Per spec tives iMP perspectives | MANAGEMENT JOURNAL | EUR 40 INNOVATIONSLOGIKEN DER ZUKUNFT 03 2011/12 I 1 EINZ GARTIGKEIT IM MANAGEMENT 3 IMP Perspectives 158 Über Höhen-Flüge UND „Durst-Strecken“ Oder über bahnbrechende Wege der Firma Durst Phototechnik AG Markus Anschober, IMP Dieter Tschemernjak, IMP Johann Wiespointner, IMP Fotoapparate … Kopiermaschinen/Postkarten … Kameras … Vergrößerungsgeräte … Digitale Druckmaschinen/Large Format Printer … Drucker für Knochen-Implantate … und Hautersatz? ?!? Wie kommt es, dass ein Südtiroler Familienunternehmen es schafft, sich seit 1929 immer wieder mit bahnbrechenden technologischen Innovationen neu zu erfinden bzw. neue Standards auf dem Weltmarkt zu definieren? 2010 wurde sogar ein eigenes Forschungszentrum in Osttirol gegründet, das sich mit Cambridge oder Palo Alto messen will. Wohin wird sich das Unternehmen noch ent­ wickeln? 03 2011/12 159 IMP sprach mit Dr. Richard Piock, dem Mann, der als Generaldirektor die Firma Durst seit 25 Jahren auf all ihren Höhenflügen begleitet. Seine Karriere im Unternehmen begann jedoch – im wahrsten Sinne des Wortes – während einer „Durst-Strecke“. Denn die Firma Durst lief Gefahr, auf der Strecke zu bleiben. Wieder einmal baten wir unsere „ER(ST)LESEN(D)E“, die sich das Interview schon vorab zu Gemüte führte, ihren Gedanken freien Lauf zu lassen. Alles begann im Jahr 1929, als die Gebrüder Julius und Gilbert Durst beschlossen, ein kleines Unternehmen für Fototechnik zu gründen. Beiden war das Interesse für die Fotografie und die Begabung für alles Technische offensichtlich schon in die Wiege gelegt, denn der Vater war Kunstmaler und begeisterte sich bereits sehr früh für die Fotografie. Die Mutter war die Tochter eines Technikers und hatte ihre eigene Dunkelkammerausrüstung. So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass Julius in jungen Jahren als Erfinder bei einem Technikum in Konstanz und sein Bruder Gilbert in einem Fotolabor in Innsbruck tätig war. Mit diesen Erfahrungen gewappnet, wagten sie den Schritt in die Selbständigkeit. Zu Beginn reparierten und bauten die Gebrüder Fotogeräte aller Art. Aber auch Projektoren für Briefmarken, Schneidemaschinen für Rollenpapier und Kopiermaschinen für Ansichtskarten gehörten zum Sortiment, das von Anfang an bunt, kreativ und unkonventionell erschien – ganz nach dem „Abbild“ der beiden Gründerväter. Jedes einzelne Gerät wurde von ihnen selbst und in Eigenregie gebaut. Mittlerweile beschäftigt das Unternehmen über 360 Mitarbeiter an drei verschiedenen Produktionsstandorten und vertreibt seine innovativen Produkte weltweit. Durst entwickelt für und mit internationalen Anwendern laufend jene neuen Technologien, die der Markt von morgen fordert. Auch wenn inzwischen nicht mehr Julius und Gilbert Durst die Fäden ziehen, so bleiben kreative und unkonventionelle Wege trotzdem ein Markenzeichen des Unternehmens. Denn auch Dr. Richard Piock, der seit 1984 das Unternehmen führt, fällt durch seine ungewöhnlichen Denk- und Handlungsweisen vollkommen aus dem Rahmen. Wer sonst käme schon auf die Idee, zwei Visitenkarten zu führen, bei der man auf der einen als Geschäftsführer und auf der anderen als Kundenberater für ein und dieselbe Firma aufscheint, nur um „näher“ am Kunden zu sein und dessen „Themen und Bedürfnisse“ zu verstehen. „Einem Kundenberater erzählt man einfach mehr als einem Geschäftsführer …“, erwähnte Dr. Piock uns gegenüber. Doch nicht nur die Nähe zu den Kunden scheint ihm wichtig zu sein, sondern auch die zu den eigenen Mitarbeitern. Er ist als guter Zuhörer bekannt und möchte Hierarchien soweit wie möglich flach halten. So bittet er seine Mitarbeiter auch selten zu sich ins Büro, sondern spricht mit ihnen vor Ort und kann somit