Landau Festvortrag

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Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte
und Jugendgerichtshilfen e.V.
100 Jahre Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen
Festakt der DVJJ und der Stadt Köln
am 26. Mai 2008 im Rathaus zu Kön
Die Texte unterliegen urheberrechtlichem Schutz
Quellen-Nachweis: Landau: 100 Jahre Jugendgerichte & JGH: Der Umgang mit straffälligen jungen
Menschen in Straf- und Verfassungsrecht, Hannover 2008,
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Prof. Herbert Landau
Festvortrag
Strafbedürfnis und Schutzbedürftigkeit: Der Umgang mit
straffälligen jungen Menschen in Straf- und Verfassungsrecht
1
Einleitung
Strafbedürfnis und Schutzbedürftigkeit sind keine fundamentalen Gegensätze, sie sind nicht antinomisch, sie stehen sich nicht unversöhnlich gegenüber wie feindliche Bollwerke. Sie sind vielmehr eher einem Spannungsbogen, einem weitgeschwungenen Viadukt vergleichbar, beschreiben
unterschiedliche Bögen und Streben dieses Viadukts, sie dienen aber in vielem dem gleichen Ziele: Die aus der Menschenwürde fließende Freiheit und
Autonomie des jungen Menschen zu sichern und sie mit der dem Menschenbild des Grundgesetzes inhärenten Gemeinschaftsgebundenheit der
Person zu verbinden und auszugleichen. Wo würde der gemeinsame Weg
über dieses Viadukt, diesen Spannungsbogen, deutlicher als im Schuldbegriff, der aus Art. 1 GG folgt? Dieser ist Voraussetzung jeder strafrechtlichen
Verantwortlichkeit - auch des jungen Menschen unter der Geltung des jugendstrafrechtlichen Erziehungsprinzips - und wirkt andererseits begrenzend und limitierend und damit freiheitssichernd. Über diesen Spannungsbogen fahren die Züge verfassungsrechtlicher Werte und Normen: Freiheit
und Gleichheit, Mitmenschlichkeit und Solidarität, die Würde der Person
und die Schutz- und Gewährleistungspflichten des Staates auf Erziehung,
Bildung und Sicherung der sozialen Teilhabe.
Angesichts dieses verfassungsrechtlichen Rahmens verwundert die Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit der Diskussion um das Phänomen der Jugendkriminalität. Dabei steht die Heftigkeit auch ganz im Gegensatz zur Langle-
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bigkeit und Dauerhaftigkeit des Phänomens, an deren Episodenhaftigkeit
und Ubiquität sich in den letzten 100 Jahren seit Gründung der ersten Jugendgerichte wenig geändert hat. Wir handeln von einen uralten Problem,
das die Antike beschäftigt hat, und wir erinnern uns der Worte Shakespeares im Wintermärchen: „Ich wollte es gäbe gar kein Alter zwischen 10 und
1
23, oder die jungen Leute verschliefen die ganze Zeit“ .
Im statistischen und historischen Sinne begegnet uns deshalb ein „normales“ Phänomen, dass nämlich über Generationen hinweg junge Menschen
2
unter den Straftatverdächtigen überrepräsentiert sind . Die Heftigkeit der
Diskussion - insbesondere in Zeiten politischer Auseinandersetzungen korreliert mit der Unversöhnlichkeit der Positionen. Forderungen nach Verschärfung und nach höheren und empfindlicheren Strafen sehen sich eindeutiger Ablehnung durch große Kreise der Fachwelt gegenüber. Die einen
wollen mehr Sicherheit und fragen wenig danach, ob das Ziel des Strafens
überhaupt mit dieser Forderung vereinbar ist - ist doch Sicherheit bestenfalls die Folge des Strafens, nicht jedoch dessen unmittelbarer Zweck. Die
anderen tragen möglicherweise der gestiegenen realen Verbrechensfurcht
zu wenig Rechnung und schätzen die Verwerfungen in Gesellschaft und
Staat zu gering ein. Diese Verwerfungen lassen sich als Desorientierung
und Risikofurcht und als Verlust von Vertrauen beschreiben, ein Verlust,
der zu steigenden Kontroll- und Strafbedürfnissen führt.
Längst haben Kriminologen die gefühlte Bedrohung beschrieben - mithin
die Unterscheidung zwischen der realen Wahrscheinlichkeit, Opfer eines
Verbrechens zu werden und eben der realen Verbrechensfurcht der Bevölkerung. Subjektive Verbrechensfurcht und objektive Bedrohung brechen gerade dort auseinander, wo sich gesellschaftliche Ängste ausbreiten und die
3
Rufe nach dem kontrollierenden und sichernden Staat laut werden . Wohl
wahr: Sicherheitsbedürfnisse sind zentrales Politikum, mit dem demokratische Macht erstrebt wird. Aber manipulierte Angst vor Jugendkriminalität
ist Gift für die Garantien und Schutzmechanismen des Strafverfahrens.
Zentrale Konzepte auch des Jugendstrafverfahrens bleiben die ultima ratio
des Strafrechts, die Personalität der Schuld und die rechtsstaatlichen Garantien des an der Unschuldsvermutung orientierten Strafverfahrens.
Die Entwicklung vom klassischen Bürgerstrafrecht hin zu einem „Feind4
strafrecht“ wäre der Tod der aufklärerischen Moderne im Strafverfahren, es
wäre die Ausweitung zu einem strafrechtlichen Gefahrenabwehrrecht und
würde den kunstvollen Spannungsbogen des Viadukts zerbrechen lassen.
Trotz großer Herausforderungen durch terroristische Bedrohungen, durch
Probleme der Integration und durch den zu beobachtenden Verlust an Werten und Normen sind wir von einer Krise - ausgelöst durch Jugendkriminalität - weit entfernt. Auch die im Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht
der Bundesregierung ausgewiesene Steigerung der Körperverletzungsdelikte ändert an diesem Befund nichts. Nach dem Bericht zeigten sich bis 1998
in den polizeilichen Statistiken deutliche Anstiege der offiziell als tatver1
3. Akt, 7. Szene.
2
Vgl. etwa Pruin, 2006, S. 259; Bundesministerium des Innern & Bundesministerium der
Justiz, 2006, S. 361, 480.
3
Vgl. etwa Hassemer, 2008, S. 38 ff. m. w. N.
4
Vgl. Jakobs, 2005.
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dächtig registrierten jungen Menschen. Seitdem fänden sich deutliche
Rückgänge für Eigentumsdelikte. Schwerwiegende Gewaltdelikte wie Tötungen und Raubdelikte seien ebenfalls zurückgegangen. Der Sicherheitsbericht wertet Anstiege, soweit sie sich beobachten lassen, als Ergebnis vor
allem veränderter Bewertungen und einer gestiegenen Anzeigebereitschaft,
geht mithin vor allem von einer Verschiebung vom Dunkel- ins Hellfeld
aus. Eine Zunahme gravierender Formen der Delinquenz junger Menschen
in Gestalt von erhöhten Zahlen von Mehrfach- und Intensivtätern lasse sich
5
nicht nachweisen . Es sind auch die öffentlichen Diskussionen zum Thema
Jugendkriminalität weniger von objektiven statistischen Tatsachen geprägt,
als von Berichten über Entwicklungen oder Einzelfälle, die als bedrohlich
empfunden werden. Die Medien tun mit Skandalisierung das Ihrige dazu.
