2 H A U T , H A A R E , N Ä G E L 2.1 Die Haut als Gewebe Gemeinsame Merkmale von Epithelgewebe Etwa zwei Drittel aller Zellen des Körpers, z.B. Haut, der Plasmamembran benachbarter Zellen, die für Haare, Nägel, innere Organe, werden im engeren die mechanische Festigkeit eines Gewebes sorgen. Sinn zum Epithelgewebe gerechnet. Epithel kommt typischerweise in Form eines geschlossenen Zellverbandes vor. Gap junctions Zwischen den Zellen befinden sich außerdem regelmäßig gap junctions, also poröse Stellen in den be- Desmosomen Die Epithelzellen liegen einander unmittelbar an und nachbarten Plasmamembranen zweier Zellen. Sie ermöglichen den Austausch von Stoffen und elektri- nehmen untereinander Kontakt auf (Abb. 2.1). Dieser scher Ladung zwischen benachbarten Zellen, ohne Kontakt geschieht z.B. mittels der Desmosomen aber einen elektrischen Kurzschluss zur extrazellulä- (Maculae adhaerentes), zytoskelettreichen Bezirken ren Flüssigkeit herzustellen; das Membranpotenzial der Zellen (s. u.) bleibt somit erhalten. Tight junctions Zellverbindungen tight junction gap junctions Desmosom Weiterhin bilden die meisten Epithelien eine dichte Membran, die für Wasser und gelöste Stoffe mehr oder weniger undurchlässig ist. Die Dichtigkeit vieler Epithelien (z. B. der ableitenden Harnwege und der Haut) wird durch sog. tight junctions (Zonulae occludentes) ermöglicht. Eine tight junction besteht aus einem Netzwerk längsgerichteter Plasmaeiweiße sehr eng benachbarter Zellen, die verzahnt ineinander greifen. Da diese tight junctions in der Regel nicht die gesamte Kontaktfläche benachbarter Zellen einnehmen, spricht man auch von Schlussleisten (engl. strands). Basalmembran Plasmamembran Epithelzelle Zellkern Basalmembran Abb. 2.1 Epithelzellen müssen fest aneinander haften und diebeiden Seiten der Zelle wasserdicht voneinander trennen. Für den festen Halt sorgen Desmosomen, an denen sich das Zytoskelett verankert. An der Oberseite des Epithels sorgen tight junctions dafür, dass keine Flüssigkeit neben der Zelle vorbeilaufen kann. Gap junctions sind elektrische und chemische Kontaktstellen zwischen zwei benachbarten Zellen. 24 Allen Epithelien ist gemeinsam, dass die Zellen einer Basalmembran aufsitzen, die aus extrazellulären Fasern besteht und eine Leitschiene darstellt, entlang derer sich das Epithel ausbreiten und nach einem Defekt wieder regenerieren kann. Die Basalmembran trennt die Epithelzellen von der Blutseite und Schwegler, Der Mensch – Anatomie und Physiologie (ISBN 3131001542), F 2006 Georg Thieme Verlag 2 .1 D I E H A U T A L S G E W E B E liefert die notwendige Information zur asymmetrischen Organisation. Ohne Basalmembran wissen Typen des Epithelgewebes die Epithelzellen nicht, wo „innen“ und „außen“ ist und teilen sich entweder gar nicht oder bleiben in Form und Anordnung von Epithelzellen einem undifferenzierten Zustand. Deckepithel (flach) Zellgrenzen Zellkern einschichtiges Epithel Basalmembran Deckepithel (würfelförmig) Basalmembran transportierendes Epithel (zylinderförmig) Bürstensaum (Mikrovilli) Basalmembran unverhorntes Plattenepithel (Schleimhaut) lebende Deckzellschicht Keimschicht Basalmembran mehrschichtiges Epithel verhorntes Plattenepithel (Haut) Hornschicht Keimschicht Basalmembran Übergangsepithel zusammengeschoben (entleerte Blase) gedehnt (gefüllte Blase) Schutzschicht (Crusta) Basalmembran Abb. 2.2 Epithelien bestehen entweder nur aus einer einzigen oder aus mehreren übereinander liegenden Zellschichten. Die oberflächlichen Zellen von Deckepithel sind flach und können, wenn sie besonders mechanisch belastet werden, verhornen. Transportierende Epithelzellen sind höher und haben häufig Ausstülpungen der Zellmembran (Mikrovilli) auf ihrer Oberfläche. Das Übergangsepithel von Harnleiter und Blase ist dehnbar und passt sich dem unterschiedlichen Füllungszustand an. Schwegler, Der Mensch – Anatomie und Physiologie (ISBN 3131001542), F 2006 Georg Thieme Verlag 25 7 URIN AUSSCHEIDEN 7.1 Lage und Funktion der Niere Lage Lage der Nieren Linke und rechte Niere liegen hinter dem Bauchfell, untere Hohlvene also im Retroperitonealraum. Ihre Längsachse ist Fett und Bindegewebe leicht gekippt, so dass der obere Nierenpol einen ge- Speiseröhre Nebennieren Nebennierenvene ringeren Abstand zur Wirbelsäule hat als der untere. Dem oberen Nierenpol sitzt wie eine leicht zur Mitte hin verschobene Kappe die Nebenniere auf, ein wichtiges hormonproduzierendes Organ. Die Nieren liegen vergleichsweise weit oben im rechte Niere Nierenvene Nierenarterie M. psoas major Beckenkamm Beckenarterie und -vene Rumpf, direkt unterhalb des Zwerchfells, am Übergang von der Brust- zur Lendenwirbelsäule. Die rech- Harnleiter te Niere wird vom mächtigen rechten Leberlappen Harnblase leicht nach unten verdrängt. Im Stehen und bei starker Einatmung bewegt sich die Niere um wenige Zentimeter nach unten. Diese Verschieblichkeit Prostata Harnröhre a wird dadurch ermöglicht, dass die Nieren von einer derben Organkapsel eingehüllt sind, die ihrerseits in Nierenbecken Aorta untere Hohlvene lockerem Fett- und Bindegewebe schwimmend gela- Fett und Bindegewebe gert ist (Abb. 7.1). Nierengurt. Ihre hervorragende Lagerung tief im Inneren des Körpers sowie die Tatsache, dass die Nieren zum größten Teil von den Rippen umgeben sind, schützt sie sowohl vor b harten Stößen und Schlägen als auch vor Auskühlung. Beim Motorradfahren würden die Nieren niemals auskühlen, vorher wäre der Motorradfahrer schon vor Unterkühlung gestorben. Der sogenannte „Nierengurt“ schützt nicht die Nieren, sondern die Muskulatur der Lendenwirbelsäule vor Auskühlung und Verspannung (Hexenschuss). Aufbau Größe und Gewicht M. psoas major autochthone Rückenmuskulatur Wirbelkörper rechte Niere Abb 7.1 Teil (a) der Abbildung zeigt den Raum hinter dem Bauchfell (Retroperitonealraum), nachdem die Bauchspeicheldrüse entfernt worden ist. Ein „Lager“ aus Fett und Bindegewebe schützt die Nieren vor Erschütterungen. Nierenarterie und vene zweigen rechtwinklig aus den großen Bauchgefäßen ab. Der Harnleiter überkreuzt auf seinem Weg zur Blase die Bekkenarterien. Auf einem Querschnitt durch den oberen Bauchraum (b) sehen Sie, dass die Nieren direkt neben der Wirbelsäule liegen und durch die Rückenmuskulatur nach hinten isoliert sind. Die Niere eines gesunden Erwachsenen ist ca. 12 cm 212 lang, 6 cm breit, 5 cm dick und hat ein Gewicht von chen. Umgekehrt führt eine überwiegend kohlenhy- ca. 100–200 g. Diese Werte sind je nach Körperkon- dratreiche Kost dazu, dass die Nieren kleiner werden. stitution und Ernährungsgewohnheiten starken Die typische Nierenform kommt dadurch zustande, Schwankungen unterworfen: Bei einer ausgeprägt dass sich das Nierengewebe