Neuö Zürcör Zäitung Samstag, 12. Mai 2012 ^ Nr. 110 ZÜRCHER KULTUR 23 Bildersammler und Architekturjäger Führungswechsel im Casinotheater Zum 80. Geburtstag des Architekturtheoretikers René Furer, der die gebaute Welt mit Fotografien dokumentiert Neuer Chef ist Nik Leuenberger sru. ^ Laut einer Mitteilung des Casinotheaters Winterthur übernimmt Nik Leuenberger im August die künstlerische Leitung des Hauses. Der bisherige Leiter, Pat Del Fatti, verlässt das Casinotheater. Nik Leuenberger pflegte jahrelang intensive Kontakte zur Schweizer Kleinkunstszene durch seine Tätigkeit beim Circus Knie. Er hat in St. Gallen Medien- und Kommunikationswissenschaften studiert und war u. a. für das Kulturfernsehen Arte tätig. René Furer war 26 Jahre lang Dozent für Architekturtheorie an der ETH Zürich. In seinen Vorlesungen begeisterte er die Studenten mit Bildern aus seinem Archiv, das über eine halbe Million Dias umfasst. Heute Samstag wird Furer 80 Jahre alt. Andres Herzog «Alles zählt im Leben», sagt René Furer an der Vernissage einer Ausstellung, die das Architekturforum Zürich zur Feier seines 80. Geburtstages ausrichtet. Was er damit meint, überlässt er seinen Zuhörern. Links und rechts klicken Diaprojektoren. Dazu schwingt Furer – in blauem Hemd unter all den schwarz gekleideten Architekten – die Hände durch die Luft und faltet sie wieder zusammen. Er blickt spitzbübisch in die Runde, bevor er mit ernster Miene weiterspricht. «Das sagt man heute anders», unterbricht er sich. «Aber ich sage es mit meiner Sprache.» JETZT Tanzfest Am Wochenende ist beim siebten Tanzfest in den Theaterhäusern und im öffentlichen Raum wieder alles in Bewegung. woh. Zürich, diverse Orte, 12./13. 5. (www.dastanzfest.ch). Konzerte Die Furer-Show Furers Eigenart machte seine Vorlesungen an der ETH legendär. Von 1968 bis 1994 prägte er als Dozent für Architekturtheorie eine Generation von Studenten, unter ihnen Architekten wie Roger Diener, Annette Gigon oder Mike Guyer, die alle von ihm schwärmen. Furer ratterte durch zwei Trommeln Diapositive und befeuerte die Netzhaut der angehenden Architekten mit Bauten aus aller Welt. Dazu erzählte er aus eigener Perspektive, nicht den Linien der Epochen oder Stilen folgend. Architekt Hans-Jörg Ruch spricht von «bühnenreifen Auftritten». Für Michael Hauser, Stadtbaumeister von Winterthur, bewegten sich seine Präsentationen «zwischen anregend und unverständlich». René Furer lebt mit seiner Frau Elena in Benglen in einer Göhner-Siedlung. Die vorgefertigten Betonelemente der Fassade versprühen biedere Norma................................................................................. AUSSTELLUNG UND BUCH sru. ^ Das Architekturforum Zürich feiert den 80. Geburtstag von René Furer mit einer Ausstellung unter dem Titel «Schatten». Gleichzeitig ist ein Buch mit Beiträgen von Roger Diener, Marc Angélil, Annette Gigon und Mike Guyer, Gabrielle Hächler, Fabio Gramazio, Georg Aerni erschienen. Zürich, Architekturforum (Brauerstr. 16), bis 19. 5. Landschaften. Eine Architekturtheorie in Bildern von René Furer. Ina Hirschbiel Schmid (Hg.). Verlag Edition Hochparterre, Zürich 2012, 320 S., Fr. 48.