komplexen an und schneidet den Lösungsraum mit dem n . Wir wollen die entsprechende Formel im Moment nicht angeben. R R R ).Wir Satz 2.4.2.11 (Algebraische Struktur des Lösungsraumes I) Sei A ∈ L( n , setzen U = {u ∈ C 1 ( , n ) | u̇ = Au}. U ist ein linearer Raum. Die Dimension von U ist n. RR Beweis. Offensichtlich ist die Summe zweier Lösungen wieder eine Lösung. Gleiches gilt für das Produkt ξu mit ξ ∈ und u ∈ U. Also bleibt zu zeigen, dass dim U = n ist. Sei A : U → n die Abbildung Au = u(0). Offensichtlich ist A linear und wegen der eindeutigen Lösbarkeit von Anfangswertproblemen injektiv. Wegen des globalen Existenzsatzes ist A surjektiv. Also gilt U ≃ n . Als nächsten Schritt betrachten wir die inhomogene lineare Gleichung, gegeben durch u̇ = Au + f (t), (2.9) R R R R R → n eine stetige Abbildung ist. Wir wissen, aufgrund wobei f : des Existenzsatzes, dass diese Gleichung bei Vorgabe eines Anfangswertes lösbar ist. Die algebraische Struktur ist natürlich etwas anders als vorher. Wie in der linearen Algebra besteht die allgemeine Lösung aus einer speziellen Lösung plus einem beliebigen Element aus U. Satz 2.4.2.12 (Algebraische Struktur des Lösungsraumes II) Sei R R ) | u̇ = Au + f (t)}. U ist ein n-dimensionaler affiner Unterraum von C (R, R ). Es existiert also ein u ∈ C (R, R ) mit der Eigenschaft, dass Uf = {u ∈ C 1 ( , n 1 f 0 1 n n Uf = {u0 + u | u ∈ U}. Beweis. Wie schon bemerkt, hat die Gleichung (2.9) immer eine Lösung. Sei u0 eine solche Lösung. Dann ist natürlich für u ∈ U auch u0 + u eine Lösung. Wir müssen noch zeigen, dass jede Lösung diese Form hat. Sei u1 eine weitere Lösung der Gleichung (2.9). Dann ist u0 − u1 eine Lösung der homogenen linearen Gleichung (einfaches Nachprüfen zeigt dies). Damit ist u0 − u1 ∈ U. Wir wollen uns noch kurz Gedanken machen, wie man eine spezielle Lösung u0 findet. n KAPITEL 2. STABILITÄT 54 R R Lemma 2.4.2.13 (Formel der Variation der Konstanten) Sei A ∈ L( n , n ), f : → n stetig. Sei u0 ∈ n . Dann ist eine spezielle Lösung der Gleichung u̇ = Au + f (t) gegeben durch Z t 0 At u (t) = e u0 + eA(t−s) f (s)ds. (2.10) R R R 0 Beweis. Differenzieren ergibt d 0 u (t) = AeAt u0 + [eA(t−s) f (s)]|s=t + dt Z t 0 d A(t−s) e f (s)ds, dt also d 0 u (t) = AeAt u0 + f (t) + A dt Z t eA(t−s) f (s)ds = Au + f (t). 0 2.4.3 Ebene lineare Systeme In diesem Abschnitt wollen wir ebene, lineare und autonome Systeme charakterisieren. Wir betrachten also eine Gleichung der Form u̇ = Au, R R (2.11) wobei A ∈ L( 2 , 2 ) eine lineare Abbildung ist. Seien λ1 , λ2 die Eigenwerte von A. Wir unterscheiden: 1. λ1 > λ2 > 0; 2. λ1 = λ2 > 0; 3. λ1 = λ2 , Reλ1 > 0; 4. λ1 > λ2 = 0; 5. λ1 = λ2 = 0; 6. Reλ1 = Reλ2 = 0, λi 6= 0; 7. λ1 > 0 > λ2 ; 2.4. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN UND STABILITÄT 55 5 4 3 2 1 0 −1 −2 −3 −4 −5 −5 −4 −3 −2 −1 0 1 2 3 4 5 Abbildung 2.1: Die Trajektorien von E(J, t). 8. λ1 = λ2 < 0; 9. λ1 < λ2 < 0; 10. λ1 = λ2 , Reλ1 < 0; 11. λ1 < λ2 = 0. 1. Fall: Dabei hat die Jordan Normalform die Gestalt λ1 0 J= 0 λ2 (2.12) Seien e1 , e2 die Eigenvektoren zu λ1,2 . Dann konvergieren alle Lösungen für t → −∞ gegen Null, für t → ∞ verlassen alle Lösungen (außer einer!) jedes Kompaktum. Sie schmiegen sich (für t → −∞) an die e2 -Achse an. 2. Fall: Wir unterscheiden zwei mögliche Formen des Jordan Blocks (Eigenwerte sind geometrisch einfach oder nicht). Zunächst der Fall der geometrisch einfachen Eigenwerte. Hier hat der entsprechende Jordanblock die Form λ1 0 . (2.13) J= 0 λ1 Alle Lösungen haben dieselben Konvergenzeigenschaften wie zuvor. Nur ist die Bewegung längs gerader Linien. Ist der Eigenwert nicht geometrisch einfach, so hat der Jordanblock die Gestalt λ1 1 J= . (2.14) 0 λ1 KAPITEL 2. STABILITÄT 56 5 4 3 2 1 0 −1 −2 −3 −4 −5 −5 −4 −3 −2 −1 0 1 2 3 4 5 Abbildung 2.2: Die Trajektorien von E(A, t) mit schiefliegenden Eigenräumen. 15 10 5 0 −5 −10 −15 −15 −10 −5 0 5 10 15 Abbildung 2.3: Die Trajektorien von E(J, t) mit halbeinfachen Eigenwerten. 2.4. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN UND STABILITÄT 57 15 10 5 0 −5 −10 −15 −15 −10 −5 0 5 10 15 Abbildung 2.4: Die Trajektorien von E(J, t) mit geometrisch einfachem, algebraisch doppelten Eigenwert. Auch hier hat man die Konvergenzeigenschaften wie im ersten Fall, jedoch schaut das Bild wiederum anders aus. 3. Fall: Wieder ergibt sich die gleiche Konvergenz, jedoch erhält man einen Strudel. Sei λ1 = |λ|eiθ . Dann ist λ2 = |λ|e−iθ und die reelle Normalform hat die Form cos θ − sin θ . (2.15) J = |λ| sin θ cos θ 4. Fall: Für die Jordan Form ergibt sich J= λ1 0 0 0 . (2.16) Längs der e2 -Achse hat man konstante Lösungen (Ruhelagen). Alle anderen Lösungen konvergieren für t → −∞ gegen 0 und verlassen in positiver Zeitrichtung jedes Kompaktum. 5. Fall: In diesem Fall hat die Jordan Form das Aussehen J= 0 0 0 0 (2.17) J= 0 1 0 0 (2.18) oder . KAPITEL 2. STABILITÄT 58 Der erste dieser beiden Fälle liefert ausschließlich konstante Lösungen. Im zweiten hat man eine Bewegung auf Parallelen zur e1 -Achse gegen unendlich. 6. Fall: Unsere Abbildung erhält die Gestalt J= cos θ − sin θ sin θ cos θ . (2.19) Wir erhalten Lösungen, die sich auf Kreislinien um den Ursprung bewegen. 