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B I O S P E K T R U M • 5. 0 0 • 6. J A H R G A N G
Manuel A. Friese, Jens Hellwage,
Christine Skerka und Peter F. Zipfel
Hans-Knöll-Institut für Naturstoff-Forschung, Jena
Komplement, ein Effektorsystem der
angeborenen Immunität: Regulation
durch Reconectin/FHL-1 und Faktor H
Das Komplementsystem ist ein zentraler und
wichtiger Teil des angeborenen Immunsystems. Vor allem die Aktivierung über den alternativen Weg spielt eine wesentliche Rolle
bei der Erkennung und Eliminierung von Mikroorganismen. Reconectin/FHL-1 und Faktor H sind zwei zentrale Plasmaregulatoren
des Komplementsystems, die ihre regulatorische Funktion sowohl im Plasma als auch auf
der Oberfläche von körpereigenen Zellen ausüben. Beide Proteine sind multifunktionelle
Plasmaproteine, die als Komplement- und Immunregulatoren fungieren und zudem weitere wichtige Funktionen außerhalb des Komplementsystems, z.B. bei der Zelladhäsion und
der Interaktion mit Oberflächenrezeptoren,
haben. Die Primärstruktur von Reconectin/
FHL-1 ist bis auf vier C-terminale Aminosäuren identisch mit der Sequenz der sieben Nterminalen SCR-Domänen von Faktor H. Reconectin/FHL-1 und Faktor H haben überlappende komplementregulative Funktionen, da
beide die Aktivität und Stabilität der zentralen
C3-Konvertase steuern und regulieren. Beide
Proteine haben jedoch auch spezifische Funktionen. Reconectin fungiert als Adhäsionsprotein und bindet bevorzugt an das M-Protein der
Streptokokken. Die medizinische Bedeutung der
beiden Komplementregulatoren wird auch
durch ihre Beteiligung bei verschiedenen Erkrankungen evident und zeigt die Bedeutung dieser
beiden Regulatorproteine für die Aufrechterhaltung der normalen Stoffwechselfunktion. Die Abwesenheit von Faktor H im Plasma führt zur
membranproliferativen Glomerulonephritis
Typ II, und ein verminderter Faktor H Plasmaspiegel kann zum Hämolytisch Urämischen Syndrom prädisponieren. Die Überexpression vor
allem von Reconectin/FHL-1 in Tumorzellen
zeigt, daß diese Immunregulatoren auch das
Überleben von veränderten Körperzellen steuern. Im Rahmen der molekularen Medizin sind
diese beiden verwandten Immunregulatoren
daher geeignete Kandidaten um einen direkten Zusammenhang zwischen einzelnen Molekülen und Erkrankungen aufzuzeigen.
1. Die Aufgaben des Immunsystems
쑺 Der menschliche Organismus ist in der
Lage, eingedrungene Mikroorganismen oder
veränderte körpereigene Zellen zu erkennen
und diese zu eliminieren. Um diese wichtigen Aufgaben wahrzunehmen, dirigiert und
koordiniert das Immunsystem eine Vielzahl
von unterschiedlichen und auf mehreren
Ebenen agierenden Effektorzellen und enzymatischen Kaskaden. Jedes separate Effektorsystem ist für sich in der Lage, fremde Organismen zu eliminieren, aber die Effizienz wird durch die Vernetzung der einzelnen Systeme und durch die Verknüpfung
mit weiteren enzymatischen Aktivierungskaskaden des Organismus, wie z.B. dem
Blutgerinnungssystem, potenziert.
Das menschliche Immunsystem agiert
auf zwei Hauptebenen, die sich vor allem
hinsichtlich ihrer Aktivierungszeit und ihrer Lernfähigkeit unterscheiden (1). Die
Effektorsysteme der angeborenen Immunität, (Englisch „innate immunity“), die direkt
nach Eindringen eines pathogenen Organismus aktiviert werden, umfassen zirkulierende Moleküle und Abwehrzellen. Die erworbene, adaptive Immunität, zeichnet sich
durch die Generierung und Aktivierung von
antigenspezifischen T- und B-Zellen aus.
