Die Signalübertragung in Krebszellen blockieren Beim Entstehen und Fortschreiten der meisten Krebserkrankungen spielen Fehlregulationen von Wachstumsprozessen eine Rolle. Daher arbeitet man an der Entwicklung von Substanzen, die durch Wachstumsfaktor-Rezeptoren gesteuerte Prozesse hemmen und so Signalübertragungswege in Zellen blockieren können. TarcevaTM ist ein solcher «Signalübertragungshemmer». In den frühen 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde entdeckt, dass bestimmte Krebs verursachende Viren, (ErythroblastoseTumor-Viren), die Erbinformation für die Bildung eines veränderten humanen epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptors enthielten [1]. Solche epidermalen (sich auf der Zelloberfläche befindende) Wachstumsfaktor-Rezeptoren (EGFR1) sind normalerweise an der Regulierung von Wachstums- und Differenzierungsprozessen von Zellen beteiligt. In Folge fand man bei vielen Tumoren eine ungewöhnlich hohe Anzahl dieser Rezeptoren (EGFR1, HER1), was den Schluss nahelegte, dass sie eine Rolle bei der Krebsentstehung spielen. Verschiedene Anstrengungen wurden daraufhin unternommen, um die durch HER12 gesteuerten Signalwege selektiv zu hemmen. Antikörper wurden entwickelt, die den extrazellulären Teil der Rezeptoren blockieren sollen. Des Weiteren wurden niedermolekulare Substanzen, so genannte kleine Moleküle (Zellsignalhemmer) konstruiert, die die Schaltstellen dieser Rezeptoren im Zellinneren blockieren können. Eine Familie von Wachstumsfaktor-Rezeptoren Bis heute sind vier dem HER1 verwandte humane Wachstumsfaktor-Rezeptoren bekannt. Sie werden als HER1-HER4 (von engl.: human epidermal growth factor receptor) bezeichnet. Aufbau und Aktivierung der Rezeptoren Jeder dieser vier Rezeptoren enthält einen ❚ extrazellulären, ❚ transmembranen und einen ❚ intrazellulären Bereich. Die extrazelluläre, sich auf der Zelloberfläche befindende so genannte Ligandenbindungsregion dient dazu, jeweils verschiedene Wachstumsfaktoren, die Liganden, zu binden. Allerdings bindet ein Ligand in der Regel immer an zwei Rezeptoren gleichzeitig an. Dadurch können zwei gleichartige oder zwei unterschiedliche HER an der Zelloberfläche aneinander gekoppelt werden (siehe Abb. 1) [1]. Durch diese so genannte Rezeptordimerisierung ändert sich die dreidimensionale Molekülstruktur der vorher monomeren Rezeptoren. 1 2 38 EGFR von engl.: epidermal growth factor receptor auch ErbB1 oder EGFR1 genannt ABBILDUNG1: Auslösung des normalen Wachstumsstimulus nach Bindung eines Liganden an die HER1/HER2 an der Zelloberfläche. HER2 Ligand HER1 Der intrazelluläre Bereich der Rezeptoren hat die Funktion eines Enzymes, genauer gesagt, einer Tyrosinkinase. Was heisst das? Hat ein Ligand angedockt und eine Rezeptordimerisierung stattgefunden, können im intrazellulären Bereich der Rezeptoren nun kreuzweise Tyrosinphosphorylierungen der einen Tyrosinkinase-Untereinheit des einen Rezeptors durch die Kinase des zweiten Rezeptors erfolgen. Das bedeutet, dass sich dort jeweils ein Molekül Adenosintriphosphat (ATP) anlagern und eine energiereiche Phosphatgruppe auf die Aminosäure Tyrosin übertragen kann. Durch Aktivierung der Tyrosinkinase und Phosphorylierung von Tyrosinresten (siehe Abb. 2) werden intrazelluläre Signalwege aktiviert [2]. Strukturell