58 BZB März 11 Wissenschaft und Fortbildung Ist Ästhetik sichtbar? Die implantatgetragene Einzelkrone in der ästhetisch anspruchsvollen Region E i n B e i t r a g v o n P r o f . D r. M a r t i n L o r e n z o n i , G r a z , D r. M a r l e n e S t o p p e r, G r a z , u n d Ztm. Rudi Hrdina, Guntramsdorf/Österreich Zahnersatz mittels Implantaten im anterioren Bereich des Zahnbogens ist ein komplexes Teilgebiet der Implantologie, bei dem der Parameter Ästhetik eine zentrale Rolle spielt. Das Ziel der Behandlung ist die natürliche Imitation der fehlenden Zähne in Farbe, Form, Textur und Größe. Außerdem muss sich nach der Therapie nicht nur der Zahn, sondern auch das periimplantäre Gewebe harmonisch in das gesunde orale Umfeld einfügen [1]. Im nachfolgenden Beitrag erläutern die Autoren, wie dem Patienten durch eine exakte präoperative Analyse der Ausgangssituation, durch einen minimalinvasiven chirurgischen Eingriff sowie durch eine perfekte Umsetzung der prothetischen Planung eine individuelle Behandlung geboten werden kann. Vorbemerkung Die wichtigsten Parameter für eine Rehabilitation in der ästhetisch relevanten Zone des Mundes mithilfe von Implantaten sind · die Ziele und die Erwartungen des Patienten und des Behandlers, · die Ausgangssituation und die Grenzen des Behandlungsergebnisses, · das Können und das Wissen auf den Gebieten der Parodontologie, Implantologie sowie der Prothetik und der Zahntechnik, · die Langzeitstabilität des Ergebnisses und · das Management eventueller Komplikationen. Je nach Ausgangssituation (zu extrahierende Zähne, bestehende Lücke oder bereits vorhandene ästhetische Komplikationen) kommen für eine Therapie mit Implantaten verschiedene Behandlungsprotokolle in Betracht. Eine Sofortimplantation bietet die Möglichkeit, vorhandene, suffiziente Hartund Weichgewebsverhältnisse zu erhalten, während eine verzögerte Implantation die Wiederherstellung der Gewebe bei einer ungünstigen Ausgangssituation erleichtert. Die Langzeitstabilität der periimplantären Weichgewebe ist abhängig von einem ausreichenden horizontalen und vertikalen Knochenlager. Im Zweifelsfall muss es durch augmentative Maßnahmen wie „Socket Preservation“, GBR oder ein Knochen- transplantat verbessert werden. Nach der Augmentation einer dünnen bukkalen Alveolarwand mit einem Knochentransplantat oder mit Knochenersatzmaterial in Kombination mit einer resorbierbaren Membran ist auch eine transmukosale Implantation möglich, was eine etwaige Resorption des bukkalen Knochens und eine daraus resultierende Rezession des Weichgewebes verhindern würde. Essenziell für den Erfolg einer Implantatbehandlung ist die optimale dreidimensionale Positionierung des Implantats innerhalb einer Sicherheitszone in bukko-palatinaler und mesio-distaler Richtung, wobei eine computerunterstützte Planung die Präzision des Verfahrens erhöht und eine minimalinvasive Implantation ohne Lappenbildung sowie die präoperative Fertigung der provisorischen Restauration ermöglicht. Der richtige Zeitpunkt der Implantation Der Spätimplantation sowie der verzögerten Implantation – mit oder ohne Sofortversorgung – werden bezüglich der Langzeitstabilität des Endergebnisses hohe Erfolgsraten zugeschrieben. Auch minimalinvasive Techniken, wie die „Flapless Surgery“, und verkürzte Behandlungsprotokolle, wie die Sofortimplantation mit oder ohne Sofortversorgung, sind Gegenstand zahlreicher aktueller Studien. Doch nur wenige, jüngst veröffentlichte Studien bewerten den Erfolg einer implantatprothetischen Therapie auch in ästhetischer Hinsicht [2-4]. Insgesamt zeigen die Studien vor allem aus der subjektiven Sicht des Patienten akzeptable Ergebnisse. Aus der kritischen Sicht des Behandlers sind jedoch verschiedene ästhetische Einschränkungen anzumerken, wie unzureichende oder fehlende Papillen, sichtbare Implantataufbauten oder Implantatteile. Das Erscheinungsbild kann durch Narben, Asymmetrien in Volumen, Farbe und Kontur der Restauration oder Rezession der periimplantären Gingiva beeinträchtigt werden. Im Rahmen einer ästhetischen Rehabilitation ist nach wie vor die konventionelle