In solchen Fällen ist aber eine ausgewogene Bewertung gerade besonders
wichtig. Einerseits darf bei spektakulären Ereignissen, wie den U-Bahn6
Überfällen , nicht aus den Augen verloren werden, dass es sich um Einzelfälle handelt, die natürlich dazu angetan sind, eine "gefühlte Lage" der Bedrohung herbeizuführen und daher auch zu überzogenen Reaktionen im
politischen Raum führen können. Andererseits liegt gerade in manchen Fäl7
len - wie etwa in dem Stuttgarter Zementmord-Fall - auf der Hand, dass in
dem jeweiligen Einzelfall eine Bestrafung der Täter unumgänglich und legitim ist.
2
Strafbedürfnis
2.1
Der verfassungsrechtliche Rahmen strafrechtlicher Vorschriften
8
In der Entscheidung des Zweiten Senats zum Inzeststraftatbestand ist der
verfassungsrechtliche Rahmen für den Gesetzgeber bei der Schaffung von
Strafrechtsnormen erneut weit gezogen worden. Danach wird das Strafrecht
als "ultima ratio" des Rechtsgüterschutzes eingesetzt, wenn ein bestimmtes
Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich,
seine Verhinderung daher besonders dringlich ist. Es ist aber grundsätzlich
Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns verbindlich festzulegen. Er ist bei der Entscheidung, ob er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich erscheint, gerade mit den Mitteln des Strafrechts
verteidigen und wie er dies gegebenenfalls tun will, grundsätzlich frei; insbesondere aus der strafrechtlichen Rechtsgutslehre lassen sich keine strengeren Anforderungen folgern. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich
darüber zu wachen, dass die Strafvorschrift materiell in Einklang mit den
Bestimmungen der Verfassung und den Verfassungsgrundsätzen steht, zu
9
denen vor allem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zählt . Dieser Rah5
Bundesministerium des Innern & Bundesministerium der Justiz, 2006, S. 354.
6
Vgl. nur Zeitungsartikel Wieder brutale Überfälle von Jugendlichen, Welt Online vom 8. Januar 2008,
www.welt.de.
7
Vier junge Menschen im Alter von 17 bis 23 Jahre hatten einen Gymnasiasten aus (zudem unbegründeten) Eifersuchtsmotiven getötet und anschließend die Leiche zerstückelt, in Blumenkübeln
einbetoniert und im Neckar versenkt; vgl. etwa Zeitungsartikel Beziehungsgeflecht bis zur Schreckenstat. FAZ v. 6. März 2008 S. 9, und Staatsanwalt für höhere Strafen, Stuttgarter Nachrichten
vom 11. März 2008, www.stuttgarter-nachrichten.de.
8
BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008 - 2 BvR 392/07 -, NJW 2008, 1137.
9
BVerfG, a. a. O., S. 1138.
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men bezieht sich indes nicht nur auf die Schaffung von Straftatbeständen,
sondern auch auf die Strafrahmenhöhe und - jedenfalls im Grundsatz - auch
auf Maßregeln der Sicherung und Besserung. Er betrifft die Frage, welche
Schutzgüter der Gesetzgeber als schutzwürdig ansehen will, ebenso wie die
Frage der zu wählenden Deliktsart, ob er beispielsweise zum Schutz vor bestimmten Bedrohungen die Anzahl der abstrakten Gefährdungsdelikte noch
weiter erhöhen will. Der kriminalpolitische Spielraum des Gesetzgebers ist
also bis an die Grenzen der Verhältnismäßigkeit ausgedehnt.
2.2
Die Bedeutung des Strafrechts in der gesellschaftlichen und
staatlichen Ordnung
Die Weite des gesetzgeberischen Beurteilungs- und Ermessensspielraums
deckt sich mit der Weite der Zielsetzung des Strafverfahrens. Dessen Telos
liegt in eher einfachen sozialen Zusammenhängen begründet: Der Notwendigkeit nämlich, im Sinne eines umfassenden inneren Rechtsfriedens soziale Kontrolle durch staatliche Organe auszuüben. Strafrechtspflege ist zwar
nur ein Teil gesellschaftlicher und sozialer Kontrolle. Entscheidend ist immer das Gesamtsystem sozialer Kontrolle, das Rechtsfrieden ermöglicht.
Ohne Strafrecht kann aber kein Staat bestehen, der Schutz des Zusammenlebens von Menschen in Gemeinschaften ist fundamentale Aufgabe, ja eines
der wesentlichen Ziele des Staates überhaupt. Es ist die Vorbedingung für
jedes menschenwürdige Dasein in Freiheit und Sicherheit. Im Blick auf das
Ziel, Sozialverträglichkeit und Rechtsfrieden herzustellen, ist das Strafrecht
10
in den Augen des Volkes oft das Recht schlechthin . Der erste, konstitutive
Zweck des Rechtsstaates ist denn auch die Befriedung der Gesellschaft, die
Gewährleistung von Frieden und Freiheit. Dies gelingt aber nur dann, wenn
der Staat dafür Sorge trägt, dass im Staat kein berechtigter Grund zur Furcht
besteht, andernfalls das Recht zur Selbstverteidigung wieder aufleben würde. Das Instrument hierfür ist das Gewaltmonopol.
2.3
Die Bedeutung der Effektivität staatlicher Strafverfolgung
Der moderne Staat steht und fällt damit, dass er das Gewaltmonopol gegenüber den nichtstaatlichen Kräften effektiv behauptet und dort, wo er die Gewalt durch Private im Einzelfall nicht verhindern kann, jedenfalls verhindert, dass ihr Legitimität im Gemeinwesen zuwächst. Das Gewaltmonopol
verteidigt den Rechtsstaat jedoch zugleich gegenüber dem Sanktionierungsbedürfnis der rechtstreuen Gemeinschaft. Nähme der einzelne Bürger das
Recht selbst in die Hand, bedeutete dies das Ende des Rechtsfriedens wie
auch des Rechtsstaates, weil mit der Selbstjustiz die rechtsstaatliche Berech11
tigung und Richtigkeit der Sanktion entfiele . Ohne eine funktionstüchtige
Strafrechtspflege kann daher kein Rechtsfriede, der auf der sichtbaren und
erlebbaren Unverbrüchlichkeit der Normen beruht, eintreten. Unzureichende Effektivität der Strafrechtspflege beeinträchtigt und zerstört die Bereitschaft des Bürgers, sich der Rechtsordnung und dem Gewaltmonopol zu
unterwerfen und begünstigt Eigenmacht und Selbstjustiz. Eine funktionstüchtige Strafrechtspflege entschärft das Aggressionspotential der Gesellschaft und verwirklicht so die Herrschaft der Gesetze, auf die der Verfas-
10
11
Vgl. zu alledem Landau, 2007, S. 125 m. w. N.
Vgl. Jescheck/Weigend, 1996, S. 64 ff.