ähnlich, aber funktionell verschieden Die Mitglieder der HER-Familie sind sich strukturell ähnlich, haben aber beträchtliche funktionelle Unterschiede. Dem HER2 kommt besondere Bedeutung zu, da er bei Heterodimerisationen mit den anderen HER bevorzugt wird, obwohl bisher kein natürlicher Ligand bekannt ist, der sich ausschließlich an HER2 bindet. An HER1, HER3 und HER4 können verschiedene, in Abb. 3 genannte Liganden binden. Ihre ABBILDUNG 2: Strukturformel eines phosphorylierten Tyrosinrestes in Proteinen. Therapie: Tyrosinkinasehemmer 39 LIGANDEN EGF TGF - Amphiregulin beta-Cellulin HB-EGF NRG2 NRG3 Heregulin beta-Cellulin Heregulin cysteinreiche Domänen Tyrosinkinasedomäne ErbB1 EGFR HER1 ErbB2 HER2 neu ABBILDUNG 3: Übersicht über HER, die weiteren gebräuchlichen Bezeichungen für diese Rezeptoren und die Liganden, die an diese Rezeptoren binden. Bedeutung der Abkürzungen: EGF: epidermal growth factor, TGF- : transforming growth factor-, HB-EGF: ErbB3 HER3 ErbB4 HER4 Heparin bindender EGF-ähnlicher Faktor, NRG: neuregulin, eine Klasse von EGF-ähnlichen Liganden, die primär an HER3 und HER4 binden. Vier Typen, NRG1NRG4, sind bekannt. Spezifität für einen einzelnen Liganden ist unterschiedlich. HER3 haben nur wenig oder keine Tyrosinkinaseaktivität und können daher auch keine Signalübertragungsprozesse in homodimerer Form in Gang setzen [1]. HER1 und HER2 sind die bestuntersuchten Rezeptoren. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass fehlregulierte Signale von HER1 und HER2 und wahrscheinlich auch von HER3 und HER4 eine Rolle bei Entwicklung und Fortschreiten vieler Krebsleiden spielen [3]. HER1 und HER2 wurden somit zum Zielmolekül (Target) für neue maßgeschneiderte Tumortherapien (siehe Roche-Facetten Nr. 19: «Neue Strategien zur Krebsbekämpfung»). Viele Tumoren haben eine erhöhte Anzahl von HER1 und HER2 40 Liganden-Überproduktion (autokrine Schleife) HER1-Überexpression Aktivierung ohne Liganden Rezeptormutation EGFRvIII P P P P P P P P P P ABBILDUNG 4: Mechanismen anormaler HER1-Aktivität, die in Tumoren auftreten können. Zwischen der HER1-Funktion und der Entstehung eines Tumors besteht also ein Zusammenhang. Fehlregulation des Rezeptors kann zu Krebs führen. Diese HER1-Fehlregulation kann verschiedene Ursachen haben (siehe Abb. 4). Je nach Tumor tragen alle oder nur einzelne dieser Ursachen zur Tumorbildung bei. Wir beginnen erst allmählich zu verstehen, welche Bedeutung die einzelnen im Folgenden aufgeführten Ursachen haben. HER1-Stimulierung und Tumorentstehung Erhöhte Produktion von Wachstumsfaktoren Ein wichtiger Prozess ist die Überproduktion der HER1-Liganden TGF- (von engl.: transforming growth factor-) und EGF (von engl.: epidermal growth factor). Diese Wachstumsfaktoren werden zum Teil sogar von den Zellen, die vermehrt HER1 aufweisen, selbst gebildet. Man spricht dann von einer autokrinen Schleife3. Tumorzellen können sich also durch Produktion 3 Autokrin bedeutet die Aktivierung von Zellrezeptoren durch Liganden, die von der gleichen Zellen gebildet worden sind. Therapie: Tyrosinkinasehemmer 41 TABELLE 1: Viele solide Tumoren zeigen eine HER1-Überexpression, was vermuten lässt, dass eine unnormale HER1-Aktivierung an ihrer Entstehung und ihrem Wachstum beteiligt ist. Krebsleiden HER1-Expression [%] Kopf- und Halstumoren (Plattenepithelkarzinome) 80 – 100 nichtkleinzelliges Lungenkarzinom 40 – 80 Prostatakrebs 40 – 80 gastrointestinale Tumoren 33 – 74 Brustkrebs 14 – 91 kolorektales Karzinom 25 – 77 Bauchspeicheldrüsenkrebs 30 – 50 Eierstockkrebs 35 – 70 von Wachstumsfaktoren selbst zu weiteren Zellteilungen stimulieren. In der Tat wurde beobachtet, dass viele Tumorzellen verglichen mit Normalzellen mehr oder wenig unabhängig von Wachstumsfaktoren sind, da sie sich autokrin (selbst) versorgen können [5]. Dies gilt insbesondere für hormonresistente Tumoren von Brust und Prostata [6, 7]. Vermehrtes Auftreten von Wachstumsfaktor-Rezeptoren Die HER1-Überexpression, d. h. die vermehrte Bildung von HER1, kann aufgrund einer Vervielfachung (Amplifizierung) des Gens, welches den «Bauplan» für dieses 170 kDa große transmembrane Glukoprotein enthält, auftreten. Eine erhöhte Anzahl von HER1 findet man aber auch aufgrund einer aus anderen Gründen erhöhten Proteinproduktion. In den letzten 20 Jahren wurde die Expression von HER1 bei vielen Krebsleiden untersucht. Obwohl die Daten variierten, findet man HER1 oder eine Überexpression von HER1 bei den meisten soliden Tumoren (siehe Tab. 1) [3, 8]. Zusätzlich zeigen viele Tumoren eine verstärkte Bildung auch der anderen HER. Rezeptoraktivierung ohne Liganden Ein anderer, weniger gut verstandener Mechanismus der HER1Fehlregulation ist die Rezeptoraktivierung ohne Liganden. Diesen Mechanismus trifft man z. B. bei Rezeptoren, die durch 42 Mutationen verändert wurden. Der EGFRvIII ist ein solcher durch Mutationen veränderter HER1. Er weist keinen extrazellulären Liganden-bindenden Bereich auf und kann auch ohne Ligandenbindung aktiv sein kann. Man spricht in diesem Fall von konstitutiver Aktivierung. Man geht davon aus, dass der EGFRvIII eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung hochaggressiver Tumoren spielt [4]. Bei vielen humanen Tumoren wurde er gefunden; am häufigsten bei Glioblastomen, bei Brust- und Prostatakrebs und dem nichtkleinzelligen Lungenkrebs [4]. Komplexe Signalkaskaden werden in Gang gesetzt Nach Ligandenbindung, Rezeptordimerisierung und Tyrosinkinasephosphorylierung werden komplexe Signalkaskaden in Gang gesetzt. Welcher signalgebende Prozess dabei aktiviert wird, hängt u.a. vom Liganden, vom Dimerisierungspartner und der Aktivierung anderer Rezeptoren ab. Diese kreuzweise Kommunikation ermöglicht die Beeinflussung der HER1-gesteuerten Prozesse durch andere Botenstoffe wie z. B. Hormone, Lymphokine oder Neurotransmitter. Sie kann auch zur Herabregulierung der HER1-Aktivität beitragen [1,9]. Werden HER1 aktiviert, so beobachtet man bei Tumorzellen u. a. zunehmende: ❚ Zellteilung (Proliferation), ❚ Zellwanderung (Migration), ❚ Zellanlagerung (Adhäsion), ❚ Gefäßneubildung (Angiogenese) und ❚ Hemmung des programmierten Zelltodes (Apoptose). Außerdem gibt es Hinweise darauf , dass Tumorzellen, die den HER1-Aktivierungs-Prozess «nutzen», gegen Chemotherapeutika oder Hormone resistent werden. Dies trifft besonders dann zu, wenn eine autokrine Produktion von Wachstumsfaktoren vorliegt [8]. Blockade auf der Zelloberfläche Zu den unterschiedlichen Entwicklungsansätzen für neue Antikrebsmittel, die die «HER-Achse» blockieren (siehe Abb. 5), zählt, wie schon