diverse Herausforderungen und Ideen der Mitarbeiter besser aufnehmen, nachvollziehen und schneller auf diese reagieren. Auch der besonderen Bauweise des neuen kristallförmig-gläsernen Forschungszentrums liegen kommunikative Überlegungen zugrunde. Denn es gibt nur einen Weg ins Forschungszentrum und dieser wurde ganz bewusst durch die Produktionshallen des Unternehmens gelegt. „Damit wir nicht den Bezug zu dem verlieren, was wir herstellen. Wir sind immer noch ein produzierendes Unternehmen und das soll in dieser Form allen Mitarbeitern permanent ‚vor Augen’ geführt werden. Ein Elfenbeinturm der Forschung wollen wir nämlich nie sein oder werden …“, erklärte uns Dr. Piock. Auch die bereits in Planung befindliche neue Produktionshalle soll sehr unkonventionell werden. Hier denkt Dr. Piock über eine Glaskonstruktion nach, damit alle Mitarbeiter den „Durchblick“ behalten und sich eins fühlen können mit der Umgebung und mit der Natur. Am allermeisten erstaunte uns aber sein ungewöhnliches „Verhalten“, das er an den Tag legte, um die Paradoxien der österreichischen Förderlandschaft aufzuzeigen. Denn Dr. Piock musste bereits die Erfahrung machen, dass Förderansuchen zwar versprochen, aber dann nicht zugeteilt wurden. Um den Missstand aufzuzeigen, dass man zwar für alles Mögliche mehr oder weniger sinnvolle Förderungen erhält, nur nicht für „Naheliegendes“, pflanzte er vor dem neuen Forschungszentrum ein pakistanisches Reisfeld und reichte über ein Dutzend Förderansuchen für das neue Reisfeld ein! „Einige davon wurden abgelehnt, bei den anderen warten wir noch auf eine Zusage …“, meinte ein auch in dieser Hinsicht unkonventioneller Dr. Piock mit ironischem Unterton. Der Weg des Erfolges ist und war für ihn also nicht immer leicht. Doch der Reihe nach … IMP Perspectives 160 ÜBER HÖHEN-FLÜGE UND „DURST-STRECKEN“ Über Anfänge & Meilensteine IMP: Herr Dr. Piock, Ihr Lebensweg führte Sie in den 1980er-Jahren zu Durst. Wie kam es dazu? Piock: Ich hatte damals gerade die Geschäftsleitung einer Firma inne, die Klimageräte und Klimaanlagen herstellte, als ich von einem Headhunter angesprochen und informiert wurde, dass es die Firma Durst gibt, die gerade Absatzschwierigkeiten hat, weil der Markt für Amateur-Vergrößerungsgeräte seit 1980 eingebrochen war. Durst suchte also jemanden, der den Patienten „medikamentös“ behandelt. Und da kam ich dann ins Spiel. Ich hatte die Aufgabe, das Unternehmen zu analysieren. Das machte ich drei Monate lang und kam dann zum Ergebnis, dass man Produkte lancierte, die Verluste einfuhren. Produkte, die hingegen Geld eingebracht hätten, wurden nicht vorangetrieben, weil es sich dabei um Fachgeräte handelte, die sich nicht in „Mengen“ niederschlagen konnten. Hier war es auch nicht möglich, ein großflächiges Marketing zu betreiben, weil es sich um ein Business to Business-Geschäft handelte und weil man mit den eigentlichen Konsumenten nicht direkt in Berührung kam. Ich machte also einen entsprechenden Vorschlag, wie man das Unternehmen umbauen könnte – damals noch in meiner Funktion als Vizegeneraldirektor, bis ich dann 1986 zum Generaldirektor ernannt wurde. Und seither leite ich das Unternehmen. Als ich mich damals aber dafür entschied, die Generaldirektion zu übernehmen, war ich nicht angestellt, sondern freiberuflich für das Unternehmen tätig. Denn ich sagte mir: „Ich lasse mir von niemandem vorschreiben, wie ich zu sanieren habe …“ Später war ich aber sehr wohl angestellt … 03 2011/12 161 Ich wandelte Durst also von einem Vergrößerungsgeräteanbieter für den Amateurbereich in ein Unternehmen für die professionelle Fotografie um. 1987 machten wir dann schon wieder entsprechende Gewinne, allerdings in „geschrumpfter“ Form. Das heißt, Personalabbau über Kurzarbeit, Sozialplanung