Obwohl beide Systeme dieselben Ziele verfolgen, fremde Strukturen und Zellen zu
erkennen und zu eliminieren, unterscheiden
sie sich deutlich hinsichtlich der Aktivierungszeit und des Aktivierungsmechanismus. Im Lauf der Evolution schon sehr früh
entstandene Systeme der angeborenen Immunität, wie z. B. das Komplementsystem, werden direkt innerhalb von Sekunden und Minuten nach Eindringen eines Organismus aktiv. Diese Reaktionen laufen bei
allen weiteren Kontakten mit den gleichen
Organismen in derselben Reihenfolge und
Geschwindigkeit ab. Im Gegensatz dazu ist
die lernfähige, sich auf neue Antigene einstellende, adaptive Immunreaktion beim
ersten Kontakt mit einem Erreger oder Antigen erst nach Tagen bis Wochen aktiv. Bei
jedem weiteren Kontakt ist die Reaktion mit
dem speziellen Antigen spezifischer und
schneller. Der Vorteil dieses hochspezialisierten Abwehrsystems liegt in seiner Erinnerungsfähigkeit, d.h. in der Bereitstellung von
langlebigen Gedächtniszellen. Diese Funktion wird auch bei der Impfung genutzt.
In den letzten beiden Jahrzehnten war
die immunologische Forschung auf die
Funktionsweise der adaptiven Immunität
konzentriert. Interessante und innovative
Arbeiten führten z.B. zur Aufklärung der
Struktur der durch B-Zellen sezernierten
Immunglobuline, der Mechanismen der
DNA-Neukombination bei der Herstellung
von antigenerkennenden Antikörpern, des
T-Zellrezeptors, des Erkennungsmechanismus von körperfremden Zellen und zum
Verständnis der Signalübertragung dieser
Zellen. Gerade in den letzten Jahren findet
die Thematik der angeborenen Immunität
zunehmendes Interesse der Immunologen,
da vor allem die Infektionsbiologie eine
grundlegende Rolle dieses Bereichs bei der
Eliminierung von Infektionserregern aufzeigen konnte. Zusätzlich wird die Vernetzung
zwischen der angeborenen und der adaptiven Immunität immer besser verstanden
und die Rolle der Effektormoleküle des angeborenen Immunsystems für die Kontrolle und Steuerung der adaptiven Immunreaktion werden klarer definiert (2, 3).
Wir wollen in unserem Beitrag den alternativen Komplementweg als eine wichtige Komponente der angeborenen Immunität vorstellen. Die Beschreibung der Aktivierungsmechanismen dieses zentralen
Immunabwehrsystems und das Verständnis
der Funktions- und Wirkungsmechanismen
der beiden zentralen Regulatoren Reconectin/FHL-1 und Faktor H läßt die Vernetzung
dieses wichtigen Immuneffektorsystems mit
anderen Enzymkaskaden und Zellfunktionen erkennen. Die grundlegende immunund zellbiologische Bedeutung dieser Regulatormoleküle zeigt sich durch die Beteiligung an der Pathogenese verschiedener humaner Erkrankungen.
2. Das Komplementsystem
Das Komplementsystem ist ein äußerst
effizientes Immunabwehrsystem. Es repräsentiert einen wichtigen Bereich der angeborenen Immunität und bildet eine wesentliche Barriere für pathogene Organismen.
Durch proteolytische Spaltung von inaktiven Vorstufen werden reaktive Effektoren
gebildet, die sich zu enzymatisch aktiven
Proteinkomplexen zusammenfügen. Das
Komplementsystem, das über drei Aktivierungswege, den Klassischen, Alternativen
und Lektin-Weg angeschaltet werden kann,
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Abb. 1: Aktivierungswege des Komplementsystems. (A) Das Komplementsystem wird über drei
Aktivierungswege, den alternativen Weg, den
durch Immunglobuline kontrollierten Klassischen
Weg und den Lektinweg initiiert. Jeder Aktivierungsweg reguliert die zentrale Komplementkomponente C3, und die Aktivierung dieses
Moleküls setzt die weiteren Reaktionen in Gang.
Diese resultieren (i) in der Freisetzung von
Anaphylatoxinen, (ii) der Opsonisierung, d.h. der
Beladung von fremden Partikeln mit C3b bzw.
(iii) der Aktivierung des terminalen Komplementwegs und der Zelllyse.
(B) Die drei Haupteffekte des aktivierten
Komplementsystems führen (i) zur Freisetzung
der Anaphylatoxine C3a, C4a und dem potentesten C5a, welche durch Interaktion mit den
jeweiligen Rezeptoren eine Vasodilatation
ausüben, die Freisetzung von Entzündungsmediatoren wie Histamin induzieren und chemotaktische Aktivität auf Effektorzellen der Entzündungsreaktion ausüben. Die Beladung mit C3b
auf der Oberfläche (Opsonisierung) von
pathogenen Organismen (ii) markiert diese
Partikel zur Phagozytose. Die Expression von
spezifischen Rezeptoren für C3-Spaltprodukte
erlaubt es Phagozyten diese markierten Partikel
zu erkennen, aufzunehmen und zu degradieren.