erwähnt, die Entwicklung von Antikörpern, die die extrazelluäre Ligandenbindungsregion des Rezeptors besetzen. In den letzten 17 Jahren wurden verschiedene monoklonale Antikörper entwickelt, die epidermale Wachstumsfaktor-Rezeptoren auf der Oberfläche von Zellen blockieren [10]. Das wohl bekannteste Beispiel ist der Antikör- Ein Steuerungsweg – mehrere Angriffspunkte Therapie: Tyrosinkinasehemmer 43 ANGRIFF AUSSERHALB DER ZELLE Verhinderung von Ligandenbindung und Lieferung toxischer Verbindungen (Herceptin®, rhuMAb 2C4, Cetuximab, Antikörper-Toxinoder Ligand-Toxin-Konjugate) ANGRIFF AM ZELLKERN Hemmung von Transduktion und/oder Proteinsynthese (Antisense-Oligonukleotide, Ribozyme) Zellmembran X X ANGRIFF IM ZELLINNEREN Blockierung der Signalketten durch Verhinderung der Tyrosinkinasephosphorylierung (Tarceva TM , Iressa TM ) ABBILDUNG 5: Therapeutische Strategien zur Blockade der «EGF-HER-Achse», d. h. der durch Wachstumsfaktoren aktivierten und von Rezeptoren gesteuerten Wachstumsprozesse. per Trastuzumab (Handelsname Herceptin®). Dieser humanisierte monoklonale Antikörper4 blockiert die bei 25 % der Brustkrebspatientinnen vermehrt auf der Oberfläche von Brustkrebszellen vorkommenden HER2 (siehe Roche-Facetten Nr. 19, S. 26). RhuMAb 2C4 ist ein anderer humanisierter monoklonaler Antikörper von Roche, der die Liganden-abhängige Assoziation von HER2 mit anderen HER blockiert und sich derzeit in einer frühen Phase der klinischen Entwicklung befindet. Cetuximab (IMC-C225) ist ein chimärischer monoklonaler Antikörper5, der HER1 blockiert. Er befindet sich in Kombination mit dem Zytostatikum Cisplatin zurzeit in der klinischen Prüfung bei Kopf- und Halstumoren [11]. 4 44 Ein humanisierter monoklonaler Antikörper besteht zum größten Teil aus humanem Immunglobulin. Lediglich die Antigenbindungsstellen bestehen aus tierischem Immunglobulin (Eiweiß). Dadurch wird die natürliche (Abwehr-) Immun-Antwort auf den Antikörper reduziert. 5 Chimäre bedeutet von verschiedenen Wesen stammend. Ein chimärischer Antikörper hat die gesamten V-Domänen, also die Gesamtheit der variablen Immunglobulindomänen, die für die Antikörperspezifität verantwortlich sind von der einen Spezies, und die konstanten Anteile von einer anderen Spezies. ABBILDUNG 6: Strukturformel des Tyrosinkinasehemmers OSI-774 in der in allen pharmazeutischen Präparaten eingesetzten Form (Handelsname: Tarceva TM, systematische Bezeichnung nach chemischer Nomenklatur: [6,7-Bis (2-methoxy-ethoxy)-quinazolin4-yl]-(3-ethinylphenyl) aminhydrochlorid, Molekulargewicht: 429,9 g/mol). HN 0 0 0 0 N . HCl N Des Weiteren wurden Antikörper an zelluäre Toxine gekoppelt. Oder aber HER-Liganden wurden an Giftstoffe gebunden [12]. Blockade im Zellinneren Auf intrazellulärer Ebene wirkende Krebsmittel, die an der «HER-Achse» ansetzen, verhindern die Phosphorylierung der Tyrosinkinase und damit das In-Gang-Setzen der darauf folgenden Rezeptor-gesteuerten Signalwege. Normalerweise handelt es sich um niedermolekulare Substanzen, kleine Moleküle (Tyrosinkinasehemmer). Es wurden Substanzen entwickelt, ❚ die spezifisch HER1-gesteuerte Kinasen hemmen, wie TarcevaTM (OSI in Kooperation mit Genentech Amerika, ausserhalb der USA Roche) und IressaTM (AstraZeneca), ❚ die HER1- und HER2-gesteuerte Kinasen