Technik der verzögerten Implantation ein wichtiges Verfahren. Nach einer Extraktion sollte bis zur Abheilung der Weichgewebe sechs bis acht Wochen gewartet wer- Wissenschaft und Fortbildung den. Erst dann wird – zumeist in Kombination mit Augmentation – implantiert. Die Bedeutung parodontalchirurgischer Verfahren Ein gesundes und ausreichendes periimplantäres Weichgewebe ist für den ästhetischen Erfolg einer implantatgetragenen Restauration unerlässlich. Deshalb ist die präoperative Analyse des Phänotyps der Schleimhaut für die Art des implantologischen Vorgehens und für das Endergebnis entscheidend. Bei einer dicken Mukosa mit flachem Verlauf des Gingivalsaums und breiter keratinisierter Gingiva ist das periimplantäre Gewebe stabil und reagiert bei Irritation eher mit erhöhter Sondierungstiefe im Sinne einer Taschenbildung. Der Biotyp mit dünner, deutlich girlandenförmig verlaufender Gingiva ist wesentlich verletzlicher und neigt zur Rezession. Da dieser Aspekt das therapeutische Vorgehen beeinflusst, ist das bei der Planung implantologischer Maßnahmen zu berücksichtigen und mit dem Patienten zu besprechen. Wichtig für den Behandlungserfolg sind außerdem die Kenntnis möglicher Risikofaktoren wie Rauchen, Parodontopathien, Bruxismus oder Allgemeinerkrankungen und die daraus resultierende Patientenselektion sowie die genaue Aufklärung des Patienten über postoperative Maßnahmen. Die Korrektur von Weichgewebsdefiziten erfolgt mittels plastisch parodontalchirurgischer Eingriffe. Hierbei stehen die Koronalverschiebung der Gingiva, subepitheliale Bindegewebstransplantate und freie Schleimhauttransplantate im Mittelpunkt. Damit soll das Volumen des Weichgewebes optimiert und eine Verbreiterung der keratinisierten Mukosa generiert werden. Mit minimalinvasiven, parodontalchirurgischen Techniken – wie etwa der Tunnelierung – wird versucht, die Weichgewebsaugmentation und die Koronalverschiebung ohne vertikale Inzision vorzunehmen. Je nach Ausgangssituation kann die Weichgewebsaugmentation vor oder simultan mit der Implantation oder post insertionem vor oder gleichzeitig mit der Implantatfreilegung erfolgen. Außerdem kann bei kompromittierten Implantaten auch postrestaurativ augmentiert werden. Die Behandlung einer bereits manifesten fazialen Rezession erfolgt mit einer Koronalverschiebung der Gingiva (koronaler Verschiebelappen), kombiniert mit einem subepithelialen Bindegewebstransplantat. Das ermöglicht die Rekonturierung des Gingivalsaums und die Etablierung einer neuen und stabilen periimplantären Weichgewebskontur. BZB März 11 Die Kombination von Chirurgie, Parodontologie und moderner Zahntechnik sowie die Kooperation zwischen Behandler(n) und Zahntechniker ist Voraussetzung für optimale Implantatrekonstruktionen in ästhetisch anspruchsvollen Regionen. Zahntechnische Aspekte Die prothetische Versorgung eines Implantats ist für den Erfolg oder Misserfolg einer Implantatrestauration wesentlich. Form, Farbe und Oberfläche von Aufbau und Krone sowie die Ausformung des Durchtrittsprofils einer Implantatrestauration sind wichtige ästhetische Parameter. Vor allem ist eine einwandfreie statische und dynamische Okklusion zu gewährleisten. Nur so kann die keramische Restauration vor Abplatzungen (Chipping) oder Frakturen geschützt werden. Aus Patientensicht ist das optische Erscheinungsbild einer prothetischen Versorgung enorm wichtig, unter anderem, weil er dieses selbst beurteilen kann. Das impliziert, dass ästhetisch anspruchsvolle Restaurationen nur in Zusammenarbeit mit dem Patienten angefertigt werden sollten. Bei einer guten Kooperation zwischen Zahnarzt und Zahntechniker ist es möglich, das Finishing der Versorgung im Labor zusammen mit dem Patienten vorzunehmen. Qualitätsgesichertes Hygienemanagement sowie der korrekte Umgang mit dem Patienten sind die Voraussetzungen. Der Zahntechniker muss mit seinem Wissen und seiner Erfahrung über eine Vielzahl an Technologien und Materialien für Kronen, Brücken und Implantataufbauten – in Absprache mit dem Behandler – das individuell richtige Vorgehen wählen und auch anwenden können. So