Schlaglicht 381 Das Replikationsprotein des archaealen Das Genprodukt ORF904 ist ein neuartiges Replikationsprotein Plasmides pRN1: Funktion, Struktur und Evolution einer neuen DNA-Polymerase Georg Lipps, Lehrstuhl für Biochemie der Universität Bayreuth Das Plasmid pRN1 aus dem thermophilen Archaeon Sulfolobus islandicus Basierend auf den Arbeiten von Carl Woese werden die Lebensformen in drei Domänen eingeteilt: die Archaea, die Bacteria und die Eucarya[1]. Die Archaeen sind den Bakterien morphologisch sehr ähnlich, doch überraschenderweise stehen sie evolutionär den Eukaryoten näher. Archaeen teilen mit den Eukaryoten ca. eine Milliarde Jahre an Entwicklungsgeschichte und es wird angenommen, dass in diesem Zeitraum die DNA-Replikation und die Transkription entstanden sind. Die archaeale DNA-Replikation und Transkription weisen daher Ähnlichkeiten zu den eukaryotischen Prozessen auf und Archaeen können als einfache und experimentell leichter zugängliche Modelle für das Studium dieser fundamentalen Lebensprozesse dienen[2–4]. Die Gattung Sulfolobus, ein thermoacidophiler Crenarchaeot, zählt zu den am besten untersuchten Archaeen. Sulfoloben findet man weltweit in sauren, heißen und schwefelhaltigen Quellen. Das zirkuläre doppelsträngige Plasmid pRN1 aus Sulfolobus islandicus enthält auf 5350 Basenpaaren sechs offene Leseraster, von denen vermutlich drei für Proteine kodieren (Abb. 1). Diese drei Proteine haben wir heterolog exprimiert und biochemisch bzw. strukturell charakteri- Abb. 1: Das Plasmid pRN1 aus dem thermoacidophilen Crenarchaeot Sulfolobus islandicus ist ein kryptisches Plasmid mit sechs offenen Leserastern. Die drei Gene orf56, orf80 und orf904 sind innerhalb der Plasmidfamilie pRN[10] konserviert und daher vermutlich essentiell für die Regulation und Replikation des Plasmides. Die rasterkraftmikroskopische Aufnahme zeigt die Bindung des ORF80 Proteins, ein Protein mit noch unbekannter Funktion, an zwei benachbarte Bindungsstellen auf einem DNA-Fragment von 540 Basenpaaren. Das Gen orf904 kodiert für ein neuartiges multifunktionelles Replikationsprotein, welches aus mindestens zwei Domänen besteht. Die N-terminale Prim/Pol-Domäne beherbergt eine Primase- und eine DNA-Polymeraseaktivität. Die Helikasedomäne besitzt eine DNA-abhängige ATPase-Aktivität. Der mittlere Abschnitt des Proteins zeigt keine Sequenzverwandtschaft zu anderen Proteinen. Dieser Abschnitt scheint jedoch zur DNA-Bindungsaktivität des Proteins beizutragen. BIOspektrum · 4/04 · 10. Jahrgang siert[5–7]. Ziel unserer Arbeiten ist das Verständnis der Regulation und Replikation dieses Plasmides und die Entwicklung eines Shuttle-Vektors für den archaealen Modellorganismus Sulfolobus. Eine bioinformatische Analyse des vom Gen orf904 kodierten Proteins ergab, dass die Cterminale Hälfte des Proteins eine Helikase der Superfamilie III enthält. Für die Nterminale Hälfte des 110 kDa großen Proteins konnte mittels des sensitiven PSIBLASTP Algorithmus eine entfernte Verwandtschaft mit einigen bisher nicht charakterisierten Bakteriophagenproteinen entdeckt werden. Zur funktionellen Charakterisierung wurde das Protein in E. coli überexprimiert und gereinigt. ORF904 ist ein neuartiges multifunktionales Replikationsprotein: Das re- Das Plasmid pRN1 orf904 (Replikationsprotein) orf80 orf90a 5350 bp orf72 orf90b orf56 (Repressor) Domänenstruktur von ORF904 Prim/Pol Helikase Schlaglicht 382 synthetisieren. Im Gegensatz zu den meisten Primasen bevorzugt ORF904 dabei Desoxynukleotide gegenüber Ribonukleotiden. Laufende Untersuchungen dienen der Charakterisierung des plasmidalen Replikationsursprunges und der Aufklärung der plasmidalen Replikation