Konventionelle Radiologie

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Übersichtsarbeit 289
Konventionelle Radiologie – Differenzialdiagnostik
und Verlaufsbeurteilung der chronischen Polyarthritis
Autor
S. Wassenberg
Institut
Ev. Fachkrankenhaus Ratingen, Klinik für Rheumatologie, Ratingen
Schlüsselwörter
▶ Röntgen
●
▶ Differenzialdiagnose
●
▶ Arthritis
●
▶ Scoringmethoden
●
Zusammenfassung
▼
Abstract
▼
Das konventionell hergestellte Röntgenbild ist
auch mehr als 100 Jahre nach der ersten Beschreibung der für die Arthritis typischen radiologischen Veränderungen für die Diagnosestellung
und die Verlaufsbeobachtung der entzündlichen
Gelenkerkrankungen unverzichtbar. Um dieser
Aufgabe gerecht zu werden, muss aber der optimale Einsatz der verfügbaren Röntgentechnik
verlangt werden, weil nur dann die volle Ausschöpfung des möglichen Informationsgehalts
des Röntgenbilds möglich wird. Bei polyartikulären Erkrankungen werden Röntgenaufnahmen
der Hände und Vorfüße zur Diagnosesicherung
genutzt, die aufgrund ihrer geringen Strahlenbelastung auch für die regelmäßige Verlaufsbeobachtung geeignet sind. Die indirekten Arthritiszeichen im Röntgenbild – Weichteilschwellung
und gelenknahe Osteoporose – werden zwar
von verschiedenen Untersuchern mit geringer
Übereinstimmung beurteilt, können im Einzelfall aber wichtige Zusatzinformationen liefern.
Die direkten Arthritiszeichen, wie knöcherne
Erosionen und Gelenkspaltverschmälerung, werden dagegen mit großer Übereinstimmung und
zuverlässig erkannt. Sie bilden deshalb auch die
Grundlage für semiquantitative Röntgenscores,
die eine Quantifizierung der Gelenkdestruktion
im Verlauf anhand der radiologischen Veränderungen erlauben. Das konventionelle Röntgenbild liefert auch eine Vielzahl weiterer Informationen, die entscheidend zur Differenzialdiagnostik polyartikulärer Gelenkerkrankungen
beitragen können.
More than 100 years after the first description
of the typical X-ray-findings of arthritis, radiographs are still essential for the diagnostic and
follow-up evaluation of inflammatory joint diseases. Radiographs provide important diagnostic information that has a profound impact on
therapeutic decisions. In order to fulfil this task
the optimal use of the best available radiology
technique is needed to fully exploit the possible
information provided by X-rays. In polyarticular
diseases radiographs of hands and feet are used
to establish the diagnosis and, because of their
very low radiation exposure, they are also suitable for regular long-term observation. On X-rays
indirect signs of arthritis like soft tissue swelling
and periarticular osteoporosis are less reliably
detected by different readers but they may convey important information in individual cases
whereas direct signs of arthritis like erosions and
joint space narrowing are consistently described
by different readers. These latter features are
therefore selected for radiographic scores that
allow the quantification of joint destruction by
measuring radiographic change. X-rays also provide a lot of additional information that contributes decisively to the differential diagnosis of
polyarticular joint disease.
Einleitung
▼
rien für die von Steinbrocker et al. der American
Rheumatism Association vorgeschlagene und
heute noch gültige Stadieneinteilung der chronischen Polyarthritis [2]. Die Verlaufsbeobachtung
des im Röntgenbild sichtbaren Gelenkzerstö-
Key words
▶ radiography
●
▶ differential diagnosis
●
▶ arthritis
●
▶ scoring methods
●
Bibliografie
DOI http://dx.doi.org/
10.1055/s-0030-1267934
Akt Rheumatol 2010; 35:
289–296 © Georg Thieme
Verlag KG Stuttgart · New York
ISSN 0341-051X
Korrespondenzadresse
Dr. Siegfried Wassenberg
Ev. Fachkrankenhaus Ratingen
Klinik für Rheumatologie
Rosenstraße 2
40882 Ratingen
Tel.: + 49/2102/206 231
Fax: + 49/2102/206 232
[email protected]
1909 beschrieben Nicholson und Richards die im
Röntgenbild erkennbaren Zeichen der Arthritis
[1]. 1949 wurden diese zu den wichtigsten Krite-
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Conventional Radiology – Differential Diagnosis and Follow-Up of
Rheumatoid Arthritis
290 Übersichtsarbeit
rungsprozesses gilt seitdem als das entscheidende Kriterium dafür, ob einer langfristigen therapeutischen Intervention ein krankheitsmodifizierender Effekt zugesprochen wird oder nicht.