hemmen, wie PKI166 und GW2016 und solche, ❚ die alle durch Rezeptoren der HER-Familie gesteuerten Tyrosinkinasen hemmen (pan HER-TK-Hemmer) wie CI-1033 [4, 13]. Letztlich wurden auch Substanzen und Verfahren entwickelt, welche die durch HER- Aktivität eingeleiteten Signalwege an ihrem Zielort, dem Zellkern stören. Dazu zählen z. B. AntisenseOligonukleotide, Ribozyme und gentherapeutische Versuche [4]. Antisense-Oligonukleotide sind Desoxyribonukleinsäure(DNS-) oder Ribonukleinsäure- (RNS-) Moleküle, die komplementär zur Boten-RNS (m-RNS von engl.: messenger-RNS) sind. Sie komplexieren die Einzelstrang-RNS-Moleküle und verhindern somit das korrekte Ablesen der Erbinformation. Ribozyme sind katalytische RNS-Moleküle, die als Enzyme wirken und andere RNS-Moleküle abbauen. Damit verhindern sie ebenfalls das korrekte Ablesen der Erbinformation. Therapie: Tyrosinkinasehemmer 45 autokrine Schleife HER1-Überexpression Liganden-Überproduktion TGF- TGF- EGF EGFRvIII Heterodimerisation TGF- TGF- Anti-HER2 TGF- TGF- TGF- TarcevaTM P P TarcevaTM TarcevaTM P P P P P P P P TarcevaTM TarcevaTM P P P P ABBILDUNG 7: Tarceva™ hemmt die Phosphorylierung der intrazellulären Tyrosinkinasebereiche und kann daher jede Art der hier gezeigten HER1-Aktivierung auslöschen. Das Auslösen einer Hauptsicherung TarcevaTM (Strukturformel siehe Abb. 6) hemmt die Phosphorylierung derHER1-Tyrosinkinase. NiedermolekulareSubstanzen, die die Tyrosinkinasephosphorylierung hemmen, unterbrechen Signalwege unabhängig davon, welche Signalgebung am extrazelluären Teil eines Rezeptors diese Aktivierung ausgelöst haben. Sie können daher alle Arten der in Abb. 7 gezeigten Aktivierungen durch zelläußere Faktoren und durch Rezeptormutation ausschalten. Daher sind sie im Gegensatz zu den spezifisch für eine Ligandenbindungsstelle eines Rezeptors maßgeschneiderten Antikörpern potenziell wirkungsvoller und wahrscheinlich bei einem breiteren Spektrum an Tumoren einsetzbar. Auch die so genannten autokrinen Schleifen, bei denen Tumorzellen wachstumsstimulierende Faktoren selbst produzieren, können so wirksam unterbrochen werden. Im Allgemeinen können Tyrosinkinasehemmer reversibel oder irreversibel die Tyrosinkinasephosphorylierung hemmen [14]. Viele kleine Schalter regulieren die Signalgebung in und an Zellen bezüglich Zellwachstum und -teilung. Unterbindet man die Phosphorylierung der Tyrosinkinase, so hat das in etwa die 46 P P Wie kann man in vitro mittels ELISA TyrosinkinasePhosphorylierungen messen? Zum Substrat monoklonaler Antikörper gegen Wachstumsfaktor-Rezeptoren (EGFR) werden ❚ gereinigte HER1, die Tyrosinkinasedomänen enthalten (gewonnen z. B. aus Tumorzellen), ❚ Ligand (EGF ) ❚ der Hemmstoff TarcevaTM (in verschiedenen Konzentrationen) sowie ❚ Peroxidase-markierte Antikörper, die spezifisch an phosphorylierte Tyrosinreste bindengegeben. Nach Zugabe von ATP zeigt eine Farbreaktion die Menge an phosphorylierter Tyrosinkinase an [15]. Dabei wird die Phosphorylierung als Prozentsatz einer Kontrolluntersuchung angegeben, bei der maximale Phosphorylierung beobachtet wird, weil keine hemmende Substanz zugegen ist. Als Parameter für die Hemmwirkung wurde die so genannte HK50 definiert, die Konzentration an Wirkstoff, die erforderlich ist um die Phosphorylierung um 50 % zu