2.1 · Übersicht 145 2 Medikamente zur Behandlung bipolarer affektiver Störungen 2.1Übersicht Die Komplexität der Behandlung bipolarer affektiver Störungen ergibt sich daraus, dass im Krankheitsverlauf fünf verschiedene Symptomkonstellationen auftreten können (Depression, Hypomanie, Manie, gemischte Episode, Rapid Cycling), was oft zu einer polypharmazeutischen Therapie führt. Mehr als bei jeder anderen psychischen Störung muss schon bei der Behand­ lung der einzelnen Episode der langfristige Verlauf und dessen besondere polare Natur berücksichtigt werden. Syndrome bei bipolaren affektiven Störungen Manie (Syn. manische Episode) – Gekennzeichnet durch situationsinadäquat geho­ bene Stimmung, Erregung, Hyperaktivität, Rededrang und Größenideen. Bei schwe­ ren Ausprägungsformen können Wahn und Halluzinationen hinzutreten (Manie mit ­psychotischen Symptomen). Eine einzelne manische Episode erlaubt noch nicht die Diagnose einer bipolaren affektiven Störung (s. unten). Hypomanie – Leichtere Ausprägungsform der Manie. Wahn und Halluzinationen ­werden nicht beobachtet. Bipolare affektive Störung – Durch mindestens zwei affektive Episoden mit mindes­ tens einer Hypomanie oder Manie charakterisiert (ICD-10). DSM-IV grenzt von der bipolaren Störung Typ I, bei der mindestens eine manische Episode diagnostiziert worden sein muss, die bipolare Störung vom Typ II ab, bei der neben depressiven nur hypomanische Episoden vorkommen dürfen. Bipolare Depression – Phänomenologisch nicht von der unipolaren Depression zu ­unterscheiden. Allerdings sprechen das gehäufte Auftreten von atypischer Symptoma­ tik mit Hypersomnie und Gewichtszunahme, ein früher Beginn und Therapieresistenz eher für einen bipolaren Verlauf. Depression mit psychotischen Symptomen – Zur depressiven Symptomatik treten Wahn oder Halluzinationen hinzu. Gemischte Episode – Depressive und manische Symptome werden gleichzeitig bzw. in raschem Wechsel beobachtet. Rapid Cycling – Gekennzeichnet durch mindestens vier Episoden in einem Zeitraum von 12 Monaten. Bei der Therapie bipolarer affektiver Störungen sind Substanzklassen, die für alle Phasen der Störung gleichermaßen geeignet erscheinen (»Stimmungsstabilisie­ rer«), von solchen zu unterscheiden, die sich nur für spezifische Syndrome eignen (»Interventionsmedikamente«). Während Stimmungsstabilisierer die Basis jeder 146 2 Kapitel 2 · Medikamente zur Behandlung bipolarer affektiver Störungen Therapie und Prophylaxe bipolarer affektiver Störungen darstellen, sind die meisten (atypischen) Antipsychotika, Antidepressiva oder Benzodiazepine (BZD) primär als Interventionsmedikamente zu betrachten. Zwischenzeitlich hat sich herausge­ stellt, dass auch einige atypische Antipsychotika (AAP) eine rezidivprophylaktische Wirkung haben, wodurch ihr Zulassungsstatus zur Behandlung bipolarer Störun­ gen verändert wurde. Sie erfüllen damit ebenfalls die Kriterien für stimmungs­ stabilisierende Pharmaka. Dadurch wird die Abgrenzung der beiden Gruppen un­ scharf. jjZugelassene Arzneimittel bei bipolaren affektiven Störungen Stimmungsstabilisierer und AAP stellen die Grundlage der Therapie dar. Sie sollen über die gesamte Dauer der Pharmakotherapie der bipolaren affektiven Störung verabreicht werden, unabhängig von der akut bestehenden Symptomatik. 