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sungsstaat angelegt ist . Das Ziel der Strafrechtspflege liegt deshalb in der
Sicherung der Akzeptanz sozial-ethischer Standards. Der Kernbereich vorgegebener sozialethischer Werte - etwa: Leben und Leib zu schützen, das Eigentum und die Ehre anderer zu achten und den Frieden zu wahren - muss
jede staatliche Ordnung um ihrer selbst willen und um ihrer Staatsbürger
willen aufrechterhalten. Das Strafbedürfnis auch im Bereich der Jugendkriminalität folgt aus diesen staatstheoretischen Überlegungen.
2.4
Strafzwecke
Eine weitere, verfassungsrechtlich ebenfalls dem Rahmen nach abgesteckte
Frage, ist die nach dem Zweck des Strafens. So sollen Strafen bessernd auf
den Täter einwirken, indem sie dem Täter das Unrecht seiner Tat vor Augen
führen und einen Anreiz schaffen, sich rechtstreu zu verhalten. Strafe soll
spezialpräventiv wirken und Bestrafung soll der positiven Generalpräventi13
on dienen . Eine Gesellschaft muss durch strafende Reaktion ausdrücken
können, dass sie bestimmte Werte für wichtig hält und nicht bereit ist, diese
Werte aufzugeben. Gerade auch gegenüber jungen Menschen wird dieses
Interesse der Gemeinschaft deutlich, auch dann, wenn männliche Jugendliche mit islamisch-fundamentalistischem Hintergrund die Gleichberechti14
gung der Frau oder rechtsradikale Gruppen die Gleichberechtigung aller
Ethnien in der deutschen Gesellschaft nicht akzeptieren wollen und dies
durch Straftaten auch zum Ausdruck bringen.
Die positiv-generalpräventive Funktion steht im Zusammenhang mit einem
ursprünglichen Grundgedanken der Strafe, nämlich der Vergeltung, ein Ge15
sichtspunkt, der entgegen manch anders lautenden Stimmen auch heute
noch selbständige Bedeutung hat. Im aufklärerischen Verständnis des
18. Jahrhunderts bedeutet Vergeltung, dass die Strafe eine Antwort auf das
verschuldete Unrecht darstellt und diesem nach dem Grundsatz der austei16
lenden Gerechtigkeit gleichwertig sein soll . Vergeltung setzt Schuld voraus. Nur die Zumessung nach der Schuld entspricht dem Menschenbild des
Grundgesetzes, weil nur so der Täter in seiner Personalität wahrgenommen
17
und ernstgenommen wird . Damit hat der Schuldbegriff im Strafrecht eine
feste, durch den einfachen Gesetzgeber nicht veränderbare Form angenommen. Er führt zu einer heilsamen Begrenzung im Strafrecht, weil
Schuld nicht nur persönliche Verantwortlichkeit voraussetzt, sondern auch
Strafen eng limitiert. Ein reines Präventionsstrafrecht tendiert zur Maßlo18
sigkeit , weil Sicherheitsbedürfnisse, die ein präventives Strafrecht antrei12
Vgl. BVerfGE 107, 104, 118 f.: „Die Sicherung des Rechtsfriedens durch Strafrecht ist seit jeher eine wichtige Aufgabe staatlicher Gewalt. Die Aufklärung von Straftaten, die Ermittlung des Täters,
die Feststellung seiner Schuld und seine Bestrafung wie auch der Freispruch des Unschuldigen
sind die wesentlichen Aufgaben der Strafrechtspflege […], die zum Schutz der Bürger den staatlichen Strafanspruch in einem justizförmigen und auf die Ermittlung der Wahrheit ausgerichteten
Verfahren in gleichförmiger Weise durchsetzen soll […]. Strafnormen und deren Anwendung in
einem rechtsstaatlichen Verfahren sind Verfassungsaufgaben.“
13
Zu den Strafzwecken vgl. näher Jescheck/Weigend, 1996, S. 68 f.
14
Vgl. Zeitungsartikel Volksverhetzung war das nicht: Der Fall dreier Türken vor dem Berliner Jugendgericht, die jungen Frauen mit "Vergasung" gedroht haben, FAZ v. 7. Mai 2008, S. 40.
15
Heinz, 2005, S. 168.
16
17
Jescheck/Weigend, 1996, S. 66.
Zum verfassungsrechtlichen Rang des Schuldgrundsatzes vgl. insbesondere BVerfGE 45, 187, 259
f..
18
P.-A. Albrecht, 2000, S. 76.
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ben - sowohl normativ als auch empirisch - prinzipiell grenzenlos sind . Es
verlässt die Grenzen des deutschen Rechtsstaats.
2.5
Exkurs: Strafe und Erziehung
2.5.1 Begriffe
An dieser Stelle sind nun einige Worte zum Verhältnis von Strafe und Erziehung angezeigt. Kohlrausch hat das Verhältnis von Strafe und Erziehung
20
als das Problem des Jugendstrafrechts gekennzeichnet . Wie sich Strafe
und Erziehung zueinander verhalten, hängt ganz entscheidend davon ab,
was Zweck der Strafe und Zweck der Erziehung ist. Ist Zweck der Strafe
auch die Einwirkung auf den Einzelnen mit dem Ziel, dass er zukünftig
keine Straftaten mehr begeht, so kann ein solches Konzept der Legalbewährung auch als erzieherische Zielvorstellung dienen. Natürlich ist Legalbewährung ein ausgesprochen bescheidenes und aus rein erzieherischer Perspektive wohl auch nicht ausreichendes Erziehungsziel, aber umgekehrt gehört doch die Befolgung von Regeln zu den Mindeststandards vieler Erziehungsziele. Im Rahmen des geltenden Jugendstrafrechts ist sie, wie aus § 2
Abs. 1 JGG hervorgeht, nicht nur ein, sondern das Erziehungsziel. Dass in
Fällen, in denen Defizite an Kenntnissen, Fähigkeiten oder sozialen Kompetenzen Ursache der Normübertretung waren, zu dem Ziel der Legalbwährung die Pflicht zur Förderung der Entwicklung hinzutritt, ist Ausfluss der
staatlichen Schutz- und Gewährleistungspflichten und Teil des Spannungsbogens, den ich beschrieben habe. Schutz- und Gewährleistungsverpflichtung sind besonders filigrane, aber auch unverzichtbare Streben des Viadukts.
2.5.2 Ziele der Strafe und Ziele der Erziehung
„Wer gerecht erziehen will“ so Bernhard Bueb - “muss bereit sein zu stra21
fen" . Es ist zu kurz gegriffen, Buebs Erziehungsphilosophie als "Manifest
22
der Reaktion" zu begreifen . Das geltende Recht jedenfalls stimmt mit Bueb
insofern überein, als es sich in großem Umfang solcher Mittel bedient, die
auch strafenden Charakter haben, neben der Jugendstrafe beispielsweise die
Zuchtmittel. Buebs Ansicht lassen sich zwei wichtige Gedanken für das
Verhältnis von Erziehung und Strafe entnehmen: Erstens und vor allem
muss eine Strafe schnell auf die Tat folgen, damit sie erzieherisch über23
haupt wirksam sein kann . Aktuelle Projekte wie etwa in Berlin-Neukölln
24
setzen hier an . Solche verlangen nach verstärktem Personal- und Sachmitteleinsatz.
