Ist der DAU wirklich dumm? - KA-IT-Si

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Secorvo Security Consulting GmbH
Psychologie der Sicherheit:
Ist der DAU wirklich dumm?
Christoph Schäfer
Secorvo Security Consulting GmbH
Bei der Entwicklung von Systemen gilt die alte Weisheit, stets den Dümmsten Anzunehmenden
User (DAU) im Blick zu behalten. Doch was heißt das eigentlich? Und warum verhält sicher der
User so "dumm"? Der Vortrag soll zeigen, wie Entscheidungsprozesse im menschlichen Gehirn ablaufen und welchen systematischen Fehlern Menschen bei der Entscheidungsfindung
unterliegen. Aus dem Vortrag sollen Entwickler lernen, die Denkweise von Anwendern besser
in die Produkte einfließen zu lassen und besonders Sicherheitsprobleme durch "Missverständnisse" zwischen Anwendung und Anwender zu vermeiden“
Laufe der Jahrmillionen deutlich weiterentwickelt. Vögel beispielsweise besitzen trotz ihrer
vielfach beträchtlichen Intelligenz nur ein solches Reptiliengehirn, allerdings deutlich weiterentwickelt und weitaus stärker durchblutet als
bei Reptilien.
Bildquelle: Bigstock.com/stockasso
1) Evolution unseres Gehirns
Drei Teile arbeiten im Team
Das menschliche Gehirn ist das Ergebnis vieler
Evolutionsschritte. Deutlich erkennbar ist dies
an den Teilen, aus denen sich das Gehirn zusammensetzt. Je nach Quelle und Definition unterteilt sich das Gehirn in drei bis fünf Bereiche.
Zur Vereinfachung – und für das Verständnis im
Rahmen dieses Vortrags ausreichend – werden
drei in sich verwobene Gehirn-Teile unterschieden: Stammhirn, Zwischenhirn und Großhirn.
Das Stammhirn ist der älteste Teil unseres Gehirns. Es entwickelte sich bereits bei den Dinosauriern und wird daher auch Reptilienhirn genannt. Dieser Gehirnteil, Steuerzentrale für viele
relativ primitive Grundfunktionen, hat sich im
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Die Hauptaufgabe dieses Teils des Gehirns ist
es, das Überleben sicherzustellen – Instinkte
sind hier verankert. Das Stammhirn entscheidet
innerhalb kürzester Zeit, ob eine Information ein
schnelles Handeln erfordert (z. B. Angriff oder
Flucht).
Mit der Entwicklung der Säugetiere entstand ein
weiterer Gehirnteil, das sogenannte Zwischenhirn, welches auch als Säugetiergehirn bezeichnet wird. Auch dieses Relikt unserer Vorfahren
finden wir im menschlichen Gehirn wieder. Das
Zwischenhirn dient der Erzeugung von Gefühlen.
Verantwortlich ist es für alle Emotionen und soziales Verhalten. Reptilien oder Vögel besitzen
keinerlei Gefühle, sondern nur sehr primitive Reaktionen wie Schmerzempfinden. Sollte das
Stammhirn eine Information für bedrohlich oder
besonders positiv halten, sorgt das Zwischenhirn dafür, dass die entsprechenden Hormone
freigesetzt werden, die Arbeit des Stammhirns
zu unterstützen.
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Das Großhirn ist gerade jetzt aktiv und verarbeitet Informationen, nämlich die dieses Textes.
In diesem Bereich wird gedacht und gespeichert. Logisches Denken, die Bildung von
Denkstrukturen, Phantasie und Schöpfergeist,
die Fähigkeit zu Schlussfolgerungen und neuen
Erkenntnissen.
Es sitzt über den beiden anderen Gehirnteilen
und ist deutlich größer. Am Großhirn kann man
am deutlichsten die Zweiteilung des Gehirns erkennen (Hemisphären). Allerdings gilt diese
Zweiteilung auch für Zwischenhirn und Stammhirn. Der Verbindungsstrang zwischen den beiden Gehirnhälften ist ein dickes Nervenbündel.
Man bringt die verschiedenen Talentschwerpunkte bei Männern und Frauen mit diesem
Nervenbündel in Verbindung: Es ist bei Frauen
wesentlich stärker entwickelt und fördert deshalb die Sprachbegabung, während die stärkere
Hemisphären-Teilung der Männer Funktionen
wie das räumliche Vorstellungsvermögen begünstigt.