Der dritte wichtige Effektormechanismus des
aktivierten Komplementsystems (iii) ist die der
Aktivierung des terminalen Komplementwegs,
der zur Bildung von Membranporen und zur
Zellyse führt. Die Aktivierung des Komplementsystems ist auf der Oberfläche von körperfremden Strukturen und Mikroorganismen erwünscht.
Gleichzeitig muss die Komplementaktivierung in
Raum und Zeit begrenzt sein und körpereigene
Zellen vor den schädigenden Effekten des
Systems schützen.
ist in der Lage, fremde Organismen abzutöten und zu eliminieren (4, 5) (Abb. 1A). Die
Aktivierungskaskade führt zur Bildung und
Freisetzung von potenten Entzündungssmediatoren (anaphylaktischen Peptiden C3a und
C5a), welche die Ausbildung der Entzündungsreaktionen mit den klassischen Kennzeichen rubor, calor, dolor und tumor bewirken (6). Des weiteren werden körperfremde oder veränderte körpereigene Partikel
durch die Beladung mit C3b für die Phagozytose vorbereitet (Opsonisierung). Wirtszellen, die Phagozyten (Freßzellen), können
mit ihren spezifischen Membranrezeptoren
oberflächengebundenes C3b erkennen, sich
so an die markierten Partikel anlagern, diese aufnehmen und degradieren. Die weitere Aktivierung der Komplementkaskade
führt zum Aufbau des Membranangriffskomplexes, welcher zur Bildung von Poren
in der Zellmembran und zur konsekutiven
Lyse dieser pathogenen Partikel führt
(Abb. 1B).
2.1. Aktivierung und Regulation des
Alternativen Komplementwegs
Aufgrund der starken zell- und gewebezerstörenden Effekte des aktivierten Komplementsystems, die auch zu Autoimmunkrankheiten führen können, sind die einzelnen Aktivierungswege und Proteinkaskaden
streng kontrolliert. Bereits die große Anzahl
der Regulatormoleküle zeigt die Bedeutung
der zeitlichen und räumlichen Begrenzung
der einzelnen Enzymkaskaden (Abb. 1A).
Da ein einzelnes C3-Molekül innerhalb kürzester Zeit die Bildung von mehreren Millionen aktiver C3b-Moleküle veranlassen
kann, ist die autokatalytische Bildung von
C3b und die Beladung von Oberflächen der
wichtigste Kontrollpunkt der Komplementaktivierung. In der Regel ist jede körperei-
gene Zelle in der Lage, auf ihrer Oberfläche die Aktivierung zu inhibieren. Die an
dieser Schutzreaktion beteiligten Kontrollund Regulatorproteine sind deshalb wichtige Komponenten für die Erhaltung der zellulären Integrität.
Über den alternativen Weg wird das
Komplementsystem überall und jederzeit
angeschaltet (Abb. 2). Die gerichtete und
gezielte Wirkung der Komplementregulatoren inhibiert diese Reaktionen auf körpereigenen Zellen, während ihre Abwesenheit,
z.B. auf der Oberfläche von Mikroorganismen, die Weiterführung der Aktivierung erlaubt (Abb. 2). Dadurch ist der alternative
Komplementweg in der Lage zwischen
„Selbst“ und „Fremd“ zu unterscheiden
und kann so nicht nur pathogene Organismen erkennen, sondern diese auch spezifisch eliminieren. Aufgrund der Verteilung
im gesamten Wirtsorganismus übernimmt
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proteine Reconectin/FHL-1 (regulator of
complement and fibronectin-like protein
bzw. Factor H-like protein 1) und Faktor H
eine zentrale Rolle (5, 7, 8)
Reconectin/FHL-1 und Faktor H kontrollieren die Komplementaktivierung auf
zwei Wegen. Sie wirken als Kofaktoren für
die Serinprotease Faktor I und führen dadurch sehr früh zur Inaktivierung von C3b.
Zudem steuern die beiden Proteine die Aktivität der C3b-Konvertase (C3bBb), indem
sie die Dissoziation des Proteinkomplexes
beschleunigen (Decay Accelerating-Aktivität) und die Bildung der Konvertasen verhindern (Abb. 2).
