TECHNIK Feldebene Bildquelle: Wolfgang Ludwig – Fotolia.com [1] Windmühlen gehören zu den ältesten Anwendungen, die sich frei verfügbare Energie im Sinne von Energy Harvesting zu Nutze machen. [1] Energy Harvesting und energieautarke Systeme Energie ernten Kabel nehmen Platz weg, sind oft kompliziert zu verlegen und schränken die Bewegungsfreiheit ein. Batterien befreien davon. Aber ihre Laufzeit ist häufig ungewiss und ihr Austausch nicht selten problematisch. Eine Lösung zum Befreien ganzer Sensornetzwerke von nervigen Kabeln und dem diffizilen Batteriewechseln sind energieautarke Systeme, die nach dem Prinzip des Energy Harvesting ihre Energie beziehen. E nergy Harvesting bedeutet wörtlich übersetzt Energie ernten und ist der Oberbegriff für die Energiegewinnung aus Quellen wie Umgebungstemperatur, Vibration oder Luftströmung. Systeme, die das Prinzip des Energy Harvesting nutzen, sind auch als energieautarke Systeme bekannt. Sie verfügen über eine eigene Energieversorgung und sind damit vom Stromnetz autark – nicht von der Energie an sich. Photovoltaik- oder Windenergieanlagen sind beispielsweise Energy-Harvesting-Anwendungen, da sie frei verfügbare Energie – hier Sonnenlicht und Wind – in Strom wandeln. Das wohl bekannteste Beispiel für ein Energy-Harvesting-System in kleinerem Maßstab ist eine Armbanduhr, die durch die Bewegung des Handgelenks angetrieben wird. Zurzeit finden sich die ersten energieautarken Systeme zum Beispiel bei Sensorsystemen für die Gebäudeautomatisierung. Oft genanntes Beispiel ist hier die Siemens-Ausgründung Enocean, die elektronische Basismodule für energieautarke Sensoren entwickelt. Denn die Sensorik ist das Haupteinsatz- 34 IEE • 7-2010 gebiet von Energy Harvesting, da die in kleinem Maßstab aus Umweltquellen erzeugte Leistung bislang nur für einen geringen Energiebedarf ausreicht. Deswegen findet sich auch der Begriff LowPower-System im Zusammenhang mit Energy Harvesting. Auch die Bezeichnung Micro Energy Harvesting fällt bei energieautarken Sensoren. Das Micro findet hier Verwendung, um das Energy Harvesting auf der Sensorebene vom Energy Harvesting im großen Stil – beispielsweise bei einer Windenergieanlagen – abzugrenzen. Nichts neues Die Technik hinter Energy Harvesting ist nichts wirklich neues. Jede Windmühle funktioniert nach dem Prinzip, frei verfügbare Energie in nutzbare Energie umzuwandeln. Auf industrieller Ebene funktioniert dies meist durch Technologien oder physikalische Prinzipien, die oft ebenso alt sind wie die Industrialisierung selbst. Beispielsweise mithilfe des Piezoelektrischen Effekts, der mechanischen Druck in elektrische Spannung umwan- delt. Als Energieerzeuger kommen vor allem Piezozünder zum Einsatz, die die mechanische Energie einer Handbetätigung in einen Zündfunken wandeln. Anwendungen in diesem Bereich sind beispielsweise Funklichtschalter, bei denen Piezoelemente den Tastendruck beim Ein- oder Ausschalten von Licht in Energie für das codierte Funksignal verwandeln. Piezoelemente können die für Messverfahren oder eine eventuelle Funkübertragung benötigte Energie auch erzeugen, indem sie in der Umgebung vorhandene Schwingungsenergie umwandeln. Ein weiteres Beispiel für den Einsatz von altbekannter Technik für Energy Harvesting ist der Thermoelektrische Effekt mit Peltier-Elementen. Energie nicht schnell genug gesammelt Das Problem beim Energieernten in industriellen Anwendungen ist die kurze Zykluszeit. Im Gegensatz zu Anwendungen in Gebäuden, wo Lichtschalter wenige Male pro Tag betätigt werden und Temperaturen vielleicht alle halbe Stunde gemessen werden, brauchen ➜ Bildquelle: Isly – Fotolia.com TECHNIK Feldebene Energy Harvesting bedeutet wörtlich Energie ernten und steht für die Energiegewinnung aus Quellen wie Umgebungstemperatur, Vibration oder Luftströmung. IEE • 7-2010 35 TECHNIK Feldebene surface acoustic waves, SAW) zu Nutze macht. Ein Radarimpuls wird gesendet und erzeugt auf dem piezoelektrischen Kristall des Sensors eine akustische Oberflächenwelle. Diese Oberflächenwelle ändert sich je nach Temperatur. Aus dem Antwortsignal lässt sich so auf die Temperatur schließen. Die Sensoreinheit selber benötigt keine Elektronik und ist somit robust und klein. Die Reichweite zwischen Sender und Sensor kann mehrere Meter betragen. Die aktuelle Messrate liegt bei 3 Hz. Mit solchen passiven Systemen umgehen die Hersteller das Problem der zu kurzen Energiesammelzeit und der zu geringen gesammelten Energiemenge. Sie senden Energie durch Funk oder auch Induktion aus und ermöglichen so Sensoren, die kabel- und batterielos arbeiten. ➜ Industrieanwendungen ihre Messwerte nicht selten alle paar Millisekunden. Die Zeit reicht