und Ähnliches mehr war eigentlich die einzige Möglichkeit, wie Durst überleben konnte. Der Patient war leider nicht „medikamentös“, sondern nur durch eine „Operation“ zu retten. Gedanken der „ER(ST)LESEN(D)EN“: Stopp! Irgendwie geht mir das zu schnell und ich möchte auch nicht gleich zu Beginn dieser Geschichte mit einer „Operation“ und mit der „Pathogenese“ des Unternehmens konfrontiert werden … Zumindest nicht, ohne mich vorher ausführlich mit der Durst-Erfolgsgeschichte beschäftigt zu haben. Was genau passierte also bis zu jenem Zeitpunkt, als Dr. Piock in die Firma gerufen wurde, um den „Patienten“ zu behandeln? Ich sehe auf der Homepage nach und versuche, die Geschichte der Firma zu rekonstruieren. Also: Dass das Unternehmen 1929 gegründet worden war und dass die beiden Brüder offensichtlich die Prototypen von MacGyver1 waren, konnten wir ja bereits lesen. Doch welche Pro­dukte wurden im Laufe der Zeit überhaupt hergestellt und wie kam es dazu? Da gab es einmal zum „normalen“ Bau und Verkauf von Fotoapparaten das Geschäft mit den Postkarten. Denn Südtirol war offensichtlich schon in den frühen 1930er-Jahren eine „Touristenhochburg“ und die Besucher wollten auch schon damals Karten an ihre Lieben zu Hause schreiben, damit diese möglichst gut erkennen konnten, was ihnen entging. Doch wie das Touristen häufig so an sich haben, wollen sie dann doch nicht mehr Geld als unbedingt nötig, ausgeben. Kurz und gut – die hiesigen Postkarten waren den Urlaubern zu teuer. Deshalb erfanden die Gebrüder „einfach“ schnell mal eine Kopiermaschine. Die Bildqualität wurde damit zwar schlechter, aber für die lieben Verwandten und Bekannten zu Hause schien das wohl gut genug zu sein, denn die Nachfrage nach den erschwinglichen Karten war äußerst groß. Der Absatz war aber – in der Natur der (günstigen) Sache liegend – trotzdem begrenzt. Also mussten die Gebrüder Durst schnell noch ein paar lukrativere Sachen dazu erfinden und meldeten mehrere Patente an. Es folgten zahlreiche kleine, aber bahnbrechende Erfindungen wie etwa Vergrößerungsgeräte oder die Erfindung des Autofokus. Das Geschäft mit Innovationen dieser Art lief dermaßen gut, dass Julius und Gilbert 1936 beschlossen, die Durst Phototechnik AG zu gründen. Bald konnte der Traum des ersten Serienfotoapparates namens „Gil“ verwirklicht werden. Und weil dieser Fotoapparat einer hohen Feinmechanik bedurfte, gab es kurz darauf eine eigene Abteilung zur Kamerafertigung. Das Unternehmen wuchs. In den 1940er-Jahren ging Durst in die Serienproduktion von Riesenvergrößerern für Negative. Für deren Herstellung benötigte man besonders dünnwandige Aluminiumteile. Also wandte man dafür ein Druckgussverfahren an. Weil die beiden Brüder aber offensichtlich nicht nur kreative Erfinder waren, die einen hohen technischen Anspruch hatten, sondern zudem auch ihr besonderes Augenmerk auf Ästhetik legten, stellten sie spezielle Lackmischungen her, die die Oberfläche verfeinerten und verschönerten. Das alles liest sich dermaßen „leicht“, als hätten sich die beiden ihre Erfindungen einfach nur so aus dem Handgelenk geschüttelt. Es lief gut damals. Richtig gut. Selbst der allgemein vorherrschende wirtschaftliche Abschwung – verursacht durch den 2. Weltkrieg – war bald überwunden. Ich lese weiter: 1950 war das Jahrzehnt des Wachstums. Ein Großteil der Produkte konnte im Ausland verkauft werden und erste Vertriebsgesellschaften wurden gegründet. Eine weitere Erfindung war die „Automatica“ – die erste Kamera mit Belichtungssteuerung. In den 1960er-Jahren wurde ein neues Werksgelände in Betrieb genommen. Im Jahr 1964 starb Julius Durst – der kreativere Kopf der beiden – an den Folgen eines Verkehrsunfalles. Sein von ihm geformtes und IMP Perspectives 162