–/€ 39.–. Der emeritierte ETH-Architekturdozent René Furer in seinem privaten Dia-Archiv in Benglen. lität. Die beiden bezogen die Wohnung gleich nachdem sie vor vierzig Jahren auf der grünen Wiese erstellt wurde. Just in der Zeit wetterten ETH-Autoren gegen Ernst Göhners Bauwut. Also habe er von seinem Domizil nicht laut herumerzählt, sagt Furer. Die Wohnung war günstig, und das Geld gibt der Vielreisende für anderes aus. Abgesehen von der Le-Corbusier-Liege ist das Heim der Furers durchschnittlich eingerichtet: ein abgenutzter Teppich, neben dem Esstisch eine grosse Kugellampe aus Papier, Plasticstühle auf dem Balkon. «Nur die Bescheidenheit ist mit der Menschenwürde vereinbar», sagt Furer. Er redet so, wie er schreibt: Seine Wörter machen das Gesagte greifbar, er steuert aber nicht schnurgerade auf ein Ziel zu. Nur wer ihm wach zuhört, erkennt verblüfft den roten Faden neben dem Sprachwitz. Dabei schwingt seine Stimme manchmal hoch und kippt in ein kurzes, helles Lachen. Er schreibe so blumig, habe man ihm als jungem ETHAssistenten gesagt. «Aus meiner Art, zu reden, wurde mein tägliches Brot.» Furer wuchs im Berner Seeland als Sohn einer Handwerkerfamilie auf. Schon früh beschäftigte er sich mit Baudetails – etwa, wenn er seinem Vater half, Parkett zu verlegen. Sein Weg führte ihn aber schnell in eine andere Welt. «Ich zähle mich zu den Verwöhn- ten», sagt Furer. Nach seinem Städtebau-Studium in Frankreich, wo er seine Frau kennenlernte, arbeitete er in Zürich und Paris. 1962 kam er als Assistent von Bernhard Hoesli an die ETH. Es musste schnell gehen: An einem Freitag hörte er von der Position, am Montag legte er schon los. «Ich wurde die Treppe hochgeworfen», blickt Furer zurück. «Ich war verblüfft und eingeschüchtert zugleich über meinen Erfolg.» Dias bis zur Decke Als er Dozent für Architekturtheorie der Gegenwart wurde, betrat er Neuland. «Niemand sagte mir, was ich zu tun hatte.» Um den Studenten die gebaute Welt näherzubringen, wählte er das Medium Bild und begann zu fotografieren. «Eine Foto ist zuverlässiger als ein Plan oder ein Wort und für Ungeduldige ideal.» Seine Fotografien zeigen die Realität, den Alltag, es sind keine schönfärberischen Aufnahmen. Neben bekannten Entwürfen lichtete er profane Infrastrukturbauten wie Schleusen, Brücken oder Sendetürme ab. Jedes Semester reiste er mit den Studenten eine Woche lang in eine Stadt. Denn das Bild alleine reiche nicht, so Furer: «Die Unmittelbarkeit ist unabdingbar.» Über die Jahre häufte Furer Abertausende von Dias an. Jedes einzelne davon ADRIAN BAER / NZZ hat er fein säuberlich in seinem Archiv abgelegt. Es nimmt ein ganzes Zimmer in Beschlag: Vom Boden bis zur Decke türmen sich Diaschachteln, die mit Schildchen beschriftet sind. Kobe, Nizza oder Las Vegas steht dort. Daneben reihen sich Bundesordner grau an grau. Auch von seinen Vorlesungsunterlagen kann sich Furer nicht trennen. Wo welche Dias liegen, hat er im Kopf – «dank jahrelangem Training». Im Kellerabteil liegen Tonbandaufnahmen seiner Vorträge. Auch nach seiner Pensionierung sammelt Furer weiterhin. Ob er unterrichte