44 Lithium: Klassische Referenzsubstanz zur Behandlung bipolar affektiver Er­ krankungen. Lithium war der erste Stimmungsstabilisierer. Lithium ist wahr­ scheinlich weniger wirksam bei Vorliegen zahlreicher Vorphasen, bei ge­ mischten Episoden und bei Rapid Cycling. Lithium hat sowohl eine stim­ mungsstabilisierende Wirksamkeit als auch einen spezifischen suizidprophy­ laktischen Effekt. 44 Antikonvulsiva: Valproat (und Carbamazepin) sind AM mit guter antimani­ scher Wirksamkeit, beide sind auch rezidivprophylaktisch wirksam, wobei Carbamazepin nur zur Prophylaxe manisch-depressiver Phasen bei LithiumVersagen oder einer Lithium-Kontraindikation zugelassen ist. Lamotrigin wirkt rezidivprophylaktisch bei der bipolaren Depression und auch bei Rapid Cycling. Die Datenlage zur rezidivprophylaktischen Wirkung bei manischen Episoden ist unzureichend. Daher ist Lamotrigin nicht für die Akuttherapie manischer oder depressiver Episoden indiziert. 44 AAP: Aripiprazol, Asenapin, Olanzapin, Quetiapin und Risperidon haben anti­ manische Wirksamkeit und sind zur Behandlung mäßiger bis schwerer mani­ scher Episoden zugelassen. Ziprasidon ist bei bipolaren Störungen nur zur ­Behandlung von manischen oder gemischten Episoden bis zu einem mäßigen Schweregrad zugelassen. Für die Rezidivprophylaxe der manischen Episode haben Aripiprazol, Olanzapin und Quetiapin eine Zulassung. Für die Rezidivprophylaxe der depressiven ­Episode hat nur Quetiapin eine Zulassung. Die Zulassungen bei der Rezidiv­ prophylaxe gelten nur dann, wenn die manische oder depressive Episode auf das jeweilige AAP angesprochen hat (. Tab. 2.1). Olanzapin und Quetiapin sind auch bei gemischten Episoden und beim Rapid Cycling wirksam. AAP sind wegen der besseren Verträglichkeit den konventionellen Antipsy­ chotika (KAP) vorzuziehen, allerdings sind die metabolischen Risiken bei den meisten AAP (bis auf Aripiprazol und Ziprasidon) hoch. 44 KAP haben eine gute antimanische Wirksamkeit. Unter KAP kommt es häufi­ ger als unter Plazebo zur Entwicklung depressiver Syndrome; deshalb sollten sie bei bipolaren affektiven Störungen nur dann gegeben werden, wenn für AAP eine Kontraindikation besteht. 147 2.1 · Übersicht 2 ..Tab. 2.1 Zulassungsstatus bei bipolaren affektiven Störungen Wirkstoff Akutbehandlung Rezidivprophylaxe (Prävention) Stimmungsstabilisierer Carbamazepin Nein Ja, nur bei Versagen von Lithium oder bei KI gegen Lithium Lamotrigin Nein Ja, nur überwiegend depressive Episoden Lithium Ja (Manie) Ja Valproat – retardierte Form Ja (Manie), bei Versagen von Lithium oder bei KI gegen Lithium Laut FI weiterführende Behandlung nach einer mani­ schen Episodea Atypische Antipsychotika (AAP) a Aripiprazol Ja, mäßige bis schwere manische Episoden Jaa, bei überwiegend manischen Episoden Asenapin Ja, mäßige bis schwere manische Episoden Nein Olanzapin Ja, mäßige bis schwere manische Episoden Jaa, nur manische Episoden Quetiapin Ja, mäßige bis schwere manische Episoden und schwere depressive Episoden (bipolare Depression) Jaa, manische und depressive Episoden Risperidon Ja, mäßige bis schwere manische Episoden Nein Ziprasidon Ja, leichte bis mäßig schwere manische und gemischte Episoden Nein Nur wenn das AAP bzw. der Stimmungsstabilisierer in der Akutbehandlung wirksam war (die rezidivpro­ phylaktische Wirksamkeit wurde nur bei Patienten untersucht, die in der Indexepisode auf die Substanz angesprochen haben). KI Kontraindikationen. FI Fachinformation. 