zur Mittellinie hin – ge- eiweißreichen Diät bzw. wenn die zweite Niere funk- wissermaßen in Embryohaltung – einrollt (Abb. 7.2). tionsuntüchtig ist oder entfernt wurde, kann eine Auf diese Weise entstehen eine konvexe Außenfläche Niere das Doppelte ihres Ausgangsgewichts errei- und eine konkave Innenfläche. Schwegler, Der Mensch – Anatomie und Physiologie (ISBN 3131001542), F 2006 Georg Thieme Verlag 7.1 L A G E U N D F U N K T I O N D E R N I E R E untüchtige Areal, während das übrige Gewebe nicht Längsschnitt durch eine Niere Nierenlappen beeinträchtigt wird. Hufeisennieren sind mit ihrem unteren Pol über Nierenrinde Nierenkapsel Nierenmark Nierenkelch Nierenhilus Nierenbecken Markpyramide die Wirbelsäule hinweg miteinander verwachsen und enthalten zwei oder mehrere Nierenbecken. Bei der Senkniere ist die Verschieblichkeit des Organs abnorm vergrößert: Im Stehen rutscht die Niere aus ihrem Fettlager nach unten bis in den Beckenraum ab. Diese im Prinzip harmlose Normvariante Markstrahlen besitzt nur dann Krankheitswert, wenn der Harnleiter abgeknickt wird und der Urin im Stehen nicht mehr abfließen kann. Harnleiter Nierenpapille Nierensäule Abb 7.2 Unter der Nierenrinde ziehen gestreifte Markpyramiden zu jeweils einem Nierenkelch. An die Markpyramiden grenzen die Nierensäulen, die aus Nierenrindengewebe bestehen. Je eine Markpyramide und die zwei angrenzenden halben Nierensäulen bilden einen Nierenlappen. Die Nieren liegen am Übergang von den Brust- zur Lendenwirbelsäule. Sie schwimmen in einem Fett- und Bindegewebslager. Nierenkapsel und -rinde Eine derbe Bindegewebskapsel (Capsula fibrosa) umhüllt die ungefähr einen Zentimeter breite, rotbraun gefärbte Nierenrinde (Cortex renalis). Die Nierenrin- Nierenhilus de ist ein homogen erscheinendes Gewebe, das von vielen stecknadelkopfgroßen Strukturen (Glomerula) durchsetzt ist. Die der Wirbelsäule benachbarte Konkavfläche enthält den Nierenhilus, also die Einmündungsstelle der Nierenmark Nierenarterie (A. renalis), und den Ursprung von Nie- Weiter innen – in Richtung Nierensinus – erkennt renvene (V. renalis), Harnleiter (Ureter) und Lymph- man eine Reihe (8–20) von Markpyramiden, deren gefäßen. Spitzen zum Nierenbecken weisen. Die Gesamtheit Nierensinus dieser Markpyramiden bildet das Nierenmark (Medulla renalis). Je zwei Markpyramiden sind durch Der Längsschnitt durch eine Niere (Abb. 7.2) zeigt Ih- eine Säule aus Nierenrindengewebe voneinander ge- nen, dass sich das Nierengewebe wie ein Ballettschuh einrollt, wobei die Nierenkapsel der Schuh- trennt (Columna renalis), die sich bis an die äußere sohle entspricht. Dadurch entsteht im Inneren der Markpyramide und der außen anschließende Anteil Niere eine Tasche, die mit Ausnahme des Nierenhilus der Nierenrinde bilden einen Nierenlappen (Lobus allseits von Nierengewebe umfasst ist – der Nieren- renalis). Begrenzung des Nierenbeckens vorschiebt. Je eine sinus. Er wird zum größten Teil vom Nierenbecken (Pelvis renalis) ausgefüllt, das von einem wasserdichten Epithel ausgekleidet ist. Blutversorgung 20–25 % des gesamten Herzzeitvolumens durchströ- Missbildungen der Nieren. Missbildungen men ständig die beiden Nieren. Daher haben Nieren- der Niere sind extrem häufig und werden arterie und -vene einen großen Innendurchmesser. meist nur als Zufallsbefund festgestellt. Die Nierenarterien entspringen