Mit der in einem Jahrhundert gesammelten Erfahrung gelingt es
zudem, die im Röntgenbild gewonnenen Informationen differenzialdiagnostisch und häufig auch zur Klassifikation der Arthritis auf den ersten Blick zu nutzen.
Abb. 1 Frühe
Erosionen an typischer
Stelle – Processus
styloideus ulnae.
Für die Beurteilung von Röntgenbildern ist die Qualität der Bilder von entscheidender Bedeutung. Die Bundesärztekammer
schreibt für periphere Extremitätengelenke Film-Foliensysteme
der Empfindlichkeitsklasse (Speed Class) 200 (Universalfolien)
vor. Bei besonderer Fragestellung, die in der Rheumatologie speziell bei den Aufnahmen der Hände und Vorfüße gilt, sind aber
auch Systeme mit einer geringeren Empfindlichkeit und dadurch
besonders hoher Ortsauflösung zugelassen. Deshalb sollten einseitig beschichtete oder doppelseitig beschichtete Anti-Crossover Filmfolien-Kombinationen der Empfindlichkeitsklasse 50
(feinstzeichnend) oder 100 (feinzeichnend) eingesetzt werden,
die eine Ortsauflösung von mindestens 8 und bis zu 20 Linienpaare (Lp/mm) ermöglichen. Selbst mit diesen Filmen beträgt
die Strahlenbelastung bei Aufnahmen der Hände und Vorfüße
nur ca. 0,05 Millisievert (mSv) je Aufnahme, was in etwa einem
Hundertstel der natürlichen jährlichen Strahlenbelastung in
Deutschland entspricht. Beim digitalen Röntgen kann ein dem
konventionellen Röntgenbild vergleichbares Bild mit einer Auflösung von bis zu 5 Lp/mm erzeugt werden. Diese etwas geringere Auflösung im Vergleich zu konventionellen Film-Foliensystemen wird aber durch andere Vorteile der digitalen Technik,
wie der Möglichkeit zur Nachbearbeitung des Bildes, die deutlich geringeren Fehlermöglichkeiten bei der Belichtung und die
noch geringere Strahlenbelastung aufgewogen.
Wer Röntgenbilder zur Beurteilung aus multizentrischen Studien vorgelegt bekommt, weiß, wie viele leicht zu vermeidende
Fehler trotz aller Qualitätssicherungsbemühungen heute noch
gemacht werden. Wenn wenige einfache Regeln beachtet werden, kann man problemlos hochwertige Bilder bekommen. Die
folgenden Hinweise gelten unabhängig davon, ob die konventionelle Röntgentechnik oder die digitale Technik eingesetzt wird:
Entscheidend für eine gute Beurteilbarkeit des Röntgenbildes ist
neben der Wahl des geeigneten Filmmaterials die richtige Einstellung der Belichtungszeit und der Röhrenspannung, die die
Knochenstruktur gut kontrastiert wiedergibt und zugleich den
Weichteilmantel nicht überstrahlt. Daneben ist die korrekte Positionierung der untersuchten Gelenke, das gewählte Filmformat
und die größtmögliche Einblendung die Voraussetzung für ein
optimales Ergebnis. Für die Aufnahme der Hände sollte der Patient neben dem Röntgentisch sitzen und die Hände und Unterarme flach auf die auf dem Tisch liegende Kassette legen. Eine
nicht korrigierte Beugung in den Finger- oder Handgelenken
kann eine Gelenkspaltverschmälerung oder sogar eine Subluxation vortäuschen. Die Finger sollten leicht gespreizt werden, um
die Weichteilmäntel voneinander abgrenzen zu können. Die
Vorfüße werden ebenfalls im Sitzen aufgenommen. Die Kassette
liegt dabei auf dem Boden und der Patient muss die Füße nebeneinander ohne die Zehen zu beugen auflegen. Der Film-Fokus
Abstand beträgt immer genau 100 cm. Die Hand passt in den allermeisten Fällen auf eine 18 cm × 24 cm große Kassette. Wenn
eine 24 cm × 30 cm große Kassette benutzt wird, sollte jede Hand
einzeln belichtet werden, um die Streustrahlung zu minimieren.