44 Antidepressiva sind in der Regel Mittel der 1. Wahl bei der Rezidivprophylaxe unipolarer Depressionen (7 1.11.3). Antidepressiva können bei bipolaren Stö­ rungen Manien induzieren. Nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand können sie auch das Risiko für die Entwicklung eines Rapid Cycling erhöhen. Daher muss die Indikation für die Anwendung eines Antidepressivums bei bipolarer ­Depression eng gestellt werden. Dies gilt insbesondere für trizyklische Anti­ depressiva (TZA). Selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) und Bupropion haben, auch im Vergleich zu Venlafaxin, ein geringeres Risiko, eine Manie oder ­Hypomanie (wahrscheinlich auch Rapid Cycling) zu induzieren. Antidepressiva sollten bei bipolaren Depressionen nur unter dem Schutz ­eines Stimmungsstabilisierers verordnet werden. Eine Alternative ist bei der 148 2 Kapitel 2 · Medikamente zur Behandlung bipolarer affektiver Störungen bipolaren Depression Quetiapin, das auch bei Monotherapie eine antidepres­ sive Wirkung hat. 44 BZD: Geeignet als Interventionsmedikamente in der Therapie manischer und depressiver Syndrome. 2.2Wirkmechanismen Lithium und Antikonvulsiva entfalten die unterschiedlichsten zentralnervösen (und peripheren) Wirkungen. Es ist unbekannt, welche der folgenden Effekte ihre Wirk­ samkeit bei bipolaren affektiven Störungen ausmachen. 44 Wirkungen auf Signaltransduktionssysteme: Einer der wesentlichen Wirkme­ chanismen von Lithium bei affektiven Störungen scheint dessen Wirkungen auf Second-messenger-Systeme mit dem zentralen Angriffspunkt des Inositol­ phosphatstoffwechselwegs zu sein. Die Phospholipase C katalysiert nach ­Aktivierung durch Neurotransmitter die Bildung der intrazellulären second messengers Inositoltriphosphat und Diacylglycerol. Während Diacylglycerol die Proteinkinase C (PKC) aktiviert, reguliert Inositoltriphosphat wesentlich die intrazelluläre Kalziumfreisetzung aus dem endoplasmatischen Retikulum. Kalzium wiederum reguliert neben einer Vielzahl von Zellfunktionen Synthe­ se und Freisetzung von Monoamin-Neurotransmittern. Bei bipolaren affek­ tiven Störungen wurden die intrazellulären Kalziumkonzentrationen erhöht gefunden. Lithium hemmt die Inositolmonophosphatase, wodurch es zu einer Verarmung an freiem Inositol kommt. Inositol steht nun nicht mehr in aus­ reichenden Konzentrationen zur Bildung von Phosphatidylinositol zur Verfü­ gung, aus dem wiederum Phosphatidylinositoldiphosphat (PIP2) nicht mehr in genügender Menge entsteht. PIP2 jedoch ist das Substrat der Phospholipa­ se C, die damit nicht mehr über ausreichend Substrat verfügt. Neueren Unter­ suchungen zufolge stellt die intrazelluläre Depletion von Inositol einen ge­ meinsamen Wirkmechanismus nicht nur von Lithium, sondern auch von ­Carbamazepin und Valproat dar. Andere durch Lithium beeinflusste Secondmessenger- und Transduktionssysteme sind die Adenylylzyklase, G-Proteine (für die eine Hyperaktivität bei bipolaren Störungen postuliert wurde) und die PKC. Eine Hemmung der PKC ist sowohl für Lithium als auch für Valproat beschrieben. Als relevanter Mechanismus wird für Lithium, Carbamazepin, Lamotrigin und Valproat auch eine Hemmung des Arachidonsäure-Umsatzes diskutiert. 