Es ist falsch anzunehmen, dass das Großhirn
die Entscheidungen trifft, vielmehr sind alle drei
Teile gleichberechtige Partner, die jeweils ihre
Vor- und Nachteile haben.
Beispiel: Sie fahren ziemlich zügig links auf einer zweispurigen Autobahn, als plötzlich kurz
vor Ihnen ein LKW auf ihre Spur zieht. Das
Stammhirn sorgt dafür, dass das Lenkrad herum
gerissen wird und Sie auf die Bremse treten.
Das Zwischenhirn schüttet Angst- und Panikhormone wie Adrenalin aus, um die Reaktionsge-
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schwindigkeit zu erhöhen und Sie in Alarmbereitschaft zu versetzen. Das Großhirn wird erst
wirklich aktiv, sobald die Gefahr überstanden ist.
Es sorgt dafür, dass man über die Situation
nachdenkt (“Was hab ich falsch gemacht? Was
kann ich das nächste Mal besser machen?”). Es
sorgt dafür, dass wir aus Fehlern lernen und unterstützt das Stammhirn bei einer ähnlichen Situation das nächste Mal (noch) besser zu reagieren.
Amygdala – Feuermelder des Gehirns
Die Amygdala ist ein paariges Kerngebiet des
Gehirns. Sie ist sozusagen der „Feuermelder“
und wird auch als Mandelkern bezeichnet. Sie
ist im Wesentlichen verantwortlich für die Bewertung und Wiedererkennung von Situationen
sowie die Analyse möglicher Gefahren und der
daraus entstehenden emotionalen Mechanismen. So steuert der Mandelkern z. B. unsere
Furcht oder unsere Aggressionen. In jeder Situation in der wir uns befinden, gleicht der Mandelkern Informationen ab, die früher schon einmal verarbeitet wurden. So werden z. B. traumatische Erlebnisse in der Amygdala abgespeichert. Tritt eine ähnliche Situation auf, erkennt
sie diese und schlägt Alarm. Die Folge sind die
entsprechenden emotionale Zustände (Trauer,
Wut, Aggressionen) und körperliche Reaktionen
(Herzrasen, Schwindel, Übelkeit).
Dabei spielt die Vernetzung im Gehirn eine wesentliche Rolle. So ist das sog. rationale Denken
fest im Großhirn verankert. Die Meldungen von
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der Amygdala zum Großhirn sind um ein vielfaches schneller als andersherum. So lernt das
Gehirn schneller auf Gefahren zu reagieren, indem der Mandelkern blitzschnell reagiert, noch
bevor es zum rationalen Denken kommt. Erst
wenn es dem rationalen Denken gelingt, die Situation auch gedanklich zu "entschärfen", erreicht dieses auch wiederum die Amygdala, die
mit der Beendigung der Hormonausschüttung
reagiert. Die Folge ist die Abnahme der emotionalen und körperlichen Reaktionen.
2) Kognitive Verzerrungen
Entsprechend dieser Arbeitsteilung im Gehirn
unterteilt der Psychologe Daniel Kahneman unser Denken in zwei Arten: Das schnelle, instinktive und emotionale Denken (er nennt es System 1) und das langsamere, Dinge durchdenkende und logischere Denken (System 2). In
seinem Buch „Schnelles Denken, langsames
Denken“ schildert er kognitive Verzerrungen beider Arten des Denkens, angefangen bei
Kahnemans eigenen Untersuchungen zu Verlustaversion.
Literaturtipp: Daniel Kahneman, Schnelles Denken, langsames Denken, München 2012.
ISBN: 978-3-88680-886-1
System 1
System 2
Schnell
Langsam(er)
Automatisch
Mühsam
Instinktiv
Logisch
Emotional
Strategisch
Kognitive Verzerrung („cognitive bias“) sind systematische (nicht zufällige) fehlerhafte Neigungen beim Wahrnehmen, Erinnern, Denken und
Urteilen. Sie bleiben meist unbewusst. Angreifer
Nutzen kognitive Verzerrungen z. B. für Social
Engineering, aber auch für die Planung von Awareness-Kampagnen sind sie eine wichtige
Grundlage. Oft resultieren daraus kognitive Heuristiken.