durch in vitro Experimente. Das multifunktionelle Replikationsprotein ORF904 besitzt eine bisher einzigartige Kombination an Enzymaktivitäten: Es besitzt Helikase-, Primase- und DNAPolymeraseaktivität, drei Aktivitäten, die im Rahmen der DNA-Replikation benötigt werden. Die Entdeckung einer Primase und einer DNA-Polymeraseaktivität im pRN1-Replikationsprotein war völlig unerwartet, da, wie oben ausgeführt, keine Sequenzverwandtschaft zu bekannten Primasen und DNAPolymerase entdeckt werden konnte. Interessant war nun zu klären, ob das Replikationsprotein ein gemeinsames oder zwei getrennte aktive Zentren besitzt und in welchem Abschnitt der Proteinkette die DNA-Polymerisationsaktivitäten realisiert werden. Mit Hilfe von Deletionsmutanten konnten wir zeigen, dass sich das aktive Zentrum beider Polymerisationsaktivitäten im N-terminalen Bereich des Proteins befindet. Die entsprechende Domäne von circa. 200 Aminosäuren haben wir Prim/Pol-Domäne genannt. Aufgrund der geringen Verwandtschaft der Prim/Pol-Domäne mit den bisher bekannten DNA-Polymerasen der Familien A-D, X und Y haben wir vorgeschlagen, dass das Replikationsprotein ORF904 die neue DNA-Polymerasenfamilie E begründet[7]. Um Aminosäuren des aktiven Zentrums zu identifizieren, wurden Punktmutanten aller konservierten sauren Aminosäuren der Prim/Pol-Domäne konstruiert. Es stellte sich heraus, dass die Aminosäuren Aspartat 111, Glutamat 113 und Aspartat 171 für die DNA-Polymerase- und Primaseaktivität essentiell sind. Abb. 2: Die Prim/Pol-Domäne des Replikationsproteins enthält im Zentrum mehrere β-Faltblätter, die das aktive Zentrum bilden. Ein Manganion (goldene Kugel) befindet sich in der Nähe der Aminosäuren Aspartat 111, Glutamat 113, Aspartat 171 und Histidin 145 (grün dargestellt). Im Kristall konnte ferner ein Zinkion (magenta Kugel) identifiziert werden, welches von einem Histidin- und zwei Cysteinresten (blau dargestellt) koordiniert wird. Das Zentrum der Prim/Pol-Domäne (magenta und grau) hat eine ähnliche Faltungstopologie wie ein Bereich der katalytische Untereinheit der archaealen Primase von Pyrococcus furiosus (orange und türkis). Die Abfolge der konservierte Strukturelemente ist in beiden Proteinen identisch. Dies kann als Hinweis für eine evolutionäre Verwandtschaft gedeutet werden. kombinante Protein besitzt DNA-abhängige ATPase-Aktivität, ein Hinweis auf Helikaseaktivität. Darüber hinaus konnten wir zeigen, dass ORF904 DNA-Polymeraseaktivität besitzt. Eine eingehende Untersuchung des Enzyms ergab, dass das ORF904 Protein weder eine 3’-5’ noch eine 5’-3’ (proofreading) Exonukleaseaktivität besitzt[7]. Die DNA-Polymeraseaktivität ist relativ niedrig und zeigt außerdem eine geringe Prozessivität. Demgegenüber konnten wir jedoch eine deutliche Primaseaktivität nachweisen, die es ORF904 erlaubt, auf einer einzelsträngigen DNA-Matrize einen Primer zu Die DNA-Polymerase/Primase-Domäne des Replikationsproteins ähnelt strukturell einer Primase Die Prim/Pol-Domäne von ORF904 lässt sich getrennt exprimieren und besitzt DNAPolymeraseaktivität. In Zusammenarbeit mit Prof. Patrick Cramer (LMU München) konnte die Raumstruktur mit hoher Auflösung bestimmt werden[8]. Im aktiven Zentrum der Domäne findet man die drei essentiellen sauren Aminosäuren Aspartat 111, Glutamat 113 und Aspartat 171 in enger Nachbarschaft sowie ein katalytisches Manganion (Abb. 2). Die Struktur der Prim/PolDomäne weist keine Ähnlichkeit mit Strukturen von anderen DNA-Polymerasen auf, eine entfernte strukturelle Verwandtschaft BIOspektrum · 4/04 · 10. Jahrgang Schlaglicht ist mit der archaealen Primase von Pyrococcus furiosus auszumachen (Abb. 2). Haben diese beiden Proteine