44 Lithiuminduzierte Neurogenese: Möglicherweise fördert Lithium aktiv die Neurogenese, unter Lithium-Therapie zeigt sich MR-tomographisch ein An­ stieg von N-Acetylaspartat (NAA) als Marker neuronaler Intaktheit. 44 Neuroprotektive Wirkungen: Die Synthese des antiapoptotischen Proteins Bcl-2 (B cell lymphoma protein 2), eines Zelluntergänge verhindernden Eiweißes, kann sowohl durch Lithium als auch durch Valproat direkt oder über den ERK-MAP-Kinase-Signalweg hochreguliert werden. 44 Wirkungen auf neuronale Ionenkanäle: Die meisten Antikonvulsiva (Valproat, Carbamazepin, Lamotrigin) führen zu einer Inaktivierung spannungsabhängi­ ger Natriumkanäle und damit zu einer Reduktion des Natriumeinstroms so­ 2.2 · Wirkmechanismen 149 2 wie wahrscheinlich auch zu einer Veränderung des Kalium- und Kalziumein­ stroms; dies hat eine Reduktion neuronaler Entladungsfrequenzen zur Folge. In Analogie zur Kindling-Hypothese epileptischer Erkrankungen, nach der ein epileptischer Anfall weitere Anfälle begünstigen kann (kindling), vermutet man, dass Antikonvulsiva auch bei bipolaren affektiven Störungen, bei denen es bei fehlender Behandlung zu einer Zunahme von Frequenz und Schwere der Krankheitsepisoden kommen kann, ihre Wirkung über eine Verminde­ rung der zentralen Erregbarkeit entfalten. 44 Wirkungen auf inhibitorische und exzitatorische Transmittersysteme: Viele Anti­ konvulsiva und Lithium verstärken auf unterschiedlichste Weise die (inhibito­ rische) GABAerge Neurotransmission. Valproat hemmt den GABA-Katabo­ lismus, erhöht die GABA-Freisetzung und vermindert den GABA-Turnover. Die Antikonvulsiva sollen auf der anderen Seite die Freisetzung des (exzitato­ rischen) Glutamats hemmen. 44 Wirkungen auf die serotonerge Neurotransmission: Lithium verstärkt die sero­ tonerge Neurotransmission auf den verschiedensten Ebenen. Es verstärkt die Synthese durch eine Erhöhung der Tryptophanaufnahme in serotonerge ­Neurone, führt zu einer verstärkten Serotoninfreisetzung und vermindert dessen Katabolismus. Die Wirkungen auf die Dichte von 5-HT2A- und 5-HT2C-Rezeptoren sind hirnregional unterschiedlich, in den meisten Studien wird jedoch eine Abnahme der Dichte dieser Rezeptoren gezeigt. Auch Olanzapin und Quetiapin führen zu einer verminderten Verfügbarkeit von 5-HT2A-Rezeptoren. 44 Wirkungen auf die Genexpression: Lithium ist ein potenter Induktor der fos-­ Expression. Außerdem beeinflusst Lithium die Expression von verschiedenen G-Proteinen und Adenylylzyklasen sowie Peptidhormonen und ihren Rezep­ toren. 44 Beeinflussung zirkadianer Rhythmen: Lithium bremst zirkadiane Oszillatoren in einer Vielzahl von Spezies. Chronische Behandlung verlängert zahlreiche zirkadiane Rhythmen unter frei laufenden Bedingungen. Da bei ‒ insbeson­ dere bipolaren ‒ affektiven Störungen eine Phasenverschiebung (phase advance) biologischer Rhythmen vermutet wird, soll Lithium seine Wirkung z. T. über diese Phasenverlängerung endogener Rhythmen entfalten. 44 Ein genetischer Polymorphismus in der Promotorregion des Gens für die Glykogen-Synthase-Kinase-3-β (GSK3-β) scheint das Ansprechen auf eine ­Lithium-Augmentation ebenso zu beeinflussen wie dessen rezidivprophylakti­ sche Wirkung. Lithium und Valproat, nicht aber Carbamazepin haben inhibi­ torische Effekte auf die GSK3-β, deren Überexpression zu einer vermehrten Apoptose führt. Neue Wirkansätze 44 Für Tamoxifen, einen relativ selektiven Inhibitor der PKC, konnte in einer RCT eine antimanische Wirksamkeit gezeigt werden. 