Kognitive Heuristiken
Heuristik (altgr. εὑρίσκω heurísko „ich finde“; von
εὑρίσκειν heuriskein ‚auffinden‘, ‚entdecken‘)
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Jeden Tag strömen massenhaft Informationen
auf uns ein. Wir nehmen enorm viele Dinge
wahr und verarbeiten sie. Das Verarbeiten von
Informationen ist die Grundlage für unser tägliches Handeln, aber ohne kognitive Verzerrungen wäre diese Informationsverarbeitung für uns
nicht möglich. Sie dienen z. B. der Vorselektion
und Einordnung von Informationen in bereits bekannte Informationsmuster.
Unsere Gehirne als Ergebnis evolutionärer Entwicklung sind nicht perfekt, sondern gerade gut
genug. Der Grund, warum wir uns im täglichen
Informationsmeer zurechtfinden, ist darum auch
nicht ein perfektes Gehirn, sondern ein effizientes Gehirn. Den größten Teil unserer Kognition
(also unserer Informationsverarbeitung) machen
eher unbewusste, routinierte Prozesse aus.
Diese kognitiven Abkürzungen, oder Heuristiken, sorgen dafür, dass wir mit der täglichen Informationsflut zurechtkommen, ohne kognitiv
überlastet zu werden. Für spezielle Denkanstrengungen haben wir dann ausreichend Kapazitäten, um uns ihnen fokussiert zu widmen.
Mit Hilfe von Heuristiken werden Schlussfolgerungen gezogen, ohne komplizierte und vergleichsweise langwierige Algorithmen einsetzen
zu müssen. Der Vorteil der Heuristiken liegt darin, dass sie ressourcensparend zu Schlussfolgerungen führen, die in den meisten Lebenssituationen eine hinreichende Güte besitzen. Dabei besteht allerdings die Gefahr, dass gerade in
komplexen Situationen voreilige und systematisch verzerrte Schlüsse gezogen werden, die
besonders unerwünscht sind, wenn es um Entscheidungen von großer Tragweite geht.
Anker-Effekt (anchoring effect)
Wann immer wir etwas schätzen oder Informationen unbekannter Größenordnung verwerten
müssen, orientieren wir uns an einem ersten
Ausgangswert (Anker). Dies führt jedoch nicht
selten zu falschen Urteilen. Ein Mensch kann
bei bewusst gewählten Zahlenwerten von momentan vorhandenen Umgebungsinformationen
beeinflusst werden, ohne dass ihnen dieser Einfluss bewusst wird. Die Umgebungsinformationen haben Einfluss selbst dann, wenn sie für die
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Entscheidung eigentlich irrelevant sind. Es handelt sich also um eine Urteilsheuristik, bei der
sich das Urteil an einem willkürlichen „Anker“
orientiert. Die Folge ist eine systematische Verzerrung in Richtung des Ankers.
Anker können auf zwei verschiedene Weisen
wirken:
1. Als unbewusste Suggestion aktiviert der Anker zu ihm passende Assoziationen, welche
im Anschluss die Urteilsfindung beeinflussen.
2. Der Anker liefert den Ausgangspunkt oder
Startwert für einen bewussten Gedankengang, der zu einem rational begründeten Urteil führen soll. Dann spricht man auch von
Anpassungsheuristik.
Beispiel: Sie kaufen einen Ring für Ihre Liebste.
Der Ring für 400 Euro sieht eigentlich ganz
schick aus. Der Ring für 450 Euro wäre aber
auch nicht schlecht.
Nun lächelt der Verkäufer Sie an und meint:
"Wissen Sie, ich hätte da noch einen anderen,
ganz besonderen Ring. Der ist allerdings ein
wenig teurer und denke, er wird Ihnen wahrscheinlich zu teuer sein. Aber vielleicht möchten
Sie dennoch einen Blick darauf werfen.“
Sie werfen also einen Blick auf den 600-EuroRing. Definitiv: So viel wollten Sie nicht ausgeben. Doch welchen Ring kaufen Sie dann?
Plötzlich kommen Ihnen die 50 Euro mehr gar
nicht mehr so viel vor.
Bestätigungsfehler (confirmation bias)
Der Begriff Bestätigungsfehler (confirmation
bias) bezeichnet in der Kognitionspsychologie
die Neigung, Informationen so auszuwählen, zu
suchen und zu interpretieren, dass diese die eigenen Erwartungen erfüllen. Unbewusst ausgeblendet werden dabei Informationen, die eigene
Erwartungen widerlegen (disconfirming evidence). Die betreffende Person unterliegt dann
einer Selbsttäuschung oder einem Selbstbetrug.