beidseits nahezu Eine Nierenzyste entsteht dadurch, dass ein Teil der rechtwinklig aus der Aorta. Die rechte Nierenarterie Niere zwar Urin produziert, jedoch keinen Anschluss an das ableitende Harnwegsystem hat: Der Urin unterquert hinten die untere Hohlvene. Die Nierenvenen verlaufen parallel zu den Arterien, d. h. dass staut sich auf, der Staudruck zerstört das funktions- die linke Nierenvene die Aorta vorne überquert. Schwegler, Der Mensch – Anatomie und Physiologie (ISBN 3131001542), F 2006 Georg Thieme Verlag 213 7 URIN AUSSCHEIDEN Arterielles Blut gelangt über die Bogenarterien (Aa. strömen in den allgemeinen Kreislauf zurück, ohne arcuatae) zwischen die Markpyramiden und die ent- das Mark zu durchbluten. sprechenden Nierenrindenbezirken jedes Nierenlappens. Aus diesen Bogenarterien leiten aufsteigende Die Nierenrinde hat eine extrem hohe Durch- Gefäße das Blut in die Glomerula und von dort wie- blutung. Etwa 15 keilförmige Markpyrami- der abwärts zur Versorgung der Nierenrinde und des Marks. 30 % des gesamten durch die Niere strömen- den erstrecken sich von der Nierenrinde bis in den Nierensinus. den Bluts erreichen jedoch nur die Nierenrinde und Aufbau eines Nephrons Der mikroskopische Feinbau der Niere ist – verglichen mit dem anderer Organe – recht komplex Nierenkörperchen und wirkt auf den ersten Blick schwer verständlich. Das Nierengewebe besteht nahezu ausschließlich Vas afferens aus einem verschlungenen, von flachem bis zylinder- BowmanKapsel förmigem Epithel ausgekleideten Röhrensystem sowie einer Vielzahl kleinster Blutgefäße. Die kleinste Vas efferens • Mesangiumzellen Gefäßpol • granulierte Zellen in der Wand des Vas afferens Baueinheit der Niere ist das Nephron. Der Mensch besitzt schätzungsweise 1–1,5 Millionen Nephrone, die alle parallel zueinander geschaltet sind. Jedes Nephron setzt sich funktionell aus zwei unterschiedlichen Abschnitten zusammen, dem Nierenkörperchen und dem Tubulus. Nierenkörperchen • Macula-densa-Zellen des distalen Tubulus juxtaglomerulärer Apparat 7.2 Kapillaren des Glomerulums Harnpol Kapselraum Abb 7.3 Jedes Nierenkörperchen besteht aus einer Kapsel (Bowman-Kapsel) und einem Netz aus Kapillarschlingen (Glomerulum). Gefäßpol und Harnpol liegen auf entgegengesetzten Seiten. Beachten Sie, dass sich einTeil des Tubulus dem Gefäßpol des Nierenkörperchens eng anlagert (juxtaglomerulärer Apparat). Glomerulum Das Nephron beginnt mit einem Nierenkörperchen Es handelt sich dabei um ein 0,2–0,3 mm großes Kü- Das Glomerulum ist von der Bowman-Kapsel umgeben, die im Prinzip den blindsackartigen Beginn des (Corpusculum renale, Malpighi-Nierenkörperchen). 214 Bowman-Kapsel gelchen, das im Wesentlichen von einer knäuelför- Tubulussystems darstellt. Im Verlauf der Entwick- migen Kapillarschlinge, dem Glomerulum, gebildet lung hat sich dieser Tubulusanteil ausgeweitet und wird (Abb. 7.3). Die aus der Nierenarterie stammenden Arteriolen (Einzahl Vas afferens, Mehrzahl Vasa das Glomerulum eingehüllt. Es entstand eine dop- afferentia) teilen sich in 30–60 parallele Kapillar- dem Kapillarendothel des Glomerulums verwachsen schlingen auf, deren Endothel für Wasser und gelöste ist. Die Epithelzellen dieser inneren Schicht der Bow- Stoffe extrem durchlässig ist, Blutzellen und große Eiweißmoleküle jedoch zurückhält. Das die glome- man-Kapsel haben sich zu