Die andere Hälfte der Kassette wird dann jeweils mit Bleigummi
abgedeckt. Das Format 18 cm × 24 cm genügt auch fast immer,
um beide Vorfüße von den Zehenspitzen bis zur Basis des Os
metatarsale 5 nebeneinander abzubilden. Der Zentralstrahl wird
auf das Metacarpalköpfchen 3 bzw. zwischen die beiden ersten
Metatarsophalangeal-Gelenke (MTP-Gelenke) gelegt. Für die bei
unklarer Diagnose sinnvolle 2. Ebene haben Schorn und Lingg
empfohlen, die Kassette auf einen Holzkeil mit einem Neigungswinkel von ca. 20 ° zu legen, um reproduzierbare Schrägaufnahmen zu erhalten [3].
Die Auswertung der Röntgenbilder sollte immer in einem abgedunkelten Raum mit maximaler Einblendung des Leuchtschirms
erfolgen. Eine optische Lupe bei konventionell angefertigten Bildern bzw. eine Lupenfunktion bei digitalen Bildern sind zwingend
erforderlich, auch ein Aufheller sollte zur Verfügung stehen.
Beitrag des Röntgenbilds zur Diagnosestellung
der Arthritis
▼
Im deutschen Sprachraum hat sich die von Dihlmann vorgeschlagene Unterscheidung zwischen indirekten und direkten
Zeichen der Arthritis durchgesetzt [4].
Die indirekten Arthritiszeichen – Weichteilschwellung und gelenknahe Osteoporose – variieren mit dem Verlauf der Krankheitsaktivität und können in vielen Fällen ohne sichtbare bleibende Folgen wieder verschwinden.
Die Weichteilschwellung entsteht durch die Ergussbildung und
die Synovialisproliferation im Gelenk oder in den Sehnenscheiden und das jeden Entzündungsprozess begleitende perifokale
Oedem. An den proximalen Interphalangeal-Gelenken (PIP)-Gelenken ist sie bei der chronischen Polyarthritis typischerweise
als spindelförmige Verdickung des Weichteilmantels, an den
Metacarpo-Phalangeal-Gelenken (MCP)-Gelenke 1,2 und 5, den
MTP-1 und 5 und an den Handgelenken als Verbreiterung des
Weichteilreliefs, an den MCP und MTP 2–4 Gelenken nur anhand
der vermehrten Distanzierung der Gelenke voneinander zu erkennen. Weichteilschwellungen sind besonders gut mithilfe einer Starklichtquelle zu erkennen. Dann sind auch differenziertere
Hinweise auf entzündliche Veränderungen z. B. durch die Verlagerung von Fettgewebsformationen zu gewinnen. Die Beurteilung einer Weichteilschwellung ist aber stark von der Aufnahmetechnik abhängig und unterliegt in besonderem Maße der
subjektiven Empfindung, sodass die Übereinstimmung verschiedener Untersucher sehr schlecht ist [5]. Die klinische
Untersuchung gewährt zudem die gleiche Information mit
größerer Sicherheit.
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Technische Voraussetzungen
▼
Übersichtsarbeit 291
Die gelenknahe Osteoporose wird durch die knochenkatabolen
Effekte der lokal freigesetzten Entzündungsmediatoren und
durch die schmerzbedingte Inaktivität ausgelöst. Man erkennt
sie an einer bandförmigen Transparenzzunahme des dem Gelenk benachbarten Knochens. Die Manifestation der gelenknahen Osteoporose ist abhängig von der zugrunde liegenden Qualität des Knochens, von der Dauer der Erkrankung und der Intensität der Entzündung. Im Krankheitsverlauf kann sie stark variieren. Auch die Beurteilung der gelenknahen Osteoporose ist
sehr abhängig von der Aufnahmetechnik. So kann eine relativ
harte, überbelichtete Aufnahme eine Osteoporose vortäuschen,
wohingegen eine sehr weiche Aufnahme den gegenteiligen Effekt hat. So verwundert es nicht, dass der subjektive Eindruck
des Beurteilers auch hier ganz wesentlich darüber entscheidet,
ob er eine gelenknahe Osteoporose erkennt oder nicht [5], wodurch auch zu erklären ist, weshalb sie in verschiedenen Studien
in sehr unterschiedlicher Häufigkeit zwischen 5 % [6] und 28 %
[7] bei früher chronischer Polyarthritis gefunden wird.