reduzieren. gleiche Wirkung wie das Auslösen einer wichtigen Sicherung. Kein (Informations-)Strom kann mehr fließen. TarcevaTM hemmt hochselektiv nur HER1-Tyrosinkinasen Tyrosinkinasen finden sich in vielen Zellen, und so stellt sich an dieser Stelle sofort die Frage nach den Nebenwirkungen. Werden durch den Wirkstoff nicht auch in gesunden Zellen wichtige Wachstumsprozesse unterbrochen? Präklinische In-vitro-Untersuchungen Die Fähigkeit von TarcevaTM die Phosphorylierung verschiedener Tyrosinkinasen zu hemmen, wurde in vitro mit ELISATechniken (ELISA = enzyme-linked immunosorbent assay) ermittelt (siehe Infokasten oben). Die Daten zeigten, dass TarcevaTM gereinigte HER1-Tyrosinkinasen dosisabhängig hemmte. Kinetische Untersuchungen ergaben überdies, dass TarcevaTM kompetitiv und reversibel die Bindung von Adenosintriphosphat (ATP) an die HER1Tyrosinkinasedomäne hemmt. Die Wirksamkeit des Medikamentes ist daher auch von der intrazellulären ATP-Konzentration abhängig. Die HK50 von TarcevaTM, d. h. die Konzentration an Wirkstoff die erforderlich ist, um die Phosphorylierung um 50 % zu reduzieren, lag für HER1-Tyrosinkinase bei 2 nmol/l. Diese HK50 war für verschiedene andere Tyrosinkinasen sehr viel höher. Der Wert lag beispielsweise für die HER2-Trosinkinase 175-fach höher als bei den HER1-Tyrosinkinasen, obwohl HER2 und HER1 strukturell ähnlich aufgebaut sind. Die sehr Therapie: Tyrosinkinasehemmer 47 Zelltod (Apoptose) M-Phase Mitose Zytokinese M G 2 -Phase G0 G2 G1 S S-Phase (DNS -Replikation) G 1 -Phase ABBILDUNG 8: Der Zellzyklus: In der M-Phase erfolgt die Teilung des Zellkernes (Mitose) und des Zytoplasmas (Zytokinese). Die Interphase schließt alle übrigen Phasen ein. Dazu zählt die G1-Phase (Ruhephase) in der RNS und Proteine gebildet werden. Aus dieser kann die Zelle auch in den sog. G0-Zustand eintreten, in dem keine Zellteilungen mehr erfolgen. Die G0- Phase können Zellen, nur nach spezifischen Reizen verlassen. In der S-Phase (Synthesephase) wird die DNS verdoppelt. Die G2-Phase ist eine prämitotische Ruhephase, in der wiederum die Produktion von RNA und Proteinen sowie die Ausbildung des Spindelapparates erfolgen. hohen HK50-Werte für andere Rezeptor-gesteuerte Tyrosinkinasen wie z. B. die vom ❚ Insulin-Rezeptor (IR), ❚ vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor-Rezeptor (VEGFR von engl.: vascular endothelial growth factor receptor), ❚ Insulin-ähnlichen Wachstumsfaktor-Rezeptor (IGF-1R von engl.: insulin-like growth factor receptor) und dem ❚ Kolonie-stimulierenden Faktor-Rezeptor (CSF-1R von engl.: colony-stimulating factor receptor) legen nahe, dass TarcevaTM nur eine geringe Hemmwirkung an den Tyrosinkinasebereichen dieser Rezeptoren hat. In humanen Tumorzellen von HN5-Xenograft-Modellen6 für Kopf- und Halstumoren hemmte TarcevaTM die HER1-Tyrosinkinasephosphorylierung mit einer HK50 von 20 nmol/l [15]. 