entsteht zum Beispiel durch die korrekte Anwendung der richtigen Keramikmassen mit optimalen lichtoptischen Eigenschaften wie Chroma, Transluzenz, Opaleszenz und Fluoreszenz eine naturkonforme Krone für das Implantat. Die folgende Fallpräsentation einer Rehabilitation mithilfe eines Implantats im Frontzahnbereich zeigt unser Konzept. Patientenfall Bei der Patientin war Zahn 21 verfärbt und nicht erhaltungswürdig (Abb. 1a). Acht Wochen nach der Extraktion des Zahns (Abb. 1b) folgte die Insertion eines Implantats mit simultaner GBR-Technik und gedeckter Einheilung. Im Rahmen der Freilegung wurde ein subepitheliales Bindegewebstransplantat zur Optimierung des bukkalen Weichgewebsvolumens vorgenommen und mittels Kunst- 59 60 BZB März 11 Wissenschaft und Fortbildung Abb. 1a: Aufgrund einer apikalen Parodontitis war der stark verfärbte Zahn 21 nicht erhaltungswürdig. Am Zahn 11 ist ein Defekt an der mesialen Schneidekante erkennbar. Abb. 1b: Der Zahn 21 wird ohne zusätzliche augmentative Maßnahmen entfernt. Abb. 2a: Nach der Abheilung der Weichgewebe wird ein Implantat in Kombination mit GBR inseriert. Abb. 2b: Nach erfolgreicher Implantatintegration, Weichgewebsaugmentation und Konditionierung der Weichgewebe mit einem implantatgetragenen Provisorium zeigt die orale Ansicht ideale dreidimensionale Alveolarkammverhältnisse. stoffprovisorium das Emergenzprofil und der Mukosaverlauf konditioniert (Abb. 2a und b). Der Zahn 11 sollte wegen des Defekts an der mesialen Schneidekante mit einem Veneer versehen werden. Der Patientenwunsch Vor Beginn der restaurativen Behandlung äußerte die Patientin den Wunsch, ihre beiden Frontzähne quadratischer erscheinen zu lassen. Die tatsächliche Wirkung der Veränderung der Form einer Zahnkrone kann sich der Patient oft nur schwer vorstellen. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, ihm die gewünschte Form mit einem Mock-up zu veranschaulichen. Nach der Einprobe des Mock-ups war unserer Patientin schnell klar, dass die von ihr gewünschte Zahnform nicht in ihr Gesicht passt (Abb. 3). Wann immer die Zahnform verändert werden soll, ist es ratsam „Probierzähne“, wie Jürg Stuck diese treffend bezeichnet, anzufertigen. Der Implantataufbau mit Krone und das Veneer Nach der Präparation des Zahns 11 für ein Veneer wird dieses samt dem Implantat in gewohnter Weise unter Verwendung eines individualisierten Abformpfostens abgeformt und ein Meistermodell hergestellt (Abb. 4a und b). Wenn die transmukosale Kontur durch das Provisorium nicht vollständig ausgeformt war, wird am Modell korrigiert. Dafür wird der kontralaterale Zahn auf einem Zweitmodell bis auf Gingivaniveau abgetragen und die dabei entstandene Umrisslinie auf ein Wachsplättchen übertragen. Durch das Umsetzen dieses Plättchens auf das Meistermodell wird das für das Implantat gewünschte Durchtrittsprofil abgebildet (Abb. 5a bis c). Ein natürlicher Zahn hat am Übergang zur Zahnwurzel fluoreszierende Bereiche. Daher ist es für eine natürliche Imitation eines Zahns sinnvoll, im labio-marginalen Anteil des Zirkoniumdioxidabutments hochfluoreszierende Schulterkeramik aufzu- Wissenschaft und Fortbildung BZB März 11 61 Abb. 3: Die Insertion des Mock-ups zur ästhetischen Probe demonstrierte der Patientin, dass die gewünschte Zahnform nicht zu ihrem Gesicht passt. Abb. 4a und b: Nach der Präparation des Zahns 11 für ein Veneer erfolgt die konventionelle Abformung des Zahns 11 und des Implantats 21 mit Polyäther-Abformmaterial. Abb. 5a bis c: Die Ausformung der transmukosalen Kontur für den Implantataufbau erfolgt in diesem Fall am Modell. Die Vorgehensweise ermöglicht die Übertragung des Wurzelquerschnitts des kontralateralen Zahns auf den Querschnitt des Abutments. brennen (Abb. 6). Gerade bei einer sehr dünnen Mukosa ist das empfehlenswert. Die Fluoreszenzmasse kann das Licht gut aufnehmen und in die Krone und die Gingiva transportieren. Würde man die Krone auf dem Aufbau ohne diese Schultermasse brennen, könnten im labialen Anteil unschöne graue Schatten das Ergebnis negativ beeinflussen. Das Anfertigen einer Krone für ein Implantat und