Zweitens - und dies ist unabdingbar - müssen Strafen gerecht sein, um er25
zieherisch überhaupt wirksam werden zu können . Nur dies verspricht,
dass der Betroffene die Einsicht zeigen kann, ohne die sinnvolle erzieherische Einwirkung nicht möglich ist. Maßstab der Gerechtigkeit ist aber das
19
20
21
22
23
24
Hassemer, 2008, S. 47.
Vgl. Lange, 1944, S. 53.
Bueb, 2006, S. 107.
So aber Brumlik, 2007, S. 352.
Bueb, 2006, S. 112.
Vgl. "Nach zwei Wochen das Gerichtsurteil - Junge Täter sollen schneller bestraft werden", Berliner Zeitung vom 14. Mai 2008.
25
Bueb, 2006, S. 109.
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Verhältnis des Strafmaßes zu dem geschehenen Unrecht - also der Kern des
Vergeltungsgedankens. Damit wird auch die Schuldangemessenheit der
26
Strafe zum Maßstab des erzieherisch Sinnvollen . Beide, Strafe und Erziehung, beruhen eben auf dem gemeinsamen Fundament des Spannungsbogens, nämlich der Würde des Menschen und der Werteordnung des Grundgesetzes. Die Strafe, kanalisiert durch das Schuldprinzip, wirkt punktuell,
Erziehung mit ihren vielfältigeren, kreativeren und konzeptionelleren Möglichkeiten zielt auf Selbstbestimmung und freiheitliche Verantwortung.
Im Verhältnis von Erziehung und Strafe erscheint schließlich der Gedanke
zunächst nicht unplausibel, dass Strafen unter Umständen ausreichendes
Gewicht und Dauer haben müssen, um Erziehung überhaupt erst zu ermöglichen. Die Strafe muss danach geeignet sein, den Täter für die erziehe27
rische Einwirkung zu öffnen . Hier handelt es sich jedoch um einen fragwürdigen Punkt: Ein solcher Gedanke steht in einem ganz besonders kritischen Spannungsverhältnis zu der sogleich zu erörternden Frage der
Schutzbedürftigkeit junger Menschen.
3
Schutzbedürftigkeit junger Menschen
Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten, allein
auf seine Freiheit und Selbstverwirklichung bezogenen Menschen, der sich
selbst genügend alle freiheitlichen Möglichkeiten ausschöpft. Das Men28
schenbild ist auch das einer gemeinschaftsgebundenen Person , die sich
der besonderen Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Staat bewusst
ist und diese ausfüllt.
Allerdings differenzieren die Pflichten der Gemeinschaftsbezogenheit schon
unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgebots nach den Eigengesetzlichkeiten, Potentialen und Fähigkeiten der Menschen. Aus der besonderen Lebenssituation junger Menschen ergeben sich eben auch besondere
Empfindlichkeiten gegenüber den negativen Wirkungen von Strafe und
folgt auch ihre besondere Schutzbedürftigkeit.
3.1
Die grundsätzliche Anerkennung der besonderen
Schutzbedürftigkeit in der Strafvollzugsentscheidung des Zweiten
Senats des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2006
29
In seiner Entscheidung zum Jugendstrafvollzugsgesetz vom 31. Mai 2006 die man durchaus als Leitentscheidung für das gesamte Jugendstrafverfahren betrachten kann - führt der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts
aus, Strafen wirkten sich für Jugendliche in besonders einschneidender
Weise aus. Es ergäben sich spezielle Bedürfnisse, besondere Chancen und
Gefahren für die weitere Entwicklung und eine besondere Haftempfindlichkeit, vor allem auch eine spezifische Empfindlichkeit für mögliche schädli26
Vgl. Schaffstein & Beulke, 2002, S. 8.
27
Dieser Gedanke hat in der jüngeren Vergangenheit offenbar für die Strategie der für junge Intensiv- und Mehrfachtäter zuständigen Abteilung der Staatsanwaltschaft Berlin eine gewisse Bedeutung gehabt; vgl. Reusch, 2007, S. 299, wonach die Strafe die Vorteile und Annehmlichkeiten, die
Täter alltäglich aus der Begehung von Straftaten ziehen (mindestens) kompensiert werden müssen, bevor es überhaupt aus Sicht des Betroffenen rational wäre, sich für erzieherische Einwirkung
zu öffnen.
28
Vgl. etwa BVerfGE 30, 1, 20; 34, 238, 246; 117, 71, 89.
29
BVerfGE 116, 69.
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che Auswirkungen des Strafvollzugs. Ein der Achtung der Menschenwürde
und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlichen Strafens verpflichteter Strafvollzug müsse diesen Besonderheiten Rechnung tragen. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, ein wirksames Resozialisierungskonzept zu entwickeln, den Strafvollzug hierauf aufzubauen und dieses Konzept zu evaluieren. Wegen des besonderen verfassungsrechtlichen Gewichts, das dem
Ziel der Vorbereitung auf künftige straffreie Lebensführung junger Menschen zukomme, erwachse dem Staat auch eine besondere positive Verpflichtung. Der Staat sei danach gehalten, den Jugendstrafvollzug so auszustatten, wie es zur Realisierung des Vollzugszieles der Resozialisierung erforderlich sei. Dies betreffe insbesondere die Bereitstellung von Bildungsund Ausbildungsmöglichkeiten, Formen der Unterbringung und Betreuung, die soziales Lernen in Gemeinschaft ermöglichen, aber auch den
Schutz der Inhaftierten vor wechselseitiger Gewalt, ausreichende pädagogische und therapeutische Betreuung sowie eine mit angemessenen Hilfen
für die Phase nach der Entlassung verzahnte Entlassungsvorbereitung.
Diese auf den Jugendstrafvollzug bezogenen Anforderungen an den Gesetzgeber lassen sich im Sinne eines Differenzierungsgebotes verstehen und in
diesem Sinne auf das Jugendstrafrecht übertragen: Beim Strafvollzug darf
der Gesetzgeber junge Menschen gerade nicht wie Erwachsene behandeln,
sondern muss ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit Rechnung tragen. Junge Menschen befinden sich danach in einem Reife-, Lern- und Entwicklungsprozess, der sie für positive wie negative Einwirkungen empfänglich
und empfindlich macht. Der Übergang von der Kindheit zum Erwachsensein ist für junge Menschen eine Zeit besonderer innerer und äußerer
30
Spannung . Diese sozialpsychologisch dynamischen Verläufe muss das Jugendstrafrecht nicht nur für den Bereich des Jugendstrafvollzuges angemessen reflektieren. Soweit ich sehe, ist die abstrakte Einteilung in Lebensphasen nach den Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie überholt.
Früher konnte man annehmen, dass etwa mit einem Alter von etwa
18 Jahren einschneidende Änderungen auftraten und die Verantwortlichkeit
31
des jugendlichen Täters deutlicher hervortrete . Inzwischen wird in der
entwicklungspsychologischen Literatur deutlich, dass Entwicklungsphänomene nicht schlicht vom Alter, sondern von einer Vielzahl von Ereignissen,
32
von intern und extern beeinflussten Prozessen, abhängig sind . Wenn man
von Lebensphasen spricht, muss einem bewusst sein, dass es sich hier um
eine definitorische Ordnung handelt, die relativ willkürlich vorgegeben
wird. Entwicklung ist eben weit weniger starr, als früher angenommen, sie
ist individuell und kulturell variabler sowie aufgaben-, inhalts- und funkti33
onsbereichspezifischer, als große Phasenlehren dies bislang suggerierten .