Einrahmungs-Effekt (Framing)
Wie wir uns entscheiden hängt unter anderem
stark davon ab, in welchem Rahmen uns Informationen präsentiert werden. Unterschiedliche
Formulierungen des gleichen Inhalts können dabei zu unterschiedlichen Entscheidungen führen.
Beispiel: Ein Medikament, das zu 50% erfolgreich ist, wird eher vom Patienten akzeptiert als
ein Medikament, das zu 50% keinen Erfolg hat
Generell wird Framing oft im Marketing eingesetzt, z. B. sind Marken ein typisches Framing.
Verfügbarkeitsheuristik
Ein Risiko ist dann groß, wenn es leicht fällt,
konkrete Beispiele zu finden, in denen es eingetreten ist. Hingegen wird ein Risiko als gering
eingeschätzt, wenn es unauffällig oder vertraut
ist
Beispiel: Ein Beispiel ist der Vergleich zwischen
der Gefahr des Todes durch Haie und herabfallende Kokosnüsse. Zwar gibt es keine weltweite
Statistik zu Todesfällen durch Kokosnüsse und
die in den Medien herumgeisternde Zahl von
durchschnittlich 150 Toten pro Jahr ist wohl eher
geschätzt, durch Haiangriffe starben allerdings
belegbar 10 Menschen weltweit im Jahr 2013.
Zahlreiche weitere Beispiele sind uns aus dem
Alltag bekannt (z. B. die Panik vor BSE oder der
Schweinegrippe). Auch im Bereich der IT-Sicherheit kämpft man mit diesem Problem.
Erhöhte Medienaufmerksamkeit schürt zwar die
Angst vor der NSA, das ganz realistische Risiko
eines mit Malware bestückten privaten USBSticks, der an einen Firmenrechner angeschlossen wird, wird dabei nicht gesehen. Das Problem ist, dass seltene, aber dramatische Ereignisse für viel wahrscheinlicher gehalten werden,
als sie es tatsächlich sind.
Beispiel: Am Freitag den 13ten passieren besonders viele Unglücke.
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Prospect Theory
Experiment A: Sie haben die Wahl zwischen folgenden beiden Optionen:
1. Ein sicherer Gewinn von 250 €.
2. Eine Chance von 25%, 1000 € zu gewinnen
und eine Chance von 75%, nichts zu gewinnen.
Ergebnis: In der Regel sind ca. 85 % für 1. und
15 % für 2. – das kann je nach Gruppenzusammensetzung natürlich variieren.
Lieber den Spatz‘ in der Hand, als die Taube auf
dem Dach.
Experiment B: Sie haben die Wahl zwischen folgenden beiden Optionen:
1. Ein sicherer Verlust von 750 €.
2. Eine Chance von 75%, 1000 € zu verlieren
und eine Chance von 25%, nichts zu verlieren.
Ergebnis: In der Regel sind ca. 15 % für 1. und
85 % für 2. – das kann je nach Gruppenzusammensetzung natürlich variieren.
Die Prospect Theory (Neue Erwartungstheorie)
von Daniel Kahneman und Amos Tversky gilt als
psychologische, realistischere Alternative zu der
Erwartungsnutzentheorie der klassischen Volkswirtschaftslehre. Sie erlaubt die Beschreibung
der Entscheidungsfindung in Situationen der Unsicherheit. Dies sind insbesondere Entscheidungen, bei denen unwägbare Risiken bzw. die Eintrittswahrscheinlichkeiten der künftigen Umweltzustände unbekannt sind. Daniel Kahneman erhielt hierfür 2002 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Die Prospect Theory ist heute
wesentlicher Bestandteil der Verhaltensökonomik (Behavioural Economics).
Zentrale Aussage: Kognitive Verzerrungen (biases) beeinflussen das Verhalten unter Unsicherheit. Insbesondere werden Menschen stärker
durch Verluste als durch Gewinne motiviert. Sie
verwenden mehr Energie in die Vermeidung von
Verlusten als in die Erzielung von Gewinnen.
Beispiel: Ein aus der experimentellen Forschung
wohlbekanntes Phänomen besagt, dass ein und
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derselbe Mensch den Wert eines Gutes unterschiedlich einschätzt, je nachdem, ob er sich als
Eigentümer desselben betrachtet oder nicht. Als
Eigentümer fordert er einen höheren Verkaufspreis (Willingness to Accept) als er als Nachfrager zu zahlen bereit wäre (Willingness to Pay).