7. Fall: Ein qualitativ neues Bild ergibt sich hier. Auf der einen Achse bewegt man sich für t → ∞ gegen unendlich und für t → −∞ gegen Null, auf der anderen Achse hat man das gegenteilige Verhalten. Dazwischen sind Lösungen, die für beide Zeitrichtungen jedes Kompaktum verlassen und sich für t → ±∞ an die jeweilige Eigenwertachse anschmiegen. (Dies ist die Motivation für den Begriff hyperbolisch, den wir noch einführen werden.) In den anderen Fällen ergeben sich ganz ähnliche Bilder wie bisher, nur die Zeitrichtungen sind anders. Wir geben nur die Normalformen und die Bilder, keine weiteren Kommentare. λ1 0 J= (2.20) 0 λ2 8. Fall: J= λ1 0 0 λ1 (2.21) J= λ1 1 0 λ1 (2.22) J= λ1 0 0 λ2 (2.23) oder 9. Fall: 10. Fall: J= cos θ − sin θ sin θ cos θ (2.24) 2.5. NEWTONS METHODE ALS DYNAMISCHES SYSTEM 11. Fall: J= λ1 0 0 0 59 (2.25) 2.5 Newtons Methode als dynamisches System Numerische methoden zur Lösung eines (nichtlinearen) Gleichungssystems f (z) = 0. Iterationsvorschrift x1 = x0 − Df (x0 )−1 f (x0 ). Fixpunkte diser Gleichung lösen x0 = x0 − Df (x0 )−1 f (x0 ) und damit f (x0 ) = 0. Ein Fixpunkt einer Iteration F heißt superattraktiv, falls DF (x0 ) = 0. Als Abbildung F erhalten wir F (x) = x − Df (x)−1 f (x). Nun ergibt sich DF (x0 ) = 1l − (Df (x0 )−1 )2 (Df (x0 )2 − D 2 f (x0 )f (x0 )) = 0. Also ist der Fixpunkt super-attraktiv und die Konvergenz gegen den Fixpunkt ist quadratisch. Allerdings ist das globale Verhalten sehr viel komplizierter: sucht man nach den komplexen Nullstellen von einfachen Gleichungen wie z 3 = 1, so sieht man, dass die Einzugsgebiete der einzelnen Lösungen, d.h. die Gebiete ω(z) = zi auf komplizierte Weise ineinander verwoben sind. 60 KAPITEL 2. STABILITÄT Kapitel 3 Klassifikation dynamischer Systeme 3.1 Konjugation und Orbit-Äquivalenz Im Folgenden wollen wir die Analyse von dynamischen Systemen erleichtern, indem wir gleich ganze Klassen von ,,gleichen”, ,,äquivalenten” usw. Systemen untersuchen. Doch was sind geeignete Konzepte von ,,Gleichheit”, ,,Äquivalenz” usw.? Für Abbildungen hat sich folgendes Konzept als brauchbar herausgestellt: Definition 3.1.0.1 Zwei C k -Diffeomorphismen f : X → X, g : Y → Y , 1 ≤ k ≤ ∞, heißen topologisch konjugiert (oder C 0 -konjugiert), wenn es einen Homöomorphismus h : X → Y gibt mit f = h−1 ◦ g ◦ h. Allgemeiner heißen zwei C k -Diffeomorphismen f : X → X, g : Y → Y , 1 ≤ k ≤ ∞, C j -konjugiert mit 1 ≤ j ≤ ∞, wenn es einen C j -Diffeomorphismus h : X → Y gibt mit f = h−1 ◦ g ◦ h. R R → , f (x) = 2x, g(x) = 8x, sind Beispiel 3.1.0.2 Die Abbildungen f, g : 3 topologisch konjugiert mittels h(x) = x , was ein Homöomorphismus ist. h ist kein Diffeomorphismus, und es gibt auch keinen solchen, wie wir in Kürze sehen. Wenn f, g C j -konjugiert sind, so muss h nicht eindeutig bestimmt sein. 61 KAPITEL 3. KLASSIFIKATION DYNAMISCHER SYSTEME 62 Beispiel 3.1.0.3 Wenn f = g : X → X, dann ist jeder Homöomorphismus h : X → X eine Konjugation. Diese Definition von Konjugation ist zwar leicht auf Flüsse zu übertragen, aber es wird sich gleich herausstellen, dass da ein anderes Konzept brauchbarer ist. Zunächst die analoge Definition: Definition 3.1.0.4 Zwei C k -Flüsse ϕ, ψ auf X, Y mit 1 ≤ k ≤ ∞ heißen topologisch konjugiert (C 0 -konjugiert), wenn es einen Homöomorphismus h : X → Y gibt, so dass für alle t ∈ gilt: R ϕt = h−1 ◦ ψt ◦ h. Allgemeiner heißen zwei C k -Diffeomorphismen f : X → X, g : Y → Y , k ≥ 1, C j -konjugiert mit 0 ≤ j ≤ ∞, wenn es einen C j -Diffeomorphismus h : X → Y gibt mit ϕt = h−1 ◦ ψt ◦ h. Hier taucht nun folgendes Problem auf: Sei beispielsweise ϕ der Fluss zu dem System ṙ = r, θ̇ = 1 (in Polarkoordinaten) und ψ der Fluss zu ṙ = 2r, θ̇ = 2. Diese beiden Systeme haben dasselbe Phasenportrait, d.h. für jeden Punkt x ∈ 2 durchläuft der Orbit von ϕ genau dieselben Punkte wie der Orbit von ψ durch x. Der einzige Unterschied ist, dass die Geschwindigkeit verschieden ist. Wir brauchen daher ein Konzept von Äquivalenz, das nicht so sensibel bezüglich des Zeitparameters ist. Folgendes ist brauchbar: R Definition 3.1.0.5 Die C k -Flüsse ϕ, ψ auf X, Y mit 1 ≤ k ≤ ∞ heißen Orbitäquivalent (C 0 -Orbit-äquivalent), wenn es Homöomorphismen h : X → Y und σ : → gibt, so dass σ orientierungserhaltend (d.h. monoton wachsend) ist und für alle t ∈ gilt: R R R ϕt = h−1 ◦ ψσ(t) ◦ h. Es gibt auch die Definition von C j -Orbit-Äquivalenz mit 0 ≤ j ≤ ∞; dabei wird gefordert, dass in der obigen Definition h ein C j -Diffeomorphismus ist. Allerdings wird für σ nach wie vor nur Homöomorphie gefordert. 3.1. KONJUGATION UND ORBIT-ÄQUIVALENZ 63 Wenn also zwei Flüsse Orbit-äquivalent sind, dann können die Orbits zusammengestaucht werden. Unmittelbare Folgerungen der Definition sind: Lemma 3.1.0.6 • Wenn f zu g C j -konjugiert ist (0 ≤ j ≤ ∞) und f einen Fixpunkt hat, dann auch g. • Wenn f zu g C j -konjugiert ist (0 ≤ j ≤ ∞), gibt es für jedes periodisches Orbit von f ein periodisches Orbit von g, und zwar mit derselben Periode. • Eine Identitätsabbildung 1lX ist zu keiner anderen Abbildung außer anderen Identitätsabbildungen 1lY konjugiert. Beweis. Alle Punkte sind direkt einsehbar. Fast alles in diesem Lemma gilt auch für Konjugation von Flüssen und für Orbit-Äquivalenz von Flüssen; allerdings kann sich die Periode eines periodischen Orbits bei Orbit-Äquivalenz ändern: Lemma 3.1.0.7 • Wenn ϕ zu ψ C j -konjugiert ist (0 ≤ j ≤ ∞), gibt es für jeden periodischen Orbit von ϕ einen periodischen Orbit von ψ, und zwar mit derselben Periode. • Wenn ϕ zu ψ Orbit-äquivalent ist, gibt es für jeden periodischen Orbit von ϕ einen periodischen Orbit von ψ, aber nicht notwendigerweise mit derselben Periode. Beweis. Auch dieses Lemma ist direkt einsehbar. In fast allen Fällen kann man nur C 0 -Konjugation erwarten, auch bei glatten Abbildungen oder Flüssen. Eine Ausnahme macht folgender Satz: Satz 3.1.0.8 ( flow-box“) Wenn ϕ ein C 1 -Fluss auf einer n-dimensionalen Man” nigfaltigkeit ist und das zugehörige Vektorfeld f (x) = d |t=0 ϕ(x) dt 64 KAPITEL 3. KLASSIFIKATION DYNAMISCHER SYSTEME an der Stelle x0 nicht verschwindet, dann gibt es eine offene Umgebung U von x0 , so dass ϕ|U (die Einschränkung von ϕ auf U) C 1 -konjugiert ist zum konstanten Fluss auf einer offenen Teilmenge des n , definiert durch R ψt (y) = y + te1 (mit e1 = der erste Einheitsvektor in R ). n Beweis. Folgt aus einer Konstruktion mittels eines (lokalen) Schnittes. Einen vollständigen Beweis findet man in jedem Lehrbuch über Gewöhnliche Differentialgleichungen. 