Die direkten Arthritiszeichen – subchondrale Signalzysten, knöcherne Erosion und Gelenkspaltverschmälerung – entsprechen
strukturellen Veränderungen. Diese Veränderungen werden von
Abb. 2 c 1991 unter
Methotrexat-Therapie
partielle Wiederauffüllung der Erosion und
Bildung einer neuen
Grenzlamelle, d 2008
unveränderter Befund,
uneingeschränkte
Funktionsfähigkeit
der Hand, anhaltende
Remission unter fortgeführter MethotrexatTherapie.
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Abb. 2 Röntgenverlauf über mehr als 20
Jahre. a 1987 keine
arthritischen Direktzeichen, b floride Usur am
MCP 3 Gelenk im Jahre
1988.
verschiedenen Untersuchern mit großer Übereinstimmung gefunden.
Bei den sog. Signalzysten handelt es sich um orthograd getroffene Erosionen, wie man an autoptischen Befunden belegen
kann [8]. Erosionen sind Knochendefekte mit einer sichtbaren
Unterbrechung der Grenzlamelle. Sie finden sich zu Krankheitsbeginn häufig an den sogenannten „bare areas“, also den Regionen der Gelenke, an denen der synoviale Pannus direkt den Knochen invadieren kann, weil hier der schützende Knorpelüberzug
nicht vorhanden ist. Bevorzugt finden sich die Erosionen bei der
chronischen Polyarthritis an den MCP-Gelenken 2 und 5, an den
Processus styloideus ulnae, am MTP-Gelenk 5 und am Groß▶ Abb. 1).
zehenendgelenk (●
Bei der ersten Vorstellung beim Rheumatologen weisen bereits
mehr als 30 % aller Patienten mit chronischer Polyarthritis im
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Röntgenprogression
▼
Der frühe Nachweis von Erosionen gilt auch als wichtigster Prognosefaktor für einen ungünstigen, weil rasch progredienten
Krankheitsverlauf.
Bei anhaltender Krankheitsaktivität kommt es bei der chronischen Polyarthritis in der Regel im Verlauf der Erkrankung zu
einer ständigen Zunahme der Zahl der von Erosionen betroffenen Gelenke. Gleichzeitig können an schon betroffenen Gelenken weitere Erosionen auftreten und vorhandene Erosionen an
Größe zunehmen, bis irgendwann das gesamte Gelenk zerstört
wird. Auch wenn zu Beginn der Erkrankung Schmerzen und
Steifigkeit den Patienten stärker funktionell einschränken, so
bestimmt das Ausmaß der Gelenkzerstörung mit zunehmender
Krankheitsdauer ganz überwiegend die Funktionseinschränkung des Patienten [12]. Das Ziel der antirheumatischen Therapie besteht deshalb in der möglichst frühzeitigen Verhinderung
des Gelenkzerstörungsprozesseses, der nicht nur in klinischen
Studien sondern auch beim individuellen Patienten anhand des
Röntgenverlaufs, also im Vergleich des aktuellen Befunds mit
den Voraufnahmen, beurteilt werden muss. Eine Zunahme der
Gelenkdestruktion erfordert in der Regel eine Änderung bzw.
eine Intensivierung der Therapie. Wenn ein rasch progredienter
Verlauf dokumentiert wird, kann dieser Befund das entscheidende Argument für den Einsatz von Biologika liefern. Andererseits kann ein über Monate oder Jahre stabiler Befund im Röntgenbild eine ausreichende Medikamentenwirkung belegen,
selbst wenn der Patient klinisch nicht in vollständiger Remission
ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich Änderungen in der
Krankheitsaktivität meist erst mit einer Verzögerung von einigen Monaten im Röntgenbild erkennen lassen.