44 Ketamin zeigte bei bipolarer Depression schnell auftretende und robuste anti­ depressive Wirkungen. 150 2 Kapitel 2 · Medikamente zur Behandlung bipolarer affektiver Störungen 44 Armodafinil, das (R)-Enantiomer von Modafinil (7 5.2), zeigte in einer Tages­ dosierung von 150 mg eine Verbesserung verschiedener depressiver Sympto­ me bei bipolarer Depression. 2.3 Allgemeine Therapieprinzipien 44 Ähnlich wie bei der Therapie unipolarer Depressionen sollte auch die Phar­ makotherapie bipolarer affektiver Störungen in einen Gesamtbehandlungsplan eingebettet sein (7 1.5). Entsprechend der Behandlungsphase ist folgende ­Gewichtung der Therapieschwerpunkte sinnvoll: –– In der Akutphase wird ‒ v. a. bei manischen Syndromen mit geringer oder fehlender Krankheitseinsicht ‒ die Pharmakotherapie im Vordergrund ­stehen. –– Wichtig sind die Sicherstellung einer ausgewogenen Schlaf-Wach-Regula­ tion und die Gewährleistung einer ausreichenden Schlafhygiene. –– Im weiteren Behandlungsverlauf ‒ Erhaltungstherapie und Rezidivprophy­ laxe ‒ nehmen psycho- und soziotherapeutische Maßnahmen an Bedeu­ tung zu (7 2.5). –– Das Therapieziel ist die vollständige Remission. Verbleibende Residual­ symptome sind ein Zeichen für ein erhöhtes Rezidivrisiko. 44 Bei bipolaren affektiven Störungen ist die möglichst frühzeitige Vermittlung eines Krankheitskonzepts von großer Bedeutung. Dabei erscheinen die folgen­ den Aspekte wichtig: –– Dem Patienten sollte vermittelt werden, dass er an einer Störung leidet, bei der die Behandlung der aktuellen Episode ganz wesentlich den weiteren Krankheitsverlauf bestimmen kann. –– Er muss darauf hingewiesen werden, dass die Behandlung mit einem TZA das Risiko in sich birgt, eine Manie oder sogar ein Rapid Cycling zu indu­ zieren; SSRI und Bupropion haben ein geringeres Risiko, eine Manie oder Hypomanie zu induzieren. Der Patient sollte ein Verständnis dafür bekom­ men, dass es nach heutigem Kenntnisstand langfristig günstiger sein kann, bei leichter Depression auf ein Antidepressivum zunächst zu verzichten, auch wenn der akute Behandlungsverlauf u. U. verlängert wird. Bei leichter Depression können eine Verhaltenstherapie und die Gabe eines Stimmungs­ stabilisierers ausreichend sein. –– Die Anwendung von Valproat, Carbamazepin und Lamotrigin zur Akuttherapie der bipolaren Depression kann aufgrund der Zulassung, genauso wie Lithium, nur off label erfolgen. –– In einer Untersuchung wurde darauf hingewiesen, dass die unterschied­ lichen Aussagen bezüglich einer Induktion einer Manie durch Antidepres­ siva möglicherweise mit dem Studienausschluss von Patienten mit Substanzmissbrauch in Zusammenhang stehen könnten. Bei dieser Gruppe fand sich eine 5-mal höhere Manieinduktion bei der bipolaren Störung unter Antidepressiva. Dabei war das Risiko für einen switch in eine Manie für TZA höher als für SSRI. Am geringsten war dieses Risiko für Bupropion. 