3.2 Hufeisen und Büroklammer Im Folgenden wollen wir ein Beispiel für eine chaotische“ Abbildung ” betrachten, ein sogenanntes Hufeisen. Das erste Beispiel eines solchen stammt von Smale; hier studieren wir eine abgewandelte Version, die angenehmer ist. Definition 3.2.0.9 Die die G-förmige Hufeisen-Büroklammer ist auf U = [0, 1] × [0, 1] definiert durch y für x ≤ 1/3 3x, 3 2 y+2 G:U → , G(x, y) = 3x − 2, 3 für x ≥ 2/3 glatt fortgesetzt für x ∈ [1/3, 2/3] R Diese Abbildung ist noch keine Abbildung eines Raums auf sich selbst. Um eine geeignete Menge als Definitionsbereich zu finden, betrachten wir: Definition 3.2.0.10 Sei f : X → X eine Abbildung. Eine Menge A ⊂ X heißt positiv invariant unter f, wenn f (A) ⊂ A. Für eine invertierbare Abbildung f heißt A negativ invariant, wenn f −1 (A) ⊂ A. Wenn A positiv und negativ invariant ist, heißt A bi-invariant oder einfach invariant. Eine Abbildung H : X → Y heißt invariant unter f , wenn H ◦ f = H. Vorsicht: Manche Bücher benutzen das Wort invariant“ als Synonym für ” ,,positiv invariant” und nicht für bi-invariant“. ” 3.2. HUFEISEN UND BÜROKLAMMER 65 R Nun suchen wir eine möglichst große Menge im 2 , die unter G invariant ist. Beachte: Für eine allgemeine Abbildung von U ⊂ R2 nach R2 gibt es zwar nicht unbedingt eine maximale invariante Menge. Hierfür bietet sich die Menge \ Λ= Gi (U) Z i∈ an. Sie ist per Definition invariant, und sie ist Teilmenge von U, da U = G0 (U). Definition 3.2.0.11 Die Standard-Cantormenge ist definiert als (∞ ) X C= an 3−n : (an )n∈N0 erfüllt an ∈ {0, 2} ∀n ∈ 0 . N n=0 Lemma 3.2.0.12 Es gilt: a) C ist überabzählbar. b) C ist homöomorph zum Cantor-Staub C × C. (Zwei Mengen heißen homöomorph, wenn es eine stetige Bijektion zwischen ihnen mit stetiger Umkehrabbildung gibt.) Beweis. a) Es gibt überabzählbar viele unendliche Folgen in {0, 2}. Wenn (an )n∈N 6= (bn )n∈N , dann ist X N n∈ an 3−n 6= X N bn 3−n , n∈ denn wenn k die erste Stelle ist, an der sich a und b unterscheiden, dann ist X X X 2 · 3−n > 0. an 3−n − bn 3−n | ≥ 3−k − | N N n∈ n∈ n>k b) f( X N an 3−n ) = ( n∈ ist bijektiv, da f −1 (( X N a2n 3−n , n∈ X N n∈ an 3−n , X N n∈ X N a2n+1 3−n ) n∈ bn 3−n ) = X N n∈ cn 3−n 66 mit KAPITEL 3. KLASSIFIKATION DYNAMISCHER SYSTEME ( an/2 für n gerade cn = b(n−1)/2 für n ungerade. f istPstetig: Für ε > 0 sei k so groß, dassP 3−k < 2ε und wähle < P 0 < δ −n −n −n 3 − n>2k 2 · 3 > 0. Dann gilt für x = n∈N an 3 , y = n∈N bn 3 mit |x − y| < δ, dass die ersten 2k Stellen von x und y übereinstimmen. Somit ist X X |f (x) − f (y)| ≤ | (a2n − b2n )3−2n | + | (a2n+1 − b2n+1 )3−(2n+1) | −2k N N n∈ n∈ X X = | (a2n − b2n )3−2n | + | (a2n+1 − b2n+1 )3−(2n+1) | < ε. n>k n>k −k f −1Pist stetig: Für ε > 0 sei k so groß, dass ε und 0<δ< P wähle −n P 3 < −n −n 3P − n>k 2 ·P 3 > 0. Dann gilt für x = ( n∈N an 3 , n∈N bn 3 ), y = ( n∈N a′n 3−n , n∈N b′n 3−n ) mit |x − y| < δ in der Summennorm, dass die ersten k Stellen von x und y in beiden Koordinaten übereinstimmen. Somit ist X X |f −1 (x) − f −1 (y)| ≤ |cn − c′n |3−n < |cn − c′n |3−n < ε. −k N n∈ mit n>k ( an/2 für n gerade cn = b(n−1)/2 für n ungerade, ( a′ für n gerade c′n = ′n/2 b(n−1)/2 für n ungerade. T Lemma 3.2.0.13 Die Menge Λ = i∈Z Gi (U) ist der Standard-Cantor-Staub C × C, wobei C die Standard-Cantormenge ist. Beweis. U ∩ G(U) ist das Einheitsquadrat mit dem horizontalen Drittel“” 1 Rechteck entfernt, also die zwei horizontalen Rechtecke [0, 1] × 0, 3 und 2 [0, 1] × 3 , 1 . Da G aus zwei linearen Abbildungen besteht, wird bei der 3.2. HUFEISEN UND BÜROKLAMMER 67 nächsten Anwendung von G aus jedem dieser Rechtecke wieder ein horizontales Drittel entfernt usw. Somit ist \ Gi (U) = [0, 1] × C. N i∈ −1 Für die Umkehrabbildung G−1 gilt, 2 dass U ∩G (U) aus den zwei verti 1 kalen Rechtecken 0, 3 × [0, 1] und 3 , 1 × [0, 1] besteht. Bei jeder weiteren Anwendung von G wird aus jedem Rechteck wieder ein vertikales Drittel entfernt, und somit ist \ G−i (U) = C × [0, 1]. N0 i∈ Damit ist natürlich Λ= \ i∈Z Gi (U) = C × C. Diese Abbildung ist, wie wir sehen werden, ein Prototyp einer ,,chaotischen” Abbildung in folgendem Sinn: Definition 3.2.0.14 Eine Abbildung f : X → X, wobei X ein topologischer Raum ist, heißt topologisch transitiv, wenn es einen dichten Orbit gibt. Satz 3.2.0.15 Es sei X ein vollständiger metrischer Raum, der zusätzlich • separabel (d.h. er hat eine abzählbare dichte Teilmenge) sei und • keine isolierten Punkte besitze. Es sei f : X → X stetig, dann sind die vier folgenden Bedingungen äquivalent: 1. f ist topologisch transitiv. 2. f besitzt einen dichten Halborbit. 3. Für nichtleere offene Mengen U, V ⊂ X gibt es ein N ∈ V 6= ∅. 4. Für nichtleere offene Mengen U, V ⊂ X gibt es ein N ∈ V 6= ∅. Z mit f N (U) ∩ N mit f N (U) ∩ 68 KAPITEL 3. KLASSIFIKATION DYNAMISCHER SYSTEME Beweis. Die Implikationen (4) impliziert (3), bzw. (2) impliziert (1) sind klar. Wir beweisen nun (1) ⇒ (3). Sei {f n (x) : n ∈ } dicht und U, V offen und nichtleer. Dann existieren n, m ∈ mit f n (x) ∈ U, f m (x) ∈ V m−n unddann ist f (U) ∩ V 6= ∅. (Beachte, hier wird nur die Stetigkeit von f verwendet, die weiteren Voraussetzungen werden nicht verwendet.) (1) ⇒ (4). Wir müssen zeigen, dass wir den Beweis so führen können, dass m > n. Ist also V offen, der Orbit dicht und besitzt X keine isolierten Punkte, dann gibt es in V Punkte, die nicht im Orbit liegen. (Orbit ist abzählbar, eine abgeschlossene Umgebung eines jeden Punktes ist ein vollständiger metrischer Raum und als solcher nicht die Vereinigung nirgends dichter Mengen (Satz von Baire) und jeder Punkt ist nirgends dicht.) Sei y ∈ V und nicht im Orbit von f . Also gibt es eine Folge mk → ∞ mit k → ∞ mit f mk (x) → y. Diese Folgenglieder sind ab eines bestimmten Index alle in V und demzufolge, kann m > n gewählt werden. Nun beweisen wir (4) ⇒ (2) und (3) ⇒ (1). Sei also X separabel und eine der Bedingungen (3) oder (4) erfüllt. Sei S eine abzählbar dichte Teilmenge in X und es sei für j ∈ Uj eine Abzählung der abzählbar vielen metrischen Kugeln Bq (x) mit x ∈ Sund 0 < q ∈ Z Z N Q Q um Punkte x ∈ S mit Radien 0 < q ∈ . Wenn wir zeigen, dass es einen Orbit/Halborbit gibt, der jede dieser Mengen Uj trifft, so sind wir fertig. Wir beginnen mit einem N1 ∈ oder N1 ∈ , so dass f (U1 ) ∩ U2 6= ∅. Sei nun V1 eine metrische Kugel vom Radius kleiner 12 in U1 mit