Abb. 2: Aktivierung und Regulation des alternativen Komplementwegs.
Die Aktivierung des alternativen Komplementwegs erfolgt durch die spontane Konformationsänderung
der Komponente C3. Das aktivierte Protein kann an alle benachbarten Moleküle und Oberflächen
binden (C3b). Die weiteren Reaktionsschritte führen zur Anlagerung von Faktor B (B) wobei durch die
proteolytische Spaltung durch Faktor D (D) das Fragment Ba freigesetzt wird, während das Fragment
Bb assoziiert bleibt. Die biologische Halbwertszeit der spezifischen C3-Konvertase (C3bBb) wird durch
die Anlagerung von Properdin (P) wesentlich verlängert. Der Dimer C3bBb hat enzymatische Aktivität
und verstärkt durch eine Amplifikationsschleife die Bildung von weiteren C3b-Molekülen. Diese
Schritte führen in kürzester Zeit zur Beladung eines Partikel mit vielen C3b-Molekülen (Opsonisierung).
Diese enzymatische Aktivität ist ein zentrales Element der Komplementaktivierung. Diese Schritte
setzen die weitere Komplementkaskade in Gang, die entweder durch Opsonisierung und Phagozytose
oder Porenbildung und Zelllyse zur Eliminierung von Mikroorganismen führt.
Die Immunregulatoren Reconectin/FHL-1 und Faktor H verlagern das Gleichgewicht dieser Reaktionskette zur Inaktivierung. Ihre Kofaktoraktivität führt zur direkten Inaktivierung der neugebildeten
C3b-Moleküle durch die Serinprotease Faktor I und die Steuerung der Bildung und Stabilität der
C3-Konvertase (C3bBb). Dabei wird sowohl Zerfall der bereits gebildeten Konvertasen ermöglicht
(Decay Accelerating-Aktivität) als auch die Bildung dieser Konvertasen verhindert.
dieses kontinuierlich aktivierte System eine
wichtige Überwachungsfunktion, und die
einzelnen Bestandteile dieses Aktivierungswegs bilden eine Art Patrouille.
3. Kontrolle der Komplementaktivierung
Um die Aktivierung des Komplementsystems auf die Zielzellen zu begrenzen und
vor allem zum Schutz der körpereigenen
Zellen, die sich in direkter Nachbarschaft zu
aktivierenden Mikroorganismen befinden,
muß die Aktivierung zeitlich und räumlich
begrenzt werden. Aus diesem Grunde sind
die Regulatorproteine, welche die Enzymkaskade bereits in der frühen Phase regulieren, besonders wichtig. Neben membrangebundenen Regulatorproteinen, wie
dem Komplementrezeptor 1 (CR1, CD 35),
dem „Decay accelerating factor“ (DAF, CD
55) und dem Membran-Kofaktorprotein
(MCP, CD46) spielen vor allem die Plasma-
Funktion
Reconectin
Faktor H
Komplementfunktionen
‚Decay accelerating‘-Aktivität
Kofaktorfunktion
+
+
+
+
Zellspreitung, Adhäsion
+
–
Bindung an Proteine:
(Anzahl der Bindedomänen)
C3b
(1)
C3b
(3)
Heparin
(1)
Heparin
(3)
C-reaktives Protein
(1)
C-reaktives Protein
(2)
Adhäsion
(?)
4. Funktion und Struktur der Komplementregulatoren Reconectin/FHL-1 und Faktor H
Das Vorkommen der beiden löslichen
und flexiblen Plasmaproteine Reconectin/
FHL-1 und Faktor H in nahezu allen Kompartimenten des Organismus zeigt ihre Bedeutung als zentrale Immun- und Komplementregulatoren (Tab. I).
4.1. Funktion von Reconectin/FHL-1 und Faktor H
Reconectin/FHL-1 und Faktor H sind zwei
verwandte multifunktionelle humane Plasmaproteine, die als Immunregulatoren fungieren und auch zellbiologische Funktionen
aufweisen. Beide Proteine (i) wirken als zentrale Regulatoren der Komplementaktivierung, (ii) binden und interagieren mit zellulären Rezeptoren wie Integrinen und Selektinen, (iii) haben Eigenschaften von extrazellulären Matrixproteinen, (iv) binden an
Plasmaproteine und (v) interagieren mit zellulären Oberflächen (Tabelle I).