Eine Kopplung von bestimmten Reifezuständen an feste Altersgrenzen er34
scheint deshalb auf rein empirischer Basis nicht möglich . Für die Frage,
wann die volle Verantwortlichkeit einsetzt, ist dies von Bedeutung. Einschneidende Entwicklungsfortschritte sind insbesondere um die Vollendung
des 18. Lebensjahres eben noch nicht zu erwarten. Vielmehr stellen auch die
30
31
32
33
34
Vgl. näher Schaffstein & Beulke, 2002, S. 4 f.
Vgl. Pruin, 2006, S. 260.
Selg & Weinert, 2005, S. 241.
Selg & Weinert, 2005, S. 257 f.
Pruin, 2006, S. 260.
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Folgejahre eine Umbruchphase dar, in welcher die Entwicklung zum Erwachsenen im Zuge eines fließenden Übergangs abgeschlossen wird und
die sich durch eine besondere Anfälligkeit für psychische Erkrankungen,
psychosoziale Belastungen und alterstypische Adaptionsleistungen aus35
zeichnet .
Soziologische Erkenntnisse zur schulischen und beruflichen Ausbildung
36
und der Familiengründung bestätigen diesen Befund . Diese empirischen
Erkenntnisse führen zur verfassungsrechtlichen Pflicht, das gesellschaftliche Strafbedürfnis jungen Menschen gegenüber differenziert zu betrachten
und ihre besondere Schutzbedürftigkeit zu betonen.
Unter dem Gesichtspunkt der Individualprävention stellt sich bei delinquentem Verhalten junger Menschen die Frage, ob die im Einzelfall begangene Straftat nicht als episodenhafte und als quasi "normale" Erscheinung
betrachtet werden kann, der auch ohne weitere Intervention in Zukunft
37
normkonformes Verhalten folgen wird . Auch unter generalpräventiven Gesichtspunkten machen episodenhafte, jugendtypische Straftaten eine Reaktion durch Strafe nicht unbedingt erforderlich. Andererseits ist zu betonen,
dass bei allen guten Gründen, die für ein umsichtiges und oft auch nachsichtiges Reagieren auf Straftaten junger Menschen sprechen, es nicht zu
rechtfertigen wäre, die Intervention durch Strafe rundweg abzulehnen. Dies
gilt endgültig dann, wenn junge Menschen im Einzelfall schwere Straftaten
38
begehen oder als Wiederholungstäter auffallen . Schließlich führt die besondere Empfänglichkeit für Einflüsse von außen zum einen dazu, dass bei
jungen Menschen eine günstige Veränderung der Umwelt und beharrliche
39
Erziehungsarbeit wesentlich eher Erfolg versprechen als bei den Älteren .
Zum andern gebieten diese Faktoren, besonders gründlich zu prüfen, welche negativen Auswirkungen eine Bestrafung haben kann; es muss daher
sorgfältig abgewogen werden, inwieweit ein Strafbedürfnis unter Berücksichtigung einer möglichen weiteren Schädigung des jungen Menschen und
seiner Entwicklungsperspektiven überhaupt besteht. In der Adoleszenz ist
40
die Gefahr schädlicher Wirkungen der Strafe - gerade der Haft - groß . Diese Erkenntnisse haben sich weltweit durchgesetzt. Den internationalen
Grundsätzen des Jugendkriminalrechts, die sich beispielsweise aus der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen ergeben, ist gemeinsam, dass
41
sie eine besondere Stellung des jungen Menschen anerkennen .
35
Freisleder, 2000, S. 63 unter Verweis auf neuere psychiatrische Studien. Vgl. auch BGH, Urteil
vom 9. August 2001 - 1 StR 211/01-, NJW 2002, 73, 77.
36
Vgl. Pruin, 2006, S. 260 f.
37
Vgl. nur Bundesministerium des Innern & Bundesministerium der Justiz, 2006, S. 357.
38
Vgl. Ohder, 2007, S. 56: Der Umstand, dass eine geringe Anzahl jugendlicher Straftäter viele
und auch schwere Delikte begeht und sich dieses Verhalten bis in das dritte Lebensjahrzehnt und
darüber hinaus fortsetzen kann, zählt zu den stabilen Befunden kriminologischer Forschung.
Zum Phänomen der „Mehrfach“- oder „Intensivtäter“ siehe auch Bundesministerium des Innern & Bundesministerium der Justiz, 2006, S. 358; Lütkes & Rose, 2005, S. 64 unter Verweis
auf H.-J. Albrecht, 2002, S. D 33 m. w. N.; Bundesministerium des Innern & Bundesministerium der Justiz, 2001, S. 480 f.
39
Schaffstein & Beulke, 2002, S. 6.
40
Zur besonderen Anfälligkeit junger Menschen für schädliche Wirkungen der Strafe: BT-Drs.
11/5829, S. 1; speziell zur Situation im Jugendstrafvollzug Walter, 2006, S. 249 m. w. N.; P.-A.
Albrecht, 2000, S. 53; vgl. auch Dünkel, 1999, S. 100.
41
H.-J. Albrecht, 2002, S. D 75 ff.
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Vor diesem Hintergrund eines auf die Besonderheiten des jungen Lebensalters gestützten Differenzierungsgebotes sind die weiteren verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Jugendstrafrechts zu sehen,
wie sie exemplarisch einigen grundlegenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu entnehmen sind.
3.2
Weitere verfassungsrechtliche Gesichtspunkte
3.2.1 Formale Garantien
Grundrechte und das Rechtsstaatsprinzip schützen natürlich auch den jungen Menschen vor unkontrolliertem Zugriff des Staates. Der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG, die in Art. 2 Abs. 2 sowie Art. 104
GG verbürgten Freiheitsgarantien und die im Rechtsstaatsprinzip angelegten Garantien des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der Unschuldsvermutung und des Rechts auf ein faires Verfahren haben Bedeutung für
die Gestaltung des Strafverfahrens und für die zu verhängenden Sanktio42
nen. In einem Beschluss vom 9. Dezember 2004 hat das Bundesverfassungsgericht in der Anordnung von Jugendarrest neben der Aussetzung der
Verhängung einer Jugendstrafe einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG gesehen. Die Zuchtmittel des Jugendstrafrechts sind danach Strafen im Sinne
der grundgesetzlichen Vorschriften. Das Gebot der Gesetzesbestimmtheit
sei nicht auf die Strafen nach dem Erwachsenenstrafrecht beschränkt und
beziehe sich zugleich auf die Ahndungsmittel nach § 5 Abs. 2 JGG. Denn
der Jugendarrest enthält neben den Elementen der Erziehung auch solche
der Strafe. Diese Entscheidung verdeutlicht, dass die verfassungsrechtlich
geforderte Rücksichtnahme auf die besondere Lebenssituation junger Menschen nicht dazu führen kann, dass die für junge wie erwachsene Menschen
gleichermaßen geltenden formalen Garantien des Grundgesetzes unterlaufen werden.