charakteristischen Podozyten („Füßchenzellen“) umgewandelt, zwischen rulären Kapillarschlingen verlassende, immer noch deren Ausläufern Wasser und kleinere gelöste Mole- sauerstoffreiche Blut wird in arteriolenähnlichen küle aus dem Glomerulum in das Tubulussystem ab- Blutgefäßen (Vasa efferentia) gesammelt und einem weiteren Kapillarnetz zugeleitet. filtriert werden. Diese Flüssigkeit bezeichnet man als pelwandige Struktur, deren innere Schicht fest mit Primärharn. Schwegler, Der Mensch – Anatomie und Physiologie (ISBN 3131001542), F 2006 Georg Thieme Verlag 7. 2 A U F B A U E I N E S N E P H R O N S wasserdurchlässiges Epithel mit zylinderförmigen, Gefäß- und Harnpol mitochondrienreichen Zellen. Das Nierenkörperchen besitzt also einen Gefäßpol an der einzigen nicht von der Bowman-Kapsel umhüll- Henle-Schleife ten Stelle (Mündung und Ursprung von Vas afferens Der folgende kurze gerade Anteil des proximalen Tu- und Vas efferens) sowie einen entgegengesetzt gele- bulus bildet zusammen mit dem dünnen ab- und aufsteigenden Ast sowie dem dicken aufsteigenden genen Harnpol als Ursprung des Tubulussystems aus der Bowman-Kapsel. Ast die Henle-Schleife. Ihre Form erinnert an eine Zugposaune, deren Spitze bis weit ins Nierenmark Nierentubulus hineinreicht. Das Epithel des absteigenden Astes Durch die Glomerulumschlingen gelangen täglich bis wasserdurchlässig. Im aufsteigenden Ast wird das zu 200 l Flüssigkeit in die Bowman-Kapseln (!). Da- Epithel erneut stoffwechselaktiv, nun aber wasser- mit wir nicht innerhalb weniger Minuten austrock- undurchlässig. nen, müssen 99 % dieser Menge wieder dem Blut zugeführt werden. Dieser Aufgabe dient der Nierentu- Distaler Tubulus bulus (Abb. 7.4). Es besteht ausden folgenden Struk- An die Henle-Schleife schließt sich ein weiterer ge- turen: wundener Abschnitt, der distale Tubulus (distales der Henle-Schleife ist flach und wiederum sehr gut Konvolut) an. Dieser Teil ähnelt in vielerlei Hinsicht Proximaler Nierentubulus dem proximalen Tubulus. Das distale Konvolut jedes Der erste Teil dieses Röhrensystems heißt proximaler einzelnen Nephrons nimmt an dieser Stelle Kontakt Nierentubulus. Er ist vielfach geschlängelt und be- mit dem Gefäßpol seines eigenen Glomerulums auf und bildet den juxtaglomerulären Apparat (juxta lat. sitzt ein sehr stoffwechselaktives, dabei aber gut = neben), eine zentrale Struktur bei der hormonellen Regulation von Blutdruck und Flüssigkeitshaushalt. Schema eines Nephrons Vas efferens Sammelrohr Überleitungssegment Nach dem distalen Konvolut geht der Tubulus in ein langes gestrecktes Ableitungssystem, das Sammelrohr, über. Wie der Name schon sagt, sammelt dieser Abschnitt den noch unfertigen Harn aus mehreren Vas afferens Glomerulum Sammelrohr Tubuli. Die Anzahl der Sammelrohre ist daher deutlich geringer als die der Nierenkörperchen und Tubuli. Die Sammelrohre verlaufen parallel zu den HenleSchleifen in gerader Linie auf die Nierenpapille zu, proximaler Tubulus distaler Tubulus vereinigen sich zu größeren Papillargängen (Ductus papillares) und geben den Urin in das Nierenbecken ab. absteigender Ast Henleaufsteigender Ast Schleife Die Nieren bestehen aus ca. einer Million Nephrone, die sich jeweils aus einem Nierenkörperchen und einem Tubulusapparat zusammenset- Abb 7.4 Jedes Nephron besteht aus dem Nierenkörperchen mitzu- und abführendem