Reconectin und Faktor H binden an eine
Vielzahl von Plasmaproteinen, wie die Komplementkomponente C3, das Akut-PhaseProtein C-reaktives Protein (CRP), Heparin und das M-Protein, einen Virulenzfaktor von Streptococcus pyogenes. Dabei stellt vor
allem Faktor H ein recht „klebriges“ Molekül dar, welches auch an Thrombospondin
bindet. Zusätzlich dazu binden Reconectin/
FHL-1 und Faktor H spezifisch an polymorphkernige Leukozyten, für dessen Bindung der Integrinrezeptor CD11b/CD18
und das Adhäsionsprotein L-Selektin verantwortlich sind (9, 10). Inwieweit die Bindung
von Faktor H an diese Rezeptoren intrazelluläre Signale induziert und damit zur Aktivierung dieser Zellen beiträgt, ist gegenwärtig unklar. Neuere Untersuchungen zeigen
auch eine Funktion für Faktor H bei der Regulation der Amplifikation des Lektin-Wegs.
Thrombospondin
(?)
Interaktion mit Rezeptoren
M-Protein
M-Protein
Integrin
Integrin (CD11b/CD18)
L-Selektin
Tab. I: Rolle der multifunktionellen Komplementund Immunregulatoren Reconectin/FHL-1
und Faktor H
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4.2. Struktur von Reconectin/FHL-1 und
Faktor H.
Die beiden Plasmaproteine Reconectin/
FHL-1 und Komplementfaktor H sind ausschließlich aus globulären Proteindomänen
aufgebaut, die als „Short Consensus Repeats“ (SCRs) bezeichnet werden. Beide
Proteine unterscheiden sich jedoch in der
Anzahl der SCRs. Das 42 kDa-Protein Reconectin/FHL-1 besteht aus 7 SCR-Domänen, und das 150 kDa-Protein Faktor H ist
aus 20 SCRs aufgebaut (Abb. 3). Reconectin/FHL-1 repräsentiert im wesentlichen die
sieben N-terminalen Domänen von Faktor
H, verfügt aber zusätzlich über vier Aminosäuren an seinem C-Terminus, die bei Faktor H nicht vorhanden sind. Die beiden Proteine Reconectin/FHL-1 und Faktor H werden von demselben humanen Gen kodiert,
die RNA-Transkripte jedoch alternativ prozessiert. Dabei wird die kürzere Reconectin/FHL-1-mRNA unter Streß und durch
Entzündungsreaktionen induziert, während
das längere für Faktor H kodierende Transkript kontinuierlich gebildet wird.
4.3. Identifizierung der funktionellen
Proteindomänen
Aufgrund ihres Aufbaus in individuell faltende Proteindomänen eignen sich die beiden
Komplementregulatoren Reconectin/FHL-1
und Faktor H besonders gut für StrukturFunktions-Untersuchungen. Insbesondere
das Baculovirus-Expressionssystem erlaubt
es, intakte Proteine und einzelne Proteindomänen in beliebiger Anzahl und Kombination für funktionelle Studien herzustellen. Mit
diesem Ansatz, der von unserer Arbeitsgruppe und parallel von Prof. Gordon von der Flinders-Universität in Adelaide, Australien, verfolgt wurde und wird, konnten wir die funktionellen Domänen, wie z.B. die komplementregulativen Proteindomänen von Reconectin/FHL-1 und von Faktor H, identifizieren und lokalisieren (11). Bei beiden Proteinen sind die vier N-terminalen SCR-Domänen sowohl für die Kofaktor- als auch für
die dissoziierende Aktivität ausreichend. Zudem sind alle vier Domänen für die Interaktion und Bindung an die zentrale Komplementkomponente C3b notwendig.
Gleichzeitig wurden in beiden Proteinen
weitere funktionelle Domänen bestimmt.
SCR 7 von Reconectin/FHL-1 fungiert als
heparinbindende Proteindomäne und ist
ebenfalls für die Bindung an das M-Protein
von Streptokokken verantwortlich (12, 13).
In Zusammenarbeit mit der Gruppe von
Prof. Dr. Meri vom Haartman-Institut der
Universität Helsinki, Finnland, konnten wir
weitere neue funktionelle Domänen innerhalb der beiden Proteine identifizieren und
lokalisieren. Diese Arbeiten zeigen vor allem für Faktor H mehrfache Interaktionspunkte (drei bzw. zwei) für die Liganden
Abb. 3: Reconectin/FHL-1 und Komplementfaktor H: Struktur sowie Lokalisation der funktionellen
Proteindomänen.