2.4 · Indikationen 151 2 –– Patienten mit schweren manischen Syndromen sind in vielen Fällen nicht einwilligungsfähig bzw. müssen gemäß den gültigen rechtlichen Vorgaben des Betreuungsrechts oder der Landesunterbringungsgesetze behandelt wer­ den. Sollte es zu einer medikamentösen Behandlung unter diesen Bedin­ gungen kommen, ist in jedem Fall ein zugelassenes AM zu wählen. –– Eine unzureichende Adhärenz ist häufig Grund für eine Non-Response. 2.4Indikationen 2.4.1 Manische Episode Die ICD-10 grenzt die manische Episode von der bipolaren affektiven Störung ab, wenn es sich um eine einzelne manische Episode handelt. Tritt im Krank­ heitsverlauf mindestens eine weitere affektive (depressive, gemischte, hypoma­ nische oder manische) Episode auf, so ist eine bipolare affektive Störung zu diag­ nostizieren. Auch Patienten, die ausschließlich unter manischen Episoden leiden, werden als bipolar klassifiziert. Die Behandlung der einzelnen manischen Episode und der manischen Episode im Rahmen einer bipolaren affektiven Störung ist identisch. Lithium 44 Lithiumsalze sind seit Jahrzehnten bewährte (und zugelassene) Substanzen zur Behandlung manischer Syndrome. 44 Lithium-Monotherapie ist wegen der Wirklatenz (bis zu mehreren Wochen) und fehlender Sedierung häufig nur bei leichten bis mittelschweren Manien ohne psychotische Merkmale möglich. 44 Bei schweren manischen Episoden ist die Behandlung mit einem AAP der ­Monotherapie mit Lithium vorzuziehen. Mehrere neuere Studien belegen, dass eine Kombination von Lithium mit einem AAP der Monotherapie mit ­Lithium überlegen ist. 44 Die Wirkung von Lithium bei gereizter Manie und bei sehr vielen affektiven Phasen in der Anamnese wird heute infrage gestellt. 44 Bei Manien mit psychotischen Merkmalen sind AAP Mittel der 1. Wahl; es gibt Hinweise, dass eine Kombination von Lithium mit einem Antipsychotikum eine bessere Wirksamkeit aufweist als eine Monotherapie. 44 Wenn eine Therapie von Beginn an mit einem Stimmungsstabilisierer plus ­einem KAP durchgeführt wird, sollte das Antipsychotikum in der Regel nach Abklingen der Manie ausschleichend abgesetzt werden (s. unten, KAP und AAP im Vergleich); dies gilt nicht für AAP. Atypische Antipsychotika 44 AAP (Aripiprazol, Asenapin, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon, Ziprasidon) nehmen bei der Behandlung der Manie einen immer größeren Raum ein (. Tab. 2.2, Akutbehandlung). Dazu wurden 2009 die Guidelines der World ­Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) zur Behandlung der akuten Manie aktualisiert (. Tab. 2.2). 152 2 Kapitel 2 · Medikamente zur Behandlung bipolarer affektiver Störungen ..Tab. 2.2 Guidelines der World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) zur Behandlung der akuten Manie, Evidenzgrad, Empfehlungsgrad und empfohlene Tagesdosis (nach Grunze, Update 2009 on the Treatment of Acute Mania) AAP/Stimmungsstabilisierer Evidenzgrad Empfehlungs­ grad Empfohlene Tagesdosisa Aripiprazol A 1 15–30 mg Asenapin – – 10–20 mg Olanzapin A 2 10–20 mg Paliperidonb B 3 3–12 mgc Quetiapin A 2 400–800 mg Risperidon A 1 2–6 mg Ziprasidon A 1–2 80–160 mg Lithium A 2 600–1200 mgd Carbamazepin A 2 600–1200 mge Valproat A 1 1200–3000 mgf Clozapin C1 4 100–300 mg Haloperidol A 2 5–20 mg Atypische Antipsychotika (AAP) Stimmungsstabilisierer Die Evidenzgrade A–F beziehen sich auf zugrunde liegende klinische Untersuchungen (A: Evidenz aus kontrol­ lierten Studien; B: limitierte Evidenz aus