Blutgefäß, dem proximalen (nahen) Tubulus, der dünnen und langen Henle-Schleife, dem distalen (fernen) Tubulus und dem Sammelrohr. Die Henle-Schleife dient zusammen mit dem parallel verlaufenden Sammelrohr der Harnkonzentrierung. zen. Das Nierenkörperchen besteht aus Glomerulum und Bowman-Kapsel, der Tubulusapparat aus proximalem Tubulus, Henle-Schleife, distalem Tubulus und Sammelrohr. Schwegler, Der Mensch – Anatomie und Physiologie (ISBN 3131001542), F 2006 Georg Thieme Verlag 215 7 URIN AUSSCHEIDEN 7.3 Filtration und Resorption Glomeruläre Filtration Filterstrukturen Glomerulum-Kapillare Zwischen den „Zehen“ der Füßchenzellen im Glome- gefenstertes Kapillarendothel rulum spannt sich eine feine, gefensterte Basalmembran aus, deren Poren nur ca. 25 Nanometer breit sind Basalmembran (Abb. 7.5). Diese Poren halten sämtliche Plasmabe- Kern eines Podozyten standteile zurück, deren Molekulargewicht höher ist als 60 000–70 000. Das verbleibende Ultrafiltrat, Podozytenausläufer der sog. Primärharn, ist daher weitgehend eiweißfrei. Im Verlauf der Filtration bleiben ständig Rückstände in der Basalmembran zurück, welche auf die Dauer den Filter verstopfen würden. Der Nierenfilter muss also ähnlich wie in der Kaffeemaschine regelmäßig gereinigt werden. Diese Aufgabe übernehmen die zwischen den Kapillarschlingen eingelagerten Mesangiumzellen. Sie nehmen Teile der Basalmembran per Endozytose auf und bauen diese intrazellulär ab. Frische Basalmembran wird sowohl von den Endothelzellen als auch von den Podozyten nachgebildet. Abb 7.5 Innerhalb eines Glomerulums umgeben Ausläufer benachbarter Podozyten jede einzelne Kapillare. Große Blutbestandteile werden durch die „Fenster“ der Kapillarendothelzellen, die angrenzende Basalmembran und die Zwischenräume zwischen den Podozyten zurückgehalten und können nicht in die Bowman-Kapsel vordringen. Funktion eines Nierenkörperchens Effektiver Filtrationsdruck Kapillare Treibende Kraft für die Filtration im Glomerulum ist der Blutdruck in den Kapillarschlingen (ca. 45–55 mmHg). Diesem entgegengesetzt wirken kolloidosmotische Druck der Plasmaproteine (ca. 24 mmHg) sowie der Druck in der Bowman- Kapsel (ca. 15–20 mmHg). Es verbleibt ein effektiver Filtrationsdruck von durchschnittlich 8 mmHg (Abb.7.6). Eine Blutdrucksenkung um nur 16 %, also von 50 auf 42 mmHg, würde bereits den effektiven Filtrationsdruck auf Null senken und die Filtration vollständig zum Erliegen bringen. Es käme zum akuten Nierenversagen. Zur Vermeidung dieses Verstärkereffekts besitzen die Nierengefäße die Fähigkeit, trotz schwankenden Blutdrucks im Gesamtkreislauf den Druck innerhalb der glomerulären Kapillaren – und damit die filtrierte Flüssigkeitsmenge – in engen Grenzen kon- Blutdruck 50 mmHg Druck in BowmanKapsel 18 mmHg effektiver Filtrationsdruck 8 mmHg kolloidosmotischer Druck 24 mmHg BowmanKapsel Kapselraum Tubulus Abb 7.6 Damit Primärharn aus dem Blut in die Bowman-Kapsel gepresst wird, muss ein positiver effektiver Filtrationsdruck herrschen. Das heißt, die Kräfte, welche Blutbestandteile aus der Kapillare filtrieren (Rest-Blutdruck), müssen größer sein als die entgegenwirkenden Kräfte (Druck in der Bowman-Kapsel und kolloidosmotischer Druck). stant zu halten (Autoregulation). Zuführende und ab- 216 führende Gefäße wirken dabei funktionell entgegen- sich hingegen die Gefäßmuskulatur des Vas efferens, gesetzt: Erhöht sich der Widerstand im Vas afferens, dann sinkt der effektive Filtrationsdruck, kontrahiert so findet ein „Aufstau“ im Glomerulum statt; der Filtrationsdruck wird größer (Abb. 7.7). Schwegler, Der Mensch – Anatomie und Physiologie (ISBN 3131001542), F 2006 Georg Thieme Verlag 7. 