ein gemeinsames Vorläuferprotein oder sind die Ähnlichkeiten der beiden Protein durch konvergente Evolution entstanden? Nach meiner Überzeugung sind beide Proteine miteinander verwandt. Das gemeinsame Vorläuferprotein könnte ein einfaches DNAReplikationsprotein sein, welches in der Lage war, kleinere ursprüngliche DNA-Genome zu replizieren. Nach einer These von Prof. Patrick Forterre (Universität Paris) wurde DNA als genetisches Material zur Zeit der RNA-Genome von Viren erstmalig verwendet[9]. Es ist zu erwarten, dass es zu Beginn der DNA-Replikation nicht zwei getrennte Enzyme für Primersynthese (Primase) und Primerverlängerung (DNA-Polymerase) gegeben hat. Sowohl das Replikationsprotein von pRN1 als auch die Pyrococcus furiosus Primase können DNA de novo polymerisieren. Ein gemeinsames Vorläuferprotein könnte daher in der Lage gewesen sein, kleinere Genome eigenständig zu replizieren. Im Verlauf der Evolution und mit der Notwendigkeit größere Genome mit erhöhter Genauigkeit zu replizieren, sind die ursprünglichen Replikationsproteine durch spezialisierte replikative DNA-Polymerasen ersetzt worden. Sollte sich dieses Szenario bestätigen, wären die heutigen eukaryotischen/archaealen Primasen molekulare Fossilien aus den Anfängen der DNA-Replikation. [7] Lipps, G., Rother, S., Hart, C., and Krauss, G. (2003): A novel type of replicative enzyme harbouring ATPase, primase and DNA polymerase activity. EMBO J., 22: 2516–2525. [8] Lipps, G., Weinzierl, A. O., von Scheven, G., Buchen, C., and Cramer, P. (2004): Structure of a bifunctional DNA primase-polymerase. Nat. Struct. Mol. Biol., 11: 157–162. [9] Forterre, P. (2002): The origin of DNA genomes and DNA replication proteins. Curr. Opin. Microbiol., 5: 525–532. [10] Peng, X., Holz, I., Zillig, W., Garrett, R. A., and She, Q. (2000): Evolution of the family of pRN BIOMOLEKULARE WECHSELWIRKUNGEN „Kontaktanzeige” einmal anders plasmids and their integrase-mediated insertion into the chromosome of the Crenarchaeon Sulfolobus solfataricus. J. Mol. Biol., 303: 449–454. Korrespondenzadresse: Dr. habil. Georg Lipps Universität Bayreuth – Lehrstuhl für Biochemie Universitätstr. 30 D-95440 Bayreuth [email protected] Tel.: 0921-55-2519 Fax: 0921-55-2432 Literatur [1] Woese, C. R., Kandler, O., and Wheelis, M. L. (1990): Towards a natural system of organisms: proposal for the domains Archaea, Bacteria, and Eucarya. Proc. Natl. Acad. Sci. U. S. A, 87: 4576–4579. [2] Edgell, D. R. and Doolittle, W. F. (1997): Archaea and the origin(s) of DNA replication proteins. Cell, 89: 995–998. [3] Dionne, I., Nookala, R. K., Jackson, S. P., Doherty, A. J., and Bell, S. D. (2003): A heterotrimeric PCNA in the hyperthermophilic archaeon Sulfolobus solfataricus. Mol. Cell, 11: 275–282. [4] Bell, S. D. and Jackson, S. P. (1998): Transcription and translation in Archaea: a mosaic of eukaryal and bacterial features. Trends. Microbiol., 6: 222–228. [5] Lipps, G., Stegert, M., and Krauss, G. (2001): Thermostable and site-specific DNA binding of the gene product ORF56 from the Sulfolobus islandicus plasmid pRN1, a putative archael plasmid copy control protein. Nucleic. Acids. Res., 29: 904–913. [6] Lipps, G., Ibanez, P., Stroessenreuther, T., Hekimian, K., and Krauss, G. (2001): The protein ORF80 from the acidophilic and thermophilic archaeon Sulfolobus islandicus binds highly site-specifically to double-stranded DNA and represents a novel type of basic leucine zipper protein. Nucleic Acids Res., 29: 4973–4982. BIOspektrum · 4/04 · 10. Jahrgang Analytik Jena AG Konrad - Zuse - Str. 1 • 07745 JENA Tel.: (0364 1 ) 77-70 • Fax : 77 - 92 79 E- mail: [email protected] • www.analytik - jena.de