48 Andere In-vitro-Studien mit DiFi-Zellen, Zellen aus einer humanen Kolonkarzinom-Zelllinie, zeigten, dass TarcevaTM ❚ übermäßiges Zellwachstum hemmte, ❚ die Zellen in der G1-Phase des Zellzyklus (siehe Abb. 8) blockieren und ❚ den programmierten Zelltod (Apoptose) einleiten konnte. All diese Effekte tragen zur Antitumorwirkung von TarcevaTMbei [15]. Präklinische In-vivo-Studien Präklinische Studien mit Maus-Xenograft-Modellen, d. h. Mäusen, denen man humane Tumorzellen implantiert hatte, ergaben, dass: ❚ TarcevaTM auch in vivo effektiv die HER1-Tyrosinkinase hemmen kann, ❚ dies zum Stopp des Tumorwachstums und ❚ bei höheren Dosen auch zur Tumorrückbildung führte [16]. Da die Kombination mehrerer Substanzen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen die Effektivität der Tumorbekämpfung erhöht und der Entwicklung von Resistenzen vorbeugt, wurde TarcevaTM in präklinischen Studien mit Maus-Xenograft-Modellen auch in Kombination mit Cisplatin, einem Zytostatikum, welches mit der DNS interagiert, untersucht. Eine Steigerung der Antitumorwirksamkeit ohne Erhöhung der Toxizität konnte bei diesen Studien beobachtet werden [16]. Aufgrund der hohen Selektivität von TarcevaTM für HER1-Tyrosinkinasen wird also vowiegend der HER1-Signalweg blockiert. Andere Kinase-abhängige Signalwege, die für die normale Zellfunktion wesentlich sind, werden nicht gehemmt. Erste Erfolge bei Patienten liegen vor Ein intensives Programm für die klinische Entwicklung von TarcevaTM läuft: Vier Phase I-Studien zu Dosis und Verträglichkeit sind bereits abgeschlossen. Ungewöhnlich für die Prüfung eines Antitumormittels ist, dass zwei dieser Studien an gesunden Probanden durchgeführt wurden. Aufgrund der guten Verträglichkeit von TarcevaTM war dies möglich. Drei Phase IIStudien wurden abgeschlossen. Weitere Studien sind noch am Laufen. 6 Dabei handelt es sich um speziell gezüchtete immundefiziente Mäuse, in denen humane Tumorzellen nach Implanta- tion einen Tumor bilden, der ggf. sogar metastasieren kann (siehe Roche Facetten, Nr. 19, S. 31/32). Therapie: Tyrosinkinasehemmer 49 Die bereits abgeschlossenen Studien untersuchten eine Monotherapie mit TarcevaTM bei ❚ Patientinnen mit fortgeschrittenem Eierstockkrebs, ❚ Patienten mit fortgeschrittenen Plattenepithelkarzinomen des Kopfes und des Halses (HNSCC von engl. head and neck squamous cell carcinoma) sowie ❚ Patienten mit fortgeschrittenen nichtkleinzelligen Lungenkarzinomen (NSCLC von engl. non-small cell lung carcinoma). Wurden Nebenwirkungen beobachtet, so handelte es sich um Hautveränderungen, Durchfall, Übelkeit, Müdigkeit, Kopfschmerzen und Erbrechen. Besonders eindrucksvoll waren die therapeutischen Erfolge bei Patienten mit fortgeschrittenen nichtkleinzelligen Lungenkarzinomen, die gegen Chemotherapien zum Teil nach mehreren Therapien resistent waren. Die objektive Ansprechrate im Sinne einer Tumorrückbildung betrug bei diesen Patienten 15,8 %. Weder eine Verbesserung noch eine Verschlechterung (stable disease) wurde bei 26,3 % der Patienten beobachtet [17]. Phase-III-Studien zur Untersuchung der Wirksamkeit von TarcevaTM in Kombination mit zytotoxischen Substanzen für eine Reihe von Indikationen wurden begonnen. So starteten Ende 2001 zwei weltweite Phase III-Studien für die Indikation NSCLC . Des Weiteren prüfen die Forscher von Roche derzeit, ob sich ein diagnostischer Marker finden lässt, der mit dem klinischen Ansprechen auf die Therapie mit TarcevaTM korreliert. 50 Literatur 1. Yarden, Y., Sliwkowski, M.: Untangling the ErbB signalling network. Nat Rev Mol Cell Biol, 2(2): 127–137, 2001 2. Wagener, C.: Molekulare Onkologie. 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