oft nicht aus, um genug Energie zu sammeln, einen Messwert aufzunehmen und ihn weiterzusenden. Eine Möglichkeit, energieautark zu sein, aber das Zeitproblem zu umgehen, sind Sensoren, die nicht aktiv Energie sammeln, sondern von außen mit Energie angeregt werden. Auf der Sensor+Test im April in Nürnberg zeigte Pro-micron aus Kaufbeuren ein solches System. Der Temperatursensor des Unternehmens basiert auf einem Energie- und Messprinzip, das sich akustische Oberflächenwellen (englisch: Autorin Melanie Feldmann ist Redakteurin der IEE. infoDIRECT 766iee0710 www.iee-online.de Link zu Enocean Link zu Pro-micron Link zu Beckhoff Interview mit Michel Matuschke, Entwickler im Bereich Funktechnologien der Beckhoff Automation Das Potenzial liegt noch vor uns Bisher sind nur wenige industrielle Einsätze oder Produkte bekannt. Woran liegt das? Generell muss man drei verschiedene Bereiche betrachten: den Einsatz in der Gebäudeautomatisierung, in der Fabrikautomatisierung und in der Prozessautomatisierung. Bisherige Systeme, wie Enocean, lassen sich im Gebäude einsetzen, da die Kommunikationszyklen typischerweise sehr groß sind. Ein Beispiel: Temperaturwerte werden nur alle paar Minuten gebraucht – es besteht also genug Zeit zum Energie sammeln – und Taster für Licht oder Jalousien werden auch nur selten gedrückt. In der Fabrikautomatisierung hingegen benötigt man beispielsweise von einem induktiven Endwertschalter in der Regel in jedem SPS-Zyklus den aktuellen Zustand, das bedeutet typischerweise alle 1 bis 50 ms. Solche Anwendungen lassen sich zurzeit nur schwer oder gar nicht realisieren, da die Energie für ein so schnell aufeinander folgendes Senden noch nicht gesammelt werden kann. In der Prozessautomatisierung gibt es, ähnlich wie in der Gebäudeautomatisierung, einige Anwendungsfälle, bei denen keine häufige Kommunikation nötig ist, sodass es möglich ist, Energy Harvesting einzusetzen. Wo liegen die Schwierigkeiten beim Einsatz von Energy Harvesting? Bei der zuverlässigen Gewinnung von ausreichend Energie für häufig kommunizierende Anwendungen: Wenn die Energiegewinnung zum Beispiel durch Temperaturdifferenz in einer Anlage erfolgt und diese Temperaturdifferenz durch Jahreszeiten bedingt schwankt und nicht mehr ausreicht, um die nötige Energie zu erzeugen, ist keine zuverlässige Anwendung möglich. Hier wird sich die Technik aber in Zukunft weiterentwickeln und immer mehr Anwendungen zulassen. Wie sieht es auf der Kostenseite aus? Ist ein energieautarkes Sensorsystem teurer als ein klassisches? Wie sieht es mit Folgekosten aus? Aktuell sind die reinen Anschaffungskosten für ein energieautarkes Sensor- 36 IEE • 7-2010 Bildquelle: Beckhoff Wir schätzen Sie das Potenzial von Energy Harvesting in der Industrie ein? Das Potenzial ist sicherlich groß, denkt man nicht zuletzt an die kabellose Maschine. Entscheidend ist, ob sich in Zukunft schnelle drahtlose Kommunikationssysteme etablieren, deren Energiebedarf mittels Energy Harvesting gedeckt werden kann. system zwar etwas teurer, die Preise werden sich aber noch positiv entwickeln. Wichtiger ist die Betrachtung der Total Cost of Ownership. Man kann die einmaligen Mehrkosten bei der Hardware durch deutlich geringere Installationskosten vertreten. Zusätzlich sind Umbauten und Erweiterungen an einer Anlage, egal ob in der Industrie oder im Gebäude, mit deutlich weniger Aufwand zu lösen. Wie schätzen Sie das Energiesparpotenzial von energieautarken Systemen ein? Wie viel Geld kann ein Anwender damit sparen? Das ist schwer zu beziffern, da der aktuell häufigste Anwendungsfall bei Lichtschaltern und einfachen Sensoren im Gebäude liegt. Dort lässt sich kaum Energie einsparen. Die Sensortechnik, egal ob im Gebäude oder in der Industrie, verbraucht kaum Energie. Der Großteil des Energieverbrauchs im Gebäude wird an anderen Stellen erzeugt, wie der Wärmeerzeugung. Und in einer Industriesteuerung verbrauchen elektrische Antrieben die meiste Energie. Daher ist das Energiesparpotenzial in der Gesamtbetrachtung nicht besonders hoch. Das ist aber auch bestimmt nicht der Fokus von Energy Harvesting. Vielmehr ist das Ziel, eine Senkung der Installationskosten herbeizuführen. Ergeben sich durch den Einsatz von Energy Harvesting neue Anwendungen in der Industrie, die vorher nicht möglich waren? Neue Anwendungen ergeben sich in der Industrie zurzeit nur in speziellen Applikationen, die nicht auf schnelle Kommunikation angewiesen sind. Im Gebäude ergeben sich durch die erwähnten langsamen Anwendungen mehr Möglichkeiten – insbesondere bei der dynamischen Veränderung von Gebäuden, zum Beispiel Großraumbüros. Hinzu kommt noch der Gestaltungsspielraum im architektonischen Sinn.