kontrollierten Studien; C: Evidenz aus unkontrollierten Studien [C1], Case Reports [C2] oder Expertenmeinungen [C3]; D: inkonsistente Ergebnisse; E: negative Ergebnisse; F: ohne Evidenz). Die Empfehlungsgrade reichen von 1–5 mit der Abstufung 1: Evidenzgrad A mit gutem Nutzen-RisikoVerhältnis; 2: Evidenzgrad A mit moderatem Nutzen-Risiko-Verhältnis; 3: Evidenzgrad B; 4: Evidenzgrad C; 5: Evidenzgrad D. a Typische Dosierungsempfehlungen, Variationen im Einzelfall möglich; b in D, A, CH nicht in dieser Indikation zugelassen; nur als Depotformulierung erhältlich; c nur 12 mg Tagesdosis (oral) erreicht Evidenzgrad B; d Plasmakonzentration 0,8–1,3 mmol/l; e Plasmakonzentration 6–12 ng/ml; f Loading-Dosis 20–30 mg/kg KG, Plasmakonzentration 50–100 ng/ml. 44 Aripiprazol und Olanzapin sind für mäßige bis schwere manische Episoden und Prävention einer neuen manischen Phase zugelassen, Risperidon bei mä­ ßigen bis schweren manischen Episoden. Ziprasidon ist nur zur Behandlung von manischen Episoden bis zu einem mäßigen Schweregrad bei bipolaren Störungen zugelassen. 44 Besonderheiten bei der Anwendung finden sich für: –– Asenapin, das lediglich für die Behandlung mäßiger bis schwerer mani­ scher Episoden einer Bipolar-I-Störung zugelassen ist. –– Clozapin, das bei bipolaren Störungen nicht zugelassen ist. –– Quetiapin, das in umfangreicher Indikation im Rahmen bipolarer Störun­ gen zugelassen ist. 2.4 · Indikationen 153 2 44 Eine aktuelle Metaanalyse zu unterschiedlichen Behandlungsstrategien bei akuter Manie bevorzugt den Einsatz von (atypischen) Antipsychotika gegen­ über Stimmungsstabilisierern. Risperidon, Olanzapin und Haloperidol zeigten die besten Ergebnisse hinsichtlich Effektivität und Verträglichkeit (Cipriani et al. 2011). Clozapin 44 Es liegen keine kontrollierten Studien zur Anwendung von Clozapin bei ­manischen Episoden vor. Mehrere prospektive, offene Studien weisen jedoch darauf hin, dass Clozapin auch bei sonst therapieresistenten Patienten mit ­manischen Syndromen eine Wirkung haben kann (auch bei erfolgloser Elekt­ rokrampftherapie). Wegen der kontrollierten Anwendung (7 3.13, Box 14) muss die Behandlung mit Clozapin jedoch auf Patienten beschränkt bleiben, bei denen alle anderen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft wurden. Quetiapin 44 Die Wirksamkeit von Quetiapin bei manischen Syndromen ist sowohl in der Monotherapie als auch in Kombination mit Stimmungsstabilisierern (Lithium, Valproat) belegt; Quetiapin ist in dieser Indikation zugelassen. 44 Auch ist Quetiapin zugelassen zur Akutbehandlung und Rezidivprophylaxe schwerer depressiver Episoden bei bipolarer Störung (7 2.4.2). 44 Der Vorteil von Quetiapin besteht darin, sowohl die Manie als auch die De­ pression mit derselben Substanz zu behandeln und womöglich auf Antide­ pressiva verzichten zu können (7 2.4.2, Antidepressiva). Konventionelle und atypische Antipsychotika im Vergleich 44 Wenn möglich, sollte – trotz aktueller Hinweise auf eine gute Wirksamkeit von Haloperidol bei Manie – auf KAP zur Behandlung manischer Syndrome so weit wie möglich verzichtet werden, weil –– Patienten, die in akuten manischen Episoden KAP erhielten, auch 6 Mona­ te später noch signifikant häufiger mit Antipsychotika behandelt wurden, als Patienten, die in der Akutphase keine Antipsychotika erhielten, –– das Risiko für die Entwicklung von Spätdyskinesien bei Patienten mit ­affektiven Störungen wahrscheinlich höher ist als bei Patienten mit schizo­ phrenen Störungen, –– antipsychotikainduzierte extrapyramidalmotorische Störungen (EPS) ­gerade in der Anfangsphase der Behandlung zur Non-Compliance führen, –– KAP nicht vor depressiven Syndromen schützen, sondern deren Entste­ hung in einigen Fällen sogar begünstigen. 