V1 ⊂ U1 ∩ f −N1 (U2 ). Wähle V2 eine metrische Kugel vom Radius höchstens 41 mit V 2 ⊂ V1 ∩ f −N2 (U3 ). Setze die Wahl induktiv fort: Vn+1 ist metrische Kugel 1 vom Radius höchstens 2n+1 mit V n+1 ⊂ Vn ∩ f −Nn+1 (Un+2 ). Nun bilden die T Mittelpunkte der Kugeln von {Vn }n∈N eine Cauchyfolge. Sei x ∈ n∈N Vn . Dann ist f Nn−1 (x) ∈ Un für alle Nn oder für alle n. Z N Aufgabe 3.2.0.16 Man ergänze den letzten Schritt im Falle einer Abbildung f , die nicht invertierbar ist. Definition 3.2.0.17 Eine Abbildung f : X → X, wobei X ein topologischer Raum ist, heißt topologisch mischend, wenn es für alle nichtleeren offenen Mengen U, V ⊂ X ein N ∈ gibt, so dass für alle n > N gilt: U ∩ f n (V ) ist nicht leer. N Diese beiden Begriffe sind eng miteinander verbunden. Wir haben den folgenden Satz. 3.3. SYMBOLISCHE DYNAMIK 69 Satz 3.2.0.18 Jede topologisch mischende Abbildung ist topologisch transitiv. Beweis. Folgt aus Satz 3.2.0.15. Definition 3.2.0.19 Eine Abbildung f : X → X heißt chaotisch, wenn die Menge der periodischen Punkte dicht ist und die Abbildung topologisch transitiv ist. Diese Definition von Chaotizität stammt von Devaney1 ; es gibt noch andere. Anstatt diese Eigenschaften für unsere Hufeisen-Büroklammer direkt zu zeigen, studieren wir zuerst ein gänzlich anders aussehendes System, sogenannte symbolische Dynamik. Dann werden wir sehen, dass diese augenscheinlich sehr verschiedenen Systeme vergleichbare Dynamik haben. 3.3 Symbolische Dynamik Zunächst definieren wir die Symbolräume: Definition 3.3.0.20 [Symbolraum] Die Menge Z Ω = {(ωi )i∈Z : ωi ∈ {0, 1} für alle i ∈ } heißt Menge der zweiseitigen Sequenzen (oder zweiseitiger Symbolraum) und ΩR = {(ωi)i∈N0 : ωi ∈ {0, 1} für alle i ∈ 0 } N heißt Menge der einseitigen Sequenzen (oder einseitiger Symbolraum). Darauf gibt es ein natürliches dynamisches System, welches alle Folgenglieder nach links schiebt: Definition 3.3.0.21 [Shift-Operator] Der Shift-Operator auf Ω (bzw. ΩR ) ist definiert durch σ(ω)i = ωi+1 . σ wird auch als topologischer Bernoulli-Shift bezeichnet. 1 statt einer historischen Bemerkung ein Link: http://math.bu.edu/people/bob/ 70 KAPITEL 3. KLASSIFIKATION DYNAMISCHER SYSTEME Auf der Menge der zweiseitige Sequenzen ist das eine Bijektion; auf der Menge der einseitigen Sequenzen dagegen nicht, denn dort wird der Wert von ω an der linkesten (0-ten) Koordinaten vergessen“ und mit ω1 über” schrieben. Die Symbolräume sind metrische Räume: Definition 3.3.0.22 [Metrik auf Symbolräumen] Auf Ω ist für jedes λ > 1 eine Metrik wie folgt definiert: X λ−|i| ∆(αi , ωi) dλ (α, ω) = Z i∈ mit ∆(a, b) = 0 für a = b und ∆(a, b) = 1 sonst, bzw. allgemeiner X dλ (α, ω) = λ−|i| |αi − ωi |. Z i∈ Natürlich kann man auch Symbolräume mit mehr als zwei Symbolen definieren. Dies findet man z.B. in [15]. Eine alternative Weise eine Topologie zu erklären ist, dass man Ω mit der Menge {0, 1}Z identifiziert. Versieht man nun die Menge {0, 1} mit der diskreten Topologie, so erhält man auf Ω die Produkttopologie, erinnert man sich noch daran, dass man {0, 1} auch mit einer Gruppenstruktur versehen kann, so wird Ω zu einer kompakten topologischen Gruppe. Wir betrachten eine weitere Konstruktion. Wähle ein k ∈ und zu dazu ganzzahlige Werte N n1 < n2 < · · · < nk und αk ∈ {0, 1}. Definition 3.3.0.23 Ein Zylinder in Ω ist eine Menge der Form o n n1 ,...,nk Cα1 ,...,αk = ω ∈ Ω ωni = αi für k = 1 . . . n . Die Zahl k heißt Rang des Zylinders. Eine dritte Art und Weise eine Topologie zu erklären besteht nun darin, dass wir jeden Zylinder als offene Menge betrachten und dies als Basis einer Topologie. Man beachte, dass die Punkte in einem Zylinder an endlich vielen Stellen einen vorgegebenen Wert haben, d.h. an endlich vielen Stellen sind die Werte vorgegeben. 3.3. SYMBOLISCHE DYNAMIK 71 Aufgabe 3.3.0.24 1. Man zeige Komplemente von Zylindern sind endliche Vereinigungen von Zylindern (also nach der dritten Definition auch offen). 2. Die drei Methoden eine Topologie zu erklären führen auf die gleiche Topologie, insbesondere erzeugen für λ1 6= λ2 die Metriken dλ1 , dλ2 die gleichen Topologien. Bemerkung 3.3.0.25 Die gleichen Konstruktionen kann man auch mit einseitigen Symbolräumen machen. Satz 3.3.0.26 Periodische Punkte für σ sind in Ω, bzw. in ΩR dicht. In beiden Räumen ist σ topologisch mischend. Beweis. Die periodischen Punkte für σ sind gerade die Fixpunkte einer geeigneten Potenz von σ. Ist σ r ω = ω, so gilt für alle Indizes ωn = ωn+r . Für die Dichtheit der periodischen Punkte reicht es daher, in jedem Zylinder die Existenz eines periodischen Punktes nachzuweisen. In jedem Zylinder C gibt es einen Zylinder der Form , Cαm = Cα−m,...,m −m ,...,αm wobei α für das 2m + 1-Tupel α = (α−m , . . . , αm ) steht. Aber in diesem Zylinder findet man den 2m + 2 periodischen Punkt ω, der sich durch Wiederholen der Folge α ergibt, also ωn = αk , −m ≤ k ≤ m und n − k = 0 mod 2m + 1. Man beachte, dass es 22m+1 solcher endlichen Folgen α gibt. Um die Eigenschaft des topologischen Mischens nachzuweisen, muss man die entsprechende Eigenschaft für Zylinder nachweisen. Gegeben seien also zwei ,...,nr ,...mk Zylinder Cαm11,...,α und Cβn11,...,β . Wähle zunächst r k ,...mk ω ∈ Cαm11,...,α k und betrachte n > max{mk + |nr | + |n1 |}. Setze für j = 1, . . . r ω(n + nj ) = βj . ,...,nr ,...mk dann ist ω ∈ Cαm11,...,α und σ n ω ∈ Cβn11,...,β . Dies war zu beweisen. r k 72 KAPITEL 3. KLASSIFIKATION DYNAMISCHER SYSTEME Lemma 3.3.0.27 Der Cantor-Staub C × C ist homöomorph zu Ω, die Abbildung G : C × C → C × C ist konjugiert zum Shift σ : Ω → Ω. Insbesondere ist G topologisch mischend, die periodischen Punkte liegen dicht und G ist chaotisch. Beweis. Wir betrachten die Abbildung h : Ω → Λ die Konjugation zwischen G und dem Shift auf Ω, definiert durch ω 7→ h(ω) = \ Z G−n (Vωn ), n∈ wobei V0 = 0, 31 × [0, 1] und V1 = 23 , 1 × [0, 1]. Zu zeigen ist: 1. h ist eine Bijektion 2. h und h−1 sind beide stetig und 3. h konjugiert σ und G. Wir betrachten die folgenden Bilder 3.3. SYMBOLISCHE DYNAMIK 73 74 KAPITEL 3. KLASSIFIKATION DYNAMISCHER SYSTEME 3.3. SYMBOLISCHE DYNAMIK 75 Wir sehen daran, dass endlich viele Schnitte von Mengen der Form G−n (Vωn ) gerade Schnitte von entsprechenden Rechtecken mit C × C sind. Diese bilden eine Basis für die Topologie auf C × C. Betrachten wir also ∩rj=1 G−nj (Vωnj ) so ist dies gerade das Bild des Zylinders r Cωnn11,...,n ,...