3 F I LT R AT I O N U N D R E S O R P T I O N Dieser Mechanismus funktioniert allerdings nur bei Autoregulation im Glomerulum Blutdruckwerten über ca. 80 mmHg. Fällt der Blut- normal druck unter diesen Wert, dann bricht die Filtration im Glomerulum zusammen – es entsteht ein Nierenversagen. a effektiver Filtrationsdruck Glomeruläre Filtrationsrate Auf Grund der guten Autoregulation der Nierengefä- RR ße bleibt das pro Zeiteinheit filtrierte Flüssigkeitsvolumen – die glomeruläre Filtrationsrate (GFR, Abb. b 7.8) – unabhängig vom Blutdruck konstant (ca. 110–130 ml/min oder 160–190 l/Tag). Das heißt, dass von jedem Liter Blut, der durch die Nieren RR strömt, ca. 200 ml als Primärharn in das Tubulussystem gelangen. Die übrigen 800 ml gelangen über die Vasa efferentia in die Nierenvenen. c Frauen haben eine durchschnittlich um 10 % niedrigere GFR als Männer, da sie weniger harnpflichtige Abb 7.7a-c Damit der effektive Filtrationsdruck (a) gleich bleibt, muss sich der „Rest-Blutdruck“ (Perfusionsdruck) in einer Glomerulumkapillare vom schwankenden allgemeinen Blutdruck unabhängig machen. Bei steigendem Blutdruck (b) verengt sich das zuführende Gefäß und wirkt wie ein Drosselventil. Bei fallendem Blutdruck (c) staut das abführende Gefäß Blut auf, gleichzeitig erweitert sich das zuführende Gefäß. Substanzen aus der Muskulatur freisetzen. Hinweise für ein glomeruläres Nierenversagen. Der Primärharn ist normalerweise frei von Eiweiß. Eiweiß im Urin ist daher stets verdächtig für eine Störung dieses Plasmafiltersystems, beispielsweise eine immunologisch ausgelöste Entzündung (Glomerulonephritis) oder eine Glomeruläre Filtrationsrate Nierenkomplikation bei Diabetes mellitus. ca. 1 400 l Blut Eine dauernde Einschränkung der glomerulären ca. 700 l Plasma Filtrationsrate ist ebenfalls Zeichen einer beginnen- ca. 1 600 l Blut ca. 900 l Plasma den Funktionseinschränkung der Nieren, obwohl noch eine GFR von 40–50 ml/min eine fast normale Ausscheidung von Abfallstoffen gewährleistet. Umgekehrt steigt die GFR nach einer deftigen Eiweißmahlzeit um bis zu 20 % an. Dieser Anpassungsmechanismus ist sinnvoll, weil jede Verstoffwechselung 160 – 190 l/Tag Primärharn (GFR) entspricht einer Badewannenfüllung von Aminosäuren zu einem deutlichen Mehranfall an Harnstoff führt, dessen Ausscheidungsrate ganz wesentlich von der glomerulären Filtrationsrate abhängt. Das heißt aber im Umkehrschluss, dass Patienten mit eingeschränkter GFR nicht zu viel Eiweiß essen sollten, damit der Organismus nicht mit Harnstoff überschwemmt wird. Abb 7.8 Jeden Tag geben die Glomerula knapp 200 Liter Primärharn in den proximalen Tubulus ab. Damit wir nicht sofort austrocknen, resorbiert die Niere 99 % dieser Menge wieder ins Blut. Die Glomerula filtrieren aus dem durchströmenden Blutplasma täglich ca. 180 Liter Primärharn. Die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) beträgt rund 20 % des durch die Nieren strömenden Volumens. Schwegler, Der Mensch – Anatomie und Physiologie (ISBN 3131001542), F 2006 Georg Thieme Verlag 217