Bei einer langfristigen Inaktivierung des Entzündungsprozesses
kann es zu Reparationsvorgängen kommen, selten auch zu einer
vollständigen Heilung im Sinne einer restitutio ad integrum.
Diese Heilphänomene, die meist mehr als ein Jahr brauchen, um
deutlich erkennbar zu werden, können auch dazu motivieren,
eine wirksame Basistherapie bei klinischer Remission fortzusetzen, selbst wenn der Patient dies vielleicht nicht mehr für nötig
▶ Abb. 2). Zum wichtigen Thema der Heilphänomene sei
hält (●
auch auf die Arbeit von Rau in dieser Ausgabe der Aktuellen
Rheumatologie verwiesen.
Die Gelenkspaltverschmälerung entspricht dem Verlust an
Knorpelmasse, der sowohl durch den negativen Effekt proinflammatorischer Zytokine auf den Knorpelstoffwechsel als auch
durch die Infiltration des Knorpels durch den Pannus zustande
kommt. Im Röntgenbild ist der Knorpel im Gegensatz zum Knochen nicht direkt zu sehen, auf den Knorpelverlust kann deshalb
anhand der Gelenkspaltverschmälerung nur indirekt geschlos▶ Abb. 3). Besonders in den Handgelenken kann
sen werden (●
die Gelenkspaltverschmälerung aber das vorherrschende Merk▶ Abb. 4). Schwierig bis unmal der Gelenkdestruktion sein (●
möglich wird die Beurteilung der Gelenkspaltverschmälerung,
wenn es infolge von Kapsel- und Banddestruktionen zu einer zunehmenden Subluxation oder sogar Luxation des Gelenkes
kommt.
Um den Krankheitsverlauf der chronischen Polyarthritis zu
dokumentieren und therapeutisch relevante Veränderungen nicht
zu übersehen, empfiehlt die „Kommission Bildgebung“ der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie Röntgenaufnahmen der
Hände und Vorfüße bei der ersten Vorstellung des Patienten mit
Verdacht auf eine polyartikuläre entzündlich rheumatische
Erkrankung anzufertigen und Kontrollen bei deutlich aktiver Er-
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Röntgenbild erkennbare Erosionen auf, innerhalb der ersten 2
Jahre nach Krankheitsbeginn steigt dieser Anteil auf über 70 %
[9]. Bei Patienten mit polyartikulärer Gelenkerkrankung ist die
Erosion an typischer Stelle fast gleichbedeutend mit der endgültigen Diagnosesicherung. Eine französische Arbeitsgruppe
hat untersucht, welchen Beitrag der Röntgenbefund von
Händen und Füßen bei Patienten mit früher Arthritis zur Diagnosestellung einer chronischen Polyarthritis liefert [10]. Die
Diagnose einer chronischen Polyarthritis musste nach 2 Jahren
nach der ersten Untersuchung von 5 Rheumatologen übereinstimmend bestätigt werden. Von 149 Patienten mit zunächst
undifferenzierter Arthritis und sehr kurzer Krankheitsdauer
(bei 102 < 6 Monate) war dies bei 55 Patienten der Fall. Der
Nachweis einer Erosion im Röntgenbild der Hände oder Füße
bei der ersten Untersuchung ergab für die spätere Diagnosestellung einer chronischen Polyarthritis zwar nur eine Sensitivität von 32,5 % aber eine sehr hohe Spezifität von 94,5 %. Von
12 Patienten, die zu Beginn Erosionen aufwiesen, wurde bei 10
nach 2 Jahren die Diagnose der chronischen Polyarthritis gesichert, nur bei 2 Patienten ergab sich eine andere Diagnose. Der
positive prädiktive Wert des Nachweises einer Erosion für die
Diagnose einer chronischen Polyarthritis errechnet sich demzufolge mit 83 %.
Bei früher chronischer Polyarthritis ohne Nachweis von Erosionen empfehlen Paulus und van der Heijde halbjährliche Aufnahmen bis zum ersten Nachweis einer Erosion im Verlauf der
ersten 2 Jahre [9].