Aus Sicht der Prospect Theory wird dies durch
die Veränderung des Referenzpunktes, hier
dem Status Quo, erklärt. Der Eigentümer interpretiert den Verkauf des Produktes als Verlust.
Da Verluste stärker empfunden werden als Gewinne, bewertet er die Nutzeneinbuße durch
den Verkauf höher als einen Nutzengewinn
beim Kauf, da dieser als Gewinn angesehen
würde.
Verschiedene Verzerrungen, die in der Prospect
Theory Beachtung finden:
Vermessenheitsverzerrung: Überschätzen der
eigenen Fähigkeiten und des Mutes, Überschätzen des eigenen Einflusses auf die Zukunft,
Fehleinschätzung der Fähigkeiten von Konkurrenten, Überschätzen der eigenen Kenntnisse
und des Verständnisses.
Anker-Effekt: Eine einmal gemachte Aussage
(Meinung) wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Dies gilt sogar dann, wenn eine Aussage
von einer Quelle stammt, die nicht besser informiert ist als man selbst.
Sturheit: Eine einmal eingenommene Position
wird nicht gerne aufgegeben.
Nähe-Verzerrung: Die Kenntnis einer bestimmten Problematik verzerrt die Wahrnehmung in
Richtung des Bekannten; anderweitige Optionen
werden ignoriert.
Status-quo-Verzerrung (status quo bias): Menschen gehen größere Risiken ein, um den Status quo zu erhalten, als um die Situation zu ändern.
Gewinn und Verlust: Menschen fürchten Verlust
mehr, als sie Gewinn begrüßen. Das geht so
weit, dass greifbare Vorteile nicht wahrgenommen werden, um die entferntere Chance des
Versagens zu vermeiden.
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Falsche Prioritäten: Menschen wenden unverhältnismäßig viel Zeit für kleine und unverhältnismäßig wenig für große Entscheidungen auf.
Peter Gutmann macht dies in seinem Werk „Engineering Security“ (S. 168) prägnant deutlich
(siehe Linkliste am Ende des Artikels).
Unangebrachtes Bedauern: Bedauern über einen Verlust bringt nichts ein, aber es wird viel
Zeit darauf verwendet.
Nutzer denken nicht, dass sie gefährdet sind.
Sie neigen dazu zu glauben, dass sie weniger
verwundbar sind als andere. Das schließt eine
breite Reihe von Bereichen ein – von Verbrauchsgütern bis Gesundheit, vom Computer
bis zur Sicherheit. („Warum sollte ich meine Virenschutzsoftware updaten? Da passiert schon
nichts.“)
Selbst-Täuschung: Falsche Entscheidungen
werden gerne schöngeredet.
Priming: Entscheidungen werden durch vergangene, gespeicherte und meist unbewusste Erfahrungen und Erwartungen beeinflusst.
Zusammenfassung
Mit Hilfe von Heuristiken werden Schlussfolgerungen gezogen, ohne komplizierte und vergleichsweise langwierige Algorithmen einsetzen
zu müssen. Diese „Faustregeln“ dienen der kognitiven Entlastung. Sie führen ressourcensparend zu Schlussfolgerungen, die in den meisten
Lebenssituationen eine hinreichende Güte besitzen. Sie können in anderen Kontexten jedoch zu
systematischen Fehleinschätzungen („kognitive
Verzerrung“) führen. Wir sind nicht bereit, eine
gewohnte Funktionalität oder einen Status an
Bequemlichkeit aufzugeben, um einen ungewissen (und unkonkreten) Sicherheitsgewinn zu erzielen.
3) Otto Normal-Nutzer
Der Durchschnittsnutzer ist kein Techie. Daraus
resultieren unterschiedliche Denkweisen und
Wahrnehmungen von IT-Security. Unterschiedliche Interessen (wie funktioniert das vs. Hauptsache es funktioniert). Nutzer möchten meist
schlicht ihre Arbeit erledigen. IT-Sicherheit hat
für sie weder einen greifbaren Nutzen noch unmittelbare negative Folgen.
Zudem werden Nutzer gezwungen, Sicherheitsentscheidungen zu treffen, die sie selbst – mit
ihrem Wissen – gar nicht treffen können (z. B.
Zertifikatswarnungen im Web-Browser).