Reconectin/FHL-1 und Komplementfaktor H sind ausschließlich aus Proteindomänen zusammengesetzt, die als SCRs (Short Consensus Repeats) bezeichnet werden. Reconectin besteht aus sieben SCRs,
und die vier spezifischen Aminosäuren des Proteins (SFTL) sind durch den roten Kasten angezeigt.
Faktor H besteht aus zwanzig SCR-Domänen. Beide Moleküle werden von demselben humanen Gen
kodiert und ihre sieben N-terminalen Domänen sind identisch. Reconectin/FHL-1 und Komplementfaktor H haben identische komplementregulative Funktionen, und detaillierte Struktur- und Funktionsuntersuchungen zeigen die Lokalisation dieser komplementregulativen Domänen innerhalb der vier Nterminalen SCRs. Weitere Domänen wie Bindedomänen für C3b, Heparin, M-Protein und C-reaktives
Protein wurden bei beiden Proteinen identifiziert.
C3b, Heparin und CRP (14). Es ist momentan unklar, ob Faktor H mit diesen verschiedenen Proteinen gleichzeitig in Kontakt tritt
und ob diese multiplen Interaktionspunkte
eine stabile Interaktion an verschiedenen
Stellen zwischen zwei Proteinen erlaubt.
4.4. Funktionelle Unterschiede zwischen
Reconectin/FHL-1 und Faktor H
Reconectin/FHL-1 und Faktor H haben sowohl überlappende Funktion bei der Komplementregulation als auch bei der Bindung
mit Heparin, CRP und an M-Protein (Abb.
3). Faktor H hat allerdings aufgrund der
multiplen Interaktionsdomänen eine andere Affinität zu diesen Liganden. Zusätzlich
haben beide Proteine spezifische Funktionen (Tabelle I). Nur Reconectin wirkt als
ein dem Fibronectin vergleichbares Adhäsionsprotein, das die Spreitung und Anheftung von Oberflächenzellen über einen Integrinrezeptor vermittelt. Die für diese Interaktion verantwortliche Proteindomäne
konnte innerhalb der vierten SCR-Domäne auf die Peptidsequenz Arg-Gly-Asp
(RGD) lokalisiert werden (15). Obwohl sowohl Reconectin/FHL-1 als auch Faktor H
mit dem Virulenzfaktor der Streptokokken,
dem M-Protein, interagieren, zeigen die
von uns in Kooperation mit Prof. Dr. Lindahl von der Abteilung für Medizinische
Mikrobiologie der Universität in Lund,
Schweden, durchgeführten Bindungsversuche, daß unter Infektionsbedingungen das
native Reconectin/FHL-1-Protein, aber
nicht Faktor H, an das pathogene M-Protein der Streptokokken bindet (13). Diese Interaktion ist spezifisch und für die Immun-
evasion der Streptokokken von Bedeutung
(siehe 5.3.) (Abb. 4).
5. Krankheitsassoziation mit Reconectin/
FHL-1 und Faktor H
Aufgrund ihrer vielfältigen Aufgaben im
Organismus als multifunktionelle Plasmaproteine können genetische Veränderungen
oder die Abwesenheit sowohl von Reconectin/FHL-1 als auch von Faktor H zu vermehrten Infektionen und zu lebensbedrohlichen Erkrankungen führen (16). Bei
Defizienz der beiden Regulatorproteine findet im Plasma eine unbehinderte Aktivierung des alternativen Komplementweges
statt.
5.1. Faktor H-Defizienz führt zur membranoproliferativen Glomerulonephritis Typ II
Die völlige Abwesenheit von Faktor H im
Plasma hat lebensbedrohende Konsequenzen. Neben vermehrten Infektionen wird
vor allem eine Schädigung der Basalmembran der Niere beobachtet, die sich vermutlich aufgrund der ständigen Beladung mit
C3b verändert. Dieser Prozeß hat pathophysiologische Konsequenzen und führt zur
Ausbildung einer membranproliferativen
Glomerulonephritis vom Typ II. Zahlreiche
Arbeiten belegen den Zusammenhang einer
Faktor H-Defizienz mit der Ausbildung einer Glomerulonephritis, die in der Regel
innerhalb von ein bis zwei Jahren nach der
Geburt auftritt (17). Bei einem 13 Monate
alten indianischen Jungen, bei dem im Plasma kein Faktor H, jedoch Reconectin/FHL1 nachgewiesen werden konnte, wurde der
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genetische Defekt, der zur Blockade der
Freisetzung des Faktor H-Proteins führte,
aufgeklärt (18).