Die besondere diagnostische Bedeutung des Nachweises einer
Erosion reflektieren auch die gemeinsam von der European
League against Rheumatism (EULAR) und dem American College
of Rheumatology (ACR) neu formulierten Diagnosekriterien für
die Rheumatoide Arthritis. In den genannten Kriterien, die ausdrücklich mit dem Ziel formuliert wurden, eine möglichst frühe
Klassifikation einer entzündlichen Gelenkerkrankung als Rheumatoide Arthritis zu erlauben, werden radiologische Kriterien
zwar nicht mehr mit aufgezählt, es wird aber in den begleitenden Kommentaren ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beim
Nachweis einer Erosion von vorneherein davon auszugehen sei,
dass es sich um eine Rheumatoide Arthritis handelt. Im Gegensatz zu den ACR-Kriterien von 1987 [11], bei denen das Röntgenkriterium ja nur eines von 7 diagnostischen Kriterien war, gewinnt der Nachweis einer Erosion dadurch sogar noch erheblich
an Bedeutung, weil er mit der Diagnose der Rheumatoiden Arthritis fast gleichgestellt wird. Beim Nachweis einer Erosion im
Röntgenbild ist auch die Notwendigkeit, mithilfe anderer, meist
wesentlich aufwändigerer bildgebender Verfahren etwas früher
Hinweise auf eine knöcherne Erosion zu finden, nicht mehr gegeben.
Obwohl es zu dieser Fragestellung bisher keine systematische
Untersuchung gibt, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass
der Nachweis einer Erosion für den erfahrenen Rheumatologen
abhängig vom Alter des Patienten und der Lokalisation der Erosion einen sehr unterschiedlichen Wert besitzen kann. Eine einzige unter Umständen sehr kleine aber sichere Erosion an typischer Stelle bei einem jungen Patienten ohne zuvor schon bestehende degenerative Veränderungen ist so gut wie diagnosesichernd für eine chronische Polyarthritis wohingegen mehrere
auch größere Erosionen an den PIP-Gelenken oder am Os trapezium bei schwer verlaufender Bouchard- oder Rhizarthrose
überhaupt nicht beweisend für eine entzündlich rheumatische
Erkrankung sein müssen.
Übersichtsarbeit 293
Abb. 4 a Linkes
Handgelenk mit
ausgeprägter Gelenkspaltverschmälerung
des radiocarpalen, des
intracarpalen und der
carpometacarpalen Gelenkspalten, b rechtes
Handgelenk des selben
Patienten, hier normale
Gelenkspaltweite aber
eindeutige Erosion am
Processus styloides
ulnae.
krankung nach 6 und 12 Monaten und danach jährlich durchzuführen [13]. Bei geringerer Krankheitsaktivität und wenig oder gar
nicht progredientem Verlauf können auch Kontrollen in 2- oder
mehrjährigen Abständen ausreichend sein. Große Gelenke sollten
nur bei aktueller klinischer Indikation geröntgt werden, immer in
2 Ebenen, meistens mit der kontralateralen Seite zum Vergleich.
Differenzialdiagnose
▼
Neben den oben beschriebenen Zeichen der Arthritis liefert das
Röntgenbild auch eine Vielzahl weiterer Informationen, die entscheidende Hinweise für die differenzialdiagnostische Zuordnung einer Arthritis liefern.
Das Befallsmuster gibt bereits wichtige differenzialdiagnostische
Hinweise. Bei der chronischen Polyarthritis sind die Finger-
Abb. 5 Fingerpolyarthrose mit erheblicher
Luxation des CMC 1Gelenks und deutlichen
Achsabweichungen der
PIP- und DIP-Gelenke.
Abb. 6 Psoriasisarthritis mit transversalem Zehenendgelenksbefall. Beachte neben
den Erosionen auch die
zarten Proliferationen
am IP 1 Gelenk.