oder nicht, sei für ihn kein Unterschied. Vor einigen Jahren begann er, seine Vorlesungen in Heften zu bündeln, die er im Eigenverlag publizierte. Sie lagern in der Waschküche. Sein Hunger nach Architektur brachte Furer auf alle Kontinente, ausser Australien. Auch heute reisen er und seine Frau, eine Kunsthistorikerin, noch regelmässig. Anfang Jahr waren sie in Athen. Vor zwei Wochen kam Furer aus Panama zurück. Auch wenn er nicht auf Achse ist, bleibt er in Bewegung. Im Nebenzimmer steht ein Hometrainer, im Türrahmen klemmt eine Turnstange. Bis vor kurzem ging der 80-Jährige noch ins Fitnessstudio. Am liebsten ist Furer aber auf den Spuren der Baukultur: «Auf meinen Erkundungsreisen finde ich meine Nahrung», lacht er. Was in den besten Familien vorkommt Grosse Kammermusik wird in der Tonhalle präsentiert: In einer Matinee spielen Felix Andreas Genner, Yukiko Ishibashi, Ilona Geangalau und Eckard Heiligers Messiaens «Quatuor pour la fin du temps», abends ist das Quatuor Ebène mit Mozart, Schubert und Tschaikowsky zu hören. Zürich, Tonhalle, 13. 5., 11.15 h und 19.30 h. Zu Ehren deren, der alles entspringt, der Viriditas, zelebriert das Ensemble ultraSchall weiss gekleidet ein Gesamtkunstwerk mit Barockmusik, Tanz, Improvisiertem, Lichtprojektionen und Naturbildern. Die Musik stammt von Händel und Johann Sebastian Bach. azn. Zürich, Monolith, Reformierte (Brahmsstr. 100), 13. 5., 17 h. Kirche Musikalische Lesung Der Schauspieler Julius Griesenberg liest aus dem Kultbuch «Die 13 1⁄2 Leben des Käpt’n Blaubär» von Walter Moers. Das Trio Blaubart – Christian Strässle (vl) Manuela Keller (p), Chris Wirth (cl) – sorgt mit Improvisationen, Stücken aus der eigenen Feder und Musik von Dimitri Schostakowitsch für die klangliche Umrahmung. ubs. Zürich, Moods, 13. 5., 19 h. Burlesque-Festival Neo-Burlesque, die Kunst der erotischen Entkleidung, hat sich einen festen Platz im Zürcher Nachtleben erobert. Das im Plaza durchgeführte «Ohh! La la! Chérie!» ist meist ausverkauft. Nun geht dort das 1. Zurich Burlesque Festival über die Bühne. fgl. Zürich, Plaza, 16. 5., 20 h. Ab 24 h Party. Gesellschaftliche Entwürfe, private Dramen – die Spielzeit 2012/13 am Schauspielhaus Zürich Das vierte Saisonprogramm von Barbara Frey und ihrem Team verspricht sozial relevante Themen in künstlerischer Vielfalt für die teuerste Stadt der Welt. Barbara Villiger Heilig Mit Rankings ist es so eine Sache. Zürich sei die teuerste Stadt der Welt, hat eines davon errechnet, und auch der Spagat zwischen Viel- und Kaum-Verdienern soll hier rekordverdächtig sein. Die Zürcher Schauspielhausdirektorin Barbara Frey nimmt den Umstand zum Anlass, einerseits an ihrem gut dotierten Haus qualitatives Verantwortungsbewusstsein zu beweisen, anderseits soziale Themen auf den diversen Bühnen zu vertiefen. In genau einem Jahr, gegen Ende ihrer vierten Spielzeit, nimmt sie als Regisseurin teil am Projekt «Arm und Reich», das anhand von Uraufführungen, internationalen Gastspielen oder Diskussionen ökonomischen und spirituellen Fragen nachgeht. Zuvor thematisiert der gesamte Spielplan Probleme des Gesellschaftswesens. Was