ωnr . Durch Bilden des Schnitts über eine Folge von geschachtelten Rechtecken der Form −j ∩m j=−m G (Vωj ) erhält man genau einen Punkt on C × C, ebensoliefern die Schnitte der entsprechenden Zylinder Cω−m,...,m −m ,...,ωm genau einen Punkt in Ω. Diese werden aufeinander abgebildet und aufgrund der Konstruktion ist h Bijektion und in beiden Richtungen stetig. 76 KAPITEL 3. KLASSIFIKATION DYNAMISCHER SYSTEME Die Konjugationseigenschaft ist leicht zu sehen: ! \ \ G = G−n (Vωn ) G−n+1 (Vωn ) Z Z n∈ n∈ = \ Z G−n (Vωn−1 ) n∈ = h(σω). Lemma 3.3.0.28 Isometrien sind nicht topologisch mischend. Beweis. Ist f : X → X eine Isometrie, seien x, y, z verschiedene Punkte in X und 1 δ = min{d(x, y), d(y, z), d(x, z)}. 4 Seien U = Bδ (x), V1 = Bδ (y), V2 = Bδ (z). Sei W ⊂ X eine beliebige nichtleere Teilmenge und n o D(W ) = sup d(w1 , w2 ) w1,2 ∈ W der Durchmesser von W . Da f eine Isometrie ist, ist D(W ) = D(f (W )). Nun ist D(U) = 2δ und damit gilt D(f n (U)) = 2δ. Angenommen für ein n ∈ N gilt f n (U) ∩ V1 6= ∅, f n (U) ∩ V2 6= ∅. Seien ui ∈ U mit Dann ist f n (ui) ∈ Vi . 2δ > d(u1, u2 ) = d(f n (u1 ), f n (u2)) > d(y, z)−(d(y, f n(u1 ))−d(z, f n (u2 ))) > 4δ−δ−δ. Damit kann es kein N ∈ N geben, so dass für n > N und i = 1, 2 gilt f n (U) ∩ Vi 6= ∅. Dies ist gerade die Behauptung. 3.3. SYMBOLISCHE DYNAMIK 77 Definition 3.3.0.29 Es sei X ein metrischer Raum, f : X → X stetig. Die Abbildung f heißt expandierend, falls ein λ0 > 1 und ein ε > 0 existiert, so dass (x 6= y ∧ d(x, y) < ε) ⇒ d(f (x), f (y)) > λ0 d(x, y). Beispiel 3.3.0.30 Die Abbildungen Em : S 1 → S 1 : z 7→ z m sind für m > 1 expandierend. Lemma 3.3.0.31 Es sei X eine differenzierbare kompakte Mannigfaltigkeit mit Metrik d. Wir fordern von dieser Metrik, dass es zu jedem x ∈ X ein ε > 0 gibt, so dass für y ∈ Bε (x) gilt d(x, y) = inf γ∈C 1 (I,X) Zb a kγ̇(s)kds. Eine stetig differenzierbare Abbildung f : X → X ist expandierend, falls es ein λ > 1 gibt, so dass für alle x ∈ X und alle v ∈ Tx X gilt kDf (x)vk ≥ λkvk. (3.1) Beweis. Die Menge der ε-Kugeln, die im Lemma angegeben sind, bilden eine offene Überdeckung von X, aufgrund der Kompaktheit von X reichen endlich viele X zu überdecken, dann gibt es ein ε0 > 0 (Lebesguezahl), so dass zu jedem x ∈ X die Kugel Bε0 (x) in einer der überdeckenden Mengen liegt. Unter den Voraussetzungen an f ist die Linearisierung in jedem Punkt surjektiv, d.h. der Satz über implizite Funktionen garantiert, dass das Bild einer ε-Kugel um x eine δ(x)-Kugel um f (x) enthält. Sei δ0 = inf{δ(x), x ∈ X} > 0. Dann betrachten wir für x, y ∈ X mit d(f (x), f (y)) < δ0 C 1 Kurven, die in Bδ0 (f (x)) verlaufen f (x) und f (y) verbinden. Sei L(γ) die Länge von γ. Ferner sei γ̃ die eindeutige Kurve, die x mit y verbindet und γ = f ◦ γ̃. Dann ist Zb Zb Zb ˙ γk dt > µ k ˜(t) ˙ γ dt = µL(γ̃). L(γ) = kγ̇(t)k dt = kf ′ (γ(t)) ˜(t) a a a Dann ist d(f (x), f (y)) = inf L(γ) > µ inf L(γ̃) ≥ µd(x, y). γ γ 78 KAPITEL 3. KLASSIFIKATION DYNAMISCHER SYSTEME Korollar 3.3.0.32 Ist X = S 1 , so reicht anstatt 3.1 die schwächere Bedingung ∀x ∈ S 1 : |f ′ (x)| > 1 um sicherzustellen, dass f expandierend ist. Beweis. Statt des Argumentes mit der Bogenlänge kann im Eindimensionalen mit dem Mittelwertsatz gearbeitet werden, der eine Gleichheit d(f (x), f (y)) = f ′ (ξ)d(x, y) mit ξ ∈ (x, y) garantiert. Übergang zum Minimum ergibt die behauptete Ungleichung. Lemma 3.3.0.33 Expandierende Abbildungen auf S 1 sind topologisch mischend. R → S 1 : x 7→ [x], die jedem Punkt Beweis. Betrachte die Projektion π : die Äquivalenzklasse in / zuordnet. Ein Lift von f : S 1 → S 1 ist eine Abbildung F : → , so dass R R RZ f ◦π =π◦F ist. Ein Lift ist eindeutig bist auf eine additive ganzzahlige Konstante (Beweis der Existenz in den Übungen.) Wir betrachten nun eine offene Menge U in S 1 . π −1 (U) enthält ein Intervall I positiver Länge. Dann gibt es ein F n (I) ein Intervall ist, dessen Länge größer als 1 ist. Dann ist π(F n (I)) = S 1 und π(F n (U)) ⊃ π(F n (I)) = S 1 = f n (π(I)). Insbesondere schneidet f n (U) jede offene Menge V nichtleer. Kapitel 4 Fraktale und Dimension 4.1 Selbstähnlichkeit Was sind Fraktale? Das Wort fraktal“ kommt von zerbrochen“ und steht ” ” für die nicht-ganzzahlige Dimension. Wir betrachten also Objekte deren Dimension keine ganze Zahl ist. Einige solche Objekte sind seit einigen Jahren gut bekannt. Oft werden diese als selbstähnlich bezeichnet. Um diesem Begriff näher zu kommen betrachten wir wieder die Cantormenge C und eine Abbildung x f : C → C : x 7→ . 3 Dieses Abbildung bildet die Cantormenge auf den Schnitt der Cantormenge mit dem Intervall [0, 13 ] ab, genauso kann man die Abbildung x 7→ (x+2) 3 betrachten, die C auf den rechten Teil von C abbildet. Jeder Schnitt der Cantormenge mit einem Intervall der Länge 3−n , das bei der Konstruktion von C auftritt, ist Bild der Cantormenge unter einer (affin linearen) Kontraktion. Das heißt jeder solcher Teil ist der Menge C ähnlich, dies motiviert uns C, als selbstähnlich zu bezeichnen. Für die formale Definition des Begriffes benötigen wir den nachfolgenden Satz, der eine Verallgemeinerung des Banachschen Fixpunktsatzes ist und auf Hutchinson zurückgeht. Satz 4.1.0.34 Es sei X ein vollständiger metrischer Raum, Ti : X → X sei für i = 1, . . . , m jeweils eine Kontraktion. Dann gibt es genau eine kompakte Menge K ⊂ X mit n [ K= Ti (K). (4.1) i=1 79 80 KAPITEL 4. FRAKTALE UND DIMENSION Für den Beweis benötigen wir einige Hilfsmittel, die wir in Form mehrerer Lemmata formulieren. Definition 4.1.0.35 Eine Teilmenge K eines metrischen Raumes X heißt total beschränkt, falls es zu jedem ε > 0 eine endliche Teilmenge N ⊂ K gibt mit [ K⊂ Bε (x). x∈N Lemma 4.1.0.36 In einem metrischen Raum X sind für eine Teilmenge K ⊂ X die folgenden Aussagen äquivalent: 1. K ist (überdeckungs) kompakt. 