grund- und -mittelgelenke, die Handgelenke und die Zehengrundgelenke sowie das Großzehenendgelenk am häufigsten
und oft auch symmetrisch betroffen. Bei der häufigsten Differenzialdiagnose der chronischen Polyarthritis, der Polyarthrose,
sind die Fingergrundgelenke dagegen eher selten betroffen. Hier
stehen bei der Heberdenarthrose die Fingerendgelenke, bei der
Bouchardarthrose die Fingermittelgelenke, bei der Rhizarthrose
die Daumensattelgelenke und bei der Arthrose an den Vorfüßen
die Großzehengrundgelenksarthrose im Vordergrund. Sehr
häufig weisen auch alle diese Lokalisationen gleichzeitig die typischen Arthrosezeichen der Gelenkspaltverschmälerung mit
subchondraler Sklerosierung, subchondralen (Geröll-)Zysten
und den meist spitzzipflig ausgezogenen Osteophyten auf. Bei
fortgeschrittenen Fällen kommen Luxationen (vorwiegend an
den CMC 1 und den MTP-Gelenken) und Achsabweichungen
(vorwiegend an den distalen Interphalangealgelenken (DIP)-Ge▶ Abb. 5). Wenn überwielenken und den PIP-Gelenken) dazu (●
gend die Metacarpophalangealgelenke 2 und 3 betroffen sind
und diese Gelenke ausgeprägte Osteophyten aufweisen, muss
auch an die häufigste genetisch determinierte Stoffwechselerkrankung des Menschen, an die Hämochromatose gedacht werden.
Für eine Spondyloarthritis mit peripherer Gelenkbeteiligung,
die zwar nicht exklusiv, aber sicher am häufigsten bei der Psoriasisarthritis vorkommt, spricht im Gegensatz zur RA die fehlende Symmetrie, die Prädominanz des Finger- und Zehenendgelenkbefalls (Transversaltyp), der häufig strahlförmige oder
▶ Abb. 6).
auch der oligoartikuläre Befall (●
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Abb. 3 a Normale
Gelenkspaltweite der
MCP-Gelenke links bei
ganz früher RA,
b Befund nach 2 Jahren
mit erheblicher Gelenkspaltverschmälerung
an MCP 2 bis 5, mit
beginnender Subluxation an MCP 4.
294 Übersichtsarbeit
Abb. 8 a Unauffälliger Befund 1985,
b Massiver Knochenanbau am Os metacarpale 1 und am gesamten
rechten Handgelenk
bei PsA nach 17 Jahren.
Charakteristisch für die Veränderungen bei Spondyloarthritiden
am einzelnen Gelenk ist das Nebeneinander von ausgeprägtem
Knochenabbau bis in den Bereich der Diaphyse hinein (Mutila▶ Abb. 7) und das
tion, „pencil in cup“, Acroosteolysen usw.) (●
gleichzeitige Phänomen Knochen anbauender, osteoproliferativer Veränderungen mit mehr oder weniger scharf abgrenzbaren Protuberanzen. Manchmal bilden sich auch periostale diaphysäre Knochenanlagerungen die zu massiver Verbreiterung
des Knochens im Sinne einer Kolben- und Elfenbeinphalanx
▶ Abb. 8). In der Regel fehlt die gelenknahe Osführen können (●
teoporose, der Knochen kann bis an die Grenze zu ausgeprägten
Mutilationen sogar verdichtet erscheinen. Häufig erlauben schon
geringfügige proliferative Veränderungen bei gleichzeitigem
Vorkommen von Erosionen eine RA auszuschließen und die Arthritis zur Gruppe der Spondyloarthritiden zuzuordnen, eine
weitere Differenzierung innerhalb dieser Gruppe ist aber meist
▶ Abb. 9). Der Nachweis von proliferativen Vernicht möglich (●
änderungen im Röntgenbild gilt als so typisch für die Psoriasisarthritis, dass dieser Befund zu einem der 5 Klassifikationskriterien der Psoriasisarthritis nach den aktuell gültigen CASPARKriterien wurde [14].
Die Gicht ist in Ihrem Befallsmuster ähnlich chaotisch und unregelmäßig wie die Spondyloarthritiden, sie lässt sich aber zumindest im fortgeschrittenen Stadium häufig anhand typischer
morphologischer Phänomene wie den gestanzten Defekten
durch die Tophi oder die charakteristischen Tophusstachel er▶ Abb. 10).
kennen (●
Auch die andere wichtige Kristallarthropathie, die Chondrocalcinose, die besonders im höheren Lebensalter manchmal schwer
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Abb. 7 a Linke Hand
1985, unauffälliger
Befund, b li Hand der
gleichen Patientin
2002 mit ausgeprägten
Mutilationen (Teleskopfinger, Ankylosen) bei
Psoriasisarthritis.