3.2.2 Erziehung, Erziehungsrecht und Wächteramt des Staates
43
Aus einem Beschluss vom 13. Januar 1987 , der in der Weisung, Arbeitsleistungen zu erbringen, keine Verletzung des Schutzbereichs von Art. 12 GG
sah, sind vor allem die Ausführungen des Gerichts zum Erziehungsgedanken und seiner verfassungsrechtlichen Bewertung von Interesse. Für gesetzlich begründete Arbeitspflichten könne sich der Staat auf eine Erziehungsaufgabe gegenüber jugendlichen Heranwachsenden stützen. Die staatliche
Erziehungsaufgabe sei subsidiär gegenüber dem vom Grundgesetz in Art. 6
Abs. 2 GG anerkannten natürlichen Erziehungsrechten der Eltern. Der Staat
dürfe danach das elterliche Erziehungsrecht schützen, fördern und darüber
wachen, es aber nicht verdrängen oder verkürzen. Erziehungsmaßregeln
nach Art des Jugendgerichtsgesetzes seien als Erziehungshilfen zu qualifizieren. Sie seien auch noch gegenüber dem Heranwachsenden aus dem
subsidiären Erziehungsauftrag des Staates gerechtfertigt. Obwohl das Erziehungsrecht mit 18 Jahren erlösche, dürfe der Gesetzgeber davon ausgehen,
dass das staatliche Erziehungsrecht in einem sowohl zeitlichen als auch gegenständlich begrenzten Umfang noch fortwirke.
42
43
2 BvR 930/04, NJW 2005, 2140.
BVerfGE 74, 102.
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Mit dem Verhältnis von elterlichem und staatlichem Erziehungsrecht be44
fasst sich auch das Urteil vom 16. Januar 2003 . § 51 Abs. 2 JGG a. F. wurde
mit Art. 6 Abs. 2 des GG für unvereinbar und nichtig erklärt, soweit die
Vorschrift die Ausschließung von Eltern von der jugendgerichtlichen Verhandlung erlaubte. Es gehöre nicht zum Wächteramt, gegen den Willen der
Eltern für eine bestmögliche Entwicklung des Kindes zu sorgen. Konflikte
zwischen Elternrecht und dem Verfassungsgebot strafrechtlichen Schutzes
seien durch Abwägung aufzulösen. Die erzieherische Einwirkung auf den
Jugendlichen mit dem Ziel künftigen straffreien Lebens setze aber grundsätzlich den justizförmigen Nachweis der Erziehungsbedürftigkeit und die
Festsetzung einer an dieser Bedürftigkeit ausgerichteten Rechtsfolge voraus.
Hier findet sich ein weiterer deutlicher Hinweis darauf, dass das Jugendstrafverfahren nicht etwa aus insoweit falsch verstandener Fürsorge von
rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien Abstand nehmen darf.
In den Entscheidungen zum Konflikt von Elternrecht und staatlichem
Wächteramt wird ein grundsätzliches Problem deutlich. Es betrifft m. E.
nicht die Strafmündigkeitsgrenze, zu deren Änderung keine Notwendigkeit
45
besteht . Es betrifft aber die Ausgestaltung der oberen Altersgrenze für die
Anwendung des Jugendstrafrechts, also § 105 JGG. Auffällig sind die großen
regionalen und deliktspezifischen Unterschiede in der Anwendung von Ju46
gend- oder Erwachsenenstrafrecht , die geradezu willkürlich erscheinen
können. Es liegt deshalb die Annahme nahe, dass § 105 JGG jedenfalls in
der gegenwärtigen Praxis nicht in der Lage ist, die Entscheidung für oder
gegen die Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende in einer
rationalen, dem Gesetzeszweck entsprechenden Weise zu steuern, und dass
diese Bestimmung das Gewicht sachverständiger Beurteilung zu Lasten der
richterlichen Entscheidungshoheit verschiebt.
Dem Schutzbedürfnis junger Menschen könnte auch dadurch Rechnung
getragen werden, dass für Heranwachsende und junge Menschen bis 24
generell das Erwachsenenstrafrecht im Rahmen des Jugendstrafverfahrens47
rechts, verbunden mit einer obligatorischen Strafmilderung, gilt . Deren
Höhe kann wegen des verfassungsrechtlichen Differenzierungsgebotes zudem noch über die in § 49 StGB vorgesehenen Möglichkeiten hinausgehen.
44
45
BVerfGE 107, 104.
Einem sich in der Begehung von Straftaten äußernden Erziehungsdefizit nicht Strafmündiger ist
mit den Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe und des Zivilrechts zu begegnen; ein aktuelles Gesetzesvorhaben soll das Eingreifen des Familiengerichts durch Neufassung des § 1666 BGB erleichtern (Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls; Gesetzentwurf der Bundesregierung in BT-Drs. 16/6815, hier insbes. S. 5, 9 ff.; im Bundestag beschlossen am 24.04.2008 - Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/157 S. 16549).
46
Gehb, 2004, S. 123 f. m. w. N. Im Jahr 2000 schwankte danach der Anteil der nach Erwachsenenstrafrecht Verurteilten zwischen 55,8% in Baden-Württemberg und 9,6% in SchleswigHolstein. Die Zahlen der anderen Länder bewegten sich innerhalb dieses Rahmens, wobei generell
ein „Nord-Süd-Gefälle“ in der Art zu beobachten war, dass in südlichen Bundesländern eher Erwachsenenstrafrecht angewandt wurde. Ferner ergeben sich deutliche Unterschiede, wenn man
die Quote der Anwendung des Jugendstrafrechts nach Deliktstypen untersucht: Es besteht bundesweit Zurückhaltung bei der Anwendung des Jugendstrafrechts auf Delikte nach dem Ausländerrecht (16%) und dem Straßenverkehrsrecht (38%), dagegen eine deutliche Bevorzugung des
Jugendstrafrechts bei schweren Straftaten, etwa Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung
(81%), gefährlicher Körperverletzung (90%), vorsätzlichen Tötungsdelikten (96%) sowie Raub und
Erpressung (97%).
47
Ähnlich (Strafmilderung obligatorisch für 18- bis 20-Jährige und fakultativ bis zur Vollendung des
24. Lebensjahres) Gehb, 2004, S. 127.
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Diese Vorschläge beruhen auch auf dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung: Volljährige sind auch ansonsten durch die Rechtsordnung mit al48
len Rechten und Pflichten eines Erwachsenen ausgestattet . Erziehung Volljähriger kann in einer pluralistisch verfassten Gesellschaft sachliche und
auch verfassungsrechtliche Bedenken auslösen: Wenn das elterliche Erzie49
hungsrecht mit Eintritt der Volljährigkeit erlischt , dann ist es inkonsequent, diese Grenze nicht auch beim staatlichen, subsidiären Erziehungs50
recht zu akzeptieren . Die Probleme des geltenden § 105 JGG würden sich
stark reduziert allenfalls noch bei der Höhe der Ausschöpfung der obligatorischen Strafmilderungsmöglichkeiten zeigen.
