Glykosylierungsmuster könnten angreifbare Schwachstellen sein

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Glykosylierungsmuster könnten angreifbare
Schwachstellen sein
Tumoren entwickeln raffinierte Strategien, um der Immunabwehr zu entkommen. Eine davon
ist die Ausbildung einer veränderten Zuckerhülle. An die Zucker binden bestimmte Rezeptoren
der Immunzellen, so dass die Krebszelle vom Immunsystem unentdeckt bleibt. Mediziner der
Universität Tübingen erforschen die Mechanismen und suchen therapeutische Ansatzpunkte.
Alle Zellen im Körper werden glykosyliert, das heißt, auf ihrer Oberfläche werden
Zuckerstrukturen angehängt. Daran können Lektine andocken, also Proteine , die darauf
spezialisiert sind, Zuckerstrukturen zu erkennen und zu binden.
Dr. Ingo Müller von der Tübinger Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin (Foto: privat)
Normalerweise dienen solche Mechanismen dazu, zelluläre Kommunikations- und
Transportprozesse zu vermitteln, auch bei Zellen des Immunsystems. Krebszellen nutzen die
Mechanismen jedoch, um die Immunabwehr zu überlisten. Auffällig ist die ungewöhnliche
Glykosylierung auf der Oberfläche von Krebszellen. „Die Veränderung der Glykosylierung ist
eines der ersten Ereignisse bei der Entartung einer Zelle, das ist ein Indiz dafür, wie wichtig die
Zuckerhülle ist“, erklärt Dr. Ingo Müller von der Tübinger Universitätsklinik für Kinder- und
Jugendmedizin.
Müller untersucht die Vorgänge an der Hülle von Neuroblastom-Zellen. Neuroblastome sind
heimtückische Tumoren, die vor allem in den Nebennieren auftreten. Bei Kindern ist es die
zweithäufigste Tumorart überhaupt und die häufigste außerhalb des Nervensystems. „Der
Handlungsdruck ist auch wegen der ungünstigen Prognose so besonders hoch, die
Überlebensrate beträgt nur 40 bis 60 Prozent“, betont Müller. Mit insgesamt fünf Mitarbeitern
erforscht er im Rahmen eines Projekts im BMBF-Arbeitsgruppenwettbewerb
Glykobiotechnologie, wie die Zuckerhülle von Neuroblastomzellen mit Immunzellen interagiert.
Im Mausmodell Wechselwirkungen der Zuckerstrukturen
untersuchen
Müllers Team nutzt ein besonderes Mausmodell, in dem erstmals Wechselwirkungen von
Neuroblastomzellen mit menschlichen Immunzellen im lebenden System untersucht werden
können. Müller arbeitete in Memphis, USA, in der Abteilung von Prof. Dr. Rupert Handgretinger.
Handgetinger war an der Entwicklung des Mausmodells beteiligt und brachte es mit nach
Tübingen. Das Besondere daran: Den Mäusen werden Blutstammzellen des Menschen
transplantiert, die menschliche Immunzellen produzieren. „In unserem Mausmodell können wir
alle Zellen des menschlichen Immunsystems regenerieren. Bisher wurde in dem Modell vor
allem die Entstehung des Immunsystems studiert, jetzt soll es uns dazu dienen, die
immunologischen Wechselwirkungen mit den Zuckerhüllen der Neuroblastomzellen zu
untersuchen“, erklärt Müller.
Eine natürliche Killerzelle (NK-Zelle, gelb) des Immunsystems greift eine Krebszelle (rot) an. (Foto: © eye of science,
Probe: Prof. Dr. Rupert Handgretinger)
Die Zuckerstrukturen auf Neuroblastomzellen sind im Wesentlichen Sialinsäuren, sehr saure
Zuckerketten, die mit bestimmten Membranlipiden verbunden sind. Der häufigste Komplex ist
GD2, ein Disialogangliosid mit Zuckerbäumchen, die zwei Sialinsäuren tragen. GD2 kommt fast
nur bei Neuroblastomzellen vor. Deshalb ist das Molekül nicht nur ein geeigneter Marker für
diese Tumorart, sondern auch ein potenzieller Angriffsort für spezifische Therapien. Die
Tübinger Mediziner nutzten GD2 bereits im Rahmen einer Immuntherapie. Es wurden
Antikörper gegen GD 2 entwickelt, die an das Molekül binden und es der
Zellvernichtungsmaschinerie des Immunsystems zuführen.
Antikörper gegen Zuckerstrukturen zeigen bereits therapeutische
Wirkung
„Die antikörperinduzierte zytotoxische Reaktion funktioniert sowohl in Zellkultur als auch bei
der Anwendung beim Patient. Wir wollen die Antikörper nun so verändern, dass sie noch
effektiver werden. Weitere Therapiemöglichkeiten soll uns die Erforschung der Struktur von
GD2 und seiner Bindungspartner liefern“, sagt Müller. Wichtige Bindungspartner sind zwei
Gruppen von Lektinen: die Siglecs (sialic acid-binding proteins) und die Galektine sind im Fokus
der Forscher.
Siglecs sind unter anderem auf der Oberfläche von natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) des
Immunsystems zu finden. Wenn sie an die Sialinsäuren der Krebszellen binden, wird damit auf
noch weitgehend unbekannte Weise eine Immunreaktion unterbunden. Die molekularen
Strukturen und Wechselwirkungen erforscht Müller jetzt mit seinem Team. „Die Struktur von
Siglec-7 ist bereits aufgeklärt, in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Thilo Stehle wollen wir das
Molekül nun gemeinsam mit GD2 kokristallisieren, um die Struktur des Gesamtkomplexes zu
erhalten“, so Müller.
Forschung an Zuckerstrukturen auf Krebszellen steht noch am Anfang
Hat er ein exaktes Bild davon, hofft er, geeignete Zielstrukturen zu finden für eine Blockade der
verhängnisvollen Abläufe. „Erst die Kenntnis der genauen Struktur des Zucker-Siglec-Verbunds
wird uns die Möglichkeit geben, spezifische Inhibitoren zu entwickeln, kleine Moleküle, die an
die Siglecs binden und damit verhindern, dass Sialinsäuren binden können. In der Regel sind
solche kleinen Moleküle gut verträglich. Mit metabolischen Problemen ist nicht zu rechnen.
Allergien gegen derart kleine Moleküle sind zum Beispiel nicht beschrieben“, sagt Müller.
Insgesamt steht die Erforschung der Tumorglykobiologie noch ganz am Anfang, so dass noch
viele Zusammenhänge zu klären sind. Sialinsäuren gibt es zum Beispiel auch auf der
Oberfläche von bestimmten Zellen bei Leukämien. „Die T-Zell-Leukämien haben Sialinsäuren,
die B-Zell-Leukämien des Kindesalters nicht. Nun ist die Prognose bei einer T-Zell-Leukämie
schlechter als bei einer B-Zell-Leukämie“, sagt Müller. Welche Mechanismen hier dahinter
stecken, gilt es ebenfalls noch zu erforschen.
Fachbeitrag
25.01.2008
leh
BioRegio STERN
Weitere Informationen
Universitätsklinikum Tübingen
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Abteilung Allgemeine Pädiatrie, Hämatologie und Onkologie
Dr. med. Ingo Müller
Hoppe-Seyler-Straße 1
72076 Tübingen
Tel.: 07071 29-87199
Fax: 07071 29-5203
E-Mail: ingo.mueller(at)med.uni-tuebingen.de
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