krisenbedingt aktuell erscheinen mag, ist dabei der Kunstform geschuldet: Seit je befasst sich das Theater mit dem Menschen als Individuum im sozialen Umfeld. Allerdings greift man zum Saisonbeginn auf einen nichtdramatischen Urtext zurück. Stefan Bachmann geht mit «Genesis. Der Bibel erster Teil» in der Schiffbauhalle auf Sinnsuche – gleich nach Barbara Freys Pfauen-Eröffnung mit Ibsens «Baumeister Solness» (13./14. September), wo ein Mann zwischen zwei Frauen steht – und stürzt. Eine Frau zwischen zwei Männern gerät beim Schotten David Harrower in Gewissenskonflikte («Messer in Hennen», Regie Heike M. Goetze, 20. Sept.); eine andere glaubt mit Brecht an das Gute inmitten lauter schlechter Spekulanten («Die heilige Johanna der Schlachthöfe», R.: Sebastian Baumgarten, 29. Sept.). Variationen zum Thema bringen Shakespeare mit der Flucht aus dem menschlichen Sumpf ins verlorene Paradies des Arden-Waldes («Wie es euch gefällt», R.: Sebastian Nübling, 27. Okt.) oder Erich Kästner, dessen Berlin der Autor Lorenz Langenegger Zürich anpasst («Pünktchen & Anton», R.: Philippe Besson, Familienstück, 18. Nov.). Dass das Gutmenschentum von Intellektuellen keine bessere Welt hervorbringt, weiss der russische Sozialrevolutionär Maxim Gorki («Kinder der Sonne», R.: Daniela Löffner, 8. Dez.). Auch Hugo von Hofmannsthal sieht pessimistisch auf die – mythologisch verkleidete – Menschheit («Elektra», R.: Karin Henkel, Januar 2013). Molière legt die Falschheit der Oberschicht schonungslos dar («Der Menschenfeind», R.: Barbara Frey, 17. Jan.), und Tennessee Williams spielt, im begüterten Milieu einer Südstaaten-Grossfamilie, Verdrängung und Wahrheit gegeneinander aus («Die Katze auf dem heissen Blechdach», R.: Stefan Pucher, Februar). Einzelgänger können zu Drop-outs verkommen («Der Steppenwolf» nach Hermann Hesse, R.: Bastian Kraft, 3. Nov.; «Die Geschichte von Kaspar Hauser», R.: Alvis Hermanis, Februar), als Volkshelden enden wie bei Schiller («Wilhelm Tell», R.: Dušan David Pařizek, März) – oder, in Romanen zumal von Thomas Mann, gerissen und frech von unten nach oben streben («Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull», R.: Lars-Ole Walburg, April). Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schliesslich verwirren sich in Jon Fosses Familienkonstellationen («Schönes», R.: Werner Düggelin, Mai). Und sonst? René Pollesch kehrt wieder; doch auch der Nachwuchs bekommt seine Chance: Nach Regieassistenzen inszenieren Melanie Huber, Hannes Weiler und Jörg Schwahlen selber in der Kammer des Pfauen, Letzterer die Uraufführung von «Die Gottesanbeterin», einem Auftragsstück der jungen Anna Papst. Weitere Infos auf www.schauspielhaus.ch Sihlfeld www.nzz.ch/nachrichten/kultur ANZEIGE <wm>10CAsNsjY0MDAx1TU0szA3NAEARGqCgQ8AAAA=</wm> <wm>10CAsNsjY0MDAx1TU0szAwNwMAa7qZPA8AAAA=</wm> <wm>10CFWMqw7CQBQFv-huztxHW1hJ6poKgl_TVPP_CopDjJlMZtt6Nf14rPtrfXakLGNaZrJT1W50dxpdpXDhd6AiZpa_2DJ9SjGuxlSmGGCESUNeA78OX0cq2_s4P1c_JFB9AAAA</wm> <wm>10CFWLIQ7DQAwEX-TTruP1pTGswqKCqvxIFZz_oyZhBUtmZret1HDvub4-67sIhIw5o2dRag-WOxsL4emgL3RM0oT-F1ucPsBxNYYwz0Ga0qThM8d5i5upQ-347j8HovyFfQAAAA==</wm>