3.2.3 Differenzierung bei der Sanktionierung
51
In einem Beschluss vom 8. Dezember 2006 präzisierte das Gericht den
verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab bei der Verhängung von Jugendstrafe: Dieser bestehe zum einem im Schuldprinzip, wonach die Strafe die
Schuld des Täters nicht übersteigen dürfe und in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Maß der Schuld des Täters stehen müsse.
Zum andern komme das Willkürverbot zur Anwendung, weil bei Feststellung der Schwere der Schuld als Voraussetzung der Verhängung von Jugendstrafen nach § 17 Abs. 2 JGG ein vom allgemeinen Schuldgrundsatz
abweichender Maßstab anzulegen sei und somit Gesichtspunkte der Strafbemessung in Rede stünden, die nicht das Verhältnis der Höhe der Strafe
zur Schuld beträfen. Die Verhängung von Jugendstrafen nach § 17 Abs. 2
JGG wegen der Schwere der Schuld erfordere eine Gewichtung der individuellen Tatschuld durch das erkennende Gericht, wobei den subjektiven
und in der Persönlichkeit des Täters liegenden Gesichtspunkten eine größere Bedeutung als dem äußeren Tatgeschehen zukomme.
Liest man diese Ausführungen vor dem Hintergrund des erwähnten Differenzierungsgedankens, so können ihnen wichtige Hinweise zum Sanktionenkatalog und zur Rechtsfolgenbemessung im Jugendstrafverfahren entnommen werden. Sie bedeuten, dass für das Strafrecht für junge Menschen
flexiblere Reaktionsmöglichkeiten geradezu geboten sein können.
Dies schließt insbesondere den Gedanken der Diversion ein. In leichten Fällen ohnehin episodenhafter Jugendkriminalität kann ein Strafverfahren
durch die mit ihm verbundene Stigmatisierung mehr schaden als nutzen.
In diesen Fällen ist die Diversion grundsätzlich der richtige Weg - auch im
Interesse der Verfahrensbeschleunigung und Verfahrensökonomie. Das
Ermittlungsverfahren kann für junge Menschen eine eindrucksvolle und be52
lastende Maßnahme mit erzieherischer Wirkung darstellen . Es ist auch
unter dem Schuldprinzip nichts dagegen zu erinnern, dass Diversion auch
ganz ohne Intervention, das heißt unter Verzicht auch auf eine nichtförmliche Sanktionierung stattfindet. Andererseits ist nicht zu verkennen,
dass die Gestaltung sowohl des Ermittlungs- und Strafverfahrens als auch
der Sanktionen im Rahmen von Diversions-Programmen eine gewisse Gefahr der Einschränkung rechtsstaatlicher formaler Garantien mit sich
48
49
50
51
52
Gehb, 2004, S. 126.
BVerfGE 74, 102, 125.
So auch Gehb, 2004, S. 125.
2 BvR 2226/06 (Juris).
Heinz, 2005, S. 307.
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bringt. Nicht unproblematisch unter dem Gesichtspunkt der Unschuldsvermutung ist etwa die Voraussetzung eines Geständnisses in §§ 45 Abs. 3,
53
47 Abs. 1 Nr. 3 JGG . Hier ist - bis auf Weiteres - das besondere Geschick
der Jugendstaatsanwälte und Jugendrichter gefragt. Einstweilen gibt es keine statistischen Anhaltspunkte dafür, die Anwendung der §§ 45, 47 JGG
54
könne zu Lasten von Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO erfolgen . Auch
die Modelle außergerichtlicher Konfliktregelung lösen sich naturgemäß von
55
der Justizförmigkeit des Strafverfahrens . Dies trifft zu für Verfahren des
Täter-Opfer-Ausgleichs ebenso wie für die Einrichtung von Schülergerich56
ten und ähnlichen Modellen. Hier wie in vielen anderen Experimenten in
Jugendstrafverfahren sollte aber abgewartet werden, bevor aus nicht abgeschlossenen rechtsstaatlichen Überlegungen voreilig nachteilige Schlüsse
für die weitere positive Entwicklung des Jugendstrafrechts gezogen werden.
Formelle Sanktionen und Bemessung von Rechtsfolgen müssen sich nämlich ebenfalls in den Spannungsbogen von Strafbedürfnis und Schutzbedürftigkeit einpassen lassen. Die Vorgaben, die das JGG dem Richter bei der
Auswahl verschiedener Maßnahmen macht, genügen meines Erachtens
nach verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere dem Bestimmtheits57
gebot und dem Rechtsstaatsprinzip . Inhaltlich im Einzelnen kaum nachvollziehbar und in der Terminologie überholt erscheint jedoch die gedankli58
che Unterscheidung von Erziehungsmaßregeln und Zuchtmitteln . Für Jugendliche wird sie aus ihrer Sicht belanglos und nicht zuletzt deswegen
auch nicht nachvollziehbar sein. Durchgreifende verfassungsrechtliche
Gründe gegen die derzeitige Praxis und Gesetzeslage sehe ich aber nicht,
auch wenn man - wozu ich nicht neige - an der Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen festhält. Allerdings darf die Strafe nicht über den für die Tat
geltenden Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts hinausgehen, selbst
dann nicht, wenn die Dauer zur erforderlichen erzieherischen Einwirkung
geboten erscheint. Dies widerspräche dem verfassungsrechtlichen Schuld59
prinzip . Es ist aber zunächst Sache des Gesetzgebers, die Voraussetzungen
der Jugendstrafe und die bei ihrer Bemessung zu berücksichtigenden Gesichtspunkte gegebenenfalls zu reformieren, dabei auch auf den fragwürdigen Begriff der schädlichen Neigungen zu verzichten, und über eine größere Offenheit gegenüber der Vielzahl der im allgemeinen Strafrecht geltenden Strafzumessungskriterien nachzudenken.
3.2.4 Jugendstrafvollzug
Um den verfassungsrechtlichen Bogen zu schließen, komme ich auf die
60
Entscheidung des Zweiten Senats vom 31. Mai 2006 zurück, wobei nun
deren Aussagen speziell zum Vollzug der Jugendstrafe im Vordergrund ste-
53
54
55
56
57
58
P.-A. Albrecht, 2000, S. 29.
Heinz, 2005, S. 173.
P.-A. Albrecht, 2000, S. 30.
Dazu Breymann, 2007, S. 1 ff.; Block & Kolberg, 2007, S. 8 ff.
Vgl. auch BVerfGE 74, 102; Schaffstein & Beulke, 2002, S. 93.
vgl. Schaffstein & Beulke, 2002, S. 135: "Unscharfe Abgrenzung“ von Auflagen und Weisungen.
59
Vgl. dazu BGH, Beschluss vom 09.02.1990 - 3 StR 379/89 -, NStZ 1990, 389; Schaffstein &
Beulke, 2002, S. 163.
60
BVerfGE 116, 69.