5.2. Hämolytisch-urämisches Syndrom
Vor allem im vorigen Jahr wurden von mehreren Autoren ein Zusammenhang zwischen
verminderten Faktor H-Plasmakonzentrationen und dem Hämolytisch-urämischen
Syndrom (HUS) berichtet. Diese Form des
nicht-diarrhoeassoziierten HUS zeichnet
sich durch Mikroangiopathien, Thrombozytopenien und Nierenschädigungen aus. Bei
dieser Erkrankung scheint neben einer Beteiligung des Komplementsystems durch
eine genetische Veränderung des Faktor HGens, ein zusätzliches Ereignis, vermutlich
eine Infektion, mitverantwortlich zu sein
(19, 20).
5.3. Reconectin/FHL-1 und Faktor H bei der
mikrobiellen Pathogenese
Reconectin/FHL-1 sowie Faktor H spielen
eine wesentliche Rolle bei der Immunevasion pathogener Organismen. In der Regel
aktivieren Mikroorganismen die Komplementkaskade und werden durch die potenten Aktivierungsprodukte eliminiert. Um in
einem immunkompetenten Organismus zu
überleben, müssen Mikroorganismen das
Komplementsystem inaktivieren. In der
letzten Zeit ist ein Mechanismus dieser Reaktion genauer aufgeklärt worden. Verschiedene Mikroorganismen, Bakterien, Viren
und Parasiten exprimieren spezifische
Oberflächenproteine, welche aus dem Plasma des Wirtes die Proteine Faktor H und
vor allem Reconectin/FHL-1 binden und
auf diesem Weg die Komplementaktivierung auf ihrer Oberfläche regulieren und die
Bildung der für sie toxischen Aktivierungsprodukte inhibieren. Derartige Schutzmechanismen sind bei Streptococcus pyogenes, S.
pneumoniae, Borrelia burgdorferi, Neisseria
gonorrhoeae, Yersinia enterocolitica, HIV und
Onchocerca volvulus beschrieben (Tabelle II).
Arbeiten von Herrn Prof. Dr. Dierich vom
Institut für Hygiene der Leopold-FranzensUniversität Innsbruck zeigen, daß auch das
HI-Virus mittels eines spezifischen Oberflächenproteins Komplementfaktor H an
seine Oberfläche bindet (21). Bei S. pyogenes ist das M-Protein, als Virulenzfaktor für
die Bindung von Reconectin/FHL-1 und
Faktor H, verantwortlich. Unter Infektionsbedingungen (geringe Anzahl an Bakterien) bindet das M-Protein bevorzugt Reconectin/FHL-1 (Abb. 4).
In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Lindahl von der Universität Lund konnten wir
die Bindungs- und Interaktionsdomänen der
beiden Proteine auf das C-terminale Ende
von Reconectin und der von der Plasmamembran abgewandten hypervariablen Region des M-Proteins lokalisieren (Abb. 3 und
B I O S P E K T R U M • 5. 0 0 • 6. J A H R G A N G
4). Interessanterweise behält das Reconectin/FHL-1-Molekül, während es an das MProtein gebunden ist, seine komplementregulative Funktionen und erlaubt so die Inhibierung der Komplementaktivierung auf
der Oberfläche des pathogenen Bakteriums.
Diese Arbeiten zeigen, wie sich Mikroorganismen durch die Aneignung von Regulatorproteinen des Wirtes, wie der bekannte
„Wolf im Schafspelz“ verkleiden und sich
für das Immunsystem unerkannt in einem
immunkompetenten Organismus aufhalten
können (Tab. II).
5.4. Reconectin/FHL-1 und Faktor H bei
Tumorerkrankungen
Neuere Untersuchungen zeigen ebenfalls eine
Rolle des Komplementsystems bei dem Schutz
entarteter Zellen. Viele Tumorzellen (Blasentumoren, Glioblastome und andere) schützen sich
durch die Überexpression von Komplementregulatorproteinen wie Faktor H und insbesondere Reconectin/FHL-1 vor dem Angriff des Komplementsystems, welches durch die veränderten
Oberflächen der malignen Zellen vermehrt aktiviert wird (22, 23, 24).
Anmerkungen
Die Arbeiten der Arbeitsgruppe werden
durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (Projekt Zi 432/5) und durch das per-
Abb. 4: Immunevasion von Mikroorganismen
(hier: Streptococcus pyogenes) durch Bindung
von Reconectin/FHL-1.