Ineffektive oder nicht erklärte Sicherheitskontrollen werden nicht verstanden, umgangen oder
ausgeschaltet. Sicherheitsmeldungen sind oft zu
abstrakt, als dass sie das menschliche Gehirn
als Gefahr wahrnehmen kann.
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Nutzer sind nicht zu dumm, um sich um IT-Sicherheit zu kümmern – sie sind schlicht unmotiviert. Wir haben in unserem Gehirn nur eine begrenzte Kapazität zur Informationsverarbeitung.
Daher verlassen wir uns auf Heuristiken – meistens führt das erfahrungsgemäß auch zu guten
Ergebnissen. („Es passiert ja nie etwas, wenn
ich das Warnfenster wegklicke.“)
IT-Sicherheit ist oft auch ein zu abstrakter Begriff und wird nicht genug erklärt. Konkrete Erfahrungen dominieren abstrakte Vermutungen.
Eine „sichere“ Entscheidung (Warnfenster nicht
ignorieren) führt zu keinem sichtbaren (positiven) Ergebnis. Warum sollte man es also tun?
Das Gehirn sagt sich: Also nutze ich besser
meine Heuristiken.
Sicherheit wird als sekundäre Aufgabe gesehen.
Vor allem unter Zeitdruck, neigen die Menschen
dazu, sich mehr auf die Probleme ihrer unmittelbaren Aufgabe zu konzentrieren. Sie nehmen
„Abkürzungen“ und ignorieren Sicherheitsvorgaben.
Es erfolgt kaum Feedback auf sicherheitsrelevante Entscheidungen – ein Lernprozess ist
kaum vorhanden. In der IT-Sicherheit heißt die
Devise wie so oft im Leben „Nicht geschimpft ist
genug gelobt” und es kommt sogar (meist) noch
schlimmer, denn es gilt:
1. Mach‘ etwas richtig und es passiert nichts
Schlimmes.
2. Mach‘ etwas falsch, und du merkst (meist)
gar nicht, dass etwas Schlimmes passiert.
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Ein typischer Lernprozess erfolgt allerdings über
Belohnungen. Ohne Konsequenzen und Belohnungen ist ein Lernprozess kaum möglich.
Menschen nehmen Verluste überproportional
wahr. Wenn Menschen mit einem Gewinn und
einem Verlust des gleichen Werts konfrontiert
werden, ist der Verlust stets motivierender.
Selbst wenn die Kosten für einen Sicherheitsaufwand relativ klein sind („Ich muss mir ein längeres Passwort merken.“), kann es für den Nutzer unverhältnismäßig schwer erscheinen.
4) Basis für Angriffe
Während viele Angriffe rein technischer Natur
sind, wie beispielsweise Denial-of-Service-Attacken (DoS) oder Exploit-Kits, greifen bei vielen
Angriffen direkt oder indirekt psychologische Aspekte.
Angreifer nutzen kognitive Verzerrungen aus,
um an Informationen/Daten zu gelangen. Angreifer betreiben umfangreiche Recherchen und
geben sich dann als Kollege/Dienstleister aus.
Mitarbeiter unterschätzen dabei, was bereits
durch eine Internetrecherche an Informationen
gesammelt werden kann.
Sie manipulieren ihr Opfer dermaßen geschickt,
dass es den Angriff oft nicht einmal bemerkt
(siehe Video „What is your Password“ in der
Linkliste)
Social Engineering ist ein gutes Beispiel dafür,
dass man sich als Unternehmen nicht auf technische Lösungen allein verlassen darf, um seine
Systeme zu schützen. Awareness-Maßnahmen
sind mindestens.
5) Sicherheit erfordert Kompromisse
In Wochen nach 9/11 wurde der Kryptographieund Sicherheitsexperte Bruce Schneier von einem Reporter gefragt, wie man sich davor
schützen kann, dass so eine Katastrophe noch
einmal passiert. Schneier antwortete:
„That‘s easy, simply ground all the aircraft.“
In den Stunden nach dem Anschlag ist genau
das passiert. Und zu diesem Zeitpunkt war es
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ein guter Kompromiss. Auf Dauer wäre es aber
nicht zu akzeptieren.
Sicherheit kostet immer etwas, oft vor allem
Geld. Aber sie schränkt auch Freiheiten ein
(Kein privater USB-Stick am Firmen-Laptop), sie
ist oft unbequem (Automatische Bildschirmsperre), sie kostet Zeit (Sicherheitskontrollen am
Flughafen), sie schränkt Entwicklungsmöglichkeiten (Cloud-Computing zu riskant?).