2. K ist folgenkompakt, d.h. jede Folge in K enthält eine konvergente Teilfolge. 3. K ist total beschränkt und vollständig. Beweis. (1) impliziert (2): Sei K kompakt, {xn }n∈N eine Folge in K, die keine konvergente Teilfolge besitze. Dann gibt es auch keinen Häufungspunkt der Folge, d.h. für jedes x ∈ K gilt, dass es ein ε(x) > 0 gibt mit Bε(x) (x) enthält nur endlich viele Folgenglieder. Nun bildet die Menge {Bε(x) (x)}x∈K eine endliche Überdeckung, also gibt es eine endliche Teilüberdeckung m [ K⊂ Bε(xi ) (xi ). i=1 Jede dieser endlich vielen Kugeln enthält nur endlich viele Folgenglieder, also ist die Folge endlich. (2) impliziert (3): Wir wollen nun zeigen, dass zu jedem ε > 0 endlich viele Elemente xi ∈ K, i = 1, . . . , m existieren mit K⊂ m [ Bε (xi ). i=1 Angenommen, dies ist nicht der Fall. Dann gibt es ein ε > 0, so dass für je endlich viele Punkte xi ∈ K, i = 1, . . . , m immer gilt K 6= m [ i=1 Bε (xi ). 4.1. SELBSTÄHNLICHKEIT 81 Sei ein solches ε > 0 gegeben. Dann ist zu beliebig gewählten x1 ∈ K die Menge Bε (x1 ) 6= K, also gibt es ein K ∋ x2 ∈ / Bε (x1 ). Angenommen x1 , . . . , xk seien konstruiert mit K ∋ xj+1 ∈ / j [ i=1 Bε (xi ), j = 1, . . . , k − 1. Dann ist aufgrund der Voraussetzung K 6= k [ Bε (xi ) i=1 und wir finden ein K ∋ xk+1 ∈ / k [ Bε (xi ). i=1 Damit konstruieren wir induktiv eine Folge {xk }k∈N , so dass jedes Folgenglied zu allen vorherigen einen Abstand mindestens ε hat. Also hat diese Folge keine konvergente Teilfolge, im Widerspruch zur Annahme. Damit ist diese Implikation gezeigt. (3) impliziert (1): Wir nehmen an, K sei total beschränkt, aber nicht kompakt. Dann gibt es eine Überdeckung U, so dass [ K⊂ U, U ∈U aber je endlich viele dieser Mengen U überdecken K nicht. Wir nehmen an, dass X total beschränkt sei, also gibt es zu ε1 = 1 eine endliche Teilmenge x11 , . . . , x1r1 mit r1 [ K⊂ B1 (x). i=1 Nun überdeckt U jede der Mengen B1 (xi ), i = 1, . . . r mindestens eine dieser Mengen besitzt keine endliche Teilüberdeckung, dies sei oBdA B1 (x1 ). Setze ε2 = 21 . Dann gibt es x21 , . . . , x2r2 ∈ K mit K⊂ r2 [ i=1 Bε2 (x2i ). 82 KAPITEL 4. FRAKTALE UND DIMENSION Insbesondere ist B1 (x1 ) ⊂ r2 [ (B1 (x1 ) ∩ Bε2 (x2i )). i=1 Eine dieser endlich vielen Mengen ist nicht endlich überdeckbar, oBdA ist dies (B1 (x1 ) ∩ Bε2 (x21 )). Wähle ε3 = 41 und wiederhole den Vorgang. Induktiv sei εn = 21−n für n ≥ 1 definiert und Mengen B1 (x11 ) ∩ · · · ∩ Bεn (xn1 ) gefunden, die nicht endlich überdeckbar sind (bzgl. U). Betrachte die Folge {xn1 }n∈N . Diese ist eine Cauchyfolge in K. Der Grenzwert (der aufgrund der Vollständigkeitsannahme für K) in K existiert, sei x0 . Dann gibt es ein U ∈ U mit x0 ∈ U. Da U offen ist, gibt es ein δ > 0 mit Bδ (x0 ) ⊂ U. Insbesondere gibt es n0 ∈ N mit n > n0 impliziert xn ∈ B δ (x0 ). Sei n1 > n0 , so dass 2 δ εn < . 2 Dann ist für n > n1 Bεn (xn ) ⊂ B δ (xn ) ⊂ Bδ (x0 ) ⊂ U. 2 Dies ist ein Widerspruch, dies beweist die Behauptung. Beweis von Satz 4.1.0.34. Wir betrachten die Halbgruppe von Abbildungen G, die von den Kontraktionen T1 , . . . , Tm erzeugt wird. Wir wollen im ersten Schritt zeigen, dass ein Orbit eines Punktes x ∈ X unter dieser Halbgruppe, d.h. eine Menge der Form n o gx g ∈ G total beschränkt ist. Dazu zeigen wir, dass ein solcher Orbit in einer metrischen Kugel enthalten ist. Dazu sei x ∈ X gegeben. Sei o n r = max d(x, Tj x) j = 1, . . . , m 4.1. SELBSTÄHNLICHKEIT und 83 n o λ = max λj j = 1, . . . , m . Es gilt λ < 1. Jedes g ∈ G ist von der Form g = Tig (j) ◦ Tig (j−1) ◦ · · · ◦ Tig (1) , ig (j) ∈ {1, . . . , m}. Dann ist mit der Bezeichnung j Y s=k Tig (s) x = Tig (j) ◦ · · · ◦ Tig (k) x d(gx, x) ≤ j−1 X d( X j Y Tig (s) x) s=k+1 λj−k−1d(Tig (k) x, x) k=1 j−2 ≤ r ≤ Tig (s) x, s=k k=1 j−1 ≤ j Y X λk k=1 r . 1−λ Wir ordnen nun Worten w in m Zeichen α1 , . . . , αm Operatoren Tw zu, indem wir zunächst Worten aus einem Zeichen αi den Operator Ti zuordnen und bei Worten w der Länge |w| = j, w = (w1 , . . . , wn ) Tw = Tw1 ◦ · · · ◦ Twj schreiben. Sei nun ε > 0 gegeben. Wir definieren j0 durch die Relation λj 0 r < ε. 1−λ Dann ist für x, y ∈ X mit d(x, y) < r 1−λ und für jedes Wort w der Länge j0 , d(Tw x, Tw y) < ε. Wir betrachten nun alle Worte Wj0 = {w | |w| ≤ j0 } der Länge höchstens j0 . Setze o n N = Tw x w ∈ Wj0 . KAPITEL 4. FRAKTALE UND DIMENSION 84 Dann gilt für jedes Wort in m Zeichen, dass w = w 1 +w 2 , w 1 ∈ Wj0 , + steht hier für das Aneinanderhängen von Worten wobei |w 1| ≤ j0 und |w 2 | = 0 falls |w 1| < j0 . Dann ist T w = Tw1 ◦ Tw2 mit |w 1| ≤ j0 und Tw2 = 1l, falls |w 1 | < j0 . Ist nun |w| < j0 , so ist Tw x ∈ N und insbesondere in [ Bε (ξ). ξ∈N Ist |w 1| = j0 , so ist d(Tw2 x, x) ≤ und r 1−λ d(Tw x, Tw1 x) = d(Tw1 ◦ Tw2 x, Tw1 x) ≤ λj0 d(Tw2 x, x) ≤ λj0 Insbesondere ist Tw x ∈ [ r = ε. 1−λ Bε (ξ). ξ∈N Also ist Gx total beschränkt. Dann ist Gx kompakt und invariant unter allen Tj , j = 1, . . . , m. Also ist die Menge der kompakten invarianten Mengen nicht leer. Ist nun K eine durch Inklusion vollständig geordnete Kette solcher kompakten invarianten Teilmengen, so besitzt dies ein minimales Element (den Durchschnitt, der nichtleer kompakt und invariant ist. Damit sind die Voraussetzungen des Zornschen Lemmas erfüllt und es gibt eine untere Schranke, d.h. eine kompakte nichtleere und invariante Menge, die minimal bezüglich Inklusion und der Eigenschaften kompakt und invariant zu sein, ist. Sei K diese Menge. Dann ist offensichtlich Ti (K) ⊂ K und demzufolge m [ Ti (K) ⊂ K. i=1 Setze nun ′ K = m [ i=1 Ti (K). 