Abb. 9 Typisches Nebeneinander von Erosion und Proliferation
(Proliferosion) am IP 1 Gelenk rechts
bei PsA.
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Übersichtsarbeit 295
Abb. 11 Chondrocalcinose mit typischer
scholliger Verkalkung
des Diskus articularis
im ulnaren Handgelenksspalt,
Verkalkung auch im
Gelenkknorpel.
von einer akut beginnenden Polyarthritis zu unterscheiden ist,
lässt sich im Röntgenbild leicht anhand der typischen scholligen
Verkalkungen vor allem im ulnaren Handgelenksspalt erkennen
▶ Abb. 11).
(●
Auch zahlreiche andere Gelenk- und Knochenerkrankungen (Osteoarthropathien) lassen sich durch ihre charakteristischen Befunde im Röntgenbild erkennen und auch bei den Kollagenosen
finden sich mehr oder weniger pathognomonische Befunde, sodass das Röntgenbild auch für die differenzialdiagnostische Abklärung seltener Gelenk- und Knochenerkrankungen richtungweisend sein kann [4]. Diese alle aufzuzählen und hier zu präsentieren würde aber den Rahmen dieses Beitrags sprengen.
Röntgenprogressionsmessung-Scoringmethoden
▼
Bei den polyartikulären Gelenkerkrankungen wird die Zunahme
der im Röntgenbild abgebildeten Zahl betroffener Gelenke und
die Zunahme der Zerstörung an jedem einzelnen Gelenk unter
dem Begriff der Röntgenprogression zusammengefasst. Die
Röntgenprogression repräsentiert den fortschreitenden Zerstörungsprozess durch die entzündlich rheumatische Erkrankung
und wird mithilfe von Scoringmethoden gemessen. Diese messen entweder nur Erosionen (Ratingen Score [15]) oder Erosionen und Gelenkspaltverschmälerung (Sharp-Score [16], Genant-Score [17], van der Heijde-Score [18]) oder sie gehen von
einer globalen Beurteilung der Gelenkdestruktion aus, die die
Summe aller Bildinformationen berücksichtigt (Larsen Score
[19]). In einer Vielzahl von Studien ist es mit allen vorhandenen
Scoringmethoden gelungen, hochsignifikante Unterschiede der
Röntgenprogression zwischen verschiedenen Therapiegruppen
nachzuweisen. Trotz vorhandener konzeptioneller und inhaltlicher Unterschiede konnte gezeigt werden, dass verschiedene
Methoden mit vergleichbar guter Reliabilität und Veränderungssensitivität in der Lage sind, die Röntgenprogression der RA zu
messen [20]. Der Nachweis einer Verlangsamung, des Anhaltens
oder sogar der Umkehrung der Röntgenprogression in klinischen
Studien gilt als der entscheidende Beweis dafür, dass ein Medikament eine krankheitsmodifizierende Wirkung hat. Zu den
Vor- und Nachteilen der verschiedenen Scoringmethoden bei
der chronischen Polyarthritis nimmt Rau in dieser Ausgabe der
Aktuellen Rheumatologie ausführlich Stellung.
Für die Messung der Gelenkdestruktion bei der PsA sind die
Scoringmethoden, die für die RA entwickelt wurden, in leicht
abgewandelter Form eingesetzt worden [21]. Der Psoriasis
Arthritis Ratingen Score (PARS) berücksichtigt als einzige
Methode die für die PsA spezifischen osteoproliferativen Veränderungen [22].
Zusammenfassung
▼
Das konventionelle Röntgenbild ist weiterhin für die Diagnosestellung und die differenzialdiagnostische Abgrenzung aller entzündlich rheumatischen Erkrankungen unverzichtbar. Es gelingt
in vielen Fällen nur mithilfe des radiologischen Befundes eine
klare differenzialdiagnostische Zuordnung. Auch im Krankheitsverlauf liefert das Röntgenbild wichtige Informationen, die auch
bei der langfristigen Verlaufsbeobachtung immer wieder therapeutische Entscheidungen wesentlich bestimmen. In klinischen
Studien werden Röntgenverlaufsbilder mithilfe von Scoringmethoden ausgewertet, um den strukturerhaltenden Effekt der
Therapie zu belegen.
Interessenkonflikt: Nein
Literatur
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