Mikroorganismen können sich durch die
Anlagerung von wirtseigenen Regulatoren vor
den schädigenden Effekten des Komplementsystems schützen. Hier ist der Mechanismus für S.
pyogenes dargestellt. Das M-Protein der
Streptokokken, das aus der Zellwand herausragt,
bindet mit seiner hypervariablen, membranabgewandten N-terminalen Region bevorzugt das
humane Plasmaprotein Reconectin/FHL-1. Dieser
Regulator wird mit dem C-terminalen Ende
gebunden, so daß die funktionellen Domänen
zugänglich sind und das gebundene Protein
seine komplementregulative Funktion beibehält.
Somit kann auf der Oberfläche der pathogenen
Streptokokken eine direkte Inaktivierung der
neugebildeten C3b-Moleküle erfolgen und eine
Beladung und Phagozytose der Bakterien
vermieden werden.
Reconectin FHL-1
Faktor H
Streptococcus pyogenes
(M-Protein)
Streptococcus pyogenes
(M-Protein)
Yersinia enterocolitica
Yersinia enterocolitica
Borrelia burgdorferi
Streptococcus pneumoniae
HIV (gp120, gp41)
Neisseria gonorrhoeae
Echinococcus granulosus
Onchocerca volvulus
Tabelle II: Interaktion der Komplement- und
Immunregulatoren Reconectin/FHL-1 und Faktor
H mit Mikroorganismen und Parasiten.
sonenbezogene Austauschprogramm mit der
Universität Helsinki in Finnland durch den
Deutschen Akademischen Austauschdienst
(DAAD) unterstützt. MAF ist Stipendiat der
Studienstiftung des deutschen Volkes.
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Manuel A. Friese
ist Student der Medizin an der Universität Hamburg
und ist Stipendiat der Studienstiftung des deutschen
Volkes. Er hat in der Zeit von 1997 bis 2000 in der
Arbeitsgruppe von Herrn Prof. Dr. Peter F. Zipfel am
Berhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg eine experimentelle medizinische Doktorarbeit
erstellt, in der er die pathophysiologische Bedeutung
der Komplementregulatoren Reconectin/FHL-1 und
Faktor H untersucht hat.
Dr. Jens Hellwage
hat an der Universität Hamburg Biologie studiert und
promoviert. Er beschäftigt sich mit der funktionellen
Charakterisierung der Mitglieder der Faktor HProteinfamilie bei der Regulation der Immunfunktion
und ihren weiteren Funktionen im Organismus. Er
war 1999 und 2000 als Stipendiat des Deutschen
Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in
Helsinki, Finnland (Hochschulprogramm III des
Bundes und der Länder) und ist seit August 2000
Nachwuchsgruppenleiter am Hans-Knöll-Institut in
Jena.
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inhibiting the protective action of complement factor
H and decay accelerating factor (DAF, CD55). J. Exp.
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Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Peter F. Zipfel
Hans-Knöll-Institut für Naturstoff-Forschung
Abteilung für Mikrobielle Infektionsbiologie
Beutenbergstraße 11a, D-07745 Jena
Tel: 03641-65 6900, Fax: 03641-65 6902
eMail: [email protected]
Priv.-Doz. Dr.
Christine Skerka
hat an der Universität Bremen Biologie studiert, hat
ihre Doktorarbeit an den National Institutes of
Health erarbeitet und wurde 1998 vom Fachbereich
Biologie der Universität Hamburg habilitiert. Das
Forschungsgebiet von Frau Skerka ist die Darstellung
der molekularen Wirkmechanismen von
Immuneffektorproteinen.
Prof. Dr.
Peter F. Zipfel
hat Biologie studiert und an der Universität Bremen
zum Dr. rer. nat. promoviert. Nach einem vierjährigen
Forschungsaufenthalt in den USA im Laboratory of
Immunoregulation am National Institute of Allergy and
Infectious Diseases in Bethesda, MD, war er Arbeitsgruppenleiter am Bernhard-Nocht-Institut für
Tropenmedizin in Hamburg und ist seit 2000 Leiter der
Abteilung Mikrobielle Infektionsbiologie am Hans-KnöllInstitut für Naturstoff-Forschung in Jena. Themen der
Abteilung sind die Rolle des Komplementsystems –
insbesondere der Faktor H-Proteinfamilie – bei der
Immunevasion von Mikroorganismen sowie die
Charakterisierung der immunmodulatorischen Funktion
von humanen T-Lymphozyten, vor allem der Wirkmechanismus der EGR-Transkriptionsfaktoren.
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