Wenn es um Effektivität geht, macht es keinen
Sinn, ausschließlich auf Sicherheit zu schauen.
Daher ist „Ist dieses Maßnahme effektiv gegen
diese Bedrohung?“ die falsche Frage. Die Frage
muss lauten: „Ist es ein guter Kompromiss?“.
Beispiel: Das Tragen von schusssicheren Westen ist eine ist eine sehr effektive Maßnahme,
um zu verhindern, dass man erschossen wird.
Aber für die meisten gesetzestreuen Bürger in
relativ sicheren industrialisierten Ländern, wie
Deutschland, ist das Tragen einer schusssicheren Weste kein guter Kompromiss. Die zusätzliche Sicherheit lohnt sich nicht - sie ist die Kosten, die Unbequemlichkeit und das unmodische
Aussehen nicht wert.
Es kann einen sehr großen Unterschied zwischen tatsächlicher und gefühlter Sicherheit geben. Unter anderem aufgrund kognitiver Verzerrungen können Menschen Risiken nicht mathematisch korrekt einschätzen. Einerseits fühlen
sie sich oft sicher, auch wenn sie einem großen
Risiko ausgesetzt sind. Andererseits werden Risiken aber oft auch überschätzt.
Menschen berechnen Entscheidungen (und Risikobewertungen) nicht anhand mathematischer
Verfahren, sondern bewerten sie aufgrund von
Erfahrungen, Einschätzungen und Einstellungen
– Menschen sind unterschiedlich risikoavers oder risikoaffin.
Schulungen und Awareness-Kampagnen sind
genau deswegen so wichtig. Sie können das
subjektive Gefühl von Sicherheit beeinflussen
und an die Realität annähern. Dadurch wird erreicht, dass bessere Sicherheitsentscheidungen
getroffen werden.
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6) Fazit – Ist der DAU dumm?
· Sicherheit wird je nach Betrachter sehr unterschiedlich wahrgenommen und ist immer ein
Kompromiss zwischen Risiko, Verlust, Gewinn, und Kosten.
· Es bestehen immer Zielkonflikte mit anderen
Anforderungen (z. B. Usability) und Sicherheit
ist für die meisten Nutzer absolute Nebensache.
· Nutzer werden eher einen ungewissen Verlust
riskieren, als einen garantierten Verlust akzeptieren („Prospect Theory“). Verluste (z. B. an
Bequemlichkeit) werden überproportional gegenüber Gewinnen (z. B. an Sicherheit) wahrgenommen.
· Sicherheit muss bereits in den Entwicklungsprozess eingebaut werden.
· Der Nutzer muss Sicherheitsoptionen bekommen, mit denen er etwas anfangen kann.
· Er darf aber niemals echte Sicherheitsentscheidungen treffen müssen.
7) Linkliste
Quellen und Literaturtipps
·
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·
Anderson, R.: Security Engineering, 2008.
Gutmann, P.: Engineering Security (Book Draft), 2013.
Kahnemann, D.: Schnelles Denken, langsames Denken, 2012.
Kahneman, Daniel; Tversky, A.: Prospect theory: An analysis of decision under risk, 1979.
Modic, D.; Anderson, R.: Reading This May Harm Your Computer: The Psychology of Malware Warnings, 2013.
Schneier, B.: The Psychology of Security, 2008.
Sternberg, G.: The Psychology behind Security, 2010.
West, B.: The Psychology of Security, 2008.
Videos zum Vortrag
· Mensch und Maschine: https://www.youtube.com/watch?v=Aqix9L-xIjM
· What is your Password (Jimmy Kimmel): https://www.youtube.com/watch?v=opRMrEfAIiI
·
Attention Test (ŠKODA Fabia): https://www.youtube.com/watch?v=qpPYdMs97eE
Zum Autor: Christoph Schäfer ist Security Consultant bei der Secorvo Security Consulting
GmbH, zertifizierter betrieblicher Datenschutzbeauftragter (GDDcert.), Datenschutzauditor
(TÜV) und TeleTrusT Information Security Professional (T.I.S.P.). Seine Beratungsschwerpunkte sind datenschutzrechtliche Fragestellungen und technisch-organisatorischer Datenschutz. Zudem hält er regelmäßig Schulungen und Vorträge zu Datenschutzthemen.
Telefon: 0721 255171-0 | E-Mail: [email protected]
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