eines Veneers für den Nachbarzahn ist eine der größten zahntechnischen Herausforderungen bei einer keramischen Restauration. Betrachtet man in diesem Fall das Veneer und die vollkeramische Krone vor der Eingliederung, ist ein deutlicher Farbunterschied zu erkennen (Abb. 7). Zum einen kann 62 BZB März 11 Wissenschaft und Fortbildung Abb. 6: Für die natürliche Imitation eines Zahns muss im labio-marginalen Anteil des Zirkoniumdioxidaufbaus hochfluoreszierende Schulterkeramik aufgebrannt werden. Abb. 7: Zwischen der vollkeramischen Krone und dem Veneer kann man einen Farbunterschied erkennen. Erst im Mund wird sich die farbliche Harmonie zeigen. Abb. 8a: Eingeschraubtes Abutment: Die Anämie der periimplantären Gingiva muss innerhalb weniger Minuten nach dem Einschrauben zurückgegangen sein. Abb. 8b: Kritische Betrachtung des Ergebnisses: Der Helligkeitswert der beiden Restaurationen stimmt nicht perfekt überein. Die Schneidekanten zeigen zu wenig Transparenz. Die Mukosa zeigt unmittelbar nach der Eingliederung kompromittierte Verhältnisse im Vergleich zum adjazenten Zahn. dies auf die Gerüstmaterialien und zum anderen auf die unterschiedlichen Schichtdicken der beiden Restaurationen zurückgeführt werden. Die farbliche Harmonie wird erst im Mund sichtbar. Das Eingliedern der Restauration Das Einschrauben des Abutments gestaltete sich in diesem Fall schwierig (Abb. 8a und b), da ein erheblicher Teil der transmukosalen Kontur des Aufbaus am Gipsmodell geformt wurde (s. Abb. 5c). Durch Druck auf die periimplantäre Gingiva besteht die Gefahr, dass eine faziale Rezession entsteht. Daher ist es sehr wichtig, dass sich die Anämie der Gingiva innerhalb weniger Minuten nach dem Einschrauben des Implantataufbaus zurückbildet. Ist das nicht der Fall, muss der die Gingiva durchdringende Anteil des Abutments entsprechend reduziert werden. Betrachten wir die hier angefertigte Arbeit kritisch, kann man erkennen, dass der Helligkeitswert der beiden Restaurationen nicht perfekt übereinstimmt und im inzisalen Bereich etwas mehr Transparenz wünschenswert wäre. Die distale Papille liegt am Zahn 11 höher als am Zahn 21 und der Gingivalsaum verläuft bei 11 anders als bei 21 (Abb. 9). Die kleinen Unzulänglichkeiten werden erst beim Öffnen der Lippen deutlich und wirken keineswegs störend (Abb. 10). Im Vergleich zu den Unterkieferfrontzähnen ist die Oberflächentextur ausgezeichnet gelungen (Abb. 11 und 12). Sechs Monate nach dem Einsetzen der Krone auf das Implantat 21 und des Veneers auf den Zahn 11 ist die Kontur der Weichgewebe symmetrisch und die Restauration der beiden zentralen Schneidezähne erscheint harmonisch. Auch im ultravioletten Licht (Abb. 13) sowie im Durchlicht (Abb. 14) wirkt die implantatprothetische Versorgung wie ein natürlicher Zahn, sodass auch bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen ein natürliches Erscheinungsbild resultiert. Wissenschaft und Fortbildung Abb. 9: Bereits drei Wochen nach dem Einsetzen zeigt sich eine vollständige Harmonisierung der Weichgewebskontur. BZB März 11 63 Abb. 10: Die kleinen Unzulänglichkeiten sind erst beim Öffnen der Lippen zu erkennen, aber sie wirken keineswegs störend. Die Passung der Restaurationen ist erstklassig, die Funktion korrekt eingeschliffen und die Farbe natürlich. Abb. 11 und 12: Sechs Monate nach dem Eingliedern der Restaurationen: Die Textur der Oberfläche passt gut zu derjenigen der Unterkieferschneidezähne, die Kontur der Gingiva ist symmetrisch – eine harmonische Restauration der beiden zentralen Schneidezähne. Abb. 13 und 14: Im ultravioletten Licht sowie im Durchlicht wirkt die implantatprothetische Versorgung wie ein natürlicher Zahn. Fazit Ein eingespieltes Team, in dem jeder Beteiligte seinen Verantwortungsbereich kompetent beherrscht und bereit ist, mehr als das Alltägliche zu leisten, ist in der Lage auch schwierige Fälle zu lösen. Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Martin Lorenzoni Abteilung für Zahnersatzkunde, Universitätszahnklinik Auenbruggerplatz 12, 8036 Graz/Österreich [email protected], www.lorenzoni.eu Literatur bei den Verfassern