4.1. SELBSTÄHNLICHKEIT 85 Dann ist K ′ kompakt und Ti (K ′ ) ⊂ Ti (K) ⊂ K ′ . Also ist K ′ invariant und wegen der Minimalität von K gilt K ′ = K, also genügt K der Gleichung (4.1) Die Eindeutigkeit sieht man leicht. Ist K kompakt und invariant und Ti x0 = x0 , so ist für x ∈ K die Folge {Tij x}j∈N konvergent und aufgrund der Invarianz von K ist jedes Folgenglied in K. K ist kompakt, also ist K ∋ lim Tij x = x0 . j→∞ Insbesondere besitzen je zwei nichtleere invariante und kompakte Mengen nichtleeren Durchschnitt. Dann nehmen wir an K, K ′ sind kompakt, invariant, erfüllen die Gleichung (4.1) und K ist minimales Elemente bezüglich der Halbordnung durch Inklusion. Dann ist K ∩ K ′ 6= ∅, kompakt, invariant und genügt der Gleichung (4.1). Ist nun K ′ 6= K so erhalten wir aus K ∩ K ′ ⊂ K und der Minimalität von K, dass K ∩ K ′ = K und damit folgt die Eindeutigkeit. R Definition 4.1.0.37 Eine kompakte Menge K ∈ n heißt selbstähnlich, wenn es eine endliche Anzahl von Kontraktionen Ti , i = 1, . . . , m gibt mit K= m [ Ti (K), i=1 und zusätzlich gilt, dass das Maß von Ti (K) ∩ Tj (K) für i 6= j gleich Null ist. Bemerkung 4.1.0.38 Ersetzt man in der letzten Bedingung das Maß durch andere Konstruktionen, so kann man allgemeinere Begriffe von Selbstähnlichkeit erhalten. Beispiel 4.1.0.39 Mit X = [0, 1] und Tx = 13 x, T2 x = 31 x + gesehen, die Cantormenge C als selbstähnliche Menge. Weitere Beispiele sind folgende selbstähnliche Objekte: 2 3 erhält man, wie KAPITEL 4. FRAKTALE UND DIMENSION 86 • Der Cantor-Staub, • das Sierpinski-Dreieck, • der Sierpinski-Teppich, • der Menger-Schwamm, • die von Koch-Kurve. Dabei werden diese Objekte durch folgende Konstruktionen erhalten (C und C × C kennen wir ja bereits): 1. Sierpinski-Dreieck: wir betrachten ein gleichseitiges Dreieck D00 und verbinden die Kantenmittelpunkte wieder zu einem Dreieck U0 und betrachten D1 = D0 \ U0 . D1 besteht aus drei gleichseitigen Dreiecken D1j , j = 1, 2, 3. Nun wiederholen wir den Schritt, den wir auf D0 angewendet haben für jedes der Dreiecke D1j und damit neun Dreiecke D2j , j = 1, . . . 9. Durch Iteration erhalten wir eine selbstähnliche Menge im 2 . R 2. Sierpinski-Teppich: Wir betrachten ein Quadrat Q0 und teilen die kanten jeweils in drei gleiche Teile. Dadurch zerlegen wir das Quadrat in 9 Quadrate, das mittlere bezeichnen wir mit U0 . Sei Q1 = Q0 \ U0 . Damit bleiben 8 Quadrate Qj1 , j = 1, . . . , 8 übrig, auf jedes dieser Quadrate wenden wir wieder den ersten Schritt an und erhalten [ j Q2 = Q2 , j = 1, . . . 64. Wie zuvor ist offensichtlich, dass wir ein selbstähnliches Gebilde erhalten. 3. Der Menger Schwamm ergibt sich als dreidimensionales Analogon des Sierpinski-Teppichs: wir betrachten den Kubus [0, 1]3 in jeder Koordinatenebene konstruieren wir den Sierpinski-Teppich im Quadrat [0, 1]2. Für jede zu entnehmende Menge U betrachten wir U × [0, 1] 4.2. SELBSTÄHNLICHKEITSDIMENSION 87 bzw. [0, 1] × U und die dritte (weniger bequem zu formulierende Menge. Wir entnehmen aus [0, 1]3 all diese mengen, das verbleibende Objekt nennen wir Menger-Schwamm, wiederum durch die Konstruktion erhalten wir sofort die selbstähnlichkeit. 4. In diesem Fall beginnen wir wieder mit einem Intervall [0, 1] × {0} ⊂ 2 und ersetzen nun das mittlere Drittel der Strecke durch ein nach oben gerichtetes gleichseitiges Dreieck (ohne Bodenlinie). Durch Iteration erhalten wir die von-Koch Kurve. R 5. Die von-Kochsche Schneeflocke wird durch den eben beschriebenen Prozess mit einem gleichseitigen Dreieck am Anfang definiert Für diese Mengen wollen wir einen Begriff der Dimension definieren. Bisher hat sich kein eindeutigen Dimensionsbegriff für solche Konstruktionen durchgesetzt. Es gibt unter Anderem folgende Definitionen von fraktaler Dimension, die leider nicht äquivalent sind: 1. Selbstähnlichkeitsdimension, 2. Hausdorff-Dimension, 3. Box-Dimension. Gemeinsame Eigenschaft all dieser Dimensionsbegriffe ist: Der n-dimensionale Einheitswürfel hat Dimension n. Allgemeiner soll gelten: Wenn wir die Menge A in jeder Koordinatenrichtung in 10 Scheiben schneiden und dann 10d Stücke herauskommen, soll die Dimension gleich d sein. Ebenso mit der Zahl 10 ersetzt durch eine beliebige Zahl. Für selbstähnliche Mengen, also solche, die aus verkleinerten Kopien von sich selbst zusammengesetzt sind, bietet sich die Definition aus dem nachfolgenden Abschnitt an. 4.2 Selbstähnlichkeitsdimension R Definition 4.2.0.40 Wenn eine Menge A ⊂ n aus k Kopien von Bildern von sich selbst zusammengesetzt ist, die alle mit dem Faktor s ∈ (0, 1) skaliert sind, so ist die Selbstähnlichkeitsdimension von A gleich dim(A) = − S log k . log s 88 KAPITEL 4. FRAKTALE UND DIMENSION Das ist dadurch motiviert, dass wir erwarten, dass die Dimension d die Gleichung d 1 =k s erfüllt. Auflösen nach d ergibt gerade die Formel in der Definition. Beispiel 4.2.0.41 1. Die Standard-Cantormenge C besteht aus k = 2 Kopien, die mit s = 1/3 skaliert sind. Somit ist dim(C) = S log 2 . log 3 2. Das Sierpinski-Dreieck D besteht aus k = 3 Kopien, skaliert mit s = 1/2. Somit ist log 3 . dim(D) = S log 2 3. Für den Sierpinski-Teppich T ist k = 8 und s = 1/3, somit dim(T ) = S log 8 . log 3 Aufgabe 4.2.0.42 Was ist die Selbstähnlichkeitsdimension des Menger-Schwamms? Wenn wir dem n-fachen Cantor-Staub C × · · · × C ⊂ n betrachten (das n-fache Produkt der Standard-Cantormenge C), wie ist dann die Selbstähnlichkeitsdimension? Was ist die Selbstähnlichkeitsdimension der Cantormenge C(λ), die entsteht, wenn aus [0, 1] das offene mittlere Intervall der Länge λ ∈ (0, 1) entfernt wird, aus jedem verbleibenden Intervall der Länge x wieder das offene mittlere Intervall der Länge λx ∈ (0, 1) entfernt wird usw.? R Natürlich sind solchermaßen selbstähnliche Mengen sehr speziell. Man kann die Definition noch etwas erweitern, um zuzulassen, dass der Skalierungsfaktor s bei jeder Kopie anders ist. Wir wollen uns aber gleich die allgemeinste Definition von Dimension ansehen, nämlich die der HausdorffDimension. 