44 Wenn KAP gegeben werden, sollten Dosierungen, wie sie in der Therapie schizophrener Störungen üblich sind, gewählt werden. Antipsychotika bei schizoaffektiven Störungen 7 3.4.4 154 2 Kapitel 2 · Medikamente zur Behandlung bipolarer affektiver Störungen Kombinationstherapie bei der Manie 44 Es sollte zunächst eine Monotherapie mit einem AAP begonnen und bei un­ zureichendem Ansprechen eine Kombinationstherapie erwogen werden. 44 Kombinationstherapien auf der Basis von Aripiprazol, Risperidon, Olanzapin und Quetiapin mit Lithium oder Valproat scheinen bezüglich Therapieanspre­ chen und Remissionsraten einer vorher bestehenden, nicht ausreichend wirk­ samen Monotherapie mit Lithium oder Valproat gegenüber überlegen zu sein. 44 Eine Langzeitbehandlung sollte bei den Patienten, die in der Akutbehandlung nur auf eine Kombinationstherapie ansprachen, auch mit der Kombination fortgesetzt werden. Daten existieren bislang nur für Aripiprazol, Quetiapin und Ziprasidon, wobei Ziprasidon nicht zur Prävention von Episoden bipola­ rer Störungen zugelassen ist. Antikonvulsiva Lamotrigin 44 Die antimanische Wirksamkeit ist nicht ausreichend belegt. Auch eine ­Metaanalyse zeigte keine Wirksamkeit bei der Behandlung akuter Manien (Cipriani et al. 2011). Es besteht keine Zulassung für die Akuttherapie. 44 Lamotrigin scheint bei gemischten Episoden wirksam zu sein. Carbamazepin 44 Carbamazepin ist in der Indikation Manie nicht zugelassen, hat aber wahr­ scheinlich eine dem Lithium vergleichbare antimanische Wirksamkeit. Eine aktuelle Metaanalyse zeigte eine gute antimanische Wirksamkeit, die der­ jenigen von Valproat überlegen scheint. Valproat 44 Die retardierte Form von Valproat ist in der Indikation Manie und zur Rezi­ divprophylaxe der bipolaren Störung zugelassen. Metaanalytische Daten zei­ gen für Valproat eine antimanische Wirksamkeit, die Lithium und Haloperidol gegenüber unterlegen ist. Die Substanz wird aber besser vertragen. Gegenüber Lithium besteht zudem der Vorteil des rascheren Wirkungseintritts. Valproat soll bei gereizter Manie besser wirksam sein als Lithium. 44 In einer RCT bei Manien zeigte Olanzapin eine vergleichbare Wirksamkeit wie Valproat; Valproat war jedoch besser verträglich. In einer anderen doppel­ blinden Vergleichsstudie bei Manien war Olanzapin Valproat überlegen. 44 Bei i.v.-Verabreichung (1200–1800 mg/d) soll Valproat einen besonders schnellen Wirkeintritt (1‒3 Tage) bei sehr guter Verträglichkeit haben. Aller­ dings ist nur die orale Gabe von retardiertem Valproat für die Behandlung der Manie zugelassen. Andere Antikonvulsiva Für Gabapentin, Levetiracetam, Oxcarbazepin (das 10-Keto-Analogon von Carbamazepin), Tiagabin, Topiramat und Zonisamid liegen zwar in unterschiedlichem Umfang positive Einzelberichte, Fallserien und kleine Studien zur Wirksamkeit bei http://www.springer.com/978-3-642-29809-7