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hen sollen. Dieser müsse entsprechend dem Erziehungsprinzip des § 91
Abs. 1 JGG in der zum Zeitpunkt der Entscheidung gültigen Fassung auf
das Ziel ausgerichtet sein, dem Inhaftierten ein künftiges straffreies Leben
in Freiheit zu ermöglichen. Der Verfassungsrang des Vollzugsziels der Resozialisierung beruhe einerseits darauf, dass nur ein auf soziale Integration
ausgerichteter Strafvollzug der Pflicht zur Achtung der Menschenwürde
und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlichen Strafens entspreche. Zugleich folge aber die Notwendigkeit, den Strafvollzug am Ziel der
Resozialisierung auszurichten, auch aus der staatlichen Schutzpflicht für
die Sicherheit aller Bürger. Zwischen dem Integrationsziel des Vollzugs und
dem Anliegen, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen, bestehe insoweit kein Gegensatz. Für den Jugendstrafvollzug habe das Ziel der
Befähigung zu einem straffreien Leben in Freiheit besonders hohes Gewicht.
Im Zuge der Föderalismusreform im Jahre 2006 wurde die Befürchtung
geäußert, es könne unter den Ländern zu einem „Wettbewerb der Schäbigkeit" mit einer spürbaren Verschlechterung der Rahmenbedingungen für
den Jugendstrafvollzug kommen. Soweit ich sehe, haben die nach der Entscheidung in Kraft getretenen Ländergesetze nicht zu deutlichen Ver61
schlechterungen geführt . Die vom Gericht aus Art. 1 und Art. 2 GG abgeleiteten Standards sind in fast allen Fällen eingehalten, zum Teil übertroffen
worden. Problematisch erscheint vor allem zweierlei: Die vom Gericht verlangte Evaluierung ist leider nicht von allen Ländern ausreichend vorgese62
hen . Weiter ist die Einzelunterbringung der Gefangenen während der Ruhezeit zwar in den Landesgesetzen durchgängig vorgesehen, doch sind Ein63
schränkungen unterschiedlichen Umfangs ebenfalls durchweg gestattet .
Verfassungsrechtlich ist dies jedoch unter dem Gesichtspunkt der Schutzund Fürsorgepflicht problematisch, die der Staat gegenüber jungen Menschen in besonderer Weise hat und deren Erfüllung bei Überbelegung stark
gefährdet sein kann, wie die Ereignisse von Siegburg gezeigt haben.
Die weitere Entwicklung wird durch das Bundesverfassungsgericht sicher
mit großer Aufmerksamkeit verfolgt werden. Die Landesgesetzgeber können nicht davon ausgehen, dass der Zweite Senat des Gerichts bereit ist,
Abweichungen von den im Urteil enthaltenen Standards dauerhaft hinzunehmen.
Statistische Erhebungen zeigen, dass die Rückfallquote, obwohl nach voll64
zogener Jugendstrafe generell eher hoch , durch Ausbildungs- und Therapieangebote und gezielte Entlassungsvorbereitung sehr deutlich positiv zu
65
beeinflussen ist . Modelle wie das "Projekt Chance" in Baden66
Württemberg verdienen deshalb breitere Umsetzung, wenn die Praxis den
Anforderungen des Gerichts Rechnung tragen will.
61
So auch Ostendorf (2008), S. 14 ff. Zur tatsächlichen Situation in deutschen Jugendstrafanstalten vgl. im Überblick Dünkel & Geng, 2007.
62
Vgl. Eisenberg, 2008, S. 261, dort Fn. 202.
63
Eisenberg, 2008, S. 253 f..
64
Walter, 2006, S. 239: Rückfallquote von 56%; Dünkel, 1999, S. 124: Rückfallquote in Höhe von
ca. 80% bei "nur" 50-60% erneuter Inhaftierung.
65
Vgl. Dünkel, 1999, S. 125 sowie - mit Zahlen - Walter, 2006, S. 239.
66
Vgl. „Kloster statt Jugendknast - Baden-Württemberg geht neue Wege im Strafvollzug, NZZ v.
31.08.2008, S. 28: Die Gefangenen absolvieren ein Berufsvorbereitungsjahr einschließlich Schul-
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4
Schluss: Der Spannungsbogen
Strafbedürfnis und Schutzbedürftigkeit haben im geltenden Jugendstrafrecht einen grundsätzlich gelungenen Ausgleich gefunden. Der Spannungsbogen, das Viadukt bedarf aber ständiger verfassungsrechtlicher Kontrolle und Überwachung und weiterer Fortentwicklung in der Praxis. Mit
dem Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht der Bundesregierung kann
man feststellen, dass sich das geltende Jugendstrafrecht in vieler Hinsicht
67
bewährt hat . Es bietet ausreichende und angemessene Möglichkeiten zur
flexiblen Verfahrensgestaltung und zur differenzierten Reaktionen. Diese
Flexibilität kann der Gesetzgeber durchaus noch erhöhen. Und hier - wie
auch im Politikfeld der inneren Sicherheit - ist richtig, dass verstärkter Personal- und Sachmitteleinsatz vordringlicher ist, als allzuweit greifender ge68
setzgeberischer Aktionismus . Auch der Umgang mit sogenannten Mehr69
fach- oder Intensivtätern verlangt eher nach praktisch-pragmatischen Lösungen als nach Änderungen des Gesetzesrechts. Eine ein für allemal gültige Auflösung der permanenten Spannung ist nicht möglich und nicht gewollt. Es gibt ein begründetes staatliches Reaktionsbedürfnis. Der Ruf nach
stärkerer Bestrafung junger Straftäter muss aber Anlass geben, zu überprüfen, welche Zwecke denn mit schärferen Strafen verfolgt werden sollten.
Denn je geringer das Lebensalter eines Beschuldigten, desto mehr bedarf er
auch des Schutzes durch die Rechtsordnung, der Entfaltung der Gewährleistungs- und Schutzpflichten des Staates und des Engagements aller am
Verfahren Beteiligter. Junge Menschen haben in besonderer Weise Anspruch darauf, nicht Maßnahmen unterworfen zu werden, die sich ungünstig auf ihre weitere Entwicklung auswirken können. Der Experimentiercharakter des Jugendstrafverfahrens muss - auch im Interesse des allgemeinen
Strafrechts - aufrechterhalten und weiter gefördert werden. Gerechte, dem
Einzelfall angemessene Strafen und die intensive Bemühung, kontraproduktive Schäden durch Bestrafung zu begrenzen, liegen im Interesse aller:
der jungen Menschen, der Opfer, der Jugendhilfe, der Justiz und schließlich
der Allgemeinheit und des Staates.
Prof. Dr. Herbert Landau ist Richter am Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe
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Verhandlungen des Vierundsechzigsten Deutschen Juristentages (S. D 1 - D 172). München: Beck.
unterricht mit Schwerpunkt Bau unter Renovierung des Klosters Frauental bei Creglingen, um einen Abschluss zu bekommen.
67
Bundesministerium des Innern & Bundesministerium der Justiz, 2006, S. 407.
68
Zur Gefahr der "intellektuellen Lust am antizipierten Ausnahmezustand" vgl. den Essay von U.
Di Fabio Westen muss Westen bleiben, Welt Online v. 12. November 2007, www.welt.de.
69
Vgl. dazu Lütkes & Rose (2005), S. 63; Reusch, 2007, S. 295; Ostendorf, 2007.
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