4.3. HAUSDORFF-DIMENSION 89 4.3 Hausdorff-Dimension R R Definition 4.3.0.43 Für eine Menge A in n und d ∈ und ε > 0 ist X diam(Ui )d | (Ui )i∈N Überdeckung von A, hdε (A) = inf{ N i∈ diam(Ui ) < ε ∀i ∈ N}. Das d-dimensionale Hausdorff-Maß ist hd (A) = lim hdε (A). ε→0 Letzterer Limes ist wohldefiniert, da hdε monoton in ε ist. Alle Überdeckungen, die für ein ε > 0 zugelassen sind, sind auch für alle größeren ε′ > ε > 0 zugelassen. Daher wird in diesem Fall das Infimum für ε < ε′ über weniger Überdeckungen gebildet und daher ist das Infimum für den kleineren Wert größer und man hat in diesem Fall hdε (A) ≥ hdε′ (A). Also existiert der Grenzwert in diesem Fall in folgenden Satz zeigen. R ∪ {∞}. Man kann nun Satz 4.3.0.44 Für jedes A gibt es ein d ∈ [0, ∞] mit hs (A) = ∞ hs (A) = 0 für s < d für s > d. Definition 4.3.0.45 Die Zahl dim(A) = inf{s > 0 : hs (A) = 0} H = sup{s ≥ 0 : hs (A) = ∞} heißt die Hausdorff-Dimension von A. Bemerkung 4.3.0.46 Es folgt, dass für jedes nichtleere A die Hausdorff-Dimension gleich der Zahl d in dem vorigen Satz ist. Für die leere Menge kann man wahlweise 0 oder −∞ als Dimension festsetzen. Letzteres ist praktisch, da dann Formeln wie dimH (A × B) ≥ dimH (A) + dimH (B) stimmen. In der Literatur wird aber trotzdem oft 0 benutzt. KAPITEL 4. FRAKTALE UND DIMENSION 90 Bemerkung 4.3.0.47 Für s = dimH (A) muss hs (A) keineswegs eine Zahl in (0, ∞) sein; auch 0 und ∞ sind möglich. Aufgabe 4.3.0.48 Finden Sie solche Mengen A. Der Vorteil der Hausdorff-Dimension ist, dass beliebigen Mengen eine Dimension zugeordnet werden kann. Das Problem mit der HausdorffDimension ist, dass ihre Berechnung sehr schwer ist, sogar für ganz einfach Mengen wie [0, 1]n oder die Standard-Cantormenge. Daher befassen wir uns jetzt noch mit einer weiteren Dimensionsdefinition, die immer noch reichlich allgemein ist, aber mit wesentlich weniger Aufwand berechenbar ist, sogar automatisiert per Computer. 4.4 Box-Dimension Es gibt verschiedene Berechnungsvorschriften für die Box-Dimension, die alle dasselbe Ergebnis liefern und daher alle als Definition taugen. Zunächst eine Definition, die herauskommt, wenn wir in der Definition der Hausdorff-Dimension den Term diam(Ui ) ersetzen durch die obere Schranke für diese Durchmesser, also eine Zahl, die nicht von i abhängt: R Definition 4.4.0.49 Sei A eine kompakte Menge in n . Sei N(δ) die kleinste Zahl, so dass A mit N(δ) offenen Mengen von Durchmesser δ überdeckt werden kann. Definiere die untere Box-Dimension als dimB (A) := limδ→0 log N(δ) log N(δ) = lim inf δ→0 − log δ − log δ und die obere Box-Dimension als dimB (A) := limδ→0 log N(δ) log N(δ) = lim inf . δ→0 − log δ − log δ Wenn diese Zahlen übereinstimmen, heißt die Zahl die Box-Dimension von A : log N(δ) . δ→0 − log δ dim(A) := lim B 4.4. BOX-DIMENSION 91 Diese Definition ist schon leichter zu benutzen, erfordert aber immer noch etwas Gehirneinsatz bei der Berechnung von N(δ). Daher hier eine weitere (äquivalente Definition), die so einfach ist, dass ein Computer sie benutzen kann: Definition 4.4.0.50 Die δ-Parkettierung des R n ist die Menge P (δ) := {[k1 δ, (k1 + 1)δ] × · · · × [kn δ, (kn + 1)δ]}, die aus kompakten Würfel der Kantenlänge δ besteht, welche Eckpunkte auf dem Gitter δ n haben. Für eine Menge A sei N2 (δ) die Zahl der Würfel in P (δ), die A schneiden. Dann können die untere Box-Dimension, die obere Box-Dimension und bei Gleichheit die Box-Dimension so definiert werden wie oben mit N ersetzt durch N2 . Z Definition 4.4.0.51 Sei N3 (δ) die minimale Zahl von Würfeln (der Dimension n), welche A ⊂ n überdecken, nicht notwendigerweise Elemente der Parkettierung P (δ). Dann können die untere Box-Dimension, die obere Box-Dimension und bei Gleichheit die Box-Dimension so definiert werden wie oben mit N ersetzt durch N3 . R Definition 4.4.0.52 Sei N4 (δ) die kleinste Zahl, so dass A mit N(δ) offenen Bällen von Durchmesser δ überdeckt werden kann. D.h. N4 (δ) ist so definiert wie N(δ), außer dass statt beliebigen offenen Mengen nun Bälle genommen werden. Dann können die untere Box-Dimension, die obere Box-Dimension und bei Gleichheit die Box-Dimension so definiert werden wie oben mit N ersetzt durch N3 . Satz 4.4.0.53 Die Box-Dimension, untere und obere Box-Dimension sind unabhängig davon, ob in der Definition N, N2 , N3 oder N4 steht. Beweis. Jede Menge von Durchmesser δ ist enthalten in einem Cluster aus 3 × · · · × 3 Elementen der Parkettierung P (δ), also ist N3 ≤ N2 ≤ 3n N. Ein n-Würfel der Kantenlänge 1 kann mit K(n) Bällen von Durchmesser 1 überdeckt werden, wobei die Konstante K(n) nur von n abhängt. Also ist N ≤ K(n)N3 ≤ K(n)N2 . 92 KAPITEL 4. FRAKTALE UND DIMENSION Offensichtlich ist auch N ≤ N3 , da jeder Ball von Durchmesser δ in einen n-Würfel von Durchmesser δ passt. Weiterhin ist N = N4 , da jeder offene Ball von Durchmesser δ eine offene Menge von Durchmesser δ ist und jede offene Menge von Durchmesser δ in einen Ball von Durchmesser δ hineinpasst. Somit ändert sich N bei Übergang zu N2 , N3 oder N4 höchstens um eine (von δ unabhängige) multiplikative Konstante und log N höchstens um eine additive. Also hat log N(δ) − log δ nach diesem Übergang denselben oberen und unteren Grenzwert. Es gibt noch weitere mögliche Modifikationen: Die Bälle oder Würfel können offen oder abgeschlossen gewählt werden usw. Wir haben bislang genug Definitionen. Bemerkung 4.4.0.54 Definition (N2 ) ist für maschinelle Auswertung geeignet: Ein Computer kann für endlich viele Werte von δ (z.B. für einen einzigen Wert δ0 ) N2 (δ) bestimmen und somit log N(δ0 ) − log δ0 als Näherung der Dimension. Literaturverzeichnis [1] Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden. F.A. Brockhaus, Mannheim, 19.te Auflage, 1986. [2] R. A BRAHAM & J. W. R OBBIN. Transversal Mappings and Flows. Benjamin, New York, 1967. [3] H. A MANN. Gewöhnliche Differentialgleichungen. de Gruyter, Berlin New York, 1995. [4] V. A RNOLD. Gewöhnliche Differentialgleichungen. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin, 1979. [5] T. B R ÖCKER & K. J ÄNICH. Differentialtopologie, Heidelberger Taschenbücher 98. Springer Verlag, 1973. [6] M. D ENKER. Einführung in die Analysis dynamischer Systeme. Springer Verlag, 2005. [7] R. D EVANEY. 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